Wenn Gott geht, fällt das Leid auf die Menschen. Von der Theodizee zur Anthropodizee – mit Katzenvideo

BLOG: Natur des Glaubens

Evolutionsgeschichte der Religion(en)
Natur des Glaubens

Aus geheimnisvollen Gründen erreichen mich über Twitter immer wieder tierische Fragen. So wollte Ende August der @Zoor wissen, warum Kaninchen keine Religion benötigten, um sich ausreichend fortzupflanzen. Und heuer fragte Jörg Wipplinger von DieWahrheit.at mit Link zu (s)einem Katzenvideo, ob ich eine Antwort auf die Theodizee-Frage wüsste.

DieWahrheitTweetTheodizeeBlumeEvolution


http://youtu.be/VMfGXQbCH7o

Die Theodizee-Frage lautet, warum ein zugleich guter, allwissender und allmächtiger Gott soviel Leid zulassen würde – und zwar offensichtlich auch an moralisch völlig Unschuldigen wie Tieren, Kindern oder gerechten Menschen (wie diese Woche z.B. die Deutschtürkin Tugce an ihrem 23.ten Geburtstag). Diese Frage wird bereits im biblisch-achsenzeitlichen Buch Hiob thematisiert – und dort eigentlich ebenso wenig “beantwortet” wie in abertausenden theologischen Texten danach. Letztlich läuft es immer wieder auf die Empfehlung heraus, Gottes größerer Weisheit und Güte zu vertrauen, der das zeitliche Leiden am Ende aufheben könne und werde.

Da ich nicht weiß, ob Jörg Wipplinger mein Buch über Charles Darwin gelesen hat, könnte ich zudem darauf hinweisen, dass auch dieser studierte Theologe sein Leben lang mit der Theodizee-Frage insbesondere mit Bezug auf Kinder (wie seine qualvoll gestorbene Tochter Annie) und Tiere rang! Obwohl Darwin zeitlebens betonte, trotzdem “nie Atheist” geworden zu sein, hätte ihm obiges Katzenvideo inhaltlich zugesagt.

Bei dieser historischen Betrachtung könnte ich es einfach belassen, zumal ich ja bewusst kein Theologe, sondern Religionswissenschaftler geworden bin – wir erforschen nicht “die Wahrheit” religiöser Aussagen, sondern ihre Entstehungen, Entwicklungen und Auswirkungen.

Allerdings hatte ich im Sommersemester an der Universität Köln zwei sehr pfiffige Studierende (w. & m.), die in einem gemeinsamen Referat die Theodizee und die Anthropodizee-Frage nebeneinander stellten – und mich damit bis heute zum Nachdenken anregten.

Die Anthropodizee-Frage lautet, warum es eigentlich noch Menschen geben sollte, wenn doch klar sei, dass jedes Kind Leid erfahren und Leid verursachen würde. Und der Befund ist hier ebenso eindeutig wie der bei der Theodizee: Noch keine nichtreligiöse Philosophie oder Weltanschauung konnte die Anthropodizee-Frage überzeugend beantworten, wie z.B. Karim Akerma richtig feststellte: Wenn das Ganze keinen höheren Sinn und kein letztes Ziel habe, dann solle man es doch besser gleich sein (bzw. verebben) lassen. Und tatsächlich litten bislang alle bekannten, nichtreligiösen Milieus unter Kindermangel.

ReligionsdemografiePotentialeCredit: Grafik: Blume, M. (2014) “Religion und Demografie. Warum es ohne Glauben an Kindern mangelt.” sciebooks

Der geniale Gedanke der beiden Studierenden…

…war nun, dass diese beiden Fragen zusammen hingen: Demnach mach(t)en alle Menschen (mit entsprechend fortgeschrittener Gehirnentwicklung) die Erfahrungen von Leid und Tod. In den monotheistischen Religionen werde diese Frage schließlich auf Gott geworfen – als Theodizee. Aber auch wenn Gott “ginge”, verschwände das Leid ja nicht, sondern fiele auf die Menschen – die Anthropodizee.

Ich habe über diese Verbindung oft nachgedacht und denke inzwischen, dass die Studierenden da etwas Großem auf der Spur waren: Wenn wir empirisch erforschen und beschreiben, wie Religiosität Sinn und Gemeinschaft stiftet – was beschreiben wir dann anderes als erfolgreiche, menschliche Antworten auf das Leid? Selbst noch der erklärt atheistische Religionskritiker Karl Marx beobachtete diese Funktion:

Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüth einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volks.

Opium war zu jenen Zeiten eben auch ein Schmerzmittel, das das Durchleiden schmerzhafter Prozesse ermöglichte, allerdings auch süchtig machen konnte. Empirisch gesehen “betäubt” Religion aber nicht generell, sie erlaubt vielmehr milliardenfach gegen alles Leid “dennoch” das Finden von Sinn und Gemeinschaft und die ausreichend häufige Weitergabe des Lebens. Noch einmal Marx:

Die Religion ist die allgemeine Theorie dieser Welt, ihr enzyklopädisches Compendium, ihre Logik in populärer Form, ihr spiritualistischer Point-d’honneur (Ehrgefühl), ihr Enthusiasmus, ihre moralische Sanktion, ihre feierliche Ergänzung, ihr allgemeiner Trost- und Rechtfertigungsgrund.

Offensichtlich brauchen wir Menschen das, während es auch ohne den atheistischen Marxismus (& Co.) durchaus besser geht.

Wichtig erscheint mir zudem der Hinweis, dass es unfair und unrichtig wäre, nichtreligiöse Menschen als “weniger sozial” einzuschätzen. Sie erziehen zwar empirisch nachweisbar durchschnittlich seltener Menschenkinder, halten dafür aber oft Haustiere wie zum Beispiel Katzen. Und manche kritisieren und fragen auf kluge und weiterführende Weise nach der Wahrheit – bisweilen auch per Twitter.

Avatar-Foto

Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

107 Kommentare

  1. Alle anderen Lebewesen auf diesem Planeten haben keinen Geisterglauben nötig, um überleben und fortbestehen zu können.
    Erstaunlich? Nein! Völlig normal.

    Nur einige Vertreter der Spezies Mensch versuchen, mit völlig abstrusen Thesen, ihre Unfähigkeit sich von imaginären Freunden zu verabschieden, als eine lebenswichtige Notwendig zurecht zu lügen.

    Wenn eben diese Vertreter nicht auch noch Respekt dafür einfordern würden, könnte man ja darüber hinweg sehen und bestenfalls schmunzeln, wie über Tante Gerta und ihre Gespräche mit Engeln oder Onkel Heinz, der seine Gebete dafür verantwortlich macht, dass der FC-Bayern gewonnen hat…
    Wie gesagt, man könnte….

    • @Stephan Fischer

      Exakt – Pflanzen und Tieren stellt sich die Sinnfrage noch nicht, auch entscheiden sie nicht bewusst über ihre Fortpflanzung. Erst der Mensch hat im Verlaufe seiner Evolution schließlich von diesem Baum der Erkenntnis genascht. Und die Ergebnisse lassen sich Tag für Tag empirisch beobachten – Wissenschaft enthüllt halt immer mal wieder Überraschungen.

      Wobei ich jene Menschen besonders interessant finde, die sich nicht positiv, sondern in Gegnerschaft zu anderen zu definieren versuchen. Nach dem Motto: Ich kann zwar nicht begründen, wofür ich selbst bin – aber besser als DIE bin ich doch allemal! Hach, Homo sapiens… 😉

  2. Die Gegenüberstellung Theodizee – Anthropodizee ist interessant und bedenkenswert. Allerdings sind die beiden Probleme doch anderen Kategorien zuzuordnen, wie ich meine.

    Theodizee ist ja vor allem der große, vielleicht unauflösliche, logische Widerspruch, wie man sich einen gütigen allmächtigen Gott denken soll, der z.B. schlimmstes Leid Unschuldiger zulässt – obwohl er es verhindern könnte, wäre er allmächtig, und verhindern müsste, wäre er gütig. Das geht vernunftmäßig einfach nicht zusammen.

    Bei der Anthropodizee gibt es diesen logischen Widerspruch nicht: zumindest dann, wenn man sich darauf einigt, dass der Mensch eben nicht immer gut, und keineswegs allmächtig ist.

    Zudem ist eine a-religiöse Rechtfertigung für die Existenz des Menschen vielleicht wirklich nicht einfach, aber zumindest doch nicht logisch unmöglich; vor allem, weil sich Rechtfertigungsversuche für den Menschen auf die Zukunft beziehen können, in der der Mensch vielleicht besser ist als in der Gegenwart. Gott dagegen, falls es ihn gäbe, war ja schon immer da, immer gut, und immer allmächtig, da kommt er nicht so leicht davon …

    • @hans

      Oh, ich fürchte, da ist etwas falsch rübergekommen: Die Anthropodizee fragt nicht, ob der Mensch ausreichend gut sei – sondern ob es gerechtfertigt ist, weitere Menschen ins Leben zu rufen, die unweigerlich Leid erfahren und Leid verursachen werden.

      Strenge Antinatalisten argumentieren entsprechend, dass Eltern egoistisch und moralisch falsch handelten, da sie zur Befriedigung ihrer eigenen Wünsche Leiden verursachten.

      Bislang ist es nur Religionen gelungen, darauf gemeinschaftlich wirkende Antworten zu formulieren, z.B. ein Gott, der Fruchtbarkeit gebietet, weil Er das Leben liebt und alles Leid in einem höheren Ziel aufheben bzw. vergelten wird. Nichtreligiöse Versuche, z.B. “Kinder für die Revolution”, “Rasse” o.ä. zu fordern, konnten schon deswegen nicht überzeugen, weil ja auch Revolutionen und die Menschheit einmal erlöschen würden – warum es also nicht gleich lassen?

      • @ michael
        “Die Anthropodizee fragt nicht, ob der Mensch ausreichend gut sei – sondern ob es gerechtfertigt ist, weitere Menschen ins Leben zu rufen, die unweigerlich Leid erfahren und Leid verursachen werden.”

        Das ist schon klar. Worum es mir aber ging: Rechtfertigungen dafür, Menschen zu zeugen, trotz des Leids, das sie erfahren werden, sind vielleicht schwierig, aber doch nicht aus logischen Gründen unmöglich.

        Bei der Theodizee scheint mir das anders zu liegen, es sei denn, man versteht unter “gut” und “allmächtig” etwas ganz anderes, als die Wörter gemeinhin bedeuten.

        • @hans

          Wieso sollte die Antwort, dass der Mensch weder über Gottes Wissen noch Weitblick verfügt und sich also mit Vertrauen begnügen sollte “unlogisch” sein? Auch Darwin mahnte immer wieder, die Fähigkeiten unseres “Säugetiergehirns” nicht zu überschätzen. Und wir Vertrauen ja auch Fachleuten wie Ärztinnen oder KfZ-Mechanikern, deren Spezialkenntnisse die unseren übertreffen. Diese “Antwort” ist m.E. völlig logisch nachvollziehbar, für viele Menschen aber aus guten Gründen nicht intellektuell befriedigend.

          Und klar: Theoretisch könnten völlig überzeugende Antworten sowohl auf die Theodizee wie Anthropodizee noch gefunden werden, auch die Geisteswissenschaften sind ja nie abgeschlossen. 😉

          • Ich wollte mit meinem Kommentar nicht gläubigen Menschen ihr Recht auf Glauben abspenstig machen. Für Gott, falls es ihn gäbe, muss menschliche Logik und Venunft nichts zählen, er kann da drüberschweben, und seine Beweggründe wären daher per se nicht logisch nachvollziehbar, sondern nur gläubig anzunehmen – ich finde, an dem Punkt sind sich Atheisten und Christen meist sogar halbwegs einig.

            Aber wenn wir mal hier auf der Erde bleiben, und unter Anerkennung ihrer möglichen Grenzen die menschliche Logik auf konkrete Situationen anwenden, bleibt ein unüberbrückbarer Gegensatz zwischen Gottes postulierter Allmacht und Güte einerseits, und dem Leid auf der Welt andererseits.

            Das Zeugen von Menschen könnte man dagegen widerspruchsfrei begründen, behaupte ich jetzt einfach mal. (Wobei ich zugebe, dass man dabei evtl. in ethische Erklärungsnöte gerät – z.B. Nachkommen als Mittel zum Zweck einzusetzen, etc. Aber das ist wieder was anderes.)

          • @hans

            Nun, Ihre gefühlten Überzeugen in allen Ehren: Bislang ist es niemandem gelungen, eine “widerspruchsfreie” Antwort auf die Anthropodizee zu formulieren. Sie dürfen es gerne versuchen! 🙂

          • Die Einladung nehme ich gerne an (;

            Da könnte nun einer sagen:
            “Ich will es im Alter schön haben, ich will dass meine Kinder für mich sorgen. Dass sie dann leiden, nehme ich nach Abwägung des Für und Wider in Kauf”.

            Man könnte (und sollte wahrscheinlich) entgegnen, dass das eine unmoralische Position ist, dass dabei Kinder instrumentalisiert werden. Aber in sich widersprüchlich ist die Position nicht unbedingt. Und nur darum geht es mir:
            Theodizee und Anthropodizee scheinen mir zwei verschiedene Probleme zu sein, beim einen geht es um ein echtes Paradoxon, beim anderen um moralische Positionen, die man so oder so sehen kann.

            PS: Merke gerade, dass ich entgegen meiner Gepflogenheit hier der hans bin, und nicht der Panagrellus, wie sonst in den Scilogs-Kommentaren. Sorry, dieses Sockenpüppchen habe ich mir nur aus Versehen übergestülpt (;

          • Diese Antwort soll eine auf den Kommentar von hans 13:51 sein. Mal schauen, wo sie erscheint.

            @hans: “Theodizee und Anthropodizee scheinen mir zwei verschiedene Probleme zu sein, beim einen geht es um ein echtes Paradoxon, beim anderen um moralische Positionen, die man so oder so sehen kann.” – Genau meine Meinung.

            Eine widerspruchsfreie Antwort auf die Anthropodizee sehe ich ebenfalls nicht, es kann sie gar nicht geben. Ich hab mir diese Frage zugebenermaßen heute aber auch zum ersten Mal gestellt. Aber je mehr ich darüber nachdenke, für umso dämlicher halte ich sie. Ich bitte, den Ausdruck zu entschuldigen.

            “Warum es eigentlich noch Menschen geben sollte, wenn doch klar sei, dass jedes Kind Leid erfahren und Leid verursachen würde” ist von vornherein nicht beantwortbar, weil Unvermeidbares eben unvermeidbar ist.

            Es GIBT nun mal Menschen. Es GAB auch ohne Menschen Leid. Menschen haben jedoch ein Bewusstsein und sind zu geplanten Handlungen fähig – und daher besser als die meisten Tierarten dazu in der Lage, Leid (wenigstens für die eigene Spezies) zu verringern und aus der Auswahl der vielen “Unvermeidbarkeiten” die für ihre Umwelt wahrscheinlich schmerzfreiesten Unvermeidbarkeiten anzustreben. Warum sollte man Menschen abschaffen?

            Wenn es keine Menschen mehr gibt, wird sich die Natur erholen. Das ist natürlich nicht von der Hand zu weisen.

            Aber auch in einer erholten Natur wird gefressen und gefressen werden, gehungert, gedürstet, verhungert, verdurstet – es wird weiterhin Parasiten geben, die ihre Eier z.B. in Schnecken ablegen, welche dann bei lebendigem Leib von den geschlüpften Maden von innen vertilgt werden, es wird weiterhin Krankheiten geben, es werden weiterhin Spezies aussterben – es hat noch NIE ein restlos stabiles Ökosystem gegeben, nirgendwo und zu keiner Zeit. Selbst die “Sauerstoffkatastrophe” (damals gab’s maximal nur einzellige Lebewesen) hat beinahe ALLES auf diesem Planeten ausgelöscht. Sicher nicht so prickelnd für alle Beteiligten, auch wenn ich bezweifle, dass sich Organismen dieses Entwicklungsstandes irgendwie “ärgern” oder Angst empfinden können.

            Wie dem auch sei: Ob es Menschen gibt oder nicht – Es wird sich mit Sicherheit niemals ein Ökosystem aus lauter Veganern etablieren, in dem es keinerlei Krankheiten und keinerlei Parasiten mehr gibt. Und schon gar keines, in dem nach Tick-Tack-Tick-Tack abgelaufener Zeit die verbleibenden, veganen Kuscheltiere einfach tot umkippen, ohne vorher durch Erscheinungen von Altersschwäche eingeschränkt zu sein.

            Zweifelsohne gibt es außer den Menschen weitere Lebewesen, die ein Bewusstsein haben. Die lernfähig sind. Die sogar Wissen, Erfahrungen und Techniken (wie z.B. Nüsse knacken oder Pflanzen gegen Bauchweh futtern) erfolgreich weitergeben können. Tiere, die um verstorbene Freunde und Verwandte trauern. Nach der Logik der Anthropodizee müsste man dann doch Affen, Elefanten, Delfine, diverse Vogelarten etc. doch am besten gleich mit den Menschen zusammen ausrotten, um Leid zu vermeiden.

            Menschen gänzlich abzuschaffen ist meiner Meinung nach jedenfalls keine gute Idee. Man sollte aber darüber nachdenken, ob ein Gebot wie “seid fruchtbar und mehret Euch” eine solche ist. Immerhin steht in keiner mir bekannten religiösen Schrift irgendeine Grenze in Richtung “solange Ihr alle adäquat ernähren und versorgen könnt”.

            Menschen brauchen Menschen. Ob Menschen so viele davon brauchen, steht auf einem anderen Blatt.

            Da kann man sich heiß diskutieren, oder man kann es auch lassen. Die Dinge nehmen, wie sie sind – und versuchen, das Beste draus zu machen. Und dabei gebe ich uns Atheisten über kurz oder lang den Vorzug. Denn wir handeln danach, was wir für nötig und sinnvoll halten. Und nicht danach, was vor mehreren Tausend Jahren mal (vielfach gewaltsam) als nicht zu hinterfragendes Gebot aufgestellt wurde.

            Mal gucken, wer demographisch “das Rennen” macht. Meine Prognose geht zu Gunsten des Atheismus. “Rückschläge” gibt’s ja in erster Linie deshalb, weil Atheisten (oder “Andersgläubige”) in religiös geprägten Gesellschaften mit mehr Benachteiligungen bis hin zu Repressalien zu rechnen haben als Religiöse in säkularen Gesellschaften. Und dass es tatsächlich so ist, wird auch Herr Blume nicht abstreiten können.

          • @pufaxx

            Nun ja, es kommt darauf an, was wir unter “säkularer Gesellschaft” verstehen. Wenn damit eine strikte Trennung von Kirche und Staat bei gleichzeitiger Religionsfreiheit wie in den USA gemeint ist, stimme ich zu. Erklärt atheistisch-antireligiöse Gesellschaften wie die UdSSR, die DDR, China, Nordkorea etc. haben religiöse Menschen brutal unterdrückt und tun das auch jetzt noch.

            Und das v.a. demografische Auf und Ab religiöser wie auch nichtreligiöser Bewegungen wird selbstverständlich erforscht, vgl. hier:
            http://www.blume-religionswissenschaft.de/pdf/HK_OrganisierterAtheismus_Blume2014.pdf
            Noch ein Kompliment: Einige Vertreter der Anthropodizee finden tatsächlich, dass auch nichtmenschliches, bewusstes Leben verschwinden sollte, um das bewusst erlebte Leid zu minimieren! Sie sehen also selbst, in welche Schlussfolgerungen die konsequent atheistische Forderung nach Leidvermeidung logisch führt! 😉

            Und zuletzt der Hinweis: Es ist das Prinzip der Evolution, dass erfolgreiche Verhaltensvarianten an nachfolgende Generationen weitergegeben werden – ganz egal, ob diese sie “verstehen” oder nicht. So, wie in Ihren Körperfunktionen das “Wissen” von zahllosen Generationen sedimentiert ist, so bilden auch die Religionen – deutlich flexibler, aber doch – kulturelle Wissensspeicher. Und wir erforschen – ob selbst religiös oder nicht -, warum und wie diese Wissenstraditionen erfolgreich waren und sich ausbreiteten.
            https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/weisheit-aus-aberglauben-die-frazer-hayek-konvergenz/

          • @Michael: Klar … Gäähn … Die Beispiele aus dem zum übersteigerten Wahn des allheilenden Kommunismus mussten ja kommen.

            Die haben aber nicht nur Religionen unterdrückt, die haben ALLES unterdrückt, was denen irgendwie auf den Sack gegangen ist. Und was den Führerkult in Nordkorea von einer religiösen Sekte unterscheidet, weiß ich auch nicht.

            Stinkreiche Vereine, die (und das haben sie getan) den armen Bauern das letzte Geld aus der Tasche ziehen, passen nicht ins Konzept. Stinkreiche Vereine, die Ländereien mit Leibeigenen besitzen, passen nicht ins Konzept. Ob das nun Gottesvereine oder Kaninchenzüchter sind.

            Aber darum geht’s mir nicht.

            Noch ein Kompliment: Einige Vertreter der Anthropodizee finden tatsächlich, dass auch nichtmenschliches, bewusstes Leben verschwinden sollte, um das bewusst erlebte Leid zu minimieren! Sie sehen also selbst, in welche Schlussfolgerungen die konsequent atheistische Forderung nach Leidvermeidung logisch führt!

            Ich glaub, diese Vertreter kann man eher an einer Hand abzählen. Ich persönlich kenne keinen Atheisten, der die Menschheit abschaffen will. Das ist uns “untergeschoben” worden.

            Mir geht’s auch nicht um “Antworten”. Mir geht’s um “plausible Erklärungen”. Eine Antwort kann ALLES sein. “Wie funktioniert ein Computer?” – “Schokoladeneis!” <- Das ist eine Antwort, aber keine plausible Erklärung.

            "Antworten" haben Religionen auf ALLES. Ob die tauglich sind oder nicht, scheint eher irrelevant. Geht doch schon mit den 10 Geboten los.

            "Warum soll man nicht stehlen?" – "Gott mag das nicht!" <- Das ist eine Antwort, aber keine plausible Erklärung. Eine plausible Erklärung wäre "Weil Du doch auch nicht willst, dass man Dir was klaut." Dummerweise sind Religionen für rationale Erklärungen nicht so wirklich berühmt.

            Die gesamten 10 Gebote kann man komplett in die Tonne kloppen. Und diese lieber auf wirklich vernünftige Argumente reduzieren.

            Das wichtigste davon ist "Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg auch keinem anderen zu." – Damit wäre der ganze Sums von wegen falsch Zeugnis, nicht stehlen, nicht töten usw. komplett und wirklich SCHLÜSSIG abgehakt. Das mit dem Sabbat kann man ebenfalls besser formulieren: "Gönne Dir und Deinen Angstellten (früher: Sklaven) genügend Pause zur Erholung und für die Familie". "Du sollst nicht begehren blablabla" – Ach, warum darf ich nicht auch den Wunsch nach so einem schicken Ferrari haben, wie mein Nachbar einen hat? Der Humanist würde sagen "Lass Dich nicht von Neid zerfressen". Oder "Die Süße vom besten Kumpel angraben ist keine gute Idee".

            Interessant zudem, dass die Geschichte mit dem Töten weit hinter den "Verbrechen ohne Opfer" (wie z.B. Gotteslästerung) aufgelistet wird. Dafür gibt's laut Bibel sogar Sippenhaft. „Du sollst dich nicht vor anderen Göttern niederwerfen und dich nicht verpflichten, ihnen zu dienen. Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott: Bei denen, die mir Feind sind, verfolge ich die Schuld der Väter an den Söhnen, an der dritten und vierten Generation; bei denen, die mich lieben und auf meine Gebote achten, erweise ich Tausenden meine Huld.“ Widerlich! Das gab’s … wann zuletzt? Der braunäugige Schwachmat mit der markigen Rotzbremse, der so geil auf blonde Haare und blaue Augen war?

            Ich bezweifle ja nicht, dass Religiöse und Atheisten sehr oft sehr ähnliche moralische Ziele und Ansprüche haben – aber eine Begründung dieser Ansprüche aus den Bedürfnissen aller Menschen scheint mir sehr viel griffiger als eine Begründung dieser Ansprüche aus den Wünschen irgendeiner (nach x Tausend Jahren noch immer nicht) nachgewiesenen Entität.

            Menschen GIBT’s. Zweifelsohne. Ich halte mich an DIE. Götter oder Gott KÖNNTE es geben. Mir egal.

            Trotzdem glaube ich, dass wir beide uns Ähnliches für den Fortbestand der Menschheit und unserer Erde wünschen. Ich denke bloß, Sie versteigen sich zu sehr in Spekulationen.

            Mal Hand aufs Herz: Würden Sie sich irgendwie anders verhalten, wenn es einen eindeutigen Beweis dafür gäbe das Gott NICHT existiert? Ich jedenfalls würde mich kein bisschen anders verhalten, wenn irgendwer herausfinden würde, dass Gott in der Schwabacher Straße 176, kurz nach Ende der Fürther Fußgängerzone leben würde.

          • @pufaxx

            Mal ganz nüchtern-empirisch geantwortet (!): Wenn sich das Verhalten religiöser und nichtreligiöser Menschen nicht unterscheiden würde, gäbe es auch religionswissenschaftlich und z.B. religionsdemografisch nichts zu erforschen. Das Verhalten unterscheidet sich nun einmal aber in vielerlei, der Erforschung und Diskussion würdiger Hinsicht.

            Und ich stimme zu, dass Religionen selten rationale Antworten und Herleitungen z.B. für ihre Gebote liefern. Ich gehe sogar noch weiter: Ihr Erfolg besteht ja gerade darin, dass sie auch vermeintlich “irrationales” Handeln rechtfertigen, ja gebieten!

            Ein Beispiel haben wir hier ja ausführlich diskutiert: Die Fortpflanzung. Rational gesehen gibt es – wie Sie ja auch selbst bemerkt haben – keine “Notwendigkeit” für viele Kinder. Religiöse Traditionen, in denen z.B. Gott Fruchtbarkeit gebietet, mögen also vollkommen “irrational” daherkommen – die Anhänger werden jedoch ihre biologischen und kulturellen Traditionen erfolgreicher weitergeben!

            Und genau hier möchte ich Sie auf den Widerspruch in Ihrer Weltanschauung hinweisen: Sie scheinen unbewusst anzunehmen, dass die Evolution “rationales” Verhalten besonders begünstigen sollte. Doch warum sollte das so sein? Die Daten sprechen eine ganz andere Sprache.

            Entsprechend stimme ich Ihnen zu, dass die 10 Gebote teilweise irrational sind – verweise aber darauf, dass sie außerordentlich erfolgreich sind! “Zufällig” war das schon vor einigen Jahren Forschungsthema:
            http://www.blume-religionswissenschaft.de/pdf/Bio-Logik10GeboteBlume0508.pdf

            Und, nein, selbstverständlich übergehe und übersehe ich auch die dunklen Seiten von Religiosität und Religionen wie Menschenopfer, Extremismus etc. nicht – im Gegenteil. Mein letztes Buch handelt von nichts anderem:
            http://www.sciebooks.de/cms/books/religioeser-fundamentalismus-extremismus

            Aber ich denke halt, wir müssen uns entscheiden: Wer ein wirklich wissenschaftliches Weltbild beansprucht, sollte auch gegenüber Religionen nicht nur Verachtung und Vorurteile hegen, sondern sich um ein empirisches Verständnis ihrer Stärken und Schwächen bemühen. Dazu lade ich mit hohem wissenschaftlichen und ehrenamtlichen Engagement ein. Ihnen nun aber einen schönen Abend! 🙂

          • Ja, dann kommen wir nicht auf einen Nenner. In unseren Begründungen jedenfalls nicht, in unseren Handlungen größtenteils schon.

            Wegen mir können wir das dabei bewenden lassen. Ich habe Ihre Veröffentlichungen lange verfolgt und X Stellen gefunden, an denen ich mir gedacht hab “Ach, Du Scheiße!” …

            Na und? Ist nun mal so. Man kann auch aus vollkommen unterschiedlichen Ansätzen auf “Leben und Leben lassen” kommen. Da muss man sich nicht groß zoffen.

            Für mich passt es eben am besten ohne “übersinnlichen Spökes”. Für mich gibt es nichts “Heiliges”. Alles, was ich schreibe und denke, halte ich für verhandelbar. Und ebenso für fragwürdig.

            Diese Unsicherheit halte ich für einen Vorteil. Für mich gibt’s nun mal kein “Gut”, das vor tausenden von Jahren festgelegt wurde. Und ich denke, das ist der wesentlichste Unterschied: Die Herangehensweise.

            Wir werden sicherlich nie einer Meinung sein, aber wir haben sicherlich ähnliche Wünsche und Ziele. Wir müssen nicht alles atomisieren, neu ordnen und nach Unterschieden suchen.

            Whatever. Schlafen Sie gut.

  3. Es spielt keine Rolle, ob ein Lebewesen Intelligenz besitzt oder nicht. Leid und Tod erleben und erfahren ALLE. Denn Leben bedeutet Kampf. Nämlich den Überlebenskampf. Der Preis des Lebens ist der Tod. Nur wenn Menschen ABSICHTLICH Tiere töten oder quälen, sind die Menschen für das Tierleid verantwortlich und kein Gott, da Gott ein Fantasieprodukt des Menschen ist.

    • @Tigerin

      Ja, auch Tiere leiden – genau das schrieb ja auch ich.

      Und das Argument der Anthropodizee wäre ja gerade, dass Kinder von Tieren unüberlegt, jene von Menschen aber “absichtlich” gezeugt werden: Die menschlichen Eltern wären demnach für alles dadurch verursachte Leid verantwortlich.

      Wenn sich die obigen Katzen also instinktiv fortpflanzen, wären sie dafür nicht moralisch verantwortlich – der menschliche Videoproduzent, der ja enthaltsam leben oder verhüten könnte, aber schon. Die Anthropodizee fragt, woher Menschen das Recht nehmen, Kinder zu haben und damit absichtlich Leid zu verursachen.

      Und da Sie so genau wissen, was alles “Fantasieprodukte” sind, darf ich ergebenst fragen: Sind auch Zahlen, Formeln, Tier- und Menschenrechte Ihres Erachtens nach nur “Fantasieprodukte”, an die nur dumme Menschen glauben?

      • “Und da Sie so genau wissen, was alles ‘Fantasieprodukte’ sind, darf ich ergebenst fragen: Sind auch Zahlen, Formeln, Tier- und Menschenrechte Ihres Erachtens nach nur ‘Fantasieprodukte’, an die nur dumme Menschen glauben?”

        Dürfen Sie.

        Bei Zahlen und Formeln ist die Sache eindeutig. Wieviel ist ein Kilo Zucke plus noch n Kilo Zucker? “Ein Riesenhaufen Zucker”. Aber damit kommt man nicht wirklich weiter. Da müssen Zahlen und Einheiten her. Die sind konstruiert, aber in sich schlüssig. Und – sie funktionieren.

        Derlei Konstrukte sind natürlich etwas anderes, als postulierte Rechte. Mag sogar durchaus sein, dass das Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit nur eine fixe Idee ist – wenn dieses aber durchgesetzt wird, geht’s Menschen besser. Funktioniert (wenn sich alle dran halten).

        Tierrechte … ja, Menschen sind Allesfresser, Medikamente werden zunächst an Nicht-Menschen ausgetestet – ist sicherlich nicht nett – da ist noch viel Diskussionsbedarf. Es sind auch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft worden. Insbesondere Versuche mit Stammzellen werden ja gerne von Umweltschützern abgelehnt, Genforschung ist sowieso böse … wer am lautesten dagegen wettert, hat im Regelfall am wenigsten damit geforscht …

        Mann, sind WIR dumm.

        • @pufaxx

          M.E. haben Sie das Entscheidende selbst formuliert: Da müssen Zahlen und Einheiten her. Die sind konstruiert, aber in sich schlüssig. Und – sie funktionieren.

          Dass und wie auch religiöse Überlieferungen “funktionieren” lässt sich empirisch erforschen – das tun die Kolleginnen und Kollegen und eben auch ich. Und Gläubigen erscheinen die entsprechenden Lehren auch mehr oder weniger “schlüssig” für das eigene Leben.

          Fast alle heutigen Menschen möblieren ihre geistige Innenwelt mit nichtmateriellen Entitäten wie Zahlen, Symbolen und Rechten. Und einige eben auch mit höheren Wesen wie Ahnen, Bodhisatvas, Engeln oder Gottheiten. Und ob uns das gefällt oder nicht – es “funktioniert” evolutionär gesehen durchschnittlich besser “oben mit” als “oben ohne”! 🙂

          Glauben müssen Sie deswegen gar nix. Aber neugierig bleiben, insofern Sie sich für Wissenschaft interessieren – das sollten wir alle.
          Hier als Film (bei Quarks & Co. mit Ranga Yogeshwar): https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/quarks-co-glauben-wissen-evolution/

          Herzliche Grüße, gute Nacht!

      • Selbstverständlich ist Gott ein Phantasieprodukt, was denn sonst? Das hat jedoch nichts mit Dummheit zu tun, Phantasie ist nichts Dummes, im Gegenteil. Dumm ist es nur, die Phantasieprodukte mit Wahrheit zu verwechseln und betrügerisch ist es, sie als Wahrheit anzupreisen, falsche Versprechungen zu machen und Menschen damit zu bevormunden. Sie kennen Ludwig Feuerbach bestimmt besser als ich, er hat über Gott und Religion viele plausible Beobachtungen gemacht und beschrieben. Die Bestätigungen dafür findet man in den Tagesnachrichten.

        “Diese meine Lehre ist kürzlich die: Die Theologie ist Anthropologie, d.h., in dem Gegenstande der Religion, den wir griechisch “theos”, deutsch “Gott” nennen, spricht sich nichts andres aus als das Wesen des Menschen, oder: Der Gott des Menschen ist nichts andres als das vergötterte Wesen des Menschen, folglich die Religions- oder, was eins ist, Gottesgeschichte… nichts andres als die Geschichte des Menschen….”.

        Ludwig Feuerbach (1804-1872)

        • @Anton Reutlinger

          Ja, Feuerbach ist gut bekannt – und erkenntnistheoretisch überholt.

          Denn nochmal nachgefragt: Sind Zahlen, Formeln und wissenschaftliche Theorien, Menschenrechte usw. nicht auch Konstruktionen des menschlichen Geistes? Die wir dennoch für “wahr” halten können, soweit sie sich ausreichend oft bewähren?

          Religiosität als Glauben an überempirische Akteure war und ist evolutionär außerordentlich funktional, d.h. erfolgreich. Auf Basis des populären Reduktionismus ist dagegen bislang keine auch nur demografisch stabile Kultur entstanden. Glauben an nichtmaterielle Entitäten wie Zahlen, Formeln, Rechte und eben auch höhere Wesen ist daher aus der Perspektive evolutionärer Erkenntnistheorie m.E. nicht einfach von der Hand zu weisen,sondern interdisziplinär & empirisch zu erforschen.

  4. Der Text veranlasst mich zu zwei Fragen:
    A) Woher stammen die Daten, dass unreligiöse Menschen angeblich weniger Kinder zeugen als religiöse? Ist China dafür ein Beispiel? War die DDR es? Lässt es sich überhaupt belegen, dass es die Religiosität ist, die die Vermehrungsrate beeinflusst? Können andere Faktoren wirklich ausgeschlossen werden?
    B) Kann man wirklich allen Ernstes behaupten, dass einem Kind in seinem Leben nichts weiter bevorsteht, als Leid zu erleben und zur verusachen? Das Leben ein Jammertal? Und zwar ausschließlich nur dies? Lässt solch ein Postulat überhaupt vernünftig begründen?

    • @Sprottenköder

      Gerne nehme ich Ihre beiden Fragen auf.

      Zu A) finden Sie nicht nur das erwähnte Buch, sondern auch eine Diskussion der empirischen Daten inkl. Chinas und der DDR kosten- und barrierefrei auf diesem Blog. Hier finden Sie z.B. ein ausführliches Online-Interview samt weiterführender Links:
      https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/online-interviews-zu-religion-und-demografie/

      Eine kostenfreie, einführende Titelgeschichte zum gesamten Forschungsfeld finden Sie auch hier:
      http://www.spektrum.de/alias/religiositaet/homo-religiosus/982255

      Zu B) Weder Vertreter der Theodizee noch der Anthropodizee leugnen, dass es auch gute Erfahrungen gibt. Allerdings fragen sie, warum Gott bzw. Eltern Leid zulassen. Wieviel Glück ein Kind erleben wird, ist unsicher – dass es leiden und sterben wird aber sicher. Deshalb machten sich Eltern nach dieser Argumentation auf jeden Fall schuldig.

      • Vielen Dank für Ihre Antwort.

        Zu A): Ihren Schluss, Kinderreichtum sei maßgeblich auf Religiosität zurückzuführen vermag ich immer noch nicht nachzuvollziehen. Ich werde mich da weiter belesen.
        Doch bislang muss ich bereits feststellen, dass ich Ihre Definition religiöser bzw. nicht religiöser Gesellschaften für fragwürdig halte. Das NS-System beispielsweise war alles mögliche, aber meines Erachtens ganz gewiss nicht säkular oder gar atheistisch.
        Zudem beziehen sich all diese Gegenüberstellungen ja maximal auf die jüngsten 100 Jahre der Menschheitsgeschichte. Vorher gab es keine säkularen Gesellschaften, die zum Vergleich hätten dienen können. Auch Rom (irgendwo taucht es als Beispiel auf) war nicht säkular.
        Ob das Leben der jüngsten 100 Jahre nun aber wirklich maßgeblich von der Frage nach der Existenz Gottes geprägt war und ob sich daraus zu Recht eine grundsätzliche Abhängigkeit à la “Viel Glaube – viel Kinder” ableiten lässt, wage ich zu bezweifeln.
        Ich halte den Menschen in Sachen Vermehrung eher für instinktgesteuert: Je schlechter die persönlichen Überlebenschancen erscheinen, desto wichtiger erscheint es, möglichst viel Nachkommenschaft in die Welt zu setzen. Das erhöht nunmal die Chance, die eigenen Gene weiterzugeben, und ist eine in der Natur weit verbreitete Strategie.
        An der Stelle könnte es dann in menschlichen Gesellschaften natürlich zur Überschneidung kommen: Je schlechter die eigenen Überlebenschancen erscheinen, desto willkommener werden auch Heilsversprechen und Weltanschauungssysteme, die darauf aufbauen.

        zu B): Ich zitiere: “Wieviel Glück ein Kind erleben wird, ist unsicher – dass es Leiden und Sterben wird aber sicher. Deshalb machten sich Eltern nach dieser Argumentation auf jeden Fall schuldig.”
        Diese Denkweise als Begründung für die Sinnhaftigkeit von Religion wirkt auf mich unangemessen fatalistisch und schicksalsergeben. Sie erschließt sich mir und, so weit ich weiß, auch vielen anderen Menschen nicht und ist als Fragestellung für sie nicht relevant.
        Leben ist schlicht Leben. Es ist per se weder gut noch schlecht. Es existiert. Und bestünde es nicht aus Höhen und Tiefen, also aus Veränderung, so wäre es kein Leben.
        Wäre es also nicht pragmatischer und damit auch vernünftiger zu sagen: “Die Welt mag kein idealer Ort sein (das Leben ist kein Ponyhof), doch wenn schon nicht wir, so machen kommende Generationen es vielleicht besser. Lasst uns ihnen die Chance geben!”
        Wieso überhaupt sollte ich mich für etwas schuldig fühlen, das in der Entscheidung meiner Kinder und ihrer Umwelt liegt – immer vorausgesetzt, ich selbst habe diese Umwelt nicht unangemessen verschlechtert?
        So etwas wie eine grundsätzliche Schuld finde ich befremdlich und unnötig (und im übrigen sehr typisch christlich).

        • @Sprottenköder

          In Religion & Demografie wollen Sie sich ja erstmal einlesen, daher braucht es dazu erstmal nichts weiteres.

          Und zu B) nur der Hinweis, dass ich die Auffassung der Anthropodizee-Vertreter wiedergebe, nicht aber notwendig selbst vertrete. Tatsächlich kann ich Ihrer Position viel abgewinnen – und zwar sowohl im Hinblick auf Anthropodizee und Theodizee…

  5. Ist die Gottesvorstellung im Katzenvideo nicht allzu menschlich? Ich kann mein Gottesbild, das ich mir zudem nicht machen soll/will, jedenfalls kaum darin wiederfinden.

      • “Die große Leistung der antitheistischen Religionskritik liegt im Enthüllen absurder Gottesbilder.”

        Pardon – diese “absurden Gottesbilder” haben aber nicht die Atheisten aufgestellt. Dass wohl jeder eine andere Vorstellung von Gott hat, ist klar. “Enthüllt” werden bzw. Widersprüche benennen ist aber nur bei Gottesbildern möglich, die bereits formuliert wurden.

        “Nachhaltig lebensfähige Alternativen haben sie dagegen bislang nicht geschaffen.”

        Warum sollte man das auch tun? Wie sollte denn eine “lebensfähige Alternative” zu irgendeinem Gottesbild aussehen? Ist “Gott gibt’s nicht” oder “genau SO einen Gott gibt’s nicht” nicht bereits Alternative genug? Und lebensfähig ist das ja durchaus, denn Weltbilder ohne Gott halten sich nicht nur schon einige Zeit, sie verbreiten sich doch auch immer weiter.

  6. Ich finde den Gedanken, die Theodizee- und die Anthropodizee-Frage nebeneinander zu stellen in keinster Weise “pfiffig” oder gar “genial”.

    Die Theodizee-Frage läuft darauf hinaus, ob es einen Gott GIBT.
    Die Anthropodizee-Frage läuft darauf hinaus, ob es Menschen geben SOLLTE.

    Wie “genial” diese Gegenüberstellung ist, wird deutlich, wenn man Theodizee und Anthropodizee einfach durch andere Fragen austauscht, zu denen noch niemand eine eindeutige Antwort gefunden hat. Zum Beispiel: Gibt es Einhörner? Sollte es Atomkraftwerke geben?

    “Aber auch wenn Gott ‘ginge’, verschwände das Leid ja nicht, sondern fiele auf die Menschen – die Anthropodizee.” – Und das ist neu? Die gängigen “Antworten” auf die Theodizee-Frage schieben doch größtenteils sowieso schon alles den Menschen bzw. dem freien Willen zu. Oder aber der Unfähigkeit der Menschen, das Leid als Teil von Gottes Plan zu akzeptieren.

    Also alles wie gehabt.

    • @pufaxx

      Das Bindeglied ist die Verantwortung für das Leid. Wer Leben verursacht, macht sich auch an der Hervorrufung von Leid verantwortlich. Mit demografisch beobachtbaren Folgen z.B. je für Amish und Atheisten…

  7. Das kann man so sehen, wenn man an Gott glaubt.

    Aber trotzdem – Ohne oder mit Gott gibt es Leid. Ist ja wohl anscheinend nicht Gottes Job, trotz seiner Allmacht Leid zu verringern. Ohne oder mit Menschen gibt es Leid. Allerdings können Menschen im Rahmen ihrer nicht allmächtigen Möglichkeiten versuchen, die Welt zu verbessern.

    Also immer noch alles wie gehabt.

    • @pufaxx

      Exakt. Nur könne und solle man eben nach Auffassung der Anthropodizee-Verfechter Leid von vornherein “vermeiden”, indem man die Hervorbringung von weiterem, menschlichen Leben vermeide.

      Klar ist das nicht ganz neu: Schon die antike Philosophie kennt die Debatten um die Hervorbringung “geistlicher” vs. “leiblicher” Kinder, mit deutlicher Tendenz zu ersterer. Entsprechend Übernahmen dann pronatale Religionen wie Juden- und Christentum das Ruder.

      Insofern haben Sie Recht: Verschiedentlich schon mal dagewesen und auch derzeit wieder beobachtbar… 😉

      • [Mein Kommentar von 14:36 sollte eigentlich als “Antwort” unter Ihrem von 14:24 stehen, da hab ich gepennt, Sorry. Machen wir eben hier weiter.]

        Sie haben außerdem geschrieben “Wer Leben verursacht, macht sich auch an der Hervorrufung von Leid verantwortlich. Mit demografisch beobachtbaren Folgen z.B. je für Amish und Atheisten…”

        Die Amish fühlen sich also weniger für Leid verantwortlich als Atheisten und haben deshalb mehr Kinder? Okay, das habe ich jetzt etwas “gewaltsam” aus Ihrer Antwort herausgebrochen.

        Trotzdem läuft es in Ländern mit kinderreichen Familien in Sachen Wirtschaft, Bildung, Rechtsstaatlichkeit und vor allem Gesundheitsvorsorge tendenziell eher schlecht. Dass es dort mehr Kinder pro Familie gibt, dürfte wohl nicht daran liegen, dass es ohne Atheismus irgendwie besser geht. Da spielen höhere Kindersterblichkeit, Fehlen von Altersvorsorge und mangelnder Zugang zu Verhütungsmitteln bzw. religiöse Verbote derselben die wichtigste Rolle.

        • @pufaxx

          Die Amish – wie auch z.B. die Haredim oder überdurchschnittlich wohlhabenden Mormonen – nehmen das erste biblische Gebot “Seid fruchtbar und mehret Euch!” schlicht wörtlich. Demnach begrüßt Gott menschliches Leben und verheißt, es zu vollenden. Von der Perspektive der – meist nichtreligiösen – Vertreter der Anthropodizee unterscheidet sich das deutlich!

          In der ersten Antwort auf @Sprottenköder habe ich entsprechende Links zu den empirischen Befunden zu Religion & Demografie bereits eingestellt. Auch auf meiner Homepage können Sie sich, wenn wirklich interessiert, gerne frei bedienen. Hier ein “Teaser” nur für Sie 😉 :
          http://mobil.n-tv.de/wissen/Ohne-Religion-fehlt-es-an-Kindern-article13469356.html

          Noch einen schönen Sonntag! 🙂

          • Das mag ja sein – Aber Atheisten (und nicht so streng religiöse Menschen) bekommen sicherlich nicht weniger Kinder, um Leid zu vermeiden – sondern weil sie keine Notwendigkeit darin sehen.

  8. ist es mit der Theodizeefrage nicht das gleiche wie mit der Frage: was ist Zeit. Zeit als Folge der erlebten Kausalität des Menschengeistes. Kausalität als Regelquelle ist genauso falsch wie die praktische Frage nach der Zeit. Wir sind Gefangene unserer Begriffe, entstanden aus der gedeuteten Erfahrung und weil diese repetierbar ist für alle Wesen der Menschengattung erhalten diese den Nimbus der Wahrheit.

    Genauso mit der Theodizeefrage; diese ergibt sich aus dem antropomorphen Gottesbild das sich der Mensch schuf und immer weiter implantiert. Ein solcher Gott gibt es aber nicht, wie Atheisten zu recht behaupten. Die Theodizeefrage liesse sich besser diskutieren auf dem Heisenbergschen Begriff der “zentralen Ordnung” als das was mit “Gott” bezeichnet wird. Zu Ende gedacht, zeigt sich, dass diese “zentrale Ordnung” Gesetze beinhaltet, die nicht varierbar sein können. Es wäre deshalb weit mehr verwunderlich, wenn es danach das so genannte “Böse” nicht gäbe.

    Löst euch von solchen “Gottesbildern” ohne Atheisten zu werden und die Theodizeefrage verschwindet wie viele andere Sorgen um Ethik welche uns die modernen Wissenschaften laufend neu produzieren und die Gesellschaft keine Antwort darauf findet. Beispiel: Fortpflanzungsmedizin.

    • Wie @Hans Arnold sagt.

      Leider sind wir aber nun mal evolvierte Primaten und die Kognitionen unseres Säugetiergehirnes sind nicht beliebig erweiterbar. Also fürchte ich, dass wir solche Diskussionen wieder und wieder haben werden… (Und ich hatte ja hier auch nur auf die Frage eines unbestritten klugen Religionskritikers geantwortet.)

  9. Theodizee, Anthropodizee – ja, es mögen Spiegelbilder sein. Aber solche eines Dritten, das nicht zu entschuldigen ist – des Seins selbst. Eine “Ontodizee” ist nicht machbar, oder, anders: Sein ist immer schon schuld sein.
    Grüße aus der Schopenhauerschen Ecke.

    • Theodizee, Anthropodizee – ja, es sind Spiegelbilder, von einem Kreislauf der von gleichermaßen Bewußtseinsschwäche in Angst, Gewalt und “Individualbewußtsein” auf Schuld- und Sündenbocksuche, in Annahme / Befürchtung einer Sinnhaftigkeit von zufälliger Einmaligkeit.

      Als Mensch anfing seine Toten zu bestatten, wurde Mensch zum Mensch. Als Mensch aber anfing auch daraus ein Geschäft zu machen, war alles für’n Arsch, bzw. im geistigen Stillstand seit der “Vertreibung aus dem Paradies” MANIFESTIERT – da ist es kein Wunder, wenn Mensch besonders den Tier- und Naturschutz in seine stumpf-, blöd- und wahnsinnigen Bedenken von Vernunftbegabung einbaut 😉

  10. Michael Blume,

    ob diese “Kognitionen des Säugerhirns nicht erweiterbar seien”, das ist für mich die Frage und ich würde da nicht so pessimistisch reagieren, wenn ich den bisherigen Verlauf betrachte. Die Wissensmenge die heute produziert wird ist das millionenfache jener vor 100 Jahren und wächst nicht linear sondern exponentiell. Warum sollte nicht irgendwann diese Quantität in Qualität umschlagen, dabei nicht nur die rationale sondern auch emotionale, ethische Komponente des “Säugers” mitreissen?

    Wenn ich bedenke, dass heute schon ein gigantisches Netzwerk (auch maschinell mit vernetzten Rechnern) globalen Ausmasses am Fortschritt – und “Aufwärtsschritt” wie ich meine – arbeitet, so ist das mir Zeichen, dass da etwas im Gange ist, dessen Resultat wir nicht zu ahnen vermögen, etwas radikal Verschiedenes zu dem was wir heute kennen – kulturell und gesellschaftlich. Das wird auch unser, noch infantiles Gottesbild, revolutionieren, mit all den daraus generierten Fragen, die mit den alten Formeln schlicht nicht lösbar sind.

    Ich vermute es in einer Richtung, die Beweise für einen Gott überflüssig machen. Vielleicht blickt der Mensch einmal mitleidig lächelnd auf unser kindliches Stottern zurück. Und in dieser Perspektive, in diesem Blick möchte ich nicht zu den Nihilisten gehören, die in primitiv materialistischer Schau jede Weiter- Höherentwicklung des Kosmos, und dem darin integrierten Bewusstsein “Mensch” ablehnten. Und so pendle ich als Zeitgenosse hin und her, zwischen hergebrachtem Symbolismus und einem Gefühl, dass noch Gewaltiges wartet, das wir nicht zu fassen in der Lage sind. Ich fühle diese Haltung als Bejaung dessen was ist, gepaart mit einem riesigen Vertrauen, das nie aus Gewissheit entstehen kann.

  11. Es haben jetzt eh schon einige Poster schön geschrieben, daher spitze ich wieder zu. Das Theodizee Problem ergibt sich logisch aus allmächtig und gut vs existierendes Leid. Das Anthropodizee – Problem ist moralisch/ethisch und sozial vielleicht interessant, aber kein logisches Problem: Es existiert einfach kein Widerspruch. Wir können kein Leben ohne Leid schaffen, wir haben nur eine Möglichkeit Leben zu schaffen, da ist Leid inbegriffen. Das schlägt sich weder mit dem Mensch Sein, noch mit Evolution, noch mit Physik, noch mit Logik. Kein Widerspruch, also kein vergleichbares Problem. Meiner persönlichen Bewertung nach ist es wieder einmal eine aufwendige Konstruktion einer Gedankenblase, nur mit dem Zweck, sich einreden zu können, Ungläubige stünden vor den gleichen unlösbaren Dilemma wie Gläubige. Das ist Unsinn. Ja, wir wissen auch nicht, warum überhaupt etwas existiert, aber das ist eine Wissenslücke, kein logisches Problem.

    Zur zu einfachen Gottesvorstellung: Kein Argument, es ist völlig wurscht wie komplex oder einfach sich jemand einen Gott vorstellt, so bald er die Eigenschaften allmächtig und gut trägt, popt das Theodizee Problem auf, egal welche Eigenschaften er sonst noch hat. Natürlich kann man das Problem umgehen und sagen, Gott geht es wie den Menschen, er kann kein Leben ohne Leid schaffen. Damit habe ich kein Problem, aber Allmacht spielt sich dann eben nicht 🙂

    • @Jörg W.

      “es existiert einfach kein Widerspruch. Wir können kein Leben ohne Leid schaffen, wir haben nur eine Möglichkeit Leben zu schaffen, da ist Leid inbegriffen.”

      Das Argument geht doch so, daß der Mensch die Möglichkeit hat, (menschliches) Leben _nicht_ zu schaffen. Solange es das nicht tut, ist er für das Leid, das menschliches Leben mit sich bringt, verantwortlich.

      • ja, eh. Er ist dafür verantwortlich. Und? So fern wir Kinderkriegen als rationale Entscheidung betrachten wollen, ist er neben dem Glück auch für das Leid des Kindes verantwortlich. Das sind Argumente Kinder zu bekommen oder eben nicht, aber keine logischen Widersprüche.

        • Ich finde, @zabki hat da völlig Recht. Wenn Gott in der #Theodizee-Debatte die ethische Eigenschaft “gut” (im Sinne unseres Verstehens!) zugeschrieben wird, dann verbinden sich damit ganz klar normative Verhaltenserwartungen wie “Gott müsste netter zu Katzen sein.”

          Sowohl die Theodizee wie die Anthropodizee definieren Leid normativ (!) als zu vermeiden, nur der Addressat Gott oder Mensch ändern sich.

          Wer Theologen Ausweichen vorwirft, sollte es selbst nicht praktizieren. 😉

          • WTF? Einer von uns sitzt auf der Leitung. Bitte formulier mir so einfach wie möglich den logischen Widerspruch in der Anthropodizee.Der Adressat “Mensch” ist nicht per Definition gut, der Adressat Gott im Theodizee Problem per Definition schon. Ich kann die Definition gut aus Gott rausnehmen, dann verschwindet das Problem. Beim Mensch ist das “gut” sowieso nicht dabei, also sowieso kein Problem. Nur so als Nachfrage: Hältst du wirklich Theodizee und Anthropodizee für ein Problem der gleichen Kategorie, also tatsächlich jeweils für logische Widersprüche? Ist mir völlig unbegreiflich wie man den substanziellen Unterschied nicht sehen kann. Aber ev gehts dir mit mir umgekehrt so.

          • @Jörg

            Ganz genau: “Gut” und zu vermeidendes “Leid” (auch z.B. von Katzen) sind eindeutig ETHISCHE Begriffe – und ohne sie würde, wie Du zu Recht bemerkst, die Theodizee-Frage verschwinden. (Und tatsächlich lehnen es viele z.B. jüdische und islamische Denker ab, Gott einer Menschenethik unterzuordnen und lehnen daher Begriffe wie “lieber Gott” entschieden ab).

            Mit der Anthropodizee verhält es sich ganz genau so: Auch sie setzt voraus, dass der Mensch ethisch “gut” und Leid vermeidend handeln sollte. Auch hier blieben sonst alle anderen Attribute (wie “absichtsvoll handelnd”) bedeutungslos.

            M.E. lässt sich also nicht ernsthaft leugnen, dass sowohl Theodizee wie Anthropodizee ethische Fragen behandeln, in denen an Gott bzw. den Menschen normative Erwartungen der Leidvermeidung formuliert werden.

  12. –> Die Anthropodizee-Frage lautet, warum es eigentlich noch Menschen geben sollte, wenn doch klar sei, dass jedes Kind Leid erfahren und Leid verursachen würde.

    Den Nachweis will ich sehen, dass jedes Kind Leid erfährt und Leid verursachen würde. Ich kann da nur von mir sprechen und zumindest Leid habe ich noch nicht erfahren. Habe ich Leid verursacht. Leider ja. Auch ich habe Fleisch gegessen und damit Massentierhaltung unterstützt.

    Aber ich kann meine Erkenntnisse an meine Tochter weitergeben und dafür sorgen, dass sie nicht ganz soviel Leid verursacht, wie ich. Dennoch halte ich es für übertrieben zu sagen, dass es bei 7 Milliarden Menschen auf der Welt keinen gibt, der kein Leid verursacht hat.

    Spreche ich mit diese Aussage den Kindern in armen Ländern das Recht auf Leben ab, die garantiert Leid erleben und damit auch sehr wahrscheinlich verursachen werden. Nein, denn auch diese Kinder habe die Chance, ihr Leid zu überwinden und ihren Kindern ein weniger Leidvolles Leben zu ermöglichen.

    Ich selber finde die Anthropodizee-Frage als unsinnig.

    • @jochen

      Ein Vertreter der Anthropodizee würde Sie z.B. mit der Feststellung konfrontieren, dass Sie sicher sterben werden – und ebenso auch Ihre Tochter. Nach dieser Auffassung verurteilen Eltern mit der Geburt den kleinen Erdenbürger auch zum tod.

      Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich teile die Argumente der Anthropodizee ebensowenig wie jene der Theodizee und bin glücklicher Vater von drei Kindern. Aber hier geht es ja nicht um meine oder Ihre Person, sondern um die von @Jörg Wipplinger aufgeworfene, philosophische Forderung der Leidvermeidung.

      • Aber warum ist tot = leid? Wenn ich dank moderner Medizin und relativ gesunden Lebensstil mit 80, 90 ohne großen Beschwerden sterbe, warum soll das Leid und nicht einfach eine Beendung eines schönen Lebens sein?

        Mir erschließt sich nicht, warum ein Kind automatisch Leid erfahren soll, nur weil es geboren wurde.

        • @jochen

          Ein Vertreter der Anthropodizee würde antworten: Weil Sie weder sich, noch Ihrer Tochter, noch irgendeinem Wesen, dem Sie Leid zufügten – z.B. als Nahrung – einen so “schönen” Lebenslauf garantieren können. Sie wetten auf ein “gutes Ende”, ohne Ihre Tochter vorher gefragt zu haben und ohne es ihr garantieren zu können.

          Aber nachgefragt: Würden Sie die positive Einschätzung des Lebens und Glück/Leid-Verhältnisses auch mit Bezug auf Gott bzw. die Theodizee gelten lassen? (Darüber dachte übrigens auch Darwin nach.)

          • Ich sage auch nicht, meine Tochter wird garantiert Leid frei aufwachsen, sondern ich halte es für sehr wahrscheinlich. Das mag der eine gerne als Wetter sehen, ich sehe das einfach als das Leben.

            Es geht mir nicht um die Wette, sondern um die pauschale Unterstellung, dass Leben Leid impleziert. Dafür sehe ich kein Beweis.

            Mir ist bewußt, dass ich anderen Lebenwesen Leid zugefügt habe. Und mit sicherheit werde ich es auch noch weiterhin. Aber ich kann lernen mit welchen Handeln ich anderem Lebewesen Leid zufüge und dies an meine Tochter weitergeben. Somit muss sie meine Fehler nicht wiederholen. Natürlich kann sie es. Keiner zwingt sie, auch mich zu hören.

            Ich verstehe ihre letzte Frage nicht. Wenn es jemanden hilft sein Leid zu mindern, weil er Gott die Schuld geben kann (Gott wollte es so / Gottes Wege sind unergründlich /…) dann habe ich damit kein Problem. Mich stört Gott nicht. Jeder verarbeitet Leid anders, ich kann anderen nicht vorschreiben, wie sie es zu tun haben.

            Mich stört rein die pauschale Unterstellung das Leben gleich Leid ist. Leid kann ein Teil des Lebens sein aber dann kann es auch ein Teil des Lebens sein, das Leid zu überwinden.

          • @jochen

            Dann ist es doch gut, denn dann haben sich sowohl die Theodizee wie die Anthropodizee aus Ihrer Sicht soweit erledigt. Dagegen habe ich keinerlei Einwände, finde Ihre Haltung sehr nachvollziehbar. 🙂

      • ich habe nie eine Forderung der Leidvermeidung aufgestellt (so ein Blödsinn, aber vielleicht liegt darin das Missverständnis). Es geht um den logischen Widerspruch von “gut und allmächtig” zu “leidverursachend”. Aber du reduzierst ja auch die über Millionen von Jahren sinnlose Folter von Lebewesen auf “sollte nett zu Katzen sein”.

        • @Jörg W.

          Bitte vergewissere Dich einfach bei der Philosophin Deines Vertrauens, im Wörterbuch oder bei Wikipedia: “Gut” ist keine logische, sondern eine ethische Kategorie. So wird von einem “guten” Gott oder Menschen selbstverständlich erwartet (normativ!!!), anderen kein bzw. möglichst wenig Leid zuzufügen. Das ist doch die ganze Pointe der Theodizee – und auch der Anthropodizee: Es sind beides ethisch-normative Fragen, die begründen wollen, was Gott bzw. Mensch zu tun (!) hätten, wenn sie “gut” seien.

          (Und Du willst doch nicht ernsthaft zu leugnen versuchen, dass auch Dein süßes Katzenvideo und die diesbezügliche Einladung an mich nur auf Logik und nicht auch auf Emotionen zielte? C’mmon, Jörg! 🙂 )

          • Ich ziele nie auf Emotionen 😉
            Um ein Anthropodizee-Problem zu konstruieren, muss ich einen guten Menschen annehmen, eigentlich sogar einen Menschen, der das Vermeiden von Leid als höchsten Wert setzt (nicht etwa das Generieren von Freude oder einfach nur das blanke Überleben). Das kann ich machen, für eine Gleichheit mit dem Theodizee-Problem fehlt dann aber immer noch die Allmacht. Und: Viele Menschen gehen meines Wissens von einem sowohl guten als auch allächtigen Gott aus, aber wer geht von einem rein guten Menschen aus oder davon dass der Mensch das Vermeiden von Leid als die höchste Prämisse betrachtet? Das eh schon gedanklich an den Haaren herbeigezogene Anthropodizee-Problem hat damit wohl wenig Relevanz.

          • @Jörg W.

            Im Gegenteil: Ein Vertreter der Anthropodizee würde einwenden, dass Menschen das Verursachen von Leid schon vermeiden können, ohne (!) allmächtig zu sein! Es reiche, kein weiteres menschliches Leben hervorzubringen – wozu ja sehr viele Menschen nachweisbar ohnehin tendieren…

            Ich stimme Dir zu, dass der Knackpunkt in der philosophisch absoluten ethisch-normativen Definition von “gut” liegt, der in der Theodizee Gott und in der Anthropodizee die Menschen unterworfen werden. Auch andere positive Werte – z.B. Demokratie – können durch Übersteigerung leicht ad absurdum geführt werden. Hier ist die christliche Theologie und sie begleitende Kritik m.E. in eine philosophische Falle gegangen, die erkennbar (und fühlbar!) wird, wenn sie auf uns Menschen rückspiegelt.

            PS: Du kannst m.E. stolz darauf sein, mit Deinem Katzenvideo so allerhand ausgelöst zu haben! 😉

  13. “Mal ganz nüchtern-empirisch geantwortet (!)”

    Als wenn empirisch-bewußtseinsbetäubte Bildung / Wissenschaft nüchtern sein könnte!?

    “Das Verhalten unterscheidet sich nun einmal aber in vielerlei, der Erforschung und Diskussion würdiger Hinsicht.”

    Der Zeitgeist, auf und in dem alles surft, und zwar im geistigen Stillstand seit der “Vertreibung aus dem Paradies”, hat wirklich multischizophren-autistische “Hinsichten” und ist alles Überproduktion von systemrationalem Kommunikationsmüll, solange man die Bedingungen / die Welt- und Werteordung für “göttliche” Vernunftbegabung nicht auf eine zweifelsfrei-eindeutige Basis für die Entwicklung von wirklicher Wahrhaftigkeit setzt – “Individualbewußtsein” ist gut für Konfusion und Entmenschlichung mit und ohne Religion, aber nicht für bespielhafte Möglichkeiten in geistig-heilendem Selbst- und Massenbewußtsein (die wahre Kraft des Geistes der “Gott” ist) 😉

  14. noch mal in ganz kurz: ein ethisches Dilemma ist nicht das Gleiche wie ein logischer Widerspruch => es gibt keine Anthropodizee. Das Wort suggeriert etwas, das es nicht ist.

    • WORTE: Freiheit, Frieden, Wahrheit, usw. – Es gibt in dieser konfusionierten Welt- und “Werteordnung” nichts was eindeutig-zweifelsfrei sein könnte 😉

      • eh nicht, aber es gibt Wörter, mit denen man absichtlich in die Irre führt – Euphemismen, Propagandabegriffe oder eben wie hier, in dem ein Problem der einen Kategorie einen Namen verpasst bekommt, der eine Gleichheit mit einem Problem einer anderen Kategorie unterstellt. Das ist in höchstem Maße manipulativ.

  15. “Wenn Gott geht, fällt das Leid auf die Menschen. Von der Theodizee zur Anthropodizee”

    Wir sind alle im SELBEN Maß durchströmt vom Geist der / das “Gott”, wenn Mensch leidet, dann nur weil er die Dummheit zur scheinbar unausweichlichen Hierarchie ausgebaut hat! 😉

  16. Ich habe seit einiger Zeit den Eindruck, dass es mit dem Begriff der “Allmacht” ein Problem gibt. Dass nämlich wir Menschen etwas anderes darunter verstehen, als die Schriften meinen. Nun kann man natürlich sagen, dass die Schriften auch “nur von Menschen verfasst wurden”, was ja auch garnicht zu bestreiten ist. Aber die Frage ist doch, aufgrund welcher Erfahrungen sie die Schriften verfasst haben. Diese Frage beantworten sie meisst nicht ausreichend, wenn überhaupt. Aber ich denke, dass sich der Begriff der göttlichen Allmacht intellektuell überhaupt nicht erschliessen lässt, sondern sich nur aus spiritueller Praxis (sein sie nun religiös motiviert oder nicht) heraus deuten und auf dieser Basis vielleicht auch verstehen lässt. Die Frage ist dann, wie sich sowas empirsch wasserdicht nachweisen lässt? – Darauf hab ich aber auch keine Antwort.

    • Zitat von Hans:
      “Ich habe seit einiger Zeit den Eindruck, dass es mit dem Begriff der “Allmacht” ein Problem gibt. Dass nämlich wir Menschen etwas anderes darunter verstehen, als die Schriften meinen.”

      ———————————

      Da stimme ich zu. Es stellt sich doch vor allem die Frage: was genau bedeutet überhaupt Allmacht? Ist Allmacht tatsächlich nur das, was wir mit unserem Menschenverstand beziehungsweise unserem menschlichen Vorstellungsvermögen fassen können oder offenbaren sich da uns Dimensionen, die eher nicht begreifbar sind? Solange keine objektive, zweifelsfreie Definition zu der Allmachtsfrage besteht beziehungsweise vor allem kein Erweis für eine Allmachtsexistenz vorhanden ist, bleibt wohl lediglich der Glauben.

      ———————————

      Zitat von Hans:
      “Diese Frage beantworten sie meisst nicht ausreichend, wenn überhaupt.”

      Falls Sie sich auf religiöse Schriften wie die Bibel oder den Koran beziehen, so ist es für mich generell betrachtet nachvollziehbar, dass in religiösen Schriften auftauchende Fragen für Menschen des heutigen Zeitgeistes nicht hinreichend genug beantwortet werden. In der Zeit, als diese Schriften entstanden, bestand jedoch wohl ein anderes Weltbild und ebenso eine andere geistige Einstellung, die ausgehend von einem menschlich religiös geprägtem Urvertrauen jene Gedanken, Gleichnisse und Geschichten in Schrift gießen ließen.

      ———————————

      Zitat von Hans:
      “Aber ich denke, dass sich der Begriff der göttlichen Allmacht intellektuell überhaupt nicht erschliessen lässt, sondern sich nur aus spiritueller Praxis (sein sie nun religiös motiviert oder nicht) heraus deuten und auf dieser Basis vielleicht auch verstehen lässt.”

      Wenn zumindest Menschen nicht Inhaber einer im Körper vorhandenen geistigen Entität sein sollten, könnte die von Ihnen dargestellte Möglichkeit eine Herausforderung darstellen, da selbst im Falle einer zielgerichteten, geistigen Meditation der Mensch möglicherweise aufgrund eines nicht besitzenden Ätherleibes nur in seiner biologisch-chemischen Umkapselung verbleiben kann und somit dementsprechend nicht in so etwas wie einen immateriellen oder geistigen Kosmos eindringen kann, um geistige, göttliche Wahrheiten erfahren zu können – es sei denn, ein Teil unseres Körpers, beispielsweise das Gehirn, wäre in der Lage, im Bereich geistiger Angelegenheiten zu agieren.

      Was bleibt, ist für den Gläubigen (und meines Erachtens nach nicht nur unbedingt für diese) möglicherweise eine Art der Ahnung von etwas Höherem.

  17. Ich verstehe noch nicht so ganz wo genau das Problem gibt.
    Ich finde, dass erst recht ein liebender Gott das Leid schaffen würde, um uns auch das Gegenteil zu zeigen.
    Lebten wir in unter der Erde in ewiger Dunkelheit, hätten wir keine Augen um das Licht zu sehen, kämen wir an die Oberfläche.
    Gott ist allmächtig und perfekt, so kann er vielleicht Glück ohne Leid erleben.
    Wir Menschen dagegen sind weder perfekt und erst recht nicht allmächtig, so brauchen wir den Gegensatz um die eine Seite zu erkennen und sie von der anderen unterscheiden zu können.
    Die Ansicht, Leid zu vermeiden, dafür aber auch das Glück zu Opfern um in Gleichgültigkeit aufzugehen finde ich sehr depressiv.
    Genauso mit der Anthropodizee. Eltern haben zwar keine Allmacht um das Leid ihrer Kinder zu verhindern wenn sie diese zeugen. Aber sie können doch zumindest dass was erreichbar ist mit dem “Preis” der zu zahlen ist abgleichen.
    So wird das Kind zwar Leid erleben, vielleicht sogar erhebliches, aber das Kind kann auch Glück erfahren. Und mehr noch, das Kind bekommt die Möglichkeit zu Handeln.
    Eltern holen ihre Kinder aus der Machtlosigkeit der Nichtexistenz und geben ihnen die Möglichkeit zu handeln.
    Und auch wenn die Zeit der Existenz begrenzt ist, und unsere Existenz unlösbar an Leid gekoppelt ist, so finde zumindest dass die Existenz der Nichtexistenz vorzuziehen ist.

    • Danke, @Felix – ich darf verraten, dass ich für Ihre sehr pragmatische und letztlich lebens- wie glaubensbejahende Haltung einige Sympathie empfinde. Die Zuspitzungen in philosophischen Debatten wie der Theodizee oder Anthropodizee sind ggf. zu Diskussionszwecken notwendig, aber oft weit vom reellen Leben entfernt.

  18. @Michael Blume

    Dass Religiosität evolutionär erfolgreich sei, ist ein beliebtes, aber irrelevantes Argument. Viele Alternativen könnten genauso erfolgreich sein und thematisiert werden. Es ist die trügerische “Schlussfolgerung auf die beste Erklärung” oder Abduktion. Dieser Schluss ist typisch für Verschwörungsgläubige und Esoteriker. Ein Phänomen wird einer bestimmten Ursache zugeordnet, die zuvor schon festgelegt ist, Andere mögliche Ursachen, zum Beispiel Bildung und Erziehung, werden gar nicht erst geprüft. Eine optimistische Lebenseinstellung ist evolutionär erfolgreicher als eine pessimistische. Dazu braucht man keine Götter.

    Genauso trügerisch ist das Argument, atheistische Gesellschaften wären nicht erfolgreich oder hätten keine ethischen Maßstäbe. Bisher gab es keine atheistischen Gesellschaften und es wird auch keine geben. Atheismus ist nun mal keine spezifische Weltanschauung, sondern der Normalzustand des Menschen. Atheisten gibt es nur dort, wo es Theisten gibt. Jeder Mensch kommt als Atheist zur Welt. Das Denken unterscheidet sich zwischen religiösen und areligiösen Menschen nicht prinzipiell anders als zwischen englisch sprechenden und deutsch sprechenden Menschen, oder zwischen Kulturen. Die Gläubigen täuschen sich mit solchen Pseudoargumenten nur selber über die Glaubenszweifel hinweg.

    • @Anton Reutlinger

      Es hilft nichts, mit abwertenden Beschimpfungen (“Esoteriker” etc.) auf empirische Daten loszugehen. Evolutionäre Prozesse bewähren sich an der Wirklichkeit – und zu dieser gehören mindestens bei Menschen eben auch Glaubensüberzeugungen und Werte.

      Besonders ärgerlich ist es, dass Sie behaupten, andere Wirkfaktoren wie Einkommen oder Bildung wären religionsdemografisch nicht ebenfalls erkundet worden – was schlicht und einfach sachlich falsch ist. Und es wäre wirklich nicht schwer gewesen, sich hierzu erst einmal kundig zu machen, gerne auch kosten- und barrierefrei hier auf dem Blog. Wussten Sie z.B. dass der relative Geburtenabstand Religiöser mit steigender Bildung zunimmt? Dass religiöse Gemeinschaften wie z.B die Mormonen hohes Einkommen und hohe Bildung mit Kinderreichtum zusammen bringen?

      Ich lade Sie herzlich ein, sich mit empirischer Wissenschaft ernsthaft zu befassen – auch wenn das für alle bedeutet, liebgewonnene Ansichten hinterfragen und ggf. aufgeben zu müssen. Sie können es sich natürlich auch in Ihren Vorurteilen mitsamt Denkern des 19. Jahrhunderts bequem machen – das ist ja kein seltenes Phänomen. 😉

      • @Michael Blume

        Mein Beitrag war in keiner Weise beschimpfend gemeint. Es ist jedoch typisch, meine Erfahrung in vielen Diskussionen, dass Religiöse sehr empfindlich reagieren, wenn sie kritisiert werden, selber aber genauso gerne austeilen und versuchen, den Atheismus mit verqueren Argumenten zu diskreditieren. Hier wäre seitens der Religiösen mehr selbstkritische Reflexion angesagt. Religionskritiker des 19.Jhdts kann man nicht so einfach mit Dekret abbügeln, so wie es Anfang des 20.Jhdts mit dem Antimodernisteneid versucht wurde.

        Kinderreichtum ist in vielen ärmeren Gesellschaften eine Alterssicherung. Dazu kommt die natürliche, hohe Kindersterblichkeit. Man sollte also nicht die Neugeborenen zählen, sondern vielleicht die Zehnjährigen. Diese Gesellschaften haben oftmals noch einen niedrigen Bildungsstand mit vorwissenschaftlichen Weltanschauungen, seien es Naturgötter oder ähnliche mystisch-religiöse Vorstellungen, aktuell noch die Voodoo-Vorstellung in den Ebola-Gebieten Afrikas. Somit korreliert also Kinderreichtum als evolutionärer Erfolg scheinbar mit Religiosität. Es ist klar, dass sich diese Verhältnisse gerade in diesem Jahrhundert massiv verändern.

        Natürlich gibt es viele Gründe für evolutionären Erfolg. Bildung und Erziehung, oder eine optimistische Lebenseinstellung hatte ich als Beispiele genannt. Das kann man mit Religion in Verbindung bringen, muss es aber nicht. Die Hoffnung auf Belohnung im Jenseits oder ewiges Leben kann eine optimistische Lebenseinstellung mit größerer Kinderzahl bewirken. Aber es ist nichts anderes als ein Placeboeffekt, denn die Hoffnung wirkt eben nur aus dem festen Glauben heraus. Die Lebenspraxis der meisten Religiösen, oder die Anthropodizee, zeigt deutlich, dass dieser Placeboeffekt sehr wackelig ist. Der Mensch hat Verstand und ein Bewusstsein, damit er es zur Vernunft gebraucht.

        • @Anton Reutlinger

          Und wieder lassen Sie uns an Ihrem (Vor-)Urteil teilhaben, nach dem ich als “Religiöser” notorisch “empfindlich reagieren” würde – und schließen Aussagen zu Religion & Demografie an (“nur scheinbar korreliert”), ohne sich ernsthaft eingelesen zu haben.

          Wussten Sie, dass ich meine Promotion bei einem sehr bekannten Religionskritiker abgelegt habe? Dass ich auch gemeinsame Bücher und Seminare z.B. mit Beiräten der GBS ausrichte(te)?

          Dieser Blog ist ein ehrenamtliches Angebot, sich mit empirischer Wissenschaft auseinander zu setzen. Bitte verstehen Sie, dass ich mich weder auf der persönlichen Ebene anmachen lasse, noch die Muße habe, jedem Neukommentierenden einzeln die Fragen z.B. zur Religionsdemografie zu beantworten, die schon längst debattiert und geklärt sind.

          Ich danke Ihnen sehr für die durch Sie erfolgte Anregung, einen einführenden “Blogpost für Neueinsteiger” zur Verfügung zu stellen. Es würde mich sehr freuen, mehr von Ihnen zu lesen – aber eben auf einem gemeinsamen, aktuellen Stand (bei dem es genug zu fragen und auch zu kritisieren gibt, versprochen!).

        • Der Mensch hat Verstand und ein Bewusstsein, damit er es zur Vernunft gebraucht.

          Das, Herr Reutlinger, finde ich eine spannende Behauptung. Wie kommen Sie auf diesen Schluss?

          (Das ist keine ironisch gemeinte Frage. Ich hoffe auf eine wissenschaftlich und/oder philosophisch schlüssige Antwort. Danke.)

          • @Stefan

            Jetzt haben Sie mich ertappt:-)
            Die einfachste Antwort ist eine Gegenfrage: wozu sonst wäre das Bewusstsein von Nutzen? Nun müsste man auf den Begriff der Vernunft eingehen. Aber das wäre ein größeres Unterfangen, das hier unmöglich ausgeführt werden kann. Dazu müsste man schon bei den antiken Griechen anfangen. Ich fürchte, eine befriedigende Antwort muss ich schuldig bleiben.

            Ein paar Sätze kann man aber noch dazu schreiben. Der Rationalismus allein ist für den Menschen nicht befriedigend. Hier möchte ich auf Edmund Husserl verweisen “Die Krisis der europäischen Wissenschaften”. Außerdem könnte man diverse Schlagworte der Philosophie anführen: animal soziale, animal symbolicum, animal emotionale. Diese Ausdrücke beschreiben die sogenannte “zweite Natur” des Menschen, die über die biologische Natur hinausgeht.

            Für den nichtreligiösen Menschen bleibt die Vernunft als das wertgebende Instrumentarium des Menschen. Das heißt natürlich, dass der Mensch auf sich selber geworfen ist und sich nicht auf höhere Instanzen berufen kann, mit allen Implikatonen. Woher die Werte und die Ethik kommen, worin sie begründet sind, ist eine der wichtigsten und umstrittensten Fragen der Philosophie.

            Ein Zitat, das zu dieser Frage gut passt und weil ich es gerade zur hand habe (Achtung 19.Jhdt.):

            “Ein solcher Glaube an die Macht des Guten in der Welt ist also entweder aus der Vernunft (durch Philosophie) zu begründen: dann ist er nicht religiöser Glaube; oder er soll durch irgend eine positive Religion begründet werden, dann hängt er von der Wahrheit dieses religiösen Systems ab und der letzte Grund unserer sittlichen Überzeugungen wird mit aller Religion selbst schwankend. Und welche Gefahren liegen hier auf dem Wege der Religion in einer Zeit, in welcher auf die alte Naivität des Glaubens nicht mehr gerechnet werden kann!”

            Friedrich Jodl (1849-1914), Philosoph: Allgemeine Ethik

    • “Eine optimistische Lebenseinstellung ist evolutionär erfolgreicher als eine pessimistische. Dazu braucht man keine Götter.”

      Ein jeder Mensch ist nun mal eine komplexe Konstruktion. Daher ist nicht davon auszugehen, dass automatisch für jedermann der Gottesglauben abgelegt werden muss. Das Brauchen eines Gottes ist nämlich vor allem eine individuelle, persönlich ausgerichtete Entscheidung. Wer sagt in diesem Thema denn, was richtig oder was falsch ist?

      ———-

      “Atheismus ist nun mal keine spezifische Weltanschauung, sondern der Normalzustand des Menschen. Atheisten gibt es nur dort, wo es Theisten gibt. Jeder Mensch kommt als Atheist zur Welt.”

      WISSENSCHAFTLICHE Studien ergaben, dass Kinder -unabhängig davon, ob diese aus atheistischen oder theistischen Elternhäusern stammten- allesamt religiöse beziehungsweise transzendente Neigungen besitzen. Das heißt: wir werden nach meinem derzeitigen Wissensstand laut aktuellsten Forschungen zu diesem Thema als religiöse Wesen geboren.

      Das beweist in meinen Augen natürlich noch garnichts. Aber es kann doch zumindest zum Denken anregen.

      ———-

      “Das Denken unterscheidet sich zwischen religiösen und areligiösen Menschen nicht prinzipiell anders als zwischen englisch sprechenden und deutsch sprechenden Menschen, oder zwischen Kulturen.”

      Man sollte konkretisieren, was mit einem unterschiedlichen Denken von areligiösen und religiösen Menschen konkret gemeint ist. Religiöse Menschen könnten nämlich meines Erachtens nach sehr wohl eine Denkweise besitzen, die sie signifikant von dem Denken eines Atheisten zu unterscheiden ist. Denn die Religion als Thema kann auch einen Menschen in seiner Denkweise entsprechend prägen. Genau wie im Übrigen vielerlei andere Themen auch.

      ———-

      “Die Gläubigen täuschen sich mit solchen Pseudoargumenten nur selber über die Glaubenszweifel hinweg.”

      Bitte unterschätzen Sie die Gläubigen nicht. Die Frage, welcher Gläubiger in einem solchen Fall Zweifel oder Nichtzweifel empfindet ist objektiv nicht immer bis garnicht klärbar.

      In Bezug auf die Frage über den Erfolg der Religion innerhalb der Evolution kann man in meinen Augen nicht von Pseudoargumenten sprechen, da auf wissenschaftliche Art und Weise eben ein entscheidender Nutzen durch Religion innerhalb der Evolution ermittelt wurde, der sogar bis heute anhält (falls die Aussage über “Pseudoargumente” auf dieses Thema anspielt).

      • @Moe Joe Johnson

        Von Goethe stammt der Ausspruch “Religion und Interpunktion sind Privatsache”. Ich denke, man muss zwei Dinge scharf unterscheiden: Religion als persönliche Lebenseinstellung und Religion als gesellschaftliche Norm. Jeder Mensch hat Vorstellungen über die Welt, über die Menschen, über das Leben, die über die reine Natur, über Physik und Biologie und über die Sinnesleistungen hinausgehen. Insofern kann man behaupten, dass wohl jeder Mensch religiös ist, in irgend einer Form. Das soll jeder Mensch mit sich selber ausmachen. Ich sträube mich aber entschieden dagegen, eine bestimmte Religion als alleinige Wahrheit und als Basis für gesellschaftliche Normen anzuerkennen. Dafür sind wissenschaftlich verbrämte Behauptungen, die definitiv nicht haltbar sind, als Ersatzbeweise in keiner Weise ausreichend. Soviel verstehe ich selber von Wissenschaft. Auch die Versuche zur Diskreditierung des Atheismus sind kein Beweisersatz. Es wäre sinnvoller, über Inhalte zu diskutieren, das menschliche Leid wäre ein sinnvolles Thema, als über versteckte Wahrheits- oder Existenzansprüche bestimmter Religionen oder Gottheiten.

  19. Wenn Gott geht, fällt das Leid auf die Menschen.

    (…) die Theodizee[-] und die Anthropodizee-Frage (…)

    Die Theodizee-Frage drängt sich auf, die andere Frage nicht.

    MFG
    Dr. W

    • Philosophische und hochaktuelle Fragen lassen sich nicht unterdrücken, @Webbaer. 🙂

      Voraussage: So, wie sich jeder gebildete Glaubende einmal mit der Theodizee auseinandersetzen sollte, wird man gebildete Nichtreligiösen auch nach der Anthropodizee fragen. 😉

      • @ Herr Dr. Michael Blume :
        ‘Anthropodizee’ oder ‘Anthropodicy’ spielen international keine besonders beachtete Rolle, im Gegensatz zur Theodizee.
        Ihr Kommentatorenfreund würde hier gerne, bis auf diesbezüglich treffende Gegenrede, regionale Spezifität feststellen wollen.

        MFG
        Dr. W

        • @Webbaer

          Dieser Blog und Blogger haben ja gerade nicht den Anspruch, nur bereits etablierten Trends nachzulaufen. So war auch das Thema Religion & Hirnforschung einst neu – jetzt nicht mehr! 🙂 Und der @Webbaer ist nicht gezwungen, zu lesen oder zu kommentieren. Wenn doch, dann eben auf eigene “Gefahr”. 😉 #AbenteuerDenken

          • @ Herr Dr. Michael Blume :
            Die Anthropodizee ist ein gefährliches Konzept und kann zum Pathozentrismus wie zum Physiozentrismus führen, Sie hatten ja vor einiger Zeit dankenswerterweise einen diesbezüglichen Gastbeitrag veröffentlicht, wohl nicht ganz ohne Schmunzeln.
            Der agnostische Sanguiniker sieht zudem die sich anbietende Rückflucht in den Theozentrismus als gefährlich an, gerade bei der im WebLog-Artikel intonierten Begründung, die ‘genial’ sein soll und auf ‘etwas Großes’ hindeutend,
            MFG
            Dr. W

      • @Michael Blume

        Die Anthropodizee ist ein generelles Kennzeichen des Lebens. Es gibt kein Leben ohne das Risiko von Leid. Manche Menschen bleiben verschont bis zum natürlichen Tod, auch er bedeutet Leid, manche Menschen werden brutal getroffen. Für Leid sorgen nicht nur die Menschen untereinander, sei es absichtlich oder durch eigenen Leichtsinn, sondern insbesondere die Natur in vielfältigen Formen. Auch Religion kann Leid verursachen, durch absurde Lebensvorschriften und Rituale, durch Unterlassung medizinischer Hilfe, durch gesellschaftliche Diskriminierung und Ausgrenzung, vom religiösen Extremismus in Vergangenheit und Gegenwart gar nicht erst zu reden. Letztlich war die Erfindung von Göttern eine Reaktion auf das unvermeidbare Leid, um es zu beeinflussen und zu ertragen. Das Leid ist älter als die Götter.

        • @Anton Reutlinger

          Diesem Thesenbündel kann ich sehr weitgehend zustimmen, danke! 🙂

          Besonders gut gefällt mir: “Das Leid ist älter als die Götter.”

          Und noch zwei Nachfragen:
          1. Haben Ihrer Meinung nach die Menschen auch die Regeln der Mathematik oder die Menschenrechte nur “erfunden”?

          2. Wie definieren Sie den für Sie zentralen Begriff “Vernunft”?

          • @Michael Blume

            Über diese Fragen habe ich mir auch schon oft Gedanken gemacht. Natürlich kann ich dazu nur meine persönliche Ansicht widergeben. Das Erste, was die Menschen gezählt haben, das waren wahrscheinlich die Finger und dann die Kinder, mit den Fingern. Die Mathematik ist mit Sicherheit aus der Beobachtung der Natur, aus dem Umgang mit dem eigenen Körper geboren. Kein Gegenstand oder Körper verschwindet spurlos im Nichts oder taucht plötzlich aus dem Nichts auf. Die ersten Maßeinheiten waren Körpermaße. Die Logik wiederum ist ein Produkt der Sprache, der Bedeutung von Begriffen, deren Wurzeln auch wieder in der Beobachtung der Welt liegen.

            Zur Vernunft sind ganze Bücher geschrieben worden. In meinem persönlichen Verständnis ist Vernunft kein geistiges Vermögen, sondern ein Merkmal menschlicher Handlungen. Wir sprechen von Vernunft, wenn unser Handeln (einschließlich Sprachhandlungen) a priori sinnvoll, zielorientiert, erfolgsorientiert, gut begründet ist, oder wenn es a posteriori gerechtfertigt, nachvollziehbar, nützlich, vorteilhaft ist. Das Gegenteil wäre unvernünftig oder irrational. Die Schwierigkeiten in der subjektiven Beurteilung und Bewertung liegen auf der Hand. Vernunft kann nicht objektiv sein, weil Menschen unterschiedliche Interessen haben, weil die Welt vielfältig und dynamisch ist, weil individuelle Lebenswelten und Situationen verschieden sind. Man ist also in der Zwickmühle, entweder eine ganz abstrakte Erklärung für Vernunft zu liefern, die dann inhaltsarm ist, oder subjektive Erklärungsmerkmale zuzulassen. Jedenfalls sollte man Vernunft nicht mit dem persistenten Verstand verwechseln. Deshalb kann ein hochintelligenter Mensch ganz unvernüntig sein; genauso können wir morgens vernünftig und abends unvernünftig sein!

          • @Anton Reutlinger

            Auch diesen Kommentar las ich mit viel Interesse und Sympathie, insbesondere die evolutionären Hypothesen zur Entstehung von Mathematik. Was die analoge Entstehung von Religiosität aus normalen Kognitionen angeht, sind wir bereits ein Stück weiter, vgl. hier (kostenlose Titelgeschichte zur Evolutionsforschung am Homo religiosus):
            http://www.spektrum.de/alias/religiositaet/homo-religiosus/982255

            Freilich beantworten die körperlich-kognitiven Grundlagen von Mathematik und Religion selbstverständlich nicht, ob es die er- oder gefundenen Entitäten wie Zahlen, Formeln oder Gott(heiten) wirklich gibt.

            Dies gilt ebenso für die von Ihnen hochgeschätzte “Vernunft”, die nie in freier Wildbahn gesichtet wurde, keine Masse, kein Gewicht und auch keine allgemein anerkannte Definition hat. Mehr noch: Auch Ihre – sehr schönen! – Umschreibungsversuche für Vernunft greifen wiederum auf nicht materiell existierende Entitäten wie Ziele (“zielorientiert”), Sinn (“sinnvoll”), Erfolg (“erfolgsorientiert”) und “gut begründet” zurück.

            Sind das alles nur Erfindungen, Illusionen, Hirngespinste?

            Ich denke, so einfach können und sollen wir es uns nicht machen. Sondern empirisch und erkenntnisoffen forschen: zur Mathematik und Vernunft, zum Recht und zum Bewusstsein, zur Kooperation und zur Religion.

            Ihnen eine gute Nacht!

          • @ Herr Reutlinger :

            Man ist also in der Zwickmühle, entweder eine ganz abstrakte Erklärung für Vernunft zu liefern, die dann inhaltsarm ist, oder subjektive Erklärungsmerkmale zuzulassen.

            Diese ‘Zwickmühle’ scheint nicht gegeben, die Vernunft meint das Sapere Aude und letztlich ein Vorgehen, das zur bekannten und sich durchgesetzt habenden Methodologie der Wissenschaft geführt hat.
            Diese ist “gemein-subjektiv” und Veranstaltung.

            Sie meinen wohl, dass die ‘Alternative wäre’ objektive ‘Erklärungsmerkmale zuzulassen’?!

          • @Webbaer

            Zu Kants “Sapere Aude” gehört selbstverständlich auch das Postulat Gottes als zwingender Schlussstein der Kantschen “praktischen Vernunft”!

            Ich wollte Sie als “den Schreiber vieler Zeilen” schon lange danach fragen und bin gespannt… #Aufklärung #Philosophie

            PS: Der kinderlose Kant wird übrigens philosophiegeschichtlich ebenfalls als Vertreter der #Anthropodizee diskutiert. Dazu mache ich aber gerne mal einen eigenen Blogpost… 😉

          • @ Herr Dr. Michael Blume :

            Zu Kants “Sapere Aude” gehört selbstverständlich auch das Postulat Gottes als zwingender Schlussstein der Kantschen “praktischen Vernunft”! (Hervorhebungen: Dr. W)

            Negativ.

            Vgl. :
            -> http://de.wikipedia.org/wiki/Sapere_aude

            Selbstverständlich meinte Ihr Kommentorenfreund mit dem Sapere Aude die Idee oder Systematik, die sich auf das Wissenschaftliche bezogen bspw. hier erklärt findet:
            -> http://de.wikipedia.org/wiki/Sapere_aude (kein d-sprachiger Text bei der bekannten Online-Enzyklopädie verfügbar, womöglich: aus gutem Grund – dass das Bemühen um Erkenntnis oder um die moderne Wissenschaftlichkeit nichts mit Wissen zu tun hat, ist d-sprachig (vgl. ‘Wissenschaft’) wohl noch nicht ganz durchgesetzt)

            Kant wird zwar vom Schreibär dieser Zeilen gelegentlich gerne zitiert, aber dies soll nicht auf grundsätzliche & umfängliche Zustimmung zur Person, all deren Aussagen betreffend, schließen lassen.
            Klar, er war ein Großer.

            MFG
            Dr. W

          • @Webbaer

            Oder anders: Auch Sie brechen sich also aus dem Schriftwerk großer Autoritäten wie Kant jene Fundstellen und Zitate heraus, die zu Ihren subjektiven Vorannahmen passen – und weisen andere zurück.

            Und es sei nochmal erinnert: Ich hatte Herrn Reutlinger nach “Vernunft” gefragt und Sie beriefen sich auf Kants “Sapere Aude”, wollen aber seine Überlegungen zur “praktischen Vernunft” zugleich abtun.

            Sie verstehen hoffentlich, dass man das als recht willkürlich auffassen kann..? Wie könnte “Vernunft” i.S. von “Sapere Aude” gleichzeitig eindeutig und beliebig auslegbar sein???

        • Leid in vielfältigen Variationen kann in diesem Leben das benötigte Element sein, welches uns erst recht das Gefühl eines tiefergehenden Lebensgefühls vermittelt.

          An dieser Stelle zitiere ich William von Baskerville:
          “Wie friedlich wäre doch das Leben ohne die Liebe […] wie ruhig…wie sicher…und wie öde.”

          Meiner Meinung nach kann man in diesem Zitat “Liebe” auch durch “Leid” ersetzen…

          Vielleicht ist ja Leid in dem oben genannten Zusammenhang für eine Welt wie der unseren ebenfalls vonnöten, um Werte entstehen zu lassen, die ein förderlicheres Zusammenleben der Menschen erst ermöglichen. Und vielleicht ist Leid ja die Voraussetzung dafür, um uns auf theologisch ausgerichtete Fragen zu beziehen.

          Man sieht:
          die Perspektiven, von der man aus die Leidfrage betrachten kann, können vielfältig sein. Wie verschieden die persönlichen Meinungen zu diesem Thema -speziell in Bezug auf die Theodizee-Frage- ausfallen können, scheint bekannt zu sein.

        • @ Herr Reutlinger :

          Die Anthropodizee ist ein generelles Kennzeichen des Lebens. Es gibt kein Leben ohne das Risiko von Leid.

          Leid ‘ist ein generelles Kennzeichen des Lebens’, es wird festgestellt, wenn diesbezügliche Konzepte wie Freude und Leid bereit stehen, also kommuniziert werden können.
          Die Anthropodizee stellt die Frage an den guten Menschen, die im Rahmen der Theodizee an gute Götter zu stellen ist, sie macht aber an den Menschen gerichtet keinen Sinn.

          MFG
          Dr. W (der beim Erkennen ‘der besten aller möglichen Welten’ zuvörderst Wahlfreiheit sieht, einen sozialen Prozess, der ohne dem oben behandelten scheinbar stringenten Konzept auszukommen hat)

          • @Dr. Webbaer

            Einverstanden; die Theodizee bzw. Anthropodizee zielt auf die Verursachung und Rechtfertigung von Leid seitens eines Subjekts Gott oder Mensch. Das Leid ist als Risiko untrennbar und im Tod unvermeidbar mit dem Leben verknüpft und deshalb schon immer vorhanden. Ohne Leid gäbe es aber auch kein Glücksempfinden, so wie das Gute nicht ohne das Böse denkbar wäre. Bewusste Erkenntnis wie auch das Leben selbst beziehen ihre Existenz aus der Differenz und ihrer Dynamik stetiger Veränderung mit der Notwendigkeit zur Interaktion mit der Umwelt. Wenn das Leid existenziell a priori nicht vermieden oder verhindert werden kann, dann ist eine Anthropodizee ohne Bedeutung. Sie muss dann beschränkt werden auf Möglichkeiten zur akuten Vermeidung, sowie zur Minderung oder Kompensation von Leid. Eine globale Solidarität könnte hier ein aktuelles und fruchtbares Thema sein.

  20. @Michael Blume

    Ihrer Frage nach der Herkunft der Menschenrechte möchte ich nicht ausweichen. Für die Gottgläubigen ist die Sache klar, Menschenrechte sind in der Dreieinigkeit Gottes begründet, haben daher absolute Rechtfertigung und sind nicht verhandelbar. Gleichzeitig ist damit die Kritik am Atheismus klar, nämlich der Relativismus und die Willkür der subjektiven Vernunft als Quelle ethischer Grundsätze sowie die fehlende Verantwortlichkeit gegenüber einer höheren Instanz. Relativismus ruft bei Klerikern generell Abscheu und lautes Geschrei hervor. Der Mensch ist aber Mensch, weil er Bewusstsein und Vernunft und die Freiheit des Willens hat. Die Paradoxie des Klerus ist, dass er einerseits immer wieder die Freiheit des Willens beschwört und andererseits die ethischen Grundsätze gerade dieser Willensfreiheit entziehen will. Ethische Grundsätze entstehen aus der Einsicht des Menschen in die Notwendigkeit der Gemeinschaft, in die soziale Reziprozität des Handelns, d.h. so wie ich Anderen Leid zufügen kann, so können Andere mir Leid zufügen. Das lernt man in der Kindheit im Umgang mit den nächsten Mitmenschen.

    Persönlich bin ich Anhänger einer materialen Wertethik. Der Begriff material darf selbstverständlich nicht mit materiell verwechselt werden, es ist ein Gegensatz zu formal, analog zur Logik. Als Axiom gewissermaßen sehe ich die Erhaltung des Lebens selber an, denn ohne das Leben wäre eine Ethik gegenstandslos. Daraus ergeben sich Grundsätze zur Erhaltung der Lebensgrundlagen, z.B. die Menschenrechte, und zur Respektierung der für das Leben wichtigen und bedeutsamen Werte, sowohl materielle als auch ideelle und dispositive Werte. Als dispositive Werte bezeichne ich z.B. Ausbildungsabschlüsse, Berechtigungen wie Führerschein und dergleichen. Die grundlegende Frage ist, ob die religiöse Begründung der Grundsätze und Werte für ihre Respektierung und Einhaltung wirklich eine höhere Sicherheit gewährleistet als Konventionen unter den Menschen. Die Antwort hierzu liefern die Tagesnachrichten.

    • Persönlich bin ich Anhänger einer materialen Wertethik. Der Begriff material darf selbstverständlich nicht mit materiell verwechselt werden, es ist ein Gegensatz zu formal, analog zur Logik.

      ‘Material’ und ‘materiell’ meinen Mutterstoffe, von denen aus Sicht einiger die Welt oder die Kunde von der Welt (“Physik”) abhängig sei.
      ‘Materiell’ deutete auf einen Ursprung als Französisierung hin, viele im D-sprachigen verwendete Begriffe stammen aus dem Lateinischen, sind aber sozusagen zwischendurch französisiert worden.

      ‘Materiell” müsste fern von der oben angeschriebenen Problematik realistische, den Realismus (vs. Idealismus) meinende Sicht, äh, meinen.

      Wichtich wäre also womöglich zeitnah und vielleicht auch: für sich selbst, zu klären, ob Sie Realist sind.

      Irgendwo stand zudem im Zitierten noch: Ethik, gerne auch dbzgl. erläutern wie verlautbaren.

      MFG
      Dr. W

    • @Anton Reutlinger

      Noch immer scheinen Sie mich hin und wieder mit einem Theologen zu verwechseln – die These wonach “Gottgläubige” per se einen stärkeren Zugang zu “Menschenrechten” hätten, werden Sie bei mir nicht finden. M.E. ist das Thema viel komplexer, wie sich z.B. an der wechselnden Haltung des katholischen Lehramts und auch anderer religiöser Traditionen zu Menschenrechten ersehen lässt.

      Mir ging es gar nicht um die Frage der Begründung, sondern um die Tatsache, dass auch Sie nichtempirische Entitäten wie Vernunft, Formeln und auch Menschenrechte für relevant und “existent” halten – obwohl wir beide davon ausgehen, dass ihre Entstehung materielle und grundsätzlich erforschbare Ursachen hat. M.E. spricht dies klar dafür, die Entstehung und Funktionen religiöser Überzeugungen unter den gleichen Vorzeichen evolutionär & empirisch zu erforschen und zu verstehen.

      • @Michael Blume

        Nein, ich weiß, dass Sie Religionswissenschaftler sind, offenkundig jedoch ein gläubiger Religionswissenschaftler. Die Neurotheologie in Verbindung mit Ihrem Namen ist mir schon ein oder zwei Jahre bekannt, weil ich mich als Autodidakt und Amateur mit Philosophie und Neurowissenschaft beschäftige. Das zu meinem Hintergrund und zur Dämpfung der Erwartungen.

        Die Frage zu den Menschenrechten habe ich in der Tat etwas missverstanden, bzw. anders gedeutet. Es sollte aber kein Beinbruch sein. Selbstverständlich gibt es viele Dinge, die nur in unserer Vorstellung existieren. Eine evolutionär und empirisch erforschbare Religiosität sehe ich mit Skepsis. Die einschlägigen Experimente sind bekannt. Es kommt auch darauf an, was man konkret unter Religiosität subsumiert. Sicher kann man Religiosität einen Placeboeffekt zugestehen; das wäre ein empirischer Aspekt. Wie gestern schon angedeutet, kann eine optimistische Lebenseinstellung, die in Religiosität begründet sein könnte, eine höhere Kinderzahl zur Folge haben und damit logischerweise evolutionären Erfolg, aber nur über eine einzige Generation hinweg. Das große Fragezeichen ist eben, dass Religiosität wie jede andere Lebenseinstellung oder Weltanschauung genetisch nicht vererbbar ist und somit evolutionär keine Wirkung haben kann. Ich halte diesen Versuch für einen untauglichen Trick, um Glaubenszweifel zu verschleiern.

        Es gäbe sinnvollere Fragestellungen in der Religionswissenschaft, ohne damit Religion oder Religiosität abzulehnen und ohne zu polemisieren. Die Naturwissenschaft lässt genug Raum für transzendente oder metaphysische Ideen. Dass viele Menschen dafür ein Bedürfnis haben, als Gegensatz oder Ausgleich zum Rationalismus und Technizismus, das zeigen viele Erscheinungen in der heutigen Zeit. Aber die Kirchen wollen sich von ihrem historischen und unnötigen Hokuspokus nicht lösen und beschränken sich auf sinnlose und überhebliche Attacken gegen die Konkurrenz – das ist nun ein wenig Polemik.

        • @Anton Reutlinger

          Sie haben gestern über die biologischen Grundlagen von Mathematik spekuliert – wollen aber nicht, dass man jene der Religion erforscht? Weil es geliebte Vorurteile gefährden könnte?

          Wenn Sie meine Doktorarbeit gelesen haben, so müsste angekommen sein, dass ich die sog. “Neurotheologie” – also den Anspruch, aus Befunden der Hirnforschung religiöse Wahrheiten beweisen oder widerlegen zu können – dort kritisch untersucht und reflektiert habe. Von Metaphysiken ohne empirische Basis halte ich sehr wenig – und kann mich nur wundern, dass zunehmend auch Religionskritiker Ängste vor empirischer Forschung vor sich hertragen…

          Der erste, der zu den evolutionären Grundlagen von Religion forschte war – Charles Darwin selbst! Und er hatte in einigem Recht, unter anderem in der von ihm entworfenen Definition von Religion. Ebenso erkannte er richtig, dass religiöser Glauben vor allem die In-Group-Kooperation fördert – wie es sich heute auch empirisch bestätigt.

          Es ist heutzutage wirklich nicht schwer, das alles heraus zu bekommen. Man muss sich wirklich nur trauen… 😉 #NurMut!

          • @Michael Blume

            Erforschen kann man fast alles. Man könnte erforschen, ob die Fans des FC Bayern evolutionär erfolgreicher sind als die Fans von Borussia Dortmund, man könnte erforschen, ob die Bayernfans mehr Glückskinder und die Borussiafans mehr Frustkinder zeugen, oder man könnte die biologischen Grundlagen des Fußballfans erforschen. Jedenfalls dürfte die In-Group-Cooperation bei den Bayern besser sein als bei den Borussen, derzeit jedenfalls. Ihre Antwort bezüglich Vorurteile wirft ein Schlaglicht auf Ihre eigenen Vorurteile. Was hat die Existenz Gottes mit biologischen Grundlagen von Religion oder Religiosität zu tun, falls es eine solche überhaupt gäbe, was ohnedies stark zu bezweifeln ist? Wenn es welche gäbe, müssten dann nicht alle Menschen gleichermaßen religiös sein? Mir scheint, Sie wollen unbedingt etwas beweisen, was Sie sich wünschen.

            Darwin neigte zu einem Pantheismus, wie auch andere Naturwissenschaftler, die immer wieder als Zeugen für Gläubigkeit genannt werden. Dagegen ist nichts einzuwenden, aber die Konsequenz ist, dass Religion dann in Beliebigkeit zerfließt und auch Fußballsport als Religion bezeichnet werden kann! Religion ist eine kulturelle Erscheinung wie Kunst und Literatur. Selbstverständlich gibt es dafür biologische Grundlagen, aber keine spezifischen. Mir ist schleierhaft, was das mit Vorurteilen oder mit Ablehnung empirischer Forschung zu tun haben soll.

            William James, Religionspsychologe im 19.Jhdt.(!) ist Ihnen mit Sicherheit bekannt, zwei Zitate von ihm:

            “Ich habe keine lebendige Empfindung eines Verkehrs mit Gott. Ich beneide die, die eine solche haben, da ich weiß, dass sie mir unendlich helfen würde. Das Göttliche ist für mein aktives Leben auf abstrakte Begriffe beschränkt, die mich als Ideale interessieren und beeinflussen, aber sie tun es nur schwach im Vergleich mit einem Gottesgefühl, wenn ich ein solches hätte.”

            “Religion bedeutet die Gefühle, Handlungen und Erfahrungen von einzelnen Menschen, die von sich selbst glauben, dass sie in Beziehung zum Göttlichen stehen.”

          • @Anton Reutlinger

            Genau das versuche ich Ihnen die ganze Zeit zu vermitteln: Die Existenz Gottes ist meines Erachtens wissenschaftlich weder beweis- noch widerlegbar, also auch nicht durch die biologischen Grundlagen von Religion oder Religiosität. Deswegen bitte ich Sie seit Tagen, endlich zu verstehen, dass es hier nicht um Theologie oder Metaphysik geht, sondern um Religionswissenschaft. Die Existenzfrage Gottes halte ich – genau wie der von Ihnen zitierten William James, den ich als ein großes Vorbild & Impulsgeber der Religionswissenschaft (!) sehr ehre – für eine subjektive Glaubensfrage, zu der die empirischen Wissenschaften wenig zu sagen haben. Also, nein, ich will Gott ebensowenig beweisen oder widerlegen wie William James – ich halte das sogar für logisch unmöglich. Darwin sah das übrigens ebenso.

            Und, nein, der Entdecker der Evolutionstheorie war kein Depp, bei dem “Religion dann in Beliebigkeit zerfließt und auch Fußballsport als Religion bezeichnet werden kann”. Darwin hatte Theologie in Cambridge studiert, als 10bester seines Jahrgangs abgeschnitten und er hatte sehr klare Definitionen und Vorschläge zur Evolution von Religiosität und Religionen, auf denen wir heute aufbauen. Auch dazu habe ich – wie Ihnen ggf. entgangen ist – u.a. einen Vortrag vor der European Society of Evolutionary Biologists gehalten und ein Buch (“Evolution und Gottesfrage. Charles Darwin als Theologe”) geschrieben, beides über den Blog leicht findbar.

            Es steht Ihnen frei, sich a) endlich ernsthaft in die Themen einzulesen und dann begründet mit zu diskutieren oder sich b) zunehmend als jemand darzustellen, der über Wissenschaft diskutieren will, ohne sich aber damit wirklich befassen zu wollen. Ich trauen Ihnen a) absolut zu und hoffe, Sie tun das auch irgendwann. Sie könnten m.E. viel Wegweisendes beitragen, wenn Sie etwas echte Neugier investieren würden.

    • Ja, David Benatars Anthropodizee ist lesenswert! Aber auch im deutschsprachigen Raum gibt es nach Schopenhauer (& Kant…) z.B. aktuell Karim Akerma oder Ulrich Horstmann. Das Thema ist deutlich am Kommen, auch wenn das manchen nicht gefällt…

  21. Pingback:Web-Interview mit Dr. Tubanur Yesilhark-Oezkan zur Theodizee-Frage im Islam › Natur des Glaubens › SciLogs - Wissenschaftsblogs

  22. Hallo,

    auch hier möchte ich gerne noch etwas beitragen.

    “Die Anthropodizee-Frage lautet, warum es eigentlich noch Menschen geben sollte, wenn doch klar sei, dass jedes Kind Leid erfahren und Leid verursachen würde.”

    “Sollte” weist auf eine moralische Kategorie hin. Aber im Grunde ist die Antwort einfach: Der Mensch hat keine Wahl, wenn er (persönlich und als Art) leben und überdauern will. Ein Lebewesen stellt praktisch immer seine Existenz über seine Nichtexistenz (“Überlebenskampf”, “Lebenswillen”, “Todesangst”). Die Folgen der Existenz hingegen sind vom Lebewesen kaum planbar, schon gar nicht unter Berücksichtigung moralischer Kategorien. Die Existenz wird also schlicht über etwaiges Leid gestellt.

    “Und der Befund ist hier ebenso eindeutig wie der bei der Theodizee: Noch keine nichtreligiöse Philosophie oder Weltanschauung konnte die Anthropodizee-Frage überzeugend beantworten”

    Was zunächst die Frage stellt nach den Kriterien für “überzeugend”. Aber gut.

    “wie z.B. Karim Akerma richtig feststellte: Wenn das Ganze keinen höheren Sinn und kein letztes Ziel habe, dann solle man es doch besser gleich sein (bzw. verebben) lassen.”

    Kann man machen. Es ergibt sich aber doch kein Widerspruch, wenn man “es” dennoch tut. Und deswegen geht ein Vergleich zwischen Anthropodizee und Theodizee auch fehl: Bei der Theodizee gibt es einen logischen Widerspruch – bei der Anthropodizee nicht.

    “Die Anthropodizee fragt, woher Menschen das Recht nehmen, Kinder zu haben und damit absichtlich Leid zu verursachen.”

    Erstens: Das “Recht” wird ihnen von der Tatsache gegeben, dass sie fortpflanzungsfähige Lebewesen sind. Als solche ist der (neben den subjektiv verliehenen) Lebenszweck, sich fortzupflanzen.
    Zweitens: Sie *verursachen* das Leid nicht absichtlich, sondern sie haben keine Wahl, als das Leid, das eventuell verursacht wird und geschieht, zuzulassen bzw. nicht abwenden zu können. Das unterscheidet Menschen von einem allmächtigen Gott: ihre Macht ist sehr begrenzt.

    “Religiosität als Glauben an überempirische Akteure war und ist evolutionär außerordentlich funktional, d.h. erfolgreich.”

    Weil religiöse Menschen sich zahlreicher fortpflanzen als nichtreligöse?

    “Nur könne und solle man eben nach Auffassung der Anthropodizee-Verfechter Leid von vornherein “vermeiden”, indem man die Hervorbringung von weiterem, menschlichen Leben vermeide.”

    Vielleicht. Sicher ist das nicht. Es wäre ja möglich, dass man genau den Menschen zeugt, der das Heilmittel gegen Krebs entdeckt. Das würde etwaiges Leid bei weitem überwiegen.

    “Ich finde, @zabki hat da völlig Recht. Wenn Gott in der #Theodizee-Debatte die ethische Eigenschaft “gut” (im Sinne unseres Verstehens!) zugeschrieben wird, dann verbinden sich damit ganz klar normative Verhaltenserwartungen wie “Gott müsste netter zu Katzen sein.””

    Das ist wohl wahr. Und deswegen ist die Verknüpfung zwischen “gut” und “allmächtig” auch so widersprüchlich bei der Betrachtung real existierenden Leids. Mit dem “gut” will Gott Gutes, mit dem “allmächtig” kann er seinen Willen auch umsetzen. Aber genau das ist nicht realisiert in unserer Welt. Also stimmt etwas an dem “gut” nicht – oder etwas an dem “allmächtig” nicht – oder an beidem nicht. Verzichtet man auch nur auf eine Eigenschaft, löst sich das logische Problem auf.

    “Sowohl die Theodizee wie die Anthropodizee definieren Leid normativ (!) als zu vermeiden, nur der Addressat Gott oder Mensch ändern sich.”

    Tja, das ist aber nicht unwesentlich. Der Adressat Gott ist angeblich allmächtig, der Adressat Mensch nicht.

    “Ganz genau: “Gut” und zu vermeidendes “Leid” (auch z.B. von Katzen) sind eindeutig ETHISCHE Begriffe – und ohne sie würde, wie Du zu Recht bemerkst, die Theodizee-Frage verschwinden.”

    In der Tat.

    “Mit der Anthropodizee verhält es sich ganz genau so: Auch sie setzt voraus, dass der Mensch ethisch “gut” und Leid vermeidend handeln sollte.”

    Aber anders als bei Gott. Gott wird als “gut” festgelegt, definiert, postuliert. Das geht beim Menschen nicht. Deswegen wird bei der Anthropodizee auch eine *moralische* Frage gestellt, keine logische.

    “M.E. lässt sich also nicht ernsthaft leugnen, dass sowohl Theodizee wie Anthropodizee ethische Fragen behandeln, in denen an Gott bzw. den Menschen normative Erwartungen der Leidvermeidung formuliert werden.”

    Bei der Theodizee sehe ich die logische Frage im Vordergrund, nicht die ethische (wenn überhaupt). Bei der Anthropodizee steht die ethische Frage im Vordergrund, während ich da keine logische Frage sehe.

    “Das ist doch die ganze Pointe der Theodizee – und auch der Anthropodizee: Es sind beides ethisch-normative Fragen, die begründen wollen, was Gott bzw. Mensch zu tun (!) hätten, wenn sie “gut” seien.”

    Nun ist das bei Gott aufgrund der dogmatischen Setzung nicht zu vermeiden. Dem Menschen wird hingegen nur die moralische *Frage* gestellt. Die kann er immer noch beantworten mit: “Ich will aber lieber meine Gene weitergeben als etwaiges Leid verhindern. Also setze ich Kinder in die Welt.” Sie könnten ihm dann vorwerfen, dass er ein unmoralisches A*loch ist – aber unlogisch ist das Vorgehen deswegen nicht.

    “Im Gegenteil: Ein Vertreter der Anthropodizee würde einwenden, dass Menschen das Verursachen von Leid schon vermeiden können, ohne (!) allmächtig zu sein!”

    Dafür gibt es aber keine Garantie und das ist auch nicht logisch zwingend. Oder ist es logisch ausgeschlossen, dass es “gute” Menschen gibt, die kein Leid verursachen?

    “Es reiche, kein weiteres menschliches Leben hervorzubringen”

    Tja, nun stellt ein Lebewesen seine eigene Existenz bzw. die Weitergabe seiner Gene einfach über etwaiges Leid – weil er keine Alternative dazu hat außer der Selbstauslöschung, welches wiederum seiner “genetischen Programmierung” widerspräche.

    • Verstehe ich Sie richtig – Sie halten an der malthusianischen Behauptung fest, der Mensch sei zur Fortpflanzung “genetisch programmiert”?

      Wie erklären Sie sich dann die hohe Zahl an Kinderlosen und Kinderarmen, überdurchschnittlich häufig unter Säkularen? Doch wohl hoffentlich nicht als genetischen Defekt???

      Und zu Theodizee – Anthropodizee: Selbstverständlich ist “gut” keine objektiv-logische, sondern eine normativ-subjektive Entität. Sie werden – wie Sie selbst an anderer Stelle betont haben – kaum zwei Menschen finden, die unter “gut” exakt Identisches verstehen…

      Aber vielleicht können Sie uns ja im Hinblick auf den von Ihnen vertretenen Physikalismus einfach sagen, wie die Physik “gut” exakt und “objektiv” messbar definiert? 😉 #Bingespannt

  23. “Verstehe ich Sie richtig – Sie halten an der malthusianischen Behauptung fest, der Mensch sei zur Fortpflanzung “genetisch programmiert”?”

    Diese Behauptung hat Malthus selbstverständlich nicht aufgestellt, denn er wusste noch nichts von Genen.
    Und natürlich ist der Mensch auf Fortpflanzung genetisch ausgerichtet. Es mag bei einigen Individuen zu einer genetisch verursachten Unfruchtbarkeit gekommen sein, aber das sind eher pathologische Ausnahmen.
    Ebenso natürlich sorgt diese Ausrichtung dafür, dass der Mensch irgendwie *gezwungen* ist, sich fortzupflanzen (eine Art Selbsterhaltungstrieb der Spezies). Wäre es anders, wäre der Mensch längst ausgestorben. Der Fortpflanzungstrieb ist mal mehr, mal weniger stark ausgeprägt. Aber würde jeder Geschlechtsverkehr zwischen heterosexuellen Paaren auch zu Nachkommen führen, würde sich die Menschenkugel inzwischen wohl mit knapp Lichtgeschwindigkeit ausbreiten. 😉

    “Wie erklären Sie sich dann die hohe Zahl an Kinderlosen und Kinderarmen, überdurchschnittlich häufig unter Säkularen?”

    Wieso sollte ich das denn überhaupt erklären müssen?
    Die Frage impliziert einen Zusammenhang, den ich noch längst nicht für gegeben halte.
    Grundsätzlich werden weniger Kinder geboren, wenn die Frauenrechte stärker ausgeprägt sind. Bekommen Frauen in ihrer zunehmenden Selbstbestimmung Kontrolle über die Möglichkeit ihrer Schwangerschaft, reduziert sich auch schnell die Zahl Kinder pro Frau. Lässt sich historisch und weltweit gut beobachten.
    http://www.berlin-institut.org/online-handbuchdemografie/bevoelkerungsdynamik/faktoren/geschlechterrollen.html
    Es ist weiter kein Geheimnis, dass die abrahamitischen Religionen in ihren gesellschaftlichen Ausprägungen ein sehr konservatives Frauenbild pflegen. Da kommt also eins zum anderen: Frauen mit wenig Rechten und geringer Bildung bekommen im Schnitt auch mehr Kinder.

    “Doch wohl hoffentlich nicht als genetischen Defekt???”

    Warum sollte ich? Im übrigen setzte ich “genetische Programmierung” in Anführungsstriche – nicht ohne Grund. Ich finde es auch bemerkenswert, dass Sie sich zu vielen anderen Punkten ausschweigen – aber ausgerechnet das mit der “genetischen Programmierung” für wertvoll genug befinden, darauf zu antworten.

    “Und zu Theodizee – Anthropodizee: Selbstverständlich ist “gut” keine objektiv-logische, sondern eine normativ-subjektive Entität.”

    Das ist aber nicht das Problem. Irgendwo oben wurde ja vorausgesetzt, dass unser allgemeines Verständnis von “gut” vorausgesetzt wird, an dem sich auch “Leid” und “Böses” feststellen lässt. Es ist nicht “gut”, wenn Kinder an Krebs sterben oder während eines Tsunamis von Wassermassen zermalmt werden. Da sind wir uns hoffentlich einig.

    Ob es hingegen “gut” ist, von einem Lebewesen zu verlangen, die Fortpflanzung zu lassen zur Vermeidung etwaigen Leids, lassen wir mal dahingestellt.

    In dem genannten Sinne trägt die Anthropodizee nichts zur Beantwortung der Theodizee bei. Und ich interpretiere Ihr weitgehendes Schweigen zu meinen Ausführungen dazu als Zustimmung. In diesem Zusammenhang ist Ihre Eingangsbemerkung beantwortet:
    >Und der Befund ist hier ebenso eindeutig wie der bei der Theodizee: Noch keine nichtreligiöse Philosophie oder Weltanschauung konnte die Anthropodizee-Frage überzeugend beantworten[…]<

    Doch, ich denke, das ist hier gelungen.

    "Sie werden – wie Sie selbst an anderer Stelle betont haben – kaum zwei Menschen finden, die unter "gut" exakt Identisches verstehen…"

    Macht nichts. Nur pathologische Fälle würden aber Krebs bei Kindern als "gut" bezeichnen.

    "Aber vielleicht können Sie uns ja im Hinblick auf den von Ihnen vertretenen Physikalismus einfach sagen, wie die Physik "gut" exakt und "objektiv" messbar definiert? 😉 #Bingespannt"

    Das ist gar nicht so schwierig, wie sie mit Ihrem Smilie ausdrücken möchten, wenn man z.B. Mathematik und Spieltheorie zur Hilfe nimmt. Wenn man verschiedene ("moralische") Strategien zugrunde legt und mit ihnen das Gefangenendilemma mehrfach durchspielt, stellt sich interessanterweise eine Strategie als besonders robust heraus, die eng verwandt ist mit der "Goldenen Regel" – tit for tat.

    • @Kickaha

      Auf vieles würde ich gerne antworten (so haben Sie erneut “Erkenntnis” zirkulär definiert und ist z.B. die Spieltheorie hier gar eine Blogkategorie!). Aber zeitlich kann ich beim besten Willen nicht auf Ihre gesamten Thesen- und Fragensalven reagieren – das wäre ja ein Full-Time-Job! (Und einen solchen habe ich schon, ebenso wie Familie…)

      Ab morgen greift bei mir eine Internetpause, ggf. finden wir ja danach eine geeignete & angemessene Form des Austausches…

      Beste Grüße von der Uni Basel, wo wir heute einen Studientag zu Naturwissenschaften und Theologie(n) hatten. 🙂

  24. @Michael Blume:

    “Auf vieles würde ich gerne antworten (so haben Sie erneut “Erkenntnis” zirkulär definiert”

    Ich habe da in meinem Beitrag “Erkenntnis” gar nicht definiert…
    Ich halte nicht viel von Behauptungen, die einfach so in den Raum geworfen werden.

    “und ist z.B. die Spieltheorie hier gar eine Blogkategorie!). Aber zeitlich kann ich beim besten Willen nicht auf Ihre gesamten Thesen- und Fragensalven reagieren – das wäre ja ein Full-Time-Job! (Und einen solchen habe ich schon, ebenso wie Familie…)”

    Kein Problem.

    “Beste Grüße von der Uni Basel, wo wir heute einen Studientag zu Naturwissenschaften und Theologie(n) hatten.”

    Einen ganzen Tag?
    Da reicht doch ein Satz: “Hat nichts miteinander zu tun.” 😉

    Schönen Gruß zurück!

Schreibe einen Kommentar