Demografie & die Archen – Die Niederlagen der Demokratie in Russland, Ungarn und Serbien

Es war prognostiziert und tritt ja nun leider auch ein: Der Zerfall der sog. “Russischen Föderation” und Rückzug der russischen Armee geht mit unfassbaren Massenmorden an Ukrainer:innen wie in Buchta einher. Doch noch am gleichen Wochenende siegten die Pro-Putin-Rechtspopulisten Viktor Orban (Ungarn) und Aleksandar Vucic (Serbien) in zwar nicht fairen, aber doch allgemeinen Wahlen.

Auch hierfür liegt die Erklärung wieder bei der – noch immer zu oft verleugneten – Macht der Demografie: Dort, wo es an jungen Menschen mangelt und die Weltoffenen auch noch in großer Zahl abwandern, gibt es kaum Chancen auf eine wirklich demokratische Entwicklung. Stattdessen “igeln” sich die alternden, überwiegend nationalistischen Milieus in antiliberalen und nicht selten antisemitischen Verschwörungsmythen ein. Sie tendieren zu einem Freund-Feind-Dualismus in eine zunehmend “geschlossene Gesellschaft” (Karl Popper), in dem die “westliche Welt”, die die Familien aufgelöst und die jungen Leute weggelockt habe, als “Feind” erscheint.

Kachel aus Hossa Talk #184 zu “Rückzug oder Kreuzzug?” und der Kreuz-Metapher von Karl Popper. Screenshot mfG: Michael Blume

In Rückzug oder Kreuzzug?” (Patmos 2021) hatte ich entsprechend bereits die Prognose (S. 122 / 123) formuliert:

“Dagegen werden gerade bildungsorientierte Monistinnen und Monisten die dualistisch und also schlecht regierten Regionen der Welt zunehmend verlassen – wie es heute schon nicht nur etwa aus dem Irak und Iran und Afghanistan, aus der Türkei und aus dem Südsudan, sondern auch aus Belarus, Venezuela und Ungarn der Fall ist. Die die Realitäten verleugnenden, dualistischen Regime werden durch den Wegzug dieser Reformkräfte eher noch stabilisiert, aber auch immer schlechter befähigt, den Gefahren der Klimakrise zu trotzen. Nach meiner Prognose gehen wir auf eine Welt zu, in der sich regionale, monistische und multireligiöse >Archen< mit kleineren, aber weiseren Kirchen gegenüber zurückfallenden, ja aussterbenden Regionen behaupten.”

Unsicher bin ich mir freilich noch im Hinblick auf die “weiseren Kirchen”, nachdem sich auch der “mitteldeutsche”, evangelische Bischof Friedrich Kramer wieder in unerträglicher und zynischer Weise vor dem Tyrannen Putin niederwarf und der Ukraine sogar noch das Recht und Waffenlieferungen zur Selbstverteidigung absprechen wollte. Ich wäre ja wirklich gerne in einer Kirche, die nicht jedem Tyrannen der Vergangenheit und Gegenwart eilfertig nachlaufen würde und “kritischen Mut” auch mal gegenüber Diktatoren und Massenmördern und nicht nur gegenüber Demokratien, Parlamentsarmeen und Verfolgten aufbringen würde. Aber nach dem auch militärischen (!) Sieg über Putin wird es dafür ggf. wieder fein formulierte “Schuldbekenntnisse” geben. Wenn Kirchenfunktionäre aus der Geschichte einfach nicht lernen möchten…

Aber, klar, auch die Kirchen sind – gerade auch in “Mitteldeutschland” – von Abwanderung und Austritten von Monist:innen längst massiv betroffen. So erklären sich dann auch zunehmend relativistische EKD-Stimmen mit Herablassung gegenüber liberalen Demokratien und tiefem Verständnis für Wladimir Putin und andere Gewaltherrscher…

Für die nahe Zukunft gehe ich also nicht mehr von einem Erfolg von “Nation Building” aus und hoffe, dass die Europäische Union wenigstens ihre Geldzahlungen vom Erhalt demokratischer Mindeststandards abhängig macht. Menschen werden sich inmitten von Kriegen, Klimakrise, Hunger und Hitzemorden in immer weniger liberal regierte Regionen – “Archen” – zurückziehen, während immer größere Regionen der Welt demografisch und dualistisch verebben, teilweise sogar unbewohnbar werden.

Die anhaltende Zuwanderung stabilisiert immerhin auch die – demografisch ebenfalls bereits schrumpfenden – liberalen “Arche”-Regionen wirtschaftlich und demokratisch, führt jedoch zu einer wachsenden Polarisierung zwischen immer weniger und immer reicheren Erbengenerationen einerseits und den durch Zuwanderung wachsenden, ärmeren Schichten andererseits. Unsere noch immer sehr “ständischen” Bildungssysteme sind darauf noch nicht ausreichend vorbereitet. Auch hier droht also die liberale Mitte zu schwächeln. Immerhin: Die beschleunigte Abkehr von fossilen Energien und Massentierhaltung reduziert den Ressourcenfluch. Und wenn auch noch viel zu wenig, so wurde im Klimaschutz doch immerhin einiges erreicht:

Kirchen und Religionsgemeinschaften schrumpfen durch Geburtenmangel und Austritte ebenfalls rapide und werden zunehmend nur noch als “die Kirche” bzw. “die Religionen” wahrgenommen. Und ich habe nach wie vor nicht den Eindruck, dass sich Politik und Medien, Kirchen und Religionsgemeinschaften bereits ausreichend auf die oft unangenehmen Erkenntnisse von Wissenschaft einlassen wollen

Wir zahlen im 21. Jahrhundert den Preis für das 20. Jahrhundert der Gier und der falschen, dualistischen und relativistischen Ideologien…

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

19 Kommentare

  1. Bezüglich Wahlen sollten wir uns nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Bei der letzten Bundestagswahl gab es hier in Berlin massig Ungereimtheiten (auffällig viele ungültige Stimmen, über 100% Wahlbeteiligung in mehreren Wahlkreisen usw.) ohne dass das irgendwelche Konsequenzen zur Folge gehabt hat.

    • @Peter Müller 13.47h
      Hast Du Anzeige erstattet? Nö, vermute ich mal.
      Das schöne an den Wahlen war, das die AfD in Berlin massiv reduziert wurde.
      Wegen ihrem Covidiotismus und weil die Wahlbeteiligung sehr hoch war.

  2. Die alten Kirchen wozu die russisch orthodoxen und eben auch weite Teile der deutschen evangelischen Kirche gehören unterstützen die alten (Unterdrückungs-)Systeme, weil sie konstitutive Bestandteile dieser Systeme sind. Wenn Friedrich Kramer genau dasselbe sagt wie Richard David Precht ( der in seiner Jugend ein DDR-Begeisterter war), nämlich, dass Europa zusammen mit Russland einen gemeinsamen Sicherheitsraum aufbauen muss und dass es nur zusammen mit Russland Sicherheit in Europa geben kann, nicht gegen Russland, dann zeigt er, dass er in altem Denken gefangen ist, in einem Denken, in dem Russland immer noch eine Grossmacht ist und es deswegen mehr Rechte als andere Länder hat, selbst innerhalb Europas. Ich sehe das völlig anders. Für mich hat sogar Weissrussland das Recht als souveränes Land aufzutreten und die Zeit des russischen Imperiums ist für mich abgelaufen.
    Wer das nicht so sieht verteidigt eine alte Ordnung, die nie gut war und die nicht weiter bestehen kann.

    • Neue Kirchen gibt es womöglich nicht ( sofern Dr. Webbaer nicht ganz anders bewerben soll, i.p. Satanismus zum Beispiel >:-> ), insgesamt rät Dr. Webbaer an realpolitisch zu bleiben und Ländern mit ABC-Waffen, China und Russland sind mitgemeint, nicht besonders aggressiv gegenüber zu treten.
      Mit freundlichen Grüßen
      Dr. Webbaer (der gerne als ‘alt’ bezeichnete Ordnung vertritt)

  3. @Zitat Rückzug oder Kreuzzug

    „Nach meiner Prognose gehen wir auf eine Welt zu, in der sich regionale, monistische und multireligiöse >Archen< mit kleineren, aber weiseren Kirchen gegenüber zurückfallenden, ja aussterbenden Regionen behaupten.“

    Archen hört sich als kleine Minderheit an. Wir können in exclusiven Weltgegenden ein gutes Gefühl damit haben, dort vollen Klimaschutz zu realisieren, wenn sich der aber auf exclusive Regionen beschränkt, bringt das der Welt ziemlich wenig.

    Wenn mehr nicht geht, dann geht es eben nicht. Dennoch würde ich es versuchen. Wenn sich durch entsprechende Fortschritte im Zubau von EE die Preise so günstig entwickeln, dass das zum Selbstläufer wird, dann geht es eben so herum.

    Der Mangel an jungen Menschen scheint mir hier tatsächlich ein wesentlicher Teil des Problems zu sein, und gleichzeitig sehr vorteilhaft zu sein. Ein vorbildlich ökologisch eingestellter Mensch braucht immer noch mehr Ressourcen als einer, der gar nicht erst geboren wurde.

    Begrüßen wir also einfach die Entwicklung, freuen uns auf innovative florierende Regionen und ein zusätzliches Nachlassen jeder Ressourcenknappheit durch allgemein schrumpfende Bevölkerungsbelastung.

    Das Grundprinzip, dass junge fitte Menschen woanders hinziehen, das haben wir allerdings schon öfter gehabt. Gerade die generelle Landflucht, oder der Zuzug in Industriegebiete, der durch den unwiderstehlichen Sog freier Arbeitsplätze entsteht, das ist nun wirklich nichts Neues.

    Einerseits ist hier das generelle Weltwirtschaftswachstum in Gefahr, andererseits mag sich das Kapital notgedrungen jetzt noch armen Ländern zuwenden, und dort investieren, um überhaupt noch die Möglichkeit haben, weiter zu wachsen.

    Ohne Wachstum drohen Überflusskrisen, als Entschärfung würde ich Vermögens- und Erbschaftssteuern empfehlen, zumindest soweit Investitionen in noch arme Länder nicht reichen.

    Hier bieten sich zunächst Länder ohne Ressourcenfluch an, die nebenbei offen für liberalere Verhältnisse sind. Die anderen müssen wohl warten, bis die Energiewende fertig ist.

    Praktischerweise fangen wir bevorzugt mit den Ländern an, die noch ein ungutes Bevölkerungswachstum haben. Je weniger Menschen auf der Welt leben, desto einfacher ist es, im Einklang mit der Natur zu leben. Das ist nun ganz technisch bedingt, jenseits aller Moral und jenseits aller wirtschaftlicher Zusammenhänge.

    Und ich würde auch empfehlen, hier bei uns Verschwendung abzubauen. Wenn man z.B. mit guten Radwegen zu deutlich weniger Privat-PKW kommt, hilft das neben dem Umwelt- und Ressourcenvorteil sogar Arbeitsstress abzubauen. Wenn wir bevölkerungsmäßig genug geschrumpft sind, dann haben wir mit weniger Arbeitsbelastung auch gleich mehr Luft, wieder normal Kinder großzuziehen.

  4. ‘Niederlagen’ hat es womöglich (in Ungarn und Serbien) weniger für die ‘Demokratie’ gegeben, sondern für den Globalismus / Internationalismus, der dem Nationalistischen entgegen steht.
    Zwischen Globalismus und Nationalismus ist aus diesseitiger Sicht ein Mittelweg zu suchen, es gilt sich hier nach Güterabwägung einzuordnen, es darf Ungarn (das Volk ist gemeint), Serben, Deutsche und Juden geben, es darf jeweils auch so politisch gewählt werden, dass wie gemeinter Erhalt möglichst sicher gestellt bleibt.
    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Webbaer

  5. Moin, @MB, mir scheint Sie brauchen eine treffende Metapher.

    Zumindest in Kreisen der “Rationalisten” (ein interessantes Völkchen, aber das ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden) kennt man aus der Physik das “evaporative cooling”.

    https://www.lesswrong.com/posts/ZQG9cwKbct2LtmL3p/evaporative-cooling-of-group-beliefs
    erneut gepostet unter
    https://www.greaterwrong.com/posts/ZQG9cwKbct2LtmL3p/evaporative-cooling-of-group-beliefs
    (Wem das Englisch zu mühsam ist: kurz durch Google Translate jagen — lohnt sich!)

    Die deutsche Wikipedia ist bei “Verdampfungskühlung” leider erbärmlich knapp, die englische hat mehr:
    https://en.wikipedia.org/wiki/Evaporative_cooler#Physical_principles

    “Evaporative Cooling” hat natürlich nur bei den naturwissenschaflich Interessierten Traktion, aber vielleicht regt es Sie an, ein einfacheres Bild für dasselbe Prinzip zu suchen. Z.B. sowas:

    Im Sportverein wandern die Besten ab in einen semiprofessionellen Zusammenschluss, und dann verliert der Verein paradoxerweise gegen den Nachbarort der *weniger* leistungsfähige Spitzenleute hat (die aber dageblieben sind), weil nun die Durchschnittsleistung der Mannschaft dort höher ist (sonst gleiche Leistung vorausgesetzt).

    ^^^ Muss verfeinert werden, ich kenne mich mit Sport-Organisation nicht so aus. ^^^

    Oder so.

    Das Spiel geht auch in umgekehrter Richtung: Wenn ich immer meine schlechtesten Klamotten ausrangiere, steigt die Durchschnittsqualität meiner Kleidung und über die Zeit hinterlasse ich einen gepflegteren allgemeinen Eindruck bei anderen.

    Was mir noch so einfällt:

    Jeder *Brain Drain* bringt mit sich eine *Superstition Sedimentation* (und hinterlässt ein *Superstitious Sediment*) — das enthält auch einen Anklang an die stattfindende Verfestigung/Verhärtung.

    Wenn in einer dunklen Halle jeder eine Kerze hat, und dann die mit den hellsten Kerzen den Ausgang finden, haben es die zurückbleibenden noch schwerer, hinauszufinden. Sie können nicht mal mehr die ganze Halle ausleuchten, drängen sich zusammen, und leuchten nur einen kleinen Flecken hell aus; den Rest sehen sie gar nicht mehr, und schon gar nicht den Ausgang.

    Noch nicht gut genug; machen Sie was besseres draus!

    • Nachtrag: Homöopathie-Anhänger, Impfgegner, Ostdeutschland und die AfD, … Immer auch evaporative cooling aktiv.

      War es Tolstoi der die Radikalisierung einer Terroristenzelle so beschrieben hat, dass man das E.C. erkennen kann?

      Aus Fridays for Future lösen sich gerade die Moderaten heraus (zu gemäßigt für das Canceln wegen einer falschen Frisur), die die Brücke zur breiten Gesellschaft bilden könnten — es sieht nicht gut aus für die Zukunft der Bewegung. Gut gekühlt, Leute! /s

    • Danke, @Noch‘n‘Wort – das nenne ich mal konstruktives Kommentieren! 😊

      Schon als ich zu Demografie-Debatten gegen das sachlich falsche und damit unsägliche „Aussterben“ das präzisere „Verebben“ setzte, haben mir das nicht alle gedankt… 💁‍♂️
      https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/schrumpfung-aussterben-verebben-gesundschrumpfen-wie/

      Aber, ja, auch in der Causa Rentierstaatstheorie – Ressourcenfluch ließ sich die „Macht der Begriffe“ ja spüren…

      • Ich bin auch mit “Verebben” unzufrieden. Das Wort wird auf aktiv-dynamische Vorgänge angewandt, nicht auf (ziemlich statische) Quantitäten. Applaus, Geschrei, evtl noch ein Gespräch verebben, oder eine Flutwelle, aber nicht das Benzin im Tank (außer der Autor will ohne Rücksicht auf Verluste seine Originalität demonstrieren), oder die Kekse in der Dose (die verdunsten, auch durch geschlossene Deckel 🙂 ).

        In der Demographie haben Sie mindestens diese drei verschiedenen Perspektiven:
        – Absolute Abnahme (“Weniger Fussballfans in Deutschland”)
        – Relative Abnahme (“Unter den Freunden der Ballsportarten ist der Anteil der Fussballfans kleiner geworden, viele von ihnen lieben jetzt Handball)”
        – Aufweichung der Abgrenzung (“immer mehr Fussballfans mögen auch andere Ballsportarten; Handballer entdecken den Spass am Fussball”)

        Mir fällt kein Wort ein das alle drei abdecken kann und dabei noch griffig wäre. Dann bleibt nur die Option, drei Worte jeweils mit genauer Beachtung des Kontextes (welche der drei Bedeutungen) zu verwenden.

        – Gruppe “wird kleiner”, “schrumpft”; zusammengefasste Individuen “werden weniger”; “ihre Zahl nimmt ab”
        – “Anteil der X an Y nimmt ab” (fast wie die absolute Größe, nur eben bezogen auf eine Gesamtheit)
        – “X nehmen jetzt auch Y auf”, “X dürfen jetzt auch Z”, in extremis “X gehen auf (oder: werden aufgesogen) in ABC”.

        Hier einen einheitlichen Slogan oder Begriff oder eine Metapher zu finden … das würde wohl krampfig wirken und damit nicht mehr greifen.

        Macht der Begriffe — die Kunden der Werbeindustrie zahlen gut dafür.

        • Ja, @Noch‘n‘Wort – doch genau deswegen habe ich Verebben gewählt. Weil jede demografische Bewegung aus Abertausenden von Entscheidungen besteht, wie die Tropfen einer Welle. Fast scheint mir der Begriff noch zu harmlos für die Tiefe der Fragen darunter, z.B. die Anthropodizee.

  6. Es nervt echt, genau an der Grenze zwischen Steinzeit und Star Trek zu leben und auf der öden Seite zu sein: Die Zukunft ist da, doch noch ist nichts gebaut, alles nur als Konzept und Grundriss vorhanden, man hat die Enterprise vor seinem geistigen Auge, doch mit den zwei anderen sieht man gerade mal einen Typ, der mit dem Faustkeil einen Eisenhammer formt. Und es nervt noch mehr, wenn Star Trek davonfliegt, weil alle ihre Keulen rausholen und die paar Schmieden kurz und klein hauen.

    Zumindest für die katholische Kirche ist die Demokratie immer nur ein Zwischenschritt zum Kathofaschismus. Der Rechtspopostaat, den sie in Polen aufbaut, unterscheidet sich nicht wesentlich von ähnlichen Staaten und Versuchen in Italien, Spanien, Frankreich, Lateinamerika oder Quebec. Polen war schon vieles in seiner Geschichte, darunter auch die größte der italienischen Stadtrepubliken; es hat Italien und der katholischen Kirche viel zu verdanken – leider auch seinen Untergang, denn der Papst ist weit weg, hat ganz andere Interessen und war stets gern bereit, seine fernen Schäfchen vom Rand der Erdscheibe zu schubsen, wenn’s ihm gerade nützte.

    Natürlich ist ganz Osteuropa von Putins Minimes überrannt, die Faschismus mit Lokalkolorit aufbauen, Lukaschenko, Kaczynski, Orban, ein Symptom des globalen Wirtschaftskollaps, bei dem Macht und Reichtum zur Spitze der Pyramide gesaugt werden. Demokratie heißt, eine satte Mehrheit unterdrückt eine hungrige Minderheit. Diktatur heißt, eine satte Minderheit unterdrückt eine hungrige Mehrheit. Wenn Sie die nötige Wirtschaftsleistung haben, kann Demokratie entstehen, wenn Sie sie nicht haben, wird Diktatur entstehen. Da können Sie echt nix machen. Außer Wirtschaft nachbessern.

    An der demokratischen Tyrannei der Mehrheiten würde ich noch feilen, doch das ist vermutlich ein Fall fürs nächste Update. Wo die Demokratie wohl aus dem Grab kriechen wird? Afrika? Südamerika? Südasien? Russland? Ist nicht so absurd, wie es sich anhört – alle Staaten Flach-Osteuropas haben eine demokratische Tradition, die Russen die Republiken Pskow und Nowgorod, der Rest Polen-Litauen – die zwei größten Demokratien Europas, die Russen haben das Kondom mehr aufgeblasen, die Polen & Co mehr reingesteckt, ob Volumen oder Masse einen zum Größten machen, kann man sich aussuchen. Eine große osteuropäische Vielvölker-Republik, ob innerhalb der EU oder neben ihr, ob gegen Moskau oder mit Moskau, wäre zumindest ein netter Gegenentwurf zu Moskaus nationalistisch-religiösem Imperialismus und den ewigen Blutfehden der Zwergstaaten. Osteuropäer sind Kriegerclans, wie Schotten, Paschtunen oder Araber, nur größer. Es ist ihnen überaus wichtig, sich gegenseitig zu zerfleischen und bei jedem Schlachtfest das Schwein zu sein, doch es gehört zu den guten Sitten in der Geschichte, dass es solchen Stämmen irgendwann zu viel wird und sie sich vereinen. Wäre Russland nicht Russland, wäre mir sogar egal, wenn es das tun würde, immer noch besser, als die ewigen Gemetzel als Rache für die ewigen Gemetzel als Rache für die ewigen Gemetzel. Aber Russen können nicht herrschen und kompensieren das durch Grausamkeit, ihre Herrschaft i s t ein ewiges Gemetzel. Eine freiwillige, demokratische Einigung wäre viel besser. Man könnte es Intermarum nennen, den Vorschlag gab’s schon mal, dann blieb man aber lieber klein und schwach und zerstritten und dumm, rief sich dadurch Hitler und Stalin ins Haus und ließ sich rösten. Heute sehen wir das Remake: Quiek, kleines Schweinchen, quiek!

    Nur die Wirtschaft, die Wirtschaft… Unter den heutigen Bedingungen würde das gleiche Oligarchen-Kleptokratenparadies herauskommen, wie überall auf der Welt. Oder?

    In der Ukraine läuft das Wirtschaftswunder der Hölle: Menschen, die ein gemeinsames Ziel als grobe Vorgabe haben, die Mittel, es anzustreben und Hoffnung, es zu erreichen, entwickeln unglaubliche Tatkraft und Kreativität. So wurde Amerika aufgebaut, aber auch Europa nach dem Krieg. Würde Putin Deutschland überfallen, würde uns schnell einer vorrechnen, dass das Leben im Gulag billiger und umweltfreundlicher sei und wir würden uns sofort ergeben, unter der Bedingung, dass er uns garantiert, und auch ganz sicher alle dorthin zu verfrachten. Wir sind halt zu fett zum Überleben.

    Geld ist Energie, und Effizienzdenken, Kosten-Nutzen-Rechnung, bedeutet, sein Ziel erreichen zu wollen, ohne sich allzu viel zu bewegen. Dementsprechend wurden bei uns in letzter Zeit sämtliche Neuaufbrüche im Keim abgewürgt, wie bei einem Fettsack, der beim Versuch, joggen zu gehen, schon ins Schwitzen gerät und aufgibt, bevor er sich von der Couch erhoben hat. Immer wieder das Gleiche – die Bonzen kommen angerannt, halten die Hand drauf und auf und lassen kein Zucken zu, bevor sie nicht dicke geschmiert wurde, die Bürokratie will ihr Dasein rechtfertigen und nervt mit Gebühren und Vorschriften, die Kosten werden auf den Schwächsten im System abgewälzt, das heißt, auf den Steuerzahler, der sie nur noch auf den Steuerzahler von Morgen abwälzen kann – da unsere Großeltern und Eltern das aber auch so gemacht haben, merken wir inzwischen schmerzlich, dass der Steuerzahler von Morgen wir oder unsere Kinder sind und haben gleich keinen Bock mehr. Dann kommt einer mit der Kosten-Nutzen-Rechnung, brüllt was von „Kein Geld! Viel zu teuer!“ und wir plumpsen auf die Couch zurück und lassen Herz, Lungen und Knochen vom eigenem Gewicht zermalmen. All die Masse, die wir mit unserer Energie aufgebaut haben, können wir mit unserer Energie kaum noch bewegen. All unsere Kraft geht ins Bremsen, nicht Vorankommen. Wir haben lebenswichtige Organe und Muskeln verbrannt, um fett zu werden, wir haben alles verlernt außer Fressen und halten das für Vernunft und Macht. All unsere Kraft erschöpft sich in Kreisläufen und Reibung, denn ein gemeinsames Ziel anzustreben ist uns nicht mehr möglich. Bis auf dieses eine, in dem sich unser geistiger Horizont erschöpft: Fressen!

    Ist denn Leben nur noch im Krieg möglich?

    Haben nur noch die Bösen Kraft und Hoffnung?

    So sehr ich mir wünsche, nicht draufzugehen – der Untergang der westlich dominierten Welt ist nicht nur für die Putins, Xis, Erdogans, Bolsonarios eine Erlösung. Wir entsorgen hier nur unsere Leiche, mehr nicht, wir spüren die letzten Krämpfe und Zuckungen, Ohnmacht und Fieber der Agonie. Wenn unser fetter Arsch die Welt nicht mehr zerquetscht, wenn wir nur Aas, Dünger und Futter sind, kriegen nicht nur die Schlechteren eine Chance, sondern auch die Besseren. In Osteuropa gibt’s noch Leben, in Afrika regt sich einiges, wer weiß, was an den Orten passiert, von denen niemand je berichtet? Der Tod einer Welt ist nicht der Tod der Menschen, wir folgen der unseren ins Grab, weil wir es wollen, nicht, weil wir es müssen – ist halt weniger Arbeit, als uns eine neue zu schaffen.

    Sie suchen Ihre Archen an den falschen Orten. Ja, erst mal wird’s schlimm, dann schlimmer, denn die Chance, die Welt geordnet abzureißen und neu zu bauen, haben wir wohl verpasst. Kein Verpuppen der Raupe, damit sie zum Schmetterling wird, sondern die olle, blutrünstige Phönix-aus-der-Asche-Nummer, bei der Feuer das Alte entsorgt, um Platz fürs Neue zu machen. Aber – was passiert im Dunkeln?

    In all den Laboren, von denen Sie hier auf Spektrum lesen, steckt schon eine fertige Zukunft – neue Technologien, die neue Ressourcen nutzbar machen, ökologisch, halbwegs sauber, der Weg zum Roboglobe, dem Cyborg-Planeten, bei dem Mensch und Technologie nicht mehr gegen die Natur arbeiten, sondern zum integralen Teil davon werden, lebendige Ökosysteme aufbauen, so wie im Dorf der Landwirt das Ökosystem Feld erschafft, das ohne Pflug, Schmied und Eisenmine nicht überleben kann – nur in Hightech und ein paar Nummern größer. Wir haben mehr als genug Ressourcen, Arbeitskraft, Energie, Wissen – sind aber in einem globalen Wirtschaftssystem gefangen, das sie hervorragend verschwenden, aber kaum nutzen kann. Der Reichtum unserer Reichen, die Macht unserer Mächtigen, hängen an etwas, das uns alle umbringt, Reiche und Mächtige eingeschlossen. Klar, dass sie sich aus Verzweiflung mit aller Gewalt an Macht und Reichtum klammern, sowie an das Wirtschaftssystem, das sie reich und mächtig macht. Ist wie eine griechische Tragödie, alles, was wir tun, um uns zu retten, dient nur dazu, uns zu vernichten. Und wir alle, die wir am gleichen Galgen hängen, strampeln mit, laufen weg, um zu entkommen, und ziehen dadurch die Schlinge enger und enger.

    Aber irgendwo gibt’s ein paar Leute, die sich über Wirtschaft unterhalten. Eine Facebook-Gruppe, die Ideen sammelt. Ein paar Bauern, die sich auf eine Weise organisieren, die sich auf größere Systeme übertragen lässt. Den einen oder anderen Freak, der als Anführer taugt, keine Mogelpackung wie die Trumps und Putins, die mit der Messias-Massa-Tour groß werden: Wenn keine Hoffnung mehr bleibt, bleibt den Sklaven nur noch die Hoffnung auf den gütigen, weisen, starken Herrn und Meister. Irgendwo gibt’s Gesellschaften, die zu jung sind, um tot zu sein, und selbst im Altenheim Europa, wo die Kids in der Schule zu Rentnern erzogen werden, kann es Subkulturen geben, die größere Ambitionen haben, als einander Frisuren zu verbieten. Was ihnen fehlt, sind die Ressourcen, groß rauszukommen, denn diese benötigen wir zum Bremser-Selbstmord. Wenn der Fuß auf der Bremse erst mal verschwindet, erwarten Sie Wunder und Grauen, wie sie die Welt noch nie gesehen hat.

    Ich wünschte, Europa könnte dabei mitmischen und ich könnte es auf meine alten Tage noch sehen. Die Welt kann mich mal, ich will meinen eigenen werten Arsch retten, dazu den von den paar Leuten, die ich mag und wenn’s geht, noch ein Bisschen Kultur und Tradition von irgendwo zwischen Irland und Kamtschatka, ist aber nicht zwingend notwendig, wäre nur Eitelkeit, ein dicker Batzen Kohle wäre mir lieber. Der Gipfel der Eitelkeit wäre, die Welt zu bequatschen, sich selbst zu retten. Aber wenn ich die Wahl habe, nehme ich doch lieber die Kohle. Ich bin zu alt und verstockt, um zu einer neuen Religion zu konvertieren, bloß weil mich der einzige Gott, der je Wunder für mich bewirkt hat, verlassen hat.

    Setzen Sie auf die Jungen. Sagen Sie ihnen, sie sollen die Welt ruhig sterben lassen und schon an der nächsten werken. Die alte ist da, um begraben zu werden, und alles, was man für sie tun kann, ist Palliativmedizin. Ob wir auf dem Sterbebett dumm aus der Wäsche gucken wie Europa, wild um uns schlagen wie Putin oder uns verkrampfen wie Amerika, ist irrelevant. Hoffnung ist für die da, für die es Hoffnung gibt.

    Alles wird gut. Nur nicht für uns.

    • Nein, @Paul S., unsere Zukunft wird nicht durch feststehende Abläufe, ewige Völker und Erbanlagen bestimmt, sondern durch Millionen eigener Entscheidungen. Und ich bin zuversichtlich: Wer bis hierhin las, weiß genau, was ich meine. 🙂

  7. Zu M. Holzherr
    Zu ihrer “Alten Ordnung mit Russland”
    Diese “Ordnung” entstammt den Verhältnissen nach dem Zweiten Weltkrieg. Wenn dem so wäre, wäre auch die NATO ein Bestandteil der alten Ordnung da sie damals eine Funktion hatte. Zur europäischen Ordnung gehört meiner Sicht nach ein Europa vom Ural bis nach Portugal, was beinhaltet dass die alten Machtstrukturen, wozu auch die NATO gehört, so keine Berechtigung mehr haben und Russland dazu gehört und nicht ausgegrenzt wird. Die Alternative wir d für Russland sein dass es einer neuen Struktur in Asien folgt die wirtschaftlich und militärisch wesentlich stärker ist als dieses Europa. Asiatische und afrikanische Staaten haben mit ihren Enthaltungen der Stimme in der UNO bereits ihre “Kooperationsbereitschaft” signalisiert da sie wohl auch auf die Bodenschätze Russlands angewiesen sind. Ihre “alte Ordnung” scheint mir eine Phrase Europa(Westeuropa) vielleicht auch nur eine alte Ordnung darstellt und in einer sehr dynamischen Welt -mit neuen wirtschaftlichen und politischen Machtzentren- ziemlich “alt” aussehen wird. Wer sagt ihnen also welche Ordnung die Ate ist und welche die Neue ? Die Weltgeschichte geht da sehr auf und ab und objektive und wissenschaftliche Kriterien gibt es dafür nicht. Russland war seit Iwan den Großen immer ein Vielvölkerstaat und hatte, wie alle europäischen Großmächte den Drang nach Machterweiterung- siehe die Aufteilung der Welt in Kolonien incl. deren Ausbeutung unter dem Kreuz. Ich
    überlege ob i n diesem Russland heute Völkerschaften unterdrückt oder benachteiligt werden weil sie keine Russen sind. Mir fällt nichts ein.

    • Echt jetzt, @Golzower? Die blutige Zerstörung auch schon von Grosny in Tschetschenien und die Installation von rechtlosen Warlords dort fällt Ihnen „nicht mehr ein“? Zehntausende Tote, zudem Foltern und Vergewaltigungen gegen angeblich „abtrünnige“ Muslim:innen. Das Einziehen und Verheizen gerade auch nichtrussischer Soldaten in zahlreichen Kriegen, der Bruch des Budapester Memorandums, die Besetzung der Krim und die Massaker in der Ukraine – alles verdrängt?

      Putin übt imperialistische Gewalt im (noch-)“Vielvölkerstaat“ nach innen und außen… Nur wer sich ihm persönlich (!) unterwirft, darf an Korruption und Gewalt ungestraft teilhaben. Wie realitäts-feige und tyrannophil doch rechte Weltanschauungen inzwischen geworden sind…

  8. Ich habe auch eine eigene Entscheidung getroffen. Seit August 2019 habe ich mit einer auf erneuerbaren Energien beruhenden Anlage die Beschallung der lokalen FFF-Demos gemacht. Mich hat einfach angestunken, dass die lokale Presse die jungen Leute damit marginalisiert hat, das zur Beschallung eingesetzte Dieselaggregat hochzuschreiben. Ich habe eine Anlage aus Laborteilen u.ä. realisiert, mit der ich 2000 Menschen für 4 Stunden mit der Energie aus einem besseren E-Bike-Akku beschallen kann. Nun habe ich aber den führenden FFF-zumeist jungen Damen signalisiert, dass ich hinter einem Transparent, auf dem die bildliche Darstellung eines am Galgen baumelnden “Kapitalisten” zu sehen ist, nicht mehr tätig werden werde. Mal sehen, ob sie sich wieder fürs Stromaggregat mit Gewaltdarstellung entscheiden.

    • Danke, @Eckehard Erben. Sowohl für den technologischen Einsatz gegen bräsige Reaktanz wie aber auch gegen Radikalisierung! Denn beides würde dem wichtigen Anliegen schaden…

  9. Zu Blume:
    Bleiben sich bitte sachlich. Sie sollten zwischen Russland und Putin unterscheiden und sie können diesen Konflikt nur lösen wenn sie Russland mit einbeziehen in Europa. Selbst Bismarck hat das erkannt und einer der Gründe für den Ersten Weltkrieg war die Ausgrenzung Russlands. So wie sie denken hätte man 1945 auch Deutschland aus Europa -wegen seiner Kriegsschuld- auch ausschließen müssen, was nicht geschehen ist da sie ein ganzes Volk nicht wegen einer Ideologie bestrafen können . Bitte unterscheiden sie also in Zukunft zwischen ihren überschießenden Emotionen und der Sachlage-und stellen sie nicht gleich, ohne andere verstehen zu wollen- diese in eine rechte Ecke, was ich ziemlich billig finde. Letztlich geht es darum ein friedliches Europa zu gestalten. Ich habe im übrigen bei meinen Besuchen in Russland immer gastfreundliche Menschen kennengelernt und ich unterscheide hier auch und stigmatisiere nicht ein ganzes Volk.

    • Ach, @Golzower – Empathie und Mitleid mit Opfern eines Genozids als „unsachlich“ zu verhöhnen ist sooo ein alter, feiger Take…

      Sie sind nicht „sachlich“, sondern zynisch. Und selbst die Abertausenden Russ:innen, die unter Putin gelitten haben, vor ihm geflohen sind oder jetzt in einem weiteren, sinnlosen Krieg sterben, blenden Sie antiwestlich aus.

      Falls Sie „sachlich“ tatsächlich interessiert, darf ich hier auf mein Plädoyer gegen NordStream 2 und schnelle Unabhängigkeit von russischem Erdöl und Erdgas verweisen – schon in 2020:

      https://twitter.com/BlumeEvolution/status/1291998789709045769

      „Auch den Bau 1 Pipeline mit 1 Diktator finde ich nicht prickelnd. Öl- & Gasimporte sind nicht nur ökologischer & zunehmend auch wirtschaftlicher, sondern v.a. politischer Wahnsinn…“

      Tja. Sachlich genug? 💁‍♂️

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