Reform des Islam, Krise des Islam oder Staatsislam? Zur DLF-Debatte mit Abdel-Hakim Ourghi auf der Frankfurter Buchmesse

Gestern endeten auch für mich intensive und ereignisreiche Tage mit vielen starken Begegnungen auf der Frankfurter Buchmesse. Unter anderem war ich am Donnerstag eingeladen worden, das Lesezelt auf der Messe-Agora mit einer Lesung aus “Islam in der Krise” zu eröffnen.

Durfte das Messe-Lesezelt am Donnerstag mit “Islam in der Krise” eröffnen. Foto: Ralf Grünke, mit freundlicher Genehmigung

Gestern, am Sonn- und letzten Messetag, konnte ich dann mit Abdel-Hakim Ourghi (Freiburg) vergleichend über dessen 40 Thesen zu einer “Reform des Islam” (so sein neues und für theologisch Interessierte sehr lesenswertes Buch) diskutieren. Erst wenige Tage zuvor hatte der islamische Religionspädagoge diese 40 Thesen medien-effektvoll an die Türen einer Berliner Moschee genagelt – und auch im Buch selbst nicht mit Luther-Anspielungen gespart, darunter den ins Buch einführenden Worten.

Je mehr mich die Leute bedrohen, umso größer meine Zuversicht.

Martin Luther, zur Einführung bei Ourghi 2017, S. 9

Oder auch: “Ohne Angst vor den Vertretern des konservativen Islam oder vor dem Vorwurf der Islamophobie möchte ich als liberaler Muslim Tacheles reden. Hier stehe ich, ich kann nicht anders.” (S. 12)

Kongenial moderiert wurde die einstündige Sendung (Gesprächsanteil ca. 45 Minuten) zwischen dem islamischen Reformer und mir von der DLF-Kultur-Redakteurin Dr. Anne Françoise Weber und begleitet von der eindrucksvollen Slam-Poetin Lene Morgenstern. Den ganzen Radiobeitrag können Sie hier anhören oder auch herunterladen.

Mein dankbares Lächeln gilt meiner Frau Zehra Blume, die mit den Kindern zur Buchmesse mitreiste und hier das Foto schoss, das ich mit freundlicher Genehmigung hier einstelle. Zum DLF-Radiobeitrag per Klick hier.

Unterschiedliche Deutungen – Konservativer Islam vs. Staatsislam?

Sehr spannend fand ich den Umstand, dass die gleiche, oben abrufbare Debatte ganz unterschiedlich gedeutet wurde. So befand das DLF-Portal in seiner Zusammenfassung:

Einig sind sich der Religionswissenschaftler Michael Blume und der islamische Theologe Abdel-Hakim Ourghi in einem: Der Islam steckt in einer tiefen Krise. […] Beide Autoren stellen sich gegen eine Dominanz konservativer Islamverbände und rufen Muslime in Deutschland dazu auf, ihren eigenen Zugang zu ihrer Religion zu finden und offensiv zu vertreten.

Dagegen betont das christliche Medienmagazin pro eher auch unterschiedliche Ansichten in unseren Aussagen:

Ourghi wünscht mehr Engagement vom Staat bei der Ausbildung von Imamen. „Die Ausbildung der Imame muss in Deutschland an den Hochschulen eingeführt werden.“ Dazu benötige es staatlicher Hilfe. Er forderte zudem eine „Islamsteuer“ für Muslime zur Finanzierung der Imam-Ausbildung in Deutschland.

Blume: Kein „Staatsislam“

Das sieht der Religionswissenschaftler Michael Blume anders. Er hält nichts von einem steuerfinanzierten Staatsislam. Dadurch würde das Modell aus der Türkei kopiert. „Wir brauchen hier keine Diyanet (türkische Religionsbehörde; Anm. d. Red.). In Deutschland sind Staat und Religion getrennt“, sagte Blume bei der Diskussion. Der Staat dürfe auch nicht bestimmen, wer Muslim sei und wer nicht. Das müssten die Gläubigen selber entscheiden. Der deutsche Staat könne zwar eine Brücke schlagen und helfen, allerdings müssten sich die Muslime selber organisieren. „Wenn sie das nicht tun, gibt es auch keine Grundlage für islamische Theologie oder islamische Religionspädagogik.“

Da die gesamte Sendung ja aufgezeichnet vorliegt, brauche ich sie hier nicht weiter zu kommentieren. Hilfreich ist aber vielleicht ein Auszug aus einem weiteren Buchmesse-Interview, das ich Katharina Rustler für die Frankfurter Rundschau gegeben hatte.

Interview und Foto zur Frankfurter Buchmesse mit Katharina Rustler, mit freundlicher Genehmigung

Dort hatte ich auf die Frage nach der liberalen Moscheegemeinde von Seyran Ates geantwortet:

Ich halte es für ganz wichtig, dass sich auch die sogenannten liberalen Muslime selbst organisieren. Die Lösung für die islamische Krise liegt bei den Vernünftigen, denn ansonsten besteht die Gefahr, dass entweder weiterhin fundamentalistische Minderheiten das Bild prägen oder ein Staats-Islam entsteht, der eigentlich mit unserer Trennung von Kirche und Staat nicht vereinbar ist.

Denn während ich persönlich einer liberalen Theologie auch in meiner Religion – dem Christentum – den Vorzug gebe, so finde ich es doch völlig legitim, wenn sich auch konservative und orthodoxe Strömungen in den Religionen friedlich selbst organisieren. Erst Verschwörungsglauben, der über alle Frömmigkeitsformen hinweg nahezu unausweilich zur Radikalisierung führt, halte ich für freiheitsgefährdend. Andererseits scheinen mir die Krise des Islams und der “stille Rückzug” von Musliminnen und Muslimen bereits so weit fortgeschritten zu sein, dass noch gar nicht sicher ist, ob der Aufbau ausreichend starker Religionsgemeinschaften über Splittergruppen und Generationen hinaus gelingt. Statt sich über die Fata Morgana eines Staatsislam a la Turca in Deutschland zu zerstreiten, würde ich daher sowohl den liberalen wie den konservativeren Muslimen eher empfehlen, den Organisationsgrad von Menschen muslimischer Herkunft generell zu erhöhen. Sonst droht selbst das bislang Erreichte mittelfristig wieder einzugehen.

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

6 Kommentare

  1. Wenn kluge Menschen diskutieren, Herr Abdel-Hakim Ourghi ist dem Schreiber dieser Zeilen bereits aufgefallen, durchaus positiv, als Neuerer des Islam sozusagen, ist Dr. Webbaer nicht fern, wenn das Thema gesellschaftlich relevant ist, natürlich nur.

    Einen “Staatsislam” sollte es nicht geben, hier also Zustimmung zu Herrn Blumes Position, ein dieser würde die BRD direkt gefährden.
    Herr Abdel-Hakim Ourghi versteht dies womöglich als Neuerer nicht.
    Kritiker des Islam, die diesen theozentrischen Kollektivismus noch als sittlich eher niedriger dastehen sehen, als die beiden großen Kollektivismen des letzten Jahrhunders, dagegen schon.

    BTW, die ‘sogenannten liberalen Muslime’ sind liberale Muslime.

    MFG + weiterhin viel Erfolg + danke für Ihre Arbeit,
    Dr. Webbaer

    • Vielen Dank für die interessierte Rückmeldung, @Webbaer!

      Und, ja, ich würde analog zu den liberalen Flügeln des Christen- und Judentums auch von einem “liberalen Islam” sprechen, zumal es ja auch z.B. den Liberal-Islamischen Bund (LIB) gibt. Allerdings bezeichnen sich einige Muslime aus diesem Bereich als humanistische, progressive, reformorientierte (u.ä.) Muslime, so dass ich den Disclaimer “sogenannte” für angebracht hielt. Schließlich ist das hier ein religionswissenschaftlicher Blog, kein Wunschkonzert… 😉

      Beste Grüße!

  2. Das habe ich jetzt davon, Herr Doktor Blume.
    Ich sitze über eine halbe stunde im tiefen Odenwalde, schütte in Erwartung des verspäteten Meisters ein alkoholfreies Weizen nach dem anderen in mich hinein und hoffe, dass er doch noch kommt.
    Doch er kommt mit lutherischer Wortgewalt.
    Wirklich verblüfft hat mich aber eigentlich nur ein Satz , indem der Fachmann ausführt, die Humanisten hätten behauptet, dass nach der Wende im dort ja traditionell gottlosen Osten aus diesem Grund alsbald goldene Zeiten ausbrechen würden. Und er die Humanisten damit sogleich, weils nicht geschehen sei, der Unglaubwürdigkeit bezichtigt.
    Schon weniger überraschend die Antwort auf die kluge Bemerkung einer Anwesenden: Die Muslime wollten doch überhaupt keine reformierte, moderate Auslegung des Koran zulassen, da sie überzeugt seien ,dass dieser eine korrekte Kopie der Worte des Propheten sei. Ja, meint der Meister, das sei nun mal das Problem bei jeder Religion, die sich auf soche antik- unklaren Texte Gründe. Die Christen hätten ja auch Jahrhunderte zur “Modernisierung” gebraucht. Schlaue lutherische Imame wie Herr Blume vermeiden natürlich die naheliegende Frage, warum man denn dann überhaupt noch solche Texte zur Fundierung einer (modernen) Religion heranzieht und sie nicht wegen wiederholten offensichlichen humanitären Versagens auf dem Komposthaufen der Geschichte entsorgt.
    Na ja, ich hab die Frage bei der CDU ja auch nicht gestellt. Erstens wars der falsche Ort und zweitens forderte die Menge alkoholfreien Weizens mehrmals ihren Tribut. Dafür ist der Vorsitzende Christdemokrat ganz schön gegen die Muslime (hier) ins Feld gezogen.
    In manchem kann ich ihm sogar als Religions- und Kirchenkritiker durchaus zustimmen. Generell aber herrscht wohl nicht wenig Verwirrung im christsozialen Lager. Zumindest was den Islam betrifft.

    • Lieber Herr Schaber,

      lieben Dank für Ihren launigen Text! 😆

      Eine Korrektur sei mir gestattet: Wie bei Muslimen, Christen und Juden auch habe ich auch bei den Humanisten differenziert, die ja keineswegs eine geschlossene Gruppe bilden!

      Und wenn Sie u.a. die Daten zu Religion und Demografie gesehen haben, so wissen Sie jetzt doch auch noch einen Grund, warum die Religionen evolutionär eine Zukunft haben…

      Freut mich, wenn es Sie gut unterhalten hat! Ihnen alles Gute, v.a. eine gute Nacht!

  3. Hallo Herr Dr. Blume,
    vielen Dank für die Antwort.
    Na ja, zu evolutionspsychologischen Herleitungen hab ich , glaub ich, ja schon mal meine Skepsis angedeutet.
    Unterhaltend wars natürlich schon. Das hatte ich aber auch so erwartet. Für Sie hab ich mich sogar in die Höhle meiner politischen Gegner gewagt. Und das, obwohl unten dran im Schießstand ganz schön geballert wurde. Zum Glück habe ich vor langer Zeit mal gedient, war also nicht allzusehr erschrocken. Und dass Sie keine Thesen äußern würden, die Sie wieder ins Visier irgendeines VS bringen könnten, ist ja auch klar (-:

    Zur Strafe für die Verspätung hab ich dafür aber auch kein Buch am Tisch bei Ihnen gekauft. Trotz der persönlichen Signierung. Denn dadurch hab ich die Ausgaben fürs Weizenbier wieder hereingeholt.(Es ist ja nicht wie bei reichen Leuten).
    Mein letztes Buch mit persönlicher Signatur des Autors stammt , glaube ich, von Hamed Abdel- Samad.
    Ich hoffe, es hat Ihnen auch zur Nacht gefallen im schönen Odenwalde.

    Mit besten Grüßen
    L.S.

    • Hätten Sie mir was gesagt, dann hätte ich Ihnen das Weizenbier gegen ein zu signierendes Buch ausgegeben! 😉

      Ernsthaft: Ich bin dann tatsächlich noch in der gleichen Nacht mit dem Elektroauto nach Hause gefahren. Wenigstens war der Stau weg… 😉

      Schön, dass Sie da waren, beste Grüße!

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