Wie kommt der Extremismus in die Religionen? Ein Artikel (deutsch & englisch) im österreichischen SIAK Magazin

Vor einem Jahr reiste ich zur 10. Wiener Frühjahrstagung für forensische Psychatrie zum damaligen Themenschwerpunkt “Terrorismus und Radikalisierung” und hielt dort einen Impulsvortrag.

  Thema der Wiener Tagung im Mai 2016

Was ich nicht wusste: Unter den mehreren Hundert Zuhörenden befand sich auch eine Beamtin des österreichischen Bundesinnenministeriums. Sie sprach mich nach dem Vortrag darauf an, ob ich mir vorstellen könnte, dessen Inhalt in einem Artikel für das polizeiwissenschaftliche SIAK Journal der Republik Österreich darzustellen. (SIAK steht dabei für Sicherheitsakademie.) Sehr gerne kam ich dieser Bitte nach, zumal die engagierten österreichischen Kolleginnen und Kollegen umgekehrt auch bereit waren, mir dann die pdfs des Artikels einige Monate nach Veröffentlichung für Homepage und Blog – also für genau Sie – zur Verfügung zu stellen. Tatsächlich entschieden sie dann auch, den deutschsprachigen Artikel für ihre internationale Ausgabe zu übersetzen, so dass ich Ihnen heute je die deutsche und die englische Variante kostenfrei zum Download einstellen kann:

Das Cover der internationalen Ausgabe von SIAK 2017.

Inhaltlich baute ich Vortrag und auch Artikel vor allem auf Vorarbeiten auf, die ich in verschiedenen sciebooks ausgearbeitet hatte. So eröffnete ich zunächst, dass alle (Welt-)Religionen immer wieder sowohl friedfertige und lebensförderliche wie auch gewaltbereite und destruktive Varianten (Fundamentalismus und Extremismus) hervorbringen. So haben trotz friedvoller Religionsstifter auch zum Beispiel christliche und buddhistische Religionsgemeinschaften Kriege gerechtfertigt oder gar gefordert, umgekehrt zum Beispiel auch jüdische und muslimische Ausleger entgegen aller Gewaltaufrufe in ihren Heiligen Schriften pazifistische Lehren vertreten. Religion ist immer, was man daraus macht…

Ausführliche Beispiele zu extremistischen Varianten in den Weltreligionen finden sich im sciebook “Religiöser Fundamentalismus und Extremismus”, 2014

Ein Faktor, den tatsächlich alle politischen oder religiösen Extremismen gemeinsam aufweisen, ist zudem der Glauben an eine bedrohliche Superverschwörung, gegen die sich die Gewaltbereiten dann eben “wehren” müssten.

Darstellung einer Verschwörungspyramide, wie sie sich in jedem Verschwörungsglauben manifestiert. Bild aus dem sciebook “Verschwörungsglauben. Der Reiz dunkler Mythen für Psyche und Medien”.

Besonders günstig für die Entstehung von autoritären Systemen waren im 20. Jahrhundert – und sind noch bis heute – vor allem Öl-Rentierstaaten wie Saudi-Arabien, Irak, Syrien, Lybien, aber auch Russland, Venezuela, Angola u.v.m. Entsprechend lassen sich die meisten der dortigen Regime, Milizen und Terrorgruppen unter der Perspektive von “Öl- und Glaubenskriegen” analysieren.

Ein Ein- und Überblick über die tiefere Krise des Islams soll in Buchform beim Patmos-Verlag zum September erscheinen – nähere Infos folgen. Aber nun hoffe ich erst einmal, dass Ihnen die obigen SIAK-Artikel Anregungen zum Verständnis religiöser Extremismen und den Möglichkeiten von Früherkennung, ja Vorbeugung bieten.

Einen herzlichen Dank noch einmal an die eindrucksvollen Kolleginnen und Kollegen unseres stolzen und meinerseits sehr geschätzten Nachbarlandes Österreich! 🙂

Avatar-Foto

Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

49 Kommentare

  1. Nicht nur Verschwörungstheorien und vorbestehende autokratische Verhältnisse, sondern auch die vom “Zeitgeist” beeinflusste Religionsauffassung kann zur Radikalisierung führen. Das zeigt sich im bis vor kurzem moderaten und säkularen Indonesien, wo gerade ein Politiker von Richtern, also von der Idee her unparteischen Personen, wegen Blasphemie verurteilt wurde. Dabei war sein einziges Vergehen die falsche Religionszugehörigkeit und der Aufruf an seine Wähler, nicht aus religiösen Motiven gegen ihn zu stimmen.
    Im verlinkten New York Times Artikel wird darauf hingewiesen, dass zunehmend auch moderate indonesische Muslime die radikale und intolerante Interpretation des Islams, wie sie von Fundamentalisten verbreitet wird, akzeptieren. Zitat:The radical groups organized the protests, demanding that the governor be jailed or killed and warning Muslims of dire consequences if they voted for a Christian. The sight of an estimated half million people at a rally in December was shocking in relatively cosmopolitan Jakarta even if, as has been reported, many protesters had been bused in from the more conservative hinterlands.
    Dass hunderttausende für die Ermordung eines Falschgläubigen demonstrieren ist auch schon in Pakistan vorgekommen. Ob man gegen Menschen falschen Glaubens oder der falschen Rasse agitiert ist im Kern wohl ähnlich motiviert. Immer geht es um eine Stärkung der eigenen Ethnie oder Gruppe und die Konstruktion eines Feindes.

  2. Blume, Holzherr,
    ……..Radikalisierung und Identitätssuche,

    Die religiöse Radikalisierung geht einher mit dem Fehlen einer konkreten Perspektive.
    Geben Sie den Jugendlichen in diesen Staaten eine Arbeit , dann gerät die Religion aus dem Focus.
    Die Nato hat dazu beigetragen, die Identität z.B. des irakischen Volkes zu beschädigen und auch der anderen Nahoststaaten . Jetzt wundert man sich, dass die gewaltbereiten religiösen Gruppen nach der Macht greifen.

    • Oh ja, @Bote17 – existentielle Sicherheit, Wohlstand und Bildung fördern religiöse Liberalisierung und auch Säkularisierung.

      Zur Frage des “irakischen Volkes”, das ja schon im Osmanischen Reich und dann von den westlichen Kolonialmächten fremdbestimmt und teilweise auch gegeneinander ausgespielt wurde, ließe sich hier viel sagen. Die Fehler westlicher (Öl-)Politik wie auch die wirtschaftlichen Auswirkungen des “Ölfluches” habe ich ausführlich behandelt: Solange die Haupteinnahmen der Rentierstaaten aus dem Öl stammen, gab es kaum Anreize, Unternehmertum, Bildung und Infrastruktur zu fördern, Bürokratie in Grenzen zu halten und Rechtssicherheit zu schaffen.
      http://www.sciebooks.de/cms/books/oel-und-glaubenskriege

      Ganz spannend ist, dass schon alleine die Aussicht auf eine Ende des Ölalters saudi-arabische Reformbestrebungen unter der Überschrift “Vision 2030” beflügelt haben, vgl.:
      http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/saudi-arabien-plant-ein-umfassendes-reformprogramm-14198886.html

      Insofern wären die schnelle Reduzierung des Ölverbrauchs und die Förderung von Frieden, Bildung und fairem Handel tatsächlich die besten Wege, den Radikalen den Zulauf zu entziehen. Das schreibe ich auch im o.g. Artikel.

  3. Einige, die den Islam studiert haben, meinen den “Extremismus”, der aus muslimischer Sicht keiner ist, sondern “Wahrheit”, schon in Koran und Sunnah angelegt zu sehen.
    Es bleibt natürlich Ihnen überlassen, anderswo Gründe zu finden, bspw. in fossilen Ressourcen, dem Kolonialismus oder im “Kapitalismus” (die ein wenig lieblose marxistische Kennzeichnung aufklärerischer Gesellschaftssysteme).
    Oder in sogenannten Verschwörungstheorien.

    Hand auf’s Herz, bei anderer Sicht ginge es wohl auch nicht an dem insbes. den Islam meinenden innerreligiösen Dialog teilzunehmen, lieber Herr Dr. Michael Blume, oder?

    MFG + schönes Wochenende schon einmal,
    Dr. Webbaer

    • Lieber @Webbaer,

      ja, genau so ist es – selbstverständlich meinte auch mancher christliche Kreuzfahrer, tatsächlich im Namen Christi unterwegs zu sein (“Deus lo volt”). Und noch auf den Koppelschlössern des Kaiserreiches und der Wehrmacht prangte “GOTT MIT UNS”, was mindestens einige der Kämpfenden auch sicher geglaubt haben.
      https://de.wikipedia.org/wiki/Koppelschloss

      Fundamentalistische und insbesondere extremistische Gruppierungen sind selten dialogbereit und -fähig, sie überziehen sich auch gegenseitig mit Gewalt. Da sollte man nicht blauäugig sein – nicht zuletzt ist der o.g. Artikel ja ausdrücklich für bewaffnete Sicherheitsorgane geschrieben worden, die es in der realen Welt eben auch braucht. Solchen Gruppen auch die Finanzquellen zu entziehen ist gerade kein Widerspruch dazu, ihnen entschlossen entgegen zu treten. Meinen Wehrdienst habe ich nicht zufällig geleistet. 🙂

      • Zum Islam lassen sich eine Debatte anrührend drei Fragen vorab stellen :

        1.) Sind die Konzepte des Islam bekannt?

        2.) Wird geglaubt, dass sie ernst gemeint sind?

        3.) Falls zweifach bejaht : Wie wird verteidigt?

        MFG + schönes Wochenende noch,
        Dr. Webbaer

        • Lieber @Webbaer,

          gedulden Sie sich bitte noch ein wenig – die große Islamdiskussion steigt auf Natur des Glaubens gerne mit dem neuen Buch ab September! 🙂 Der obige Artikel argumentiert bewusst religionsvergleichend, da man das Besondere erst im Vergleich mit dem Allgemeineren vertieft versteht.

          Jetzt haben wir schon so viele Jahre miteinander diskutiert – ich freue mich auf Ihre informierte Meinung und anregende Debatten in wenigen Monaten! 🙂

          • Aja, interessant, kleines altes dickes (aber nicht mehr so wie früher) Webbaer schon gespannt sein.

            MFG + schönen Tag des Herrn noch,
            Dr. Webbaer (der hofft, dass sich im angekündigten Buch nicht zu viel Islam-Apologetik finden wird)

  4. Tendenzen in islamischen Ländern
    Die demokratischsten islamischen Länder Indonesien, Türkei, Malaysia, Bangladesh, Tunesien und Senegal zeigen alle (ausser vielleicht Senegal) zunehmende Radikalisierungstendenzen, einige vor allem durch den zunehmenden Einfluss von Terrorgruppen (z.B. in Tunesien) und fundamentalistischen Gruppierungen, andere durch eine islamkonformere Regierungspolitik (z.B. Türkei).
    Die Wikipedia-Seite Islamic Democracy listet 3 mangelbehaftete islamische Demokratien auf (Indonesien, Malaysia und Senegal), 16 illiberale islamische Demokratien und mehr als 20 autoritäre islamische Regime. Es ist interessant, dass im Demokratie-Ranking Indonesien mit Platz 53 den besten Rang innehat und Indonesien offenbar auf dem Weg auf einen Platz weiter hinten im Demokratie-Ranking ist.

    Die Idee einer islamischen Demokratie
    Zitat aus obiger Wikipedia-Seite (mit google translate übersetzt)Die islamische Demokratie ist eine politische Ideologie, die islamische Prinzipien auf eine Politik im Rahmen eines demokratischen Rahmens anwenden will. Die islamische politische Theorie legt drei Grundmerkmale einer islamischen Demokratie fest: Führer müssen von den Menschen gewählt werden, die der Scharia unterworfen sind und sich für die “Shura” einsetzen, eine besondere Form der Konsultation des Propheten Muhammad
    In 25 Ländern gibt es islamisch demokratische Parteien im obengenannten Sinne, also Parteien, die eine Sharia-Demokratie anstreben.
    Diese Bewegungen zeigen, dass es demokratische Bewegungen im Islam gibt. Allerdings wird von diesen Bewegungen keine liberale Demokratie angestrebt, sondern etwas, was man als demokratische Theokratie bezeichnen könnte.

    Der Islam in Indien, China und Russland
    In Indien und Russland zeigen die Regierungen eine ambivalente Haltung zum Islam. In Russland gibt Putin Herrschern wie Kadyrow sehr viel Macht und diese Macht nutzt beispielsweise Kadyrow in doppelter Weise: Einerseits unterdrückt er alle Anti-Putin, Antirussland-Bewegungen, andererseits islamisiert er Tschetschenien.
    Kadyrow geht also genau in die Richtung, in der sich schon so viele islamische Länder befinden: politischer Autoritarismus kombiniert mit religiöser Kontrolle durch einen illiberale Religion. Und Putin lässt ihn gewähren, weil er so indirekt ebenfalls die Kontrolle über diese Unruhegebiete aufrechterhalten kann.
    China dagegen tritt dem Islam zunehmend repressiv entgegen wie der Artikel China erlässt Anti-Islam-Gesetz gegen Uiguren zeigt.

    Fazit: Der islamische Raum ist immer noch oder sogar zunehmend auf einem Trip oder gar einer ausgedehnten Karwanenereise in die Antimoderne. Nicht-islamische Länder sind etwas ratlos, ausser China, welches begonnen hat, alles was man mit dem Islam verbindet, zu unterdrücken.

  5. Dr. webbaer,
    ……..Extremismus, der aus islamischer Sicht keiner ist,

    man hat die Gefangenen in Guantanamo befragt, und keiner wusste, was im Koran steht ………!

  6. Schade, daß die Gefahr einer Radikalisierung unter nichtreligiösen Ideologien außen vor bleibt und nicht mitanalysiert wird. So fehlt quasi die Vergleichsgruppe, was den Wert von Untersuchungen infragestellt. Außerdem wird somit bereits im Vorfeld der Gedanke nicht nur nahegelegt, sondern in die Analyse mit hineingegeben und womöglich auch das Ergebnis beeiflußt, daß Religion und Extremismus wesentlich miteinander zu tun hätten, mehr jedenfalls als etwas anderes statt Religion. Vor allem aber wird dies als Botschaft vermittelt an jene, die solche Artikel wie diesen dann lesen – oder auch nur die Überschrift.

    Daß weltweit die Menschen zuallermeist religiös sind, ist zwar quantitativ ein Grund, daß die Gefahr religiösen Extremismus’ in der Welt weit größer ist als die eines Extremismus’ aus nichtreligiösen Ideologien heraus. Doch heißt das nicht notwendig, daß diese sich deswegen notwendig voneinander unterscheiden, etwa in relativer Häufigkeit oder Radikalität. Und wenn sie sich unterscheiden – welche Gefahr die schlimmere ist.

    • Klar, @Pertti Valkonen – es wären immer noch andere Fragestellungen möglich, beispielsweise nach Gewaltbereitschafi in säkularen Ideologien, in Familien, Sport- und Musikszenen, Rockerclubs, kriminellen Kartellen, Konzernen etc. Aber nicht in allen Bereichen bin ich gleichermaßen kundig und das war eben auch nicht die Fragestellung – diese lautete speziell auf religiös legitimierte Gewalt. Und ich denke, dass dieses Thema groß genug ist, um spezifisch analysiert und beschrieben zu werden.

      Natürlich bedauere ich, wenn durch die Themenstellung bei Ihnen der Eindruck entstanden sein sollte, hier werde Religion isoliert an den Pranger gestellt. Seien Sie versichert – bei anderen Forschungsfragen (z.B. Religion und Demografie) wird mir genau das Gegenteil vorgeworfen! 🙂

    • Zitat:Radikalisierung unter nichtreligiösen Ideologien) und damit Gewaltbereitschaft mit Inkaufnahme von Verhaftung und Tod im Namen einer Idee zeigt bei einigen dieser Gruppen Verwandtschaft mit religiös motiviertem Extremismus. Gewaltsame Demonstrationen mit spektakulären Sachbeschädigungen und kriegsähnlichen Kampfszenen zwischen Polizei und Auständischen sind in dieser Sicht quasi die Gottesdienste dieser Gruppen und ihre Kassiber und die unter den Gruppenmitgliedern kursierenden Theoriepapiere sind die heiligen Schriften. Allerdings ist das Mobilisierungspotenzial solcher säkularer ideologisch motivierter Gruppen im Vergleich zu Religionen beschränkt und der Abfall vom richtigen Glauben geschieht meist schneller als bei religiösen Gruppen.

  7. Und noch einmal: schade. DIese Antwort auf mein Post geht gehörig an meinem Einwurf vorbei.

    * “Klar, @Pertti Valkonen – es wären immer noch andere Fragestellungen möglich, beispielsweise nach Gewaltbereitschafi in säkularen Ideologien, in Familien, Sport- und Musikszenen, Rockerclubs, kriminellen Kartellen, Konzernen etc.”

    Religionen “erzeugen” einen sehr spezifischen Radikalismus, nämlich einen, dem es um die Dimension eines gesellschafts-, wenn nicht gar staatstragenden Anspruch geht. Wenn also die eigene Weltsicht zur Staatsideologie gemacht werden und die Gesellschaft danach normiert werden soll. Mit Deinem mit spitzer Zunge vorgebrachten Abgleich mit Gewalt aus dem Bereich “Familien, Sport- und Musikszenen, Rockerclubs, kriminellen Kartellen, Konzernen etc.” läßt Du Dich nicht sachlich auf meinen Einwurf ein, sondern lenkst davon nur ab. Und wie ich befürchten muß, bewußt.

    Die zu berücksichtigende Alternative zu “Religion” kann logischerweise nur in politisch-weltanschaulichen Standpunkten NEBEN den religiösen Standpunkten bestehen, die quasi auf der selben Ebene liegen. Ich halte Dich für intelligent genug, Dir darüber im Klaren zu sein.

    * “das war eben auch nicht die Fragestellung – diese lautete speziell auf religiös legitimierte Gewalt.”

    Das Thema war “Terrorismus und Radikalisierung”, nicht “Religiöser Terrorismus und Radikalisierung”. Und nach Deinen eigenen Worten bat Dich die Beamtin des österreichischen Bundesinnenministeriums, den Inhalt Deines Impulsvortrags wiederzugeben, nicht ihn speziell auf Religion bezogen einzugrenzen. So jedenfalls Deine Darstellung.

    Aber selbst wenn ein solches Anliegen vorgegeben war, wäre es weder sachlich noch ethisch sauber, nicht wenigstens darauf hinzuweisen, daß eine solche verengende Betrachtung auch die Suche nach dem tatsächlichen Ursachenpool einengt, von vornherein “Religion” zur Ursache erklärt, und mit dem Verzicht auf Kontrollgruppen schließlich jegliche wissenschaftliche Glaubhaftigkeit verliert. Das sind ja nun keine Kleinigkeiten oder leicht zu pbersehende Aspekte.

    * “Seien Sie versichert – bei anderen Forschungsfragen (z.B. Religion und Demografie) wird mir genau das Gegenteil vorgeworfen! 🙂”

    Dies ist jedoch keine Erklärung dafür, daß mein Einwurf nicht sachlich begründet war. Auf die Sachebene bist Du denn auch nicht eingegangen. Deutlicher gesagt, Du bügelst meinen Einwurf nur rhetorisch ab. Schade, wie gesagt.

    Honi soit qui mal y pense.

    P.S.: Seit ich mich im Net bewege (1999), kenne ich das Duzen als Art des respektvollen Umgangs und das Siezen als Beleidigung. Wenn Du lieber gesiezt werden möchtest (so kürzlich bei nem anderen unter spektrum.de wirkenden Blogger geschehen), so sag das bitte.

    • Nein, @Perrti Valkonen, meine freundliche Einräumung war durchaus kein Ausweichen von der Sachebene, sondern ganz ernsthaft gemeint: Auch Religionen und Weltanschauungen bestehen nicht nur – und oft nicht einmal primär – aus Ideen, sondern aus Netzwerken, Gemeinschaften, Erlebnissen, Orten. Ein Fußballfan (übrigens von “fanatisch”, direkt aus dem römischen Religionsbereich entlehnt!) kann im Stadion ganz intensive Erfahrungen machen, ein Rocker bei der Verleihung der Kutte (!) zutiefst ergriffen sein. Umgekehrt haben religiöse Radikale oft nur eine oberflächliche, religiöse Bildung, lehnen teilweise auch z.B. die akademische Theologie ausdrücklich ab. Alleine aus der Ideenlehre lassen sich Biografien wie jene von Anis Amri (vom Drogendealer zum Selbstmordattentäter) nicht erklären, dafür braucht es u.a. psychologische und sozialpsychologische Ansätze.

      Dem Religionswissenschaftler bietet sich “Religion” immer über die Konkretion im menschlichen Verhalten dar – und dieses ist praktisch nie eindimensional.

      Das Thema meines Vortrags und des ganzen Wiener Kongresses finden Sie oben. Geladen war ich von den Kolleginnen und Kollegen der Psychologie und Psychotherapie ausdrücklich im Hinblick auf den Faktor Religion in Radikalisierungsprozessen. Schon mit der Rentierstaatstheorie habe ich eine interdisziplinäre Erweiterung gewagt. 🙂

      • * “@Perrti Valkonen”

        Bitte ein R, zwei T, danke.

        * “Auch Religionen und Weltanschauungen bestehen nicht nur – und oft nicht einmal primär – aus Ideen, sondern aus Netzwerken, Gemeinschaften, Erlebnissen, Orten. Ein Fußballfan (übrigens von „fanatisch“, direkt aus dem römischen Religionsbereich entlehnt!) kann im Stadion ganz intensive Erfahrungen machen, ein Rocker bei der Verleihung der Kutte (!) zutiefst ergriffen sein. Umgekehrt haben religiöse Radikale oft nur eine oberflächliche, religiöse Bildung, lehnen teilweise auch z.B. die akademische Theologie ausdrücklich ab. Alleine aus der Ideenlehre lassen sich Biografien wie jene von Anis Amri (vom Drogendealer zum Selbstmordattentäter) nicht erklären, dafür braucht es u.a. psychologische und sozialpsychologische Ansätze.”

        Was auch immer das jetzt mit meinem Einwand zu tun haben soll…

        Ich versuche mal, es so zu verdeutlichen. Terrorismus. Von wem wird sowas betrieben. Von Hooligans? Von Hells Angels? Nö. Von denen ist allenfalls Terror zu befürchten, wenn sie andere terrorisieren. Aber kein Terrorismus. Das ist was anderes, und es hat spezifische Gründe, wieso sowas nicht von fanatischen Ball- oder Bike-Verehrern zu erwarten ist, wohl aber von Anhängern einer – religiösen wie nichtreligiösen – Ideologie.

        Es ist die Komponente eines letztlich politischen bzw. gesellschaftlichen Anliegens.

        Das zu verstehen sollte Dir nicht schwerfallen, und daher halte ich fortgesetzt Deinen Einwurf von Rocker, Fußballfan & co. für eine bewußte Herabspielung meines Einwandes, daß Religionen nicht die einzige Ideologie-Art für – so das Thema! – Terrorismus sind. Ebenso areligiöse Weltanschauungen können dafür mißbraucht werden, Philosophien womöglich ebenfalls. Ja selbst für “Demokratie und Freiheit” werden Bomben abgeworfen. Religiöser Terrorismus ist zwar die größere Gefahr derzeit, doch erstens womöglich nur, weil es halt mehr Religiöse gibt als Nichtreligiöse und nicht, weil Religionen eher zu sowas neigen oder geeignet sind. Zweitens heißt solche “größere Gefahr” nicht, daß die Ursachen für Terrorismus und Radikalisierung spezifisch religiöse Gründe haben müssen; womöglich sind die Ursachen bei religiösen wie nichtreligiösen Ideologien die selben. Das kann man freilich nicht herausfinden, wenn man nur die Religions-Terroristen unter die Lupe nimmt. Wie gesagt, mit dieser Vor-Entscheidung der Untersuchung läßt sich das daraus konkludierte Urteil nicht von einem Vor-Urteil abgrenzen.

        Auf diesen meinen Verweis hin mit einem (ich karikiere (auch) mal) “wir könnten ja auch gleich noch den Gartenzaun-Terror mißgünstiger Gartennachbarn mitberücksichtigen” zu kontern ist vieles, aber keine “freundliche Einräumung”. Fußballfanatismus und Rocker-Subkultur als Wurzel “terroristischer Gefahr” in Erwägung zu ziehen ist lächerlich. Fußballfanatismus und Rocker-Subkultur als ebenso zu berücksichtigende Gruppen neben meinen Hinweis auf nichtreligiöse Ideologien zu stellen, das soll überdeutlich meinen Einwand in die gleiche Lächerlichkeits-Ecke stellen. Vielleicht bist Du ja so sehr darin geübt, Einwände derart abzubügeln, daß Du es schon gar nicht mehr merkst vor lauter Routine, und jetzt ehrlich glaubst, nur ne “freundliche Einräumung” gegeben zu haben. Du hast es ja selbst geschrieben, daß Du öfters solcherart Vorwürfe bekommst, sogar diametral entgegengesetzt. Und Du schienst sogar der Meinung, daß damit eine inhaltliche Entgegnung auf meinen Einspruch überflüssig wäre. Was ich “abbügeln” nannte. Einen Einwand lächerlich machen ist ebenfallsein Abbügeln fern von der Sachebene. Was meinen Verdacht zu Deiner “freundlichen Einräumung” noch verstärkt.

        Richtig ist, daß religiöse Terroristen nicht gerade der religiöse Mainstream sind, und sich oft nicht mal wirklich in ihrer Religion auskennen. Doch ist dies nur noch mehr ein Hinweis darauf, daß “Religion” selbst gar nicht die wirkliche Quelle für diesen Terrorismus ist. Was eine Verengung jeglicher Analyse auf den Bereich der Religionen nur umso absurder macht. Meine Rede!

        Übrigens war das Adjektiv “fanatisch” anfangs schlicht ein Synonym für “begeistert”. Eine fanatische Leseratte, ein fanatischer Schachspieler, kann man jedes Mal auch “begeistert” für einsetzen. Bei der Ableitung Fanatismus dagegen ist die Konnotation durchgehend negativ. Doch wurde dieses Wort nicht aus dem römischen Religionsbereich entlehnt, sondern aus “fanatisch”, sondern dieses wurde – als positiv besetztes Wort – daraus entlehnt. Ich hoffe mal, Deine Nebenbemerkung dazu erfolgte nur aus Unwissenheit, anderenfalls wäre es ja ein bewußtes Vortäuschen eines spezifischen Zusammenhangs von Religion und Fanatismus. So war es halt “nur” ein bewußtes Andeuten dieses Zusammenhanges.

        * “Schon mit der Rentierstaatstheorie habe ich eine interdisziplinäre Erweiterung gewagt. 🙂”

        Das war mir durchaus aufgefallen.

        • @ P.V.

          Schauen Sie – genau deswegen bin ich auch beim Bloggen mit dem “Du” so vorsichtig; es gibt immer wieder irgendwelche Rechthaber, die Freundlichkeit mit Schwäche verwechseln und sich entsprechend aufspielen. Warum noch ein Fach erstmal studieren, wenn man digital auf Kumpel-Du posen kann? 😉

          Zur “Qualität” Ihrer Terror(ismus)-Wortspiele mag ich mich gerade heute ebensowenig äußern wie zu Ihren zunehmend wirren Unterstellungen von Thesen, die ich nie formuliert und vertreten habe. So wird doch schon am Artikel- und auch Blogartikel deutlich, dass ich nicht und nirgendwo behaupte, die Gewalt stamme einfach “aus” den Religionen – wo hätte ich solches jemals geschrieben!?

          Da Sie aber sogar meinen, die religionsbezogenen Hintergründe des Fanatismus-Begriffes leugnen zu müssen, verweise ich Sie einfach gerne auf jene Quelle, die die Türkei zuletzt sperrte: Auf Wikipedia.
          https://de.m.wikipedia.org/wiki/Fanatismus

          Gerne können Sie sich wieder melden, wenn Sie doch noch aus dem Rechthaber- in den Dialogmodus finden sollten. Wissenschaft ist ja nur dann interessant, wenn man wirklich dazulernen möchte, nicht schon alles von vornherein vermeintlich besser weiß… Sobald Wissenschaft also für Sie wieder interessant sein sollte – herzlich willkommen! 😉

  8. Infomation aus Jordanien
    In Jordanien erklärte uns ein Ägypter im guten Deutsch den Islam. Ich fragte ihn: „Sie erklärten den Zusammenhang der Religionen – Judentum, Christentum, Islam – warum bezeichnen dann die Muslime die Christen als „Ungläubige“? Seine Antwort war einfach: „Sie sind ungebildet!“ Und wie es aussieht, will man da auch grundsätzlich in einigen Staaten wenig ändern.
    Er hob besonders den hohen Bildungsstand in Jordanien und den der Frauen hervor.
    So zeigt sich auch, dass Bildung eine Waffe gegen gegen Extremismus ist, sein kann. Die Praxis zeigt in einigen Staaten, dass die religiöse Bildung oft für viele Menschen – besonders für Frauen – die einzige Bildung ist, die ihnen in Koran-Schulen zusteht.
    Immer wieder gab es Angriffe religiöser Eiferer auf ein Schulsystem, dass den Menschen mehr Bildung nicht bloß versprach.

    • Da sind wir tatsächlich einmal weitgehend einer Meinung, @Klaus Deistung. Im obigen Artikel schrieb ich so u.a.: “Von entscheidender Bedeutung sind schließlich Bildung und Integration gera­de auch der jüngeren Generationen, die in einer medial übersättigten Welt voller Verschwörungsmythen heranwachsen. Informationen über die Geschichte und Psychologie von Verschwörungsglauben sind für Schülerinnen und Schüler hoch relevant und werden, wo angeboten, intensiv nachgefragt.”

      Mit freundlichen Grüßen!

  9. Klaus Deistung,
    ………Ungläubige,
    Unsere Gesellschaft ist nicht mehr die Gesellschaft wie vor 200 Jahren, wo die Kirche der Mittelpunkt des Dorfes war und wo die Kirche unsere Kultur bestimmt hat.
    Heute wird der Sonntag nicht mehr geheiligt, heute hat die Kirche nur noch die Aufgabe Traditionen zu bewahren, Taufe, Heirat, Beerdigung.
    So sehen uns die Moslems in den Medien als die “Religionslosen” , die “religiös Ungebildeten”.
    Und da Toleranz in deren Kultur keinen hohen Stellenwert hat, sind wir die Teufel, die es zu bekämpfen gilt.

  10. “Entsprechend rat- und dann auch planlos reagierte der Westen auf die „Islamische Revolution“ 1979 im Iran und den folgenden, bis heute andauernden Aufstieg islamistischer Bewegungen.”

    Hat nicht der Westen den Grundstein dafür gelegt indem die persische Demokratie auf Betreiben eines US-Nachrichtendienstes aus dem Amt geputscht wurde, so dass nach Jahren der Diktatur nur noch fundamentalistisch religiöse Gruppierungen Widerstand organisieren konnten?

    Auch das saudische Regime hat seine Macht lange Zeit durch US-Truppen im Land begründet.

    Mit ihrem Fazit

    “Durch unseren eigenen Hunger nach fossilen Energierohstoffen erzeugen wir also jene milliardenschweren Renteneinnahmen, die Staaten, Volkswirtschaften und auch Religionen in der arabischen, zentralasiatischen und afrikanischen Welt autoritär, verschwörungsgläubig und schließlich extremistisch vergiften”

    deuten sie hingegen an, dass die westliche Beteiligung an diesen Missständen eher passiver Natur sei. „Wir“ finanzieren ja nur bereits vorhandene problematische Strukturen, während unsere eigene Rolle bei deren Machtergreifung ausgeblendet bleibt.
    Damit muss man zwangsläufig zu anderen Lösungsansätzen kommen, als wenn man die externen wirtschaftlichen Interessen und Einflüsse berücksichtigt.

    “Die Ausbildung religiöser Lehrkräfte und Funktionäre im Inland und auf Basis europäischer Normen und wissenschaftlicher Standards”

    Diese Lehrkräfte gibt es bereits. Sie nennen sich Historiker und lehren an vielen Universitäten. Auch Geschichtslehrer gibt es an allen Schulen. Die wissenschaftliche Aufklärung über die Entstehung, die Thesen, den Werdegang und den Missbrauch von Religionen kann also jederzeit in den Lehrplan aufgenommen werden.
    Viel wichtiger wäre es vielleicht der Psychologie als Schulfach Raum zu geben. Die Möglichkeiten Menschen zu manipulieren sollten Menschen möglichst früh zu erkennen lernen.
    Diese Fähigkeit hilft nicht nur gegen religiöse Indoktrination, sondern auch gegen sehr weltliche Manipulationen.

    Eine Grundlage für eher weltliche Verschwörungstheorien findet sich in der Glaubwürdigkeit der Medien. Pressekonzentrationen und die gesetzliche Bindung der Redaktionen an den Willen des Eigentümers, ebenso wie Lobbyismus und Kooperation von Journalisten und Redakteuren mit Lobbyorganisationen, sind nicht gerade dazu geeignet das Vertrauen kritischer Leser zu gewinnen und bereiten einen sehr realen Boden für haltlose Verschwörungstheorien. In diesen haltlosen Theorien ist es auf der anderen Seite sehr leicht auch faktenorientierte Kritik als Verschwörung abzutun womit eine Verbesserung der Umstände wiederum vereitelt wird.
    Dies begünstigt ein Klima in dem Verschwörungstheorien aller Art.

    Daran schließt sich direkt der Umgang mit Medien an. Grundlegende Analysen, auch klassischer Medien, dürfen in der Schule / in der Allgemeinbildung nicht länger fehlen. Nur so können Inhalte seriös kritisiert werden ohne in Verschwörungstheorien zu verfallen.

    Ebenso muss ich Pertti Valkonen teilweise zustimmen. Zumindest eine zahlenmäßige Einordnung der Schäden/Gewalttaten aus religiösen Motiven im Vergleich zu weltlichen Ideologien und Alltagskriminalität, wäre für so eine Arbeit durchaus notwendig.
    Ebenso der Kontext zu weltlichen Interessen (siehe Förderung religiöser Regime zur billigen Ölbeschaffung oder die Disziplinierung der Untertanen im vorindustriellen Europa).

    Alles in allem ist sicherlich deutlich geworden, dass ich die sehr begrenzte Betrachtung des Kontextes von religiösem Fanatismus für sehr problematisch halte.
    Ohne Kontext kommt man durchaus zu einer Lösung die Polizeikräften sehr lieb ist „Eine intensivere Beobachtung und Strafverfolgung,[…]“, während man mit Kontext eher zu freiheits- und aufklärungsfördernden Möglichkeiten kommen kann.
    (Sorry, ist ein bischen viel geworden)

    • Oh ja, @Sebastian – in “Öl- und Glaubenskriege” habe ich nicht nur die Aramco-Stabilisierung von Saudi-Arabien, sondern auch die verhängnisvolle Wiedereinsetzung des Schahs gegen die damalige Demokratiebewegung und die daraus (!) folgende Islamische Revolution im Iran beschrieben.
      http://www.sciebooks.de/cms/books/oel-und-glaubenskriege

      Ebenso findet sich dort auch die Betrachtung des Irak – und zur Geschichte des wahhabitischen Islamismus gehört natürlich auch die Eroberung der Großen Moschee von Mekka von 1979, Al-Qaida und schließlich der IS.

      Gleichwohl ist ein Artikel kein ganzes Buch – und schon die Frage, welchen Anteil “wir” an den Ölregimen haben, würde wiederum Reflektionen nach der genaueren Struktur dieses “Wir” voraussetzen. Ist die Alleinerziehende, die mit einem alten Verbrennungsmotor zu ihrer Arbeitsstelle pendelt, in gleicher Weise verantwortlich wie ein Ölmanager, der in die Politik geht? Beide haben Teil an der Finanzierung der Rentierstaaten, doch sicher nicht in gleicher Weise, oder!?

      Artikel und Blogposts können idealerweise Fenster zum Denken aufstoßen, indem sie in komplexe, mehrdimensionale Kontexte einführen. Die daraus entstehende “Nachfrage nach mehr” – schon jetzt in ganz unterschiedliche Richtungen zielend – freut mich daher sehr, vielen Dank! 😊👍🌎

      • @Michael Blume
        Das Problem das ich sehe ist, dass ihr Artikel speziell für Polizisten gedacht ist, die Ursachen/Problematik des religiösen Extremismus aber derart reduziert dargestellt wird, dass „Eine intensivere Beobachtung und Strafverfolgung,[…]“ als logische Konsequenz bleiben muss, obwohl das ein schweres staatliches Mittel ist das dieser Tage zu leicht missbraucht wird/werden kann. Damit wird der Massenüberwachung eine wissenschaftliche Rechtfertigung gegeben. Ich schätze das Problem ist in Österreich nicht minder akut als in Deutschland.
        Andere Lösungsansätze geraten leicht aus dem Blickfeld, wenn man einen Vorwand hat die Bevölkerung stärker zu überwachen.

        • Lieber @Sebastian,

          oh ja, ein berechtiger Einwand: Staaten können autoritär werden – und zwar gerade auch dann, wenn die Menschen das Gefühl bekommen, nicht mehr sicher leben zu können. Daher sollte gerade aus liberaler Sicht Strafverfolgung effektiv und frühzeitig einsetzen, bevor sich kriminelle und terroristische Strukturen verfestigen. (Die Nicht-Verhaftung von Anis Amri bis zu dessen Terroranschlag unterstreicht den Punkt ja gerade überaus deutlich… :-/ )

          Und, ja, Polizeibehörden sollten die Vielfalt der Religionsgemeinschaften konstruktiv im Blick haben, um Vertrauen werben, aber wo nötig auch Grenzen setzen. Ein Positivbeispiel, das mir bei der Formulierung konkret vor Augen stand, war zum Beispiel das Projekt “Polizeidienststellen und Moscheevereine” der Bundeszentrale für politische Bildung. Dabei lernten Polizisten und Moscheevereine einander kennen, beispielsweise auch mit gemeinsamen Veranstaltungen zur Drogenprävention – ein Thema, das die muslimischen Eltern sehr interessierte. So fanden nicht nur Information, Dialog und Integration statt, sondern ein gegenseitiger Aufbau von Kennenlernen und Vertrauen, bis hin zu Einladungen u.v.m. Bedenken Sie, dass viele Migranten aus Gesellschaften kommen, in denen die Polizei alles andere ist als “Freund und Helfer”! Es ist daher klar, dass eine Polizei, die entsprechend kundig und vernetzt ist – vielleicht auch verschiedene Sprachen und Religionen im Team hat – sehr viel besser bei der Prävention und Aufklärung von Straftaten agieren kann als eine Polizei, die als bedrohlich, ja feindselig rüberkommt…
          http://www.bpb.de/veranstaltungen/dokumentation/128546/polizeidienststellen-und-moscheevereine

          Insofern war und ist die Intention des Artikels schon, Polizei- und Sicherheitskräfte für die Befassung mit religiöser Vielfalt zu gewinnen – noch bevor Straftaten geschehen sind und Bürgerrechte zur Disposition stehen…

    • @Sebastian: Ihre Erziehungs-Ratschläge (Religions&Macht-Kritisch erziehen) werden nur dort gehört wo es bereits eine säkulare Grundhaltung gibt. Also nicht im islamischen Kulturkreis. Gerade der Islam – aber nicht nur er – zeigt, dass es eine Illusion ist, wir lebten in einer globalen Kultur. Wenn schon sind Ideen wie der Humanismus, die Menschenrechte (mit Gleichberechtigung der Frauen), die Gewaltenteilung fast alle im Westen entstanden und haben sich von dort ausgebreitet. Doch der Islamische Raum verweigert sich einiger dieser Ideen und Strömungen. Und das nicht etwa abnehmend, sondern zunehmend. Wobei ich persönlich denke, dass dieser Widerstand irgendwann plötzlich in sich zusammenfällt. Vielleicht nach einem Ereignis wie dem 30-jährigen Krieg (in Europa). Es könnte sogar sein, dass dieser 30-jährige Krieg schon begonnen hat und wir mitendrin sind.

      • Grundsätzlich gilt, über alle Religionen und Weltanschauungen hinweg. Je höher die Bildung und der Wohlstand der Bevölkerung, desto geringer die Radikalisierung. Desto sicherer sich die Menschen ihres Wohlstandes und ihrer Zukunftssicherheit sind, desto weniger hetzen sie gegen andere.
        Während Europa maßgeblich und früh von der britischen Industrialisierung profitieren konnte, konnten die restliche Welt das nicht. Nichtmal zuerst weil es an der Bildung etc. mangelte, sondern primär weil die neuen Technologien genutzt wurden um den Rest der Welt möglichst klein zu halten.
        Es hätte genausogut auch in einem islamischen Staat der Startschuss für die Industrialisierung und damit für einen weltweiten Vorsprung an Wohlstand und Bildung liefern können. Ebenso ist nicht wirklich sicher, dass Staaten wie Deutschland oder Frankreich diesen Sprung eigenständig geschafft hätten.
        Die Macht der katholischen Kirche wurde in Europa nicht etwa durch Bildung und Aufklärung (mehr oder minder) gebrochen, sondern durch die
        Anpassung der wirtschaftlichen Strukturen an die Industrialisierung.

        Von daher sehe ich in der Problematik ursächlich wirtschaftliche und machttechnische Probleme, Religiöse hingegen eher als Wirkungen.

  11. Hallo Herr Blume,

    mal wieder sehr interessanter Lesestoff! 🙂

    Im weiten Bogen von den Wiedertäufern über diverse Verschwörungsmythen (Gnosis, Illuminaten, Weisen v. Zion) bis zu Rentierstaaten.

    Die Dualistische Idee, daß die entscheidende Schlacht zwischen Gut und Böse noch nicht geschlagen ist, und das der Teufel ebenso real ist wie Gott, hat immer wieder eine große Anziehungskraft. Zum einen, weil es für den einzelnen viel motivierender ist, seinen eigenen Beitrag zum Sieg des Guten (was auch immer man für gut hält) zu leisten, als im inschallah-Kismet-Fatalismus verharrend abzuwarten, was der Allwissende Allmächtige vorausgeplant hat.

    Zum anderen ist es eine wunderbare Welterklärung: wenn der IS-Dschihadist vor und nach der Vergewaltigung einer jesidischen Gefangenen zu “seinem Gott” betet, dann ist “sein Gott” offensichtlich nicht identisch mit “meinem Gott”, sondern ein *anderer* überempirischer Akteur mit völlig anderen Wertmaßstäben. Von dieser Einschätzung ist es nicht weit, den “anderen Akteur” mit dem Teufel zu identifizieren.

    Dualistische Weltbilder findet man ja nicht nur bei Religionen im engeren Sinne. Wer immer eine absolute Wahrheit für sich gepachtet hat, (z.B. die “Wahrheit”, daß der Klimawandel mit “erneuerbaren Energien” bekämpft werden muß) kann jegliche Zweifel an dieser Wahrheit auf die hintergründige Aktivität einer böswilligen Weltverschwörung zurückführen (den Klimawandel zu bekämpfen ist teurer, als sich ihm anzupassen? Propaganda der bösen Kohlelobby. Kernkraftwerke sind pro Terawattstunde umweltfreundlicher und sicherer als Windräder? Propaganda der bösen Energielobby. CO2 hat tatsächlich einen Einfluß auf das Klima? Propaganda der Wind- und Solarlobby.)

    Bei den Rentierstaaten wiederum ist es eine beengte Sicht, nur auf das Öl zu schauen. Ende der 90er hab ich ein paar mal mit Freunden “Junta” gespielt. Die “Rente”, von der man möglichst viel auf sein Schweizer Konto abzweigen und möglichst wenig den Mitspielern überlassen durfte, wurde in der Spielanleitung “Entwicklungshilfe” genannt.
    Offensichtlich ist es heute noch, nicht nur in Spielen, sondern IRL so, daß Entwicklungshilfe ganz typische Rentier-Regime heranzüchtet.

    http://www.achgut.com/artikel/deutsche_entwicklungshilfe_teures_versuchslabor_der_betreuungsindustrie
    http://www.achgut.com/artikel/arbeitsplaetze_fuer_afrika_unternehmer_sind_die_besseren_entwicklungsh

    So gesehen sind Fracking und Elektroautos nicht die einzigen Maßnahmen, um Rentierstaaten ihre Rente zu entziehen. (Bei Elektroautos bleibt eh die Frage, wo der Strom herkommen soll. Kernkraft ist ja politisch nicht erwünscht.)

    • Stimmt sehr, @Störk – die Öl- und Gasrenten sind nur besonders milliardenschwere, aber nicht die einzigen Rentenquellen. Diamanten, Kobalt, Drogen, Sklavenhandel, schlecht designte Subventionen, Zölle (vgl. Panamakanal) und vieles mehr können als Rentenquellen Gesellschaften verformen. Vielen Dank, dass Sie so mit den Themen ringen und auch unter Rückgriff auf eigene (Lebens- und Spiel-)Erfahrungen weiterdenken, so macht das Bloggen Freude! 🙂

  12. Nachtrag @Martin Holzherr:
    Das Hohelied auf den Westen kommt meiner Meinung nach auch etwas verfrüht.

    Am Beispiel Deutschland

    Die Rechte der Frauen:
    – bis 1997 war Vergewaltigung in der Ehe legal
    – dürfen erst seit 1918 wählen

    Homosexuelle:
    – noch 1990 saßen in Deutschland Menschen in Haft weil sie homosexuell waren, erst 1994 wurde Homosexualität vollständig legalisiert,
    “erst 2002 wurden Männer, die vor NS-Gerichten als Homosexuelle verurteilt worden waren, vom Bundestag juristisch rehabilitiert.”
    https://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/180263/20-jahre-homosexualitaet-straffrei-10-03-2014

    Demokratie:
    Neben dem formalen Wahlrecht haben die WählerInnen in den 3 Jahren und 365 Tagen zwischen den Wahlen, keine realistischen Einflussmöglichkeiten, während Lobbyisten Büros direkt in Ministerien unterhalten, wir eine massive Pressekonzentration haben und die Regelung zur Korruption von Abgeordneten vollkommen wirkleichtsfremd ist.

    Ebenso gibt es auch in Deutschland eine sehr enge Zusammenarbeit von Staat und Kirche, welche im Falle eines wirtschaftlichen Zusammenbruchs, jederzeit wieder Rückschritte im Bereich der formal geltenden Menschenrechte nach sich ziehen kann.
    Nicht unerwähnt bleiben sollte, der nennenswerte Zuspruch zur AfD, welche klar gegen die Aufklärung ausgerichtet ist.

    Das alles im christlich abendländischen, von der Aufklärung geprägten, Deutschland.
    Kurzum, historisch betrachtet haben wir die zumindest formal geltenden Menschenrechte noch nicht allzu lange und wir sägen mit aller Macht an ihnen. Manche direkt durch konservative Wertvorstellungen, andere eher indirekt durch Neoliberalismus. So oder so können wir jederzeit wieder weitgehend in die vermeintlichen Zustände des “islamischen Kulturkreises” zurückfallen.

    • @Sebastian: Zustimmung. Aber: Es ist nicht (allein) die Industrialisierung, die uns in eine säkulare Gesellschaft geführt hat, die dem Individuum unabhängig von seinem Geschlecht und seinen sexuellen Präferenzen die gleichen Rechte geben hat. Vielmehr begann der Prozess, der dazu führte, bereits mit dem Humanismus und der Renaissance, als die oberitaliensiche Gesellschaft sich nicht mehr (allein) an der Kirche und ihren Lehren orientierte, sondern sich plötzlich als Fortsetzung der griechischen Antike verstehen wollte. Diese Emanzipation von der kirchlichen Autorität und der damalige Synkretismus waren wohl nur in einer kosmopolitischen Atmosphäre möglich und diese kosmopolitsche Atmosphäre entstand aufgrund des Handels vieler oberitalienischer Städte mit weit entfernten und kulturell anders gelagerten Gebieten. Gehandelt wurde dabei nicht nur mit Waren sondern auch mit Ideen (in Form von Büchern und Bekanntschaften). Interessanterweise war auch die islamische Blütezeit eine Zeit des weiträumigen Handelns, Reisens und Ideenklaus. Diese Blütezeit wurde möglich, weil islamische Herrscher grosse Gebiete teils ganz anderen kulturellen Hintergrunds eroberten.

      Die lange Geschichte vom Humanismus und der Renaissance über die französische Revolution bis zur heutigen liberalen Gesellschaft, zeigt, dass wir nicht erwarten können, dass schon in wenigen Jahrzehnten eine globale Kultur entsteht. Nicht nur der islamische Raum, auch beispielsweise China, funktioniert trotz gemeinsamer Verwendung moderner Technologie anders als der westliche Kulturraum.

      • Die Industrialisierung habe ich als Ursache gewählt, da sie den größten Einfluss auf Handel und Wirtschaft, damit auf Wohlstand, hatte als alle mir bekannten Umbrüche zuvor.
        Das ist schliesslich der Punkt. Breiter Wohlstand schafft die Möglichkeit zur Säkularisierung.
        Die Hauptintention meines Beitrages war aber ihnen mitzuteilen, dass der Humanismus auch in den westlichen Staaten, dargestellt am Beispiel Deutschland, noch sehr neu und labil ist. Teilweise wird noch immer darum gerungen sie zum Gesetz zu machen (siehe auch “nein heißt nein”).
        Vor allem aber wird der Humanismus von einem großen Teil der Bevölkerung nicht unterstützt/gelebt.
        Vor diesem Hintergrund halte ich die Gegenüberstellung des aufgeklärten Westens, gegen die Unaufgeklärten Muslime für wenig geeignet um Radikalisierungstendenzen zu untersuchen.

        • Sie glauben: “Das Sein (der Wohlstand) schafft das Bewusstsein” Ich dagegen glaube: Nicht alle wohlhabenden Menschen und Länder verhalten sich gleich und entwickeln sich zwangsläufig in die gleiche Richtung. Wohlstand bedeutet nicht automatisch Säkularisierung, Individualisierung und Demokratisierung. Wohlstand begünstigt wohl eine gewisse Individualisierung, doch Demokratie, Freiheitsstreben und Gewaltenteilung ( die auch die Teilung von weltlicher und religiöser (kirchlicher) Macht einschliesst) entwickeln sich nicht automatisch, wenn der Wohlstand zunimmt.

          • Entschuldigen sie bitte die lange Wartezeit.

            Das glaube ich sehr wohl. Der Wohlstand eines Landes darf keineswegs mit dem Reichtum einer kleinen Elite verwechselt werden. Saudi Arabien mag ein reiches Land sein, dennoch ist der Reichtum extrem ungleich verteilt.
            Auch in Deutschland sind Radikalisierungstendenzen stärker in den unteren Einkommensschichten anzutreffen, während die Oberen tendenziell eher zum demokratischen Ideal neigen.

            Das sein (der Wohlstand) schafft neue Rahmenbedingungen. Geringere Abhängigkeit von familiären Strukturen, also geringerer Zwang sich etwaigen rückständigen Ansichten zu unterwerfen. Positive Selbstwirkungserfahrungen, dadurch dass man selbständig seinen Lebensunterhalt bestreitet. Damit einhergehend ein höheres Selbstbewusstsein und der Wille nicht fremdbestimmt zu werden. Also wenigstens irgendeine Form von formalem Wahlrecht zu haben.

  13. In Indonesien wird zum ersten Mal ein schwules Paar öffentlich geprügelt (Zitat:Es war nach einer Gesetzesverschärfung die erste öffentliche Züchtigung eines homosexuellen Paares in dem südostasiatischen Land.). Das obwohl Indonesien schon lange mehrheitlich muslimisch ist. Doch jetzt will das Land zeigen, dass es den islamischen Gesetzen wirklich nachlebt. Als gäbe es quasi einen Wettbewerb unter islamischen Länder, wer die reine Lehre am besten umsetzt.
    Die Islamisierung und damit auch eine gewisse Radikalisierung greift also immer weiter um sich. Wobei der religiöse Fundamentalismus wie er in Saudiarabien, dem Iran verbreitet ist und nun wohl bald auch in Indonesien Fuss fast, nicht ungedingt mit Terrorismus verbunden ist. Faktisch stammen zwar viele Terroristen aus Saudiarabien, doch das hat nicht nur mit der saudischen Religionsauffassung zu tun sondern auch mit dem Widerstand gegen die Herrschaft der Sauds.

  14. Wie kommt der Extremismus in die Religionen? Die Fragestellung suggeriert, es käme da etwas Wesensfremdes – von ausserhalb sozusagen – in die Religion. Dass ein “Religionswissenschaftler” hier einen riesengrossen blinden Fleck kultiviert kann nicht erstaunen. Wer sich einmal die Mühe machte – und es ist wirklich mühsam und ermüdend – die sogenannten “heiligen Schriften” zu lesen, insbesondere AT der Bibel und den Koran, für den beantwortet sich die Frage von selbst. Er war schon immer da, der Extremismus, was auch nicht sonderlich erstauen kann, stammen die Überlieferungen doch aus der Antike oder des frühen Mittelalters, aus Zeiten und Kulturen, die andere Moralvorstellungen hatten, extreme aus heutiger Sicht betrachtet.

    • Ach, @Peter Bosshardt, hätten Sie doch vor dem Kommentieren erst einmal mehr als die Überschrift gelesen… Denn selbstverständlich sind auch die Heiligen Schriften bereits wiederum das Ergebnis kultureller Evolutionsprozesse…

      Immerhin kann sich nun die geneigte Leserin, der geneigte Leser direkt davon überzeugen, dass einem zur gleichen Zeit Religionsfeindlichkeit (@P.V.) und Religiobsfreundlichkeit (@P.B.) unterstellt werden kann… 😏👻😆

      • “Denn selbstverständlich sind auch die Heiligen Schriften bereits wiederum das Ergebnis kultureller Evolutionsprozesse”

        Habe ich Gegenteiliges behauptet? Mit Sicherheit nicht. Selbstverständlich sind die sogenannten “heiligen Schriften” nicht vom Himmel gefallen. Dass Sie mir, der ich Atheist bin, so etwas unterstellen, entbehrt nicht einer gewissen Komik. Wenn ich Ihnen etwas ganz sicher nie unterstellen würde, dann ist es Religionsfeindlichkeit. Ich bin, Herr Blume, nur für das verantwortlich, was ICH schreibe.

        • Oh ja, @Peter Bosshard – nur zeigen Sie durch das, was Sie schreiben, auch das, was Sie (nicht) lesen. So schrieb ich im obigen Blogpost (vom Artikel ganz zu schweigen) ausdrücklich: So haben trotz friedvoller Religionsstifter auch zum Beispiel christliche und buddhistische Religionsgemeinschaften Kriege gerechtfertigt oder gar gefordert, umgekehrt zum Beispiel auch jüdische und muslimische Ausleger entgegen aller Gewaltaufrufe in ihren Heiligen Schriften pazifistische Lehren vertreten. Religion ist immer, was man daraus macht…

          Natürlich können Sie sich auf den Standpunkt stellen, niemand dürfe von Ihnen verlangen, mehr als eine Überschrift sorgfältig zu lesen, bevor Sie loskoffern. Aber das fällt halt dann doch auf, vor allem, wenn es mit persönlichen Anwürfen an den Blogger verbunden wird…

          Ihnen einen schönen, freien und sonnigen (ggf. auch nachdenklichen) Tag!

  15. Michael Blume,
    ……..Religion ist , was man daraus macht.
    Das ist eine pragmatische Sichtweise und man kann ihr zustimmen. Was mich zögrn lässt, dieser Vorstellung vorbehaltlos zuzustimmen, ist der Dekalog.
    Hat den Moses direkt bekommen oder ist der eine menschliche Interpretation göttlichen Willens.
    Ich weiß , dass sich die Frage nicht logisch beantworten lässt, sondern dass sie eine Glaubensentscheidung verlangt.

    • Lieber @bote17,

      ja, die Akzeptanz einer Heiligen Schrift als göttlich offenbart oder göttlich inspiriert ist selbstverständlich eine religiöse Entscheidung. Und gerade auch der Dekalog stellt da besondere Herausforderungen (und damit Chancen?) – beispielsweise, indem er vom Tode Moses berichtet, der doch zugleich Empfänger der Schrift gewesen sein soll.

      Schon der jüdische Talmud setzt sich mit diesen Fragen auseinander und eröffnet in Menahot 29b eine faszinierende Geschichte dazu: Demnach wird Moses von Gott zur späteren Synagoge des Rabbis Akiba geführt, setzt sich dort unauffällig in die 8. Reihe – und versteht kein Wort von Akibas Auslegungen. Doch seine Stimmung hebt sich, als der Rabbi versichert, dies sei alles Moses auf dem Sinai offenbart worden…

      Nicht nur jüdische Gelehrte haben immer wieder über diese tiefsinnige und vielschichtige Überlieferung nachgedacht, die sich selbst in Frage stellt und dadurch öffnet, vgl.
      https://hartman.org.il/SHINews_View.asp?Article_Id=134

      Vielleicht komme ich ja einmal dazu, dazu auf Deutsch zu bloggen.

      Ihnen ein schönes Wochenende!

      • @Mona, lieben Dank. Gleichwohl liegt damit m.E. wiederum eine Verwechslung wissenschaftlicher und religiöser Aussagen vor. Dass Texte historisch gewachsen (kulturell evolviert) sind, bedeutet nicht, dass sie Gläubigen nicht als religiös inspiriert erscheinen können. Zum Vergleich: Dass ein Kind nachweisbar biologisch durch Mutter und Vater hervorgebracht wurde, bedeutet ja auch nicht, dass es nicht als “Kind Gottes”, “Gottes Gedanken”, “Du bist Du” etc. geglaubt werden kann. Wissenschaftliche Theorien und religiöse Mythen können sich im Idealfall gegenseitig befragen, sie stehen aber nicht einfach auf der gleichen Ebene.

  16. Michael Blume,
    Be still, that is how it entered my mind,
    spontan fällt mir nur die Verbindung auf, die zwischen Gott und Moses besteht.
    Und es deutet darauf hin, dass Menschen Aussagen machen, deren “tieferen” Sinn sie nicht verstehen.
    Modern formuliert: Wir treffen eine Aussage die eine tiefe Wahrheit enthält, wir sie aber selbst noch nicht kennen.
    Oder noch allgemeiner: Jede Aussage kann auf den verschiedenen Metaebenen anders gesehen werden.
    Liege ich da richtig?

    • Ja, das tun Sie, @Bote17! Wissenschaftlich gesehen lässt sich natürlich über nachträglich vorgefundene Wahrheiten nur erforschen, wie sie “konstruiert” wurden. Aus religiöser Sicht können sie als “offenbart” erfahren werden.

      M.E. verweist auch das Jesuswort nach Matthäus 13:52 auf diesen Aspekt: “Da sprach er: Darum ein jeglicher Schriftgelehrter, zum Himmelreich gelehrt, ist gleich einem Hausvater, der aus seinem Schatz Neues und Altes hervorträgt.”
      http://bibeltext.com/matthew/13-52.htm

      Herzliche Grüße, schönen Samstag!

  17. Tut mir leid, aber Ihre Thesen sind krude und nicht zu Ende gedacht.
    So wie nicht jede politische Weltanschauung gleichermaßen radikal ist, so sind auch nicht alle religiösen Weltanschauungen gleichermaßen radikal.

    Und soweit es Religionsstifter betrifft, Muhammed ragt hier wirklich als einziger besonders negativ hervor.
    Das lässt sich auch nicht mit den Umständen seiner Zeit entschuldigen, denn diese waren bei den anderen Relgionsstiftern ebenso ungünstig und brutal.
    Muhammed war auch der einzige dessen (Offenbarungs-)Botschaft ausdrücklich beinhaltet, dass alle anderen Glaubensvorstllungen falsch oder zumindest verfälscht (Juden – und Christentum) sind und die deshalb ausgelöscht werden sollen (friedlich wenn möglich, mit Gewalt wenn nötig).

    Ja, Menschen neigen zur Gewalt.
    Deshalb werden fast zwingend mitunter auch Religionen pervertiert.
    Umso schlimmer wenn die Gewalt dann keine Perversion des jeweiligen Glaubens darstellt, sondern der Glaube eine (göttliche) Legitimationsgrundlage dafür liefert.
    Nicht nur der Quran, vor allem die in der Praxis eigentlich wichtigeren Ahadith sind voller Gewalt.

    • Sehr geehrter @astuga,

      nirgendwo habe ich jemals behauptet, dass “alle religiösen Weltanschauungen gleichermaßen radikal” wären – sondern “nur”, dass sie jeweils friedfertige wie gewaltbereite Auslegungen hervorbrachten und -bringen.

      So hat Moses laut biblischer Überlieferung nicht nur Ägypter, sondern auch “götzendienerische” Israeliten in großer Zahl erschlagen – dennoch lehnten die späteren Rabbiner beispielsweise die Todesstrafe strikt ab. Aleviten lehnen Kriege und Sklaverei meistens ab, obgleich Ali beides lebte. Und die Bhagavad Ghita schildert einen Aufruf zum Krieg, wurde aber zum Beispiel von Ghandi als spiritueller Kampf gedeutet. Im Namen Jesu wurden Kreuzzüge geführt, im Namen des Islam der IS gegründet, im Namen Buddhas die Tamilen unterworfen usw.

      Mir geht es gerade nicht um diesen oder jenen Essentialismus, sondern um die beobachtbare Reichweite der Auslegungen…

  18. Michael Blume,
    …….tiefere Wahrheit,
    Danke für ihre offenmütige Stellungnahme. Jetzt bin ich einen großen Schritt weiter.
    Ihnen einen schönen Sonntag.

    astuga,
    ……Legitimation,
    Religionen werden als Legitimation für Unmenschlichkeiten benützt. Das ist eine Tatsache.
    Die Ursache der Gewalt bleibt aber der unvollkommene Mensch, der seine Gedanken nicht zu Ende gedacht hat. Wenn der Gläubige seinen “Bruder ” tötet, dann hat er nicht bedacht, dass dieser Bruder auch ein Kind seines Gottes ist. Es besteht die begründete Hoffnung, dass auch die radikalen Muslime einmal zu dieser Einsicht gelangen werden.

Schreibe einen Kommentar