Reaktanz über-spielen – Das Buchstabiertafel-Spiel auf Travelbook

Reaktanz ist die emotionale Verteidigung von Gewohnheiten. Wir alle verspüren erst einmal Widerwillen, wenn hinterfragt wird, was wir seit Jahren, gefühlt “schon immer”, so gedacht, gesagt, getan haben. Auch wenn der wissenschaftliche Konsens längst klar ist und fast alle anderen Staaten längst umgesteuert haben: Viele US-amerikanische Politiker verteidigen das Recht auf den Besitz von Schnellfeuerwaffen ebenso erbittert wie manche deutsche Politiker das Recht auf Rasen gegen ein Tempolimit.

Entsprechend war ich wenig überrascht, wieviel Reaktanz auch die Entnazifierung der deutschen Buchstabiertafel auslösen würde. Vor allem – aber nicht nur – deutsche Männer gehobenen Alters empfanden Widerwillen gegen die Auseinandersetzung mit diesem Aspekt der NS-Geschichte – und fühlten sich bedroht, obwohl zu keiner Zeit geplant war, irgendjemanden zu “bestrafen”, der oder die die neue Buchstabiertafel auf Basis von Städtenamen ignorieren würde.

Gefühle sind eben nicht rational – und sie wurden und werden gerade auch in der westlichen, noch patriarchal strukturierten Zivilisation gerne “nachträglich rationalisiert”. So finden wir gerade auch bei der Veränderung von Benennungen die ebenso riesige wie verborgene Macht der Namen.

Ein ebenso kluger wie leider noch seltener Weg zur Überwindung von Reaktanz besteht dagegen im Spielen, denn:

Im klugen Spiel wird das Über-denken von Gewohnheiten mit Spaß und Anerkennung verknüpft, die Reaktanz wird über-spielt.

Dies demonstriert sehr schön Travelbook.de mit einem “Fun-Quiz” zum neuen Städtenamen-Buchstabiertalphabet: “Ordnen Sie diese 10 Städte den richtigen Buchstaben zu!”

Das Städtenamen-Buchstabiertalphabet-Quiz von Travelbook.de wurde bereits viele Zehntausende Male durchgespielt. Screenshot: Michael Blume

Auch bei mir selbst – als genanntem Auslöser der Reform! – konnte ich den Belohnungseffekt spüren, wenn sich im zweiten Durchlauf die Erfolgsquote deutlich erhöhte, wenn die “richtige” Buchstabe-Stadt-Verknüpfung ins Gehirn eingeschrieben wurde. Die Buchstabiertafel be-trifft uns eben alle – und zwar selbst dann noch emotional und reaktant, wenn wir sie kognitiv bereits akzeptiert haben.

Es gibt keine menschliche Zivilisation ohne Spiele, weil das Spielen die lebenswichtige Reform von Gewohnheiten befördert.

Also los: Wie viele Punkte erreichen Sie im ersten, zweiten, dritten Durchspielen? 🙂 

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

27 Kommentare

  1. Nach mehrmaliger Teilnahme am Quiz wurden die Ergebnisse etwas besser, blieben aber <50 %. Da ich als Segler auch im Besitz eines "Funkschein" bin, nutze ich die ausschließlich die internationale Buchstabiertafel. Deswegen verfüge ich auch über diesbezüglich über eine ausgeprägte Reaktanz.:) Die alte Nazi-Buchstabiertafel kannte ich nur vom Zuhören, diese verwirrte mich aber mehr, als dass sie half. Im täglichen Leben höre ich sie und weise den Menschen freundlich daraufhin, dass es eine neue gibt. Da bisher noch keine/keiner davon gehört hatte, erkläre ich kurz, dass die alte Tafel von den Nazis von jüdischen Namen " gesäubert wurde. Auch das ist niemanden bekannt und die Menschen schauen mich ungläubig an. Tja, wenn man einen guten Blog regelmäßig liest, erhöht dass das Wissen über Religionen, speziell dem Judentum.
    Dafür Ihnen, Herr Blume, ein großes Dankeschön für Ihren Blog! Durch Zufall bin ich über das Magazin "Schabat Schalom" bei NDRInfo vor längerer Zeit gestolpert, Ihr Blog aber liefert mir noch mehr Wissen und regt mich an, mehr über das Judentum zu lesen. Dadurch werden meine Sinne geschärft, um auf offenen und versteckten Antisemitismus zu reagieren.
    Nochmals danke, halten Sie durch und lassen Sie bitte mit nicht nach.

    • Vielen herzlichen Dank für die Rückmeldung, @Axel! Das freut mich sehr!

      Ihrer Beobachtung, dass übergroße Teile des geschichtlichen Wissens immer wieder schnell verschwinden, teile ich ausdrücklich. Ich bin wieder und wieder erstaunt, wie große Bereiche des “Allgemeinwissens” noch meiner Generation in den Generationen meiner Studierenden und Kinder überhaupt nicht mehr vorhanden sind. Darin sehe ich jedoch nicht nur einen Verfall, sondern auch eine Chance: Wir können immer wieder neu entscheiden, welche Wissensbestände es wert sind, vor dem Vergessen bewahrt und neu ins Bewusstsein gehoben zu werden. So kann auch falsches Wissen (wie “Semiten” als “Rasse”) durch besseres Wissen (wie der Noahsohn Schem als Schulgründer) ersetzt werden. Gerade erreichen mich entsprechend täglich starke Rückmeldungen zum Worthaus-Vortrag “Ohne Sem und Jafet kein Jesus”, der sowohl als Video wie auch als Podcast-Folge verfügbar ist:

      https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/ohne-sem-und-japtheth-kein-jesus-worthaus-vortrag-zu-christlichem-antisemitismus/

      Ihnen Danke für das lebendige Interesse und die Bereitschaft, besseres vom schlechteren Wissen zu Unterscheiden!

  2. Irgendetwas ist vieleicht bei mir kaputt, aber warum kann ich mich bei der Diskussion um die Buchstabiererei so gar nicht in irgendeiner Richtung engagieren? Die meisten Menschen bekommen sowieso keine Tafel richtig zusammen; Nathan und Nordpol sind beim Wahrnehmen des Gemeinten gleichwertig wobei ich Nathan aus dem Bauch heraus griffiger und effektiver finde. Wenn es für irgendjemanden wirklich wichtig ist das zu verändern, warum nicht? Da eine Diskussion daraus zu drechseln kostet doch nur Energie die man woanders auch einsetzen könnte. Und da der Gebrauch von Sprache auch die Grenzen des eigenen Denkens bestimmt: Wenn sich jemand auf Nordpol festnagelt: Wie beschränkt ist der im Denken?

    • Danke, @Uli Schoppe. Ich bin da durchaus bei Ihnen: Warum eine “Diskussion drechseln”, wenn sich auch einfach ein Spiel spielen lässt?

      Entwicklung der Sprache – und hier konkret des Buchstabieralphabetes – findet doch ohnehin stetig statt; und sei es durch Vergessen. Braucht es da ein bewusstes Eingreifen, etwa um die antisemitischen Eingriffe der Nazis zu tilgen?

      Diese Entscheidung ist bereits – auf eine Anregung von mir, ja – gefallen, das DIN und ich haben eingegriffen, die DIN 5009 ist reformiert. Müssen wir das noch diskutieren? Oder reicht es nicht, wenn wir die Veränderung beobachten, gar mit-spielen?

      Sie fragten abschließend: “Wenn sich jemand auf Nordpol festnagelt: Wie beschränkt ist der im Denken?”

      Und mir fiele kein stärkerer Satz als Ergebnis einer Diskussion ein, die es also vielleicht gar nicht mehr braucht.

  3. emotionale Verteidigung von Gewohnheiten.

    Ob jetzt jemand A wie Anton oder Aachen sagt, ist mir eigentlich egal. Extrem verwunderlich finde ich aber, dass die meisten Menschen immer noch an völlig veralteten, überflüssigen und nichtssagenden Einheiten fest halten. Oder kann mir jemand erklären, warum der gemeine Autofahrer das Kilowatt ausgerechnet bei 735 Watt teilt und das dann als PS bezeichnet?

    Man stelle sich vor, das Kilogramm teilte man nicht bei 500 Gramm (Pfund), sondern bei 735…

    • Ein gutes Beispiel, @Julian Apostata: Wir wundern uns über englische Maßeinheiten und US-amerikanische Waffengesetze, diese sich über das deutsche Nein zum Tempolimit usw. Kulturelle Gewohnheiten halten sich auch politisch hartnäckig gegen progressiv-rationale Argumentationen.

  4. Andere Sicht :

    Die Buchstabiertafel betrifft, anders als bspw. der Antisemitismus, der ein wichtiges Thema ist, uns nicht alle; der Schreiber dieser Zeilen hatte mal Buchstabiertafeln gelernt und recht schnell vergessen.

    Nichts gegen eine sinnhafte Änderung an Buchstabiertafeln, wenn aber “Entnazifizierung” so angestrebt wird, sieht es so dem Schreiber dieser Zeilen nicht so-o gut aus, sondern nach Symbolpolitik. – Auch sind die Umstellungskosten zu beachten.

    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Webbaer (dens abär nicht sonderlich gestört hat, der auch am ‘Volkswagen’ oder an Wernher von Braun, die Mondbesteigung, so hieß dies früher, ist gemeint, ein wenig zu nagen hat)

    PS:
    Dr. W täte es interessieren, ob alles, was böse Menschen je gemacht haben, falsch ist, er kennt ja das Argument oder Scheinargument, dass wenn “Satan” etwas sagt oder tut, dies schlecht sein müsse und eine Revision anzustreben sei.
    Dann aber hätte das Böse (vielleicht oder manchmal) ungeahnte Macht, nicht wahr?
    (Dies weniger im Zusammenhang mit den Änderungen an bundesdeutsch verwendeten Buchstabiertafeln angefragt.)

    • Lieber @Webbaer,

      selbstverständlich lässt sich jedes Gedenken und Erinnern als „Symbolpolitik“ abtun – welche Ermordete wird durch einen Stolperstein wieder lebendig?

      Doch die Arbeit an Symbolen und also Mythen ist meines Erachtens genau, worauf es ankommt, um Antisemitismus und Verschwörungsmythen zu bekämpfen. Hätte irgendein Verband selbsternannter Sprachwächter nach 1945 die NS-Buchstabiertafel reformiert; wir hätten es nicht im 21. Jahrhundert tun müssen. Mir ist klar, dass das Thema auch emotional unangenehm ist – aber mit jedem weiteren Jahr und Jahrzehnt wäre es für Deutschland noch peinlicher geworden. Wir können Geschichte nicht ändern – aber jeden Tag entscheiden, was wir damit & daraus machen.

      • Die Revision und Zurücknahme alter Konzepte, Auffassungen, wird hier, lieber Herr Dr. Michael Blume nicht so-o gemocht.
        Dr. W denkt in diesem Zusammenhang auch an die Diskreditierung der Flagge der sog. Konföderierten in den Staaten oder an Sklaven-Haltertum von George Washington.
        An wie gemeinte Umstürze alter westlicher Politik. die gar nicht so schlecht war, auch i.p. Kolonialismus, wie einige finden.
        Auch an das Alte Rom und das neue wie alte Israel meinend.

        Der Schreiber dieser Zeilen meint insofern, dass zurückschauend nicht grundsätzlich revidiert werden muss, auch in Anbetracht heutiger sittlicher Minusleistung, wie sie in muslimischen Ländern, auch in Katar beigebracht wird,

        Wobei Dr. W weiß, meint zu wissen, dass “im Amt” hier bes. Rücksicht zu nehmen ist, er will da auch nichts Angreifbares evozieren.

        MFG
        WB

  5. Ob jetzt jemand A wie Anton oder Aachen sagt, ist mir eigentlich egal.

    Und was spricht gegen A wie Adolf? Ich hab mir mal in der hiesigen Stadtbibliothek den Film “der Vorname” ausgeliehen. Da möchte also ein junges Ehepaar ihr Kind so nennen und löst damit einen heftigen Streit unter Verwandten aus.

    Bevor ich die DVD einwarf, hab ich mir noch gedacht: Dabei handelt es sich bestimmt um hohle und primitive Neonazis. Das genaue Gegenteil war aber der Fall!

    Die werdenden Eltern hatten da gute Argumente dafür, warum man sich von einem verstorbenen Massenmörder nicht bei der Namensgebung drein reden lassen sollte.

    Themawechsel. Warum sollte man sich endlich mal die Verwendung von PS abgewöhnen?

    Weil allein schon der Begriff “Stärke” völlig falsche Vorstellungen assoziieren könnte und mitunter auch das allgemeine naturwissenschaftliche Analphabetentum fördert.

    Beispiel: Eine mittelalterliche Dombaustelle. Welche Stärke oder Kraft kann denn so ein Mensch in einem “Hamsterrad” erzeugen?

    Jedenfalls kann man damit locker 1000 kg Masse anheben. Multipliziert mit der Fallbeschleunigung und einer Hubgeschwindigkeit von 2cm pro Sekunde ergibt das
    1000kg*9,81m/s²*0,02m/s ergibt 196 kg*m²/s³ (196 Watt). Ein heutiger Hochleistungssportler bringt es etwa auf 400 Watt.

    Jetzt nehmen wir mal einen modernen Verbrennungsmotor welcher dieselbe Stärke aufbringt, aber bei 1000mal höherer Hubgeschwindigkeit
    1000kg*9,81m/s²*20m/s ergibt 196 000kg*m²/s³ (196 Kilowatt)

    Nicht die Stärke allein ist entscheidend, sondern das Produkt aus Kraft mal Geschwindigkeit.

    https://de.wikipedia.org/wiki/Pferdestärke

    Nun gut, vielleicht ist es ja nicht so tragisch, wenn man sich beim Einheitengebrauch völlig kritiklos an seiner nächsten Umgebung orientiert. Was aber, wenn man sich bei wirklich wichtigen Themen genauso verhält?

    • Nun also wissen Sie, @Julian Apostata, warum ich als KIT-Seminarthema „Die Macht der Namen“ gewählt habe! Selbst ein Holocaust-Überlebender wie Hans Blumenberg koppelte wegen der Schwere das Kapitel zu Napoleon und Hitler aus „Arbeit am Mythos“ aus!

      https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/die-macht-der-namen-einfuehrungsvortrag-zum-kit-berufs-und-medienethik-seminar-2022/

      Wer mit Goethes Faust immer noch behauptet, Namen / Benennungen seien Schall & Rauch – ist einfach nur zu feige, sich den Abgründen zu stellen.

    • Und was spricht gegen A wie Adolf?

      Gegen diese Buchstabiertafel-Möglichkeit spricht die Betonung auf der zweiten Silbe, die üblich ist und zu Missverständnissen führen könnte.

      Sog. politische Richtigkeit, Anfang der Neunziger von Billl Clinton beworben bzw. prominent eingeführt, mag der Schreiber dieser Zeilen ja nicht. (Zusammen, zeitnah mit der Nachhaltigkeit, die Joschka Fischer der Sustainability folgend übersetzt hat, im ökologistischen Sinne.)
      Es ist aus diesseitiger Sicht nicht so, dass ein Wort, auch eine Sentenz [1], von bösen Kräften besetzt werden kann, und insofern ein neues Wort zu suchen sei.
      Eine Euphemismus-Welle, eine derartige “Tretmühle” könnte entstehen und zudem wäre bösen Personen so zu viel Macht eingeräumt.

      Insofern ist Symbol-Politik, die sich um das Symbol, das Zeichen kümmert, ein “heißes Eisen”.
      Letztlich könnte so z.B. das ‘T’ oder das Pluszeichen angegriffen werden, stehen so doch (vage) Verbindungen mit dem Kreuz, das ein christliches Symbol ist, zur Verfügung.

      Mit freundlichen Grüßen
      Dr. Webbaer

      [1]
      Vgl. hiermit :
      -> https://www.juedische-allgemeine.de/politik/die-feldjaeger-und-ihr-motto-jedem-das-seine/ (‘In der Tradition der Aufklärung besagt der Spruch, dass jedem Bürger eines Gemeinwesens das zugeteilt werden soll, was ihm gebührt, etwa durch gerechte Güterverteilung.’ – Eigentlich meint ‘suum cuique’ etwas anderes, Dr. W sieht hier liberales Grundgut, will aber nicht weiter ausführen außer anzumerken, dass gerade liberales Gut gegen Juden von Nationalsozialisten gewendet worden ist, ironisch und übelst zynisch)

      PS:
      Herr Dr. Ekkehard Felder ist hier dran, im linguistischen Sinne, er betreibt bei den SciLogs.de eine Inhaltseinheit.

      • @Webbaer & @Julian Apostata

        Bemerkenswert ist, dass Sie beide die Namensgebung alleine als Recht der Eltern diskutieren – ohne die Perspektive des Kindes einzunehmen, das ja schließlich mit dem Klang und den jeweiligen Assoziationen des Namens zu leben hat!

        Selbstverständlich hätten meine Frau und ich das Recht gehabt, unsere Söhne auch Adolf zu nennen – und selbstverständlich haben wir es nicht getan.

        Kinder sind kein Besitz und keine Umwelt, in ihnen erklingt gerade auch für Eltern Verantwortung und Mitwelt.

        Wem die egoistisch gelebten Freiheiten tatsächlich wichtiger als verantwortungsvolle Beziehungen auch gegenüber Kommenden sind, sollte sich vor der Familiengründung prüfen.

        Die Diskussion über das Feldjäger-Motto begrüße ich, da auch diese das historische Bewusstsein schärft. Auf der medienöffentlichen BLK der Antisemitismusbeauftragten in Hannover letzte Woche führte Michael Fürst, Vorsitzender einer niedersächsischen Landesgemeinde und Ehrenvorsitzender des Bundes jüdischer Soldaten, aus, dass er persönlich unter Reflektion der Hintergründe für die Beibehaltung des Mottos plädiere. Die Macht der Namen und Begriffe – so fair, kritisch und dialogisch muss sie gepflegt werden!

  6. Michael Blume
    21.11.2022, 14:29 Uhr

    Wer mit Goethes Faust immer noch behauptet, Namen / Benennungen seien Schall & Rauch – ist einfach nur zu feige, sich den Abgründen zu stellen.

    Es war im Grunde nicht “Dr. Heinrich Faust”, der das gesagt hat, sondern Johann Wolfgang von Goethe, der das der Theaterfigur in den Mund geschrieben hat und er hatte wohl etwas dabei im Sinn.
    Es ist niemals der Name, die Benennung, der/die Schaden anrichtet, sondern es sind die Menschen, die mit dem Namen/der Benennung etwas verbinden und dann etwas erzwingen wollen, von dem sie der Ansicht sind, dass sie es tun müssen. Beispielsweise ist ein Leugner der Existenz Gottes deshalb in besonderer Gefahr, wenn er – in der Minderheit – einer Mehrheit von Gläubigen gegenübersteht, die die Leugnung als Angriff auf ihren Gott ( eher eigentlich auf sich bzw ihren Glauben ) empfinden und sich berufen fühlen, ihren Gott ( ihren Glauben ) zu verteidigen, angeblich Gottes Wille zu erfüllen, koste es, was es wolle, und sei es um den Preis, den Leugner der Existenz Gottes physisch zu vernichten.
    Eine Buchstabiertafel hat nicht einen Sinn per se, sondern im vergangenen Zeitalter der schlechten Datenübertragung war die Buchstabiertafel ein Hilfsmittel, um Informationen dann fehlerfrei zu übertragen, wenn die Originalinformation für Verwechslungen/Fehlinformation anfällig war. Dabei musste auch die Buchstabiertafel dieses Prinzip beachten, indem die Bezeichnung für die Buchstaben möglichst prägnant/verwechslungsfrei zu übertragen war. Dabei gibt es auch noch die “Datensparsamkeit” zu beachten, ob die Information ein-, zwei, drei- oder viersilbig war.

    • Zustimmung zu Ihren Anmerkungen, Herr Maier, es liegt aus diesseitiger Sicht Symbolpolitik vor, eine nachvollziehbare Symbolpolitik; wer sich stark über diesen Vorstoß von Michael Blume ärgert, macht vermutlich etwas falsch.
      Das ‘Ausmerzen der in der Buchstabiertafel enthaltenen jüdischen Namen’ (Zitat aus der NS-Zeit) war eine üble Sache, ‘David’, ‘Samuel’, ‘Zacharias’ und ‘Nathan’ gehen ja auch, sind praktikabel.
      MFG
      WB

  7. Nachdem Sie die Buchstabiertafel nun erfolgreich entnazifiziert haben, würde ich Ihnen gerne ein neues Projekt vorschlagen: Der Berliner “Bahnhof Stralau-Rummelsburg” wurde 1933 von den Nazis in “Ostkreuz” umbenannt und trägt bis heute diesen Namen. Bitte setzen Sie sich für eine Umbenennung ein – ohne Rücksicht auf Reaktanzen!

    • Lieber Herr Müller,

      wie Sie wissen, bin ich begeisterter Demokrat und also auch Föderalist – und habe vollstes Vertrauen, dass die Kolleg:innen in Berlin das schon selber abwägen können. Umgekehrt verbitte ich mir ja auch Einmischungen in die Angelegenheiten von Baden-Württemberg.

      Ihnen alles Gute, auch im Umgang mit Reaktanz! 🙂

        • Nein, sondern eine Angelegenheit, die direkt auch Baden-Württemberg betraf. Das ist beim Berliner Ostkreuz ganz offensichtlich nicht der Fall.

          Ja, ich weiß: Viele Deutsche pflegen ihren Spott über die süddeutschen Länder. Doch wir Badener & Württembergerinnen tragen nicht nur wirtschaftlich einiges zur Bundesrepublik und Europäischen Union bei, sondern haben auch mehr Einwohner:innen als etwa Österreich, die Schweiz, Israel oder der US-Staat Georgia. Und einige von uns sprechen sogar Swabian English 😉 :

          https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/verschwoerungsfragen-50-fighting-digital-dualism-as-state-commissioner-against-antisemitism/

          Und, ja, bei der Reform der Buchstabiertafel haben wir uns bemüht, Städte aller deutschen Bundesländer zu benennen. BW ist zum Beispiel durch T wie Tübingen vertreten. Berlin stach jedoch leider Bremen aus (wobei manche auch bewusst B wie Bremen sagen).

          Klar, Sie müssen uns deswegen nicht toll finden. Aber vielleicht wollen Sie Ihre nationalistisch-zentralistische Herablassung in Namensfragen ja doch mal reflektieren?

          Mit freundlichen Grüßen 🙋‍♂️

  8. Noch interessanter fand ich dort “Wie hiessen diese Städte und Länder früher?” Spannend was ich gewusst habe und die Überlegung warum 🙂

    Ich musste einfach drauf klicken 🙂

  9. Der verlinkte Artikel ist etwas oberflächlich.

    So sind mitunter sogar deutlich kleinere Städte größeren vorgezogen worden, etwa musste Stuttgart beim „S“ dem deutlich kleineren Salzwedel weichen, berichtet der „SWR“. Grund sei, dass der gesuchte Buchstabe bei Salzwedel besser hörbar ist als bei Stuttgart das gesprochene „Scht“. Warum jedoch die Wahl auf Salzwedel mit knapp 25.000 Einwohnern statt auf Salzgitter mit mehr als 100.000 Einwohnern fiel, bleibt unklar. Auch die saarländische Hauptstadt Saarbrücken wurde nicht in Betracht gezogen – trotz fast 180.000 Einwohnern und einem deutlich hörbaren „S“.

    Das Schreiberling scheint nicht deutlich genug zu sein, dass die Ansagewörter zuallererst für optimale Verständlichkeit unter schlechten Hörbedingungen gewählt werden müssen. (Wie früher die Aussprachen “… Mai – Juno – Julei…” oder “Eins – Zwo – Drei…”. Diese sind aber wohl Spontanentwicklungen aus der Zeit der Feldtelefone des ersten Weltkrieges.)

    Darüberhinaus gab es noch mehr zu berücksichtigen, das leicht zu recherchieren gewesen wäre:
    https://www.din.de/resource/blob/867082/20c43e6b1f46ab20b7fe213c6013a6dc/fragenkatalog-din-5009-buchstabiertafel-data.pdf

    • Gut beobachtet, @Noch n Wort – tatsächlich wurde Salzwedel gewählt, damit auch alle Bundesländer (bis auf Bremen) vertreten sind. Das Saarland ist ja bereits mit Völklingen vertreten – einem der wenigen Städtenamen mit V, in denen die Aussprache nicht mit W verwechselt werden kann.

      Vielen Dank auch für den Link, werde ihn gleich verwenden! 🙂

  10. Herr Blume,
    und sonst so?

    Hin und wieder kommuniziere ich mit Menschen am Telefon, sofern das “Buchstabieren” von Namen hilfreich ist, sage ich A wie Anton, N wie Nordpol, I wie Ida. Es existieren keine sprachlichen Gründe dies zu ändern. Hingegen gibt es etliche Beispiele und argumentative Gründe Reales nicht falsch zu benennen.

    i) Die Frau von Nebenan, die Berichterstatterin im Fernsehen, die Fitness-Expertin sprechen meist fälschlicherweise von Kalorien statt Kilokalorien. (“Schenken” wir uns hier den Hinweis auf die international gültige Maßeinheit Kilo-Joule statt Kilokalorien.) Tatsache ist: Den Faktor 1000 im Sprachgebrauch methodisch zu unterschlagen ist ohne Zweifel etablierter Sprachnonsens.

    ii) Mittels populärwissenschaftlicher Fernsehberichte und Serien wie „Flipper“ existiert eine „Volksmeinung“ über Delfine. Diese zu den Zahnwalen gehörenden Säugetiere gelten als besonders intelligent und „nett“. Tatsache ist jedoch: Delfine sind weder besonders intelligent noch „nett“. Delfinen fehlen Gesichtsmuskeln. Dadurch haben sie immer ein vermeintlich „lachendes Gesicht“ und sehen ständig gut gelaunt aus. Sexuelle Gewalt ist bei Delfinen an der Tagesordnung. Gruppen von Delfinmännchen verfolgen und bedrängen Delfinweibchen bis zur Erschöpfung, dann folgt die Massenvergewaltigung…

    iii) Der Begriff Klimawandel ist inhaltlicher Nonsens. Es muss (im Deutschen) Klimaveränderung und nicht Klimawandel heißen. Denn worin sollte sich das Klima respektive in was sollte sich das Klima wandeln? Es handelt sich um Veränderungen der klimatischen Verhältnisse, nicht um eine (Ver-, Um-)Wandlung.

    iv) Teilchenphysiker benutzen generell den phänomenologisch falschen Begriff Zerfall bzw. decay im Englischen, obwohl sie damit Umwandlungen meinen. Zerfall würde bedeuten, die Zerfallsprodukte waren (allesamt) Bestandteile des Zerfallenden. Dem ist aber nicht so im Rahmen der theoretischen Implikationen und Postulate des Standardmodells der Teilchenphysik.

    v) Der Begriff Gewinnwarnung ist suggestiv falsch. Inhaltlich handelt es sich um eine Verlustwarnung.

    vi) Die Zehn Gebote stehen in der Bibel, im Alten Testament.

    Doch diese haben nicht die universelle Bedeutung respektive Aussage, die insbesondere die Kirche ihnen propagandistisch unterstellt. Denn…

    Jesus beschränkte seine Gruppe der Erretteten streng auf die Juden, in dieser Hinsicht stand er in der alttestamentlichen Tradition, eine andere kannte er nachweislich nicht. „Du sollst nicht töten“, bezog sich ausschließlich auf Juden. Es hieß vielmehr ganz gezielt: Du sollst keine Juden töten. Die gleiche Ausschließlichkeit beinhalten alle Gebote, in denen von deinem «nächsten« oder »deinem Nachbar« die Rede ist. »Nachbar« bedeutet Mitjude.

    Exemplarische Quelle: Der Gotteswahn von Richard Dawkins, Kapitel: Liebe deinen Nächsten, Seite 353

    Beispiel: Gleich nachdem er den Israeliten gesagt hatte, sie sollen nicht töten, befahl er ihnen, zu töten. Die Israeliten sollten in den Krieg gegen die Kanatiter ziehen um alle zu töten, „auch die Frauen und Kinder und auch das Vieh.

    Im Kontext heißt „Du sollst nicht töten“ folglich nur: „Du sollst keine Mitglieder deiner eigenen Sippe töten“. So hat das Gott damals gemeint, so hat er es praktiziert, mit der Versklavung und Ermordung von Nicht-Israeliten hatte er über die gesamte Bibel hinweg nie Probleme gehabt.

    vii) Gefriert Wasser, dehnt es sich aus. Dabei verdrängt das Eis exakt die Menge Wasser, die es zu seiner Entstehung benötigt. Schmilzt es wieder, steigt der Wasserstand nicht einen Millimeter. Auch wenn beispielsweise das ganze Eis des Nordpols auftauen würde, erhöht sich dadurch der Meeresspiegel nicht.

    viii) „Gleiches Recht für alle“ gilt nicht für die Großen

    Die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshof umfasst vier Kernverbrechen des Völkerstrafrechts, nämlich Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Verbrechen der Aggression und Kriegsverbrechen, soweit sie nach seiner Gründung am 1.Juli 2002 begangen wurden.

    Zahlreiche Staaten lehnen den Internationalen Strafgerichtshof ((IStGH) ab. U.a. die USA, Russland, Indien Indonesien, China, Pakistan, die Türkei erkennen die Legitimität des Gerichtshofs nicht an.

    ix) „Sankt Martin war ein guter Mann“, singen die Kinder während des Laternenumzugs. Meist ha­ben sie schon im Kindergarten die rührselige Geschichte vom barmherzi­gen Heiligen gehört, der einem frierenden Bettler angeblich die Hälfte seines Mantels gab. Nicht so recht ins barmherzige Legendenbild passt, dass der heilige Martin von Tours (316-397) als Bischof 20.000 Sklaven für sich schuften ließ und in aller Brutalität die Evangelisierung der gallischen Heiden vorantrieb. Quelle: Deschner, »Kriminalgeschichte des Christentums«, Bd. 3, S. 524

    Übrigens: Wer wirklich an den zahllosen Verbrechen organisierter Religion sprich “Kirche” interessiert ist, dem empfehle ich zur Kenntnisnahme und Selbstanalyse: Theologe online .

    Was lernen wie daraus? Es gibt Menschen wie Herrn Blume, die spielen gerne im seichten Wasser und es gibt Aufklärer, die trauen sich auch in tiefe Gewässer.

    Statt sonniger Grüsse, etwas “zum Mitdenken” aus der Aphorismuskammer

    Was ist Freiheit?
    In der Natur definiert sich Freiheit durch den Abstand von Gejagtem und Jäger.

    • Lieber Herr Freyling,

      vielen Dank für Ihre kleine Fingerübung in Reaktanz. Und ich glaube Ihnen sofort, dass Sie sich selbst für sehr “tiefsinnig” halten und sich sehr darüber ärgern, dass das nicht viel mehr Menschen auffällt.

      Zur Buchstabiertafel hielt unsere DIN-Reformkommission ausdrücklich fest:

      “Normen sind freiwillig in der Anwendung (außer Gesetze oder Verträge verweisen darauf; dies ist hier nicht der Fall). Die neue Buchstabiertafel ist ein Vorschlag der Experten des zuständigen Ausschusses, die alte, nicht mehr zeitgemäße Tafel zu modernisieren. Die DIN 5009 und somit auch die neue Buchstabiertafel werden sich aber vermutlich in einigen Ausbildungs-und Prüfungsordnungen niederschlagen. Der neue Vorschlag der Buchstabiertafel richtet sich in erster Linie an professionelle Anwender in Wirtschaft und Verwaltung. Der Ausschuss begrüßt es, wenn durch den neuen Vorschlag zum Nachdenken und zur Diskussion über die Historie und eine zeitgemäße Nutzung der Buchstabiertafel angeregt wird.”

      Die ganzen Erläuterungen gerne auch hier:
      https://www.din.de/resource/blob/867082/20c43e6b1f46ab20b7fe213c6013a6dc/fragenkatalog-din-5009-buchstabiertafel-data.pdf

      Auch zu Ihrem Spott über den Begriff >Klimawandelclimate changeglobal heating<, globale Erwärmung, zu verdrängen. Und selbstverständlich kennt die Wissenschaft auch den Begriff des ständigen Sprachwandels, unter dem nur Reaktante das Verschwinden der Sprachen verstehen.

      Bitte haben Sie Verständnis, dass ich auch beim besten Willen hier nicht über Ihre zahlreichen, sonstigen Stöckchen springen kann. Schon die Ausführungen zur Bibel und Kirche enthalten so viele Fehler, dass es eigene Blogposts wert wäre. Und zum Ihrerseits offensichtlich verehrten Richard Dawkins gibt es hier auch schon mehr als genug:

      https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/richard-dawkins-mein-held-der-metapher/

      Einen Klassiker von Susan Blackmore zum Ende der Memetik gegenüber den Befunden aus Demografie und Evolutionsforschung finden Sie auch hier:

      https://www.theguardian.com/commentisfree/belief/2010/sep/16/why-no-longer-believe-religion-virus-mind

      Und wenn Sie eines Tages vom Mansplaining zum ernsthaft erkenntnisoffenen Dialog reifen würden, dann würde ich auch gerne ausführlicher auf Ihre Kommentare reagieren. Ich fürchte nur, so wie in Ihrem Kommentar bringt das nichts. Sie meinen ja schon fast alles zu wissen und Ihre vermeintliche Überlegenheit ausstellen zu müssen…

      Ein Lesetip, auch extra für Sie: "Gekränkte Freiheit. Aspekte des libertären Autoritarismus" von Oliver Nachtwey und Carolin Amlinger.

      Mit herzlichen, ja den besten Wünschen!

  11. @Blume
    Lesetip über die Feiertage: Schiller, Über die ästhetische Erziehung des Menschen
    https://de.wikipedia.org/wiki/Über_die_ästhetische_Erziehung_des_Menschen
    https://www.projekt-gutenberg.org/schiller/aesterz/aesterz.html, oder als Buch (Reclam?).
    Viel Zitiermaterial (aber unbedingt mit einem Germanisten/Philosphen abklären, was davon heute überholt oder nur zeitbedingt verstehbar ist!).

    Lange vor Gamification (meine Hervorhebung:

    Denn, um es endlich auf einmal herauszusagen, der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.

    Verspielten Sonntag allerseits!

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