Don’t look up! Verschwörungspsychologie & Carl Sagan-Religion vom Feinsten!

Kurz bevor uns Blumes Trump-Trolle wertvolle Zeit raubten, hatte sich das schwierige Jahr 2021 noch mit einem eindrucksvollen Film-Weihnachtsgeschenk verabschiedet: Unbedingte Empfehlung für die Tragikomödie “Don’t look up!” von Adam McKay mit Jennifer Lawrence als Astronomin Kate Dibiasky und Leonardo di Caprio als überfordertem Prof. Dr. Randall Mindy! 🙂

Wir finden hier die 4 Stufen der Verschwörungspsychologie präzise verfilmt:

  1. Blunting / Abblocken sogar bei den Kometen-Entdecker:innen selbst (“Das ist nicht real! Das darf nicht wahr sein!”)
  2. Verschwörungsmythen / Dualismus in der schnellen Abspaltung und Leugnung der Gefahr (Unmittelbare Attacken auf die Astronomin als “schreiende Lady”)
  3. Antisemitismus. Perplex und verzweifelt versucht Mindy im Internet gegen Verschwörungsmythen zu argumentieren, wonach “jüdische Milliardäre” den Kometen erfunden hätten, um “uns unsere Freiheiten zu nehmen”.
  4. Tyrannophilie. Anstatt das reale Problem zu lösen, bietet die trumpeske US-Präsidentin ihrer Anhängerschaft einen Slogan der Realitätsverleugung: “Don’t look up! – Schaut nicht hoch”. Die rechtspopulistische Strategie wirkt bis kurz vor dem Ende.

Und, nein, ich hatte wirklich keine Ahnung, dass dieser Film kommen würde, als ich mein neues “Rückzug oder Kreuzzug?” mit dem Plädoyer fürs Hinschauen (!) und zwei zu Recht skeptischen Wissenschafts-Zitaten von Hans Blumenberg und Lars Fischer eröffnete

Was mich als Religionswissenschaftler aber bei “Don’t look up!” über die kluge Psychologie hinaus unglaublich freute, war auch die gelungene Darstellung von Religionskritik & Religion nach Carl Sagan. Von diesem großen Aufklärer platziert Dibiasky gleich zu Beginn des Films eine kleine Statuette auf ihrem streng wissenschaftlichen Schreibtisch. Und der Film zeigt auch scharfe Religionskritik etwa mit dem zynischen Missbrauch religiöser Formeln durch die populistische Präsidentin oder dem marktradikalen “Gebet” ihres Stabschef-Sohnes um den Erhalt von Luxusgütern. Doch am Ende reichen sich plötzlich auch die wissenschaftlich Denkenden im Angesicht des nahen Endes die Hände zum einzig ernsthaften Gebet des Filmes, werden auch die Religionen der Native Americans, der katholischen Kirche und des Buddhismus in schnellen Einstellungen gestreift. (Vorsicht: Folgendes Video enthält Spoiler!)

War dieses gemeinsame Gebet etwa ein Verrat an Sagan? Im Gegenteil.

In seinem großartigen “The Demon-Haunted World” von 1996 zeigte Sagan, dass er sich mit christlichen ebenso wie mit nichtchristlichen Religionen und Mythologien tatsächlich auskannte – und schilderte beispielsweise den Adam-Lilith-Mythos aus dem Talmud und neuzeitliche, pseudo-technologische UFO-Mythen (S. 119 ff.). Ganz nah an Karl Popper betonte er (S. 17):

“Es gibt einfach keinen Weg zurück. Ob wir es wollen oder nicht, wir sind auf Wissenschaft festgelegt. Wir sollten besser das Beste daraus machen. Wenn wir damit endlich klarkommen und seine Schönheit und Macht erkennen, werden wir – in einem spirituellen wie auch praktischen Sinne – finden, dass wir einen starken Tausch zu unseren Gunsten gemacht haben.” (Übersetzung selbst)

Für mich eines der besten Wissenschafts-Bücher des 20. Jahrhunderts: “The Demon-Haunted World. Science as A Candle in the Dark” von Carl Sagan (1996). Foto: Michael Blume

In einem spirituellen Sinn? Ja, Sagan erahnte bereits die neurobiologischen und evolutionpsychologischen Grundlagen von Religiosität:

“Natürlich probieren Leute verschiedene Glaubenssysteme an und schauen, ob sie helfen. Und wenn wir ausreichend verzweifelt sind, werden wir allzu bereit, aufzugeben, was wir als die schwere Last des Skeptizismus wahrnehmen.” (S. 18)

Daraus ergibt sich eine kluge Haltung gegenüber Religion(en), die vor allem “konservative und fundamentalistische” Ausprägungen nicht vor wissenschaftlicher Kritik verschont, aber sie eben auch nicht pauschal verwirft. Sagan (S. 264):

“Selbstverständlich werden viele Religionen, orientiert auf Anbetung, Ehrfurcht, Ethiken, Ritual, Gemeinschaft, Familie, Spenden sowie politische und wirtschaftliche Gerechtigkeit, durch die Befunde der Wissenschaft in keiner Weise herausgefordert, sondern eher aufgerichtet. Es gibt keinen notwendigen Konflikt zwischen Wissenschaft und Religion. Auf einer Ebene teilen sie gleiche und sich ergänzende (konsonante) Rollen und jede braucht die andere.”

Entsprechend konnte Sagan (wie übrigens auch der studierte Theologe Charles Darwin vor ihm) die Chancen religiöser Auslegungen erkennen, der sogenannten Hermeneutik: (S. 264)

“Die religiösen Traditionen sind oft so reich und mehrdeutig dass sie vielfache Möglichkeiten für Erneuerung und Revision bieten, insbesondere wenn ihre Heiligen Bücher metaphorisch und allegorisch interpretiert werden können.”

Und zu dieser Ansage zitierte Sagan nicht nur aufgeklärte, christliche und jüdische Strömungen, sondern auch den tibetanisch-buddhistisch Dalai Lama und sogar den “Führer der Unschlüssigen” von Maimonides! (S. 264/265)

Nun wissen Sie also, warum ich mit dem noch immer nur “ex-christlichen” Zustand der deutschsprachigen Religionskritik und Erkenntnistheorie so unglücklich bin. Immer noch lese ich täglich Argumente aus dem 19. Jahrhundert, in denen völlig überholte Positionen wie die “Existenz” Gottes vermeintlich triumphal bestritten werden. Geht denn noch irgendjemand von einer materiellen “Existenz” mathematischer Zahlen oder von Menschenrechten aus? Warum sollte man(n) das also von überempirischen Akteuren wie Engeln oder Gottheiten annehmen? Wo bleibt die Kenntnis über verschiedene, religiöse Positionen und die empirische und falsifikatorische Größe etwa einer Sue Blackmore in Bristol 2010?

Obwohl wir im deutschen Sprachraum doch den großen Erkenntnistheoretiker Karl Popper samt 3-Welten-These und der humanistisch-spirituellen Verknüpfung von wissenschaftlicher Erkenntnis und “Tragen des Kreuzes” hatten, nehme ich im deutschsprachigen Netz gegenüber den Erkenntnissen von Carl Sagan eher einen weiteren Rückschritt wahr.  (Und wenn Richard Dawkins sein Zitat auf Sagans Buchcover ernst nimmt – er auch…) Nicht nur religiöse, sondern auch religionskritische Leute machen es sich oft mit einem selbstgefälligen “Don’t look up!” zu einfach und ignorieren etwa die Evolutionsforschung zu Religiosität und Religionen samt ihrer Belege zu Adaptivität, Demografie & komplexer Emotionalität.

Insofern könnte der starke Film leider Recht behalten: Vielleicht schaffen wir Menschen es nicht in ausreichender Zahl, unseren Freund-Feind-Dualismus sowohl wissenschaftlich wie religiös zu überwinden. Dass ein Planetenkiller-Komet in den nächsten Monaten einschlägt, ist statistisch eher unwahrscheinlich – doch der Zigtausendfache Hitzemord durch die Klimakrise findet ja bereits statt. Und die meisten von uns blocken das ab, nicht wenige flüchten in Verschwörungsmythen

Ob der Film einige Menschen weiterbringt? Ich will – muss – es hoffen. Auch da stimme ich mit Leonardo Di Caprio überein…

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

39 Kommentare

  1. “Und, nein, ich hatte wirklich keine Ahnung, dass dieser Film kommen würde, als ich mein neues “Rückzug oder Kreuzzug?” mit dem Plädoyer fürs Hinschauen (!) und zwei zu Recht skeptischen Wissenschafts-Zitaten von Hans Blumenberg und Lars Fischer eröffnete…”

    Lieber Herr Blume! Wenn Gott der Herr die Welt nicht erschaffen hätte, so hätten Sie es gemacht. Davon muß man zwingend ausgehen. 🙂

    • Oh nein, @Dietmar Hilsebein – ich fühle mich ja eher hilflos als allmächtig! 🙂

      Dass das “Hinschauen” auf unliebsame Wahrheiten “schmerzt”, hatte ich von Popper und Blumenberg. Auf die Idee, dass genau dazu ein Film erscheinen würde, kam ich tatsächlich nicht. Und ja, das gibt mir ein wenig mehr Hoffnung, dass wir Menschen auch ohne göttliches Eingreifen doch noch zur richtigen Balance von Vernunft und Hoffnung finden könnten… 🙂

      Ihnen viel Freude beim Schauen (!) des Filmes und ein frohes, neues 2022!

  2. Wahrnehmungsperspektiven zur Kenntnisnahme und Selbstanalyse

    Henryk M. Broder (jüdischer Publizist) “sieht” Herrn Blume (aktuell, 02.01.2022) “etwas anders”…

    *Zitat-Textauszug
    …”Ein Amateur, der sich selbst bewundert
    Blume hat sich einiges Wissen angelesen, trotzdem hat er vom Antisemitismus keine oder gerade so viel Ahnung, wie ein Biologe haben muss, um eine Pusteblume von einer Orchidee unterscheiden zu können. Er ist ein dilettierender, wichtigtuerischer Amateur, der sich selbst bewundert
    .”

    *Quelle: Weniger Antisemitismus durch mehr erneuerbare Energien

    Verlässt man die deutsche (Klüngel-)Einheitssicht, dann kann man „Erstaunliches“ lesen,…
    Michael Blume steht auf der jüngsten TopTen-„Antisemiten-Liste“ des Simon-Wiesenthal-Zentrums.

    Zur Orientierung
    Das Simon Wiesenthal Center ist eine jüdische, politisch tätige Internationale Nichtregierungsorganisation mit Hauptsitz in Los Angeles.

    • Vielen Dank, @Dirk Freyling. 🙏

      Der Henryk Broder hat ja nun schon jede Menge Demokrat:innen heftig attackiert & laut Berichten an einer umstrittenen Demo von Verschwörungsgläubigen teilgenommen. Ich gehe solchen Vorwürfen aber aus Respekt vor Herrn Broders Alter & manchen früheren Texten nicht mehr nach.

      Außerdem schreibt er inzwischen für das furchtbar unseriöse Rechtsaußen-Portal „Achse des Guten“, aus dem heraus mir schon jede Menge Texte und eine Lieblings-Beleidigung zuerkannt wurden. 🙂

      https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/nennt-mich-gerne-meister-proper-der-antisemitismusbekaempfung/

      Und zum sogenannten Simon-Wiesenthal-Center Los Angeles ist ja oben im Blogpost schon alles gesagt bzw. auch zitiert. Auf dessen Prangerliste fanden sich ja u.a. auch schon Barack Obama & der deutsche UN-Botschafter. Ich bin also doch sehr geehrt! 🙂

      Richten Sie also gerne bei der sogenannten „Achse des Guten“ aka #achgut & anderen Rechtsaußen meine herzlichen Glückwünsche aus! Ich bin wirklich geehrt, wie wichtig mich manche dieser Autoren – darunter früher lesenswerte Publizist:innen – nehmen, wie oft sie sich an mir abarbeiten! Das geht weit über meine persönliche Selbstwahrnehmung hinaus und motiviert mich sehr! Danke! 😘

      • Außerdem schreibt er inzwischen für das furchtbar unseriöse Rechtsaußen-Portal „Achse des Guten“, aus dem heraus mir schon jede Menge Texte und eine Lieblings-Beleidigung zuerkannt wurden. 🙂

        Er ist auch Gründer von “Achgut”. Mit dem Begriff “inzwischen” nehemn Sie das mit den Fakten aber auch nicht so genau. Übrigens sind diese Leute nach meiner Ansicht eher “rechtsliberal”.

        Schönes Neue Jahr
        Rudi Knoth

        • Ja, tatsächlich liberale Stimmen wurden ja ebenfalls „inzwischen“ aus Achgut gegangen. Und, nein, das Niveau dort verdient die Ehrenbezeichnung „liberal“ längst nicht mehr. 🙂

      • Und noch etwas zum Thema “Rechtsruck”. Wie im Text angeführt, hiess ein früherer Blog von Herrn Lapuente “ad sinistram”. Sie sehen, daß der Mainstream sich geändert hat, und Leute, die damals liberal oder gar links waren, heute als “rechts” gelten.

        Neujahrsgruß
        Rudi Knoth

        • Ja, es haben sich leider viele v.a. digital radikalisiert. Vor allem – aber nicht nur – einigen älteren Herren hat das Netz offensichtlich nicht gut getan. Vergleiche auch die Entwicklung der US-Republikaner und UK-Tories. Schade.

          • Ja, es haben sich leider viele v.a. digital radikalisiert. Vor allem – aber nicht nur – einigen älteren Herren hat das Netz offensichtlich nicht gut getan.

            Also ich sehe es eher so, daß sich der “Mainstream” radikalisiert hat, so daß früher “radikale” Ansichten heute in Zeit etc zu finden sind. Folgende Beispiele sollen das erläutern:

            1. “Es gibt keinen Rassismus gegen Weiße”. Diese Sichtweise hätte vor 20 Jahren Verwunderung hervorgerufen. Heute wird sie etwa auch von der von Ihnen genannten Jasmina Kuhnke gesagt.

            2. Das Feindbild “alte weiße Männer”. Dieses gehört ja heute zum “guten Ton” aber früher war dies nicht der Fall. Es hat sogar Ähnlichkeiten zum Feindbild der Menschen mit Glatze in der Satire “Mein Kamm” von Epharim Kishon.

            Gruß
            Rudi Knoth

          • Ja, @Rudi Knoth – wer digital immer weiter nach rechts driftet, nimmt selbstverständlich wahr, dass der sog. „Mainstream“ nach links wandern würde.

            Wer hat Recht? Nun, auch eine objektive, empirische Studie wird zum Ergebnis kommen, dass z.B. die US-Republikaner in den 90er Jahren noch stärker in die Mitte und zur Kompromissbereitschaft tendierten.

            Was mir auch immer wieder auffällt – auch in Ihrem letzten Kommentar – ist die unerträgliche Weinerlichkeit: Tausende sterben an Hitzemord und Bürgerkriegen, aber manch „alter weißer Mann“ erzittert vor Gendersternen und Jasmina Kuhnke… Privilegien genießen und sich zugleich als Opfer bejammern, mich überzeugt das nicht…

          • Ich nehme durchaus beides wahr. Ausgehend von den Feuilletons gab es seit den 90ern eine Öffnung zuerst der Medien, dann auch der Union zur Mitte hin, und zwar eher kulturell. Zur Jahrtausendwende hatte ich eine Weile die „Junge Freiheit“ gelesen, und die nahmhaften Autoren dort waren eine Dekade zuvor noch bei FAZ und WELT beheimatet gewesen. Die JF las sich zeitweise wie eine outgesourcte konservative Wochenendbeilage der FAZ. Bei FAZ und WELT aber fand sich ein Wolf Biermann ein, später Deniz Yücel. Zugleich strebte in ebendiese Mitte die SPD, diese allerdings in Richtung Neoliberalismus.

            Die zunehmend außen vor gelassenen Konservativen aber radikalisierten sich zunehmend. Auch durch das Aufkommen neuer Medien, weit voran PI-News, das amerikanischen Vorbildern folgte, Tea-Party. Zunehmend aber auch durch die Nazis in der AfD, die den ursprünglichen neoliberalen, Anti-Euro-Professorenflügel ausbooteten und die Konservativen sich anglich – Ja, Teile der AfD waren abgesprengte CDU, nennen wir Erika Steinbach, wie die WASG abgesprengte SPD war, Oskar Lafontaine. Aber die Rechtsradikalen in der AfD konnten mehr Druck machen, hatten die besseren Netzwerke und vor allem auch die Wahlerfolge.

            Eine Selbstradikalisierung sehen wir ganz eindeutig aktuell bei Hans Georg Maaßen.

          • Ja, @Alubehüteter – wie ich in einem Podcast-Gespräch mit Hoaxilla schon sagte, hielt ich es sogar länger aus als Christian Lindner. Aber schließlich war der Anteil der Rechtslibertären und Dualisten in diesem früher liberalen Milieu so hoch geworden, dass ich es aufgab. Habe ja auch einen Vortrag zur Anfälligkeit des Liberalismus für Guter-Markt-Böser-Staat-Dualismus gehalten:

            https://youtu.be/7CVUXbW-A-4

            Und wie es endet, wenn man(n) immer weiter verroht, zeigte dann ja Henryk Broder in der „Achse des Guten“:
            https://m.augsburger-allgemeine.de/politik/Rechtsstreit-Publizist-Henryk-M-Broder-scheitert-mit-Klage-gegen-Claudia-Roth-id57351676.html

            Bezeichnend finde ich dabei, dass Herr Broder für sich selbst auch das Recht der Schmähkritik in Anspruch nahm, aber Claudia Roth per Gericht sehr viel harmlosere Aussagen untersagen wollte. Bei Freund-Feind-Dualisten ist gar nichts mehr liberal bzw. freiheitlich…

  3. Kommentar vom 03.01.2022 00:18
    https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/dont-look-up-verschwoerungspsychologie-carl-sagan-religion-vom-feinsten/

    @Michael 02.01. 20:10

    „Und ja, das gibt mir ein wenig mehr Hoffnung, dass wir Menschen auch ohne göttliches Eingreifen doch noch zur richtigen Balance von Vernunft und Hoffnung finden könnten… 🙂“

    Mag sein, dass „göttliches Eingreifen“ zwar in Grenzen möglich, aber eben sicherhaltshalber doch von uns Selbst unsere eigenen Angelegenheiten entsprechend vernünftig zu gestalten sind.

    Zumal Göttliches dann eher in Form von Inspiration und Geborgenheit daherkommt, meistens. Und dann eben auch die Intelligenz und der Mut möglich wird, auch gegen viele Widerstände unser Leben dann doch in die Hand zu nehmen. So wird Handeln auch gleich selbst zur Hoffnung – man sieht einfach, dass was passiert, wenn man mal gründlich überlegt und dann zur Tat schreitet.

    Frohes Neues!

    • Danke & Ja, @Tobias Jeckenburger! Bei einem direkten, „göttlichen Eingreifen“ ergäben sich m.E. Probleme der Freiheit und Verantwortung. Auch im Hinblick auf Astronomie und Evolutionstheorie finde ich Ansätze zu einem „Lückenbüßer“-Gott (engl. „God of the gaps“) nicht wirklich überzeugend.

      Vielen Dank für Ihre so konstruktiven Kommentare!

      Auch Ihnen ein frohes 2022!

    • Das ist wahr, @Joker! Die Dinos hat es schon erwischt & der Weihnachtsmann sorgt sich… 😉 Das unterstreicht ja, warum wir mehr Wissenschaft und Technologien fördern sollten. 🙂

  4. Hm, mag ja jeder an das Glauben was Ihn eben am Besten Aufrecht erhält. Aber haben wir nicht grade ein sich Origamihaft entfallendes Weltraumteleskop entsendet, das vielleicht den Ursprung unserer Galaxie klären könnte? Vielleicht findet man dann auch Gott, im alten Verständnis, wer er sein sollte, Kartenspielend und sich längstens anderen Projekten widmend als dem Mensch, der hatte ja im christlichen Verständnis jetzt über 2000 Jahre Zeit, zu verstehen, auf was es ankommen könnte, für ne ernsthaft Bessere Welt für Alle? Scheint das aktuell Jeder Verstanden zu haben? Man könnte es zumindest zur Diskussion stellen, und auch Gott dachte sich vielleicht mal irgendwann, scheinen zu Viele da Unten unbelehrbar zu sein, müssen die Wissen, ich bin da Raus. Ich fände es nachvollziehbar, konsequent und logisch von Ihm, aber wer weiss… Und jetzt, bitte die Steine bereit machen, ich gehe in Deckung!

    • Alles gut, @Daniel Kurz Barzel!

      Den Mythos der zurückgezogen feiernden Gottheiten finden wir übrigens bereits in der Antike, so bei Epikur. Und einige hinduistische Strömungen sehen das ganze Universum als göttliches Spiel.

      Ihnen viel Freude am Weiterdenken – auch gerne mit Humor – und ein frohes 2022!

  5. Frohes Neues Jahr.

    Ah, einer hat „Ship of Fools“ von Ted Kaczynski verfilmt. Die Kristallkugel, um in die Zukunft zu sehen, nennt sich Verstand, und alle Kaczynskis haben sehr viel davon. Dieser hatte genug für drei, deswegen hat’s für zwei andere nicht mehr gereicht. Hoffentlich fallen uns bessere Lösungen ein, als einander mit Bomben aufzurütteln. Aber ich fürchte, wenn man die Zukunft sieht, denkt man mit ihrem Zeitgeist.

    Mit Symbolen und Sein ist das so eine Sache:

    Allein von der Beobachtung der Welt her kann ich selten erschließen, wo ein Wille und ein Bewusstsein sitzen. Ich kann das Auto als die Krone der Schöpfung beschreiben, es nützt den Menschen zur Fortpflanzung und um die Umwelt an seine Bedürfnisse anzupassen, man könnte es für ein intelligentes Wesen halten – doch seine Intelligenz wohnt in unseren Köpfen. Es nützt uns für sein Überleben und seine Evolution, genauso, wie wir es nützen. Wir sitzen im Auto, das Auto sitzt in uns, wir sind eine Chimäre, die einander infiziert wie ein Virus, zwingen einander einen Willen auf, der nur den Willen der Evolution widerspiegelt, jeder versucht, ein Parasit zu sein, doch die Umwelt erzwingt ein Gleichgewicht, eine Kooperation, die uns zu Symbionten macht – und Teilen der Umwelt, die wir infizieren wie ein Virus, ihrem Überleben und ihrer Evolution dienen. Wenn wir uns, wie derzeit, wie Krebs verhalten, entsorgen uns die Naturgesetze durch natürliche Auslese.

    Dies erzwingt aber auch beschleunigte Evolution, Fieber, aus dem alles werden kann – es kann uns verbrennen, es kann uns mutieren, zu etwas Neuem werden lassen. Falls dabei die Kooperation zwischen Mensch und Auto weiterhin optimiert wird, wird es noch mehr zu dem, was es schon ist – unserem Körperteil. Wir verschmelzen zum selben Lebewesen, wie wir es mit unserer Kleidung schon sind. Kleider machen Leute, was Sie tragen, bestimmt Ihre Bewusstseinsinhalte, ändert ihr Verhalten, verwandelt Sie in eine andere Lebensform. Es wohnen viele Seelen in unserer Brust, und Symbole, Reize, die den Körper und die Umwelt mutieren lassen, helfen uns, sie zu wecken und in die Heia zu bringen. Die Unterscheidung zwischen Lebewesen und toter Materie tut das, was so ziemlich alle Dinge tun: Aus der Ferne hält sie stand, aus der Nähe löst sie sich in Grauzonen und Absurditäten auf, zoomt man heraus, ist sie wieder da. Der Unterschied zwischen „abstrakt“ und „konkret“ scheint also ebenfalls relativ, abhängig vom Standpunkt des Betrachters.

    Ich kann ein Virus kollektiv als hochintelligenten Strategen beschreiben, weil es in der gleichen Welt lebt wie Napoleon, in der die gleichen Naturgesetze ähnliches Vorgehen erzwingen – ein Virus oder ein Feldherr, die die Regeln verkennen, sterben schnell aus. Dabei fällt mir schon auf, dass das Gehirn irgendwie so aussieht, wie viele Viren auf einem Haufen, dass es genauso Möglichkeiten konstruiert und eliminiert, wie natürliche Auslese, dass die Evolution denkt und lernt. Ich kann also nicht wissen, ob ein Virus nicht auch eine kollektive Intelligenz besitzt, ob es sich vielleicht als einen Geist, als einen Körper wahrnimmt, einen Willen, wie ein Tier.

    Normalerweise hängt so was von der Kommunikation ab: Je mehr Datenleitungen, desto mehr schweißen sie einen Organismus zu einer Einheit zusammen. Daten werden kopiert, ausgetauscht, und es scheint, je mehr Daten identisch sind, je mehr eine Gruppe zu Klonen wird, desto mehr hält sie sich für ein Individuum – das Ich entsteht, sobald sich die Gruppe als Einheit in die Umwelt einordnet, als ein einziges Ding: Wenn in der nächsten Sekunde zwei Kopien von Ihnen Sie ersetzen, statt nur einer wie üblich, sind Sie ab da zwei verschiedene Menschen – jedes Atom war gerade noch am selben Ort, doch sobald es an zwei verschiedenen Orten ist, ändern sich die Umwelteinflüsse, die Interaktion, Sie entwickeln sich innerhalb von Sekundenbruchteilen auseinander und die Information ist nicht mehr identisch. Natürlich ist Ihr Körper für alles in seinem Innern eine gigantische Welt voller unzähliger Orte. Und all die Dinge darin kommunizieren und kooperieren nach eigener Fasson.

    Das Mittel, durch das viele Viren wie eine Einheit handeln, ist die Umwelt, der Infizierte. Die neue Information erzeugt ein neues Wesen, das in sich widersprüchlich ist, eine neue Seele im Körper. Dass man einst von Dämonen und Besessenheit sprach, ist einfach der logische Rückschluss aus Beobachtungsdaten, das Ergebnis einer wissenschaftlichen Untersuchung nach den Standards der jeweiligen Zeit.

    Die Frage, ob ein solcher böser Geist einen eigenen Willen, ein eigenes Bewusstsein hat, ist in der Praxis unerheblich – er wirkt so als ob. Sein Name ist Legion, unserer ist es auch, und zusammen sind wir etwas Anderes, als getrennt. Es reicht ein Wille, eine Quelle, um die ganze Umwelt durcheinander zu wirbeln, eine Evolution aller Dinge zu seinem Gunsten zu erzwingen. Wir sehen, wir haben viele Quellen, zumindest behauptet jeder, er wäre eine, ganz sicher weiß ich das nur von mir selbst. Wir sehen, jeder Tyrann, Despot, Möchtegern-Gott, versucht, die Bewusstseinsinhalte seiner Untertanen auf ein Minimum zu beschränken – sie sollen sich verhalten, wie Werkzeuge, Gliedmaßen, tote Materie, die nur ihm dient, die zwar eigenständig handelt, doch immer in seinem Sinne, sie sollen nichts wollen, von dem er nicht will, dass sie es wollen. Ein Tyrann verdaut uns, frisst unsere Gehirne, klont seinen Willen in uns hinein und macht uns zu Körperzellen seiner selbst. Die fettesten Leute der Welt sind der Papst und der Kaiser von China. Aber sie sollen auch autonom handeln können, ohne dass er für alle denken muss – er lagert die Funktionen eines Körpers und seines Geistes aus. Der perfekte Tyrann ist ein Virus, ein Baby im Nirwana, er lebt ewig, macht sich die Welt untertan, ohne es zu wissen, sie wird zu seiner Gebärmutter, die nur seinem Glück dient, ohne dass er mehr fühlen würde, als das Glück, er sieht alles, er ist alles, und doch ist ihm alles scheißegal, solange er nur glücklich ist. Die Leute sollen ihren Job als Selbsterhaltungssystem machen, die Metaphysik, die Maschine, die die Matrix erhält, und nicht stören. Glück bremst, geistig und körperlich, motiviert zu Wiederholungen, zum Vermeiden von Veränderungen. Was an Unglück nötig ist, um dieses Glück vor einer sich stets verändernden Umwelt zu schützen, wird ausgelagert.

    Umgekehrt sehen wir immer wieder Bestrebungen der Kleinen, sich durch Vernetzung zu größeren Ichs zusammenzuschweißen. Oft geschehen solche Vernetzungen, um eine gemeinsame Futter- und Kraftquelle besser nützen zu können, um sich darin in geordneten, sicheren Bahnen bewegen zu können, wie die Planeten um die Sonne, die Kätzchen um die Katze. Das große, stabile Nirwana erzeugt kleine, stabile Nirwanas, die weniger stabil sind, doch es ist immer noch besser, als das Chaos, in dem gar keine Vernetzung da ist, und jedes Ich für sich allein kämpft. Wenn solche Netzwerke keinen Tyrannen finden, der ihnen Frieden und Stabilität bringt, müssen sie einen erschaffen, indem sie Futter in einen gemeinsamen Futtertrog kippen, der Robin Hood spielt, denen nimmt, die gerade zu viel haben, und denen gibt, die gerade zu wenig haben, gerade so, dass jeder happy genug ist, um in seiner Umlaufbahn zu bleiben. Wenn alle immer wieder das Gleiche tun, ist sowohl das Überleben des Tyrannen, wie auch das seiner Untertanen, gesichert. Bis sich die Umwelt ändert, die Gegend abgegrast ist, irgendeiner zu gierig oder zu schwach wird, neue Faktoren eingreifen und das Netzwerk reißt, zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.

    Die Zahl 3 ist erst mal nur ein Klecks. Doch, sobald dieser Klecks in der Welt ist, muss er sich vernetzen – er wird integriert oder vergessen, passt sich an, oder stirbt aus. Es gibt viele Dreiergruppen in der Welt. Und, indem ich den Klecks dazu in Beziehung setze, verleihe ich ihm Existenz. Der Klecks mehrt sich, evolviert, erobert Lebensräume, konkurriert mit anderen Klecksen. Ob er dabei ein Bewusstsein erhält, weiß ich nicht. Vielleicht reicht das in unseren Köpfen, damit die 3 in Ruhe pennen kann, Realitätsflucht durch Nichteintritt. Wir sind ihr Körper, die Welt ist ihr Körper, denkt, lebt, atmet für sie. Sie nützt uns, wir nützen sie, jeder will Parasit sein, doch stirbt aus, wenn das Gleichgewicht kippt, das peitscht all die kleinen Luzifers mit ihren Riesenegos zu braven Englein, die dem gleichen Meister dienen, in Symbiose mit ihm und einander. Löst sich das Netzwerk auf, hält sich jedes Englein immer noch für ein Englein, Sekunden später für Gott, kämpft um den Tyrannenthron und die Hölle bricht los.

    Wir sehen ein Kraftfeld: Ein Muster, das auf alles passt, Staaten, Lebewesen, Elektromagnetismus, Gravitation. Es liegt nahe, in all diesen Dingen nur Variationen ein und desselben Prinzips zu sehen. Wir suchen Gott, oder wir versuchen, Gott zu werden, und beides ist im Grunde das gleiche Bestreben – weil wir Materie sind, Teilchen wie alle anderen auch, Ichs, die aus kleineren Ichs bestehen und zusammen größere Ichs formen können. Ob diese wirklich entstehen, hängt wohl von der Vernetzung, Kommunikation, Kooperation, Synchronisation und Kooperation ab, doch sie verhalten sich schon wie eigenständige Lebensformen, lange b e v o r sie welche sind.

    Die Frage, ob es einen Gott als eigenständiges Wesen gibt, oder gar viele davon, oder überhaupt, ist also für praktische Zwecke einfach unwichtig: Die Welt tut so als ob. Sie tut so, als wäre sie ein eigenständiger Organismus, gleichzeitig tut sie so, als wäre sie viele, ein ganzer Olymp, ein ganzes Pandämonium. Bewusstsein, Ich, Existenz, sind in stetem Fluss. Der Gott der Atheisten heißt Zufall, doch die Mechanismen des Zufalls sind mit denen des Willens identisch.

    Der Widerspruch zwischen Religion und Wissenschaft ist vor allem emotionaler Natur. Wenn ein Christ Jesus am Kreuz sieht, fällt er auf die Knie. Ich rufe einen Krankenwagen. Wenn ich Gott finde, nehme ich ein paar Blutproben, mache ein paar Tests, bequatsche ihn, ob es ihm angesichts seiner Unsterblichkeit viel ausmachen würde, mal kurz auf den Seziertisch zu hüpfen, und mache im Tierlexikon einen neuen Eintrag, irgendwo zwischen „Gorilla“ und „Gottesanbeterin“, danach schaue ich nach, was im Fernsehen läuft. Wir sehen die gleichen Dinge, wir beschreiben die gleichen Dinge – doch die Religion als Teil des Systems, mit all den überwältigenden Gefühlen, die das Kraftfeld durch sie strömen lässt. Der Wissenschaftler, von Außen, aus der Vogelperspektive, als Teil eines Kraftfeldes mit einer deutlich niedrigeren Betriebstemperatur.

    Wenn ich mir meinen Text noch mal durchlese, kann ich kaum ein Wort verstehen, doch kriege irgendwie Appetit auf Buchstabensuppe. Geht’s Ihnen auch so?

    Vorsicht vor Tippfehlern, ich neige dazu, Wörter zu verwechseln, und ein falsches reicht, damit Ihr Hirn crasht. Risiken und Nebenwirkungen, siehe oben.

  6. @Michael 03.01. 00:32

    „Bei einem direkten, „göttlichen Eingreifen“ ergäben sich m.E. Probleme der Freiheit und Verantwortung.“

    Wenn ich beim Doppelkopf göttlich bedingt gute Karten bekomme, und den Abend gewinne, mag das zunächst der Andere gar nicht so zuordnen. Wenn es wirklich auffällig wird, mag Einer misstrauisch werden. Freiheit und Verantwortung sind hier aber nicht berührt.

    Ich muss ja nach wie vor gucken, dass ich auch vernünftig spiele, nur gute Karten alleine reichen ja nicht. Sind aber wichtig.

    Und in anderen Zusammenhängen, in denen es um Zusammenarbeit geht, freuen sich die Mitstreiter, wenn hier Glücksfälle das Projekt fördern. Ein Freiheits- und Verantwortungsproblem sehe ich nicht unbedingt. Keiner macht mich für Glücksfälle verantwortlich, die mir widerfahren.

    Würde ich komplett göttlich gesteuert, dann käme in der Tat ein Freiheits- und Verantwortungsproblem zum Tragen. Aber nicht bei recht unverbindlicher Unterstützung, die mir entgegenkommt, oder auch andersrum. Kein vernünftiger Mensch macht mich für die Karten verantwortlich, die ich bekomme, nur dafür, wie ich mit denen dann spiele.

    Eine gelingende Inspiration mag man durchaus mit guten Karten vergleichen können. Wer weis schon so genau, woher das immer kommt, was ihm gerade so einfällt. Also auch hier nicht unbedingt ein Freiheits- und Verantwortungsproblem. Wenn meine Inspiration sich als Dummheit erweist, werde ich selbst zur Verantwortung gezogen. Mit Recht, schließlich wäre es meine Aufgabe gewesen, die Inspiration zu prüfen, bevor ich sie in die Tat umsetze.

  7. Michael Blume,
    das Interview mit Stalinski, das war sehr gut !
    Ein gutes Neues Jahr und bezwingen Sie die Dämonen !

    • Vielen Dank, @hwied! 🙂

      Meinten Sie dieses DLF-Interview zu Religion & Hirnforschung?

      https://www.deutschlandfunkkultur.de/neue-erkenntnisse-aus-der-hirnforschung-sitzt-gott-im-gehirn-100.html

      Kleiner Not-so-Fun-Fact dazu: Weil auch das idea-Magazin Auszüge aus diesem Interview zitierte, wurde mir von Twitter-Trollen prompt unterstellt, ich sei doch sicher heimlich evangelikal! Jüdisch, muslimisch, anthroposophisch reichte als „Verschwörungsvorwurf“ nicht mehr…

      Ihnen Dank für das Interesse und ein gutes 2022!

  8. @Michael 04.01. 12:22

    Aus ihrem Interview im deutschlandfunkkultur.de:

    „Deswegen würde ich tatsächlich sagen, bei einer Neurotheologie, die quasi über die Hirnforschung die Gottesfrage beantworten möchte, bin ich skeptisch.“

    Beim derzeitigem Stand der Forschung sicherlich. Aber wenn wir zum Teil tatsächlich Geisteswesen sind, dann müssten sich Spuren einer Wechselwirkung von Geisteswelt und materieller Welt gerade im Gehirn finden lassen. Dafür brauchen wir aber noch reichlich mehr Details und entsprechend mindestens einige Jahrzehnte, bis wir hier fündig werden können.

    „Vielleicht trägt das auch dazu bei, dass wir wechselseitig toleranter und verständnisvoller werden und verstehen, warum das dem einen Menschen total viel bedeutet und den anderen Menschen vielleicht nur stört, dass das beides sozusagen seine Berechtigung hat in der menschlichen Vielfalt.“

    Das ist auf jeden Fall schon mal das Wichtigste, und soviel weiß man wohl auch tatsächlich schon. Das sagt mir auch alle Lebenserfahrung: Es gibt genug Gläubige wie Ungläubige, die völlig bei Verstand sind, auch wenn es daneben eben auch Verrückte gibt.

    Monismus und Dualismus machen dagegen schon konkrete Unterschiede, gar nicht in der Geistesfrage, aber in der Grundhaltung der Wirklichkeit gegenüber. Das ist vielleicht eher eine soziale Grundeinstellung, die mit Religion und Spiritualität eigentlich gar nicht viel zu tun hat.

    So oder so lohnt es sich, bevorzugt mit gesicherten Fakten zu arbeiten, derweil man die Bereiche, die noch unsicher sind, zwar im Auge behalten kann, aber eben noch nur unsicher konkret einsetzten kann.

    • Danke für das Interesse und konstruktive Kommentieren, @Tobias Jeckenburger. Mit Ausnahme vielleicht des Begriffes vom Geistwesen, dem ich ein eher emergentes Verständnis vom Menschen entgegenstellen würde, kann ich Ihrem Kommentar nur zustimmen. Den Monismus halte ich gleichwohl für den nicht nur ethisch, sondern auch erkenntnistheoretisch besseren Weg.

  9. Zur materiellen Existenz von Gott:
    Gott bezeichnet, soweit ich zumindest manche Teile der christlich-jüdischen Bibel verstehe, eine sowohl immaterielle (transzendente, nicht greifbare) Identität, die sich aber auch materiell zeigen kann, bsplw. im greifbaren Menschen, den Bild Gottes.
    Also existiert Gott materiell? Einwenden ließe sich dagegen, dass das ein magnetisches Feld ja auch nicht materiell existiert, aber ein materielles Bild mit Eisensplittern erzeugt werden kann, nicht bedeute, dass das magnetische Feld materiell existiert.
    Eine Begrenzung der Materialität auf abgrenzbare Dinge würde doch aber in Hinblick auf die Beschreibung der Welt, deren beste Versionen halt derzeit analog und nicht digital in ist (die Raumzeit und Quanten funktionieren nicht in abgrenzbaren Bits sondern in kontinuierlichen Dimensionen bzw. Wahrscheinlichkeiten), doch der Materialität selber die materielle Existenz enziehen?
    Würde dies nicht, wenn es auf der einen Seite hilfreich sein, den Anwendungbereich des Begriffes der materiellen Existenz extrem beschränken?

    • Wie geschrieben, @- : Sind mathematische Zahlen und Menschenrechte weniger wirkungs- und ggf. auch wertvoll, weil sie nicht-materieller, geistiger Natur sind? Ich meine: Nein, im Gegenteil. Wir können verschiedener Auffassung darüber sein, „was“ wir entdecken (und was frühere Generationen in Mythen und Bibeln niederschrieben) – aber kaum noch darüber, „dass“ wir entdecken.

      • Nachdem Sie sich schon bei den „Ferngesprächen“ in meiner Wahrnehmung doch seltsam gedrückt haben um die Frage nach der Dreieinigkeit, drängt sich die Gretchenfrage aber doch allmählich auf: Menschenrechte gibt es erst, seit es Menschen gibt. Gott ist ohne Zweifel ein Sinn- und gemeinschaftstiftendes Konstrukt.

        Gab es ihn gleichwohl Ihrer persönlichen Auffassung schon vor dem Menschen? Oder ist er „nur“ ein Mythos? Glauben Sie an eine wie auch immer gestaltete persönliche Fortexistenz nach dem Tod?

        • Lieber @Alubehüteter,

          es ist ganz einfach: Ich glaube, dass sich in den evolvierten Religionen Weisheit und Wahrheit angelagert haben. Und also akzeptiere ich den Mythos der einzigartigen Würde jedes Menschen „im Bilde Gottes“, hoffe ich auf die Begegnung mit einem liebevollen Schöpfer, einen Sinn der Geschichte und ein Leben nach dem Tod, in dem kein Schmerz mehr sei, für möglichst viele.

          Von wissenschaftlich überprüfbarem Wissen weiß sich dies gleichwohl zu unterscheiden – in der Religion mögen wir Glaube, Liebe & Hoffnung im Gewand von Mythen finden, nicht aber empirisch falsifizierbare Thesen.

          Hier gab ich ein Radio-Interview zur Zukunft des Christentums:

          https://www.hr2.de/podcasts/camino/rueckzug-oder-kreuzzug-die-zukunft-des-christentums-ein-gespraech-mit-dem-religionswissenschaftler-michael-blume,podcast-episode-95414.html

          Ihnen Dank für Ihr Interesse! 🙏🖖

  10. Michael Blume,
    ja, dieses Gespräch war gemeint. Damals waren die Begriffe Gottes- Gen , Neurotheologie und Neurospiritualität aktuell und Sie haben sich nicht festlegen lassen sondern haben zielbewusst diese Antwort gegeben:
    “Aber ich bin sehr dafür – wie wir es ja gerade diskutiert haben –, dass wir besser verstehen, woher Spiritualität und Religiosität in unseren Gehirnen stammen. Vielleicht trägt das auch dazu bei, dass wir wechselseitig toleranter und verständnisvoller werden und verstehen, warum das dem einen Menschen total viel bedeutet und den anderen Menschen vielleicht nur stört, dass das beides sozusagen seine Berechtigung hat in der menschlichen Vielfalt.”

    • Danke, @hwied & ja, das passt sehr gut zur Religionstheorie auch von Carl Sagan. In Frieden und Respekt vielfältig sein und dabei zusammenarbeiten zu können – das ist vielleicht die einzige Chance, die uns Menschen noch bleibt…

  11. @Alubehüteter 04.01.2022, 19:50 Uhr

    Noch eine ganz allgemeine Bemerkung zu diesem “Thread”. Es ist wohl klar erkenntlich, daß der “Mainstream” vor allem die CDU in Fragen wie Islam und Migration seine Meinung geändert hat. Man betrachte dazu die Aussagen aus den Jahren 2005/2006 und heute. War man 2006 vor allem wegen den Protesten zu den “Mohammed-Karrikaturen” gegenüber dem Islam kritisch eingestellt, so ist dies heute nicht mehr so. Wer also zu den Themen Miration und Islam die Haltungen von 2005/2006 vertritt, wird heute schon als “rechtradikal” angesehen, obwohl er/sie sich nicht in der Meinung geändert hat. Daher kommt die heutigen JF so extrem vor.

    Gruß
    Rudi Knoth

    • Lieber @Rudi Knoth,

      von mir gibt es sogar ein eigenes, kritisches Buch zum Thema: „Islam in der Krise“. Ebenso trug ich zu einem Band von Carsten Linnemann (CDU) mit dem Titel bei: „Der politische Islam gehört nicht zu Deutschland“.

      Was jedoch Rechtsausleger a la Pegida gegenüber Muslim:innen betreiben, ist eben keine konstruktive Kritik mehr, sondern Hetze und Ausgrenzung. Und dagegen haben sich CDU / CSU schließlich entschieden und abgegrenzt – zu Recht. Millionen Menschen muslimischer Herkunft und damit auch der Islam sind ein – ganz überwiegend friedlicher & erfolgreich integrierter – Teil Deutschlands geworden.

      Freund-Feind-Dualismus bleibt eine Gefahr für jede liberale und vielfältige Gesellschaft.

  12. @Michael 05.01. 00:26

    „Mit Ausnahme vielleicht des Begriffes vom Geistwesen, dem ich ein eher emergentes Verständnis vom Menschen entgegenstellen würde,…“

    Einen Anteil an Emergenz würde ich auf jeden Fall auch unserer inneren Erlebniswelt zugestehen, aber ich frage mich, ob das alles ist. So kann ich einerseits nicht nachvollziehen, wie aus neurologischen Einzelfakten was so Zusammengefasstes wie unser Bewusstsein werden kann. Ich hätte keinerlei Idee, wie Nervenzellen alleine mit welcher Verschaltung auch immer das hinbekommen sollen. Die Öffnung eines Innenraumes macht mir hier rein informatisch gesehen Denkschwierigkeiten.

    Andererseits gibt es meiner Erfahrung nach auch sowieso Geisteswirkungen in der Welt, und wenn man die hat, dann stehen natürlich auch unseren Innenwelten Geisteswelten zur Verfügung, in die sich unser Bewusstseinsinhalt abbilden lässt. Und so öffnet sich dann unser Innenraum. Gleichzeitig wird so eine Verbindung zu Anderen, zur Natur und zum ganzen Kosmos sehr viel konkreter, ein geistiges Miteinander hat so deutlich mehr Subsatz, und damit wird dann auch Spiritualität sehr konkret.

    Das kann man auf einer anderen Erfahrungsbasis aber eben anders sehen. Und so sind dann wohl auch einfach die Menschen so verschieden, dass man hier auch auf verschiedene Konzepte kommt. Zumindest, wenn man es versucht, sich zu dem schwierigem Thema überhaupt ein Konzept zu machen.

    • Ja, @Tobias Jeckenburger – der Emergentismus lässt ja erst einmal offen, ob die neuen Systemeigenschaften (etwa das Leben zur Chemie, oder das Bewusstsein zum Gehirn) von außen hinzutreten, oder schon mindestens als Potential von innen her angelegt sind.

      Mir erscheint die zweite Position bislang überzeugender zu sein. Entsprechend habe ich Patrick Spät zum Ansatz des Panpsychismus interviewt:
      https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/das-ende-des-physikalismus-patrick-sp-t-ber-den-graduellen-panpsychismus/

      Viel Freude, das dürfte Sie interessieren! ☺️📖👍

  13. @Michael 06.01. 00:45

    Aus ihrem Interview mit Patrik Spät:

    „Der graduelle Panpsychismus hingegen behauptet, dass der Körper eines Lebewesens als “Verstärker” wirkt und die simplen geistigen Eigenschaften – die im Fundament der Wirklichkeit verwurzelt sind – bündelt und intensiviert.“

    Genau so stell ich mir das auch vor.

    Im Fundament der Wirklichkeit vermute ich, dass der Quantenzufall hier eine Schnittstelle zu Geisteswelten bieten könnte. Wenn Quantenzufälle auch auf die Zukunft hin gezielt werden können, dann haben wir einen Kosmos, der geistige Anteile hat. Und wir haben dann eine geistige Seite.

    Weitere Konsequenzen dieser Idee gibt es hier nachzulesen:

    https://introspektiva.de/etitel/

    Dieses Projekt ist noch nicht ganz fertig, aber schon öffentlich.

  14. Erstaunlicherweise wird in den Kommentaren hier kaum der Film diskutiert. 🙂

    Den Film finde ich gar nicht schlecht. Er zeigt ganz gut eine Möglichkeit, wie die Gesellschaft und Politik mit einer drohenden Apokalypse umgehen kann. Da gibt es ja umfangreiche Literatur in Kunst und Wissenschaft dazu.
    Was in der ganzen Diskussion zum Film nur immer untergeht ist Folgendes:

    Die Reaktion der Regierung, ist gar nicht so falsch. Sie muss in wenigen Monaten alle verfügbaren Ressourcen auf ein einziges Ziel ausrichten: Überleben der Menschheit mit dem Unterziel das möglichst viele eigene Bürger dazu gehören.

    Damit das möglich ist, muss die Gesellschaft möglichst ruhig weiter funktionieren. Ein einfacher Weg dazu ist, sie im Dunkeln zu lassen.

    Der Grund dafür ist, das sich viele Soziologen einig sind, das allein die Nachricht einer kurz bevorstehenden Apokalypse langt, um Teile der Gesellschaft in Anarchie, Apathie etc. verfallen zu lassen. Das bindet die oben genannten Ressourcen, die man so dringend braucht.

    Tatsächlich gibt es auch eine ethische Begründung dafür, da das Unwissen über die unabwendbar bevorstehende Vernichtung, eine Gnade sein kann.

    Das Szenario des Klimawandels ist ein ganz anderes:
    Es ist schon mal keine Apokalypse. Selbst in den Worst Case Szenarien mit mehr als 6 Grad Erwärmung, droht keine Ausrottung der Menschheit.
    Es ist viel langfristiger. Die Folgen reichen von aktuell bis zu Zeiträumen von Jahrhunderten und Jahrtausenden (Antarktis).
    Die Folgen sind deutlich unklarer.

    Entsprechend reagiert Politik und Gesellschaft auch anders darauf.

    Und ein letzter Punkt warum der Film nicht zur Situation passt.
    Die Politik und Gesellschaft verschließen nicht die Augen. Sie reagieren darauf und ergreifen Maßnahmen. Die stark steigenden Strom- und Gaspreise der letzten Monate sind eine klare Folge davon.
    Es geht vielen zu langsam. DAs Thema ist also die Geschwindkeit.
    Laut letzen Meldungen begrenzen die aktuellen Klimaziele die Erwärmung auf 2,7-3 Grad Celsius. Das ist noch immer zuviel, aber es langt nicht für Endzeitszenarien.

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