Überall Putschisten und Verschwörer! Warum viele Deutschtürkinnen Erdogan und Putin zujubeln – ebenso wie westliche Rechtspopulisten

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Evolutionsgeschichte der Religion(en)
Natur des Glaubens

Wir schreiben heute den 20. Juli 2016 – den 72. Jahrestag des letzten versuchten Putsches gegen Adolf Hitler. Dieser hatte das Deutsche Reich an den moralischen, wirtschaftlichen und auch militärischen Abgrund geführt und die Attentäter werden heute in Deutschland als Helden verehrt. Genau 72 Jahre später diskutieren wir in Europa und in der Türkei darüber, ob ein Putschversuch überhaupt gerecht sein könne. Und lassen Sie mich dazu gleich klarstellen: Ich lehne Gleichsetzungen von Präsident Erdogan und Adolf Hitler entschieden ab, halte sie für abwegig. Meine Trauer gilt allen Opfern der Gewalt in der Türkei – und auch vergangene Militärputsche haben unfassbar viel Leid über die Republik und ihre Menschen gebracht. Und zur historisch gesicherten – durch die Regierung Obama auch inzwischen eingeräumten – Wahrheit gehört eben auch, dass beispielsweise der westlich unterstützte Putsch gegen Premierminister Mossadegh im Iran 1953 ungewollt die “Islamische Revolution” dort vorbereitete.

Interessanterweise war es jedoch Recep Tayyip Erdogan selbst, der nach einer Reise nach Saudi-Arabien zum Jahreswechsel nach 2016 sein geplantes Präsidialsystem ausgerechnet mit Verweis auf Adolf Hitler rechtfertigte. Er verwirrte Freund und Feind mit der Aussage: “In einem Einheitssystem (wie in der Türkei) kann ein Präsidialsystem sehr gut bestehen. Es gibt aktuell Beispiele in der Welt und auch Beispiele in der Geschichte. Sie sehen das Beispiel dazu in Hitler-Deutschland.”

Türkische Regierungsstellen wiesen danach eilig darauf hin, hier sei der Präsident falsch verstanden worden! “Mit seinen Bemerkungen habe Erdogan zeigen wollen, dass ein Präsidialsystem auch in einem Einheitsstaat existieren könne und nicht zwangsläufig ein föderales System brauche und dass weder ein präsidiales noch ein parlamentarisches System eine Garantie gegen Machtmissbrauch böten.”

Auch diese “Klarstellung” liest sich heute irgendwie anders als noch am Jahresanfang. Die “Säuberungen” durch die Entlassung Zehntausender Staatsangestellter aus Militär, Justiz, Verwaltungen (u.a. 30 Gouverneure!), Bildungs- und Religionseinrichtungen und sogar den Ministerien bis hinauf in den Beraterkreis Erdogans haben weltweit für erhebliche Zweifel am Machtgebrauch des Präsidenten gesorgt. Das fertige Vorliegen unfassbar umfangreicher Namenslisten schon vor dem Putschversuch ließ sich praktisch nicht mehr leugnen. Auch hatte Erdogan selbst seit den Gezi-Protesten alle Arten von zivilgesellschaftlichen Demonstrationen verbieten und mit Gewalt niederschlagen sowie den Taksim-Platz “aus Sicherheitsgründen” sperren lassen – nun aber seine Anhängerschaften sogar über die Moscheelautsprecher auf die Straßen gerufen, um sich “gegen die Putschisten und Verschwörer” zu stellen. Ist “Demokratie” nur noch, was dem Herrschenden gefällt, wird sie zur gelenkten Mobbokratie?

AufstandGeschenkGottesFacebookMemFacebook-Mem von tagesschau.de, Profilseite

Inzwischen wird auch die Verhaftung weiterer Kritiker u.a. wegen “Beleidigung des Präsidenten” gemeldet. Für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wurde ein Verbot von Auslandsreisen, verbunden mit einem Aufruf zur schnellen Heimreise, verkündet. Auch Dutzende Medien – vom Satiremagazin bis zum Radiosender – wurden umgehend eingestellt. Der Cumhurriyet-Chefredakteur Can Dündar, der über türkische Waffenlieferungen nach Syrien berichtet, auf persönliche Anzeige des Präsidenten zu einer fast sechsjährigen Haftstrafe verurteilt und vom “Netzwerk Recherche” für seinen Mut ausgezeichnet worden war, sprach von einer “Hexenjagd” und warnte: “Die Zeit für Erdogans persönlichen Staatsstreich ist gekommen.”

Erdogan-Jubel auch unter Deutschtürkinnen und Deutschtürken

Nun sind in der Geschichte der Staaten schon viele despotische Machtergreifungen (nicht selten befeurt durch gescheiterte Putschversuche) vor sich gegangen – doch im Gegensatz beispielsweise zu Ägypten ist Deutschland durch rund 1,5 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner türkischer Herkunft unmittelbar betroffen. So kam es bereits zu mehreren Solidaritäts-Demonstrationen von Erdogan-Anhängern auch in Deutschland, vereinzelt wurde Gewalt gegen Einrichtungen der Gülen-Bewegung ausgeübt. Auch zum Beispiel ein die “Säuberungen” bejubelnder Facebookeintrag der Berliner Juristin Betül Ulusoy – die selbst mit Erfolg rechtsstaatliche Mittel gegen Entscheidungen deutscher Behörden in Anspruch genommen hatte – sorgte für Aufsehen.

Andere Deutsche türkischer Herkunft warnten entschieden vor einem Verlust der verbleibenden Rechtsstaatlichkeit in der Türkei und nahmen die mehrheitliche, deutsche Position und Grundordnung in Schutz. So schrieb beispielsweise Musa Öztürk auf meinem FB-Profil:

Vielleicht nicht immer in beste Form aber wir genießen alle die Demokratie hier. Ich bin oft Rassisten begegnet und in meiner Kindheit habe ich auch einige Nachteile leiden müssen, Ausländer zu sein. Aber ich wusste und weiß immer noch, dass wir hier in einem Rechtsstaat leben und ich meine Rechte habe und diese auch bekomme. Wir ärgern uns oft dass dieses Land Leuten in Schutz nimmt, die wir vielleicht nicht leiden können aber merken nicht, dass wir selber davon profitieren.
Sich über die Demokratie in Deutschland zu ärgern und die Situation in der Türkei zu bejubeln bringt Zweifel, was man unter Demokratie versteht. Ein Vergleich ist schon lächerlich.

Auch in meinem eigenen deutsch-türkischen Freundes-, Bekannten- und auch Verwandtenkreis nehme ich eine außerordentlich starke Polarisierung wahr, in der von Sorge bis Jubel über den Erdogan-Kurs alles vertreten ist. Einige Erdogan-Anhänger ließen mich wissen, dass es ihr Präsident “den US-Amerikanern endlich mal so richtig gezeigt” habe, denn die Putschisten, die EU und auch Angela Merkel seien letztlich doch nur “Marionetten der amerikanischen und zionistischen Verschwörung gegen unser Land.” Ein entsprechendes Facebook-Mem – das den USA den Putsch gegen den ägyptischen Präsidenten Mursi unterstellt – wurde massenhaft verbreitet und auch auf mein Profil eingestellt.

InternetMemErdoganAntiWest180716

Facebook-Mem, mehrfach eingestellt auf meine FB-Profilseite

“Garniert” sind auch diese Übersendungen etwa mit Verlinkungen zu Beiträgen von Ken Jebsen (“KenFM”), der 2011 wegen antisemitischer Äußerungen vom Radiosender RBB entlassen worden war und sich seitdem v.a. als Online-Verschwörungsverkünder betätigt. Auch am Umsturz der prorussischen, ukrainischen Regierung sei “der Westen” verschwörerisch beteiligt gewesen, erläutern mir Erdogan-Fans – verbunden mit dem Hinweis, wie sehr sie den neuerlichen Schulterschluss von Erdogan und Putin “gegen Europa und die USA” begrüßen.

Was ist da los? Rechts und links und auch islamisch – die verschwörungsgläubige Querfront

Bisher tendieren die meisten Beobachter dazu, den Aufstieg beispielsweise von Wladimir Putin und Donald Trump, von der deutschen AfD und den nationalistischen Bewegungen und Parteien quer durch Europa, vom neu gewählten, philippinischen Präsidenten Duterte bis zum Zerfall der syrischen und irakischen Staates als voneinander isolierte Phänomene zu betrachten. Auch die Zuwendung von Deutschtürkinnen und Deutschtürken zu Ken Jebsen wird noch nicht mit der erstaunlich großen Solidarität von AfD-Mitgliedern für den baden-württembergischen Landtagsabgeordneten Dr. Wolfgang Gedeon zusammengebracht, obwohl beide Thesen einer “zionistischen Weltverschwörung” aus Juden, US-Amerikanern und europäischen Demokraten verkünden.

Doch es gibt einen Zusammenhang – den gemeinsamen, meist antijüdischen und immer antiwestlichen (v.a. antiamerikanischen) Verschwörungsglauben. Viele Anhänger von Erdogan, Putin und Trump, der deutschen AfD und anderer europäisch-rechtspopulistischer Parteien, aber eben auch sehr viele Araber, Iraner, Russen, Chinesen, Japaner, Filipinos und (Deutsch-)Türken sind davon überzeugt, dass US-Präsident Obama und seine NATO-Verbündeten bedrohliche und feindselige Verschwörer seien, die Demokratie und Menschenrechten als “Lügen” verwendeten und nur von starken “Führern” zurückzuschlagen wären. So verkündet Baschar al-Assad in Syrien ebenso, dass sein Regime von einer üblen, westlichen Verschwörung angegriffen werde – wie umgekehrt der so genannte “Islamische Staat” sich als Opfer dieser Verschwörung geriert. Auch sehr viele Muslime, die den IS ablehnen, halten am entlastenden Verschwörungsmythos fest, dieser selbst sei “ein Produkt der israelischen und US-amerikanischen Verschwörer”, um den Islam zu diskreditieren. Egal, was passiert – für wachsende Teile der Weltbevölkerung gilt “der Westen” immer als schuldig. Und alle, ausnahmslos alle radikalen Strömungen rechter, linker oder religiöser Art berufen sich auf die vermeintliche Bedrohung einer weltweiten Superverschwörung.

Das neu formierte Bündnis zwischen Putin und Erdogan auf Basis eines autoritären, antiwestlichen “Demokratie”-verständnisses ist deswegen kein Zufall, sondern markiert einen tiefen Bruch in der Wahrnehmung der Welt. Es ist der gleiche Bruch, der sichtbar wird, wenn sich plötzlich Deutschtürken und Russlanddeutsche an der Seite von ostdeutschen AfD-Anhängerinnen und Schweizer Doktoren wie Daniele Ganser wiederfinden – und Angela Merkel gemeinsam und zunehmend aggressiv vorwerfen, eine “Marionette der US-Amerikaner” zu sein.

Schon Anfang des Jahres hatte ich ein Buch und dann einen Artikel über die schnell wachsenden Gefahren von Verschwörungstheorien bzw. -mythen geschrieben und darin formuliert:

Auch die politischen Verschwörungsvorwürfe je gegen „Washington“, „Brüssel“, „Berlin“ oder „New York“ (UNO, Wall Street) sind zu einem festen und nahezu austauschbaren Bestandteil sowohl links- wie rechtspopulistischer Rhetorik geworden.

Entsprechend ist nicht davon auszugehen, dass es die Demokratien und die weltweit unter Druck stehenden Ideen des Liberalismus nur mit vorübergehenden Proteststimmungen zu tun haben, die mit etwas mehr sozialpolitischen Anstrengungen leicht überwunden werden könnten. Vielmehr äußert sich im Verschwörungsglauben der mythologisch unterfütterte Zweifel daran, ob faire und rechtsstaatliche Regeln in dieser Welt überhaupt funktionieren könnten. Stattdessen müssten kompromisslose Führer an der Spitze ergebener Parteien die Verschwörer stellen und unschädlich machen; eine dualistische Heilshoffnung, der demokratische Politiker und verantwortungsvolle Geistliche nicht entsprechen können. Und während demokratische Regierungen Oppositionsbewegungen dulden, ja sogar achten müssen, erlauben sich autoritäre Regime, beispielsweise in Russland und der Türkei, Oppositionelle grundsätzlich als verschwörerische, feindliche Agenten und Terroristen zu denunzieren und zu verfolgen. Der weltweite Aufstieg von Verschwörungsmythen und entsprechend autoritärer Populisten fällt dabei nicht zufällig mit der rapiden Ausbreitung neuer, digitaler Medien zusammen.

VerschwoerungsglaubenHerKorrHeaderAnfang des Jahres für Herder Korrespondenz geschrieben: “Angstgetrieben”, mein Artikel zur wachsenden Radikalisierung durch antiwestlichen Verschwörungsglauben

Fazit: Den Wald hinter den Bäumen sehen

Im Deutschen gibt es die schöne, sprichwörtliche Warnung, “nicht den Wald vor lauter Bäumen zu übersehen”. Und genau dies ist auch mein Argument: Die “Bäume” des russischen, türkischen, “trump-ischen”, philippinischen, chinesischen, japanischen (usw.) und auch deutschsprachigen Rechtspopulismus sind unterschiedlich hoch, aber sie gehören zum gleichen Wald. Befeuert durch die gesellschaftlich unterschiedlich starke Akzeptanz von Verschwörungsmythen und die Möglichkeiten der digitalen Medien formieren und radikalisieren sich immer mehr Menschen gegen das westliche Modell von Rechtsstaat und Demokratie und hoffen stattdessen (wieder) auf “starke Führer”, die sie vor den Verschwörern “beschützen” und die unübersichtliche Welt von ihnen “säubern”.

Wie weit wird diese Entwicklung gehen? Und was können und sollten wir tun, um ihr Einhalt zu gebieten? Das – so scheint mir – ist die dringende Frage, die sich Demokratinnen und Demokraten aller Länder stellen sollten…

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

42 Kommentare

  1. Hallo Herr Blume,
    zuerst einmal finde ich Ihr Engagement und die Aufklärung bzgl. Verschwörungstheorien sehr bemerkenswert. Verleumdungs- und Diffamierungskampagnen mit dem Ziel die Gesellschaft aufeinander zu hetzen, haben in einer humanen demokratischen Gesellschaft nichts verloren. Ergo: Es müssen Beweise her!

    Umso mehr bestürzt es mich jedoch, dass Sie auf Facebook die Beschuldigungen gegenüber der islamischen Organisation Gülen eindeutig als Verschwörungstheorie bezeichnen, es Ihnen jedoch trotz fehlender stichhaltiger Beweise nicht gelingt, bei den Beschuldigungen hinsichtlich einer möglichen Inszenierung des Putschversuchs von einer Verschwörungstheorie zu reden. Messen mit zweierlei Maß?

    Denn, falls sich der Verdacht gegen das Gülen-Netzwerk bewahrheitet, dann haben wir in unserem Land auch noch einiges vor uns. Die USA sind schon am Gülen-Netzwerk dran (https://www.youtube.com/watch?v=yIf1VjjmxwE). Eine Organisation, die nach außen einen liberalen Islam vorgibt, aber keine Transparenz darüber bietet was im Inneren gepredigt wird, erscheint mir ein wenig rätselhaft. Vielleicht sollten Sie sich mit dieser möglichen Gefahr ausgehend von den muslimischen Organisationen (Gülen, Ditip, Igmg) beschäftigen?

    Freundliche Grüße
    RoteBete12

    • Liebe @RoteBete12,

      zunächst einmal Dank für Ihr Interesse.

      Allerdings scheinen Sie nicht die gleichen Texte gelesen zu haben: Nirgendwo behaupte ich, dass ausgeschlossen wäre, dass sich (auch) das Gülen-Netzwerk an Vergehen oder gar Verschwörungen beteiligt haben könnte. Ich bestehe jedoch auf den rechtsstaatlichen Prinzipien: Also der Vorlage überprüfbarer Beweise und einem fairen Verfahren samt der Möglichkeit von Verteidigung. Eine “Verschwörungstheorie” ist so lange eine Theorie, wie sie auch überprüft werden kann (im Gegensatz zum Verschwörungsmythos und -glauben).

      Mir ist es vor einigen Jahren (als die Hizmet-Bewegung noch mit Erdogan verbündet war) tatsächlich einmal passiert, dass ein bekennender Kemalist die Gruppe beschuldigte und auf meine Nachfrage nach Belegen antwortete: “Wenn man nichts findet, muss man halt etwas er-finden.” In diesem Moment war für mich klar, dass dieser Mensch trotz seiner vermeintlichen Progressivität das Wesen des Rechtsstaates nicht begriffen hat.

      In den USA soll ja nun eine rechtsstaatliche Überprüfung der Vorwürfe gegen die Hizmet-Bewegung stattfinden:
      http://www.spiegel.de/politik/ausland/tuerkei-schickt-usa-dossiers-zu-fethullah-guelen-a-1103672.html

      Dies halte ich für das richtige Verfahren und kann nur davor warnen, vorab wahlweise pauschale Urteile oder Freisprüche zu verkünden.

      • Hallo Herr Blume,

        ich glaube in diesen Punkten stimmen wir hervorragend überein. In einem Rechtsstaat haben willkürliche Entscheidungen nichts verloren! Auch der Sultan vom Bosporus hat sich daran zu halten und muss gegenüber der USA stichhaltige Beweise liefern.

        Die Aussage, die ich bzgl. der Organisation Gülen missvertändlich finde, lautet wie folgt: “Auch die eindimensionale Superverschwörungs-Schuldzuweisung an bestimmte, gerne religiöse Minderheiten (z.B. die Juden, die Muslime, die Katholiken, die Gülenisten usw.) ist ein altbekanntes Motiv.”
        Dieses Zitat versteht sich so, dass Sie jegliche Anschuldigungen gegenüber der Organisation Gülen als Verschwörung ansehen, weil noch keine Beweise vorliegen. Soweit alles klar.
        Jedoch fällt es Ihnen schwer bei den Anschuldigungen bzgl. einer möglichen Inszenierung vom Sultanat höchstpersönlich, von einer Verschwörungstheorie zu sprechen, obwohl auch hier keine Beweise vorliegen. Ich glaube meine Haltung gegenüber Erdogan ist deutlich hervorgetreten, jedoch erwarte ich von jemandem, der sich aktiv gegen Verschwörungstheorien in unserer Gesellschaft einsetzt, etwas mehr Neutralität und den Mut, auch hierbei in Debatten auf Beweise zu beharren. Falls es mir entgangen ist, bitte ich dies zu entschuldigen!

        Freundlichen Grüße
        RoteBete12

        • Liebe @RoteBete12,

          die Entschuldigung akzeptiere ich gerne. Denn selbstverständlich gelten die gleichen Grundsätze auch für Erdogan und ich habe nichts anderes behauptet. Würde man ihn beispielsweise stürzen und vor Gericht stellen, so hätte er nach meiner Auffassung das gleiche Recht auf ein ordentliches Verfahren und die Überprüfung der gegen ihn erhobenen Vorwürfe.

          Dass beispielsweise auch die verhafteten Luftwaffenoffiziere der türkischen Armee allesamt Hizmet-Anhänger gewesen sein sollen, halte ich in Kenntnis der türkisch-kemalistischen Militärtraditionen für sehr unwahrscheinlich. Aber ich schließe es auch nicht völlig aus und bleibe gespannt auf die Bewertung der den USA vorgelegten Anklagen und Beweise.

          • Hallo Herr Blume,
            ich denke wir würden uns hervorragend verstehen.
            Ich hoffe, dass auch etwas mehr Transparenz bzgl. der entlassenen Richter und Lehrer gezeigt wird. Sofern nachgewiesen wird, dass die Gülen-Organisation verfassungsfeindlich handelt und die betroffenen Personen Teil dieses Netzwerks sind, dann ist die Entlassung gerechtfertigt. Das scheint mir aber ein wenig willkürlich.
            Nichtsdestotrotz, danke für den kurzen Schreibverkehr!

            Freundliche Grüße
            RoteBete12

    • Der Unterschied zwischen einer rechtsstaatlichen Demokratie und einer “Mobbokratie” ist sehr einfach und klar definiert, @Karl Bednarik: Gewaltenteilung.

      In einer freiheitlich-demokratischen Verfassung kann auch eine Mehrheit nicht die Grundrechte der Minderheit(en) aufheben, also nicht z.B. Oppositionelle verfolgen, unliebsame Medien dichtmachen, nur Demonstrationen des eigenen Lagers gestatten usw. In Zweifelsfällen haben unabhängige Gerichte zu entscheiden.

      Sowohl in Russland wie in der Türkei ist die Gewaltenteilung und damit Sicherung der Grundrechte praktisch aufgehoben. Eine von vielen Folgen davon ist übrigens die mangelnde Rechtssicherheit für Investoren, die sich entsprechend häufiger aus “Mobbokratien” zurückziehen…

    • Als ‘Ochlokratie’, das Fachwort, der Schreiber dieser Zeilen kennt aber keine Beispiele, Elit(ar)isten (vs. Populisten, das Antonym) dagegen womöglich schon.
      Die Schweiz bspw. ist jedenfalls keine ‘Ochlokratie’.


      Was es zudem noch gibt sind Demokratisierungsversuche, wenn die zivilisatorischen Bedingungen nicht ausreichen, bspw. ist mit Analphabeten kein dbzgl. Staat zu machen; es wäre aber ein wenig zynisch hier auszubauen, außer vielleicht i.p. sog. Nation-Building, diese George W. Bush-Idee war sachfern und utopisch.

      • Eine Zusatzfrage:
        Wie verhält es sich, wenn eine demokratische Zweidrittelmehrheit Gesetze beschließt, die die Gewaltenteilung aufheben, und die es erlauben, dass die Mehrheit über die Minderheit herrscht?

        • Nun, unser Grundgesetz enthält bewusst eine sog. “Ewigkeitsklausel”, die die Grundrechte der Menschen und die föderale Ordnung auch vor einer Zwei-Drittel-Mehrheit schützt:
          https://de.wikipedia.org/wiki/Ewigkeitsklausel

          Wie geschrieben: Eine freiheitliche Grundordnung bedeutet nicht nur Mehrheitsentscheidungen (inkl. 2/3-Entscheidungen), sondern auch den rechtsstaatlichen Schutz der Grund- und Menschenrechte. Mehrheiten dürfen Minderheiten nicht entrechten.

        • Das ist, Herr Bednarik, eine interessante Frage, die sich politologisch stellt und (auch) so beantwortet werden könnte:
          Gibt sich die BRD eine neue Verfassung, die nicht freiheitlich ist, wäre ein anderes politisches System geschaffen.
          Die (nicht moderate) politische Linke legte immer Wert auf die Feststellung, dass der Sozialismus in der BRD möglich sei.
          Weiter ist die Frage berührt, wie aufklärerische Demokratien scheitern können, bisher sind sie nur temporär (Deutsches Reich, Tschechoslowakei (zweimal) beispielsweise) gescheitert, es waren immer genug Demokraten da, die den Zustand der freiheitlichen Demokratie wiederherstellen konnten.
          Die Türkei könnte das erste Land werden, in dem die freiheitliche Demokratie endgültig scheitert.

  2. Zu Putin ein paar Anmerkungen:

    Ein ‘Bündnis’, einen ‘Schulterschluss’ und ‘Versöhnung’ zwischen Russland und der Türkei gibt es nicht. Stattdessen betreibt Putin-Russland Realpolitik.
    “Westliche” [1] Politiker haben immer gewusst, dass Putin-Russland keine Demokratie darstellt, auch weil der Vielvölkerstaat Russland zusammengehalten werden sollte, haben sie lange darüber hinweg gesehen, dass eine Art “Demokratur” oder FSB-Herrschaftssystem vorliegt, eine Klandestinokratie sozusagen.
    Gerd Schröder, nun seit Längerem an Gazprom gebunden, hat insofern mitgemacht und Putin lächerlicherweise als ‘lupenreinen Demokraten’ bezeichnet. [2]

    Putin hält sozusagen den Laden zusammen und betrachtet Weißrussland und Kleinrussland (“Ukraine”) als Einflussgebiet, auch weil dort 10 % bis 20 % sozusagen echte Russen leben und der russische Anteil noch höher ist, denn Russen integrieren sich ja auch, es wird mit größerem Anteil als diese 10 % bis 20 % dort russische gesprochen.
    Die Aktionen der EU und der Obama-Administration, die auf die Ukraine zielten, finden nicht alle gut. Wobei die dbzgl. Kritiker keine Populisten sein müssen.

    Putin wird von vielen (auch: gebildeten) Russen als “kleines Übel” verstanden, er ist wohl zumindest nicht sehr korrupt, bereichert sich und seine Leute nicht auf für Despotien übliche Art und Weise, ist oder gilt (als) hoch verständig und an die Interessen Russlands gebunden, hat auch guten Humor und betreibt eben Realpolitik.

    Vielleicht ist es diese Realpolitik, die einigen im politisch rechten und politisch linken Spektrum zusagt; dass eben keine moralisch aufgeladene Politik und keine sogenannte politische Richtigkeit von ihm geübt wird.

    HTH
    Dr. Webbaer

    [1]
    “Westlich” ist eine Metaphorik und meint aufklärerische demokratische Gesellschaftssysteme, die Richtungsangabe ist irreführend, auch bspw. Japan und Israel sind in diesem Sinne westlich, nicht aber Russland (oder die Erdogan-Türkei).

    [2]
    Er ähnelt womöglich dem Patriarchen aus den Terry Pratchett-Romanen.

    • Es ist spannend, @Webbaer, dass Sie sich unmittelbar zu einer Verteidigung von Putin herausgefordert fühlen.

      Dabei “vergessen” Sie einige m.E. wesentliche Aspekte wie die außerordentlich blutige Repression in Tschetschenien, die Verfolgung von Oppositionellen, die massive Aufrüstung und natürlich die völkerrechtswidrige Annexion der Krim sowie die Kriegsführung in der Ukraine. Gleichzeitig verarmt die Bevölkerung – trotz Öleinnahmen – und schrumpft das russische Volk durch Kindermangel, niedrige Lebenserwartung (vor allem von Männern) und die Auswanderung v.a. von Eliten.

      (Auch erklärte “Putin-Freunde”, ob bio- oder russlanddeutsch, leben dann doch sehr häufig lieber im “bösen” Westen, nicht wahr!?)

      Wenn das “Realpolitik” sein soll, dann ist es keine Realpolitik für das eigene, ausblutende Land. M.E. verteidigen Sie Putin auch gar nicht aufgrund seiner politischen Performance, sondern weil Ihnen – wie übrigens auch Trump – der Gestus eines vermeintlich starken, selbstsicheren und autoritären Mannes im Gegensatz zu den “weichen” und “unsicheren” Merkmalen der europäischen Demokratien zusagt. Könnte das sein?

      Übrigens noch ein kleiner Detail-Hinweis: In der Türkei sind auch die Offiziere, die den Abschuss des russischen Bombers durchgeführt haben, inzwischen verhaftet worden. Gestern noch nationalistisch gefeierte “Helden”, heute plötzlich verwerfliche “Putschisten” – Erdogan bringt bereits jetzt der neuen Allianz diverse Opfergaben. Umgekehrt haben auch die putintreuen Medien vom einen Tag auf den anderen vom üblen Erdogan-Bashing auf Lorbeerkränze umgeschalten. Interessant, nicht wahr!?

      • Herr Dr. Blume, zur angeblichen Verarmung in Russland:
        -> https://www.google.cz/publicdata/explore?ds=d5bncppjof8f9_&met_y=ny_gdp_mktp_cd&idim=country:RUS:GBR:IND&hl=de&dl=de

        Da gibt es schon ein wenig “Trickle Down”.

        Ihr Kommentatorenfreund hätte natürlich nicht so benachrichtigt, wie erfolgt, wenn er nicht alte russische Freunde zeitnah abgefragt hätte.
        Grundsätzlich hat Opi Webbaer seine Nase nicht mehr so drinnen wie früher, dies stimmt schon.

        MFG
        Dr. Webbaer

        • Ja, solange der Ölpreis hoch war, konnte Putin leicht verteilen – jetzt aber zeigt sich die Schwäche dieses Ansatzes, verstärkt auch durch Wirtschaftskonflikte und Embargos mit dem Westen, kriegerischen Konflikte, Rechtsunsicherheit sowie überhöhte Militärausgaben. Aktuell versucht Putin sogar verzweifelt, Rosneft-Anteile an Indien und China (!) zu verkaufen, um an frisches Geld zu kommen und die Bevölkerung über die nächste “Wahl” hinweg ruhig stellen zu können:
          http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/700-milliarden-rubel-verkauft-putin-riesige-oel-anteile-an-china-und-indien-14297617.html

          Noch etwas krasser hat der niedrige Ölpreis übrigens das sozialistisch regierte Venezuela erwischt, wo es bereits Ausschreitungen durch die zunehmend verzweifelte Bevölkerung gibt.
          Autoritäre Systeme sind eben auf Dauer gegenüber liberalen Demokratien und sozialen Marktwirtschaften auch ökonomisch nicht erfolgreich bzw. von Rohstoffeinnahmen abhängig. Vgl. zum Thema die Rentierstaatstheorie und dem dazugehörigen “Kommentar des Jahres 2015” von Martin Holzherr:
          https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/der-kommentar-jahres2015-martin-holzherr/

    • Putin hat einen anderen Stil als Erdogan, allerdings hält sich Putin eine Jugendmassenorganisation Naši, Sie wissen ja, was das Wort heißt. Ich finde allein die Bezeichnung zeigt, wessen Geistes Kind das ist, Ausgrenzung der Anderen ist das Prinzip.

      https://de.wikipedia.org/wiki/Naschi

      Aggressives militaristisches Auftreten an der Westgrenze und der Cyber-Propaganda-Krieg weisen auf eine massive ideologische Unterfütterung der russischen Politik.

  3. Ich danke Ihnen für diese klaren Worte und für den Post ganz allgemein, Herr Blume!
    Es zeigt sich, dass viele in dieser Situation über weltanschauliche Grenzen hinweg sehr ähnliche Positionen vertreten, und ich denke, dass es daran liegt, dass sie, bei allen Differenzen, demokratische Grundsätze vertreten und verteidigen. Das macht einerseits Hoffnung, andererseits wird es dann doch langsam nötig zu handeln, denn antidemokratische Stimmen werden auch in Deutschland lauter: zumindest nehme ich das so wahr.
    Ich zitiere kurz den von mir sehr geschätzten Bernd Ulrich aus der heutigen Ausgabe der ZEIT:
    “Die Demokratie wurde, das hatten wir schon ganz vergessen, einmal erkämpft. Manchmal muss sie neu erkämpft werden. Dieses Manchmal ist jetzt.”
    Wobei ich das, was Sie in diesem Post machen, als Teil dieses Kampfes verstehe.
    Auch wenn ich den Ausdruck “Kampf” nur ungern verwendet sehe, denke ich, dass er diesmal passend ist, auch um zu verdeutlichen, dass Zurückweichen höchstwahrscheinlich die falsche Reaktion ist.
    Über die verschiedenen Möglichkeiten des Engagements für demokratische Strukturen könnte man sich dann unterhalten.
    Beste Grüße, Alisier/Francois

  4. Lieber Herr Blume,

    können Sie bitte Ihre Unterstellung und Diffamierung, Ken Jebsen sei ein Verschwörungstheoretiker, objektiv begründen?
    Von einem Wissenschaftler erwarte ich mir im Allgemeinen etwas mehr Neutralität.

    Viele Grüße

    B. Humboldt

    • Lieber Herr Humboldt,

      nirgendwo habe ich Ken Jebsen als “Verschwörungstheoretiker” bezeichnet, sondern als “Verschwörungsverkünder”. Sowohl im verlinkten Text wie auch der Audioblog-Folge erkläre ich die Unterschiede zwischen Verschwörungstheorien, -mythen und -glauben ausführlich. Dass sich im Alltagsumgang ein schlampiger Sprachgebrauch durchgesetzt hat, bedeutet ja nun nicht, dass ich diesen in die Religionswissenschaft übernehmen muss.

      Also herzliche Einladung, sich mit der Wissenschaft zum Thema ernsthaft zu befassen (auch wenn dies, zugegeben, etwas mehr Zeit erfordert als einen schnellen Kommentar zu tippen).

      Viele Grüße auch Ihnen

      M. Blume

      • Ist Jebsen kein Verschwörungstheoretiker? – So vor fünf Jahren wurde dbzgl. geprüft, i.p. 9/11, es war grausam, was da kam…
        MFG
        Dr. W

    • Widerspruch zu Ihren Unterscheidungen i.p. Verschwörung gab es nie und war auch an dieser Stelle in der Kommentatorik nicht versucht.
      Nö, die Idee, dass Jebsen kein Verschwörungstheoretiker sei, wie von einem Kommentatoren hier nahegelegt, ist ganz kurz kommentiert worden.

  5. Putin, Erdogan, Trump und die Bewunderer dieser Autokraten oder Autokratenaspiranten (Trump) glauben an den starken Mann, der durchgreift, der Recht und Ordnung schafft und der das Land vor Gefahren von innen und vor allem von aussen bewahrt.
    Man kann ohne weiteres sagen: Putin, Erdogan, Trump und ihre Anhänger lesen, interpretieren die Welt als Schulhof, wo der gewinnt, der sich am besten prügelt, als Bühne für Machtkämpfe. Sie selbst sehen sich als Gladiatoren und Wrestler, die für sich selbst und die Nation Respekt erkämpfen und die die Welt aufteilen in ein Pro- und ein Kontra-Lager. Diejeinigen, die im Kontralager sind oder dort vermutet werden – kritische Medien, Anhänger einer anderen Lehre oder Sicht (bei Erdogan Gülen) – werden gnadenlos bekämpft, ja unter Umständen gar eleminiert.
    Autokraten/Autokratenaspiranten verschiedener Länder können sich feindlich gegenüber stehen. Doch sie verstehen die Motive und Handlungen des jeweilig anderen sehr gut – denn sie funktionieren genau gleich. Darum ist es kein Zufall, dass Donald Trump Erdogans Reaktion auf den Putschversuch inklusive der Säuberungen gutheisst oder mindestens als Sache Erdogans und keines anderes betrachtet, wie beispielsweise im Artikel Trump: Als Präsident würde ich Erdoğan keine Ratschläge geben zu lesen ist. Logisch für Trump: Jeder Autokrat, jeder Hahn, darf auf seinem Miststock tun und lassen was er will. Sei es nun Putin, Erdogan oder Trump. Und bitte doch keine Vorhaltungen machen, denn der jeweilige Autokrat weiss am besten, was gut ist für sein Volk. Trump hat auch immer wieder Bewunderung für Putin gezeigt, gerade auch dann wenn Putin Stärke zeigen wollte wie beim Bomardement in Syrien mit russischen Flugzeugen. Trump: „Ich komme mit Putin klar“ ist da nur logisch.

    „Putin hat absolut keinen Respekt vor Präsident Obama — ich würde mit ihm sprechen, mit ihm klarkommen. Wenn ich mich irre, dann gehe ich einen anderen Weg. Aber ich glaube, dass ich mit der Mehrheit der Staatslenker weltweit, mit denen dieses Land nicht klarkommt, zurechtkommen würde.“ sagte der US-Oligarch in einer republikanischen Fernsehdebatte, die am Vorabend von CNN ausgestrahlt wurde.

    Für Trump ist Obama also ein Weichei. Und klar, ein Weichei kann mit Putin nicht klarkommen. Dazu braucht es jemanden wie Trump. Im schlimmsten Fall kommen wir mit solchen Einstellungen zu einer Welt voller Autokratien.

  6. Kam gerade herein: “Trump: Als Präsident würde ich Erdoğan keine Ratschläge geben. Sein Motto sei “Amerika zuerst”, sagt Trump in einem Interview. Kritik an anderen Ländern will er deshalb sein lassen. Auch Schutzverpflichtungen für Nato-Partner stellt er in Frage.”
    http://www.sueddeutsche.de/politik/republikaner-parteitag-trump-als-praesident-wuerde-ich-erdogan-keine-ratschlaege-geben-1.3088179

    Es fühlt sich nicht immer gut an, wenn die eigenen Thesen bestätigt werden… :-/

  7. Das Problem der Demokraten ist , daß sie selber keine Hemmungen haben , zu Verschwörungstheorien zu greifen , von einer ist auch dieser Artikel beeinflußt , die angebliche Querfront.
    Es mag linke Spinner geben , die sich autoritären Positionen annähern , aber sehr viele Linke , meiner Beobachtung nach die meisten , unterscheiden sich fundamental von rechten Positionen.
    Rechte sympathisieren mit Leuten wie Putin als starkem Mann , von links hingegen kommt vor allem die Kritik , daß man realpolitisch eben auch mit bedenklichen Typen reden muß und daß die westliche Politik das vernachlässigt – von einer anbiedernden Sympathie keine Spur.

    Dieses undifferenzierte In-einen-Topf – werfen und das Bepöbeln von Linken ist ein wesentlicher Teil des Problems , der Westen verachtet nicht nur an dieser Stelle seine eigenen Werte , und das schon lange.
    Die Autoritären setzen das dann nur fort und können es noch ein bißchen besser , eingeführt jedoch haben sie es nicht , sie begehen nur den roten Teppich , den ihnen die Demokraten ausgerollt haben.

    • Lieber @DH,

      das ist natürlich witzig, da mir gleichzeitig andere Kommentatoren auf Facebook vorgehalten haben, ich hätte nicht genug über die linken Putin-Sympathisanten geschrieben. Tatsächlich ist das Verhältnis zur russischen Demokratur ja seit Jahren einer der großen Streitpunkte zwischen SPD und Linken:
      http://m.spiegel.de/politik/deutschland/a-959041.html

      International hätte ich den Chavismus in Venezuela nennen können, aber auch z.B. die erstaunliche Links-Rechtspopulismus-Koalition in Griechenland.

      Erlauben Sie mir abschließend noch den Hinweis, dass ich dringend empfehle, endlich klarer zwischen Verschwörungstheorien, -mythen und -glauben zu unterscheiden, da sich mit falschen Begriffen nur schwer gute Diskussionen führen lassen.

    • Zitat:

      Es mag linke Spinner geben , die sich autoritären Positionen annähern , aber sehr viele Linke , meiner Beobachtung nach die meisten , unterscheiden sich fundamental von rechten Positionen.

      Jakob Augstein betreibt eine SPON-Kolumne mit dem Titel “Im Zweifel Links”. Er ist übrigens einer derjenigen, die immer wieder für Putin Partei ergriffen haben. Beispielsweise nahm er Putin in Schutz, als die russischen Flugzeuge ihre Bomben über Aleppo abwarfen. Warum Jakob Augstein Putin so gut versteht und gar mehr Mitgefühl für Putin als für die bomardierten Syrier zeigte, war mir nie klar. Ich weiss nicht einmal was Jakob Augstein mit “Links” überhaupt meint. Ist der von ihm vertretene Antikapitalismus, Anti-Neoliberalismus und Anti-Israelismus heute schon ausreichend für eine linke Position?
      Die Partei “die Linke” dagegen verstehe ich viel besser, nachdem ich zum Schluss gekommen bin, dass sie auch heute noch eine SED-Nachfolgepartei ist. Wenn man das einmal akzeptiert hat, verwundert es einen nicht, dass “die Linke” Putin verteidigt. Es verwundert auch nicht, dass nicht wenige Linke-Anhänger in letzter Zeit zur AFD übergelaufen sind. Die Inhalte der Linken sind sicher ganz Andere als die der AFD, das Milieu der Anhänger aber deckt sich teilweise mit dem Milieu der Afd.

  8. Ich denke schon, dass ich verstehe, was DH meint. Bashing in jeder Form ist immer ein Problem, und es lohnt sich aus meiner Sicht die Samthandschuhe auch mal auszuziehen, und Tacheles zu reden.
    Wir sind aber leider alle nicht davor gefeit liebgewonnene Vorurteile und althergebrachte Positionen aurecht zu erhalten.
    Wenn es gegen Fremdenhass, Antisemitismus und Ähnliches geht, sollten diejenigen, denen Frieden und Demokratie am Herzen liegen aber auch mal das Kriegsbeil begraben können, und gemeinsam gegen Pest und Cholera vorgehen.
    Kleine Nickligkeiten gehören im Umgang manchmal dazu. Solange der Grundrespekt erhalten bleibt habe ich dagegen auch nichts einzuwenden.
    Und ich denke auch, dass das Rechts-Links-Sonstwas-Gelabele oft sehr kontraproduktiv ist. Ich wünsche mir öfters, dass eine Position oder ein Argument wahrgenommen und genau betrachtet wird ohne ein Label draufzupappen.
    Ein Argument kann gut oder schlecht sein, was dann zu belegen und auszudiskutieren wäre. Links oder rechts wird ein echtes Argument kaum jemals sein können.

  9. @Michael Blume

    Je nachdem , von welcher Seite man es betrachtet…an sich ja nicht so wild , nur zeigt auch der verlinkte Artikel , welcher Art die Diskussion dann ist , wer nicht in einen eng gesteckten Rahmen paßt , wird eben nicht nur sachlich gestellt , sondern gleich in eine böse Ecke geschoben.
    Und gerade Griechenland zeigt auf , über welche Reaktionen man sich eben nicht wundern muß , wenn man ein Land derart “demokratisch” an die Wand drückt.
    Was die Definitionen angeht , einverstanden , aber ich halte das bei diesem Thema für nebensächlich . Ob man jetzt von Dogma , V-Theorie oder Ideologie oder sonstwas spricht , die Denkstrukturen sind miteinander verwandt.
    So nett die 9-11 – CIA – Verschwörung klingen mag , aber was ist die schon gegen den pseudoreligiösen Glauben an die Heilsslehre der Austerität , nur um ein Beispiel zu nennen.
    Da gibt es durchaus Parallelen zur V-Theorie , nicht zuletzt in der Art , wie mit Kritik umgegangen wird , auch wenn es sich bei der Austerität nicht direkt um eine V-Theorie handeln mag , aber das ändert nichts an den Auswirkungen auf die Politik.
    Die Autoritären erstarken , weil sie – ich sag das nicht gerne – z.T. die etwas besseren Antworten haben , oder genauer , die weniger schlechten.

    Wenn die sagen , daß die USA an allem schuld seien , dann ist das natürlich Unfug , aber es hat einen wahren Kern , weil es z.T. dann wieder stimmt.
    Als Vergleich: Die unausgesprocjhene Behauptung des Westens , Putin sei der Böse , ist ebenfalls Unfug , hat aber auch einen wahren Kern , nur ist der kleiner als der bei der Aussage über die USA.
    Wir haben hier einen Unterbietungswettbewerb der Primitivität , und nicht nur im genannten Beispiel gewinnen die Autoritären – nicht aus eigener Stärke , sondern weil es die Demokraten schaffen , noch ein bißchen einfach gestrickter aufzutreten .
    Not gewinnt gegen Elend , würde man im Fußball sagen.

  10. Hierzu vielleicht noch ein Bonuskommentar:

    Und alle, ausnahmslos alle radikalen Strömungen rechter, linker oder religiöser Art berufen sich auf die vermeintliche Bedrohung einer weltweiten Superverschwörung.

    Dies ist korrekt angemerkt; das wesentliche oder “wesentlichere” Merkmal aber ist, dass sie alle kollektivistisch sind und individuelle Vernunft durch kollektive “Vernunft” zu ersetzen suchen, Vernunft kann nur individuell anfallen, wie jeder Liberale weiß, – wodurch aber gerade nicht aufklärerisches demokratisches gemeinsames Handeln, auch Wahlen betreffend, herabgesetzt werden soll.
    Von diesem demokratischem Handeln kann bei Kollektivisten natürlich nicht die Rede sein, auch wenn sie dies regelmäßig behaupten.


    Was hier nicht so-o supergut ankam, war die Einmischung der moderaten politischen Rechten (“Trump”, “die Alternative für D”) in den Gesamtzusammenhang, der im Artikel hergestellt worden ist, die hier ähnlich wie bspw. auch die Sozialdemokratie oder der moderate Ökologismus als für aufklärerische demokratische Gesellschaftssysteme notwendig gilt – auch wenn natürlich liberale Parteien immer, fast immer, die bundesdeutsche FDP auf Grund historischen Underachievements einmal ausgenommen, immer die beste Wahl sein sollten, fürwahr.

    Sie heizen hier ein wenig auf, unnötigerweise, Herr Dr. Blume, wenn Sie die AfD und Trump (und womöglich auch Václav Klaus und die PiS und die FPÖ und und und) antisozialer kollektivistischer Bewegung beimischen.

    MFG
    Dr. Webbaer

      • Donald J. Trump ist ein außerordentlich moderater US-Republikaner, gerne auch den Webverweis nachbessern, ein Trumpsches Lob für Erdogan darf belegt werden.

        MFG
        Dr. Webbaer (diese Nachricht muss nicht veröffentlicht werden; dass Trump Putin für verständig hält war korrekt angemerkt, ein Lob ergibt sich so nicht, auch bspw. der Schreiber dieser Zeilen hält Putin -ohne Lob- für verständig, eine Einschätzung, die unter Verständigen womöglich auf der Hand liegt)

    • Kollektivistisch in ihrem vagen Sprachgebrauch, werter Dr. Webbaer, ist jede Organisation, die sich entlang gemeinsamer Interessen bildet, also prinzipiell jeder Interessenverband. Das trifft auch auf die Liberalen der FDP zu.
      Interessanter als das von mir festgestellte Offensichtliche ist die damit bezweckte Neuordnung des politischen Spektrums abseits des links-rechts-Schemas. Dem Kollektivisten nach Ihrem Verständnis – also vom Maoisten, Stalinisten, Sozialdemokraten bis zum Nationalsozialisten – steht als Gegenentwurf der FDP-Liberale, frei von jeglicher historischer Schuld. Nett ausgedacht.

  11. Also ich habe Schwierigkeiten das Konzept oder einer realexistierenden Rechtsstaatlichkeit mit Leuten in Übereinstimmung zubringen,die mächtigen Leuten menschlische Hindernisse (Journalisten)aus dem Weg räumen. Und das dann als Dienstleistung/Gefallen an der Ehre des Herrschers oder/oder des gefährdeten Volks sehen.
    Leute,die gewisse Eigenständigkeit haben und die Mittel und keine ordentlichen Akten über ihre Aktionen führen….
    gibt es nicht eine russische Redensart,die da lautet:”Gesetze sind auf Papier geschrieben.”

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