Halbzeit: Ein Gallenstein, Antibiotika und Fortschritte in der Medizin

Über Vergänglichkeit und den Umgang mit Unsicherheiten

Es wird persönlich: Ich kam am 18. Oktober über die Notaufnahme für ein paar Tage ins Krankenhaus. Ein großer Gallenstein, von dessen Existenz ich erst seit 14. September wusste, führte schließlich zu einer schweren Entzündung der Gallenblase. Die Schmerzen waren unbeschreiblich.

Die Tage gaben mir aber auch die Gelegenheit zum Nachdenken, für einige philosophische und psychologische Schlussfolgerungen über mich selbst und das Klinikpersonal. Wer sich dafür interessiert, der möge weiterlesen.

Am 16. Oktober hatte ich noch darauf gedrängt, am selben Tag einen Termin beim Hausarzt zu bekommen. Die Assistentin wollte mich erst am Donnerstag zum Arzt lassen. Ich dachte aber, meine Leber sei nun entzündet, und wollte darum gleich kommen. Der Arzt tastete dann meinen Bauch ab, maß Fieber und einen Entzündungswert – und schickte mich dann mit starken Schmerzmitteln, die mich bis zum Tag der Operation rund zweieinhalb Wochen später stabilisieren sollten, nachhause.

Als dann am besagten Donnerstag, den 18. Oktober noch Fieber dazu kam, meldete ich mich abends gegen 22 Uhr telefonisch beim Notarzt. Ich bekam gleich einen Termin für zwanzig Minuten später und schwang mich aufs Fahrrad, schlicht weil das am schnellsten ging. Die Bewegung kommt ja aus den Beinen, nicht aus dem Bauch, sonst hätte ich nicht mehr selbst fahren können.

Der Arzt dort brachte mich nach ein paar Minuten zur Notaufnahme und dort geschahen ein paar Standarddinge: Einschreibung, allgemeine Kontrolle von Blutdruck und so weiter, auch eine Blutabnahme für Entzündungswerte. Der Krankenpfleger kritisierte mich dafür, dass ich keine Schmerzmittel genommen hatte: “So weit musst du es nicht kommen lassen.” Er drückte mir drei Tabletten und ein Glas Wasser in die Hand.

Meine Überlegung war aber gewesen, dass meine Probleme vielleicht nicht ernst genommen werden, wenn ich zum Beispiel mit Paracetamol auch das Fieber senke. Und das morphinartige Mittel vom Hausarzt wollte ich nur als allerletzten Ausweg gebrauchen. Zudem wurde mir gesagt, dass man sich dadurch benommen fühlt.

Die Assistenzärztin nahm mich dann mit auf ein Behandlungszimmer. Da war es gegen 23 Uhr. Auch sie tastete den Bauch ab, maß Fieber (38,7°C) und folgerte daraus, dass ich eine Gallblasenentzündung habe. In diesem Zusammenhang fiel wohl schon das Wort “Aufnahme” (niederländisch opname). Mir war in dem Moment nicht klar, dass das eine Nacht im Krankenhaus beinhaltet.

Ich sage es einmal so: Ich war nicht gerade in Form, hatte die vergangenen Tage zuhause nur im Bett oder auf dem Sofa gelegen. Und ich war die ganze Zeit müde gewesen, vielleicht wegen der Entzündung oder weil ich wegen der Schmerzen nicht hatte schlafen können. Manchmal konnte ich lesen. Manchmal konnte ich fernsehen (danke an die ZDF Mediathek), was ich sonst eigentlich nie tue. Manchmal konnte ich schlicht atmen.

Die Ärztin kümmerte sich dann wohl um einen anderen Menschen. Gegen 23:30/24 Uhr kam sie zurück mit den Laborwerten, die erwartungsgemäß erhöht waren – aber auch nicht “turmhoch” (niederländisch torenhoog). Schließlich übergab sie mich an eine Pflegerin der Notaufnahme.

Erste Nacht im Krankenhaus

Dort bekam ich ein Bett in der Ecke. Ich war der erste Patient. Ausgelegt war das Zimmer für maximal zehn. Im Lauf der Nacht würden noch fünf, sechs Menschen dazukommen, überwiegend Ältere. Ich bekam von zwei älteren Damen mit, dass sie in den 1920ern geboren waren, also um die 90 Jahre alt sein mussten.

Mehrbettzimmer in einem Krankenhaus. Quelle: by-sassi / pixelio.de

Um Mitternacht bekam ich zum ersten Mal intravenös ein Antibiotikum. An Schlafen war wegen der Schmerzen nicht zu denken. Ich drehte und wendete mich. In manchen Lagen hatte ich vielleicht für ein paar Atemzüge Ruhe. Doch dann drangen die Schmerzen wieder mit voller Wucht ins Bewusstsein. Von den Mitteln, die mir der Pfleger gegeben hatte, fühlte ich jedenfalls nichts. Ich weiß noch, dass ich die Stunden zählte und dachte: Um 6 oder 7 Uhr geht es wieder weiter.

Um 6 Uhr gab es dann auch die zweite Spritze mit dem Antibiotikum. Die Pflegerin fragte mich, ob ich geschlafen hätten. Nein, wegen der Schmerzen. “Na, Sie wollten ja auch kein Mittel von uns.” “Weil mir die drei ersten Tabletten auch nicht geholfen haben.” Nach Rücksprache kam sie dann mit einer kleinen grünen Tablette, die sie mir aus der Verpackung in die Hand drückte. Das war dann so ein morphinartiges Mittel; übrigens nur die halbe Dosis dessen, was mir der Hausarzt verschrieben hatte.

Schmerzstillung

Ich fühlte als erstes ein warmes Gefühl im Bauch. Und, ja, nach einer Zeit wurden die Schmerzen geringer. Meine Wahrnehmung wurde aber auch getrübt. Es war so, als würden Eindrücke und Gedanken vorbeikommen, mir das aber nicht auffallen. Und darüber, dass mir das nicht auffiel, wunderte ich mich. Doch auch dieses Wundern fiel mir wiederum nicht wirklich auf. Es war wie in einem Nebel mehr oder weniger bewusster Gedanken. Es überrascht mich nicht, dass man mit diesen Mitteln nicht mehr fahrtauglich ist. Oh, da kommt ein Auto von rechts. Ja, und?

Zur Ultraschalluntersuchung wurde ich dann auch in einem Rollstuhl gebracht. Ich meinte, ich könne zwar laufen, sei aber nicht ganz bei Sinnen. Und ich musste auch so einen Ständer mit der Infusion mitnehmen. Danach wieder zurück. Auf die Toilette und das letzte Stück zum Bett konnte ich dann aber doch selbst laufen. Allmählich klärte sich mein Bewusstsein wieder auf.

Begleiter für ein paar Tage, hier auf der Notaufnahme.

Schließlich kam dann ein junger Chirurg und meinte, sie könnten jetzt nicht operieren, das sei zu gefährlich. Die Entzündung habe auch das umliegende Gewebe erfasst und dann könne es passieren, dass der Chirurg Stücke ab- oder durchschneidet, die er besser unversehrt gelassen hätte.

Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie: Erst setzen mich die Chirurgen für sieben bis acht Wochen auf die Warteliste und schickt mich auch der Hausarzt nachhause – und dann heißt es, nun hätten wir zu lange gewartet. Natürlich waren das Entscheidungen unter Unsicherheit. Hinterher ist man immer schlauer.

Gegen Mittag, 12 Uhr, kam dann die dritte Infusion mit dem Antibiotikum. Das Schmerzmittel verlor meinem Eindruck nach seine Wirkung – und doch blieben die Schmerzen erträglich. Ich denke, dass das Antibiotikum allmählich anschlug. Auf einer Station wurde ein Bett für mich gefunden. Ab hier wurde es dann ein ziemlich normaler Krankenhausaufenthalt.

Eigenes Zimmer

Ich will nicht mehr so viel über Details schreiben, sondern auf ein paar allgemeine Schlussfolgerungen hinaus. Erwähnt sei aber noch, dass die Stimmung auf den Abteilungen vor allem von den Pflegekräften geprägt wurde. Die Ärzte waren eigentlich permanent im Stress. Mehr als einmal kam es vor, dass schon wieder der Pieper ging, als ich gerade eine Frage stellen wollte.

Demgegenüber standen die Pflegerinnen manchmal im Zimmer, es schien fast schon etwas hilflos oder verzweifelt, und fragten, ob sie noch etwas für mich tun könnten. Das war ab dem dritten/vierten Krankenhaustag, als ich wieder zu mir gefunden hatte, nicht mehr der Fall. Das zeigte mir, dass die personalisierte Medizin doch vor allem von der individuellen menschlichen Aufmerksamkeit abhängt, die man bekommt – und nicht von der Modernität der Apparate (Das Gesicht der Personalisierten Medizin).

So kam es dann auch, dass manche Ärzte ein ums andere Mal Medikamente aufschrieben, deren Sinn sich mir nicht erschloss. Der ist mir auch nie erklärt worden. So hätte ich nach ärztlichem Rat bisher dreizehnmal ein Abführmittel genommen; tatsächlich habe ich es einmal verwendet. Und über die Schmerzmittel, die mir drei- bis viermal am Tag gebracht wurden, sagte ich stets: “Die nehme ich nach bedarf.”

Mit dem zunehmenden Drang, das Krankenhaus zu verlassen, hielt ich mich dann aber doch an den Tablettenrhythmus: Die Batterie meines Mobiltelefons war leer und damit auch meine Verbindung zur Außenwelt. Und ich hatte auch sonst keine Sachen von zuhause mit, sehnte mich nach einer normalen Dusche und frischer Kleidung.

Rückblickend versteige ich mich nicht im Denken, dass es auch anders hätte gehen können, wenn dieser oder jener Arzt anders entschieden hätte. Das ist sinnlos. Ohne medizinische Behandlung, ohne das Antibiotikum hätte es auch das Ende sein können: Gallenblase, Leber, Blut, fertig… Es schien mir nicht so, als hätte der Körper dies noch einmal von alleine aufräumen können.

Was bleibt, ist eine philosophische Einsicht und zwei persönlich-psychologische.

Hüte dich vor den Namen!

Wie gefährlich ist es doch, Phänomenen einen Namen zu geben! Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich hier im Dezember über die Phänomenologie einer Grippe schrieb. Heute bin ich mir sicher, dass das damals schon der Gallenstein war, wie viele andere Male davor und danach auch.

Zwischenzeitlich dachte ich sogar an eine Nussallergie. Der Zusammenhang war aber wahrscheinlich so, dass Nüsse viel Fett enthalten, für dessen Verdauung Gallenflüssigkeit nötig ist, die in der Gallenblase gespeichert wird. Wenn ich also viel Fett gegessen hatte, war die Wahrscheinlichkeit höher, dass der Stein gegen den Ausgang der Gallenblase gedrückt wurde – was diese starken Schmerzen verursachte, die sogenannte Gallenkolik.

Meine Identifikation als “Grippe” oder “Nussallergie” oder dann im Juni schon einmal beim Notarzt als “Lebensmittelvergiftung” verhinderte, dass ich das Phänomen genauer untersuchte beziehungsweise untersuchen ließ. Die Schmerzen waren spätestens am nächsten Morgen ja auch immer wieder weg. Dadurch war es einfacher, so zu tun, als wäre nichts. Andernfalls hätte ich die Operation wahrscheinlich schon viel früher haben können und ohne die Entzündung mit ihren Schmerzen; dann hätte ich allerdings auch diese Einsichten nicht gehabt.

Weil man denkt, die Antwort schon zu kennen, sucht man nicht weiter. Dabei ist es nur eine Scheinantwort. Worum geht es uns nun im Leben? Um Pragmatik, ums Funktionieren – oder um echte Erkenntnis? Im letzteren Fall sollten wir uns nicht mit Scheinantworten zufriedengeben. In den ersten beiden Fällen leben wir an der Oberfläche.

Das ist auch eine Unart unserer heutigen Diskussionskultur, dass man dem Gegenüber nicht mehr mit Gründen begegnet, sondern mit psychologischen Kategorien: Er behauptet das nicht, weil an dem Standpunkt etwas dran ist, sondern weil er – wahlweise – ein Verschwörungstheoretiker, Putinversteher, Wutmann, Gutbürger, Troll, ganz klassisch ein Linker oder Rechter oder was auch immer ist.

Man erklärt den Standpunkt des anderen also nicht mehr über dessen Beweggründe, sondern dessen Psychologie. Es ist logisch, dass man den anderen dann nicht mehr ernst zu nehmen braucht. Er wird so aus der Diskussion ausgeschlossen und mit der pseudo-psychologischen Kategorie fegt man den Trick unter den Teppich.

Eine Frau nicht mehr ernst zu nehmen, weil sie “hysterisch” sei, war und ist im Prinzip dasselbe. Jemand lässt sich von seinen Gefühlen mitschleppen oder hat einen psychischen Defekt. Ein vernünftiger Gesprächspartner ist er jedenfalls nicht mehr.

Wort und Phänomen

Es mag schon sein, dass vor Gericht die Feststellung ausreicht: Er tat es aus Rache! Aber wenn wir genauer hinschauen, wie viele Formen von Rache gibt es vielleicht? Vor allem ist das Wort “Rache” nicht die Rache selbst. Vielleicht haben wir (bisher) schlicht keine bessere Kategorie für eine Reihe von Phänomenen und nennen wir es so, was wiederum eine bestimmte soziale Funktion erfüllt, nämlich Verhalten zu erklären und unter bestimmten Umständen zu belohnen oder zu sanktionieren.

In seinem Tractatus Logico-Philosophicus von 1922 schrieb Ludwig Wittgenstein bekanntlich, dass die Grenzen seiner Sprache die Grenzen seiner Welt bedeuten. Dem ist aber nicht so. Die Sprache erfüllt einen Zweck: Verständigung mit anderen Menschen, Erklärung der Welt und ihrer Phänomene. Das kann pragmatisch sein – aber auch gefährlich, wie im Beispiel der “Grippe” oder “Nussallergie”.

Die Ebene der Erfahrungen und Phänomene ist tiefer als die der Sprache. Darüber lässt sich dann nur schwer sprechen und also auch philosophieren. Sie lässt sich aber erfahren. Wem aber an Erkenntnis liegt, der bohrt tiefer, als es die Sprache zulässt.

“Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.” So endet bekanntlich Wittgensteins Tractatus. Das heißt aber nicht, dass es das nicht gibt. Oder dass man nicht darüber tanzen, damit nicht in Kontakt treten, es nicht fühlen oder malen kann.

Persönliches

Eher persönlicher Natur war in solchen Momenten des Krankseins die Einsicht, wie unbedeutend Konsum und Besitz doch eigentlich sind. Für einen Vortrag hatte ich vor Kurzem die aktuellen Zahlen des Einzelhandels herausgesucht, die zeigen, dass wir Deutschen immer mehr ausgeben. Selbst die Finanzkrise hat diesen Trend nicht wirklich unterbrochen.

Noch absurder als die Tatsache, dass wir so viele Dinge besitzen, die wir eigentlich gar nicht brauchen, erscheint mir aber noch ein anderer Gedanke: Wie viel Lebenszeit wir nämlich darauf verwenden, uns diese Dinge leisten zu können – sofern wir nicht zufällig in der Erbschaftslotterie gewonnen haben.

Und diese Einsicht führt dann zum letzten Punkt: Wenn all das Konsumieren, all das Besitzen so vergänglich und vergeblich ist, worum geht es dann doch im Leben? Ich kam jedenfalls zu dem Ergebnis, dass die bisher größten Fehler meines Lebens waren, meine Freundschaften aus der Studienzeit in Mainz und der Promotionszeit in Bonn nicht besser gepflegt zu haben oder wegen Nichtigkeiten zerbrechen zu lassen.

Ein Dankeschön für die Abteilung, auf der ich einige Tage verbrachte. Die Verkäuferin hatte Schwierigkeiten zu verstehen, dass der Blumenstrauß nicht für eine bestimmte Person war, sondern für die ganze Abteilung.

Ich war damals selbst so von der Arbeit besessen, dass mich die vielen Umzüge, die vielen Neubeginne nie gewundert haben. Selbst wenn ich Mal um Mal verbrannte Erde zurückließ, würde ich am neuen Ort sicher wieder grüne Wiesen vorfinden.

Es ist schwer, aus einem altbekannten Muster auszubrechen. Vielleicht hätte es geholfen, wenn mir früher jemand einen Spiegel vorgehalten hätte. Wie dem auch sei: Ich kam allgemein auch zu der Einsicht, wie wichtig Meditation doch ist, dieses Loslassenkönnen der eigenen Gedanken, Ängste, Gefühle und Überzeugungen und schließlich das vollständige Akzeptierenkönnen dessen, was dann noch übrig bleibt.

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32 Kommentare

  1. Solange man jung und gesund ist, hält man sich für unsterblich.
    Akute Erkrankungen führen uns auf den Boden der Wirklichkeit zurück.
    Den Gedanken, dass unser Ahnen und Glauben tiefer geht als unser Wissen, das hatte schon E.T.A. Hoffman vor 200 Jahren. Und wenn wir wieder der Irrationalität und dem Gefühl mehr Raum geben, dann tut das unserer Psyche gut.
    Was das Konsumieren angeht. Das darf man nicht so negativ sehen. Man kann nur ein Kotelett essen. Und wenn man sich seinen vollgestopften Keller betrachtet, dann sollte man bedenken, dass jeder (überflüssige) Gegenstand einen anderen Menschen in Arbeit und Brot versetzt hat. Luxus des Einen hat also auch eine positive Seite.

  2. Notaufnahme habe ich auch schon hinter mir.Und ähnliche Gedankengänge.
    Erst durch das persönliche Erleben wird der Mensch wahrscheinlich wach und kommt zu “heilsamen” Erkenntnissen.Durch meine tägliche Meditation sehe ich,was für Gedanken und Gefühle mich beherrschen bzw. beherrscht haben. Es sind Fremdprogranmme,die mir einstmals Menschen(Eltern) und Gesellschaft eingegeben haben und mit denen ich mich identifiziert habe. Man fühlt sich freier,wenn man diese fremden Muster erkennt und damit letztlich sich Selbst.Leben sollte man nicht ,so meine Erkenntnis, über den Besitz materieller Werte definieren.Letzteres ist aber ein existenzieller GrundWert dieser Gesellschaft….

  3. Erstaunlich zu was für grundlegenden Einsichten sie als vor kurzem Kranker und nun Genesender kommen. So eine Episode ist vielleicht wie eine (kleine) Wiedergeburt.
    Zustimmung zu: Die Sprache erfüllt einen Zweck: Verständigung mit anderen Menschen, Erklärung der Welt und ihrer Phänomene.
    Die Ebene der Erfahrungen und Phänomene ist tiefer als die der Sprache. Darüber lässt sich dann nur schwer sprechen und also auch philosophieren. Sie lässt sich aber erfahren. Wem aber an Erkenntnis liegt, der bohrt tiefer, als es die Sprache zulässt.

    “Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.” So endet bekanntlich Wittgensteins Tractatus. Das heißt aber nicht, dass es das nicht gibt. Oder dass man nicht darüber tanzen, damit nicht in Kontakt treten, es nicht fühlen oder malen kann.

    Genau das denke ich schon lange. Wobei es eigentlich kein besonderer Gedanke ist, denn es sollte doch klar sein, dass es etwas hinter der Sprache geben muss. Es sollte doch klar sein, dass die Sprache nur ein Kommunikationsmittel ist – zudem nur eines unter mehreren. Warum dann hören wir immer wieder Sprache sei das, was den Menschen ausmache und Denken sei eigentlich nichts anderes als mit sich selbst sprechen? Wohl weil wir uns selber immer mehr als Elemente in einem Kommunikationsraum sehen und in diesem Raum gibt es vor allem andere Menschen und falls man mit sich selber spricht oder falls man denkt oder ein Selfie von sich selbst für sich selbst macht, dann kommuniziert man im Rahmen dieses Kommunikationsraumskonzepts einfach mit einem speziellen Menschen – nämlich sich selbst.
    Dabei bin ich überzeugt, dass gerade gute Schrifsteller – Menschen also für die die Sprache zum Beruf gehört – sehr gut wissen und auch fühlen, dass es einen fast unendlich grossen Raum hinter der Sprache gibt und dass die Kunst des Schreibens eben gerade darin besteht, etwas von diesem Raum hinter der Sprache in der Sprache anzudeuten, in der Sprache durchscheinen zu lassen.

    Gute Besserung noch (falls die nicht schon stattgefunden hat).

  4. Wo ist der Stein jetzt? Hab ich’s überlesen?

    Jedenfalls: Gute Besserung, Stephan!
    Und: Wir sollten uns mal wieder sehen (so lange wir noch laufen können :). Unbedingt!

  5. Na, durch diesen Prozess SO sensibilisiert, solltest Du möglichst schnell eine Ausserkörpererfahrung haben. Allerdings weiß ich, dass das nicht SO einfach ist 😊

  6. @Novidolski

    “Akute Erkrankungen führen uns auf den Boden der Wirklichkeit zurück.”

    Und wenn man dann auch noch erkannt hat, dass die Wirklichkeit tatsächlich nur von Bewusstseinsschwäche und Bewusstseinsbetäubung betrieben wird, dann schreibt man wirklich-wahrhaftig keinen weiteren Blödsinn über Bewusstseinsbetäubung und die konsum-/profitautistischen Abhängigkeiten anderer!?

  7. Termin beim Hausarzt?
    Also bei uns hier braucht man beim Hausarzt keinen Termin und das ist auch gut so.
    Bei Fachärzten natürlich schon.

  8. hto
    “Boden der Wirklichkeit” ist nur eine Metapher für die existenziellen Dinge. Dazu gehört die Gesundheit. Wenn du krank bist, kannst du nur noch eingeschränkt objektiv denken und urteilen.
    Was du Bewußtseinsbetäubung nennst, das gibt es natürlich unter dem Namen “Kultur”.
    Sie ist der Filter, unter dem wir die Wirklichkeit wahrnehmen.
    Können wir der Kultur entfliehen? Ja, aber auch nur eingeschränkt, wenn du ein Einsiedler wirst. Wenn man diese Lösung verallgemeinert, dann hört die Menschheit auf, zu existieren. Das ist auch nicht im Sinne der Evolution.
    Also, fügen wir uns den Gegebenheiten und machen das Beste aus der Situation.

  9. Nachtrag hto,
    Wenn du dich mit Außenkörpererfahrungen weiterbilden willst, dann lies doch mal “Der Goldene Topf” von E. T. A. Hoffmann. Das sprengt deine Phantasie.

  10. Gute Besserung Herr Schleim. Und als ehemaliger Psychologiestudent aus Groningen kann ich nur sagen, dass sie in Ihrem Job, besonders im Umgang mit den Studenten und mit den Kursen, die sie leiten einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben!

  11. Erstaunliche Schlußfolgerungen zu Wittgensteins Anbschlußsatz und Aussage übr die Sprache als Grenzen seiner Welt.

    Das aber habe ich ihnen bestimtm schon vor Jahren einmal ähnlich erklärt, das Wittgensteins autoritäres Diktum Selbstbeschränkung ohne Not ist.

    Das mag allenfalls noch fürs Kind halbwegs gelten. Aber wer weltwach wird, sieht Dinge, die noch kein Begriff im Wortschatz sind. An der Stelle wird Wittgensteins Aussage zum Diktum, weil man dann ja die Welt ignorieren müsste, damit es erfüllt ist.

    Vielen fällt das ja leicht. Leider.

    Und dann gibts ja noch die Begriffe, wie sie mit den ganzen “-ismen” beschrieben werden sollen. Wer es genau bedenkt, erkennt darin schon wieder autoritäres Diktum. Nämlich, wie die Welt zu beschreiben sei. Vieles davon taugt auch wenig, um die Welt zu verstehen. Aber Weltbilder entstehen daraus dann trotzdem. Auch wieder “leider”.

    Also, Witttgenstein fürn Arsch.

    Ich weiß nicht, wie es bei Wittgenstein war. Er soll ja irgendwann als Landschullehrer “ausgestiegen” sein. Um ein Paar Jahre später wieder den Einstieg zu suchen.

    Vielleicht hatte er sein Tractatus fertig, und dann anhand seines Abschlußsatzes die ganze Sinnlosigkeit seiner Existenz nicht verkraftet und ist dann einfacher Lehrer auf dem Lande geworden?
    Ich weiß nicht. Kenne seine Biografie nicht gut genug.

    Ansonsten gute Besserung.

    Haben sie übriegens neben den vermeindlichen Anzeichen für den Gallenstein (Grippe, Lebensmittelvergiftung) über dier Zeit auch eine auffällige Zahnsteinbildung bemerkt?

  12. @Novidolski: Schattenseite des Konsums

    Danke für Ihre Gedanken.

    Ihre Rechtfertigung des Konsums will mir aber nicht so recht schmecken; und damit meine ich nicht, dass ich Vegetarier bin und Sie von einem Kotelett schrieben.

    Der Konsum versetzt andere Menschen in “Arbeit und Brot”, schreiben Sie. Dazu fällt mir erstens ein, dass das in vielen Fällen schlicht Proletarier sind: Denken wir an die Menschen in Discountläden, an die Verpacker bei Amazon & Co., an die Paketlieferer, an die vielen über Zeitfirmen vermittelten Leiharbeiter… Mit anderen Worten, diese Menschen verdienen gerade so genug, über die Runden zu kommen, für die immer teureren Mieten, für die steigenden Lebenshaltungskosten. Was wir mit Konsum in diesem Fall tun, ist also schlicht Symptombehandlung. An den strukturellen sozialen Problemen der heutigen Arbeitswelt ändert sich dadurch nichts.

    Zweitens denke ich auch an die Umwelt. Wie es gestern ein Lehrer in Amsterdam treffend formulierte: Wir essen diesen Planeten auf. Der Konsum zerstört wertvolle Ressourcen, von denen viele auch nicht in unserer Lebenszeit nachwachsen werden, und verschmutzt die Umwelt. Das ist eine klarer Indikator dafür, dass die von Ihnen vorgeschlagene Symptombehandlung sehr schnell an ihre Grenzen stößt – und es mehren sich ja die Anzeichen an verschiedenen Orten der Welt und auch bei uns, dass die Natur so immer mehr aus dem Gleichgewicht gerät.

  13. @Golzower: Fremdprogramme

    Es sind Fremdprogranmme,die mir einstmals Menschen(Eltern) und Gesellschaft eingegeben haben und mit denen ich mich identifiziert habe. Man fühlt sich freier, wenn man diese fremden Muster erkennt und damit letztlich sich Selbst.

    Sehr interessant – und was bleibt übrig, wenn man all die fremden Programme abzieht?

  14. @Holzherr: Sprache

    Warum dann hören wir immer wieder Sprache sei das, was den Menschen ausmache und Denken sei eigentlich nichts anderes als mit sich selbst sprechen?

    Vielleicht, weil auch diese “Einsicht” ebenfalls in einem sprachlichen Medium kommuniziert wird?

    Stellen wir uns vor, Philosophen, Psychologen und auch psychologisch gesinnte Neurowissenschaftler kommunizierten nicht mehr in wissenschaftlichen Fachzeitschriften (also sprachlichen Medien), sondern säßen in ihren Büros und betrieben Introspektion oder Meditation… Die bekämen dann schnell Ärger mit der Qualitätskontrolle!

  15. @Markweger: Hausärzte in den Niederlanden

    Tja, da kennen Sie das niederländische Gesundheitssystem nicht.

    In rund acht Jahren war das jetzt das erste Mal, dass ich noch am selben Tag zum Hausarzt konnte. In der Regel muss man mindestens ein bis zwei Tage warten. Mit solchen Problemen wie einer Grippe braucht man aber erst gar nicht zu kommen, da wimmelt einen die Assistentin am Telefon ab: Zuhause im Bett bleiben und gesund werden.

    Wissen Sie, am Anfang fand ich das sehr schlimm. Inzwischen sehe ich aber auch die Vorteile davon. Der wesentliche Unterschied, den man bedenken muss, ist aber auch der, dass man hier keinen gelben Schein vom Arzt braucht: Sprich, ein Arbeitnehmer kann sich selbst krank melden und bekommt dann nach ein paar Tagen bis einer Woche die Frage vom Betriebsarzt, was los ist. Der bestimmt dann aufgrund der Reaktion das weitere Vorgehen.

    Wenn Sie mich fragen, so ist das wesentlich entspannter und es gibt nicht dieses Wettrennen und sinnlose Warten im Wartezimmer… Und dass dies von den Arbeitnehmern missbraucht würde, habe ich in all den Jahren hier auch noch nicht gehört.

  16. @HHof: Danke für den freundlichen Gruß und ich hoffe, dass es nach dem Studium gut bei Ihnen weiterging! Bis zur Neuauflage meines Kurses “Philosophy of Psychology” Mitte November bin ich die Gesundheitsprobleme hoffentlich endlich los.

  17. Zu Stephan Schleim:
    “Und was bleibt übrig wenn man all diese fremden Programme abzieht ?”
    Dann bleiben sie SELBST übrig.
    In der Meditation ist dieses SELBST der neutrale innere Beobachter/Betrachter all der Innen-und Außenreize (Gedanken/Gefühle.)
    Wenn dieses SELBST erkennt, was für nützliche und unnützliche Gedanken und Gefühle ihn antreiben, also unbewusste Konditionierungen, kann es neue Bewertungen zulassen(Arbeit mit dem Unterbewusstsein).

  18. @Golzower: Selbst

    Sie sind nicht zufällig ein Freund indischer Philosophie?

    Und falls ja, wie erklären Sie sich, dass dieses Land mit Siddhartha Gautama vor rund 2.500 Jahren einen Weisen geboren hat, der schlicht meinte, so ein Selbst gebe es gar nicht?

  19. Stephan Schleim
    Schattenseiten des Konsums

    Bei diesem komplexen Thema muss man genau differenzieren zwischen dem Verbrauch an Ressourcen, der Verteilung der Arbeit und den Nutzniesern dieses Systems.

    Ich selbst esse sehr wenig und wir werfen auch keine Lebensmittel weg, das ist eine Sünde. Die Ressourcen sind begrenzt , siehe das Beispiel des Fischfangs.
    Das war auch nicht gemeint.

    Und mit Konsum meinte ich nicht nur Lebensmittel, sondern auch Güter. Und die Produktion von nützlichen und unnützlichen Gütern kurbelt die Wirtschaft an, das heißt, sie schafft Arbeitsplätze. Und darum geht es in der Industriegesellschaft. Die gerechte Verteilung der Güter und die gerechte Verteilung der Arbeit.
    Wenn das der Staat organisiert, dann nennen wir das Sozialismus.
    Wenn das der Privatmann organisiert, dann nennen wir das Kapitalismus.
    Dass es dann Reiche und Arme gibt, das bleibt unvermeidlich. Die Aufgabe des Gesetzgebers ist, hier das notwendige Korrektiv zu sein.

    Ethisch bedenklich wird es erst, wenn Menschen wegen der ungerechten Verteilung sterben müssen.

    Was zur Ehre des deutschen Sozialsystems gesagt werden muss : Begeben Sie sich mal in ein englisches Krankenhaus. Dann ist man froh ein Deutscher zu sein.

  20. Zu St.Schleim:(SELBST)
    Letztlich geht es bei all den von ihnen angegebenen indischen Denkweisen doch nur um Konditionierungs-und Mannipulationsformen unseres Denkens.Buddha hat,so mein Empfinden, mit seiner WeltSicht der Nihilierung(NichtSelbst) doch nur eine Art altehrwürdiger “Psychotherapie” entwickelt, in dem er den Menschen ihre Ängste nehmen konnte und den Urzustand des Seins,Aufhebung aller Spannungen im Geist und im Körper,was auch andere Religionen propagieren,lehrte. Die Nihilierung des SELBST schafft Freiräume für Neubewertungen im Denken (Die Nicht-Erfahrung). In dem ich etwas “nicht erfahre”, schaffe ich in mir Neubewertungen alter Leid-Muster . Anderseits sehe ich bei der indischen Philosophie ein SELBST, was diese Neubewertung bewusst erfährt, da das ICH diese Schritte der Erkenntnis nachvollziehen kann.Beide Wege wären für mich hilfreich..

  21. @Novidolski

    “… das Beste aus der Situation machen.”
    – “… gebt dem Kaiser was des Kaisers ist …” 😉

    Und über Ausserkörpererfahrung könnte ich selbst ein Buch schreiben 😄 Du würdest dich wundern wie wenig das mit Phantasie zu tun hat 😏

  22. @Novidolski: Industriegesellschaft

    Klar, es gibt immer schlechtere Länder, sofern man nicht im Schlechtesten lebt, also nicht gerade Chad, Südsudan oder Niger, um ein paar Schlusslichter des Human Development Index zu nennen. Argumentativ bringen einen solche Vergleiche nicht weit; aber ja, ich bin froh, dass ich Deutsch-Niederländer bin.

    Wenn man innerhalb der Industriegesellschaft argumentiert, dann haben Sie Recht; ich wollte den Blick dafür weiten, was die planetaren Kosten dieser Gesellschaftsform sind. Dann ist gar nicht mehr so deutlich, dass Güter oder Arbeitsplätze gut sind.

    Lesetipp: David C. Korten (2015): Change the Story, Change the Future: A Living Economy for a Living Earth.

    Korten war früher Professor an der Harvard Business School und ist immer noch Mitglied des Club of Rome.

  23. @Golzower: vage

    Dass man sich seiner Denk- und Verhaltensmuster bewusst werden sollen, um in seinem Leben etwas zu ändern, das sehe ich auch so.

    Ihre Ausführungen zum Selbst finde ich aber doch etwas vage; oder anders gesagt: Ich kann Ihnen da nicht so ganz folgen.

  24. Siddartha – Ja, so ein Selbst kann es in der Realität des geistigen Stillstandes nicht geben, so wie Mensch auch noch keine Seele haben kann 😄

  25. Stephan Schleim
    danke für die Bewußtseinserweiterung. Außerhalb der Industriegesellschaften leben auch noch Menschen, die wir vergessen haben.
    Wer ist aber bereit die Industriegesellschaft zu verlassen mit allen Konsequenzen?
    Wie heißt es so schön: Zuerst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.

  26. Wer ist aber bereit die Industriegesellschaft zu verlassen mit allen Konsequenzen?

    Alles ist veränderlich und verändert sich auch wirklich. Dass die heutige Form nicht ewig weiter bestehen kann, ergibt sich allein schon aus der Begrenztheit der Ressourcen, noch einmal ganz unabhängig von sozialen Herausforderungen oder dem Klimawandel.

    Es ist also eine Einsicht in eine Notwendigkeit, dass diese Industriegesellschaft nicht ewig bestehen wird; dann wäre es doch angemessen, sich konstruktiv über die Form des Danach zu verständigen.

    Wie heißt es so schön: Zuerst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.

    Darum ja auch der Vorschlag Kortens: Ich sehe jedenfalls keinen Grund, warum Fressen und Moral unmöglich sein sollten.

  27. Gruselige Wahlergebnisse

    Die Grünen und die AfD sind zur Zeit auf dem Vormarsch, wenn die mal maßgeblich mitregieren, kommen vermutlich Probleme auf uns zu.

    Bei der AfD hätte ich Angst, dass sie unsere Kulturarbeit in der Selbsthilfe als kranke Unkultur erschwert, und dass sie psychisch Kranke im Zweifelsfall einfach wegsperrt. Perspektivisch wäre mit der AfD auch eine grundsätzliche Beschneidung der Demokratie und der Meinungsfreiheit zu befürchten.

    Bei den Grünen ist meine Angst noch konkreter: eine deutliche Erhöhung der Tabaksteuer ist zu befürchten als erste Maßnahme gegen die verhasste Unterschicht, zu der wir als psychisch Kranke meistens leider auch gehören. Dazu dann eine weitere Erhöhung der Strompreise, und mittelfristig rechne ich bei den Grünen auch mit neuen Bauvorschriften, die das Bauen noch teurer machen werden, und uns so noch mehr in Wohnungsnot bringen könnte. Die Förderung von Bio-Anbau würde ich eher positiv sehen, aber auch mit dem Risiko, dass Fleisch noch extra teuer gemacht wird, damit wir weniger Fleisch essen, weil das ethischer sei, nur wenig Fleisch zu essen. Wer ohnehin wenig Geld hat, darf dann ganz besonders ethisch essen.

    Was den Klimaschutz angeht, befürchte ich auch mit den Grünen wenig Fortschritte, weil Maßnahmen wie Elektroautos ohne eine Umstellung auf Fahradverkehrsvorrang in den Städten und noch viel mehr Solarpaneele im eher bewölktem Deutschland nur teuer sind, und aufgrund dieser kostenbedingten Wirtschaftstätigkeit klimaschutzmäßig wieder ins Leere laufen. Alle Klimaschutzmaßnahmen, die das Leben nicht teurer machen, sind mit den Grünen erfahrungsgemäß nicht zu machen. Wie bei den Volksparteien sowieso, beschränkt sich auch grüne Politik hauptsächlich auf Wirtschaftsförderung. Das kann man gut finden, ich finde das aber nicht gut.

    Ich bin für ein entspanntes und naturverträgliches Leben. Sehr viel weniger Verschwendung, dafür mehr Zeit für Kunst, Kultur und für viel mehr Beschäftigung mit der Natur, vor allem im Sinne der Lebensqualität für uns Menschen. Exportweltmeister sein ist heute so überflüssig wie sonst was. Wir brauchen eine nationale Steuerpolitik, die eine wachstumsfreie Wirtschaft möglich macht, und sogar eine Gesundschrumpfung auf ein Leben jenseits ausufernder Verschwendung ermöglicht. Dafür brauchen wir mehr Kapitalertragssteuer und weniger Lohnsteuer und natürlich ein bedingungsloses Grundeinkommen, dann geht das auch. Europaweit brauchen wir vor allem wirkungsvolle Gesetze gegen die Verschiebung von Unternehmensgewinnen an Tochterfirmen in Steueroasen, alles andere an Europa ist eigentlich nicht so wichtig. Wenn man mal davon absieht, das die EU dazu führt, dass wir hier keine Kriege mehr gegeneinander führen. Das ist natürlich auch richtig wichtig, erfordert aber eigentlich keine wirkliche politische Arbeit der Europapolitiker. Die sollten sich auch mal mit Vorschriften zurückhalten, die keine Europaebene brauchen, auch wenn sie dann kaum noch was zu tun haben.

  28. @ Novidolski
    30. Oktober 2018 @ 20:07

    Zitat:
    Wer ist aber bereit die Industriegesellschaft zu verlassen mit allen Konsequenzen?

    -> Mit “Fressen und Moral” hat das wenig zu tun, wenn man in eine Gesellschaft und ihre Bedingungen hineingebohren wird, hineinwächst und gar nicht mehr anders kann, als weiterhin darin zu leben.

    Es entsteht eine Unfähigkeit zur Alternative. Allein aus Unwissen, wie die dann funktioniert.

    Wer den Luxusaspekt dieser Szenerie hervorhebt, hat schon mal nicht verstanden, wie subtil uns die Umwelt selbst festlegt, in der wir herranwachsen. Das ist eine Folge der Arbeitsteilung in der modernen Gesellschaftorganisation. Sie lernen nur, was sie lernen sollen, um die Gesellschaft am Funktionieren zu halten, aber nicht, was man als Einzelner für sich viel besser lernen sollte.

    Es wurde viel davon geredet, wie es keine Gesellschaften gäbe, sondern nur Individen. Aber das Problem daran ist immer, wenn man beginnt, davon zu reden, tut man das nur, weil ein Mangel besteht. Das meint: Wenn eine Population um Freiheit, um Individualität, um Gesundheit, um “Bildung” um allerhand Dinge beginnt zu streiten und Ansprüche zu bekommen, liegt die Ursache dessen darin, dass es einen Mangel bei all den Details gibt.

    Sie wissen schon: Wer zu viel über Sex redet, der hat keinen…(ausser vielleicht der Jugendliche im Sturm und Drang, der über Sex redet, weil er “gefühlt” zu wenig davon hat, oder eben ob seiner neuen “Affinität” das Thema erstmal “verarbeiten” muß).

    Niemand geht zum Apotheker und sagt: Ich brauche KEINE Schmerztabletten.

    Daraus ergibt sich, das, wenn die Menschen ausschweifend über Freiheit in der Gesellschaft reden, nur gerade nicht, dass, wie viele seltsame Menschen sagen, wir in der “freiesten Gesellschaft” aller Zeiten leben.

    Das Individuum ist hierbei der Lockruf zur “Kooperationsverweigerung” mit seinem Mitmenschen. Diese aber ergibt dann, dass man die gesellschaftlich angebotenen Möglichkeiten nutzt, die einem erst in die Abhängigkeit bringen, aus der man später nicht wieder herraus kommt, wenn man dadurch sein soziales Umfeld erstmal verlustig gegangen ist und damit die darin reifende souveränität über die Lebensfähigkeit.

    Die Hingabe in Systeme ist kein Freiheitszuwachs für den einzelnen Menschen, wie uns erklärt wird. Vor allem nicht, wenn sie dazu führt, dass die kleinen sozialen Gruppenbeziehungen dadurch zerstört werden.

    Und so ist “Individualismus” die Aufforderung sich vom jeweiligen “nächsten” Mitmenschen zu distanzieren, weil dann, so die suggestion, die wahre Freiheit für uns zugänglich wird.
    Das dies eine böse Falle ist, weil diese Strategie in die Abhängigkeit von Großsstrukturen führt, merken die meisten gar nicht, und reden sich ein, das sie das Beste draus machten.

    Die einzelne Ameise merkt es ja auch nicht, wie sie wie ein ideales Rädchen im System der Kolonie so funktioniert, wie es die “Gesellschaft” will/braucht, anstatt wirklichen Individualismus zu ermöglichen.

    Das meiste Gerede in der Politik ist eben…. “Neusprech”, wie es uns der saagenumwobene Roman “1984” schon vor vielen Jahrzehnten erklärt hat. Jede politische Äußerung mit Geltungsanspruch hat immer einen vorgeschobenen Aspekt (das Nudging), und den Hintergedanken einer “Großstrategie”, der sich daraus ergibt, wie das Denken daran orfientiert ist, das “System als Ganzes” am laufen zu halten oider es “effizienter” zu gestalten. Und in solchen Großstrategien spielt der Einzelne eben keine Rolle. Er ist da nur ein Zähler in der Menge, den man in der statistisch zu erwartenden Selektion durch den Großprozess schlicht vernachlässigen kann.

    Zu erkennen daran, wie “ökonomisch” in den Statistiken gezählt wird: “Unterm Strich” ist dort, wo der Einzelne nichts mehr zählt. Der “Opportunismus” ist in solchen Entscheidungsfindungs-Strategien symptomatisch. Und im Lichte des “Gewinns” lassen sich vorzüglich alle Verlierer ignorieren. Die Menschen stellen sich nämlich sehr gerne in die Sonne und baden ihre Seele im Erfolg eines unerbittlichen Selektionsprozesses, über dessen Opfer niemand mehr redet.

  29. Zu St. Schleim:”Einsicht in die Notwendigkeit”
    Diesen Spruch kenne ich aus der DDR-Zeit. Er impliziert, dass das Individium sein Ego,seine egoistischen Ziele, einem gemeinsamen Ziel unterordnet,was ich nicht schlecht finde,aber wohl Illusion ist. Einsicht in die Notwendigkeit wäre, dass die Menschen ,um einer drohenden Klimakatastrophe zu entegehen, Enthaltsamkeit in Sachen materieller Verschwendung üben. Oder das in den Ländern der Dritten Welt Familien nicht zehn sondern nur zwei Kinder zeugen,da sie damit notgedrungen Hungerkatastrophen erzeugen. Solche “Einsichten” können sie von Menschen wahrscheinlich nicht erwarten, da jeder zuerst an sich denkt und das Gemeinwohl dem Eigenwohl unterordnet. Die Bibel hat dafür die Metapher vom Tanz um das goldene Kalb. Dieser Tanz hat inzwischen hysterische Ausmaße angenommen…

  30. hto
    Zynismus, wie unterscheidet er sich vom Realismus ?
    Bleiben wir auf dem Teppich. Keiner kann so einfach aus seinem Kulturkreis heraus, dafür sind die sozialen Verpflichtungen viel zu groß. Wir können immer nur kleine Schritte machen, in die richtige Richtung, damit meine ich die Unterstützung demokratischer Kräfte. Nur die erlauben die richtige Richtung.

    demolog
    Fressen und Moral, das war eine Redensart , ich glaube von Berthold Brecht , der noch an den Sozialismus glaubte. Und der im Sozialismus die Überwindung des privaten Egoismus sah.
    Wir sind jetzt desillusioniert und schon froh, wenn wir die sozial Benachteiligten nicht noch mehr ins gesellschaftliche Aus drücken. Was ich aber befürchte. Man beachte nur die Mietpreisentwicklung. Unsere Politiker geben hier nur Lippenbekenntnisse ab. Den Betroffenen hilft das nicht. Es ist doch interessant, dass Parkhäuser im Übermaß gebaut werden aber zu wenig Mietshäuser.

  31. @Golzower: Einsicht & Absicht

    Dass sich jemand, der nicht weiß, wie er den nächsten Tag, die nächste Woche, den nächsten Monat, das nächste Jahr überlegt, kaum für Umweltschutz begeistert, das wundert mich vom menschlichen Standpunkt kaum.

    Wichtig ist doch die Einsicht für uns, dass der Afrikaner auch deshalb so arm ist, weil wir mit sogenannten Freihandelsverträgen und Subventionen unserer eigenen Produkte seinen Markt kaputt machen und seinem Land Chancen nehmen, auf eigenen Beinen zu stehen. (Das ist dann, nebenbei bemerkt, auch eine der Fluchtursachen, von denen die Regierung seit Jahren behauptet, sie bekämpfen zu wollen.)

    Mit anderen Worten: Wir können dem Afrikaner vielleicht nicht unmittelbar erklären, warum Umweltschutz für ihn wichtig ist – aber wir (als Land) könnten durchaus damit aufhören, sein Land kaputt zu machen. Obwohl diese zerstörerische Politik nach innen wie außen bekannt ist, wählen wir immer wieder dieselben Politiker ins Amt, damit sie uns repräsentieren (jein, ich habe nach der Katastrophe 1998 nur noch Opposition gewählt).

    Jeder Mensch hat in seiner Umgebung Faktoren, die sein Verhalten beeinflussen, der Afrikaner genauso wie wir. Bei uns sind es eben auch Journalisten, Funktionäre, Investoren, Eigentümer…, die das Märchen von des Kaisers neuen Kleidern immer weiter singen, weil es ihnen/uns nutzt und das Gewissen beruhigt. Oh was sind das für schöne neue Kleider!

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