Die Flussebenen-Medienthese als Ergänzung zu den Gebirgsregionen

Zu den wirklich schönen Erlebnissen gehörte die positive Resonanz auf die am EUSALP-Alpenraum entwickelte Gebirgsregionen-Medienthese in Politik und Medien. Bereits im Reader für das KIT Karlsruhe hatte ich sie formuliert als:

„Zwischen Menschen in Gebirgsregionen entwickelten sich >sprachliche<, kleinteilige, naturromantische & patriarchale Selbstverwaltungen. Gegenüber zentralisierenden Vor->Schriften< entstand daher mythologische Medien-, Wissenschafts-, Obrigkeits- und Staatskritik, die sich konstruktiv als bündischer Föderalismus und später Liberalismus, destruktiv als dualistischer Verschwörungsglauben bis hin zum Antisemitismus äußert.“

Eine grüne Berglandschaft mit einem schimmernden See, umgeben von mitteleuropäischen Wäldern und wenigen Häusern einer Dorfsiedlung. Das gesamte Ambiente wurde von Dr. Michael Blume durch Leonardo.AI KI-generiert.

Wie wirken sich unterschiedliche Landschaften auf politische Traditionen aus? Eine KI-generierte Berglandschaft mit See, erstellt mit Leonardo.AI durch Michael Blume

An einem ruhigen Abend entwarf ich einmal als Gegenstück und Ergänzung dazu die Flussebenen-Medienthese an Beispielen wie Berlin, Paris, London, Rom, Peking, Kiew, Moskau und Washington, die ich jedoch bisher nicht vergleichbar tief erkunden und überprüfen konnte. Sie lautet in also bis jetzt noch nicht veröffentlichter und zur Diskussion gestellter Form:

“Zwischen Menschen in von Flüssen gegliederten Ebenen entwickelten sich großflächige, pragmatisch auf Schutz und Naturbeherrschung orientierte Kulturen. Bevorzugt werden starke, schützende Zentralstaaten, die sich monistisch als gewaltenteilig verfasste und auf Handel orientierte Demokratien, dualistisch jedoch als militarisierte und rassistische Imperien (“Reiche”) ausprägen.”

Im Hinblick auf die klare Unterscheidbarkeit und empirische Überprüfbarkeit der beiden einander ergänzenden Thesen bin ich vorsichtig optimistisch, jedoch auch gespannt auf Ihre Rückmeldungen und für alles weitere geduldig. 🙂 

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

33 Kommentare

  1. Terry Pratchett hat – so weit sich korrekt erinnert wird – in diesem Roman :

    -> https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Winterschmied

    … angemerkt, dass das Land (die Umgebung) die Leute macht. [1]

    Wer sich nicht an das Gebirge (eher hartes Leben, das aber auch schön sein kann) oder an den Fluss, der auch den Handel meint und die “große Stadt”, anpassen möchte, reist ab.

    Dem letzten Absatz Ihrer dankenswerterweise verfassten Nachricht stimmt Dr. Webbaer, was die ’empirische Überprüfbarkeit’ meint; heute ist aber “alles anders”.

    Mit freundlichen Grüßen + weiterhin viel Erfolg
    Dr. Webbaer

    [1]
    Keine so-o großartige und singuläre Erkenntnis, Dr. W hat nach einem Grund gesucht den womöglich größten Philosophen der letzten Jahre mit diesem Werk zitieren zu können, das auch für Kinder sehr geeignet ist.

  2. In Baden-Württemberg ist “Berge trennen, Flüsse verbinden” m.W. schon länger ein Topos, mit dem diverse Unterschiede der beiden Landesteile erklärt werden. Das Zitat soll auf den Volkskundler Hermann Bausinger zurückgehen, vielleicht lohnt sich mal ein Blick in seine Untersuchungen, um die Alpen- und Flussthesen zu untermauern?

    • Danke, @Poupou – auch auf Mastodon haben mich bereits einige darauf aufmerksam gemacht, dass es entsprechende Deutungen zu Baden und Württemberg bereits gibt! Dank Ihnen habe ich nun einen ersten Namen – Hermann Bausinger – dem ich dazu nachgehen kann. Vielen Dank und, wie es in Krimis so schön heißt: “Melden Sie sich gerne hier, wenn Ihnen zu dem Fall noch irgendetwas einfällt.” 🙂

    • Klingt für den Schreiber dieser Zeilen folgerichtig, vielen Dank für diesen Hinweis, Kommentatorenfreund ‘Poupou’.
      Auch die sogenannte Nebeltheorie muss nicht falsch sein, die in etwa besagt, dass die Entfernung vom Äquator das Kooperationsverhalten von Völkern mitbestimmt.

      • @Poupou & @Webbaer

        Hatte erst neulich die Empirischen Kulturwissenschaften in Tübingen besucht – und mir jetzt umgehend ein Bausinger-Buch zu Baden-Württemberg bestellt! Danke für den Tip!

  3. Mit der Verwendung der Begriffe „monistisch“ und „dualistisch“ sollte man meines Erachtens etwas vorsichtig sein. Zumal gerade an Flüssen und Handelsruten, wie beispielsweise im Donauraum (EUSDR), eine exakte Einordnung schwierig sein dürfte, weil hier viele Völker und Kulturen ihre Spuren hinterließen. Im Gegensatz zum Alpenraum, mit seinen z.T. abgeschlossenen Tälern, war das Leben an den Flüssen von jeher von Handel und Wandel geprägt. Aktuell bemühen sich demzufolge sämtliche Anrainerstaaten um eine bessere Koordinierung ihrer Ziele.
    Allerdings war das Leben an den Flüssen nicht immer friedlich. Man denke nur an die Raubzüge der Wikinger, die mit ihren schellen Booten über Skandinavien bis nach Russland und Konstantinopel vordrangen. Im 9. Jahrhundert sind Raubzüge der Wikinger sogar im Rheinland verbürgt. Aus diesem Grund klingt es etwas zynisch, wenn gesagt wird: “Berge trennen, Flüsse verbinden”.

  4. Wenn Sie die Hypothese weiter untersuchen, könnte es interessant sein, die Mentalität (soweit das messbar ist) zu korrelieren mit der Größe von Flüssen, mit den Kategorien:
    gängig für große Boote (etwa so wie die Kanäle in England),
    schiffbar für Schiffe bis Größe Küstenmotorschiff,
    schiffbar für große Schiffe, die für Ozeanquerungen eingesetzt werden,
    schiffbar für Panamax-Klasse.

    Außerdem sollten Sie Städte an Küsten und an Flussdeltas mit einbeziehen. Und vielleicht sogar den Blick noch mehr weiten?

    Warum?
    Liberalität, und weiträumiges Denken und Handeln) entstehen und werden gefördert durch die Begegnung mit dem Andersartigen, mit dem man vertrauter wird. “Fremd” könnte gefährlich sein, “Anders” ist harmlos.

    Küsten und Deltas bieten wie Flüsse eine leichte Erreichbarkeit, auch mit großen Lasten (Honkong, Singapur, Hamburg, London, New Orleans). Daher sind sie, wie die großen Binnenstädte, seit je her Orte des Handels gewesen. Im Binnenland haben diese Qualität auch Orte, deren Lage keinen anderen (leichteren) Transit in der Nähe erlaubt. Bei Wüsten zB. an Wasserstellen und Anlaufstellen von Wüstenrouten (Timbuktu), im milderen Land an leichten Flussübergängen (Frank*furt*a. M.), oder Gebirgspässen.

    Kurz: Erreichbarkeit => Handel => Liberalität.

    In diesem Kontext möchte ich Sie hinweisen auf den Begriff der “creative class” und die Untersuchungen von Richard Florida zum Zusammenhang von Liberalität und Wirtschaftskraft. (Beispiel: Neuseelands junge Filmindustrie) Untersuchungen wie in R. Floridas The Rise of the Creative Class gibt es auch für Deutschland.

  5. Mündungen von Flüssen in Flüsse sind auch noch erwähnenswert, aus demselben Grund.

    Vielleicht ist es sinnvoller, gleich groß zu denken und die Hypothese von Anfang an auf Erreichbarkeit (bzw. fehlende Konkurrenz bzgl. Erreichbarkeit/Transit), zu basieren. Das hätte das Zeug zu einer größeren Untersuchung.

    Aber dann, um G*s Willen!, nicht (wie Sarrazin und andere Halbwissenschaftler), nur das sammeln was die These stützt, sondern hartnäckig versuchen zu falsifizieren: wo trifft die These nicht zu? Bei allen Beispielen wäre zumindest ein kursorischer Blick in die Geschichte nötig, um ortsspezifische Einflüsse mit einzuschließen.

    • Ja, @Noch‘n Wort – da stimme ich nicht nur zu. Ich meine, dass der kognitive Bestätigungsfehler alle Menschen – also auch mich selbst – betrifft und stelle daher die Thesen und Begriffe immer wieder öffentlich zur Diskussion, lese jeden Druko und versuche auch reflektiert zu antworten. Das ist einer der Gründe für meinen enormen Zeiteinsatz für diesen Wissenschaftsblog. Dieser direkte Dialog fehlt mir auch in den gängigen Magazinen. Ich glaube einfach nicht, dass ich die Falsifikation von Annahmen alleine im stillen Kämmerlein leisten könnte und bin zudem für weiterführende Hinweise (wie hier im Thread auf Hermann Bausinger) dankbar. Die Haltung des angeblich allwissenden Wissenschaftlers, der über den Dingen & Mitmenschen stünde, erscheint mir aus der Zeit gefallen.

      Entsprechend bin ich auch in der Einschätzung von Thilo Sarrazin ganz bei Ihnen – der sich für seinen Bestseller „Deutschland schafft sich ab“ auch bei meinen Daten bediente (was mit Zitatangabe völlig okay wäre), diese aber entlang seiner rassistischen Annahmen verzerrte, hier dokumentiert:

      https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/die-demografische-traditionalismusfalle-und-warum-thilo-sarrazin-schummeln-musste-n-tv-4/

      Ich freue mich also, wenn Sie kritisch-konstruktiv mit dranbleiben!

    • „Bei allen Beispielen wäre zumindest ein kursorischer Blick in die Geschichte nötig, um ortsspezifische Einflüsse mit einzuschließen.“

      Hier kann man die Geschichte der deutschen Flüsse und Flusstäler als Wirtschafts- und Kommunikationswege nachlesen.

  6. Die “größere Untersuchung” hätte den Aufwand einer größeren Dissertation — das ist für ein Paar Schultern zu mächtig, das würde mehrere Leute umfassen müssen, zumindest als Co-Autoren.

    Der Hinweis auf Falsifikation war nicht persönlich auf Sie gerichtet — ich sehe ja, wie sie hier (und vermutlich anderswo in Ihren Aktivitäten) die Rückmeldungen aufnehmen. Fast schon ein informelles Delphi-Verfahren. Ich schrieb das als ein generelles “Augen auf!” bei politisch heiklen Themen für die ganze Runde.

  7. @Michael Blume,
    so ganz überzeugt mich Ihre Theorie noch nicht. Denn dann hätte es am Bodensee und am Zürichsee wenig bis keinen Antisemitismus geben dürfen.
    An der Nord- und Ostsee gab es ihn (Bäderantisemitismus, “deutsche Physik”)- auch das spricht erst einmal gegen Ihre Theorie .
    Es gibt eine Theorie von Schoeps zu Wüste und Küste, die er gegen Schmitt entwickelt hat, die mir plausibler erscheint. Ich müsste es suchen.
    Sie sollten vielleicht Ihre Theorie einmal mit Thünens Ringen https://de.wikipedia.org/wiki/Th%C3%BCnensche_Ringe ins Verhältnis setzen. Ich habe den Verdacht, dass sich die Verteilung des Antisemitismus eher mit Thünens Wirtschaftsgeografie oder auch mit Cristaller-Netzen erklären lässt

    • @Joachim Fischer

      Danke für die Links, aber diese Einwände verstehe ich beim besten Willen nicht:

      „Denn dann hätte es am Bodensee und am Zürichsee wenig bis keinen Antisemitismus geben dürfen.
      An der Nord- und Ostsee gab es ihn (Bäderantisemitismus, “deutsche Physik”)- auch das spricht erst einmal gegen Ihre Theorie .“

      Wie kommen Sie denn darauf, ich hätte irgendwo die Nichtexistenz von Antisemitismus prognostiziert? Wo ist da der Zusammenhang zur Flussebenen-Medienthese? 🤷‍♂️

      Boden- und Zürichsee liegen im EUSALP-Alpenraum, den ich im Kontext der Gebirgsregionen-Medienthese ausführlich beschrieb:

      https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/antisemitismus-im-foederalismus-warum-der-faschismus-im-alpenraum-eskalierte/

      Oder lasen Sie diese etwa (widersinnig) im Sinne einer Nur-hier-gibt-es-Verschwörungsmythen-These?

      Danke & etwas ratlose Grüße…

    • Exakt, @Webbaer – die EUSALP-Makroregion spielt für mein Denken eine große Rolle, wenn die Gebirgsregionen-Medienthese selbstverständlich auch weitere Mittelgebirgsregionen wie den Thüringer Wald, das Erzgebirge und die Sächsische Schweiz erfasst, vgl.

      https://www.alpine-region.eu/node/276

      Noch in jeder Karte des Deutschen Reiches ab 1871 bis 1918 lässt sich die politische Spannung, ja Dualität zwischen dem Berliner Flussebenen-Preußentum einerseits und dem süddeutschen Gebirgsgürtel erkennen:

      https://de.m.wikipedia.org/wiki/Deutsches_Reich#/media/Datei%3ADeutsches_Reich_(1871-1918)-de.svg

      Entsprechend klar gehören Boden- und Zürichsee in den Gebirgsregionen-Alpenraum.

        • Salat ist gesund, lieber @Webbaer – und auch aus Mitwelt-Gründen als (idealerweise reine) Pflanzenkost allen Produkten der industriellen Massentierhaltung vorzuziehen! 🙂

          Zu Recht klagte Byung-Chul Han in seinem neuen “Die Krise der Narration”, Matthes & Seitz Berlin 2023, S. 75:

          “In einer daten- und informationsgesättigten Welt verkümmert das Erzählvermögen. So werden Theorien seltener gebildet, ja gewagt.” (Hervorhebung im Original)

          Und ich bin mit den Gebirgsregionen- und Flussebenen-Medienthesen noch nicht einmal zur Theorie vorgestoßen – und werde auch weiterhin gegen das Sperrfeuer vor allem älterer Mit-Männer so einiges “wagen”! 🙂

  8. Denn dann hätte es am Bodensee und am Zürichsee wenig bis keinen Antisemitismus geben dürfen.

    Man könnte im Hinblick auf die Erreichbarkeit per Wasserweg gut argumentieren, dass durch den Rheinfall von Schaffhausen in gewisser Weise alle Rhein-Zuflüsse oberhalb, und damit auch ihre Einzugsgebiete (incl. der genannten Seen!) von der großen weiten Welt ‘abgeschnitten’ seien… Nicht einmal Fische (außer dem Aal) kommen stromauf durch (über?) ihn. Über die letzten zwei..drei Jahrtausende gerechnet hat so ein Hindernis großen Einfluss.

    —-

    Noch etwas zur “Erreichbarkeit”:

    Nur auf Wasserwege zu fokussieren könnte zu klein gedacht sein. Große Lasten per Schiff, die Handel im großen Stil ermöglichen, sind nicht alles in dieser Hinsicht. Die Zugänglichkeit für Pferd(-ewagen) oder Kamel(-karawane) ist ebenfalls eine (sicher viel schwächere) Determinante.

    Kann man für Subsahara-Afrika das Fehlen von Reittieren wie Pferd und Dromedar als Entwicklungshindernis betrachten? Allerdings gibt es große Flussysteme, auch in Südamerika. Wie tolerant und weltoffen waren deren Bewohner, bevor sie Technologien der Europäer übernahmen?

    Nur den Austausch von Gütern zu untersuchen erscheint mir ebenfalls zu eng. Auch zu betrachten wären etablierte Kommunikationswege — das Örtöö-System des Mongolenreiches zum Beispiel (meine Hervorhebung):

    Trotz mangelhafter politischer Einheit war der Zusammenhalt innerhalb des Mongolischen Reiches auch nach 1307 noch deutlich erkennbar. Er manifestierte sich unter anderem in dem in der Jassa kodifizierten Recht, dem Post- und Kommunikationssystem (Örtöö und Païza), und dem gemeinsamen Kunst- und Kulturgut wie insbesondere Schrift und Sprache. Damit ist die Einheit des Mongolischen Reiches durchaus mit jener anderer großen Reiche des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit vergleichbar

    .

    “Gemeinsames Kunst- und Kulturgut”, “Schrift und Sprache” sind mit militärischer Unterdrückung oder mit Handel alleine nicht zu erklären.

    Evtl. ein Beispiel: Scheiterte Alexander der Große an fehlendem Zusammenhalt durch Handel und Kommunikation unter seinen Eroberungen?

  9. Joachim Fischer schrieb (23.08.2023, 23:01 Uhr):
    > @Michael Blume, so ganz überzeugt mich Ihre Theorie noch nicht. […]
    > […] das spricht erst einmal gegen Ihre Theorie.
    > […] Sie sollten vielleicht Ihre Theorie einmal […]

    Die Bezeichnung “Theorie” kommt aber im obigen SciLogs-Artikel von Michael Blume gar nicht vor!

    Stattdessen geht es dort ausdrücklich um gewisse “Thesen”; insbesondere auch im Zusammenhang mit deren Prüfbarkeit bzw. Überprüfung. …

    Hat Michael Blume das Wort “These” mit Bedacht anstelle des Wortes “Theorie” gewählt ?,
    und würde er diese Wortwahl bitte etwas ausführlicher begründen ?
    (Danke im voraus! – FW)

    • Ja, @Frank Wappler – ich verstehe eine (Hypo-)These zunächst einmal als Vermutung eines Zusammenhangs, noch nicht als ausgearbeitete Theorie. Deswegen stellte ich bewusst vorsichtig, die Gebirgsregionen-Medienthese zur Diskussion…

      https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/die-alpenraum-medienthese-kit-vortrag-und-studienbrief/

      Nachdem diese sehr positiv aufgenommen und bis in große Medien wie die Süddeutsche Zeitung (SZ) hinein diskutiert wurden, erweitere ich hier vorsichtig um eine ergänzende These zu Flussebenen. Ob das Ganze jemals zu einer Theorie reifen wird, lasse ich offen. Es könnte ja auch sein, dass sich der Anschluss an bereits bestehende Theorien (etwa der “polyzentrischen” Bloomington School) ergibt. Es erscheint mir viel zu früh, sich da festzulegen – stattdessen stelle ich die Thesen gerne zur kritisch-konstruktiven Debatte – und bin schon jetzt dankbar etwa für den Hinweis zu Bausinger.

      • ichael Blume schrieb (25.08.2023, 11:50 Uhr):
        > […] ich verstehe eine (Hypo-)These zunächst einmal als Vermutung eines Zusammenhangs,

        … so weit, so üblich und verständlich …

        > noch nicht als ausgearbeitete Theorie. […] Ob das Ganze jemals zu einer Theorie reifen wird, lasse ich offen. […] Es könnte ja auch sein, dass sich der Anschluss an bereits bestehende Theorien […] ergibt.

        Diese Reihenfolge und Einordnung erscheint mir allerdings sehr fraglich …
        Daher meine folgende Anschlussfrage, für die ich allerdings ein wenig ausholen muss:

        Die in Betracht stehenden Thesen bzw. Hypothesen sollen doch ausdrücklich überprüfbar (sicherlich auch im Sinne von falsifizierbar) sein. Bei deren Formulierungen, wie z.B. oben gegeben, handelt es sich deshalb doch gewiss nicht um “bloßes Wortgeklingel”, sondern um bedachte Wortwahl zur Benennung ganz bestimmter Begriffe mit ganz bestimmter Bedeutung (die ich hier gar nicht im Einzelnen diskutieren möchte).

        Wie nennen Sie denn ein System von bestimmten mitteilbaren, definierten bzw. Bedeutungs-vollen Begriffen (einschl. aller allein schon daraus intrinsisch bewiesenen oder noch beweisbaren Zusammenhänge),
        wenn nicht “Theorie” ??

        Kann denn eine (Hypo-)These überhaupt gewissenhaft überprüfbar bzw. falsifizierbar sein
        (… egal ob rein intrinsich beweisbar oder widerlegbar, oder durch Festsetzungs-gemäße Auswertung von externem/empirischem “Input” …),
        wenn die Begriffe (Festsetzungen, Methoden …), mit denen sie formuliert und mitteilbar ist, nicht einer hinreichend ausgereiften, kohärenten Theorie entnommen sind ??

        p.s.
        Sofern die aufgestellte (Hypo-)These rein intrinsich-begrifflich prüfbar ist, stellt das Resultat ihrer Prüfung dann ein weiteres Theorem der betreffenden Theorie dar; in Fortsetzung ihrer “Ausarbeitung”, die jedoch i.A. sowieso niemals als abgeschlossen gelten kann.

        Sofern die Prüfung der aufgestellte (Hypo-)These durch Festsetzungs-gemäße Auswertung von externem/empirischem “Input” erfolgt, ergänzt das Resultat das Standard-Modell der betreffenden Theorie, und falsifiziert ggf. etliche andere bislang haltbare (nunmehr-nicht-Standard-)Modelle.

        • @Frank Wappler

          Es ist wirklich nicht so schwer: Eine (Hypo-)These schlägt einen beobachtbaren Zusammenhang zur Überprüfung und Diskussion vor. Das geschieht hier. Mehrere bereits diskutierte Thesen können zu Theorien wie der Evolutionstheorie, der Rentierstaatstheorie u.v.m. gebündelt werden. Das ist hier noch nicht geschehen.

          Immer gilt: Es bleiben sowohl die Einzelthesen wie auch die Theorien insgesamt empirisch überprüfbar.

          • Michael Blume schrieb (25.08.2023, 13:43 Uhr):
            > Es ist wirklich nicht so schwer: […] Thesen können zu Theorien […] gebündelt werden. […]

            Aber als einer von denen, die das Wort “Theorie” schon mit Bedacht dafür benutzen, um (i.A. konsistente) “Bündel” von Axiomen bzw. selbstverständlichen Begriffen, damit ausgedrückten weiteren Begriffs-Definitionen und daraus zu bildenden Theoremen zu bezeichnen,
            frage ich deshalb und trotzdem einfach nochmal ganz direkt:

            Mit welchem Wort bezeichnen Sie denn solche “Bündel” stattdessen ??

            Oder ist Ihnen das Material, woraus Sie Thesen überhaupt erst formulieren, sozusagen “nicht der Rede wert” ?

          • Doch, klar, @Frank Wappler – unterhalb von Thesen können wir von Annahmen sprechen. Ich nehme beispielsweise an, dass Menschen vergleichbare Gehirne besitzen und also psychologische Erkenntnisse (mit einer starken Streuung wegen Neurodiversität und Kultur) dennoch verallgemeinerbar sind. Ohne grundlegende Annahmen ist auch keine Bildung (!) von Hypothesen möglich. Aufklärung besteht m.E. wesentlich in der Überprüfung und Verbesserung von Annahmen. Ganz grundlegend leistete dies zuletzt auch die Bloomington School um Elinor Ostrom:

            https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/monistische-wege-aus-polizei-und-wasserkrise-die-bloomington-school-nach-elinor-ostrom/

            Beste Grüße, alles Gute!

          • Michael Blume schrieb (25.08.2023, 15:23 Uhr):
            > […] unterhalb von Thesen können wir von Annahmen sprechen. […]

            Auf meine dem vorausgehende Frage (25.08.2023, 15:10 Uhr), wie denn ein “Bündel von Begriffen (und deren Zusammenhänge)” kurz zu bezeichnen wäre (sofern die Bezeichnung “Theorie” dafür eben unbedingt vermieden werden sollte), hätte ich — wie ich mir im Nachhinein überlegt habe — weit eher mit Antworten wie “Sachkunde”, “(Fach-)Sprache”, “Terminologie”, “Festlegungen” oder “Festsetzungen” gerechnet. …

            Das Wort “Annahme” hat ja vielfältige Bedeutungen; und vielleicht lässt sich in manchen ja auch ein Hauch von “Festlegung” ahnen. Ich ahne aber, dass gerade solche mit der obigen Antwort nicht gemeint wären.

            > […] grundlegende Annahmen
            > […] Überprüfung […] von Annahmen.

            Das Wort Annahme lässt sich recht flexibel interpretieren.
            Eine beispielhaft eloquente Formuierung mit Bezug auf die Interpretation, auf die ich gerade nicht hinauswollte, lautet ja:

            Gehe ich recht in der Annahme, dass … [… Folgendes zutrifft, anstatt des Gegenteils …] ?

            Dagegen wirkt die formal entsprechende Fragestellung mit der anderen Interpretation doch eher ungewöhnlich bis ungeschickt:

            Gehe ich recht in der grundlegenden Annahme (bzw. mit der Festsetzung), … [… “machen wir’s folgendermaßen: …” …] ?

            Wer “Festsetzung” meint, und das Wort “Festsetzung” im aktiven Wortschatz hat, dürfte also anders formulieren als gezeigt; und wohl eher genau das Wort “Festsetzung” verwenden, anstatt “(grundlegende) Annahme”.

            Also etwa so, wie z.B. Albert Einstein u.a. in seiner (ersten) Formulierung der Speziellen Relativitäts- — Überraschung!? — –Theorie.

          • Danke, @Frank Wappler

            Mit einer „Setzung“ könnte ich noch leben, doch „Festsetzung“ ist mir zu… fest.

            Wie es Blumenberg in „Realität und Realismus“ mit Bezug auf jede Wirklichkeit notierte:

            „Die Falsifikation ist das schlechthin nicht Einholbare.“ (S. 39, nicht wie vertippt 19, M.B.)

            Im Begriff der Annahme finde ich die aktive Auswahl wie auch ihre „nicht einholbare“ Vorläufigkeit verbunden.

          • Michael Blume schrieb (26.08.2023, 07:12 Uhr):
            > Mit einer „Setzung“ könnte ich noch leben, doch „Festsetzung“ ist mir zu… fest.

            Dazu mein beinahe-spontan-Kommentar:
            Ist das (Zitierte) nicht ein prima Werbeslogan für einen Gebrauchtwagenhandel ?
            .

            Es ließe sich nun ausbreiten und diskutieren, was warum mindestens wie “fest” “gesetzt” bzw. “gelegt” sein sollte,
            wenn es um Prüfungen, Tests, Messungen, daraus erhaltene Ergebnisse, Resultate, Erkenntnisse, als auch um damit einhergehende Investitionen, Einsätze, Wetten bzw. Rechts-Sicherheiten geht.

            Vielleicht, und sogar vermutlich, ergibt sich dafür noch eine passendere Gelegenheit.

            p.s.
            > Wie es Blumenberg in „Realität und Realismus“ mit Bezug auf jede Wirklichkeit notierte:
            > „Die Falsifikation ist das schlechthin nicht Einholbare.“ (S. 19)

            Na, immerhin lässt sich auch so etwas googeln;
            und ich kann diesbezüglich zumindest mitteilen, dass die Angabe “(S. 19)” nicht zutrifft.

            Im Übrigen scheinen Aussagen wie: „Die Verifikation ist das schlechthin nicht Einholbare.“ weiter verbreitet;
            und sogar diese finde ich bestreitbar. …

          • Danke, @Frank Wappler – und Sie haben Recht! Das erwähnte Blumenberg-Zitat ist auf S. 39, nicht 19. Ich korrigiere das oben (transparent).

            Und gerne nutze ich die Chance Ihres großen Interesses, auf die grosse Platon-Überbietung durch ihn schon auf besagter S. 19 hinzuweisen:

            Aber, so muss man doch wohl fragen, könnte dieser Zusammenhang der Verweisung nicht in einer unabgeschlossenen Reihe von Steigerungen ontologischer Komparative weitergehen? Könnte nicht jede überbietende Wirklichkeit ihrerseits überboten werden?“

            Jede/r heute Fragende kann nicht wissen, ob sich jenseits der platonischen Höhle nicht doch nur wieder eine weitere, Realität simulierende Höhle befindet!

            Und darum kreisen ja letztlich auch Ihre Fragen, Nachfragen…

            Ich finde das übrigens erstmal schwierig, dann aber gut.

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