Allez les Blogs – Albanien, einst der erste atheistische Staat der Welt
BLOG: Natur des Glaubens
Die scilogs nutzen die Fussball-Europameisterschaft als Chance, einen Ausblick auf die faszinierende Vielfalt der europäischen Gesellschaften zu gewinnen. Ich widme mich heute der Republik Albanien: Ein Staat fast von der Größe Belgiens, aber mit nur noch unter 3 Millionen Einwohnern, der religionswissenschaftlich jede Menge zu bieten hat!
So verlaufen die erste Assoziationen der meisten Europäer zu “Albanern” zunächst noch immer zu “Kosovo-Albanern”, die lange von serbischen Nationalisten unterdrückt und vertrieben wurden und 2008 ihre Unabhängigkeit proklamierten (und auch zunehmend durchsetzen). Entsprechend schnell ist das Vorurteil zur Hand, “die Albaner” wären fast allesamt Muslime. Und von Muslimen “weiß man doch”, dass sie mit Atheismus nichts am Hut haben können… – oder!?
Ein Blick auf die Republik Albanien kann helfen, so manche religionsbezogenen Kenntnisse zu vertiefen und Vorurteile zu überwinden. Sie hatte ihre ganz eigene Geschichte und wurde 1967 sogar als “erster atheistischer Staat der Welt” proklamiert! Die Verfassung von 1998 definierte den Staat dann als “laizistische Republik”. Ins Parlament wurde bei der letzten Wahl 2013 bislang auch nur eine einzige, erklärt religiöse Partei gewählt – die Christlich-Demokratische Partei Albaniens (PDK), mit einem Sitz.
Klingt alles noch gar nicht so islamisch?
Schauen wir uns das Land an und beginnen wir doch einfach ganz vorne – beim Wappen der Republik Albanien, das Siegel und Helm des Nationalhelden Skanderbeg (1405 – 1468) ziert.
Vor Skanderbeg hatte auch diese Region des Balkans zunächst unter römischen und dann römisch-byzantinischen Einfluss gestanden. Doch dann rückten erobernd die Osmanen vor und besiegten 1423 auch ein Heer des Fürsten Gjon Kastrioti I. Auch dessen Sohn Gjergj Kastrioti wurde als Geisel in die osmanische Hauptstadt Adrianopel verschleppt (Istanbul war noch nicht erobert), dort zum Islam zwangskonvertiert, der Militäreinheit der Janitscharen zugeordnet und schließlich 1438 als “Fürst Alexander” (Iskender Bey, daraus: Skanderbeg) zurückgeschickt. Doch nachdem die Osmanen nach einer Niederlage gegen die Ungarn Skanderbegs Vater ermordeten, wechselte dieser die Seiten, (re-)konvertierte zum christlich-katholischen Glauben und verteidigte an der Spitze eines Bündnisses das kleine Land fast zwei Jahrzehnte gegen das osmanische Imperium.
Skanderbeg-Statue von 1968, Tirana. Foto: Fingalo, CC 2.0, Wikipedia
Als schließlich das heutige Albanien nach den Balkankriegen ab 1912 seine Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich errang, erinnerten sich viele in der – längst mehrheitlich islamischen – Bevölkerung dennoch an “Skanderbeg” zurück. Nach Wirren und einer kurzen Phase als Monarchie geriet Albanien schließlich unter italienische und später auch deutsche Kontrolle. Doch der israelisch-jüdische Gedenkort Yad Vashem erinnert daran, dass die albanische Bevölkerung alle sowohl einheimischen wie auch nach Albanien geflohenen Jüdinnen und Juden vor den Nazis versteckte und beherbergte – im scharfen Kontrast zu vielen anderen europäischen Ländern wurde keine einzige Person ausgeliefert und deportiert.
An die Spitze der antifaschistischen Partisanen stellte sich schließlich der – aus einer muslimisch-bektaschitischen Familie stammende – Enver Hoxha (1908 – 1985), der schnell zu einem brutalen, stalinistisch-maoistischen Diktatur avancierte. Seinen Aufstieg hatte er vor allem im Bündnis mit jugoslawischen Kommunisten erreicht, wandte sich jedoch ab 1955 dem Warschauer Pakt unter sowjetischer Führung zu und lehnte sich schließlich an China an. Die verschiedenen Wendungen gingen immer wieder auch mit “Säuberungen” der Partei einher, denen zahlreiche “Genossen” zum Opfer fielen. Am Ende stand dann die völlige Isolation: Der Diktatur ruinierte das ohnehin arme Land durch die Anlage von umfangreichen Bunkeranlagen, die es vor ausländischen Invasionen schützen sollten.
1967 rief Hoxha im Umfeld der chinesischen “Kulturrevolution” zudem Albanien als “ersten atheistischen Staat der Welt” aus und ging brutal gegen Moscheen, Tekken (sufische Ordenshäuser, v.a. der Bektaschiten), Kirchen und Synagogen sowie Geistliche und Religiöse aller Art vor. Stattdessen überzog er das Land mit Sammlungen seiner ideologischen Schriften. Enver Hoxha starb 1985.
Neustart ab 1990
Und auf welche Traditionen konnte sich das albanische Volk also berufen, nachdem es endlich um 1990 die kommunistische Diktatur abgeschüttelt hatte? Es griff das Siegel und den Helm Skanderbegs auf und wandelte sich zur Republik Albanien. Diese befindet sich auf einem zwar schwierigen und immer wieder gefährdeten, aber bislang doch erfolgreichen Weg zu einer Demokratie mit marktwirtschaftlichen Zügen, wobei die Entwicklung der Wirtschaft und Infrastruktur zwar langsam voranschreitet, aber noch immer durch eine starke Korruption und Gewalt in und zwischen Familien beeinträchtigt wird.
Wenig bekannt ist, dass die Republik Albanien sogar über einige Öl- und Gaslagerstätten verfügt, die jedoch – eher zum Segen der jungen Republik – bislang eher schlecht erschlossen sind. Das Land ist inzwischen Mitglied der NATO wie auch der Organisation für Islamische Zusammenarbeit, von IWF und Weltbank wie auch des Europarates. Es hat einen Beitrittsantrag zur EU gestellt und genießt – im Gegensatz z.B. zur Türkei – aufgrund seiner demokratischen und wirtschaftlichen Fortschritte bereits die europäische Visafreiheit. Ein andauernder Kritikpunkt bleibt jedoch die noch immer nicht überwundene Diskriminierung von Roma, von denen ein Teil eine wiederum eigene Identität als “Balkan-Ägypter” für sich reklamiert. Zu den erfreulichen Entwicklungen gehört ein merkbarer Aufschwung des Tourismus, zumal das Land neben historischen Sehenswürdigkeiten und Naturschutzgebieten auch über eine lange Küste zur Adria und zum Ionischen Meer verfügt. Erfahrunsgemäß werden auch familienbezogene Rücküberweisungen und Besuche von wirtschaftlich erfolgreichen Diaspora-Albanern dem Land zunehmend zugute kommen.
Demografisches Verebben
Durch ein Verbot von Verhütungsmitteln hatte auch Enver Hoxha versucht, den säkularen Geburtenrückgang in seinem Land aufzuhalten – und scheiterte damit am Ende ebenso wie seine “Kollegen” Ceaucescu (Rumänien) und Honecker (DDR). Heute weist auch das vergleichsweise arme, aber eben zwangs-säkularisierte Albanien Geburtenraten deutlich unter der Bestandserhaltungsgrenze von 2,1 Kindern pro Frau auf – und gleichzeitig verließen Hunderttausende vor allem jüngerer Albanerinnen und Albaner das Land. Immer mehr ländliche Regionen des Landes – Dörfer wie auch Kleinstädte – sterben schlichtweg aus. Derzeit leben noch geburtenstarke Jahrgänge und die Lebenserwartung steigt; doch steht dem kleinen, europäischen Land ein lang anhaltendes demografisches Verebben bevor.
Die Religionen heute
Und es ist für einige Religionskritiker vielleicht schwer zu glauben – aber auch in Albanien gelang es der antitheistischen Diktatur zwar, die religiösen Traditionen über Jahrzehnte hinweg brutal zu unterbrechen, nicht jedoch, sie zum Verschwinden zu bringen. In der bislang letzten Volkszählung 2011 bekannte sich wieder ein Großteil der Albanerinnen und Albaner zu einer Religion.
Während sich etwas über die Hälfte der Bevölkerung als Angehörige des Islam verstehen – und vor allem arabische Staaten und die Türkei auch eine Renaissance des sunnitischen Islam zu fördern versuchen – ist die einst bedeutende, dem anatolischen Alevitentum verbundene Tradition der albanischen Bektaschiten infolge des Traditionsabbruches zu einer kleineren Minderheit geschrumpft. Nicht zuletzt dank internationaler, vor allem italienischer Hilfe hat sich die römisch-katholische Kirche als zweitgrößte Religionsgemeinschaft der Republik re-etabliert. (Die berühmte Ordensschwester und Friedensnobelpreisträgerin Mutter Teresa (1910 – 1997) war ebenfalls katholische Albanerin, wurde jedoch noch zu osmanischer Zeit im heutigen Mazedonien geboren. Mit einiger Wahrscheinlichkeit wird sie noch in 2016 in Rom heiliggesprochen werden.) Sowohl Albaner wie auch Angehörige ethnischer Minderheiten (Griechen, Serben u.a.) bekennen sich zudem zu christlich-orthodoxen Kirchen und nach der Republikgründungen haben sich einige winzige evangelische und weitere (Frei-)Kirchen bilden können. Zumal die Religionen gemeinsam unterdrückt wurden und nicht – wie etwa im Kosovo-Konflikt – auch ethnische Konfliktlinien markierten, ist das Verhältnis der Religionen und Kirchen eng und gut, sind zum Beispiel auch interreligiöse Eheschließungen häufig.
Religionswissenschaftlich interessant – und eigener Forschungen wert – ist schließlich der erstaunlich große Anteil von über 5% der Albanerinnen und Albaner, die sich beim Zensus als “gläubig” vermerken ließen, ohne sich jedoch zu einer bestimmten Konfession zu bekennen. Obwohl derzeit mit der “Sozialistischen Partei” (SP) wieder die Nachfolgepartei der kommunistischen (“marxistisch-leninistischen”) Partei einer Koalitionsregierung vorsteht, bekannten sich beim letzten Zensus nur 2,5% der Albanerinnen und Albaner zum “Atheismus”, der jahrzehntelang Staatsideologie war. Auch der derzeitige SP-Parteivorsitzende und albanische Ministerpräsident Edi Rama, der sich früher als “konfessionslos” bezeichnet hatte, überraschte 2014 mit dem Bekenntnis, sich als “katholisch” zu verstehen.
Für Ignoranten mag Albanien also nur ein Fleck auf der Weltkarte sein. Doch für religionswissenschaftlich Interessierte ist das Land in vielfacher Hinsicht interessant und widerlegt – ganz nebenbei – auch gängige Klischees über die vermeintliche “Islamisierung Europas”. Stattdessen zeigt es auf, dass historische Komplexität und religiöse Vielfalt seit langem ein Teil Europas sind, werden und bleiben.
Der – selbstverständlich ebenfalls religiös vielfältigen – Fussball-Nationalmannschaft wünsche ich von Herzen ein gutes und erfolgreiches Turnier!
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Mir fällt es immer schwer, sehr geehrter Herr Blume, einen Staat als atheistisch oder antitheistisch zu bezeichnen. Manche Systeme neigen dazu Religionen verdrängen oder verbieten zu wollen, wobei aber in solchen Fällen meist eine Staatsreligion lediglich ihre (gefühlten?) direkten Konkurrenten schwächen oder komplett verdrängen will.
Der chinesische Kommunismus mit Mao als Ersatzgott wäre dazu aus meiner Sicht ein interessantes Beispiel, sogar mit eigener “Bibel. Auch dort hat sich übrigens der chinesische Buddhismus immer gehalten, und zu sehen mit welcher Energie in vielen Dörfern die alten Tempel nach 2000 wieder aufgebaut wurden hat mich doch einigermaßen verblüfft. Meine Gespräche mit den meist sehr alten Initiatoren des Wiederaufbaus fand ich sehr erhellend.
Ich denke aber auch, dass die Unterschiede zwischen den diversen “Staatsreligionen” mit zu Göttern aufgeblasenen “Führern” und althergebrachten Religionen manchmal recht gering sind.
Deswegen könnte man diese Diskussion auch ganz anders führen.
Zustimmen möchte ich Ihrer Einschätzung, wenn sie betonen, dass es zu der von vielen befürchteten Islamisierung Europas so oder so nicht kommen wird, und Europa seine religiöse Vielfalt erhalten bleibt.
Religionsfreiheit halte auch ich für eminent wichtig, und werde sie selbstverständlich auch als Atheist bei jeder Gelegenheit verteidigen. Allerdings sehe ich eben im Gegensatz zu manchen Gläubigen auch die Indoktrination von noch nicht kritisch denken könnenden Kindern und Jugendlichen als hochproblematisch an. Nur damit Sie ein wenig einschätzen können, wo ich stehe.
Ansonsten gibt es sicher viele Bereiche, wo wir übereinstimmen. Und ein paar, wo wir uns eigentlich manchmal gepflegt fetzen sollten.
“Balkan-Ägypter”: Das englische Wort “gypsie” kommt auch vom englischen Wort für “Ägyptern”. Im 15. und 16. Jh. kursierte die Geschichte das die “Zigeuner” aus Klein-Ägypten stammen würden. Weil sie Maria und Joseph bei der Flucht nach Ägypten nicht aufnehmen wollten, seien sie zu einer Bußfahrt verurteilt worden. Interessanterweise zeigen manche Gemälde vom 16. bis zum 17. Jh. Frauen in biblischen Szenen in Zigeunertracht, d.h. einen großen, oft gestreiften Mantel und einen seltsamen, breitkrempigen Hut.
Z.B. hier Predigt Joh. d. Täufers von Pieter Brueghel d. J.
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Saint_John_the_Baptist_Preaching_to_the_Masses_in_the_Wilderness_oil_on_oak_panel_by_Pieter_Brueghel_the_Younger.jpg?uselang=de
Sehr geehrter Herr Blume,
so ganz habe ich Ihre Argumentation in diesem Artikel nicht verstanden.
Den Aufhänger, die wechselhafte religiöse Geschichte der Albaner, beiseite gelassen, kommen Sie ja zu dem Schluss, dass die (zwangsatheistischen) Albaner “verebben” werden.
Ganz nach ihrer gewagten Theorie die Sie vertreten, dass atheistische Gesellschaften aufgrund schwacher Geburtenraten kleiner und religiöse Gesellschaften größer werden.
Nun aber erwähnen Sie selbst, dass seit 1990 in Albanien Religionsfreiheit herrscht und geben mit der Statistik von 2011 an, dass 80% bis 97,5% der Albaner religiös sind. Und dennoch weisen diese eine geringe Geburtenrate auf.
Wie stützt dieses Argument also Ihre Theorie?
Gruß
Fabian
Sehr geehrter @Fabian,
vielen Dank für Ihre Nachfrage!
Das Mißverständnis ist leicht aufzuklären: Ich blogge auf Natur des Glaubens auch, aber nicht nur zur Religionsdemografie.
Zu diesem Thema hier gerne Näheres:
https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/online-interviews-zu-religion-und-demografie/
Selbstverständlich stimmt die religionsdemografische Grundthese auch bei der Republik Albanien: Auch hier gibt es keine nichtreligiöse Population, die auf Dauer eine Geburtenrate über der Bestandserhaltungsgrenze hätte halten können. Und aufgrund von jahrzehntelanger Unterdrückung im Namen des Atheismus haben sich bislang auch noch kaum dauerhaft kinderreiche Religionsgemeinschaften (wieder-)errichten können. Auch die Republik Albanien verebbt derzeit demografisch, aufgrund der Abwanderung v.a. junger Leute sogar außerordentlich schnell.
Zugleich ist die Republik Albanien aber doch auch ein Beleg dafür, dass eine staatliche Zwangs-Atheisierung die Religiosität nicht dauerhaft zu unterdrücken vermag – und das auch viele Vorteile über “den Islam” und “die islamische Kultur” schlichtweg zu kurz springen.
Wenn sich die Republik Albanien ggf. eines Tages auch demografisch wieder stabilisieren sollte, dann sicher – und hoffentlich – als religiös vielfältige, freiheitliche, europäische Gesellschaft. Der Weg dahin ist weit, doch erste Schritte sind gegangen.
Vielen Dank für Ihr Interesse und Ihre Aufmerksamkeit!
Hallo Herr Blume.
Vielen Dank für Ihre Antwort.
Offen gestanden aber, tue ich mich doch sehr schwer mit Ihrer Argumentation.
Halten wir uns an die von Ihnen gelieferten Fakten, so sehen wir hier, dass der Anteil an religiösen Menschen in Albanien bei über 80% liegt.
Ob das nun daran liegt, dass die Menschen dort ein ausgesprochen starkes religiöses Bedürfnis haben, welches auch die Gewaltherrschaft nicht austreiben konnte, oder ob es eher in der Opposition und im Trotz gegenüber der kommunistischen Regierung begründet liegt, kann doch von außen keiner sagen. Vermutlich ist das noch nicht mal vor Ort zu klären (Wer kann all die persönlichen Faktoren wirklich sauber analysieren?).
Wie also komme Sie darauf, dass Der Atheismus™ dort deshalb so schwach ist, weil die Atheisten “verebbt” seien? Nur so ergibt Ihr Argument für mich einen Sinn, wenn ich diesem auch widerspreche.
Interessant wäre doch auch zu sehen, wie hoch der Anteil an religiösen und nicht-religiösen Menschen vor dem Zusammenbruch des Ostblocks in Albanien war. Haben Sie dazu Zahlen?
Den Punkt, dass Albanien kein “islamischer Staat” ist, obgleich die Absolute Mehrheit Moslems sind, habe ich verstanden. Die gelebte inter-religiöse Vielfalt ist beachtlich.
Jedoch beschränkt sich ihr Artikel nicht auf diesen Punkt, sondern erklärte ja erneut, dass atheistische Gruppen gegenüber religiösen Gruppen verebben, obwohl dass Ihre Zahlen zu Albanien gar nicht hergeben.
Als Key-Factor für die Fertilität haben Sie ja die Religiosität einer Gesellschaft ausgemacht. Die Religiosität Albaniens ist ausgesprochen hoch. Vermutlich schon seit 20 oder 25 Jahren, vielleicht schon vor 1990. Dennoch nannten Sie selbst die sehr geringe Fertilitätsrate Albaniens. Wenn Sie die Fertilitätsrate der atheistischen Minderheit nennen könnten und diese unter dem Durchschnitt gelegen hätte, hätten Sie ein Indiz gehabt, wenn auch ein Schwaches. So aber sprechen Ihre eigenen Zahlen gegen Ihre These.
Was aus Ihrem Artikel nicht deutlich wurde, sie aber in Ihrer Antwort konkretisierten, ist ja Ihr argument, dass die geringe Fertilität “Nachwehen” der gewaltsamen Unterdrückung sämtlicher Religionsausübung durch die kommunistische Regierung seien. Dies ist aber eine Generation später nicht haltbar. Zu Mindest nicht, wenn Sie nicht je mindestens zwei Datenpunkte zur Religiosität und Fertilität der albanischen Gesellschaft nach 1990 liefern können und so einen Erholungstrend für beide Faktoren aufzeigen können. Zum Vergleich wären weitere Datenpunkte vor 1990 ebenfalls interessant.
Ist Albanien durch seine wechselhafte und spannende Geschichte nicht eher ein gutes Beispiel dafür, dass die Fertilität hauptsächlich von ganz anderen Faktoren abhängt?
Gruß
Fabian
Lieber @Fabian,
aus welchen Gründen auch immer: Sie unterstellen mir jetzt schon wieder Aussagen, die ich nie gemacht habe. Weder habe ich behauptet, der albanische Atheismus sei (allein) aus demografischen Gründen verebbt, noch habe ich die Religiosität als “Key-Factor für die Fertilität” bezeichnet oder gar bestritten, dass “die Fertilität hauptsächlich von ganz anderen Faktoren abhängt”. Vielmehr habe ich erforscht, dass und wie sich Religiosität in Wechselwirkung mit anderen Faktoren auf die durchschnittliche Fertilität auswirkt. Empirisch beobachtbar ist, dass religiös Praktizierende weltweit im Durchschnitt mehr Kinder haben als ihre säkularen Nachbarn und dass noch nie eine nichtreligiöse Population beschrieben werden konnte, die auch nur ein Jahrhundert wenigstens die demografische Bestandserhaltungsgrenze einhalten konnte. Nicht weniger, aber auch nicht mehr.
Die albanische Volkszählung hat leider bislang keine Geburtenziffern entlang der Religionszugehörigkeiten veröffentlicht. Sie ist aber ein weiterer, starker Beleg dafür, dass sich menschliche Religiosität nicht dauerhaft unterdrücken lässt und dass Menschen je nach existentieller (Un-)Sicherheit auch religiöse Angebote nachfragen.
Ich kann gut nachvollziehen, dass wissenschaftliches Denken – und zumal die Wechselwirkung verschiedener Faltoren – oft als sehr komplex und emotional kontraintuitiv erscheinen. Gleichwohl darf ich Sie ermutigen, sich auf diese Welt fair und konstruktiv einzulassen – was viel besser gelingt, wenn Sie keine gar nicht vorgebrachten Thesen “widerlegen”. 🙂
Albanien hat sich nicht selbst im 1. Balkankrieg befreit sondern wurde mehr oder weniger gedrängt unabhängig zu werden, damit Serbien und Griechenland das Land nicht einfach aufteilen. Österreich Ungarn und Italien waren da federförend.
Die Masse der muslimischen Albaner war gegen die eigene Unabhängigkeit und im Norden gab es auch proosmanische Aufstände dagegen. Nur ein kleiner Hinweis.
LG Zoran
die Grafik “Religionszugehoerigkeit in Albanien” ist fuer Leute mit Farbsehschwaeche (und das sind immerhin fast 10% aller Maenner) unverstaendlich.
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Es gibt keinen offiziellen Zensus also auch keine ofizielle Daten! Die Menschen haben gegen diesen Zensus protesiert und ihn boykottiert.
In der Republik Albanien sind über 80% Atheisten, der Rest Orthodox, Katholisch oder Muslime.
Die orthodoxen und katholischen Familien haben sogar unter dem Kommunismus versteckt ihren Glauben praktiziert. Man kann davon ausgehen, dass diese Menschen genauso wenig/viel religiös sind wie in Deutschland.
Praktizierende Muslime gab es dagegen erst ab 1990. Die Mehrheit dieser Menschen sind arm und es wurde ihnen von verschiedenen arabischen Institutionen/Banken Geld angeboten und Häuser gebaut. Frauen und Töchter müssen als Gegenleistung Kopftuch tragen. Dieser Islam hat überhaupt nichts mit dem traditionellen/ moderierten Islam in Albanien zu tun, deshalb wird es von der Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt.
Die Albaner waren schon früher generell nicht besonders religiös. Sie wechselten den Glauben, wann immer sie von einem neuen Glauben profitierten konnten. Skanderbeg war zuerst orthodox dann Muslim und zuletzt katholisch.
Festzuhalten ist: die Albaner definieren sich als Volk nicht durch die Religionszugehörigkeit (wie die Nachbarländer) sonder durch die Ethnie. Aus diesem Grund sind sie nicht besonders religiös. In Albanien gibt es keine Harmonie zwischen den Religionen sondern eine ethnisch homogäne Gesellschaft, die sich für die Religion nicht interessiert. Religion war die Religion in Albanien nie identitätsstiftend wie etwa in Griechenland oder Serbien.