Showdown im Bundesrat: Cannabis ist entkriminalisiert!

Kein Aprilscherz, sondern ein Paradigmenwechsel. Bis zuletzt sorgte das Gesetz der Ampelkoalition für Kapriolen. Wird jetzt das Chaos ausbrechen?

Bis zum Schluss blieb es spannend: Würde das Cannabisgesetz und damit ein Paradigmenwechsel in der deutschen Drogenpolitik zum 1. April in Kraft treten? Oder würde sich der Start der Entkriminalisierung verschieben, im Vermittlungsausschuss des Bundesrats vielleicht sogar bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag? Dabei regiert einzig in Bayern keine Partei der Ampel mit.

Föderalismus

Abbildung: So geht Föderalismus: Zur Kontrolle des Bundestags hat auch die Länderkammer ein Wörtchen mitzureden. Beim Cannabisgesetz kam ihr aber nur ein Einspruchsrecht zu. Zur Anrufung des Vermittlungsausschusses hätte es mindestens 35 Ja-Stimmen geben müssen. In der Sitzung vom 22. März 2024 stimmten aber nur die Vertreter Baden-Württembergs, Bayerns, Brandenburgs und des Saarlands dafür. Somit kam der Antrag auf nur 19 Stimmen – und wurde abgelehnt. Abbildung: Bundesrat, CC BY SA

Gemäß Parteilogik hätte es also eigentlich nur sechs Ja-Stimmen geben dürfen, nämlich aus dem von CSU und Freien Wählern regierten Freistaat im Süden der Republik. Das von einer absoluten SPD-Mehrheit geführte Saarland scherte dann aber aus: Angeblich würde das Gesetz zu Drogentourismus aus Frankreich führen.

Dabei wird in der Grande Nation heute schon mehr Cannabis konsumiert als in Deutschland. Und die jetzt erlaubten Mengen ermöglichen sicher keinen Großhandel. Zudem bleibt der Verkauf verboten. Da die Polizei nun keine Bürger mit einigen Gramm Gras oder Haschisch mehr verfolgen muss, hätte sie ja Kapazitäten zur Bekämpfung des angeblichen Drogentourismus frei. Für eine Einschreibung im Cannabis-Club muss man übrigens einen Wohnsitz im Inland nachweisen.

Doch auch bei den Vertretern einiger anderer Länder gab es sorgen: Vor allem Juristen äußerten Bedenken darüber, die Amnestie-Regelung nicht rechtzeitig umsetzen zu können. Denn aktuelle Verurteilungen wegen Cannabis müssen nun – konsequenterweise – rückgängig gemacht werden. Die Bedenkenträger scheinen das Problem aber übertrieben zu haben. Zudem müssen laufende Verfahren sofort eingestellt werden und fallen nun bis zu 200.000 neue Fälle pro Jahr weg. Vertreter aus Polizei und Justiz von LEAP Deutschland veröffentlichten dann auch nichts Geringeres als eine “Aufforderung zur Entkriminalisierung zum 1.4.24”:

“Es handelt sich lediglich um mehrere hundert Fälle bundesweit, bei denen eine laufende Haftstrafe vollstreckt wird, und die in Zusammenhang mit Cannabis stehen. Ergo: es ergibt sich hier keine besondere Belastung, der Aufwand ist vertretbar. […] Ganz wichtig: Wer in der Opposition eine andere Zahl für richtig hält, sollte diese belegen können – es gibt jedoch keine belegbaren Zahlen hierfür.”

Offener Brief von LEAP Deutschland, 18. März 2024

Unerwartete Schützenhilfe

Das Abstimmungsverhalten im Bundesrat deutet jedenfalls darauf hin, dass Deutschland eben kein nur aus Berlin gesteuerter Nationalstaat ist, wie es beispielsweise in Frankreich/Paris oder den Niederlanden/Den Haag der Fall ist. Die Landesregierungen scheren durchaus aus der Reihe, wenn sie eine andere Meinung haben als ihre Bundestagsfraktionen.

Ironie der Geschichte: Unerwartete Schützenhilfe kam wohl ausgerechnet vom erklärten Cannabis-Gegner Michael Kretschmer (CDU), Ministerpräsident des Freistaats Sachsen. Wie ich hier berichtete, hatte er nämlich auf X gedroht: “Mein Ziel ist es, dass dieses Gesetz niemals wieder aus dem VA herauskommt.” Demnach wollte er das von einer Mehrheit des Bundestags verabschiedete Gesetz wohl mit Verfahrenstricks im Vermittlungsausschuss (VA) aufhalten.

Der Schuss scheint aber nach hinten losgegangen zu sein. Denn durch die harte Drohung waren zögernde Landespolitiker aus Ampel-Kreisen leichter zu einer Enthaltung bei der wichtigen Abstimmung zu überreden. So kämpfte Bundesgesundheitsminister Lauterbach bis zum Ende für sein Gesetz. Um Zweifel in den eigenen Reihen zu zerstreuen, wurden in letzter Minute einige Punkte nachgebessert: Mehr Geld für Prävention und Jugendschutz, eine frühere Evaluation der Folgen der Entkriminalisierung und eine Verdeutlichung zur Amnestieregelung.

Kretschmer wirkte bei seinem Vortrag vor der Bundesratsabstimmung emotional und ermüdet. Er kündigte trotzig an, weiter gegen die Entkriminalisierung zu kämpfen – und dafür sogar Ärger mit seiner schwarz-grün-roten Koalition in Sachsen in Kauf zu nehmen. So kam es dann auch.

Showdown im Bundesrat

Während die meisten Abstimmungen im Plenum des Bundesrats einfach per Handzeichen ablaufen, hatte Bayern hier diesmal namentliche Entscheidung beantragt. Dafür wurde jedes Bundesland einzeln aufgerufen. Für Sachsen rief Kretschmer dann “Ich will einen Vermittlungsausschuss.” Woraufhin der direkt neben ihm sitzende Martin Dulig (SPD), Sachsens Staatsminister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr, einschritt: “Einspruch! Enthaltung.” Das Grundgesetz schreibt aber vor, dass die “Stimmen eines Landes […] nur einheitlich […] abgegeben werden” können (Artikel 51 Absatz 3 GG).

Darüber darf sich auch ein Ministerpräsident nicht hinwegsetzen. Um dieser Situation vorzubeugen, vereinbaren die Landesregierungen üblicherweise im Koalitionsvertrag eine gemeinsame Enthaltung bei der Abstimmung, wenn es keine Einigkeit gibt. Hat Kretschmer hier also nicht nur Koalitions-, sondern womöglich sogar Verfassungsbruch begangen? Die Bundesratspräsidentin quittierte den Zwist unter Sachsens Vertretern damit, die Stimmen für ungültig zu erklären.

Doch selbst nach dieser erneuten Niederlage von CSU/CDU, nun auch im Bundesrat, geben die Gegner des Cannabisgesetzes keine Ruhe. Nach den Bundestagswahlen wollen sie es wieder verbieten. Und einige riefen sogar den Bundespräsidenten dazu auf, das Gesetz nicht zu unterschreiben!

Diese Aufforderung ist an Absurdität kaum zu überbieten. Das Prüfungsrecht des Präsidenten bezieht sich nämlich einerseits darauf, ob das Gesetz vorschriftsgemäß zustande kam (Artikel 82 Absatz 1 GG), und andererseits auf die inhaltliche Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz, also seine Verfassungsmäßigkeit. Auch von Kritikern in der entscheidenden Bundestagsdebatte wurde allerdings der Gesundheits- und Jugendschutz sowie der Verwaltungsaufwand als Gegenargumente angeführt. Kurzum, eine Verfassungswidrigkeit des Cannabisgesetzes stand überhaupt nicht im Raum.

Dazu die Sprecherin des Bundespräsidenten auf Anfrage des Hanfverbands e.V.:

Davon ist auch nicht auszugehen, da das Bundesverfassungsgericht in den entscheidenden Urteilen zur Drogenpolitik stets den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers hervorhob. Zudem ist Cannabis eine in Europa nachweislich seit Jahrtausenden verwendete Genuss-, Nutz- und Heilpflanze. In der Geschichte Deutschlands war ihre psychoaktive Variante nur für kurze Zeit verboten.

Unter Geschwistern

Außerdem – haltet euch fest! – zählt der auch von Unionspolitikern geschätzte Hopfen zu den Hanfgewächsen (Cannabaceae). Humulus lupulus (Echter Hopfen) ist, botanisch gesehen, also eine Schwester von Cannabis sativa (Echter Hanf). Auch Hopfenharz ist psychoaktiv wirksam, wirkt nämlich beruhigend und schlaffördernd. Die meisten Bierliebhaber mögen es aber wegen seiner Aromen, die Bieren exotische Geschmäcker verleihen, beispielsweise im India Pale Ale.

Wie wir in meiner Serie über Cannabis sahen, waren Aussagen über die angeblichen Risiken der Substanz von Regierungsvertretern und auch der Ärzteschaft im 20. Jahrhundert immer wieder von Unwahrheiten geprägt. Das hält sich in manchen Kreisen leider bis heute. Und es ist wirklich bedenklich, wenn Politiker darum Koalitions- und möglicherweise gar Verfassungsbruch begehen.

Nach meinem Dafürhalten war vielmehr das Verbot verfassungswidrig: Substanz- und Rauschmittelkonsum fällt erst einmal unter das allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit (Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 GG). Dieses kann überhaupt nur aufgrund eines anderen Grundrechts eingeschränkt werden. Hierfür wird vor allem der Gesundheitsschutz angeführt.

Wie wir feststellten, wurde das Psychose- beziehungsweise Schizophrenierisiko aber immer wieder übertrieben. Auch das Gerede über angebliche Gehirnschäden bleibt diffus. Wie wir bei der Besprechung der maßgeblichen Dunedin-Studie sahen, gab es selbst bei starken Kiffern – im Mittel Cannabiskonsum an 260 Tagen pro Jahr – auch nach Jahrzehnten keinen eindeutigen Befund. Messbare Gehirnveränderungen scheinen eher mit gleichzeitigem schweren Alkohol- und Tabakkonsum einherzugehen.

Weiche vs. harte Drogen

Nach der Verbotswelle der 1970er wurde dem Gesetzgeber und den Gerichten schnell klar, dass Cannabis übertrieben dämonisiert worden war. Man versuchte, die Verbote durch Unterscheidung “weicher” und “harter” Drogen aufrechtzuerhalten. Bei geringen Mengen “weicher” Substanzen für den Eigenbedarf konnten die Behörden von der Strafverfolgung absehen. Aber ob selbst Heroin wirklich so gefährlich ist, wie oft behauptet, könnte man bei anderer Gelegenheit noch einmal wissenschaftlich überprüfen.

Zur Erinnerung: Anfang des 20. Jahrhunderts wurde es noch von der heutigen Bayer AG produziert und als Hustenmittel verkauft. Noch heute ist das verwandte Codein in ähnlicher Medizin aus der Apotheke enthalten. Und Ärzte verabreichen wesentlich stärkere Opiate wie Oxycodon. Ich bekam es bei meiner Gallenoperation sogar gespritzt, ohne vorher gefragt zu werden.

Bei all diesen Substanzen handelt es sich um Opiate. Das sind pharmakologisch verstärkte Zubereitungen des ursprünglichen Opiums, das über Jahrtausende ein bewährtes Heilmittel war. Während die natürliche Milch der Opiumblüte neben dem Wirkstoff Morphium auch viele andere Stoffe enthält, sind die Produkte aus dem Labor reiner und (viel) stärker. Das Problem ist dann aber nicht so sehr der psychoaktive Wirkstoff, sondern seine unkontrollierte Verwendung.

Abbildung: Opium-basierte Hustenmittel: Husten- und Grippemittel wie das von Ayer (USA) gab es um 1900 viele. Es enthielt ein Opiumderivat wie Morphium oder Heroin. Wildkirsche, worauf “Cherry” im Namen des Produkts verweist, sorgte für den besseren Geschmack. Die Reklame hier richtete sich spezifisch an Frauen, Kinder und sogar Kleinkinder. Bilder: gemeinfrei

Wie wir sahen, nahm auch die heutige Opioid-Pandemie in den USA erst besonders dramatische Züge an, als die Behörden – nach jahrelangem Ignorieren des Problems – die legalen Quellen aus den Apotheken zum Versiegen brachten. Dem alten Heroinproblem konnte man erst den tödlichen Zahn ziehen, als man mit der Methadonersatztherapie eine kontrollierte Alternative anbot. Dabei ist auch dieser Stoff ein Opioid – und wiederum ursprünglich aus deutschem Hause: 1938 wurde es von der I.G. Farben patentiert.

Man kann dankbar sein, dass es heute bessere Mittel gibt. Doch muss man darum die alten Substanzen gleich verteufeln?

Ausblick

Kurzum, die Drogenverbote sind voller Widersprüche und ihre Befürworter blieben den Nachweis für die Wirksamkeit ihrer Politik bis heute schuldig. Auf die ungewünschten Folgen ihrer Gesetze und sozialen Herausforderungen haben sie keine Antwort parat.

Darum werden wir im nächsten Teil noch die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Verbote ausführlicher diskutieren. Auch die wissenschaftlichen Daten zum Thema “Cannabis als Einstiegsdroge” werden wir uns noch einmal genau anschauen.

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20 Kommentare

  1. Also der Kommentar 1 ist unschlagbar…

    WIll man sowas nicht einfach stehen lassen als aufklärendes Beispiel? 😉

    [Den Kommentar, auf den sich dies bezog, habe ich gelöscht. Leider ist unser “Spam-Filter” so “schlau”, dass er Kommentare unserer Leser mit zu vielen Links als Spam markiert, doch offensichtlichen Spam mit verdächtigen Telefonnummern durchgehen lässt. S. Schleim]

  2. WIll man sowas nicht einfach stehen lassen als aufklärendes Beispiel?

    Warum nicht? Wenn solche Beiträge unter Cannabiseinfluss entstehen, dann sollte man über deren Legalisierung vielleicht nochmal nachdenken.
    Aber ich denke mal, dazu sind noch viel härtere Drogen nötig.

  3. Jetzt aber mal im Ernst, ich bin echt gespannt wie das weiter geht. Der völlig unreflektierte Umgang mit Substanzkonsum, speziell Alkohol, hat mich dahin getragen wo ich heute bin.
    Das wäre jetzt im Grunde die Gelegenheit den ganzen Bereich mal auf ein vernünftiges Niveau zu heben. Mir hätten zB auch gerade sowas wie die Artikel hier echt geholfen, statt dessen duefte man sich das Thema selbst sortieren. Das war nun wirklich keine gelungene Idee. Da wäre ein reflektierter und entspannter Umgang deutlich hilfreicher gewesen.
    Mir hilfts nicht mehr, ich empfehle das hier geblogte aber ganz im Ernst weiter. Nicht nur zum Thema Substanzkonsum…
    Muss auch mal gesagt werden 🙂

  4. Bevor ich den Illuminati beitrete, werde ich lieber bei der katholischen Kirche aktiv, die hat wenigstens was zu melden. Wer Macht hat, dem schadet es, sich zu verstecken, denn vor Machtsymbolen kriechen wir freiwillig im Staub, das spart unglaublich viele Kosten und Mühen, uns zu manipulieren. Die Vampire, die durch mentale Kräfte kontrolliert werden, die Insekten-Aliens, bei denen man nur die Königin killen muss, damit sie total dysfunktional werden – das sind wir. Die Hypnose der Macht ist wie Gravitation oder Luft – zu selbstverständlich und allgegenwärtig, um bemerkt zu werden, bis sie fehlt.

    Wenn man sie subtrahiert, wirkt auch der ganze Cannabis-Polit-Zirkus wie das, was er ist – der reinste Kindergarten, bei dem sich kleine, rotznäsige Egomanen super wichtig machen und aus purer Bosheit einander am Zopf ziehen, das Bein stellen oder in die Pfütze schubsen. Auch kleine Kinder denken sich spontan komplizierte, sinnlose Regeln für ihre Spiele aus, bei denen sie so lange mogeln und verdrehen, bis sie sie am Ende selbst nicht mehr durchschauen, und es endet dann doch mit einer Keilerei. Im globalen Maßstab heißt die dann Dritter Weltkrieg, bei uns bleibt es vorläufig beim Schmollen, Rechthaberei und infantiler Rachsucht.

    Das in Paragraphen programmierte KI-System versucht, die Kindergärtnerin zu spielen, Kompromisse zu ermöglichen, aber Kompromisse reichen nicht – was nützt es mir, wenn sich sechs Kinder einigen, dass jedes einen Keks abbekommen soll, wenn sie nur fünf Äpfel haben? Dann machen sie nur Radau und kloppen sich, weil jedes sich von den Anderen beklaut fühlt. Was nützt es mir, Argumente abzuwägen, wenn Glauben und Fakten das gleiche Gewicht haben? Wenn ein Kind beim Lügen erwischt wird, sollte es den Hintern versohlt bekommen. Sonst funktioniert das Ganze nicht.

    Das ist das große Upgrade für die Demokratie, das die Realität derzeit zu erzwingen versucht: Sie will einen Platz am Tisch, den ihr gebührenden Platz, und zwar den Thron für die Kaiserin, die sie ist, denn wenn wir sie mitbestimmen wollen, müssen wir uns ihr beugen. Sie ist der Elefant im Raum, der auf dem Tisch tanzt, ohne dass ihn jemand sehen will, bis er alle niedertrampelt. Wir brauchen Institutionen, die, so gut es eben menschenmöglich ist, Fakten beisteuern und checken, wir müssen sie vor politischer Einflussnahme schützen und verhindern, dass sie selbst zu politischen Akteuren werden.

    Wenn man sich analoge Institutionen ansieht – Orakel, Sterndeuter, Kirchen, die den Willen Gottes deuten, Verfassungsgerichte, die in Heilige Gesetzesschriften Wahrheiten hinein interpretieren, an die keiner gedacht hat, als diese Schriften verfasst wurden – wird das nicht einfach. Jeder kann sich einen Hofzauberer anschaffen, der sein Dafürhalten als objektive Wahrheit und Willen der Götter interpretiert, jeder kann eine Inquisition auf die Beine stellen, die die Ketzer als Lügner brandmarkt.

    Immerhin ist die globale Wissenschaft als Ganzes vorläufig schwer zu korrumpieren. Wenn 100 Wissenschaftler 300 Studien vorlegen und 3 Wissenschaftler ihnen mit 1000 Studien widersprechen, hat man schon einen ersten Eindruck davon, wer bescheißt, ganz besonders, wenn man die Geldgeber prüft. Natürlich ist Demokratie in der Wissenschaft im Grunde Lysenkoismus – die Festlegung der Wahrheit per Mehrheitsbeschluss birgt bei Fachleuten die gleichen Gefahren, wie bei herkömmlichem Wald- und Wiesen-Wähler und -Abgeordneten. Wir haben schon jetzt Ansätze zu einem Wissenschafts-Klerus, bei dem wenige Gurus mit vielen Jüngern den Ton angeben. Wer der Wahrheit dient, soll keine Macht haben außer ihr.

    Wow. Und dieser ganze Hirndurchfall, obwohl ich im Leben nur einmal gekifft habe. Ich kann’s kaum erwarten, was das Kraut noch so aus meinem Resthirn heraus kocht. … Zählt das als Monolog? Nach meinen pervertierten Maßstäben habe ich mich noch kurz gefasst. Aber es ist Ihr SciLog und es gelten selbstverständlich nur Ihre Maßstäbe.

  5. @ der sich an keiner Diskussion beteiligt

    “die Festlegung der Wahrheit per Mehrheitsbeschluss birgt bei Fachleuten die gleichen Gefahren, wie bei herkömmlichem Wald- und Wiesen-Wähler und -Abgeordneten. Wir haben schon jetzt Ansätze zu einem Wissenschafts-Klerus, bei dem wenige Gurus mit vielen Jüngern den Ton angeben.”

    Da haben Sie Antisthenes auf Ihrer Seite:

    Wie Sokrates zählte auch Antisthenes zu den Kritikern der radikalen Demokratie in Athen. Er teilte die Skepsis seines Lehrers Sokrates im Hinblick auf Mehrheitsentscheidungen. Den Athenern riet er deshalb provokativ, durch Volksbeschluss Esel zu Pferden zu erklären. Als sie das unsinnig fanden, meinte er: “Aber genauso macht ihr doch ungelernte Leute zu Feldherrn durch bloßes Händeheben.” Als er hörte, dass er von der Menge gelobt werde, sagte er: “Was hab’ ich denn falsch gemacht?” Scharfsinnig erkannte er: “Die Staaten gehen zugrunde, wenn man nicht mehr fähig ist, die Guten von den Schlechten zu unterscheiden!” Es sei auch absurd, die Spreu vom Weizen zu sondern und im Krieg die Untauglichen auszumustern, von der Politik die Taugenichtse aber nicht fernzuhalten.

    “Wer der Wahrheit dient, soll keine Macht haben außer ihr.”

    In der Tat!

  6. Und für alle die, die ihre Stimme für zu schwach empfinden, sei Nietzsche ans Herz gelegt:

    Der Tau fällt auf das Gras, wenn die Nacht am verschwiegensten ist.
    Die stillsten Worte sind es, welche den Sturm bringen. Gedanken, die mit Taubenfüßen kommen, lenken die Welt.

  7. @ Dietmar Hilsebein:

    “Gedanken, die mit Taubenfüßen kommen, lenken die Welt.”

    Weiß jemand, ob Trump oder Putin Taubenfüße haben? Kleine Hände soll Trump ja haben, aber davon sprach Nietzsche nicht.

  8. In Portugal hat man das ja auch nur insoweit entkriminalisiert, dass man nicht mehr im Knast landet falls mit Zeug angetroffen.
    Der Effekt (bzgl. Drogentote) war wohl signifikant.

  9. Da fragt es sich doch, was das Leben ist, wie wir es gestalten und welche Rahmenbedingungen es uns zulässt und wir sie machen?
    Je älter ich werde, je indigener werde ich wieder.

  10. @Schoppe: Wie meinen Sie das?

    Der völlig unreflektierte Umgang mit Substanzkonsum, speziell Alkohol, hat mich dahin getragen wo ich heute bin.

    P.S. Und danke für das Kompliment.

  11. @ Joseph Kuhn

    Nur in Kürze: Gedanken, die mit Taubenfüßen kommen, richten sich lenkend an eine zukünftige Welt. Wie diese dann aussieht, vermag niemand zu sagen. Mit Bestimmtheit aber läßt sich sagen, daß die Gedankenwelten von Trump, Putin und Co dem Gestern verhaftet sind, eine vergangene Welt, von der sie glauben, sie mit Gewalt erhalten zu können. Daher können Sie davon ausgehen, daß diese Herrschaften über keine Taubenfüße verfügen. 🙂

  12. @Stephan Schleim
    02.04.2024, 08:35 Uhr

    @Schoppe: Wie meinen Sie das?

    “Der völlig unreflektierte Umgang mit Substanzkonsum, speziell Alkohol, hat mich dahin getragen wo ich heute bin.”

    Mir war einfach ums Verrecken nicht klar was ich da tue und warum ich das tue. Im Grunde war zB bei mir der Einstieg in den Alkohol der Umstieg von der Bulimie. Über sowas redet “man” nicht, bei Männern schon mal gar nicht. Da hat mir der Konsum in der Tat sogar erst mal weitergeholfen als ich das verlagert habe. Hat mich sogar schlicht am Leben gehalten.
    In dem Moment hat mir einfach die Möglichkeit gefehlt mich mit meinem Seelenleben auseinander zu setzen, selbst heute ist das Therapieangebot generell in meinen Augen grundsätzlich eher schwach. Mensch hilft sich halt weiter und das hat ja sogar in dem Sinne funktioniert.
    Mir war überhaupt nicht klar warum mein Konsum so ist wie er ist. Das Therapieangebot ist einfach zu schwach aufgestellt. Generell. Bevor sich eine Abhängigkeit entwickelt wäre schon schöner gewesen, ich hoffe ich bin verständlich… 🙂 Manchmal rede ich verquer.

    Ist auch heute noch schwierig eine Therapie für egal was zu bekommen. Und dann sich über entgleisten Substanzkonsum wundern, die Menschen halten sich halt an das was sie haben und therapieren sich so gut es geht aber eben nicht gut.

    “P.S. Und danke für das Kompliment.”

    Gern geschehen, Ich habe dazu gelernt das ich auch sagen darf wenn jemand was gut macht 🙂

  13. @Schoppe: Leben, Probleme, Ursachen, Geschlechtsrollen

    Danke für Ihre Offenheit. Das Folgende steht unter dem Vorbehalt, dass ich hier nur allgemein “philosophiere” und keinen Anspruch auf Gültigkeit für alle Einzelfälle erhebe:

    Nach sowohl meiner persönlichen Erfahrung als auch der wissenschaftlichen Studienlange erscheint problematischer Substanzkonsum oft im Zusammenhang mit (schweren) psychosozialen Problemen. Man sollte weder als Arzt/Therapeut noch als Betroffener dann hinterher allein der Substanz die “Schuld” geben, denn dann behandelt/verurteilt man unter Umständen nur die Bewältigungsstrategie/das Symptom – und übersieht das grundlegende Problem.

    Natürlich kann (schwerer) Substanzkonsum die Probleme verfielfältigen, aufgrund der körperlichen Gesundheit, aufgrund der Ausgrenzung oder auch der weiteren sozialen/finanziellen Schwierigkeiten, in die man dann gerät. Das sind nicht alles Probleme, die man internalisieren (dem Betroffenen in die Schuhe schieben) sollte.

    Je nachdem, wie und wo man aufwächst, hat man mehr oder weniger Möglichkeiten und Defizite. Ich weiß nicht mehr genau, was mich dazu brachte, mit ca. 18 bis 20 meine erste langfristige Psychotherapie zu machen (inzwischen sind es drei geworden), doch es war eine gute Entscheidung und ich hatte auch gleich Glück bei der allerersten Adresse. Ich gehe übrigens noch heute gerne in der Straße in Wiesbaden vorbei und schaue, ob es die Praxis noch gibt. In dem Umfeld, in dem ich aufwuchs, wären die anderen Männer nie zum “Seelenklempner” gegangen. Aber die waren dann auch sehr “männlich?” gewalttätig.

    Dass es für die Geschlechter verschiedene normative Erwartungen gibt, wie ein Leben auszusehen hat, mit (immer noch) auf der einen Seite stärkerem Druck aufs Funktionieren/Geldverdienen und der anderen Erziehung/Pflege, äußert sich natürlich auch im individuellen Leben.

    Eine echte männliche Emanzipationsbewegung hat es nach meinem Dafürhalten bis heute nicht gegeben – und die Gesellschaft hat auch gar kein Interesse daran, was man schon daran sieht, wie solche Bewegungen nach allen Regeln der Kunst im Keim erstickt werden. Aber davon abgesehen spielen natürlich auch die Individuen eine Rolle dabei, wenn sie einander z.B. anhalten, “die Zähne zusammenzubeißen” oder jemanden ignorieren/ausgrenzen, wenn er über seine Gefühle zu sprechen versucht.

    Ich erinnere mich spontan an eine Spiegel-TV-Doku vor kurzem über eine Reihe von Zuhältern auf der Reeperbahn in den 1980ern. Die hatten in ihren 20ern, 30ern, 40ern “erfolgreiche” Zeiten mit Geld, Macht, Frauen, Ansehen. Wer nicht vorher umgebracht wurde, erfuhr in den 50ern dann oft eine tiefe Leere. Einige nahmen sich schließlich das Leben. Gemäß den Aussagen hatten sie niemanden, bei dem sie “ihr Herz ausschütten” konnten. Das ist eben nicht “männlich”.

    In meinem Blog schreibe ich hin und wieder über angrenzende Themen.

  14. @ Schleim

    Eingemachtes: Ich war mal Teil der Öffentlichkeit und man hat sich an mir wegen Männlichkeit, Dominanz und Intelligenz gerieben. Kleinmachen.
    Das bedeutet Konflikte.
    Ich habe mich komplett zurück gezogen.
    Momentan frage ich mich, ob ich zurückkehre und reflektiere das an Feigheit.

  15. @ Schleim

    Profil ist in dieser Gesellschaft nicht erwünscht.
    Und damit spielt z.B. die Kleingeisterpartei AFD…

  16. @Mussi: Rückzug & Rückkehr

    Als ich mich zuletzt intensiver mit den Themen männliche Geschlechtsrollen und Gewalt beschäftigte, das ist bald 10 Jahre her (damals wurde das Strafrecht wieder einmal “verschärft”, denn “Nein heißt nein!”, was im Endeffekt nicht einmal im Gesetz steht), hatte ich ein interessantes Gespräch mit einem “Imker” im Telepolis-Forum. Dieser hatte sich auch zurückgezogen, widmete seine Zeit dem, was ihm wichtig war (eben seinen Bienenvölkern) und genoss ab und zu eine Affäre.

    Sind Persönlichkeiten der Öffentlichkeit wie Habeck, Lindner oder Scholz frei? Was sind deren Lebensziele?

    Ich weiß, wo meine Reise hingeht. Schön wär’s, davon mehr in einer Beziehung zu genießen. But it needs two to tango. Wir werden sehen.

  17. @ Schleim

    Ja, einen Partner oder eine Patnerin, die nicht mehr die Beziehung hinterfragt und strategisch taktisch sieht, ist wünschenswert.
    Das ist …das ist es.

  18. Mögen Sie sagen, wo Ihre Reise hingeht?
    Manchmal ist das schwierig, weil einem dann bewusst Steine in den Weg gelegt werden…

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