Ukraine, Israel. Fossile Kriege und Solarpunk-Frieden. Vortrag für die evangelische Kirche in Pforzheim

Für den evangelischen Pfarrkonvent im multireligiösen Pforzheim konnte ich endlich einmal wieder eine duale Rede schreiben: ein ausführliches Redeskript online, zu dem ich heute Nachmittag dann frei und dialogisch sprechen möchte. Inhaltlich wollte ich endlich einmal den Philosophen Hans Blumenberg (1920 – 1996) mit den Befunden der modernen Evolutions- und Kognitionspsychologie verknüpfen. Das Eintauchen in dessen Werke lässt sich jedoch nicht nebenher leisten, es erfordert Stunden der Lektüre, des Abschreibens und Bedenkens.

Und es macht glücklich, weist zumindest mir immer wieder den Weg aus Tälern der Verzweiflung. Blumenbergs Rezension der “Matthäuspassion” von Johann Sebastian Bach (1685 – 1750) geht für mich mit den Fragen und Zweifeln eines Liebenden an einigen Stellen über die Intensität der Bachschen Musik sogar hinaus. Wie gerne würde ich nichts als Tage und Nächte darauf verwenden, alleine seiner Kafka-Interpretation zu folgen!

Auf den folgenden Seiten können Sie – bei Interesse – also lesen: Was macht mir in Sachen Antisemitismus und Krieg gegen Israel sowie die Ukraine am meisten Sorgen? Wo habe ich Friedensenergie-Hoffnungen? Wie sehe ich das Heranwachsen der jungen Generationen? Und wird der bereits entstehende KI-Talmud auch die Kirchen verändern?

Hier zum Redeskript:

Fossile Gewalt gegen erneuerbare Friedensenergien.

Was Hass, TikTok und den Gazakrieg verbindet.

Ev. Pfarrkonvent Pforzheim, 16.04.2024

Als kleines, ökumenisches Gimmick nehme ich eine Bischof-Sproll-Figur aus dem Katholisch-Württembergischen mit ins Evangelisch-Badische – und erkläre die geschichtlichen Hintergründe dazu.

Figur eines fröhlichen Bischofs in schwarzer Soutane und mit katholischen Insignien, aber barfuß und das Stolpern über einen Stein andeutend. Klick führt zum Redeskript.

Bischof-Sproll-Figur, erklärt im Redeskript. Foto: Michael Blume

Gefreut habe ich mich schließlich auch über die Anfrage einer Kirchengemeinde, ein KI-generiertes Bild im Gottesdienst verwenden dürfen. Sehr gerne habe zugesagt!

KI-generiertes Gemälde, in dem ein Jesus mit der Hand einen leuchtenden Regenbogen in den Himmel wirft, damit Licht und Schatten spaltet. Klick führt zum erklärenden Blogpost

Rabbi Jesus predigt Frauen & Männern aller Völker den Noah-Bund des Regenbogens“. Michael Blume mit Leonardo.AI, 08.02.2024 

Und für jene, die lieber etwas schauen möchten – hier ist ein Nachtschicht-Gottesdienst rund ums Thema Antisemitismus, an dem ich gerne mitgewirkt habe:

Avatar-Foto

Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

9 Kommentare

  1. Guten Morgen @Michael Blume und vielen Dank für’s Teilen dieses sehr reichen Textes!
    Dem kann ich nichts hinzufügen, sondern nur staunen. Und ich muss feststellen, dass meine Leseliste mal wieder um einiges länger geworden ist, und ich – um auf ein Leitmotiv Ihrer Rede zu verweisen – nie genug Lebenszeit haben werde, diese letztlich abzuarbeiten.
    Eine schöne Umschreibung, die ich heute für mich mitnehme ist – da mir das Buch von Kahneman selbst auch viel bedeutet: „das selbstorganisierte und öffentliche ‚System 2‘-Fediversum“. Danke! Lassen Sie und alle Interessierten unseren Dialog im Fediversum weiterhin auf anregende und respektvolle Weise fortsetzen!
    Einen anregenden Tag in Pforzheim wünsche ich Ihnen!

    • Vielen lieben Dank, @Peter Gutsche – das freut mich sehr!

      Denn wie ich gerade auch schon im Dialog mit Marie H. schrieb, glaube ich an das Ende der Das-musst-Du-Lesen-Sehen-Hören-Kanones. Die digitalen Quellen sprudeln so massiv, dass immer mehr von uns selbst ins dialogische („System 2“-)Schreiben-Zeigen-Sprechen kommen sollten. Gerade das geschieht im Fediversum – und da machen auch Sie, ja Sie!, mir sehr viel Hoffnung! Danke dafür! 🙏✅

  2. Manche Ihrer Beiträge überraschen mich immer noch. Perry Rhodan und Johann Wolfgang von Goethe in einer Rede – ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen – ist da für mich ein gewaltiger Unterschied. Was Goethe betrifft, so entnehme ich seinen Worten zwischen den Zeilen, dass er offenbar mit manchen Entwicklungen seiner Zeit nicht ganz glücklich war. Sehnte er sich auch zurück in eine Zeit mit weniger Beschleunigung? Sein “Faust” hat es mit zahlreichen Zitaten in den allgemeinen Sprachgebrauch geschafft. Ob ihm das recht gewesen wäre?
    Hin und wieder lese ich in historischen Zeitungen. Was mich dabei immer wieder verblüfft ist der Umstand, dass beispielsweise die Redeprotokolle aus dem Dt. Reichstag offenbar vollständig abgedruckt wurden. Das ist insbesondere im Hinblick auf die Zeit vor dem 1. Weltkrieg ganz interessant. Die Leser der Zeitungen waren also in der Lage, sich selbst ein Bild zu machen. Das heutige Pendant dürfte die Übertragung von Debatten aus dem Dt. Bundestag auf phoenix sein.
    “Blumenbergs Rezension der “Matthäuspassion” von Johann Sebastian Bach…geht für mich mit den Fragen und Zweifeln eines Liebenden an einigen Stellen über die Intensität der Bachschen Musik sogar hinaus..”
    Das ist mir unverständlich. Was darf ich unter dem “Liebenden” verstehen? Blumenberg als jemand, der die Bachsche Musik liebt? Ich habe die KI über Blumenbergs Matthäuspassion befragt, und die Antworten lassen mich ebenfalls ziemlich ratlos zurück. Er ringt also mit der Grausamkeit Gottes, der zulässt, dass dies alles seinem Sohn Jesus angetan wird. Die Interpretation sehe ich unter dem Aspekt dessen, was Blumenberg in seinem Leben selbst erdulden musste. Da hat eine solche Geschichte, wie Kreuzigung, Tod und Auferstehung sicher noch einmal eine ganz andere Bedeutung.
    Gefallen hat mir, dass Blumenberg sich durch die Musik von JSB mit der Geschichte “aussöhnen” kann, d.h. sie wird für ihn erträglich. Ist das noch eine religiöse Herangehensweise oder rein philosophisch? Oder liegt der Denkfehler bei mir, wenn ich Religion und Philosophie trenne?
    Die Musik der Matthäuspassion ist sicher ein Höhepunkt in der Musikgeschichte, was die Komposition von Passionen betrifft. Es gab ja sowohl vor als auch nach Bach immer wieder Vertonungen der Passionsgeschichte. Orlando di Lasso hat eine Matthäuspassion komponiert. Georg Friedrich Händel schuf eine Johannespassion. Von Georg Philipp Telemann ist eine Markuspassion überliefert. Heinrich Schütz komponierte eine Lukaspassion. Der in Stuttgart wirkende Komponist Niccolo Jommelli hat “La passione di nostro signore Gesu Cristo” hinterlassen. Von daher hat der Gedanke von Blumenberg, dass Musik die Leidensgeschichte Jesu erträglicher macht etwas Gewinnendes und Tröstendes.
    Es würde mich schon reizen, das Buch von Blumenberg zu lesen. Allerdings scheint es ja nur schwer verständlich zu sein.

    So wie Ihnen die Bücher von Blumenberg Trost und Motivation sind, ist es für mich die Musik. Menschen sind immer wieder durch schlimme Krisenzeiten gegangen. Wenn man heute einen Blick in die Vergangenheit wirft, dann kann man häufig erkennen, was in solchen Zeiten an musikalischen Juwelen entstanden ist. In den Jahren 1816 (das Jahr ohne Sommer) bis 1818 hat insbesondere Gioachino Rossini herrliche Melodien geschaffen. Besonders “Dal tuo stellato soglio” aus “Mose in Egitto” hat es mir angetan. Die Geschichte von Moses verbindet Christen und Juden.

    • Vielen herzlichen Dank, @Marie H.!

      Zu Goethe & Perry Rhodan sehe auch ich gewaltige Unterschiede – schon deshalb, weil die Rhodan-Reihe ein Gemeinschaftswerk ist. Goethe ist großartig – ich verlinke gleich zu einem Vortrag von mir im Faustmuseum Knittlingen -, aber er wurde auch nachträglich als nationale Ikone kanonisiert und bis in die Anthroposophie hinein aufgegriffen. Der Nachruhm wurde ihm zugewiesen.

      Dagegen wird die längste Seriengeschichte der Menschheit um den Nachkriegs-Deutsch-Amerikaner Perry (Peregrin) Rhodan nach meiner Einschätzung noch immer unterschätzt. Das bedeutet jetzt freilich nicht, dass ich ihn verpflichtend kanonisieren möchte – das wird, glaube ich, ohnehin kaum mehr möglich sein. Es gibt den gemeinsamen Boden nur noch zu den Klassikern. Hier der Faust-Goethe-Vortrag zu Knittlingen, falls Interesse:

      https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/faustmuseum-knittlingen-2023-sind-wir-maenner-noch-zu-retten-faust-goethe-und-das-boese-in-uns-selbst/

      Ja, Sie haben Blumenberg m.E. bereits gut im Blick, auch meine Aussage zu ihm. Gerade auch in der „Matthäuspassion“ umkreist er mit wachsenden Zweifeln die Themen und Personen, die ihm wichtig sind. Sogar der von ihm geliebte Goethe wird hier kritisiert! Es ist aber wirklich grenzwertig schwer zu lesen, noch schwerer als etwa seine Hauptwerke „Arbeit am Mythos“ oder „Lebenszeit und Weltzeit“. Ich behelfe mir bei seinen Büchern, indem ich viele Sätze von ihm mit Hand abschreibe und (erst) damit „begreife“. Bin sehr froh, dass mein Interesse an Philosophie bei leichter zu Lesenden wie Karl Popper, Rabbi Sacks und Jeanne Hersch begonnen hat..

      Über Hoffnung & Musik werde ich Freitag sprechen & bloggen! 🙂

      • Vielen Dank für den Link. Gerne werde ich den längeren Text lesen. Ich glaube, dass sowohl Goethe wie auch Schiller in gewisser Weise missbraucht wurden. Da Sie das Württembergische Staatstheater Stuttgart erwähnten, hier eine Anekdote, die der ehemalige Generalintendant Walter Erich Schäfer in seinen Memoiren schilderte. Als man 1955 des 150. Todestages von Friedrich Schiller gedachte, lud man für den Festakt als Hauptredner Thomas Mann nach Stuttgart ein. Es gab jedoch einen, heute würde man das als “Shitstorm” bezeichnen, Aufschrei mancher Deutscher, die es nicht akzeptieren wollten, dass Thomas Mann, der sich gegen die Nazis gestellt hatte und ins Exil gegangen war, die Gedenkrede auf einen der “deutschesten” Dichter halten sollte. Thomas Mann kam nach Stuttgart.
        Ihrem Blogpost am Freitag sehe ich mit Spannung entgegen.

        • Danke, @Marie H. – das ist wirklich ein sehr gutes Beispiel! Die deutschen “Geistesgrößen” wurden nationalistisch vereinnahmt und dadurch auch überhöht. Ich finde es z.B. sehr gut, dass aktuell im Kant- und Kafka-Jahr bei aller verdienten Wertschätzung auch faire Kritik geübt wird. Wir brauchen ja keinen vermeintlich überzeitlichen Platonismus mehr, sondern den Dialog zwischen realen Menschen. Und niemand von uns war oder ist perfekt.

          In seiner Rezension der “Matthäuspassion” von Bach schreibt Blumenberg in einem Kapitel zum Maler Caravaggio, S. 259:

          “Realist möchte jeder sein; es zu werden setzt jeden in Verlegenheit.”

          Die Rechtsdualisten konnten auch damals schon ihre verheerenden Irrtümer nicht eingestehen. Und statt sich ihrer Verlegenheit zu stellen, attackierten sie u.a. Thomas Mann…

  3. @Vortrag „Fossile Gewalt gegen erneuerbare Friedensenergien“

    „Denn wir sollten den Tod nicht fürchten, sondern das gemeinsame Leben nach Kräften lieben und fördern.“

    Das Leben zählt, und in der Weite der Zeit wird mehr draus, als der Tod uns nehmen kann. Der Horizont in Zeit und Raum erweitert die aktuelle Existenz über das eigene biologische Kapitel hinaus. Die Gemeinsamkeit, die aus gemeinsamer Verantwortung wachsen kann, ist mir hier eine Substanz, die aus dem Privatvergnügen des eigenen Besitzes noch sehr viel mehr machen kann.

    Die tätige Verbindung mit dem Leben dürfte auch an Geisteswelten nicht vorbei gehen. Wie immer die Geisteswelten am Ende wirklich aussehen, die ganz praktischen Verbindungen mit dem sichtbaren Universum werden nicht umsonst sein.

    Die apokalyptischen Vorstellungen einer zu entsorgenden Welt sind genauso destruktiv wie ein grundsätzlicher Egoismus, der neben der eigenen Existenz keinerlei Horizonte kennt. Dabei ist doch die Verbindung mit dem um uns herum eigentlich die Quelle aller eigenen Lebensqualität. Ob die Verbindung nun konkret materiell oder eher geistig aussieht.

    Der Spaziergänger muss den Park nicht besitzen, um sich hier bei Spaziergängen mit dem Leben zu verbinden. Sich an gemeinschaftlichen Aufgaben zu beteiligen kann entsprechend immer seinen Sinn haben. Und sogar richtig Spaß machen, wenn man da selber gar nichts dran verdient.

    Sich mit destruktiv wirkender Verschwendung auch noch abzumühen, sich einen Status aufzubauen und dann seine ganze Lebenszeit mit Gelderwerb zu verbringen, ist ja auch noch fürchterlich mühsam. Und kann dann leider letztendlich auch noch zu erheblichen Teilen Selbstverschwendung werden.

    Hier der allgegenwärtigen Werbung zu widerstehen, und sich keine verzichtbaren Anschaffungen zu machen, kann dann auch helfen, nicht nur naturverträglicher, sondern auch deutlich entspannter zu leben.

  4. Herr Blume bei allem Respekt, aber die Leonardo.ai bilder sind schon arg Wachtturmcovermäßig, zeichnen Sie doch selbst mal was 😊

Schreibe einen Kommentar