Die Ukraine, die Schweiz, Russland, Deutschland – Weibliche Genera in Staats- und Regionalnamen
In der Philologie der deutschen Sprache (auch Germanistik, Linguistik) gilt eigentlich die Mehrheitsmeinung, dass das sprachliche der-die-das-Geschlecht eines Objektes (das Genus, Mehrzahl: Genera) nichts über das Objekt selbst aussagt. So heißt es der Tisch (m-Genus), aber das Tischbein (n-Genus) und die Tischkante (w-Genus). Und es scheint auch keinen nachvollziehbaren Grund zu geben, warum es im Deutschen die Sonne (w) und der Mond (m), im Französischen aber umgekehrt le Soleil (m) und la Lune (w) heißt. Auch die deutsche Katze (w) ist schon im Französischen le Chat (m).
In diesem Blogpost möchte ich jedoch die Weibliche-Regionalnamen-These vorstellen, die auf einen empirisch verblüffend starken Zusammenhang hinweist: Wenn Staatsnamen, Regional- und Sammelbezeichnungen bezeichnungen weibliche Genera haben wie in die Schweiz (w), die Türkei (w), die USA (w) oder die Ukraine (w) so werden diese verpflichtend ausgesprochen und geschrieben, wogegen sie bei neutralen oder männlichen Genera meist weggelassen werden können: Das Österreich (n), der Iran (m), der Sudan (m) oder das Russland (n).
Als seltene, verpflichtende Nennungen eines männlichen Genus erscheinen “der Vatikan(staat)” und “der Westen”, was eine weitere Spur in das Feld der starken, mythologischen Traditionen legt. Ebenso können etwa Deutschland oder Finnland ohne n-Genus gesprochen und geschrieben werden, kaum aber das Abendland und das Morgenland. Bei Gebirgen und Flüssen wird der jeweilige Genus (der Himalaya, der Rhein, die Rocky Mountains, die Elbe, das Zagros-Gebirge, der Amazonas, der Olymp, der Nil) ebenfalls immer mitgesprochen / -geschrieben.
Gerne möchte ich diese Beobachtung an einem Chrismon-Interview zur interdisziplinären Ressourcenfluch-These aufzeigen, das ich vor Kurzem mit Daniel Friesen führte:
Tweet zum Ressourcenfluch-Interview bei Chrismon.de vom März 2022. Screenshot: Michael Blume
Selbstverständlich hatten Herr Friesen und ich keinerlei bewusste Vorabsprachen über die Genera der bezeichneten Staaten und Regionen getroffen, dennoch ergibt sich der – nachprüfbare – Befund zu Regional- und Staatsnamen:
Russland (n), Saudi-Arabien (n), Irak (m), Iran (m), die USA (W), 2 x Norwegen (n), In den USA (W), das Haus Saud (n), die Niederlande (W), Russland (n), Saudi-Arabien (n), Jemen (m), Irak (m), Iran (m), auf den Iran (m), Kuwait (n), in den Irak (m), Kuwait (n), im Irak (m), der ölreichen Region Kirkuk (W), Russland (n), Venezuela (n), Angola (n), in der Ukraine (W), Afghanistan (n), 2 x der Sowjetunion (W), Moskau (n), die Sowjetunion (W), vom Westen (M), Saudi-Arabien (n), dem Westen (M), Saudi-Arabien (n), Venezuela (n), Angola (n), der Sowjetunion (W), Russland (n), Saudi-Arabien (n), ein Produkt Saudi-Arabiens (n), Moskau (n), Russland (n), in den USA (W), Norwegen (n), die Niederlande (W), die USA (W), Deutschland (n), im Westen (M), Russland (n), China (n), Afghanistan (n), Im Irak (m), Bagdad (n), In Syrien (n), Syrien (n), Die Türkei (W), Die Ukraine (W), China (n), Deutschland (n), 2 x die Ukraine (W), Dagestan (n).
In einfachen Worten: Im Deutschen werden Landschafts- und Sammelnamen emotionaler, mythologischer, weiblicher gesprochen als die neutralen oder männlichen Bezeichnungen vermeintlich „echter“ Macht. Vgl. etwa die Tschechei mit dem Tschechien.
Ausführlicher lautet die (selbstverständlich immer vorläufige) Genera-Regionalnamen-These (GRT) entsprechend:
Im Hochdeutschen werden wenige Staats- und Ländernamen mit einem verpflichtenden, weiblichen Genus versehen, so die Schweiz, die Ukraine, aber auch Regionen wie die Bretagne sowie jene mit -ei-Endungen (die Türkei, die Mongolei, die Lombardei), die Union, die Republik, die Staaten (die USA), die Emirate (die VAE) und -lande. Diese Spezifika der Benennungen verweisen auf das mythologische Gewicht, konkret die im deutschen Sprachraum besonders betonten, mutterrechtlichen Ich-Du-Beziehungen zu Landschaften, Regionen und Mitwelt, die den späteren, zunehmenden Objektivierungen von Landschaften, Reichen (Imperien) und Nationalstaaten (so Frankreich, Vereinigtes Königreich, Deutschland) als Ich-Es-Umwelt vorausgingen. Entsprechend werden auch die Genera von mythologisch besonders aufgeladenen Regionen (der Westen, das Morgenland, der Vatikan) sowie von (häufig weiblichen) Gebirgen, Küsten, Inseln und Flüssen grundsätzlich mitgesprochen und mitgeschrieben.
Hiermit stelle ich die GRT also online zur Diskussion und freue mich auf Ihre Beobachtungen ggf. auch Falsifikationen oder Verbesserungen.
“Die” könnte anstelle eines Genus auch als Plural interpretiert werden,
z. B. “die Vereinigten Staaten von Amerika”. Wie sieht das bei “Vereinigte Arabische Emirate” aus?
Sehe ich auch so, @Tilman Schneider. Es werden weiblich konnotierte, regionale Sammelbezeichnungen: Die USA (aus Staat (n)), die Vereinigten Arabischen Emirate (aus Emirat (n)), die Kanaren (aus Insel (w)). Vgl. auch die Niederlande (Plural) ggü. Deutsch-, Russ- oder Finnland. Wenn eine Vielfalt zu einer regionalen Sammlung im Plural gefasst wird, greift die mythologische Verpflichtung analog zu weiblichen Genera. Auch bei Union oder Föderation, nicht aber bei -reich wie Österreich oder Vereinigtes Königreich. Und auch bei Tschechoslowakei (-ei W), aber nicht bei Jugoslawien (-en n).
Zuerst mal nur ein Detail: bei “die Emirate”, “die (Vereinigten) Staaten” handelt es sich um Pluralformen, da lautet die Form immer “die”, die Männer, die Häuser, die Frauen.
Diese Formen würde ich aus der Studie rausnehmen.
Danke, @Paul Stefan. Mir scheint es relevant zu sein, dass Kollektivplurale (Sammelbezeichnungen) nicht nur wie weibliche Genera geschrieben, sondern auch ebenso wie diese sprachlich verpflichtend werden. Vgl. entlang Ihrer eigenen Beispiele: “Männer wurden eingezogen, um die Ukraine zu verteidigen.” – “Die Burschenschaft traf sich in Häusern.” – “(Die?) Frauen prägen das Ehrenamt in der Kirche.”
Wenn eine Pluralform eine Gesamtheit abdeckt, scheint sie sich in Form und Gewicht dem weiblichen Genera anzunähern. Der Unterschied zwischen “Männer wurden eingezogen…” und “Die Männer wurden eingezogen…” ergibt sich m.E. daraus, dass Ersteres nur eine Teilmenge, Letzteres aber die Gesamtheit bezeichnet. Das finde ich spannend und erklärungsbedürftig – auch, aber nicht nur im Bereich der Regional- und Staatsnamen.
Bezgl. “Männer” und “die Männer” ist der Unterschied nicht ein Teil und bei “die” die Gesamtheit, sondern es ist eher der Unterschied zwischen etwas räumlich oder zählbar definiertem (die Männer, die Tschechei) und etwas undefiniertem (Männer, alle?, die Gesamtheit? oder nur die blonden?) oder allgemeinen Gesamtheit der Dinge/Menschen, die dem Begriff entsprechen. Tschechien ist die Mehrzahl der Tschechischen Gegenden, denn Tschechien ist m.A.n. der Plural von Tschechei. Genauso auch bei Slawien, Slowakien etc.
Der Artikel wird also gesprochen, wenn man etwas bestimmtes meint, und weggelassen, wenn es egal oder die Gesamtheit meint. Also eben umgekehrt, wie Sie es meinten.
Bsp. Die Frauen (= z.B. Feministinnen sind gemeint) sind erzürnt, wenn Frauen (generell, egal welche) benachteiligt werden.
Danke, @Cordula Jakubowski
Einigem kann ich folgen, doch Tschechien 🇨🇿 scheint mir doch ein versachlichender Ich-Es-Terminus zu sein, mit gleichem n-Genus wie bei Österreich 🇦🇹. Bei Tschechei denke ich dagegen an (stärker emotional Ich-Du-gefärbte) Landschaften, die im Falle Österreich durch die Bundesländer abgebildet werden…
So heißt es der Tisch (m-Genus), aber das Tischbein (n-Genus) und die Tischkante (w-Genus).
Das kommt ja wohl daher, dass es zwar “der” Tisch heißt, aber “die” Kante und “das” Bein. Insofern ist der bezeichnende Vorsatz “Tisch” mit seinem Genus irrelevant, ich bin kein Linguist, um zu wissen, ob das immer so ist oder welche Ausnahmen es von dieser Regel gibt.
Ebenso heißt es “das” Land ( also analog “das” Deutschland ), “das” Reich ( also analog “das” Österreich ). Die Mehrzahl wird eben traditionsgemäß mit “die” gebildet, also “die” USA, “die” VAE, “die” Niederlande.
Flussbezeichnungen sind in der deutschen Sprache generell “w” ( wohl aus altem herkommen der weiblichen Flussgeister ) und nur in ganz seltenen Ausnahmen “m”, “der” Rhein ist so eine, das soll dem Vernehmen nach aus der Zeit vor der indoeuropäischen Sprache stammen.
Die Mehrzahl wird in der deutschen Sprache immer mit “die” gebildet und ob dieses Mehrzahl-“die” dem weiblichen Genus-“die” entspricht oder ob es im indoeureopäischen ein eigenständiges Mehrzahl-“die” war und erst im Laufe der Zeit ein dem Genus-“die” angeglichenes “die” geworden ist, weiß ich auch nicht.
Wie dem auch sei, biologisch unterscheiden sich XX und XY doch deutlich – und das seit der Erfindung der Zweigeschlechtlichkeit von ???? Millionen Jahren, bis in die jüngste Vergangenheit war die Arbeitsteilung auch den biologischen Fähigkeiten und Möglichkeiten angepasst und erst in jüngster Zeit seit der Erfindung des Automatikgetriebes, der Servolenkung und der Bremskraftunterstützung ( cum grano salis ) sind fast alle Tätigkeiten von fast allen Menschen körperlich ausführbar.
Das spiegelt sich natürlich auf diese Schnelle nicht in der Sprache und auch nicht in der gesellschaftlichen Realität, in Anbetracht der evolutionären Beharrlichkeit dauert das etwas. Dieses durch Neusprech ändern zu wollen ( “heute vormittag gewollt, heute nachmittag erreicht” ) erinnert nur an den Austausch von Etiketten auf Kisten unbekannten Inhalts.
Es gibt nicht nur die Biologie XX und XY, es sind ja auch nicht alle XX identisch gleich und auch nicht alle XY, jedes Lebewesen ist evolutionär ein biologisches Unikat.
Aber wir haben uns eben gesellschaftlich dazu durchgerungen, dass alle Menschen “gleich” sein sollen, was aber letztendlich nur im Bereich der ebenfalls gesellschaftlichen Welt der Rechtsformen wirklich von Belang und gültig ist. Leider verwechseln wir allzu häufig die Begriffe “Etikett” und “Inhalt”.
Danke, @Karl Maier. Die These zum Beispiel von Jacob Grimm (1785 – 1863), dass sich die Genera an der Biologie orientieren, halte ich tatsächlich für widerlegt. So heißt es im Deutschen ja “die Frau”, aber “das Mädchen” und es wird – wiederum im Kollektivplural – aus “der Bursche” (m) “die Burschenschaft”. Das halte ich für sowohl sprachwissenschaftlich wie mythologisch faszinierend und erklärungsbedürftig.
Bin auch kein Sprachwissenschaftler, aber “Mädchen” ist ja offensichtlich eine Verkleinerungsform, die im Allgemeinen immer neutral “das” ist. (der Rock – das Röckchen, die Frau – das Fräulein etc). Mädchen kommt meines Wissens von “die Maid”.
Ebenso wie „die Frau“, „die Dirne“, aber das „das Weib“, @Thomas Milde? Möchte die Verkleinerungsform gar nicht ausschließen (vgl. der Herr – das Herrchen), sondern nur darauf hinweisen, dass Biologie alleine hier nicht trägt. Wir kommen allenfalls über Mythologien weiter.
Es heißt ja auch “der” Freund, aber eben “die” Freundschaft, weil aus meinem Sprachempfinden es auch die “-schaft” heißt. Im Süddeutschen spricht man beispielweise von “das” Teller und “der” Butter, weil dort das Genus aus dem Lateinischen übernommen wurde – warum es im Hochdeutschen dann zu “der” Teller und “die” Butter wurde …
Ein anderes Beispiel wäre der lateinische Begriff “cella”, der im Deutschen zuerst zu “der” Keller und später zu “die” Zelle geworden ist.
Ich denke, man braucht bei “Sprache” keine irgendwie geartete Mythologie, bis auf wenige Ausnahmen “ergibt” es sich einfach aus dem Gefühl, welchen Artikel man für das Wort wählen muss, wobei bei Dingen, Sachverhalten und Ereignissen der Schluss zu “männlich” oder “weiblich” ( im Deutschen auch: “sächlich” ) oft im Dunkeln des Gehirns und der Sprachgeschichte liegt, ich weiß nicht, ob sich da schon kluge Köpfe nachvollziehbare Gedanken gemacht haben.
Auf alle Fälle halte ich für besser, ein ( “das” ) Unwissen auch so zu nennen und es nicht in einem Geheimnis zu verstecken.
Für mein Empfinden machen wir momentan zu viel werks um das “gender-speak”, es ist ein Etikett, aber es kommt auf den Inhalt an.
Das erinnert mich an einen Spruch aus der Schulzeit, als der Klassenlehrer in etwa so redete und sprach:
}}Sie sind in dieser Klasse jetzt in etwa in dem Alter, wo ich nicht mehr “Du”, sondern “Sie” zu Ihnen sagen muss. Deshalb werde ich ab jetzt nicht mehr “Du Dummkopf”, sondern “Sie Dummkopf” sagen.{{
Oh ja, @Karl Maier – Sprache befindet sich in der Welt der Gefühle, wird also durch Traditionen und Mythen viel stärker geprägt als durch Vernunft.
Und daher überrascht es auch nicht, dass Sie und wenige andere Männer hier lieber nicht über weiblich & männlich kodierte Sprachregeln und -gefühle nachdenken wollen. Dabei „zwinge“ ich Sie doch gar nicht… 🙂
Ich war Ihnen gefolgt bis „Mutterrecht“. Hier begeben Sie sich in Gefilde von seriöser wissenschaftlichen Theoriebildung, Halb- und Pseudowissenschaften, reiner Mythologie und Verschwöungsschwurbel übelster Sorte, da ist Teufels’ Küche gegen ein behaglicher Aufenthaltsort. Vor allem sind so viele Kenntnisse nötig an Philologie (Bachhoven), Marxismus (ohne Engels’ „Ursprung der Familie“ als Rüstzeug kann ich niemanden raten, sich dort hineinzubegeben), Religionswissenschaft (nun, da sind Sie allerdings gut unterwegs), vergleichenden Sprachwissenschaften, bis hin zur feministischen Matriarchatsforschung (weite Teile vollkommen indiskutabel, aber das muß man sich erst einmal erarbeiten), das verschafft man sich nicht hobbymäßig mal.so nebenbei drauf. Spätestens, wenn der Wechsel vom Mutter- zum Vaterrecht auch mit Migrationsbewegungen begründet wird, wird es in Teilen auch äußerst widerlich. Und zwar gleich von mehreren Seiten aus.
Ich rate ab.
Gleichwohl bin ich natürlich neugierig auf den Hintergrund Ihrer Genera-Regionalnamen-These (GRT). Erwartungsgemäß hat mich Google geleitet zu Martin Buber:
Weiteres dann im Link.
Aber wie geht es dann weiter? Wie wird das weitergedacht zu einer eher mutterorientierten Ich-Du- und einer eher väterlich geprägten Ich-Es-Beziehung? Und worin wird hier eine geschichtliche Entwicklung begründet, ein vorher/nacher, ein früher/später: Ursprünglich mutterechtlich regional in persönlicher Beziehung (die Heimat), später abstrakter, objektiver (das (Vater-)Land)? Offensichtlich haben Sie weitere Gewährsmänner, möchten Sie sie uns vorstellen?
Bisher arbeite ich dazu tatsächlich mit Martin Buber, @Alubehüteter. Und möchte nun erst einmal schauen, ob die These trägt, falsifiziert wird oder ob sich aus den Diskussionen und dem Sprachvergleich weitere Erkenntnisse erschließen. Auf Letzteres hoffe ich. Der Versuchung, auf einen Schlag zu viel in die Daten hineinzulesen, möchte ich gerne widerstehen. Wissenschaft ist ja immer eine schrittweise Annäherung an eine fast unendliche Komplexität… (Und ja. das ist Karl Popper. 🙂 )
Echt jetzt, @Alubehüteter? Nicht-empirische Denk- und Diskussionsverbote, weil es am Ende womöglich auf eine Reflektion von Mythen und Geschlechterrollen hinauslaufen könnte? Martin Heidegger wäre da wohl bei Ihnen – aber m.E. aus den völlig falschen Gründen.
Haben Sie Mut zur Wissenschaft, zumal jeder Schritt interdisziplinär diskutiert und überprüft werden kann. Karl Popper lässt grüßen!
https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/wisskon21-karl-popper-und-das-kreuz-der-falsifikation-religion-wissenschaft/
Ermutigende Grüße!
Martin Heidegger ist da übrigens bei mir. Aus den völlig richtigen Gründen. Er hat sich mal mit Indogermanistik beschäftigt, hatte auch da seine Fangemeinde und sich von denen z.B. erklären lassen, was das durch ihm wieder so wichtig gewordene „seyn“ ganz ursprünglich mal bedeutet hat, und hat dann die Finger davon gelassen. Weil er gesehen hat, daß das Thema zu groß ist, zu viel Arbeit, und da menschliches Leben, auch seines, begrenzt ist, entschloß er sich, anderes zu tun zu haben. Ich kann wirklich nur raten, ihm wenigstens da zu folgen, und nicht in die Fuchsbauten der Indogermanistik und Alteuropakunde vorzudringen, deren zahlreiche sind. Nicht wegen irgendwelcher Denk- oder Forschungs-, political correctness-Ge- oder -verboten.
Sie können nicht erwarten, nach einem halben Jahr Schmökern in irgendwelchen Sachbüchern in der Lage zu sein, über Quantenmechanik zu habilitieren. Und auch die Indogermanistik erfordert ein intensivstes Studium.
Ach, und mit Karl Popper kommen Sie hier auch nicht weiter. Dem geht es um Naturwissenschaften, hier geht es um Gewchichtswissenschaften. Jesus hat gelebt, oder er hat nicht gelebt. Da gibt es kein Falsifikationsprinzip: Wir gehen davon aus, daß er gelebt hat, bis uns jemand das Gegenteil beweist. Umgekehrt wurde ein Schuh draus, und wird es im Moment in der revisionistischen Schule der Islamwissenschaften: Wir gehen davon aus, daß Jesus / der Prophet nicht gelebt hat, bis wir das verifizieren können, bis uns Beweise zwingen, anzunehmen, daß da wohl ein Mensch gelebt haben muss, von dem diese Erzählungen ausgehen. Wenn das aber gelingt, dann hat er gelebt. Das ist dann nicht „nach jetzigem Stand der Wissenschaft“, das wird sich auch nicht mehr ändern.
Ebenso hat es die Urindogermanen/Protoindoeuropäer gegeben, oder es hat sie nicht gegeben. Und wenn es sie gegeben hat, dann hat es sie zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort gegeben, sie kommen aus der eurasischen Steppe oder aus dem Baltikum oder aus einem Atlantis, das später das Schwarze Meer bedeckte, oder sie kommen von woanders her. Aber von irgendwo her kommen sie. Eine andere Frage ist, ob wir das je erfahren werden. Bei den Finnougren werden wir es nie erfahren. Ziel ist hier gleichwohl die Verifikation.
Wow, @Alubehüteter – Sie sind offensichtlich erregt, wie es nur durch Emotionen und Mythen geschieht…
Dabei liegt der Unterschied doch auf der Hand: Im klaren Gegensatz zu Heidegger glaube ich nicht an den Kult des isolierten Genies, sondern verstehe Wissenschaft als Erkenntnissuche in interdisziplinären Netzwerken. Ich stelle einen Befund zur gerne konstruktiven Diskussion und bin selbst gespannt, ob und was die nächsten Jahre dazu erbringen. Da gibt es keinen Zwang zur Irrtumslosigkeit, aber eben auch kein Forschungstabu und keine Beschränkung auf „ein Leben“.
Nichts zwingt uns, anzunehmen, daß es jemals dort, wo heute der deutsche Sprachraum ist, jemals Mutterrecht gegeben habe. Die Funde sogenannter Venusfiguren lassen das zwar denkbar erscheinen, mehr aber auch nicht. Was sie bedeuteten, weiß man nicht. Anders sieht das aus bei den Griechen der Antike, da liefern Mythologien und Tragödien haufenweise Belege, daß es solche Gesellschaften wie auch immer einmal gegeben haben muß. Wenn es sie hier gegeben hätte, ist noch weniger aufweisbar, daß es irgendeine ferne Überlieferung davon noch gäbe, und sei es in unserem Sprachgebrauch. Vielmehr macht die Paläogenetik inzwischen sehr wahrscheinlich, daß wir genetisch überwiegend einer steinzeitlichen Population aus der eurasischen Steppe entstammen, von der die Paläolinguistik erweist, daß sie patriarchalisch geprägt ist. Sprachgeschichtlich lassen sich allerdings auch Kontakte zu anderen Kulturen nachweisen, von denen wir z.B. die Seefahrt gelernt haben. Wer die allerdings waren und wie die getickt haben, ob sie mutterrechtlich oder sonstwie verfaßt waren, entzieht sich unserer Kenntnis.
Von daher: Eine nette Geschichte, die Sie da erzählen, aber eben nur dies: Eine Geschichte. Keine verifizierbare Hypothese. Es mangelt an Material, mit dem man das prüfen könnte.
Nö, @Alubwhüteter – Sie überspringen (klassisch mythologisch 😉 ) den Unterschied zwischen Geschichte und deren Mythologisierung. Der Schweizer Wilhelm Tell erweist sich als mythologische Übernahme aus dem dänischen Erzählraum – und hat dennoch starke, historische Auswirkungen gehabt!
In Sprachen lagert sich v.a. Letzteres ab, vgl. auch das schöne, tief mythologisierte Wort vom Einhorn. 🙂
https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/von-nashoernern-einhoernern-ein-detail/
Also, Entwarnung: Gerade auch die Erforschung von Mythen setzt keinen wortwörtlichen Glauben an Wilhelm Tell, Einhörner oder germanisches Mutterrecht voraus. Sie dürfen abrüsten & entdeckungsfreudig werden. 💁♂️
Ich lebe in Deutschland oder anders gesagt in der BRD. Mit oder ohne Artikel ist es ein und dasselbe Land. Meistens meint man mit “Ich fahre nach Holland” “Ich fahre in die Niederlande”. Der Iran ist ein Schurkenstaat, Persien ohne Artikel war uns lieber.
England, Großbritannien, das Vereinigte Königreich – in der Alltagssprache ist da kein Unterschied.
Die Tschechoslowakei gibt es nicht mehr. Bei der Aufspaltung wurde in Deutschland diskutiert ob der Prager Teil Tschechien oder Tschechei heißen sollte. Aber die mythologisch, mutterrechtliche Beziehung hatten wir uns kräftig verdorben. Deshalb heißt es jetzt Tschechien, ohne Artikel.
Es gibt viele küchenmythologische Deutungen, warum Schiffe weiblich sind. In Deutschland hat Wilhelm II dafür gesorgt.
. Bei der Rechtschreibreform 1901 konnte er noch seinen “Thron” retten, als Thür und Thor das “h” verloren.
Sprache hat auch viel mit Macht zu tun.
Danke, @Omnivor! Und, ja, die weibliche Benennung der Bundesrepubliken und Republiken generell betrifft ja alle. Auch aus Österreich und Frankreich werden die Bundesrepublik Österreich und die französische Republik. In “der” Schweiz und “der” Türkei werden dagegen die weiblichen Genera auch dann betont, bevor von der Bundesrepublik Schweiz und der türkischen Republik die Rede ist.
Danke auch für den Hinweis auf den tatsächlichen Sprachwandel von den landschaftlich geprägten -ei-Endungen in Slowakei und Tschechei zu den nationalstaatlichen Bezeichnungen Slowakien (Slowakei?) und Tschechien. Hier spielen tatsächlich Mythen und Mächte klar mit hinein!
Bei Thema Genera müsste man sich bei jedem einzelnen Wort mit der Sprachgeschichte befassen – ich möchte eine Problematik dazu am Beispiel des Wortes ´Butter´ zeigen.
´Butter´ geht auf das altgriechische ´butyron´ zurück (von ´bous´ = Kuh und ´tyron´ = Quark, Käse)
Im Lateinischen wurde daraus ´butyrum´ (Einzahl, Neutra) bzw. ´butira (Mehrzahlform)
Als aus dem Latein die romanischen Sprachen entstanden, wurden Neutra zu Maskulina – le beurre (F), il burro (I) – und im Bayerischen wurde daraus ´der Butter´
Weil aber die -a-Endung der Mehrzahlform ´butira´ ein Merkmal weiblicher Substantive ist, wurde daraus in einigen Teilen Deutschland ´die Butter´
Dieses Beispiel zeigt, dass es sich lohnt, die Sprachwurzeln und die Sprachentwicklung zu beachten
Danke & Zustimmung, @KRichard. Das Thema der Sprachentwicklung bleibt m.E. unglaublich wichtig, zumal es vorbewusst unser Denken und Sprechen prägt. Dass wir im Bereich der Regional- und Staatsnamen offensichtlich Regeln haben, die sich nicht nur auf Einzelfälle beziehen, sondern Muster ergeben, halte ich daher für sehr relevant. Und bin gespannt auf weitere Erkenntnisse dazu.
Vgl. z.B. mit :
-> https://deutsch.lingolia.com/de/wortschatz/laender-nationalitaeten (fast alle Länder(namen) als Neutra, ansonsten gekennzeichnet)
Es gibt ähnliche Aufstellungen für andere Sprachen als die deutsche.
Besondere Regelmengen sind in der deutschen Sprache erkennbar, aber auch Willkür, so muss bspw. der Sudan nicht grammatisch männlich, Taiwan nicht sachlich sein; Vermutung : die Ländernamen sind in der deutschen Sprache meist sachlich, weil ‘das Land’ selbst sachlich ist.
(Warum bei Ländernamen, die grammatisch neutral sind, die unbestimmte Form verwendet wird, der sog. Nullartikel, es heißt ja nicht ‘das Taiwan’ (siehe oben), ist nicht ganz klar, es hängt womöglich mit der Unabzählbarkeit von so gemeinten Entitäten zusammen, es heißt ja auch z.B. nicht ‘der Michael Blume’ (vs. ‘der Webbaer’, Webbaeren sind abzählbar))
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Webbaer
Danke, @Webbaer – Sie haben das besprochene Thema m.E. gut erfasst. Die These dazu ist dann, dass sich das verschiedene Gewicht der Genera aus der – lange mutterrechtlichen & religiösen – Mythologie ergibt. Womöglich wird uns der Sprachvergleich dazu weitere Erkenntnisse erschließen.
Die Vorthese aber dazu wäre, es gebe im deutschsprachigen Raum, oder es habe zumindest gegeben eine mutterrechtliche Mythologie.
Da bin ich mir, @Alubehüteter, noch überhaupt nicht sicher. 1. Können solche Traditionen auch schon vor dem Deutschen, etwa im Indoeuropäischen, bestanden haben. Und 2. geht es um eine sprachliche Tradition, die sich wiederum auch auf mythologische Inventionen beziehen kann. Hier würde ich der interdisziplinären Debatte gerne mehr Zeit geben, statt drauflos zu spekulieren…
Mutterrechtliche Traditionen im Indoeuropäischen? Hm. Dann wissen Sie noch recht wenig über die Problematik, und demzufolge hatte ich Sie zu Unrecht schon ideologisch verortet.
Dann versuche ich mal, mich auf meine Finger zu setzen und Sie in Ruhe machen zu lassen, statt Ihre Reaktanz zu provozieren. Vielleicht werden Sie selber merken, daß Indogermanistik&co ein viel zu großes und viel zu vermintes Feld ist, als daß man da unbekümmert herumstolpern dürfte.
Die Urindogermanen waren Hirtenstämme der eurasischen Steppe, das ist inzwischen paläogenetisch abgeklärt (“Indogermanen Laktosetoleranz” googeln). Insofern waren sie durch und durch patriarchisch. Das älteste männliche Mitglied war das Familien-, Sippenoberhaupt, und was er mit seinen Leuten in seinem umherziehenden Verband machte, ob er seine Kinder schlug, sein Vieh mißhandelte, seine Frau mit Gewalt beschlief, das ging niemanden etwas an. Da hat ihn niemand reingeredet. Ab und an trafen sich solche Oberhäupter zu gemeinsamen Besprechungen gemeinsamer Unternehmungen, wie man beispielsweise Weideland aufteilte, wer wann wo grasen lassen darf; später beriet man gemeinsame Raub- und Verteidigungszüge. Dann geht es aber nur um solche gemeinschaftlichen Unternehmungen; niemand hat das Recht, einen anderen anzusprechen, „hör mal, mir ist zu Ohren gekommen, Du schlägst deine Kinder“. Privatsache. Wenn Sie bei Hannah Arendt lesen, wie sie radikal unterschied zwischen den privaten oikos und der Öffentlichkeit, dann hat das genau diesen Hintergrund. Ebenso, daß Vergewaltigung in der Ehe in Deutschland bis vor kurzem erlaubt war.
Danke, @Alubehüteter. Wenn Sie es so drastisch schildern, läge die Vermutung nahe, dass die Landschaften der Sesshaften als „eroberungswürdig“ & weiblich konnotiert wurden, im Gegensatz zur eigenen „männlichen“ Landnahme. Allerdings finde ich dazu Spekulationen müßig & freue mich auf den konstruktiven, interdisziplinären Dialog!
Guten Morgen, lieber Herr Dr. Michael Blume,
es könnte in puncto grammatisch weibliche Bildung von Ländernamen in medias res gegangen werden, Dr. Webbaer sucht nun im dankenswerterweise bereit gestellten Text den Artikel ‘die’ :
1.) ‘Die Ukraine’ meint, wie viele denken, wörtlich die Grenze (slawisch) des “Rus-Reichs” nach Süden und Westen.
2.) ‘Die Schweiz’ den Namen eines Kantons, der verallgemeinert worden ist, anscheinend zunächst in grammatisch weiblicher Form vorliegend.
3.) ‘Die Türkei’, die ‘Tschechei’, die ‘Slowakei’ u.s.w. eine grammatisch weibliche Angabe über die Leutz, die dort anzutreffen sind; vgl. bspw. auch mit ‘Germania’, ‘Germany’ ist weiblich, ‘Italia’ und so weiter.
Die ‘Bretagne’ meint sozusagen die ‘Britannei’, historisch nachvollziehbar.
4.) Dann gibt es noch die Pluralbildung, die ‘Niederlande’, die ‘USA’, die ‘Emirate’ zum Beispiel.
5.) Und die Wurzelbildung der gemeinten Herrschaftsform : die ‘Sowjetunion’, die ‘BRD’.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Webbaer
Guten Morgen, @Webbaer – genau diesen Bereich gilt es zu erkunden! Warum werden “Leutz, die dort anzutreffen sind” weiblich konnotiert? Doch wohl, weil die Landschaft als bereits vorgegeben gedacht wird! Auch ist der Kanton Schwyz ebenso wenig weiblich konnotiert wie der Kanton Basel-Land. Erst als Sammelbezeichnung (Kollektivplural) wandelt sich Form und Gewicht des Genus zu “die Schweiz”. Das ist doch faszinierend, oder?
Interessant dazu auch ein weiterer, autoritärer Ausraster von Bodo Schiffmann, der angesichts der von Wladimir Putin angeordneten Invasion noch im März nicht etwa Russland, auch nicht die Russische Vielvölker-Föderation attackiert, sondern nur – die Ukraine. Diese sei gar “kein Land”. Das ganze Zitat:
„Die Ukraine ist kein Land! Die Ukraine ist eine geschichtliche, zusammengewürfelte Region, wo Volksgruppen sind, die sich einander nicht grün sind. Es! Gibt! Die! Ukraine gar nicht! Es sind Grenzen, die in der Sowjetunion auf ein Blatt Papier gemalt wurden.“
Hier das Video seines maskulinistischen Rants:
https://twitter.com/MaliFan1804/status/1500881790118023173
Es spricht einiges dafür, dass Wortbildungen für Länder, siehe (3) und (4) weiter oben, den Plural meinen und sich in der Denkfortsetzung der so Meinenden als ‘weiblich’ eingeschlichen hat sozusagen.
Dr. W stimmt hier ja gerne zu : ‘Erst als Sammelbezeichnung (Kollektivplural) wandelt sich Form und Gewicht des Genus zu “die Schweiz”. Das ist doch faszinierend, oder?’, abgesehen von so womöglich ausgehender ‘Faszination’.
Der ‘Kollektivplural’ wird dann sozusagen zu einer weiblichen grammatischen Form, vielleicht meinen und meinten Sie ja so, lieber Herr Dr. Michael Blume, im Kommentariat (Danke für Ihr Re-Feedback, sehr nett!) und in Ihrer Initialnachricht.
—
Dr. Webbaer geht davon aus, dass der hier gemeinte Hominide anfänglich gar keinen Sexus (vs. Sex, lol) kannte.
Sog. Ursprachen meinend, jedenfalls Frühformen der Sprache meinend.
Mit freundlichen Grüßen + weiterhin viel Erfolg
Dr. Webbaer (der sich nun langsam ausklinkt, den zweiten und dritten Absatz Ihrer Reaktion nicht versteht und womöglich auch nicht verstehen möchte)
So steht es bei Wikipedia: „Ein Artikel hat keine eigene inhaltliche Bedeutung“
Das stimmt nur eingeschränkt.
Beispiel : die Frouwe, das war nicht nur eine Geschlechtsbezeichnnung sondern hauptsächlich eine Standesbezeichnung.
Die weibliche Frouwe wurde bis ins 17 . Jahrhundert als das Wib (Weib) bezeichnet.
Zusätzlich konkurriert die grammatikalische Form noch mit dem natürlichen Geschlecht.
…..das Mädchen wusch seine Haare……
das Mädchen wusch ihre Haare……
In der Schule gelten beide Formen als richtig.
Das Neutrum , ausgedrückt mit dem Artikel das, bezeichnet etwas, das aus dem lat. Sprachraum kommt oder geschlechtlich nicht zuzuordnen ist.
Übrigens gibt über die Herkunft des Wortes Wib keine Einigkeit. Möglich , dass es von lat. vibrare= zittern kommt, das würde auch erklären, dass es das Wib heißt.
Das Maskulinum „der“ bedeutet eigentlich der Erste, der Vordere.
Deshalb heißt es der Mann, weil der im Kampfe vorne stand.
Danke, @hwied. Ganz offensichtlich „ringen“ hier also verschiedene, gerade auch Gender-bezogene Mythologien miteinander. Sehr konkret, wenn „das (post-föderale) Russland“ eine Invasion startet in „die Ukraine“.
Es geht hier also nicht um biologische Geschlechter, sondern um deren Mythologien.
Michael Blume,
es geht um Mythologie, noch verständlicher , es geht um die Vorrangstellung.
Was nicht ganz klar wurde, das “Geschlechtswort” beschreibt eben ursprünglich nicht das Geschlecht, sondern die Stellung.
Das untergegegangene Wort frauja = Herr ,war der frauja
Die Frouwe ist die, die dahinter steht.
Sprache kann sehr verräterisch sein.
Mit der Bezeichnung “die Ukraine” wird die Rangfolge schon festgelegt.
Es heißt aber “der Vatikan”. Damit kommt zum Ausdruck wer vorn ist.
Danke, @hwied – ich stimme Ihnen zu! In Mythologie und Sprachgefühl wurden und werden eben immer auch Herr(!)schafts(!)verhältnisse codiert. Und Politik ist ja ganz wesentlich auch ein Sprachspiel.
Wir müssen uns jedoch klarmachen, dass das Nachforschen und Nachdenken darüber auf Widerstände und Ängste treffen wird. Es hat ja schon begonnen…
die USA und die VAE – sind Mehrzahlwörter
off topic
Belarus/Weißrussland hat den Wortbestandteil ´bela´ = weiß. Denn in asiatischen Kulturen werden Richtungen oft mit Farben beschrieben
weiß > Westen > Weißrussland war der westlich gelegene Teil von Russland
Slawische Sprachen gelten als europäisch, Herr Richard K. (Nachname bekannt) – die GRT (die “Genera-Regionalnamen-These”) ist aus diesseitiger Sicht zurück zu weisen.
Das macht abär auch gar nichts, Dr. Webbaer ist, ganz ernst gemeint, dem werten hiesigen Inhaltegeber für seine Originalität, für sein originäres Denkertum, nur dankbar, vgl. bspw. auch mit diesem Text, auf den der Schreiber dieser Zeilen aufmerksam gemacht worden ist :
-> https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/die-venus-figurinen-der-eiszeit-und-ihre-bedeutung/ (Jan. 2010 (!) – nice1)
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Webbaer
@KRichard, 13:55h:
“Weißruthenien”= der westlich(st)e Teil von “Ruthenien” a.k.a. “Ukraina”, was soviel wie “Randlage” (aus St. Petersburger Sicht) bedeutet.
Nennen wir Ruthenium in ‘Ukrainium’ um, oder besser umgekehrt?
Ich möchte es mal aus meiner Sicht bildhaft ausdrücken: Sie suchen da versteckte Eier und finden welche – obwohl keine versteckt waren.
Ich bemühe keine Mythen, wenn ich mein Sprachgefühl befrage, ob der Artikel “der”, “die” oder “das” sein soll, wobei es durchau7s einzelne Begriffe gibt, bei denen ich zwischen zwei Artikeln schwanke. Ob es irgendwie im Gehirn angelegt ist oder in frühester Kindheit durch die Ansprache der Umgebung irgendein Schema vermittelt wurde, der/das Genus “passt” irgendwie. Klar, bei “sol” denkt man als alter Römer an “sol invictus”, brennend heiß, bei langer Bestrahlung schmerzhaft – typisch Mann. Im kalten Germanien umhüllt die Sonne und wärmt den Leib, eben “typisch” mütterlich weiblich – oder so.
Wenn wir uns als “der” Arzt einen Mann vorstellen, so ist das einfach eine lange Tradition, ob diese sinnvoll sei oder nicht, ist ein anderes Thema. Extrapolieren wir mal in die Zukunft, wenn wir aus langjähriger Erfahrung “wissen”, dass ein “Arzt” sowohl m als auch w sein kann, dann können wir auch “der” Arzt sagen und dann kommt eine Frau oder ein Mann – und niemand wundert sich. Ich wundere mich ja auch nicht, wenn ich “der” Stuhl sage – ich stelle mir dann keinen Mann vor, ebenso nicht bei “der” Schrank, der doch aber quasi mütterlich die Kleidung umhüllt …
Wir könnten uns auch darauf einigen, in jedem Fall “das” Arzt zu sagen, wenn wir nicht auf das biologische Geschlecht des/der “Arztierenden” abheben wollen. Ich bemängele beim “gender-speak” den Umstand, dass wir erst mal dezidiert auf die Unterschiede ( “… Leser und Leserinnen …” ) hinweisen, um dann im zweiten Schritt darauf zu verweisen, dass wir doch alle “gleich” seien – nein, wir sind es eben nicht, nur vor dem Gesetz, was aber bei der Lesekompetenz nicht das primäre Thema ist.
Die “Umstands-speak-Formen” ( ” … Lesende …” ) sind auch nur eine Wortakrobatik, ein verzweifelter Versuch, quasi einen Kreis zu quadrieren, weil Leserinnen oder Leser eben nicht stets “Lesende” sind.
Und das ist ja noch nicht das Ende der Fahnenstange, wir haben inzwischen auch noch “divers” und bevor ich irgendeine Bezeichnung vergesse zu erwähnen, höre ich hier einfach auf, es möge sich jeder/jede/jedes erwähnt fühlen.
Jeder Mensch ist ein biologisches Unikat, irgendwo in der genetischen Normalverteilung verortet, die Normalverteilung ergibt für die Mittelwerte der biologischen Präsenz zwei Gipfel , die wir “m” und “w” nennen. Vor dem Gesetz und in den meisten Gegebenheiten der Gesellschaft sind alle gleich ( sollten es sein ), es gibt zwei unterschiedliche Wege da hin, einen schweren im Kopf und einen plakativen in der Sprache.
Ein Beispiel für Sprachregelung schwebt mir vor Augen: Einhundert Jahre ( ~ 3 Generationen ) sozialistische Umerziehung haben es in der Sowjetunion auch nicht vermocht, den Glauben an einen Gott verschwinden zu lassen.
Ach, @Karl Maier: Wenn wissenschaftliche Debatten Ihre fragile Männlichkeit so sehr herausfordern – warum machen Sie nicht einfach etwas Anderes? Ja, Wissenschaft deckt auf, wie es zu “Traditionen” einschließlich von Sprachformen und Geschlechterrollen gekommen ist und macht diese damit bedenkbar. Das unterdrücken zu wollen und dazu am Schluss noch mit der Sowjetunion und Gott zu kommen ist – schwach.
Ich möchte bei Ihnen ungerne negative Gefühle wecken. Also lassen Sie diejenigen von uns, die sich ernsthaft für Wissenschaft interessieren, hier einfach machen. Meine Güte – Ihnen tut niemand was, ich bin kirchlich aktiv und möchte keine Sowjetunion…
Guten Abend @ Herr Blume,
ich werfe, müde werdend, einen anderen Gedankensplitter ein: in den semitischen Sprachen gibt es einen status absolutus und constructus, in vielen indoeuropäischen eine Definit- und Indefinitform.
Könnten die Orts- und Ländernamen (Toponyme), die ja teilweise vorindogermanisch sind, ihr – scheinbares – grammatikalisches Geschlecht nicht durch irrtümliche Angleichung (Volksetymologie) dieser Sprachsysteme an ein grammatikalisches Geschlecht bekommen haben? Dazu kommt der Dual, der noch gar nicht berücksichtigt wurde, aber bei Ortsnamen auch eine Rolle spielt.
Bei Flußnamen weiß ich definitiv, dass sie in manchen Ländern den Artikel, aber nicht das grammatikalische Geschlecht geändert haben.
Danke, @Joachim Fischer. Ja, einen solchen Sprachwandel halte ich grundsätzlich für möglich – wobei er für sich genommen ja gerade nicht das besondere “Gewicht” der weiblichen Genera erklären würde. Wenn wir also schon sprachwissenschaftlich bis ins Vorindoeuropäische zurückgehen, dann wären wohl auch mythologische Strukturen zu berücksichtigen.
Den – leider noch verbreiteten – Begriff der “semitischen Sprachen” lehne ich freilich ab, da er auf antisemitische Mythen des 19. Jahrhunderts zurückgeht. Nach jüdischer Auslegung stehen Sem und Japheth weder für Sprachen noch gar für “Rassen”, sondern für Alphabete. Aber das wurde hier auf dem Blog ja schon oft genug thematisiert:
https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/1860-sprach-steinthal-von-antisemitismus/
Ihnen Dank, dass Sie trotz Müdigkeit noch konstruktiv kommentiert haben!
Das werden Sie in den meisten Fällen knicken müssen, mangels Material. Wir werden nie erfahren, ob die Stadt Athen nach der Göttin benannt ist oder umgekehrt. Weil uns keine Sprachen mehr überliefert sind, aus denen man „Athena“ sinnvoll etymologisch deuten könnte.
Es grüßet ermutigend Sie die Minerva, oh Alubehüteter! 🙂
Nur eine Verständnisfrage @Michael Blume
Was soll an der philologischen Bezeichnung “semitische Sprachen” vgl. auch wikipedia s.v. https://de.wikipedia.org/wiki/Semitische_Sprachen?msclkid=60627878b50611ec93f06d270b058b5c problematisch sein? Vor allem weil nun Sprache ja überhaupt keinen Bezug zum biologistischen Konzept der “Rasse” hat. (Evolution von Sprachen verläuft eher nach Lamarck als nach Darwin)
Die Mehrzahl der Sprecher dieser Sprachen sind übrigens gar keine Juden*.
Zu Recht sind die Sprachwissenschaften auch von der sachlich falschen Begrifflichkeit von „japhetitischen“ und „hamitischen“ Sprachen weggekommen, @Joachim Fischer. Ausgerechnet die antijüdischen, sprachwissenschaftlichen Traditionen werden jedoch bis heute weiter tradiert, einen Link dazu gab ich ja.
Wer den biblischen Noah-Mythos sogar ohne jede Berücksichtigung der jüdischen Auslegungen missbraucht, wählt auch wissenschaftlich eine schiefe Bahn. Ich lehne sowohl das Gerede über semitische „Rassen“ wie auch „semitische Sprachen“ daher klar ab.
Aber wie nennen wir zukünftig, was wir bislang „semitische Sprachen“ genannt haben? Es gibt diese Sprachverwandtschaft/-Gemeinschaft nun mal.
Die sog. „semitischen Sprachen“ sind schon jetzt als Teil der afroasiatischen Sprachfamilie entschlüsselt. Für den Missbrauch des mythologischen Namens gibt es längst keine Gründe außer der (problematischen) Tradition mehr.
@Michael Blume
Da kann ich leider gar nicht mitgehen, denn ausgerechnet das Argument der semitischen Sprachen ist eine meine stärksten Waffen gegen Antisemitismus im Unterricht. (Dann weise ich darauf hin, dass wichtige Begriffe der Wirtschaft aus einer semitischen, nämlich der arabischen Sprache, kommen, z.B. Tarif, Girokonto und schon sind antisemitische Klischees wirkungsvoll widerlegt) Die afroasiatische Sprachfamilie ist zu groß, um damit im Unterricht arbeiten zu können. Ich habe auch – außer von Ihnen – noch keinerlei Bedenken gegen diese Bezeichnung gehört.
Volltreffer, @Joachim Fischer – wenn Sie Juden und Araber über die Sprachen implizit als „Semiten“ präsentieren, die erst einmal im europäischen Unterricht ihren historischen Nutzen beweisen müssen, dann widerlegen Sie antisemitische Stereotype nicht, sondern tradieren diese. Denn Fremde soll man(n) nicht töten, solange sie nutzen – oder war da noch mehr?
Aber selbst wenn wir das Juden-&-Araber-waren-nützlich-Argument pragmatisch gelten lassen wollten – so beziehen sich Ihre Beispiele doch gerade nicht (!) auf gesprochene, sondern auf geschriebene Sprache – auf die Übersetzung semitischer in japhetitischer ALPHABETE! Nicht Gene, sondern Buchstaben begründen die Tradition, die Sie eigentlich würdigen wollen!
Doch Sie haben sicherlich Recht, dass so etwas in unserer Akademia nur wenige stört. Die NS-Eingriffe in die Buchstabiertafel haben ja auch Jahrzehnte kaum Sprachwissenschaftler:innen gestört. Wir hinterfragen unsere Traditionen sehr ungerne – vor allem nicht, wenn wir uns über vermeintlich „Fremde“ und insbesondere „Semiten“ erheben können.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ihr Kommentar war sehr illustrativ & Sie meinen es ganz sicher gut. Es macht mir keine Freude, Sie zu (ver-)stören. Aber ich hoffe, Sie wollen auch ehrliche Antworten lesen…
Ja, aber – Wie nennen wir sie denn jetzt? Diesen „Teil der afroasiatischen Sprachfamilie“?
Scheint doch irgendwie mit Herr und Herrschaft zusammen zu hängen: die Herrin. Mit Frausschaft geht das nicht.
Viele Ländernamen haben keine Genera-Zuordnung, da seine Bewohner sowohl männlich wie weiblich sein können oder damit geographische Gegebenheiten bzw. Mehrzahlbegriffe beschrieben werden:
Russ-Land = Land der Rus, Nieder-Lande = niedrig gelegenes Land, Weiß-Russland = im Westen gelegener Teil von Russland, Deutsch-land, Frank-reich.
Vereinigte Staaten
Zur Endung -ei
https://www.wortbedeutung.info/-ei
Ich hätte da eine andere Erklärung: Länderbezeichnung werden im Deutschen i.d.R. mit Artikel verwendet, ausgenommen das Land ist sächlich und wird im Satz ohne beschreibendes Adjektiv verwendet. Beispiel: In Spanien – im (i.e. in dem) südlichen Spanien.
Die Frage, warum einige wenige Länder ein von Neutrum abweichendes Geschlcht besitzen lässt wohl nur eingeschränkt beantworten – siehe den Kommentar von “KRichard 04.04.2022, 08:54 Uhr”. Die hier erwähnte Endung -ei erzwingt im Deutschen das Femininum als das grammatikalische Geschlecht. Das scheint so tief in der Sprache zu stecken, dass sogar Gebietsbezeichnungen wie “Transkei”, bei denen diese Herleitung nicht greift, im Femininum verwendet werden.
Meines Wissens (vielleicht kann das jemand mit entsprechenden Sparachkenntnis bestätigen oder negieren) gibt es ein vergleichbares Phänomen auch im Spanischen: “En Espana” versus “En el Peru” (diakritische Zeichen bitte hinzudenken)
Ja, @mlb – genau dieser Befund soll doch erklärt werden! Zumal noch das interessante Phänomen dazukommt, dass sachliche Genera regelmäßig wegfallen, männliche Genera (mit mythologisch aufgeladenen Ausnahmen wie „der Vatikan“!) wegfallen „können“, diese aber bei weiblichen Genera und analogen Kollektivpluralen („Sammelbezeichnungen“) verpflichtend bleiben. Das geht weit über zufällige Schwankungen hinaus…
Mir fällt gerade kein Beispiel ein, wo männliche Genera wegfallen können: es heißt doch immer noch “im Irak/Iran” (im = in dem) – für mich ist das nur eine der üblichen “Verwirrungen” der Sprachentwicklung: Nur im Fall der sächlichen Landesbezeichnungen ohne beschreibendes Adjektiv entfällt der Artikel – klingt für mich wie eine “Abkürzung” in der Sprache für die bei weitem häufigste Form- alternativ könnte hier das (für mich als Süddeutschen verwirrende) Prinzip angewandt worden sein, Eigennamen prinzipiell ohne Artikel zu verwenden.
Vgl. hierzu auch mein Beispiel aus dem Spanischen: Hier werden die im Femininum stehenden Landesbezeichnungen ohne Artikel verwendet – kan auch hier als Abkürzung für die “Standardform” gesehen werden.
Ja, @mlb: Doch männliche können im Gehensatz zu weiblichen Genera weggelassen werden. „Iran und Sudan tauschten sich aus.“ geht, doch „Ukraine und Schweiz tauschten sich aus.“ geht nicht. Hier müsste es „Die Ukraine“ und „die Schweiz“ heißen.
Daran sieht man, dass es bei der Sprachgerechtigkeit noch Einiges nachzuholen gibt. Männliche und neutrale Genera bei Staatsnamen sollten auch immer verpflichtend sein.
Ich glaube nicht, dass man unsere Sprache irgendwie mythologisch oder rational erklären kann. Die Sprache war in ihrem Ursprung zu verschieden (Dialekte), regellos und zufällig, der Artikel nicht nötig oder uniform. Frühen Schriften fehlt der Artikel völlig. Erst unsere Lautschrift scheint den Artikel erfunden zu haben. Aber wer hat dann entschieden dass die “weiblich” zu nennen ist, das “neutral” und der “Männlich” ist? Zudem können wir jeder Sache per Namen ein Geschlecht geben und so “mythologisch” Eigenschaften der Namensquelle zuschreiben. Am Anfang waren einfach unterschiedliche Worte für unterscheidbare Dinge. Kuh, Stier, Kalb, Rinder. Könnte man mit dem Artikel das Geschlecht des Tieres beschreiben, wären unterschiedliche Bennennungen nicht nötig gewesen. Mit der Kuh wäre ein Stier gemeint, mit die Kuh eben die Kuh. und für viele diverse Kühe hätte man wohl einen extra Pluralartikel erfinden müssen.
Müssen wir eigentlich im Zuge des Gendern neue Artikel einführen, die Rücksicht auf die LGBTQIA+ Gemeinde nehmen? Hat ein Transgender kein Recht auf einen eigenen Artikel?
Weil die sprachliche Entwicklung keiner wirklichen Logik folgt, sondern Grammatik nur der Versuch und das Ergebnis von einigen Sprachpionieren ist, einer zufällig entstandenen Sprache nachträglich eine Ordnung zu geben, sollte man sich nicht an der Sprache abarbeiten. In meinen Augen nicht sinnvoller als klingonisch oder elbisch nachträglich zu gendern.
Im Deutschen wäre ich eher für eine Abschaffung der Artikel. Ansonsten muss man doch für jedes Objekt überprüfen, ob eine Zuordnung als männlich, weiblich, neutral, nicht auch schon diskriminierend und logisch begründbar ist.
Der Tisch muss doch die Tisch heißen, weil der Tisch wie eine Landschaft ist oder ist er das Tisch, weil der Tisch eine Sache ist? Wie klingonisch zu lernen, kommt mir darüber nachzudenken, als Zeitverschwendung vor.
Danke, @Adam Gutwein. Was auch immer die Zukunft aus dieser These machen wird, so werden die Forschenden doch lesen, wieviel Emotionen und auch Ängste sie hervorrief. Sprache besteht eben nur zu einem kleinen Teil aus Rationalität – sie, ihre Geschichte zu erforschen, erfordert Mut…
Mir war vor Jahren mal ein amerikanischer Journalist im Presseclub aufgefallen, der ziemlich konsequent „the“ wiedergegeben hat mit „der“. „Wir mussen der transatlantische Bundnis neu denken.“ Schriftlich sperrt sich uns sofort was, aber mündlich kam er damit verblüffend gut durch.
Dagegen etwa sprächen das Erzgebirge, das Siebengebirge, das Voralpenland, das Rheinland. Die sollten dann ja ähnlich ursprünglich als ich-Du-Welten angesprochen werden, tun sie aber nicht.
Nein, @Alubehüteter – ich würde das doch auch dem heutigen Frankreich nicht absprechen, sondern von sprachlichen Überlagerungen ausgehen. Und also überprüfbar davon, dass die von Ihnen genannten Benennungen im Durchschnitt jünger sein dürften…
Der römische Sonnengott Sol war männlich während Sól (altnordisch für die persofizierte Sonne) und Sunna (altsächsisch) als weiblich angesehen werden. Die deutsche Sonne lässt sich aus dem altnordischen oder altsächsischen Sól/Sunna ableiten während das italienische (sole), spanischen/portugiessische (sol) und franzöische “solei” auf das lateinische sol(is) zurückgeht. Entsprechendes ist zu finden für Luna (Mondgöttin in der römischen Mythologie) und Mani (Mondgott in der nordgermanischen Mythologie). Das klingt durchaus “rational” und hat ebenso mythologische Wurzeln.
Obzsön wird es allerdings, wenn man an das niederländische “zonnetje” denkt, da es neutral ist und weder durch das Eine noch das Andere herleitbar ist aber dennoch auf das gotischen “sunno” zurückzuführen sein soll. In diesem Kontext relevant ist, dass bis zum 7. Jahrhundert “nur” 500 Wörter aus dem Lateinischen im Germanische entlehnt wurden. Diese Wörter betrafen jedoch ausschließlich Bereiche, für die es im Germanischen keine Entsprechung gab (wie. z. B. Militär-, Handels-, Verkehrs, Verwaltungs- und Finanzwesen) während das Vokabular romanischer Sprachen stärker durch das Vulgärlatein geprägt wurde. Besonders augenscheinlich ist, dass Zugehörige romanischer Sprachen (insbesondere Spanisch und Portugiesisch) das Weltgeschehen durch Abenteuerlust und Erorberung bestimmten.
Die Entwicklung der romanischen Sprachen sowie des Deutschen führen klar vor Augen, dass sie teilweise durch unterschiedliche Einflüsse geprägt wurden. Reste des lateinischen Neutrums sind in romanischen Sprachen (Italienischen, Spanisch) durch einen unregelmässigen Plural durchaus vorhanden!
Natürlich gibt es reichlich Anekdoten rund um die Entstehung von Begriffen, gerade was die Bezeichnung von “Völkern” angeht. Mir fallen spontan zwei “europäische Volksstämme” ein, deren heutiger Name auf Beleidigung oder Herabsetzung fußen: Interessanterweise berichteten deutsche und österreichische Geschichtsschreiber das erste Mal von der Swiz oder der Sweiz. Einem Mythos um die Entstehung der “Schweizer” zu Folge bezeichneten sich die Eidgenossen aus purem Trotz als Schweizer nachdem sie im Schwabenkrieg 1499 als Schweizer beschimpft wurden. Das Wort Swiz/Sweiz geht hierbei möglicherweise auf den alemannischen Stammesführer Suito zurück. Man darf nicht vergessen, dass das Schweizerdeutsch den alemannischen Dialekten zuzuordnen ist.
Des Weiteren geht entsprechend einer Legende der Begriff der “Deutschen” auf einen Sprachfehler der “lispelnden Deutschen” zurück, stellt somit eine Verballhornung des “thiota” dar, welches sich in der gotischen Bibelübersetzung des Bischofs Wulfila aus dem 4. Jahrhundert befindet. In Italien wird man als Deutscher manches Mal damit verhöhnt, dass der Begriff “tedesco” dem Wesen nach eigentlich eine Herabsetzung darstellt 😉
Danke, @Martin Schmidt! Den starken Kommentar werde ich mir noch einige Male genauer anschauen!
Das Sie Ihre These ja quasi zum “Peer-review” freigegeben haben, werde ich (Historische Linguistin) diese mal genauer unter die Lupe nehmen.
Überprüfen wir zunächst folgende Annahme:
“Wenn Staatsnamen, Regional- und Sammelbezeichnungen weibliche Genera haben wie in die Schweiz (w), die Türkei (w), die USA (w) oder die Ukraine (w) so werden diese verpflichtend ausgesprochen und geschrieben, wogegen sie bei neutralen oder männlichen Genera meist weggelassen werden können: Das Österreich (n), der Iran (m), der Sudan (m) oder das Russland (n).”
Die Evidenz hierzu sieht folgendermaßen aus:
1) (der) Iran, (der) Irak, der Vatikan, (der Sudan), der Tschad (usw.)
2) die Türkei, die Lombardei, die Mongolei, die Schweiz, die Ukraine
3) die Vereinigten Staaten, die Vereinigten Arabischen Emirate, die Niederlande, die Balearen, die Philippinen, die Färöer
4) Deutschland, Russland, Island, Finnland, Norwegen, Schweden, Angola, Kenia, Ägypten, Venezuela, Chile, Brasilien, Belgien, Armenien (usw.)
Wie Sie auch beobachtet haben, unterscheiden sich die ersten drei Gruppen von der letzteren. Und zwar besteht der Unterschied nicht etwa darin, dass das jeweilige Genus “verpflichtend ausgesprochen wird”, sondern darin, dass die ersten drei Gruppen mit dem bestimmten Artikel stehen, die letze Gruppe aber nicht.
Hierzu noch ein kleiner Exkurs zur Genusmarkierung im Neuhochdeutschen:
Das Neuhochdeutsche ist eine flektierende Sprache. Das bedeutet, ein Suffix kann mehrere Dinge auf einmal markieren (im Gegensatz zum Türkischen z.B., das eine agglutinierende Sprache ist, wo ein Suffix auch nur eine Funktion hat). Wenn wir uns das Beispiel nhd. junges Pferd anschauen, sehen wir, dass –es gleichzeitig Nominativ (Kasus), Singular (Numerus) und Neutrum (Genus) markiert. Ebenso ist Pferd Nominativ, Singular und Neutrum. In der Formulierung ein Pferd oder das Pferd ist sein Genus genau das gleiche (nämlich Neutrum) wie in Pferd.
Ich kann verstehen, warum sie zur Annahme gelangen, dass mithilfe des Artikels Genus markiert wird. Bei den meisten Wörtern im Neuhochdeutschen lauten die Endungen in den verschiedenen Kasus gleich und nur die Artikel haben einen Unterschied in ihrer Kasusmarkierung (und Genusmarkierung) bewahrt. Wenn also der (bestimmte) Artikel neben einem Wort (wie z.B. Pferd) erscheint, dann sieht es so aus, als würde der Artikel Genus und Kasus des Wortes anzeigen. Das ist leider ein grober Fehlschluss, da der Artikel das Bestimmtheit ausdrückt (ich rede über das Pferd, nicht ein Pferd).
Der Hauptunterscheid zwischen die Schweiz und Österreich ist also, dass Schweiz mit einem bestimmten Artikel steht und Österreich nicht. Was ist nun die Systematik hinter den Gruppen, was unterscheidet die Gruppen mit bestimmtem Artikel von der ohne?
1) In der ersten Gruppe sind die Ländernamen, die mit dem bestimmten Artikel stehen und maskulin sind: der Vatikan, der Iran (…)
2) In der zweiten Gruppe befinden sich feminine Ländernamen mit bestimmtem Artikel. Diese lassen sich auch noch weiter differenzieren: die Ländernamen auf -ei (Türkei, Lombardei, Mongolei) gegenüber denen ohne -ei (Schweiz, Urkaine). Das Suffix -ei bildet Abstrakta (vgl. Heuchelei, Bäckerei, Staffelei, usw.) (dieser Prozess nennt sich übrigens Derivation). Abstrakta auf -ei sind feminin (ebenso wie z.B. alle Diminutive auf –chen Neutra sind: Mädchen, Bürschchen, Tierchen).
3) In der dritten Gruppe sind Pluralbildungen: die Vereinigten Staaten, die Balearen, die Niederlande. Auch diese Gruppe lässt sich weiter aufteilen. Für die Vereinigten Staaten lässt sich das Genus eindeutig als Maskulinum bestimmen (vgl. der Staat ~ die Staaten). Die Niederlande sind Neutrum, da hier ein Kompositum aus Nieder– und Land– besteht, wobei das Hinterglied ausschlaggebend für die Flexion des Wortes ist (das Land ~ die Lande; mit veraltetem Plural, der im Neuhochdeutschen durch Länder analog nach Mann ~ Männer ersetzt worden ist). Neben den Ländernamen, für die sich ein Genus bestimmen lässt, da sie auf Lexemen beruhen, die im Singular belegt sind, gibt es auch solche, die nur im Plural vorkommen, wie z.B. die Balearen. Wörter, die nur im Plural vorkommen, bezeichnet man als Pluraletantum (vgl. die Leute). Oft ist die Genusbestimmung für diese Wörter schwierig, da der bestimmte Artikel im Plural für alle drei Genera gleich lautet: die (m.) ~ die (n.) ~ die (f.). Das ist eine rezente Erscheinung des Neuhochdeutschen. Im Mittelhochdeutschen lauteten sie noch die (m.) ~ diu (n.) ~ die (f.) und im Althochdeutschen de (m.) ~ diu (n.) ~ deo (f.).
4) Alle Ländernamen, die hauptsächlich ohne den bestimmten Artikel erscheinen. Diese Gruppe bildet die bei weitem größte Gruppe. Alle diese Ländernamen sind Neutra: Österreich, weil das Hinterglied des Kompositums Neutrum ist, ebenso alle Ländernamen auf –land.
Ihre oben genannte, auf einem Fehlschluss beruhende, Annahme muss also folgendermaßen angepasst werden:
“Wenn Staatsnamen, Regional- und Sammelbezeichnungen weibliches Genus haben wie in die Schweiz (w), die Türkei (w) oder nur im Plural vorkommen wie die Vereinigten Staaten (m) so stehen diese immer mit dem bestimmten Artikel, wogegen sie bei neutralem oder männlichem Genus meist weggelassen werden können: Das Österreich (n), der Iran (m), der Sudan (m) oder das Russland (n).”
Wie ich den Kommentaren entnehmen kann, zählen Sie die Pluraliatanta (wie die Vereinigten Staaten) zu den Feminina. Zu dieser Annahme gelangen Sie offensichtlich, weil im bestimmten Artikel im Plural das Genus nicht unterschieden wird (s.o.) und er genauso lautet, wie der Artikel im N.Sg.f. die. Wenn dem so wäre, dass die Pluralformen als Plural Femininum Formen von den Sprechenden analysiert werden, würde ich auch in “normalen” Lexemen einen Genusübertritt von Maskulinum/Neutrum zu Femininum erwarten, da ist die Situation exakt die gleiche: die Gabe ~ der Gabe ~ die Gaben ggü. der Rabe ~ des Rabes ~ die Raben. Würde die Raben als Nominativ Plural Femininum interpretiert, wäre zu erwarten, dass sich dies auf den Singular überträgt: die Gaben ~ der Gabe : die Raben ~ X (X = G.Sg. der Rabe). Diese Analogien finden aber nicht statt. Das bedeutet, Sie können die Pluraliatanta nicht als Evidenz für ihre “GRT” heranziehen.
Ländernamen, die einfach nur eine Nominalphrase mit einem näher bestimmten Simplex sind (die Vereinigten Staaten, die Europäische Union, die Dominikanische Republik), taugen auch nicht als Evidenz für Ihre These, denn auch die Neutra stehen in ebensolchen Bildungen mit dem bestimmten Artikel: das graue Deutschland, das graue Italien, das graue China.
Die Bildungen auf -ei können ebenfalls nicht als Evidenz in Betracht gezogen werden, da sie aufgrund des Suffixes feminines Genus haben. Ansonsten müssten sie mir das mythologische Gewicht von Schlemmerei, Staffelei, Bäckerei, usw. erklären.
Nun zur Ihrer sog. “Genera-Regionalnamen-These”:
“Diese Spezifika der Benennungen verweisen auf das mythologische Gewicht, konkret die im deutschen Sprachraum besonders betonten, mutterrechtlichen Ich-Du-Beziehungen zu Landschaften, Regionen und Mitwelt, die den späteren, zunehmenden Objektivierungen von Landschaften, Reichen (Imperien) und Nationalstaaten (so Frankreich, Vereinigtes Königreich, Deutschland) als Ich-Es-Umwelt vorausgingen.”
Über welchen Zeitraum sprechen Sie hier in etwa? Das Deutsche ist nämlich seit der Mitte des 8. Jahrhunderts belegt. Und einige Regionalnamen lassen sich sogar auf einen späturindogermanischen Ursprung zurückführen. Wenn ihre These stimmen würde, müssten die ältesten Regionalnamen größtenteils Feminina sein und die neusten Neutra. Was übrigens im 10. Jahrhundert schon belegt ist, ist ostarrîchi ‘Österreich’, ein Neutrum. Natürlich ist ostar-rîchi nur ein Neutrum, weil das Hinterglied rîchi ‘Eingrenzung, Reich’ Neutrum ist. Dazu passt nicht ganz, dass wir mit die Schweiz und die Ukraine sprachgeschichtlich gesehen relativ junge Regional-/Ländernamen mit femininem Genus haben.
Meine fachliche Einschätzung Ihrer These ist folgende: Die These basiert auf Fehlschlüssen und ad-hoc Annahmen. Sie ist nichts weiter als reine Spekulation und absolut nicht haltbar.
Wenn Sie eine These über die Sprachgeschichte aufstellen, sollten Sie diese auch mit Daten aus der Sprachgeschichte – sofern diese vorhanden, und für das Deutsche haben wir eine sehr gute Datenlage, was die Geschichte der deutschen Sprache angeht – untermauern. Ich halte es für einen groben methodischen Fehler, auf Basis von Daten aus der Gegenwart, Mutmaßungen über die Sprachgeschichte anzustellen.
Falls Sie weiterhin Interesse an Linguistik haben, würde ich Ihnen dringend empfehlen, Einführungen in die Allgemeine und Historische Linguistik zu besuchen. Vielleicht können Sie dann in Zukunft grobe (methodische) Fehler vermeiden. Alleine das Sprechen der deutschen Sprache befähigt Sie leider nicht, linguistische Analysen korrekt und gemäß den wissenschaftlichen Standards durchzuführen.
Wow, vielen Dank, liebe Frau Rennert! Nachdem auf Twitter ja einige sehr herablassende Einwürfe vorgebracht wurden, freue ich mich über die spannende und überwiegend konstruktive Rückmeldung, die ich mir gerne sehr genau anschauen werde!
Sehr beeindruckt bin ich jedoch – gerade was den Antisemitismus angeht – von der Performance der bisherigen “Allgemeinen und Historischen Linguistik” nicht. Wenn ich schon sehen muss, dass die Aufarbeitung antisemitischer Stereotype zum Teil bis heute verschleppt wird… (Und ganz klar, dafür sind Sie nicht verantwortlich!)
https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/1860-sprach-steinthal-von-antisemitismus/
…oder dass offensichtlich keiner der sprachwissenschaftlichen und linguistischen Verbände in Deutschland und Österreich es einmal in Jahrzehnten für nötig befand, sich um die NS-Eingriffe in die Buchstabiertafel zu kümmern…
https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/verschwoerungsfragen-43-buchstabiertafel-ab-heute-entnazifiziert/
…dann freut und ermutigt mich Ihr Interesse an diesem Blog wirklich sehr, geehrte Frau Rennert!
Ich hoffe, Sie bleiben weiterhin dran und freue mich, mehr dazu zu lesen!
Ihnen und allen Interessierten von Herzen Dank für das lebendige Interesse und einen schönen Abend! 🙂
Entschuldigen Sie, Herr Blume, aber was ist das denn für eine Art, statt einer konstruktiven Auseinandersetzung mit der zutreffenden Kritik an Ihrem Artikel eine Disziplin zu diskreditieren, um sich dem Diskurs zu entziehen?
Ihre Andeutungen zur Geschichte des Antisemitismus in der Indogermanistik stehen weder in Verbindung zu der von Ihnen vorgebrachten Hypothese noch zu deren Kritik.
Sehr geehrte Frau Wiesner,
ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie auf meinen sehr freundlichen und fairen Kommentar nicht mit nachweislich unrichtigen Unterstellungen reagieren würden. So habe ich mich für die Hinweise ausdrücklich bedankt und den interdisziplinären Diskurs sehr begrüßt.
Lassen Sie es mich auch Ihnen erneut versichern: Auch Sie sind für die teilweise schlimmen und noch wenig aufgearbeiteten Nationalismen und Antisemitismen der deutschen Sprachwissenschaft nicht persönlich verantwortlich und dürfen aus der bereits stärker geschehenen Aufarbeitung anderer Disziplinen gerne auch Zuversicht schöpfen. Konkrete Links und Themen hatte ich ja beigefügt.
Gehen Sie zudem bitte auch davon aus, dass Kolleginnen und Kollegen anderer Fächer längst wissen, dass Kommunikation immer auch Machtausübung ist und sich im 21. Jahrhundert kaum jemand mehr mundtot machen lässt. (Von Theolog:innen ist hierbei vieles zu lernen!)
Stellen Sie sich nur vor: Wegen der Reform der Buchstabiertafel hatte ein professoraler Germanist über die Stuttgarter Zeitung sogar „Prügel“ (!) und ein Scheitern angekündigt!
Bestimmt ahnen Sie schon, dass das nicht mehr wirklich beeindruckt hat. Sprache ist besonders stark von Emotionen und auch Dünkel geprägt, aber die Dinge ändern sich durch Transparenz.
Ich danke Ihnen und allen Interessierten und werde mich schon aus Zeitgründen gerne auf das Freischalten und Beantworten konstruktiver Kommentare ohne Unterstellungen beschränken müssen. Denn über die Gefahren digital entgleisender Kommunikation wissen Sprachwissenschaftler:innen ja sicher schon fast alles. Hier ist nicht der Ort dafür.
Mit erneut konstruktiven und freundlichen Grüßen, Michael Blume
Sehr geehrte Frau Rennert,
nun konnte ich Ihren Kommentar genauer lesen und bedenken und habe mich sehr gefreut. Es ist Ihnen streckenweise gelungen, tatsächlich sachlich und nicht-arrogant auf die Fragen einzugehen, die uns doch gemeinsam faszinieren (könnten). Stellen Sie sich bitte einfach vor, ich würde jedesmal mit den Augen rollen oder Kolleg:innen anderer Fächer abmeiern, die sich zu religionsbezogenen Themen äußern! Wäre das nicht schrecklich? Stattdessen freue ich mich ehrlich über das Interesse an der Religionswissenschaft und versuche, auch zwischen den verschiedenen Sprachspielen Brücken zu bauen. Nennen Sie mich gerne naiv, aber von den Sprachwissenschaften würde ich eine entsprechende Sensibilität für die Möglichkeiten von Kommunikation selbstverständlich voraussetzen.
So schreiben Sie:
Ihre oben genannte, auf einem Fehlschluss beruhende, Annahme muss also folgendermaßen angepasst werden:
“Wenn Staatsnamen, Regional- und Sammelbezeichnungen weibliches Genus haben wie in die Schweiz (w), die Türkei (w) oder nur im Plural vorkommen wie die Vereinigten Staaten (m) so stehen diese immer mit dem bestimmten Artikel, wogegen sie bei neutralem oder männlichem Genus meist weggelassen werden können: Das Österreich (n), der Iran (m), der Sudan (m) oder das Russland (n).”
Ob da ein Fehlschluss vorlag, weiß ich nicht – denn das ist ja genau die Frage, die mich interessiert. WARUM stehen weibliche Genera hier immer “mit dem bestimmten Artikel” (Danke!), “wogegen sie bei neutralem oder männlichem Genus meist weggelassen werden können”? Auf der Ebene der Beschreibung gehe ich gerne mit Ihren Begrifflichkeiten, aber damit ist ja gerade nicht beantwortet, warum weibliche Genera anders “bestimmen” (Stimme! Sprache! Muttersprache?) als neutrale und männliche. Das ist genau die Frage, für die mir mythologische “Gewichtungen” als naheliegend erscheinen.
Wie ich den Kommentaren entnehmen kann, zählen Sie die Pluraliatanta (wie die Vereinigten Staaten) zu den Feminina.
Nein, das tue ich ausdrücklich nicht. Ich wundere mich, warum hier analog “bestimmt” wird, bis in die Verpflichtung hinein. Und ich halte es für möglich, dass hierbei die Fehlannahme zum Tragen kommt, die Sie bei mir vermuten: Dass eben “angenommen” wird, dass bei gleichen Lauten die Gewichtung der weiblichen Genera anzuwenden ist. Dies werte ich als zusätzliches Argument, diese Genera-Unterschiede zu erkunden. (Würde ich hier annehmen, dass es sich um die gleiche Fallgruppe handelt, dann wäre das ja tatsächlich redundant. Die Gemeinsamkeit im Unterschied ist es, die fasziniert.)
Eine Nachfrage: Meint „Pluriatanta“ etwas wesentlich Anderes als „Sammelbegriff“?
Ansonsten müssten sie mir das mythologische Gewicht von Schlemmerei, Staffelei, Bäckerei, usw. erklären.
Oh, das sehe ich tatsächlich gegeben: Auch in den von Ihnen angebotenen Beispielen handelt es sich um Bezeichnungen von Räumen, die durch Tätigkeiten bestimmt werden – das Schlemmen, das Staffeln, das Backen. Das Leben bestimmt die Regionalität – vgl. Bäckerei oder Tschechei -, während etwa der Bäckerladen oder Tschechien funktionaler, beim Ländernamen sogar seltsam “ernsthafter” wirken. Auch “In der Weihnachtsbäckerei…” erzeugt einen auch mythologisch anders gewichteten Vorstellungsraum als “Im Backgeschäft an Weihnachten…” Auch eine – im Schwäbischen noch immer gerne beschworene – Heidenei bezeichnet einen Ereignisraum und nicht zwingend ein abgeschlossenes Heidentum.
Schließlich schreiben Sie:
Natürlich ist ostar-rîchi nur ein Neutrum, weil das Hinterglied rîchi ‘Eingrenzung, Reich’ Neutrum ist.
Das finde ich nun wirklich super-spannend, sogar ein Schlüsselsatz. Warum sei plötzlich eine Reichs-Eingrenzung “natürlich”? Ist nicht Sprache immer (auch) “kultürlich”? Es ist GENAU DIESER SACHVERHALT, der mich interessiert: Wie kommt sogar eine studierte Linguistin auf den kategorischen Fehlschluss, eine bestimmte Genus-Zuweisung sei “natürlich”? Dass es das Reich, das Land, das Volk und das Zepter, aber die Monarchie, die Krone, die Republik, die Föderation, die Demokratie, die Mutter Kirche heißt, kann ich beim besten Willen nicht einfach als “natürlich” gegeben hinnehmen. Jede Staatsform, ja jede gemeinschaftliche Institution ist ein sprachlich-mythologisches, immer wieder heftig umstrittenes Konstrukt – und wenn uns diese als naturgegeben erscheinen (wir sie vielleicht nicht einmal hinterfragen WOLLEN), dann sollte uns das wissenschaftlich doch überaus interessieren! Gar nichts ist am Reich „natürlicher“ als an der Eidgenossenschaft, der Föderation, der Republik. Vielleicht doch eher im Gegenteil.
Dazu passt nicht ganz, dass wir mit die Schweiz und die Ukraine sprachgeschichtlich gesehen relativ junge Regional-/Ländernamen mit femininem Genus haben.
M.E. ist es genau umgekehrt: Dass gerade auch in “neueren” Wortschöpfungen wie “die Schweiz” oder “die Ukraine” solche gefühlten Regeln mit Macht zum Tragen kommen, finde ich sogar noch sehr viel spannender als nur dem Verglimmen alter Traditionen zuzuschauen. Wir sprechen bzw. schreiben hier offensichtlich über Muster, die zugleich Generationen alt und immer noch wirkmächtig sind! DAS lohnt sich m.E. interdisziplinär zu erkunden! Wenn wir in der Religionswissenschaft z.B. Rituale erkunden, dann fragen wir nicht nur nach ihrer möglichst alten Genese, sondern gerade auch ihren heutigen Ausprägungen – z.B. dem Einfluss von Mikrofonen auf die Liturgie. Historische und psychologische Perspektiven wirken hier immer wieder erkenntnisförderlich ineinander.
Insofern danke ich Ihnen herzlich für die vielen, konstruktiven Ausführungen Ihres Kommentars, die mich sehr angeregt und weitergebracht haben. Sehr gerne werde ich auch in Zukunft von Ihnen und anderen, interdisziplinär Interessierten lesen!
Mit Dank und herzlichen Grüßen!
Dr. Michael Blume