Warum ich im Fediversum bleibe, aber nicht auf BlueSky wechsele

Seit meiner Gastrede auf dem Grünen-Parteitag zu Weingarten und meinem nächtlichen Faktencheck zu Lanz & Precht 110 habe ich zahlreiche, freundliche Einladungen zu BlueSky erhalten. Und ich freue mich darüber, dass einige an mich denken und viele Menschen, die ich gerne lese, wie Jenny & Eliyah Havemann, Ruprecht Polenz und Stephan Anpalagan sind auch bereits dort.

Aber: Diesmal will ich nicht und ich möchte gerne begründen, warum nicht.

Zum einen reiche ich bereits jeden Morgen ein Tässle Kaffee auf Mastodon, also im Fediversum. Es ist idealistisch, selbstverwaltet, spendenfinanziert und dicht an der mehrdimensionalen Wirtschaftstheorie von Elinor Ostrom – und sagt mir also zu. Dass die Reichweite nicht mit Twitter/X und wohl bald auch nicht mehr mit BlueSky “konkurrieren” kann – ist für mich okay. Ich blogge ja bereits und wer von mir lesen oder mit mir diskutieren mag, kann das hier tun. Mit dem Ansatz, für ein bisschen mehr Sichtbarkeit kostbare Lebenszeit zu opfern, bin ich seit einigen Jahren durch. Ich überprüfe immer wieder – auch durch spezifisches oder gar völliges digitales Fasten – was noch geht und wovon ich mich verabschieden möchte. Den Abschied etwa von Facebook habe ich nie bereut, auf Twitter/X hält mich vor allem noch der Streit um europäisches Recht.

Warum also nicht auch mal BlueSky versuchen? In zwei Worten: Fehlendes Vertrauen.

Hinter dem blauen Himmel steht Jack Dorsey, der wiederum den Verschwörungsmythologen und Covid19-Impfgegner Robert Kennedy in dessen US-Präsidentschaftskandidatur unterstützt. Elon Musk hat gerade erst Twitter-X zertrümmert und nun soll ich wieder einem Rechtslibertären meine Zeit anvertrauen, der noch nicht einmal geklärt hat, ob das Netzwerk durch Werbung oder Abogebühren finanziert werden soll?

“Enge der Zeit ist die Wurzel des Bösen” entdeckte Hans Blumenberg – und ich leite mir daraus auch eine Verpflichtung ab, mich nicht ständig digitaler Erregung auszusetzen. Ich habe den Eindruck, dass es auch früher große Visionäre und gelebtes (also nicht: fehlerloses) Christentum gab.

Foto vom Aufbahrungsort des ermordeten US-Präsidenten John F. Kennedy in der St. Matthews Cathedral, Washington

Während meines letzten Besuches in Washington besuchte ich auch die St. Matthews Cathedral, in der US-Präsident John F. Kennedy 1963 nach seiner Ermordung aufgebahrt worden ist. Foto: Michael Blume

Ich nehme es niemandem übel, das noch einmal zu versuchen. Aber ich meldete mich im März 2009 (!) bei Twitter-X an und habe seitdem über 42.500 Tweets (jetzt Posts) abgesetzt, ohne auch nur einmal gelöscht oder gesperrt zu werden. Ich möchte nicht noch einmal so viel Zeit investieren, um wieder zu entdecken, dass Rechtslibertäre Regeln nicht entwickeln, sondern zerstören.

Daher bitte ich um Verständnis, dass ich mir derzeit keine Präsenz auf BlueSky vorstellen möchte. Ich möchte lieber bloggen, podcasten, weitere eBooklets und vielleicht dann auch mal wieder Bücher schreiben. Mich reizt die Tiefe mehr als die Reich-Weite. Von Lanz & Precht lässt sich doch lernen, dass manchmal weniger mehr ist – gerade auch für alternde, weiße Männer wie mich.

Ich bleibe also auf Twitter-X, solange ich muss. Und reiche das Tässle Kaffee im Fediversum vor allem zur Wasserkrise, solange es Interessierte berührt. Aber in den libertären “Himmel” zieht es mich bis auf Weiteres nicht.

Danke für Ihr, für Dein, für Euer Verständnis.

 

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

16 Kommentare

  1. Danke für diesen informierten Beitrag.
    Ich möchte die Gelegenheit nutzen und hier einmal etwas bewusst Kontroverses bringen. Es geht um Hass-Posts und ähnliches, dass auf Social-Media Plattformen erscheint. Mir scheint, diese zu veröffentlichen muss nicht in jedem Fall falsch sein. Vor allem dann nicht, wenn die Posts Konsequenzen für die Absender haben. Dann lernen nämlich alle anderen etwas dazu.
    Beispiel: Ein Dozent aus CH, Bern hatte auf X geschrieben, der Hamas-Überfall sei das beste Geschenk, das er vor seinem Geburtstag bekommen habe. Die Konsequenz war, dass er seine Stelle verloren hat. Und das scheint mir durchaus richtig.

    Wirklich falsch und gefährlich ist es, wenn Hass-Posts absolut keine Konsequenzen haben. Das Problem ist wahrscheinlich das, dass eben Hass-Posts gar nicht die Ausnahme sind, sondern dass sie recht häufig sind, weil die Schreiber ein grosses Mitteilungsbedürfnis haben und sie jede Platform, die sich ihnen bietet, nutzen.

  2. Guten Morgen, Sie haben mir viel zum Nachdenken gegeben, manches belastet. Das geht mir auch mit dem Thema so.
    Wenn ich meinen moralischen Kompass nehme, kann ich nicht bei Bluesky bleiben.
    Von Mastodon fühle ich mich jedoch mehr und mehr ausgeschlossen. Ich verstehe die vielen Begriffe nicht, da ich von Technik, Informatik etc. nichts verstehe. Zumindest Interesse dafür sollte man mitbringen, will man hier mitmachen.
    Twitter ist für mich erledigt, und ich werde meinen Account deaktivieren. Aber Twitter hat mir in den letzten drei Jahren Teilhabe ermöglicht an Social Media und mich mit Menschen sowohl persönlich als auch virtuell verbunden, die ich sonst niemals getroffen hätte.
    Mastodon in seiner ganzen Komplexität wird mir diese Teilhabe nicht möglich machen.
    Wenn ich dies um 4.30 Uhr an einem Sonntagmorgen schreibe, bedeutet das, dass ich mir viele Gedanken mache, wie richtiges Handeln für mich persönlich aussehen könnte.
    Zum Thema Bluesky: Ich habe anfangs keinen Wechsel zu dieser Plattform vorgehabt. Es gibt Menschen, die mich und meine Inhalte dabei haben wollten. Das hat mich sehr gefreut und berührt.
    Bei Mastodon würde mich niemand vermissen.
    Ich bleibe im Fediverse (obwohl schon der Begriff mir unverständlich ist) und warte die Entwicklung ab. Auch die von Bluesky.
    Mithelfen, die Plattform zu verbessern, kann ich nicht und es kommt auf mich auch nicht an.
    Bittere Erkenntnisse!

    • Vielen herzlichen Dank für Ihren konstruktiven und tiefen Druko (Drunter-Kommentar), @Marie H.!

      Auch in meinem engsten Umfeld habe ich beispielsweise Menschen, die von Podcasts zutiefst begeistert sind – und andere, die damit überhaupt nichts anfangen können. Ich glaube also, dass es zur menschlichen Verantwortung gehört, immer wieder einen persönlich passenden Medienmix zu entwickeln, der zugleich zur eigenen Gefühlswelt passt, aber eben auch monistische Qualität bietet.

      Das ist schwer, ja, und es wird uns auch nicht immer – und nicht allen – gelingen. Aber Ihr Kommentar unterstreicht, wie viel medienethisches Potential in uns steckt!

      Auch dafür von Herzen Dank!

  3. Was mir insgesamt Angst macht, dass bei mir der Eindruck entsteht, dass es immer mehr Schwurbler und Co. gibt, die man nicht mit Fakten überzeugen oder beeinflussen kann, die sich Ihre eigene Realität zurecht basteln und verbiegen, wenn die Fakten nicht passen.
    Richtig ist natürlich gegen solche Beiträge vorzugehen, aber dies greift nicht an der Wurzel dieses Übels an.
    Es gibt Tage, da denke ich, ein darwinistischer Ansatz ist die einzige Möglichkeit, z.B. für Covid19 Leugner Gebiete zu schaffen, wo sie ohne Maske, Impfung etc. nach ihrem eigenen Willen leben können bzw. dann konsequenterweise sterben werden. Moralisch sehr fragwürdig aber eine bessere Antwort fällt mir derzeit nicht ein.

    • Hallo Herr Hopp,
      Haben Sie ernsthaft im Oktober 2023 über Maskengegner gesprochen? Ihnen ist schon bewusst das es schon lange keine Maskenpflicht mehr gibt?
      Ihnen ist schon bewusst das es aufgearbeitete zusammenhänge zwischen Maske tragen und inzidenz gibt?
      Ich bin geimpft und wünsche keinem Impfgegner den Tod durch darwinischtische Auslese.
      Diese eindimensionale Erlaubnis nur eine Meinung zu äußern ist genau der Punkt an Gleichschaltung an dem die DDR scheiterte und heute die Alternativen Zulauf erhalten… F

    • Nach meinem aktuellen Kenntnisstand gehört Jack Dorsey immer noch dem “Board of Directors” von BlueSky an – und hielte zudem auch Anteile.

      An Updates aus bitte seriösen Medien-Quellen bin ich jedoch jederzeit interessiert.

      • Ja, diese Information habe ich auch. Aber er bekleidet dort keinen relevanten Posten (mehr?). So gesehen kann ich da nicht widersprechen, aber er allein hat Bluesky zwar aufzubauen geholfen, aber ist ansonsten aus dem Tagesgeschäft raus. Klar: das kann schon riskant sein.

  4. Ich wollte ja hier auch noch meiner Verwunderung Ausdruck verleihen, daß ausgerechnet Sie ausgerechnet Mastodon so toll finden.

    Gedankenexperiment, wird nicht passieren: Gesetzt der Fall, das Mammut würde so reichweitenstark und nachrichtenrelevant wie Twitter. Und Herr Weinthal würde dort wieder aufschlagen und seine altbekannten Obsessionen pflegen. Wie wollten Sie den da rausklagen? Wollen Sie gegen alle Mastodon-Instanzen vorgehen? Selbst wenn Sie gegen eine ein rechtswirksames Urteil erlangen und das den anderen zustellen: Was ist mit den deutschsprachigen Instanzen in Österreich und in der Schweiz?

    Telegram hat sich Putin entzogen und nach man munkelt Dubai abgesetzt. Immerhin aber haben die noch eine zentrale Instanz. Apple hat ihnen bedeutet: Wir haben so wunderschöne iPhones und iPads, wir wollen nicht, daß da so häßliche Sachen stattfinden wie der Avocadolf-Kanal. Entweder Ihr filtert den weg, oder wir filtern euch weg, aus unserem App-Store nämlich. Haben sie ein zweites, gerenigtes Telegram für Apple aufgemacht, das meines Wissens auch der der Google Play-store übernommen hat; Original gibt es noch zB auf F-Droid.

    Beim Mammut ist das nicht mehr möglich. Da gibt es keine zentrale Instaanz mehr. Wenn die groß werden, breitet sich auch dort Hass&Hetze aus. Natürlich, wenn ich etwa bei Böhmis det.social bin, kann ich erwarten, daß die mir das nicht zustellen. Damit ist es ja aber nicht aus der Welt.

    • @Alubehüteter

      Selbstverständlich gibt es auch bereits Trolle und Radikale auf Mastodon, nicht selten gar mit eigenen Instanzen. Und was passiert mit ihnen: Sie können gemutet, geblockt und aus demokratischen Instanzen rausgeschmissen werden, radikale Instanzen werden “defederiert”, also von anderen Instanzen abgeschnitten. Das Ergebnis: Auf Basis von dezentraler, überwiegend ehrenamtlicher Arbeit entsteht eine digitale Atmosphäre mit sehr viel weniger Dualismus und Verschwörungsmythen als auf den kommerziellen Portalen. Das ist einer der Gründe, warum ich das Fediversum für eine sehr viel bessere Lösung halte als etwa werbefinanzierte Digitalkonzerne, die letztlich unsere Aufmerksamkeit an Werbekunden verscherbeln und also emotionalisieren müssen. Hier ein Kurzfilm dazu:

      https://www.youtube.com/watch?v=JjyqVyQrSEA

      Medienphilosophisch gesehen befördert also Mastodon stärker den Monismus, wogegen kommerzielle Digitalangebote stärker Relativismus und Dualismus befeuern.

      PS: Einen weiteren Druko von Ihnen konnte ich leider nicht freischalten, da ich keine Kommentare mehr freigebe, die ungekennzeichnete Links enthalten. Mir reicht die Zeit einfach nicht, diese auch noch zu recherchieren und zu ergänzen. Bitte beim nächsten Mal einfach beschriften, dann ist es gut.

  5. Habe gerade einmal testweise ChatGPT gefragt: “Wie definiert Michael Blume das Fediversum?”

    Gebe die Antwort hiermit – durchaus beeindruckt – ohne weiteren Kommentar wieder:

    Michael Blume, ein deutscher Religions- und Politikwissenschaftler, hat eine klare Position zum Fediversum. Er bleibt im Fediversum, insbesondere auf Mastodon, und wechselt nicht zu BlueSky. Hier sind seine Gründe:

    Idealismus und Selbstverwaltung:

    Das Fediversum (Föderiertes Universum) ist eine Plattform, die idealistisch, selbstverwaltet und spendenfinanziert ist.

    Mastodon, eine beliebte Fediversum-Anwendung, folgt den Prinzipien der mehrdimensionalen Wirtschaftstheorie von Elinor Ostrom.

    Reichweite und Sichtbarkeit:

    Blume ist sich bewusst, dass die Reichweite von Mastodon nicht mit Twitter oder BlueSky mithalten kann.

    Dennoch ist er bereit, für mehr Sichtbarkeit keine kostbare Lebenszeit zu opfern.
    Vertrauen und ethische Bedenken:

    Blume hat ethische Bedenken gegenüber BlueSky, das von Jack Dorsey unterstützt wird.

    Dorsey unterstützt den Verschwörungsmythologen und Covid19-Impfgegner Robert Kennedy in dessen US-Präsidentschaftskandidatur.

    Blume möchte seine Zeit nicht einem Rechtslibertären anvertrauen, der noch nicht einmal geklärt hat, wie das Netzwerk finanziert werden soll.

    Digitale Erregung und Zeitinvestition:

    Blume leitet aus der Erkenntnis ab, dass die “Enge der Zeit die Wurzel des Bösen” ist, eine Verpflichtung ab, sich nicht ständig digitaler Erregung auszusetzen.

    Er hat bereits viel Zeit auf Twitter/X investiert und möchte nicht noch einmal so viel Zeit auf einer Plattform verbringen, die von Rechtslibertären betrieben wird.

    Insgesamt bevorzugt Blume das Fediversum und bleibt bei Mastodon, um seine Gedanken zu teilen und mit anderen zu diskutieren.

    Zitat Ende

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