Ohne Sem und Jafet kein Jesus – Worthaus-Vortrag zu christlichem Antisemitismus

Bei der Veröffentlichung des Worthaus-Skriptes zu Dualismus, Relativismus und Monismus in Tübingen hatte ich bereits darauf hingewiesen, dass die Initiative einen weiteren, ausführlichen Vortrag zu “Christlichem Antisemitismus” erbeten und aufgezeichnet hatte. Diese ist nun – nur auf Basis von Notizen frei gehalten – online gestellt worden. Hier steht Ihnen also kostenfrei zur Verfügung: “Ohne Sem und Jafet kein Jesus – Worthaus-Vortrag zu christlichem Antisemitismus“:

Ich habe mich auf vielfachen Wunsch und Rat darum bemüht, hier bewusst langsamer zu sprechen und Begriffe wie Reaktanz, Thora, Alphabetisierung oder Sem(itismus) ausführlicher zu erläutern.

 Jesus bzw. Jehoschua hätte Thora & Tanach niemals als “Altes Testament” abgewertet. Screenshot vom Worthaus-Vortrag: Michael Blume

Hörende und Lesende des Podcasts-Verschwörungsfragen werden schon viele der genannten Aspekte kennen. Aber ich bin dem Wunsch gerne nachgekommen, auch im klassischen Vortrags-Format über und damit gegen Antisemitismus aufzuklären.

Wer lieber liest, kann hierzu das Gesagte über vier Werke überprüfen und vertiefen.

Von mir erschienen ist “Rückzug oder Kreuzzug? Die Krise des Christentums und die Gefahr des Fundamentalismus” bei Patmos.

Die Entstehung und Verbreitung vor allem des griechischen (“jafetitischen”) Alphabetschriften erzählt in wunderschöner Prosa die spanische Autorin Irene Vallejo in “Papyrus. Die Geschichte der Welt in Büchern” bei Diogenes. 

Den aktuellen Stand der Erforschung zur Entstehung der hebräisch-semitischen Schriften bieten die Professoren Konrad Schmid (Zürich) & Jens Schröter (Berlin) in “Die Entstehung der Bibel. Von den ersten Texten zu den heiligen Schriften” bei C.H. Beck.

Und selbstverständlich würdigte ich auch in diesem Vortrag das große “Not in God’s Name” von Lord Rabbi Jonathan Sacks, seligen Angedenkens.

Falls Ihnen all das schon zu viel geschriebene oder gesprochene Worte zum Thema waren, so kann ich noch auf die kurzen Videos von Blume erklärt verweisen:

Ihnen Dank für Ihr Interesse und für heute ein schönes Wochenende und Schabbat Schalom!

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

13 Kommentare

  1. Vlt war es einfach mal fällig, auch christlich inspiriert wirkenden Antisemitismus auf’s Tapet zu heben.
    Spannend.

  2. Es gibt einen christlichen Antijudaismus, der, ähnlich wie der Antizionismus, auch einige (auch religiöse) Juden sind Antizionisten, vom Antisemitismus unterschieden werden darf.

    Der Schreiber dieser Zeilen hofft, dass Martin Luther kein Antisemit war, genaue Einschätzung erlaubt er sich so nicht, und weiß, dass es unter (auch streng religiösen, “orthodoxen”) Juden eine Ablehnung des Christentums gibt.
    Jesus (Christus) wäre halt einer dieser Propheten und Neuerer gewesen, die das Judentum immer hervorgebracht habe, mehr nicht.
    Sog. Goyim oder Heiden meinen aus diesseitiger Sicht im kompetitiven Sinne und sind zwar teils abwertend begrifflich gebraucht, aber auch theologisch notwendige Begriffe.

    Dr. Webbaer räumt ein den Verlautbarungen, den hiesig webverwiesenen Inhalten, nicht umfänglich gefolgt zu sein, lässt sich gerne auch beraten.
    Mag aber den schwerwiegenden Vorhalt Antisemit zu sein nur in wohlbegründeter Form.

    Mit freundlichen Grüßen und (Ihnen und allen anderen so Gläubigen,Dr. W ist Humanist) einen schönen Tag des Herrn noch!
    Dr. Webbaer

    PS:
    Hier ist gestern noch der Film mit dem Namen ‘The Greatest Story Ever Told’ betrachtet worden (im Englischen, auch mit John Wayne als Centurion), Dr. W hat auch versucht auf Bibelnähe zu prüfen und auf Hinzugedachtes.
    Und selbstverständlich wird Ihnen, lieber Herr Dr. Michael Blume, weiterhin viel Erfolg gewünscht, nicht nur in Ihrem wichtigen Amt.

    • Danke für Ihren ehrlich interessierten Kommentar, @Webbaer.

      Selbstverständlich gibt es auch unter jüdischen Menschen Dualismus und Verschwörungsmythen bis hin zur Ablehnung der Republik Israel – dies zu reflektieren bildet eine Stärke des erwähnten Werkes „Not in God‘s Name“ von Lord Rabbi Jonathan Sacks, seligen Angedenkens, der selbst orthodoxer (!) Oberrabbiner des Vereinigten Königreiches war. In o.g. Vortrag würdigte ich ihn ausführlich.

      Erwähnen möchte ich zudem die Erklärung ebenfalls orthodoxer Rabbiner zum Christentum und zu Jesus / Jehoschua: „Den Willen unseres Vaters im Himmel tun.“ Link hier:

      https://www.jcrelations.net/de/statements/statement/den-willen-unseres-vaters-im-himmel-tun-hin-zu-einer-partnerschaft-zwischen-juden-und-christen.html

      Der für die Erklärung maßgebliche Rabbiner Jehoschua Ahrens war dann übrigens auch Laudator zu meiner Auszeichnung mit dem Otto-Hirsch-Preis:

      https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/otto-hirsch-auszeichnung-2022-die-duale-dankesrede-als-podcast-text/

      Es ist und bleibt also möglich, gerade auch zwischen Religiösen gemeinsame, dialogische und monistische Grundlagen samt der Abwehr dualistischer und antisemitischer Überzeugungen zu stiften. Bitte bleiben Sie einfach weiterhin mit dran!

      • Ganz genau, lieber Herr Dr. Michael Blume, Dr. W bleibt ‘dran’ :

        Vergleiche :

        -> https://www.jcrelations.net/about-us/history.html

        -> https://www.jcrelations.net


        Dr. W will sich insofern nicht nur am sozusagen liberalen Judentum festhalten, sondern auch Sportsfreunde bundesdeutscher Art wie zum Beispiel Stephan J. Kramer oder Rolf Verleger (R.I.P.) oder Evelyn Hecht-Galinski oder an Michel Friedman oder “Tante Charly” oder am ebenfalls strengen Herrn Josef Schuster.

        Was denken Sie, Blume, kann so jüdischer Identarismus mit deutschem (Dr. W ist variabler Herkunft, vielleicht auch ein wenig jüdisch, die dbzl. Datenlage ist unklar) zusammen kommen, gar als politisch rechts zu bezeichnen.
        “Bibi” und so auch meinend?

        MFG
        LK

        • *
          Herr Dr. Michael Blume
          (war ein wenig aus dem “Handgelenk” geschrieben, und selbstverständlich ohne böser Absicht; Dr. W meinte den aktuellen Wahlentscheid in Israel)

          • Entschuldigung, @Webbaer – ich habe die Frage nicht verstanden. Würden Sie denn auch ernsthaft behaupten, der Erfolg einer postfaschistischen Partei in Italien sage Negatives über die Integrationsfähigkeit von deutschen Katholik:innen aus? Es gab und gibt Deutsche verschiedenster Religion, Herkunft und Hautfarbe und niemandes Zugehörigkeit wird durch Wahlergebnisse in anderen Staaten in Frage gestellt. Über die Gefahren digital verstärkter Radikalisierung quer durch alle Religionen und Kulturen ist hier ja bereits ausführlich informiert worden:

            https://www.deutschlandfunkkultur.de/rueckzug-oder-kreuzzug-100.html

            Ihnen alles Gute.

  3. Ich habe ja den Verdacht, dass Luthers Antisemitismus die Folge von Augustins Erbsündenlehre war. In Luthers Augen waren die Juden “zu blöde” (hier im alten Wortsinne verwendet), um zu erkennen, dass durch das Halten des “Gesetzes” (eher augustinisch als paulinisch verstanden) keine Rettung vor der Hölle möglich ist. Damit stellten sie eine Gefahr dar, weil sie in Luthers Augen Selbsterlösung vertraten. Luther war nun nicht zimperlich – als abgebrochener Jurist- für alle möglichen Gefährdungen der öffentlichen Ordnung die Todesstrafe zu fordern , auch wenn er dazu sich durchaus selbstkritisch äußerte (“Junge Juristen brauchen einen großen Galgen, junge Ärzte einen großen Friedhof, junge Theologen eine große Hölle”) .
    Wir haben ja aktuell bei der “letzten Generation” ein ähnliches Phänomen, ich verweise auf den schönen Artikel in der FAS “Wahrer Klimaschutz geht anders” von Bernau.
    Letzendlich hat sich Luther nicht von den Fehldeutungen Augustins lösen können, vielleicht auch deshalb, weil ihm die biologischen Einsichten seines Ordensbruders G. Mendel noch nicht zugänglich sein konnten.
    Das zu untersuchen wäre allerdings ein sehr großes Projekt, nebenberuflich kann ich das nicht leisten.

    • Bei aller Zustimmung zu Ihrer Beobachtung zur – letztlich dualistischen – Gegenüberstellung von Werkgerechtigkeit (Judentum, Katholizismus) versus Gnade (reformiertes Christentum) durch Martin Luther ist mir ein weiterer Aspekt aufgefallen, @Joachim Fischer: Als erste dezidiert judenfeindliche Schrift Luthers gilt “Wider die Sabbather” von 1538, nachdem der Reformator sechs Jahre zuvor auf die christlich-reformierte Tradition der Sabbather in Mähren gestoßen war. Im Kern taten diese das, was Luther mit “Sola scriptura” – Allein die Schrift – gefordert hatte: Sie hielten sich an den Wortlaut der Bibel und hielten also nicht länger den christlichen Sonntag, sondern den biblischen Schabbat-Samstag.

      Ich denke, hier wurde Luther klar, dass sich seine eigene Lehre in Widersprüche verfangen hatte: Nach jüdischer Lehre galt die mosaische Thora nur für Jüdinnen und Juden, andere Völker konnten sich am noachidischen Bund orientieren. Wenn Luther nun aber die wortgetreue Wahrung der Bibel verlangte, hätten Christinnen und Christen tatsächlich viele mosaische Gebote halten müssen, darunter eben auch den Schabbat statt des Sonntags.

      Statt sich diesem Widerspruch zu stellen und anzuerkennen, dass nicht nur das Judentum und die römisch-katholische Kirche, sondern letztlich jede lebendige Schriftreligion immer auch Traditionen der Auslegung (Exegese, Hermeneutik) entwickelte, wählte Luther den bequemeren, dualistischen Weg: Er erklärte die christlichen Sabbather nicht etwa zu Kindern der Reformation, sondern einer angeblichen jüdischen Verschwörung. So ging er den Weg in den hasserfüllten Antijudaismus wie in “Wider die Juden und ihre Lügen” und “Schem Hamphoras” zur sog. “Judensau von Wittenberg”, beide Drucke 1543.

      Eine ganze Podcast-Folge zu Luther und der Unausweichlichkeit von Auslegungstraditionen findet sich in Verschwörungsfragen 33 “Die Schlümpfe und Martin Luther”:

      https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/verschwoerungsfragen-33-die-schluempfe-und-der-luther-hermeneutik-statt-verdraengung/

      Danke für Ihr historisches und thematisches Interesse!

      • “sola scriptura” steht ja bei Luther nicht allein, es sind ja vier “sola”, die sich gegenseitig korrigieren: “sola fide”, “sola gratia”, “solus christus” und eben “sola scriptura” .
        Die Sabbatarierschrift ist schwierig- die Sabbatarier von denen ich in Szeklerkreuz in Rumänien weiß, trifft es jedenfalls nicht.
        Der Sabbat gehört nicht zu den noachitischen Geboten, die nach dem Apostelkonzil verbindlich sind. (Gal 2 und Apg. 15) .
        Luther ist in seinem Denken kein Dualist- es sind eher vier Dimensionen, die den Menschen bei ihm bestimmen: der nahe und der ferne Gott, Gesetz und Evangelium (mit letzterem Gegensatz kann ich wenig anfangen). Luther war sich der Auslegungstraditionen durchaus bewußt, er betont selbst, dass wir die Wirklichkeit nur durch gefärbte Brillengläser sehen, den Unterschied zwischen antikem und mittelalterlichem Wahrheitsbegriff kannte er. Das wurde erst in der lutherischen Orthodoxie verwischt.
        Vorwerfen muss man ihm wohl, dass er seinen liberalen Sündenbegriff (eingekrümmt in sich selbst) nicht selbstkritisch auf seine Auffassung vom Judentum angewandt hat.
        So viel in Kürze

        • Danke, @Joachim Fischer. Den Satz „Luther ist in seinem Denken kein Dualist“ finde ich schwierig, da er einen unveränderlichen Luther propagiert. Dagegen zeigt sich der m.E. klare Befund auch, aber nicht nur in seinen Schriften zum Judentum: Luther driftete von einem reflektierten Monismus immer stärker in einen verschwörungsmythologischen Dualismus. Neben seinem eskalierenden Antijudaismus nenne ich hier beispielsweise auch seine Haltung gegenüber aufbegehrenden Bauern und seinen Glauben an (todeswürdige) Hexerei.

          Tatsächlich habe ich auch verschiedentlich die These vertreten, dass Martin Luther leider geradezu ein Paradebeispiel für die auch heute nicht seltene Altersradikalisierung bietet. Als stabil lässt sich seine biografisch-psychologische Entwicklung auch beim besten Willen nicht bezeichnen. Luther „ist“ nicht, er „wurde“ – im Alter nicht besser…

          • @Michael Blume,
            nun segeln wir gemeinsam auf der Bahn einer binären Logik ins Abseits…
            Wenn Luther etwas “nicht ist” bedeutet das nicht, dass er das Gegenteil ist, vielleicht habe mich da nicht klar genug ausgedrückt. Alles worauf ich herauswollte ist: Luther ist eher dialektisch mit einer vierwertigen Logik denn Dualist. Ich gebe allerdings zu, der Unterschied zwischen dialektischer Logik und Dualismus ist haarscharf und mancher- wie Kierkegaard, der Urvater aller Fanatiker – fällt herunter.
            Zum Bauernkrieg: “Wider die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern” ist Luthers Reaktion auf das Massaker von Weinsberg- die Schrift wurde aber als Unterstützung des Adels gelesen, weil sich die Situation zwischen Luthers Kenntnis des Massakers und der endgültigen Niederschlagung des Bauernaufstandes verschob und die Schrift dann zu spät kam. Grundsätzlich wurde im Bauernaufstand viel für die Bauern erreicht, die Leibeigenen erhielten Klagerecht vor den Reichsinstanzen, wie im Falle der Herren von Messkirch. In der Frage des Bauernkriegs führt die marxistische Geschichtsbetrachtung in die Irre.
            Luthers Altersradikalisierung ist eben das übliche Schicksal eines deutschen Universitätsprofessors. Es hat nicht jeder das Glück eines Dr.Heinrich Faust, den Teufel zu treffen, der ihm einen Verjüngungstrank verpasst. (Sarkasmus aus) Ohne Mephisto würde Faust auch der Altersradikalisierung anheim fallen. (Goethe hat ungeheuer viel von Luthers Gedanken in seinem Faust verarbeitet. Erhat als Minister in Weimar auch alle Bedenken gegen die Todesstrafe aufgeben. )
            Die Hexenfrage ist durch die Nazis ein vermintes Gelände.

          • Freundlicher Widerspruch, @Joachim Fischer: Ich argumentiere doch gerade nicht „binär“, sondern verweise darauf, dass Menschen in unterschiedlichen Lebensphasen relativistisch, monistisch oder dualistisch tendieren können. Gerade auch der gut erforschte Martin Luther ist dafür ein sehr gutes Beispiel.

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