Die Macht der Namen – Einführungsvortrag zum KIT Berufs- und Medienethik-Seminar 2022

In seinem riesigen Hauptwerk “Arbeit am Mythos” stellte der Philosoph Hans Blumenberg (1920 – 1996) die steile These auf: “Alles Weltvertrauen (!) fängt an mit den Namen, zu denen sich Geschichten erzählen lassen.”

Wenn das stimmt – und ich meine inzwischen, dass es das wesentlich tut -, dann sollten Verantwortliche in Familien, Journalismus und Politik, in Wirtschaft und Recht, in Religionen und Philosophien besser davon wissen!

Rede statt Text: Der Einführungsvortrag zum KIT-Seminar Berufs- und Medienethik im Wintersemester 2022 / 2023. Folien: Michael Blume

Im Einführungsvortrag erweiterte ich die Blumenberg-These jedoch um einen Aspekt: “Alles Weltvertrauen fängt an mit den Namen, zu denen sich Bilder entwerfen und Geschichten erzählen lassen.”

Als Beispiel dafür wählte ich Israel – ursprünglich ein laut Thora von G’tt nach einem Ringkampf verliehener Personen-Name, nun die Bezeichnung der 1948 gegründeten Republik. Hier sehen Sie die Wort-Assoziationen (die, wie ein Student richtig einwarf, im Stream nicht zu erkennen war) aus der Bertelsmann-Studie 2022 “Deutschland und Israel heute”: Welches Wort assoziieren Israelis mit dem Namen “Deutschland”, welches Deutsche mit dem Namen “Israel”?

Mit den dominierenden Begriffen “Holocaust” und “Nazis” für Deutschland und “Krieg” und “Juden” für Israel lassen sich unmittelbar Geschichten erzählen und Bilder aufrufen. Doch “Ordnung” und “System” für Deutschland und “Judentum” und “Jerusalem” für Israel rufen doch zunächst eher Bild-Assoziationen als konkrete Geschichten hervor. 

Die gegenseitigen Wortwolke-Assoziationen von Israelis und Deutschen in der Bertelsmann Studie 2022 von Joachim Rother und Stephan Vopel. Screenshot mfG: Michael Blume

Dass Namen als Benennungen von Personen und Dingen nicht nur vielfache Bedeutungen, sondern auch “Gewicht” haben, erläuterte ich ebenfalls am Beispiel Blumenberg: Weil ihm die Namen und Bedeutungen rund um Napoleon und Adolf Hitler als philosophisch und biografisch allzu schwerwiegend erschienen, wurde das Kapitel dazu aus “Arbeit am Mythos” ausgekoppelt und erst nach Blumenbergs Tod als “Präfiguration” veröffentlicht. Als Beispiel für einen fiktiven, medialen Namen von dennoch großem “Gewicht” führte ich “Frankenstein” (1818) von Mary Shelley (1797 – 1851) ein, für einen be-nannten Prozess die sprichwörtliche “Gretchenfrage” von Goethe.

Im eigenen Leben schildere ich die knappe Entscheidung meiner Eltern zwischen den Namen Michael und Benjamin. Als “Benjamin Blume” wäre ich spätestens in der Grundschule massiv mit dem ab 1977 erschienenen “Benjamin Blümchen” konfrontiert worden – und kann also empirisch nachweisen, dass die Namenswahl auch Lebensläufe beeinflusst.

Als Beispiel aus den wissenschaftlich-politischen Kämpfen um die Macht der Namen nenne ich die Debatten um Verschwörungstheorien versus Verschwörungsmythen, um Klimawandel / Climate Change statt Treibhauseffekt / Global Warming und um Umwelt statt Mitwelt in der Weimarer Republik. Bei mehr Zeit hätte ich auch gerne die Frage aufgeworfen, ob es die sog. “Achsenzeit” wirk-lich gab, oder ob es sich “nur” um eine wirkmächtige Fiktion vor allem des 20. Jahrhunderts (Karl Jaspers) handelte. Gespannt bin ich, welche Namen und Begriffe (Benennungen) die Studierenden zum eigenen Erkunden wählen.  

Und während ich die Gebirgsregionen-Medienthese zum Alpenraum im letzten Jahr noch mit einem Text-Reader versehen hatte, entschied ich mich diesmal, auf jeden verpflichtenden Text zu verzichten. Zusätzlich zum Einführungsvortrag sollten nur noch zwei Podcast-Folgen angehört werden:

Gemeinsam mit den Studierenden möchte ich erkunden, wie sich ein Seminar anfühlt, das nicht auf der klassischen Textarbeit, sondern auf gesprochenen Worten basiert. Hinter diesem kleinen Experiment steckt eine späte Verbeugung vor dem griechischen Philosophen Sokrates, der als Urahn aller Medienkritiker die Einführung der Alphabetschrift abgelehnt hatte. Dies wissen wir freilich nur, weil vor allem sein Schüler Platon über Sokrates – geschrieben hatte.

Ich hoffe, es wurde deutlich: In der Medienethik greifen Lehre, Selbstreflektion und Forschung immer wieder ineinander. Und nun freue ich mich enorm auf das 3-tägige Blockseminar im Januar in Karlsruhe! Was werden die Studierenden – alleine oder in kleinen Gruppen – über die Macht der Namen entdecken, was werden wir über die Wirkungen verschiedener Medien auch bei uns selbst herausfinden?

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

12 Kommentare

  1. Zum Folgenden aus dem Artikel anschließend ein Hinweis auf einen Beitag in einem Medium, das von der Regierung in einer “Feindanalyse” beurteilt wurde. Dort geht es (auch) um die kontroverse Bewertung des Namens “Christoph Columbus” und darum , dass dieser Name nur noch unter einem einzigen Blickwinkel betrachtet werden solle oder gar “dürfe”.
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    “Alles Weltvertrauen (!) fängt an mit den Namen, zu denen sich Geschichten erzählen lassen.”
    Wenn das stimmt – und ich meine inzwischen, dass es das wesentlich tut -, dann sollten Verantwortliche in Familien, Journalismus und Politik, in Wirtschaft und Recht, in Religionen und Philosophien besser davon wissen!
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    Ich glaube, dass nur die Demokratiefeinde davon profitieren, wenn der offenen Diskurs mit dem Vokabular der Empörung unterdrückt wird; wenn Menschen das Gefühl bekommen, sie können nicht mehr ihre Meinung sagen, weil sie dann sofort abgestempelt werden; als Rassisten, als Querdenker, als Corona-Leugner, als Putin-Versteher“

    Dieser ( hervorgehobene) Text stammt nicht von mir. Sondern von Journalisten aus dem “obersten deutschen Mainstream”.

    Glauben Sie nicht? Bitte schön: Lesen Sie es im untenstehenden Link nach.
    (Aber Vorsicht -die Regierung warnte in einer “Feindanalyse” vor der Quelle)

    https://www.nachdenkseiten.de/?p=90384

    • Und jetzt, @little Louis? Ihr Kommentar wurde von mir mitsamt Link freigeschaltet. Werden Sie jetzt verhaftet, wie es bei der Verlinkung von regimekritischen Seiten in Russland drohen würde? Oder werden Sie entlassen, wie es Tausenden nicht nur kritischen Mitarbeiter:innen durch Elon Musk geschah? Oder müssen Sie jetzt auf Wink von Murdoch plötzlich Trump als „Verlierer“ bezeichnen, wie es u.a. neue Fox News-Linie ist?

      Vielleicht wollen Sie und Ihre Kumpels der Nachdenkseiten einfach mal drüber nachdenken, ob unsere liberale Demokratie vielleicht doch besser ist als manche/r behauptet? 💁‍♂️

  2. ” …. Sie und Ihre Kumpels der Nachdenkseiten …” (Zitatende)

    Wie kommen Sie nur auf “Kumpels” ? Ich bin einfacher Leser der NDS. Wenngleich auch diesen “politik- (!) ideologisch” nahe stehend.

    “…Oder werden Sie entlassen, wie es Tausenden nicht nur kritischen Mitarbeiter:innen durch Elon Musk geschah? …” (Zitatende)

    Schon vor Jahren hat man auf scilogs- Blogs Beschwerden über Zensur damit konterkariert, dass man (richtigerweise?) auf das private Hausrecht verwiesen hat.

    “...Und jetzt, @little Louis? Ihr Kommentar wurde von mir mitsamt Link freigeschaltet. Werden Sie jetzt verhaftet, wie es bei der Verlinkung von regimekritischen Seiten in Russland drohen würde?…” (Zitatende)

    Musss man hierzulande dem Staat jetzt dankbar sein, wenn er einem die selbstverständlichsten “demokratischen” (Grund-) Rechte gewährt?

    • Ja, @little louis – Sie sollten dem demokratischen Rechtsstaat dankbar sein, dass er Ihre Rechte achtet. Gerade auch viele zugewanderte, oft vor autoritären Regime geflohene Menschen sind das.

      Noch besser wäre es, Sie würden erkennen, dass jede Demokratie nur durch bürgerschaftliches Mitwirken lebendig bleibt und immer wieder verbessert werden kann. Der demokratische Staat ist Teil Ihrer Mitwelt; von der Sie leben und die wiederum auch Sie braucht. Im ehrlichen Vergleich zum Putin-Regime schneidet der bundesdeutsche Staat hervorragend ab. Die Flucht Abertausender Russen vor der Einberufung in den widersinnigen und erfolglosen Angriffskrieg gegen die Ukraine sei als Beleg benannt.

      Sie können aber natürlich auch weiterhin „politikideologisch“ bei den Nachdenkseiten bleiben. Und z.B. wunderbare Kritiken wie jene von Stefan Niggemeier schon von 2016 ignorieren:

      https://uebermedien.de/2301/die-macht-des-raunens/

      Ihnen alles Gute und viel Freude am mutigen Denken, little Genosse! ☺️🙌🇩🇪🇪🇺🇺🇦

  3. “…. little Genosse! ☺️🙌🇩🇪🇪🇺🇺🇦. ” (Zitatende)

    Das ist lustig. Denn Spaß machen finde ich noch lustiger als “Ideologie”.
    Bin aber in keiner Genossenschaft. Auch nicht in einer Genossenpartei. Außer (noch) in einer Lehrergewerkschaft. Obwohl ich manchmal überlege, was mir das eigentlich noch bringt, außer Unkosten durch den Mitgliedsbeitrag.
    Aber ich glaube, meine Vorfahren waren mal in Mitglied in Genossenschaften. Manche in landwirtschaftlichen, andere in Kapitalgenossenschaften, Volksbanken genannt.

    Little Louis wäre also allenfalls als “Genossenerbe” richtig benannt. Aber leider hab ich keine Genossen- Ideologie vererbt bekommen, sondern davon auch nur durch Schul- und Allgemeinbildung “erfahren”.
    Weiß nicht, ob das für mich positiv oder negativ war.

    Beste Grüße in die Landeshauptstadt

    L.L.

    • Danke für den fröhlichen und freundlichen Kommentar, @little louis! Und Sie kennen meine Einschätzung zur medialen Gesamtlage ja: Sie sind kein Opfer bösartiger Weltverschwörungen und brauchen sich nicht zu be-little-n, sich nicht in Opferpose erzählen. Sicher haben Sie auch viel Gutes erreicht und werden die Freiheiten Ihres Lebens Konstrukt nutzen. Auch mit hochwertigen Medien.

      Ihnen nun aber alles Gute und bis bald aus der niedersächsischen Landeshauptstadt (heute BLK)!

  4. Alles Weltvertrauen (!) fängt an mit den Namen, zu denen sich Geschichten erzählen lassen. [Hans Blumenberg, Artikeltext]

    Klingt hier nicht schlecht, denn es sind oder waren sprachlich Bemächtigte, die sich selbst und Anderen, auch Anderem, Namen gaben, um sog. Realität (“Sachlichkeit”) zu erzeugen.

    Insofern werden dann Geschichten gebildet, die Historie nahm mit dem Wort ihren Anfang, heraus kam dann, böse formuliert, Gerede.
    Aber nicht nur.

    Das sich selbst Perpetuierte sozusagen, Persistierte, bis dann angefangen ist das Gerede selbst mit Gerede zu belegen, Sichten bildend, auch Theorien genannt.
    Die Philosophie entstand.

    Wobei dann auch Tatsachen, getätigte Messungen, und Fakten, “Gemachtes”, entstanden und letztlich – philosophisch beobachtet bis angeleitet – so die Wissenschaft, die sicherlich, bei derartiger (Anfangs-)Beschauung ein wenig grob waren, in der Menge bearbeitet worden sind, der Sprache und der Erkennung mit Sinnesorganen dank, auch dem sog. Verstand.

    Geschichten, ‘Narrative’, bleiben und blieben dann gesondert, gerne auch skeptisch, zweifelnd zu bearbeiten, auch Fakten oder Tatsachen, denn die hängen ja in ihrer Erfassung wiederum von der Beobachtung und Beobachtenden ab.
    Wobei hier die Erfindung der Schrift ungemein oder gemein behilfllich war,
    Und es sog. alternative Fakten geben kann bis muss.

    Auch das ‘Vertrauen’ ist ein Begriff, der wie gemeint theoretisiert werden muss; der Hund bspw. hat Vertrauen, weiß aber nicht, dass er Vertrauen hat, geeignete Hundeführer vorausgesetzt.

    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Webbaer (der gleich noch mal in die Schrift, den Kontext, von dem wie gemeint habenden Hans Blumenberg hinein schauen wird)

    PS:
    Dr. Webbaer war ja einige Jahre im Bereich der Erfassung unterwegs, sog. Datenhaltung meinend, der IT-Bereich ist mitgemeint, der letztlich fazitär, Fakten oder Tatsachen meinen oder meinen muss.
    Dr. W mag die tabellarische Darstellung, gerne auch die mehr-dimensionale.

    • Danke für den reflektierenden Kommentar, @Webbaer. Blumenbergs „Arbeit am Mythos“, dem auch das Leit-Zitat entnommen ist, ist bei Suhrkamp erhältlich und dürfte Ihnen Freude machen, ja Ihren bereits weit gediehenen Gedankengängen weiterhelfen. Dies gälte selbstverständlich ebenso für „Rückzug oder Kreuzzug?“, doch will ich Ihnen keine eigenen Bücher nahelegen. Sie lesen hier ja schon Blogposts! ☺️🙌

      • Dr. W hat sich hier einzulesen, mag Westphalen, auch bspw. Joseph Honerkamp, bei den SciLogs.de verfügbar, wird sich hier zu fitten suchen.
        (Dr. W wird auch ‘Rückzug oder Kreuzzug?’, anscheinend Ihre Arbeit, lieber Herr Dr. Michael Blume, zu bearbeiten suchen.)
        MFG + weiterhin viel Erfolg
        Dr. W

  5. Als Beispiel aus den wissenschaftlich-politischen Kämpfen um die Macht der Namen nenne ich die Debatten um Verschwörungstheorien versus Verschwörungsmythen, um Klimawandel / Climate Change statt Treibhauseffekt / Global Warming und um Umwelt statt Mitwelt in der Weimarer Republik.

    Klassiker: Atomenergie vs. Kernenergie bzw. Atomkraftwerk vs. Kernkraftwerk. Highlight: Entsorgungspark für Atommüllendlager. Vergl. Globalisierungsgegner vs. Globalisierungskritiker. Hier geht es schon um Geschichtsmetaphysik.

    • Ja, @Alubehüteter – Namen sind mächtig und Benennungen nie „neutral“. Und dabei geht es auch nicht „nur“ um Sprache, sondern um die Prägungen von Wahrnehmungen und Verhalten – einschließlich des Sprechens.

  6. Von den Studierenden kommen bereits unglaublich spannende Themen-Vorschläge, ich freue mich SEHR auf das Seminar!

    Hier mein Lieblingsgedicht zum Thema von Ana Luisa Amaral: O que ha num nome ? What’s in a Name?

    Ich frage: Was ist ein Name?

    Welche Dichte besitzt er, wenn man auf ihn hört
    welche Kriege beschützen ihn
    gleichzeitig?

    Abstammung, unterwürfiger Boden
    von wenigen Silben gebändigte Generationen,
    Grundfesten der Geschichte, deren Gesetze
    auf Feuer und Flamme geschmiedet sind?

    Ist der Name verlöscht, bleibt die Liebe,
    bleiben du und ich – selbst im Tod,
    und sei es auch nur als Mythos

    Und selbst der Mythos (hör zu!),
    unsere kurze Geschichte,
    die manche als leblose Materie lesen,
    wird für die menschliche Ewigkeit bleiben

    Und andere
    werden stets darauf zurückgreifen,
    wenn ihr Jahrhundert es braucht

    Und wir, meine Liebe, meine höhere Gewalt,
    werden für sie wie die Rose sein –

    Nein, wie ihr Duft:

    unbändig frei

    Ana Luisa Amaral (2021): Was ist ein Name? Gedichte 1990 – 2020. Aus dem Portugiesischen von Michael Kegler & Piero Salabe, Carl Hanser Verlag, S. 7

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