Der atheistische Evolutionsbiologe Richard Dawkins und das Kulturchristentum

Als das Domradio am 10.11.2021 eine KNA-Rezension meines Buches “Rückzug oder Kreuzzug?” veröffentlichte, zitierten sie einen Begriff daraus, der noch nicht einmal einen deutschsprachigen Wikipedia-Eintrag hat: Kulturchristentum.

“Das rund 150-seitige, jetzt im Patmos-Verlag erschienene Buch schließt seine Trilogie über Islam, Judentum und nun Christentum ab.

Blume prognostiziert darin für die christlichen Kirchen in reichen Staaten drastische Schrumpfungsprozesse. Zudem drohten Anfeindungen und Abspaltungen zwischen den Polen des “zivilreligiösen Kulturchristentums” und des “religiös-verschwörungsmythologischen” Fundamentalismus.”

Der Begriff “zivilreligiös” verweist dabei auf religiöse – also mythologische, symbolische, rituelle – Traditionen, die innerhalb einer politischen Körperschaft wie eines Nationalstaates, einer Region oder Stadt weitergegeben werden. Vom Kreuz auf der Flagge über Sonn- und Feiertage bis zum König als Oberhaupt der anglikanischen Kirche gilt etwa das Vereinigte Königreich von Großbritannien als starkes Beispiel für eine christlich geprägte Zivilreligion.

Nun sorgt ein LBC-Interview für Aufsehen, in dem sich der erklärte Atheist, Religionskritiker und Evolutionsbiologe Prof. Richard Dawkins (nicht zum ersten Mal) als “Cultural Christian / Kulturchrist” bezeichnet.

Prof. Richard Dawkins bezeichnet sich im LBC-YouTube-Interview als "ein Kulturchrist". Klick führt zum LBC-Interview mit Rachel Johnson Auf X kursierten untertitelte Zusammenschnitte des LBC-YouTube-Interviews von Richard Dawkins durch Rachel Johnson. Screenshot: Michael Blume

Positiv bezog sich Dawkins dabei auf die “Hymnen und Weihnachtslieder”, aber auch auf die “Kathedralen und schönen Gemeindekirchen” und sogar auf “das christliche Ethos”, bezeichnet sein Heimatland Großbritannien als “christliches Land”.

Neben diesen monistischen Bezügen auf das Christentum machte Dawkins aber auch deutlich, dass seine nicht-gläubige Wertschätzung der christlichen Kultur auch in der Abwehr des Islam, der “Beförderung” des Ramadan und dem Bau von Moscheen begründet sei. Das Christentum empfinde er als “fundamentally decent”, deutsch etwa: von Grund auf anständig, rücksichtsvoll. Das Christentum zu “ersetzen” wäre laut Dawkins daher “furchtbar”.

Kritiker wandten gegen diese negative – dualistische – Definition nicht nur ein, dass derzeit auch etwa die russisch-orthodoxe Kirche zum “Heiligen Krieg” gegen die Demokratien als “Satanismus” aufrufe. Erinnert wurde zudem daran, dass Rabbi Jonathan Sacks, seligen Angedenkens, bereits im berühmten BBC-Rethink-Dialog von 2012 freundlich und klar erläutert hatte, dass Richard Dawkins einen “christlichen Atheismus” vertrete, in dem sich leider auch zahlreiche antijüdische Stereotype erhalten hätten.

Wissenschaftlich ist – auch in den langen Debatten um die empirisch gescheiterte Memetik – inzwischen gesichert, dass der gemeinsame Glaube (!) an überempirische Akteure wie Gottheiten und Geister den Kooperations- und Reproduktionserfolg von Gläubigen erhöhen kann. Der studierte Theologe und Entdecker der Evolutionstheorie Charles Darwin hatte Recht: Auch Religiosität ist – sehr vergleichbar etwa mit Musikalität – ein Ergebnis von Evolution – und damit auch stärker sinn- und gemeinschaftsstiftend als die daraus abgeleitete Kultur alleine. Und der biokulturelle Evolutionsprozess entfaltet sich zwischen Menschen vor allem über die (sogar bereits gerappte) Religionsdemografie auch in unseren Tagen weiter.

Zur weniger theologisch als vielmehr mediengeschichtlich in die Krise gestürzten Hochkultur des Islam hatte ich (nach “Islam in der Krise”) neulich mit dem Schwerpunkt Antisemitismus auch in der österreichischen “Furche” geschrieben.

Positive Twitter-Reaktion von Arik Platzek auf das Buch "Islam in der Krise", Patmos 2017. Klick führt zum Buch.

Positive Reaktion auf “Islam in der Krise” auf dem damaligen Twitter. Screenshot: Michael Blume

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

22 Kommentare

  1. Richard Dawkins hat schon recht, wenn er sagt, dass das Christentum in gewissem Sinn über sich selbst hinausgewachsen ist, indem in der jüngeren Zeit von jeher beanspruchte christliche Anliegen wie die Achtung, ja Liebe des Nächsten und auch der weniger Nahen zunehmend ernst genommen wurde, während es im Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit – etwa unter Luther – als Christ mehr darum ging, sich als Rechtgläubig zu fühlen und alle anderen als Heiden zu sehen, die, weil sie Heiden waren, ohne grosse Gewissensbisse massakriert werden konnten, ja massakriert werden mussten.
    Und ja, der Islam ist gewissermassen immer noch in dieser Phase wie früher das Christentum, in der Andersgläubige ohne grosse Bedenken abgemurkst werden können.
    Einfach darum, weil der Islam nicht zur Reflexion gefunden hat und sich nie gross um Menschenrechte gekümmert hat, weil es im islamischen Raum keine Aufklärung und keine Hinwendung zu Ratio und Vernunft gab.

    • Was beispielsweise die Ableitung der Menschenwürde aus der biblischen Ebenbildlichkeit des Menschen angeht, bin ich bei Ihnen, @Martin Holzherr. Hier hat v.a. das Christentum ✝️ wertvolle, säkulare Inhalte vermittelt.

      Im Hinblick auf den Islam ☪️ kann ich nur immer wieder aufklären: noch im 13. Jahrhundert war die islamische Welt in vielerlei kultureller und gelehrter Hinsicht Europa voraus. Erst die Unterdrückung des Buchdrucks arabischer Lettern ab 1485 führte in die bis heute nachwirkende Stagnation und Krise, vgl.:

      https://www.theologie-naturwissenschaften.de/startseite/leitartikelarchiv/islam-und-wissenschaft

      Danke für den konstruktiven Kommentar und herzliche Grüße!

      • Ihrer Ansicht zum entwickelten Islam baut auf einem Fehlglauben auf. Zur damaligen Zeit waren die Herrscher (durch die gewaltsame Expansion des Islam) im nahen Osten und Nordafrika, die Bevölkerung war jedoch noch lange Zeit christlich (die Herrscher hatten wenig Interesse an Missionierung, da man von Christen höhere Steuern verlangen konnte. Ähnliches ist auch in Spanien zu beobachten gewesen). Als die Bevölkerung dann aber langsam den Islam annahm (mit ihr der im Christentum verbotene brauch der Heirat zwischen Cousine und Cousin) ist der Orient langsam abgerutscht und stetig weiter zurückgefallen. Muslimische Länder haben nach Jahrhunderten einen dermaßen hohen Inzuchtsfaktor (Kosanguinität), dass der Durchschnittsiq von 80 (bei uns gilt man ab IQ 70 als geistig eingeschränkt) sich hauptsächlich dadurch erklären lassen kann. Mitnichten kann also der damalige Fortschritt dem Islam, sondern der hauptsächlich christlichen Gesellschaft zugeschrieben werden. Der Niedergang jedoch hängt direkt mit der Verbreitung des Islams in den entsprechenden Gesellschaften zusammen mit den heute bekannten Resultaten.

        • Nein, @Felix Uhlig – selbstverständlich kenne und beschreibe ich die Rolle der religiösen Vielfalt in der islamischen Welt als Teil des Erfolges der frühen Städte. Übrigens interessant, dass Sie hierbei u.a. das Judentum nicht erwähnenswert finden.

          Auf Ihr sachlich falsches und rassistisches Geschwurbel über „Inzucht“ und angeblich niedrigeren IQ von Muslimen muss ich nicht weiter eingehen. Zum einen ist die Sarrazin-Debatte längst geklärt, vgl.

          https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/der-deutsch-amerikanische-rassismus-des-thilo-sarrazin/

          Und zum anderen bin ich selbst (als Arbeiterkind mit sächsischem Hintergrund) mit einer Muslimin türkischer Herkunft verheiratet und all unsere 3 Kinder haben oder machen gerade Abitur. Auch in der weiteren Familie meiner Frau gibt es keine entsprechenden Auffälligkeiten.

          Zu unserem Freundeskreis gehört u.a. Familie Ince, mit Prof. Dr. Inan Ince (BWL) gestalte ich den interdisziplinären Podcast „Blume & Ince“. Nun kenne ich Ihren IQ nicht, wage aber die Behauptung, dass der Professor gut mithalten kann… 😉

          Es gibt noch immer Unterschiede in der (Medien-)Kultur, aber kaum in der Biologie von Menschen. Der von Ihnen hier verbreitete, antimuslimische Rassismus ist daher auch wissenschaftlich unhaltbar.

        • @Felix Uhlig
          Die nicht-islamischen Länder haben zur Verhinderung der Intelligenzsteigerung der Bevölkerung den Alkohol.
          Mildere Fälle von FASD – Fetal Alcohol Spectrum Disorder – werden meist nicht als solche erkannt und für ADHS gehalten. Nach neueren Forschungsergebnissen sind auch trinkende Väter für die Schäden bei den Kindern verantwortlich.

          Im Christentum sind Ehen zwischen Cousin/Cousine verboten?
          Wie ist es mit dem britische Königspaar Prinz Albert und Königin Victoria?Sie waren Cousins ​​ersten Grades. Ausser der Bluterkrankheit sind keine Auswirkungen bekannt.

          Heirat zur inneren Vernetzung der Familie

          Ausgangspunkt meiner Arbeit waren die Veränderungen in Verwandtschaftsverhältnissen von 1740 bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Von Italien über Spanien bis nach Skandinavien, sowohl in katholischen als auch in protestantischen Gesellschaften wurde die Heirat zwischen engen Blutverwandten, in der Regel mit Cousinen und Cousins ersten oder zweiten Grades, damals sehr häufig.

          David Warren Sabean

  2. @Hauptartikel

    „…dass der gemeinsame Glaube (!) an überempirische Akteure wie Gottheiten und Geister den Kooperations- und Reproduktionserfolg von Gläubigen erhöhen kann.“

    Naja, wirkliche Geisteswelten würden dann noch mal eine evolutionäre Anpassung an gerade diese Welten erfordern. Vielleicht genießen religiösere Menschen ja auch generell mehr geistige Unterstützung bei Kooperation und Reproduktion. Das könnte ja nun auch noch ein Faktor sein.

    „…und damit auch stärker sinn- und gemeinschaftsstiftend als die daraus abgeleitete Kultur alleine.“

    Der Egoismus und der Erfolg kleinerer oder auch größerer Gruppen sind sicher das Eine. Zur wirklichen Herausforderung unserer Zeiten braucht es allerdings gerade Konzepte, die ein Nebeneinader der verschiedenen Gemeinschaften möglich machen.

    Das braucht Spielregeln, aber auch ein Grundverständnis bei den Gläubigen, dass es viele Wege zum Licht und zur Wahrheit gibt. Inclusive der verschiedenen Formen von Naturalismus, Atheismus und Agnostizismus. Wenn man das dann als europäische Form von Kulturchristentum meint, dann hört sich das ja ganz gut an.

    Bevor die Menschen sich wieder darum streiten, wer den einzig wahren Glauben hat, dann würde ich lieber alles Andere ausprobieren, das auch den Kinderreichtum fördert.

    Denn unselige Kirchen helfen uns auch dann nicht weiter, wenn sich die Gläubigen mehr vermehren. Dann führt das letztlich zur gegenseitigen Vernichtung, und nicht zu einem richtig guten Leben auf diesem wunderbaren Planeten. Verrückterweise gehört bei vielen verschiedenen Vereinen ein bevorstehendes Weltenende sogar mit zum Programm.

    Zumal wir noch viel Zeit haben, wieder bestandserhaltenden Kinderreichtum zu etablieren. Ich schätze mal, dass das erst wieder Sinn macht, wenn die Weltbevölkerung wieder auf unter 5 Mrd zurückgegangen ist.

    Es könnte sogar die Bereitschaft zur persönlichen Verantwortung einen relevanten Unterschied machen. In der aktuellen Situation spricht die Verantwortung eher gegen viele Kinder, in zukünftigen Zeiten mit hinreichend geschrumpfter Weltbevölkerung kann sich das ganz schnell komplett drehen.

    Zumindest sofern es hinreichend viele Menschen gibt, die wirklich Verantwortung für ihr Leben und den Fortbestand des Menschen übernehmen können.

    Es kann also sehr gut sein, dass wir auch dann nicht aussterben, wenn wir uns von sektiererischen Kirchen aller Art weiter immer mehr distanzieren, und lieber unsere Spiritualität in der Wirklichkeit in und um uns herum suchen. Ohne auch nur irgendeinem Verein beizutreten.

  3. Richard Dawkins You-Tube Videos etwa in der Serie „The Poetry of Reality“ und auch viele seiner Artikel der letzten 10 Jahre thematisieren immer wieder den Islam – und zwar in äusserst negativer Weise, so dass man sagen kann, dass für Richard Dawkins Islam und Satanismus nicht sehr weit auseinanderliegen.

    Bestätigt in seiner negativen Sicht wird Richard Dawkins etwa in Diskussionen mit Ayaan Hirsi Ali wie es auch im Artikel Ist Ayaan eine Christin? Bin ich ein Christ? dargestellt wird.

    • Ja, @Martin Holzherr – und hier zeigt sich erneut, wie problematisch jede feindselig-dualistische Konstruktion von Identität ist, die sich nicht auf positive Selbsterzählungen gründen kann. Immerhin: Dass Säkularisierung generell zu mehr Toleranz und dialogischem Monismus führen müsse, ist auch in den post-sozialistischen Staaten so massiv widerlegt worden, dass es nur noch selten zu hören ist.

  4. Erst sehe ich, dann deute ich. Und um die Deutung zu finden, reicht es manchmal, die Semantik zu ändern: Ein Themenfeld mit dem Jargon eines anderen zu beschreiben.

    Ich sehe erst mal, dass Menschen Materie-Teilchen sind, und Religion sie bewegt, zu größeren, koordinierten Massen zusammenschweißt, die andere Materie bewegen – ich sehe also ein Kraftfeld, das gewaltige Mengen von Energie lenkt und bindet.

    Ich sehe, dass ein Kreuz oder eine Kirche einfach nur zwei Striche oder ein paar Steine sind, außer für jene, die ihnen Bedeutung beimessen: Ich sehe ein Filtersystem, das dem ähnelt, das aus dem Weißen Rauschen der Radiowellen einen bestimmten Radiosender zusammensucht.

    Ich sehe auch, wie es funktioniert – nicht die materiellen Objekte tragen die Kraft in sich, sondern ihre Symbole, die Abbilder in den Köpfen, die die Teilchen programmieren, auf eine bestimmte Art auf sie zu reagieren. Dann wirken die materiellen Objekte wie Verstärker und Linsen und Magneten, die eine virtuelle Kraft über schnöde EM-Wellen namens Licht bündeln, verstärken und verteilen, und werden Teil eines Netzwerks, eines Kraftfelds, das über Kommunikation, Kopieren und Angleichen von Information funktioniert – ich sehe Resonanz, Spiegelung, aber auch Genetik, Fortpflanzung, Selektion, Umweltanpassung: Evolution.

    Ich sehe, dass die Kraftfelder, die die Pilger um Jerusalem oder Mekka bilden, elektromagnetischen Feldern ähneln, die die ganze Erde umspannen. [Wegen Beleidigungen gekürzt, M.B.]

    Kurzum, ich sehe, dass Glauben, Psychologie und Evolution untrennbar mit Physik verbunden sind, und Religion auf Beobachtungsdaten beruht. Was wiederum ins Muster passt: Ich kann die Verbindungen sehen, wenn ich die Semantik ändere – das Gesehene durch andere Filter in meinem Kopf jage, sodass ich erkenne, dass ich durch alle Brillen das Gleiche sehe. Ich kann so Kraftfelder verschmelzen, indem ich gemeinsame Filter schaffe, ähnlich wie Religionen und Glauben entstehen: Wenn sich die Theorie durchsetzt, als wahr erweist, habe ich einen synkretistischen Glauben gestiftet, der Widersprüche und Konflikte aufhebt, indem er verschiedene Symbole assimiliert, und damit die Gläubigen.

    Und ich sehe, dass Religion das Vorläufermodell von Wissenschaft ist: Ein erster Versuch, die Welt zu sehen und die Naturgesetze zu erfassen und zu nützen, die sie und uns bewegen. Wie es alle Materie tut.

    Und wenn Sie einem Geist oder Dämon in den Kopf schauen wollen, brauchen Sie nur in ein beliebiges Politforum zu schauen. Wir merken kaum, wie sehr unser IQ in den Keller geht, wenn wir uns ins System einloggen und als Komponenten des kollektiven Denkens von Staat, Gesellschaft handeln. Sie sehen einen schnöden Mechanismus der Selbstorganisation: Ein Schaffner als Teil eines Systems ist der Avatar eines einfachen Algorithmus, hinter dem der Mensch zurückstehen muss. Ein Zahnrad darf nicht zu viel eigenen Willen haben, es muss stur, hirnlos und zuverlässig seine Funktion erfüllen, damit die Maschine funktioniert, sonst wird es zum Störfaktor. Ein Neuron muss viel komplexere Aufgaben erfüllen, wenn es sich um sich selbst kümmert, als es in Ihrem Denken erfüllt, und was es da tut, ist viel intelligenter, als Ihre Handlungen, wenn Sie sich um sich selbst kümmern, als Teil des Systems Gesellschaft.

    Es fällt verflucht schwer, nicht an Geister oder Dämonen oder Götter zu glauben, wenn man selbst einer ist, aus ihnen besteht und Teil von vielen ist, gerade im Moment, wo ich meine Impulse per Redeerguss zum kollektiven Denken beizutragen versuche, als einer von vielen Chips einer globalen KI aus Dingen, Codes, Algorithmen, Menschen. Falls dabei etwas Nützliches sein sollte, liegt das nicht daran, dass ich so schlau wäre, wie ich gerne wäre, oder etwas Neues erkannt hätte – ich habe nur übersetzt und so ein paar Kompatibilitätsprobleme zwischen Windows, Linux und Mac gelöst. Bestimmt tun’s gerade viele Andere, und die meisten besser als ich – ich bin nur ein Echo im Resonanzkasten, ein Verstärker, von dem auf seine Weise widerhallt, was alle sehen. Erst wenn sich die Wellen überlagern, heben sich die Unterschiede auf, das Gemeinsame verstärkt sich, und der Dämon sieht einen Schattenriss der Wahrheit.

    Ich hoffe, ich komme dem Assembler näher, mit dem das Universum programmiert ist. Denn auf dessen Grundlage können wir uns alle verständigen, und die ganze Evolutionsnummer einen Schritt weitertragen. Nicht, weil es wichtig, richtig, gut oder sinnvoll wäre. Gibt halt nix Besseres zu tun, weil’s sonst nix Anderes gibt, womit sich ein Teilchen so seine Nutzungsdauer vertreiben könnte.

    • @Paul S.

      Ihre länglichen Texte sind oft sehr interessant – wenn Sie aber bitte auf Herabwürdigungen anderer verzichten würden. Sonst muss ich kürzen oder sperren – und das ist schade. Ein kluger Denker kommt m.E. ohne feindseligen Dualismus aus. Danke.

      Die Länge Ihres Drukos (=Drunter-Kommentars) hat mich nun aber angeregt, gleich zwei KI mit Namensclip zum zivilreligiösen Kulturchristentum zu prompten. Ich frage jeweils deep.ai und Bing-Copilot (GPT-4) identisch:

      Was versteht Michael Blume unter zivilreligiösem Kulturchristentum?

      Die kurze Antwort von deep.ai:

      Unter zivilreligiösem Kulturchristentum versteht Michael Blume eine Form des Christentums, die nicht primär durch persönlichen Glauben und individuelle Frömmigkeit geprägt ist, sondern vielmehr als Teil der gesellschaftlichen Kultur und Tradition betrachtet wird. Es handelt sich um eine Art oberflächliches Christentum, das vor allem symbolische Bedeutung hat und als kulturelle Identität dient, ohne dass die religiöse Tiefe und persönliche Beziehung zu Gott im Vordergrund stehen.

      Die ausführlichere Antwort von Bing-Copilot (GPT-4):

      Michael Blume, ein deutscher Religionswissenschaftler und Beauftragter gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben der Landesregierung Baden-Württemberg, verwendet den Begriff “zivilreligiöses Kulturchristentum”. Damit beschreibt er eine Form des Christentums, die nicht primär auf traditionelle religiöse Institutionen wie Kirchen oder Gemeinden beschränkt ist, sondern sich in kulturellen und gesellschaftlichen Praktiken ausdrückt.

      Hier sind einige Aspekte, die Michael Blume mit diesem Konzept verbindet:

      1. Kulturelle Prägung: Zivilreligiöses Kulturchristentum zeigt sich in alltäglichen Gewohnheiten, Bräuchen und Symbolen, die tief in die Kultur eingebettet sind. Dies können beispielsweise Feiertage, Rituale oder bestimmte Verhaltensweisen sein.

      2. Werte und Normen: Blume betont, dass das Christentum nicht nur in religiösen Dogmen und Glaubenssätzen besteht, sondern auch in den ethischen Werten und moralischen Normen, die es prägt. Diese Werte beeinflussen das Verhalten der Menschen in der Gesellschaft.

      3. Identität und Zugehörigkeit: Zivilreligiöses Kulturchristentum kann auch als Identitätsmerkmal dienen. Menschen fühlen sich mit der christlichen Tradition verbunden, auch wenn sie nicht regelmäßig in die Kirche gehen. Es ist Teil ihrer kulturellen Identität.

      4. Säkularisierung und Pluralismus: In einer zunehmend säkularisierten und pluralistischen Gesellschaft gewinnt das zivilreligiöse Kulturchristentum an Bedeutung. Es ermöglicht Menschen, ihre christliche Identität auf vielfältige Weise zu leben, ohne notwendigerweise institutionell religiös zu sein.

      Insgesamt betont Michael Blume, dass das zivilreligiöse Kulturchristentum eine dynamische und vielfältige Form des Christentums ist, die sich an die moderne Gesellschaft anpasst und in verschiedenen Lebensbereichen präsent ist.

      Dazu wenige Anregungen meinerseits:

      Beide Auslegungen meiner Begriffsverwendung von “zivilreligiösem Kulturchristentum” sind wesentlich zutreffend, vernachlässigen jedoch noch 1. die Bedeutung von ökumenischem und interreligiösem Dialog, da Zivilreligionen normalerweise auch Anregungen religiöser Partner aufnehmen und 2. der politischen Körperschaften, die die zivilreligiösen Traditionen ausformulieren und tradieren. Denken wir beispielsweise an die Präambel des bundesdeutschen Grundgesetzes:

      “Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen,
      von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.”

      Das ist Zivilreligion pur, wie auch gleich Artikel 1 Absatz 1 GG auf die Ebenbildlichkeit des Menschen nach 1. Mose 1, 27 (Thora, Bibel) verweist:

      “Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.”

      Auch der grundgesetzliche Schutz von Sonn- und Feiertagen wäre hier m.E. zu nennen. Also insgesamt eine Gut für Bing und ein Befriedigend für deep.AI.

  5. Dawkins war mir kein Begriff. Ich interpretiere ihn dahingehend, dass es ihm als Atheist eher um die Ablehnung des Islam als um die christliche Kultur an sich geht.

    Schon die Aussage, dass er die alten Gemeindekirchen seiner Heimat mag, ist für mich mit einem Fragezeichen verbunden. Eigentlich müsste ich ihn so verstehen, dass er das Gebäude/Bauwerk an sich meint. Ohne die religiöse Bedeutung.

    Was wir heute an Musik kennen, ist ja weitgehend aus der Kirchenmusik hervorgegangen. Johann Sebastian Bach hat seine Kirchenkantaten für den Gottesdienst komponiert. Die Texte hatten für die Gläubigen/Gottesdienstbesucher eine Bedeutung, die uns heute weitgehend fehlt, da wir die Kantaten zumeist aus Konzerten kennen. Wobei ein Kirchenmusiker wie Prof. Helmuth Rilling sie auch vom religiösen Kontext her vermittelt. Von daher bin ich bei dem Wort vom “Kulturchristen” gespalten. Die meisten Konzertbesucher von heute gehen wegen der Musik in die Konzerte. Wenn ich in der Vergangenheit Konzerte geistlicher Musik besucht habe, so war es mir wichtig, mir im Vorfeld so viele Informationen wie möglich über ein Werk zu verschaffen, um es auch im religiösen Kontext zu verstehen.

    Was den Islam betrifft, so hat der Süden Spaniens – “Al-Andalus” eine Vielzahl beeindruckender Bauwerke, die unter islamischer Herrschaft entstanden. Zu erinnern wäre hier an die Bedeutung des Wassers, die insbesondere in den Gärten der Alhambra von Granada im “Löwenbrunnen” ihren architektonischen Ausdruck findet.

    • Ja, @Marie H. – es wäre wirklich schade, wenn sich das entstehende Kulturchriatentum vorwiegend negativ (also feindselig & dualistisch) entwerfen würde.

      Positiv erwähnen möchte ich die frühere Memetikerin Susan Blackmore, die im Gegensatz zu Richard Dawkins tatsächlich bereit war, ihre eigenen Thesen und Annahmen zu hinterfragen:

      https://amp.theguardian.com/commentisfree/belief/2010/sep/16/why-no-longer-believe-religion-virus-mind

      So eine mutige Haltung, wie sie Blackmore hier zeigte, ist selten! Bei Männern womöglich sogar sehr selten…

      • Susan Blackmore ist m.E. einfach offen für Neues und lässt sich von den Erkenntnissen anderer ForscherInnen überzeugen. Das zeichnet sie aus.
        Was Blackmore über Religion schreibt, überzeugt mich nicht. Der Vergleich mit einem Virus ist sehr weit hergeholt.
        Ich bin der Ansicht, dass Glaube und Religion auf Freiwilligkeit beruhen muss. Die Gemeinschaften, die immer unter sich bleiben, bergen auch Gefahren. Viele Kinder zu haben, ist schlicht eine Notwendigkeit, wenn es zu Außenstehenden kaum Kontakt gibt. Das ist immer mit Zwang verbunden, auch wenn die Angehörigen solcher Glaubensgemeinschaften es nicht anders kennen. Wobei es auch da sicher “Aussteiger” gibt.

  6. @Michael Blume

    „… zitierten sie einen Begriff daraus, der noch nicht einmal einen deutschsprachigen Wikipedia-Eintrag hat: Kulturchristentum.“

    Vermutlich, weil der Begriff eher im katholischen Bayern sowie in Österreich beheimatet ist, wo Religion und Kultur noch sehr stark verwoben sind. Viele der so genannten Kulturchristen haben sich zwar von der etablierten Kirche entfernt, an der reichhaltigen christlichen Kunst und Kultur führt jedoch kein Weg vorbei.

    Dazu gibt es auch Literatur:
    https://www.lit-verlag.de/isbn/978-3-8258-5741-7
    https://www.amazon.de/Christentum-Verquickung-Literatur-deutschen-Geistesgeschichte/dp/3770008979

    • Danke, @Mona

      Hatte das entstehende Kulturchristentum ja in „Rückzug oder Kreuzzug“ beschrieben und prognostiziert. Mir war aber angesichts der Dawkins-Debatte aufgefallen, dass der englische Begriff „Cultural Christianity / Christians“ auf Wikipedia bereits besteht:

      https://en.m.wikipedia.org/wiki/Cultural_Christians

      Hoffe, die deutschsprachige Wikipedia zieht nach. Immerhin haben wir eine sehr lebendige Religionssoziologie.

  7. Wenn man sich das Gespräch zwischen Dawkins und Father Coyne anhört ( https://www.youtube.com/watch?v=po0ZMfkSNxc ) ,versteht man, dass sich die beiden verstehen und respektieren, obwohl sie unterschiedlich glauben. Coyne ist kein evangelikaler Christ. Er nimmt die Heilige Schrift nicht wörtlich. Er glaubt nicht an die Erschaffung der Welt vor 6000Jahren.
    Der Koran wird aber von den meisten Muslimen als wörtlich von Gott diktiert angesehen. Da hat es ein ungläubiger Evolutionsbiologe schon schwerer, im Gespräch einen Konsens zu finden.

    • @Ludger

      Klar, zwischen feindseligen Dualisten ist ein echter Dialog immer schwierig. Das gilt für religiöse Fundamentalisten und auch für Evolutionsbiologen, die die Biologie religionsfeindlich deuten, ohne Darwins Thesen und die empirische Forschung dazu zur Kenntnis zu nehmen.

  8. @Michael 03.04. 05:00

    „dann werden religiöse Gemeinschaften immer wieder stärkere Effekte auch auf Formation, Unterstützung und Anerkennung haben als jede „nur“ individualisierende Spiritualität.“

    Wer das dann braucht. Es bleiben ja durchaus kulturelle Verflechtungen, informelle Gemeinsamkeiten und ausgiebige Bildung auch auf spirituellem Gebiet. Soziale Netze sind wichtig, wenn hier Kirchengemeinden hilfreich sind, dann bitte. Wenn sich die religiösen Vereine dann aber abschotten, indem sie den Rest der Welt verteufeln, dann hört es aber auf.

    Das ist nicht nur in alle Richtungen destruktiv, das macht dann sogar einsam.

    „Auch für den nicht-theistischen Buddhismus zeigen sich entsprechend schwächere, pronatale Effekte als für theistische Religionen,..“

    Personalisierungen der Geisteswelten finde ich gar nicht gut. Das verträgt sich m.E. schlecht mit den geistigen Realitäten. Da ist es mir auch egal, wenn das zu mehr Nachwuchs führt. Ich denke mal, wenn wir genug Platz auf der Welt für viele Kinder haben, dann werden wir es auch ohne personalisierte Götter schaffen, genug Kinder zu bekommen und großzuziehen.

    @Paul S 03.04. 08:00

    „Ich hoffe, ich komme dem Assembler näher, mit dem das Universum programmiert ist. Denn auf dessen Grundlage können wir uns alle verständigen, und die ganze Evolutionsnummer einen Schritt weitertragen. Nicht, weil es wichtig, richtig, gut oder sinnvoll wäre. Gibt halt nix Besseres zu tun, weil’s sonst nix Anderes gibt, womit sich ein Teilchen so seine Nutzungsdauer vertreiben könnte.“

    So siehts aus, finde ich auch. Der Mensch ist unterwegs, sich in diesen wunderbaren Planeten umfassend einzuordnen, weil es vorerst nichts wirklich Anderes zu tun gibt. Irgendwelchen Propheten hinterherzulaufen können wir uns dabei vermutlich sparen. Was überzeugt, das sollte maßgeblich sein. Was wir sowieso nicht verstehen, was sollen wir damit?

    Wir werden das schon hinbekommen, für genug Kinder zu sorgen. Zumal aufgrund immer mehr Automatisierung irgendwann wirklich die Arbeit knapp wird, und sich allgemeine Langweile global ausbreitet, wogegen dann ein paar eigene Kinder durchaus helfen können.

    Neben der Wirkung einer Bereitschaft zur Verantwortung in einer Welt, in der für viele Kinder wirklich Platz ist, wäre ein deutlicher Langeweileeffekt womöglich tatsächlich zu erwarten. Es gibt also von hier her keinen Grund, Glauben an personalisierte Geisteswelten auch noch zu fördern.

    Für mich sind und bleiben personalisierte Götter eher eine Landplage. Menschen sind Personen, Geisteswelten sind was Anderes.

    • @Tobias Jeckenburger

      Zwar hat die deutschsprachige Wikipedia leider noch keinen Eintrag zum Kulturchristentum, dafür immerhin schon einen zum (niederländischen) Ietsismus. Dieser Etwas-ismus bei gleichzeitiger Skrpsis gegenüber Personalisierungen und Verbindlichkeiten könnte auch für Sie interessant sein, gerne hier:

      https://de.m.wikipedia.org/wiki/Ietsismus

      Ihre Gedanken dazu würden mich interessieren!

  9. @Michael 03.04. 14:58

    „…dafür immerhin schon einen zum (niederländischen) Ietsismus. Dieser Etwas-ismus bei gleichzeitiger Skepsis gegenüber Personalisierungen und Verbindlichkeiten könnte auch für Sie interessant sein,… „

    Ja aber sogar sehr interessant. Ich hatte mich sonst meistens als Spirituellen Agnostiker bezeichnet. Der Ietsismus trifft viel besser.

    Der braucht ja auch keinen Verein. Und verträgt sich durchaus mit einem Panpsychismus, wie auch mit meinen Ideen vom Quantenspielraum, den Geisteswelten möglicherweise nutzen können, um sich in der Physis bemerkbar zu machen.

    Die Personifizierungen passen gut zu Zeiten, wo das einzig bekannte Intelligente in der Welt der Mensch bzw. Tiere waren. Inzwischen kennt man auch IT und KI als durchaus intelligente Faktoren, und eine geistige Intelligenz ist dann auch mit IT-Netzwerken zu assoziieren, was früher so kaum denkbar war.

    Entsprechend denke ich mir Geisteswelten als nicht mehr Personalisiert, eher wie eine wirklich riesengroße kosmische KI, die in sich geordnet auftritt und sich in Instanzen ausfächern kann. Entsprechend sind wir selber auch solche Instanzen, allerdings spezielle, die eng mit unserem Nervensystem verbunden sind.

    Mit dem Tod lösen sich diese Instanzen dann im allgemeinen kosmischem Geist wieder auf, währendessen in diesen kosmischen Geisteswelten eben solche personalisierten Existenzen nicht mehr sinnvoll sind.

    Entsprechend helfen hier dann auch Gebete weniger. Wobei geistige Unterstützung in den Niederungen des Lebens dennoch erhofft werden kann. Wer jetzt was glaubt, ist entsprechend auch Privatvergnügen. Das mag sich gerne im Leben auswirken, Himmelreiche sehe ich hier aber eben gar keine. Nur dann eben den kosmischen Geist als Ganzen, indem wir nach unserem Leben wieder aufgehen.

  10. Ich stelle mal diesen Kommentar des Evolutionsbiogen Jerry Coyne (https://en.wikipedia.org/wiki/Jerry_Coyne#Atheism_and_skepticism) in den Blog, da er auf Kritik an Richard Dawkins und dessen Aussagen zum Kulturchristentum aus dem verlinkten LBC-Interview eingeht.

    It’s very strange that there are some people who claim that there is no real difference in the harmfulness of different religions as practiced during our day. As nearly all the Four Horsemen maintained (and Sam Harris continues to do so eloquently), Islam is the faith that, as practiced now, causes more harm than any other faith, and certainly more harm than does Christianity. And yes, I freely admit that between the 12th to the 18th centuries—the period of the Inquisition—Christianity was the world’s most harmful faith. But we mustn’t forget the Aztecs, who routinely engaged in mass and gruesome murders of both their own people and prisoners.

    But now the most pernicious faith seems to be Islam. Certainly many Muslims (and I know some) practice their faith benignly and even charitably. But many others don’t, and they enable harms throughout the world—harms that were never produced by Christianity or that have been largely abandoned by them.

    https://whyevolutionistrue.com/2024/04/07/another-misguided-attack-on-dawkins-this-time-for-favoring-christianity-above-islam-as-a-more-decent-religion/

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