Wie Ariel mit #SharetheLoad Geschlechterrollen in Indien aufbrach

Wenn immer ich mir derzeit etwas Zeit nehmen kann, schmöckere ich in “Frenemies” von Ken Auletta über den digitalen Umbruch der Werbeindustrie. Mich interessieren dabei vor allem auch immer die Aspekte, die meinen eigenen Vorurteilen widersprechen.

Cover von “Frenemies” (2018) von Ken Auletta

Und einige Aha-Momente habe ich schon zu verdauen, zum Beispiel…

  • Dass der globale Werbemarkt derzeit auf rund 2 Billionen (2.000.000.000.000) Dollar pro Jahr geschätzt wird. Durch die massive Ausbreitung der Internetkonzerne brechen dabei die Erlöse von Zeitungen, Radio- und Fernsehstationen, klassischen Werbeagenturen usw. ein.
  • Dass ausgerechnet das kommunistische China den Einsatz von AdBlockern verboten hat.
  • Dass ausgerechnet die Waschmittelmarke Ariel mit einem Werbespot unter #SharetheLoad einen Hit gelandet hat, der überholte Geschlechterrollen hinterfragte und zu einem Umsatzanstieg von 70% im ersten Jahr führte.

Nun erinnerte ich mich an Ariel nicht nur aus der eigenen Jugend, sondern hatte als Religionswissenschaftler auch im Blick, dass der Name auf einen Engel verweist. Dennoch war für mich vorbewusst klar, dass Waschmittelwerbung immer wieder nur überholte Geschlechterrollen reproduzieren würde, nach dem Motto: Immer lächelnde, adrett gekleidete Mama managt traumhaft bunte Kleidung und wird dafür mit Kinderlachen und Küsschen vom Hauptverdiener belohnt.

Und dann las ich plötzlich, das sich Ariel in Indien für einen ganz anderen Weg entschieden hatte: In den Boomstädten dort entsteht eine Mittelschicht aus Doppelverdienern mit nur noch wenigen Kindern. Noch immer aber wirken – auch – dort die Geschlechterrollen aus der dörflichen Agrarwirtschaft nach, nach denen die Arbeit des Ehemanns “draußen” erledigt werde und “er” zuhause Anrecht auf Rundumversorgung habe.

Und dann strahlte Ariel diesen Spot unter dem Hashtag #SharetheLoad aus:

Diesen Aha-Moment wollte ich gerne mit Ihnen & Euch teilen. Was meinen Sie, was meint Ihr dazu?

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

28 Kommentare

  1. Schon interessant, daß dieser Werbespot in Indien spielt. Denn genau dort haben es Frauen noch schwerer als hier (denke ich).

  2. Die Werbeindustrie kann nicht nur verkaufen und zum Konsum animieren, sondern Gesellschaften(Menschen) auch prägen.Sie übernimmt damit eine Art “Kulturfunktion” im positiven wie im negativen Sinne.Werbungen können unterschwellig eine Vielzahl von Botschaften transportieren,was in Zukunft wahrscheinlich auch die Politik erkennen wird.Stellen sie zum Bsp. in einem Werbetrailer ein Bild von Goethe in den Hintergrund -und schon fragen sich viele: Wer ist das – und lesen ihn vielleicht sogar.Werbung kann,da sie alle Menschen auf dieser Erde erreicht, materielle und kulturelle Werte bzw. Wertvorstellungen und GrundGefühle prägen. Im gewissen Sinne führt sie dann auch zu einer “Uniformierung” der Menschen .

  3. @Golzower: Ja, es gibt auch politische Werbung und diese arbeitet mit ganz ähnlichen Methoden wie die kommerzielle: Der Verführung einmal, der Aktivierung verborgener Wunschvorstellungen und der Überraschung. Überraschen muss die Werbung, damit sie wahrgenommen wird, damit über sie gesprochen wird und damit sie nachwirkt. Denn was uns nicht überrascht, das nehmen wir mit der Zeit gar nicht mehr wahr. Die hier vorgestellte Ariel-Werbung, die überrascht und zwar die indische Zuschauerschaft noch viel mehr als die deutsche. Wenn diese Werbung bewirkt, dass Mittelschichtinder den Namen Ariel kennen und ihn mit einer anderen Lebensweise und Zukunft verbinden, dann hat die Werbung sehr viel erreicht.
    Und natürlich will Werbung für die CDU oder für Merkel als Kanzlerin genau das gleiche.

  4. Vor dem Hintergrund dieser Werbung stellt sich mir die Frage, was die jahrelange “Geiz ist geil”-Werbung mit unserer Gesellschaft gemacht hat. Von Billigprodukten aus Kinderarbeit und Massentierhaltung bis hin zum Stellenabbau allerorts, sogar bei Verwaltung, Polizei und Bildung! Nun, das war sicher nicht nur die Werbung, und vielleicht hat die Werbung ja in diesem Fall auch nur abgebildet, was die Gesellschaft schon vorgemacht hat. Trotzdem zeigt das “Ariel”-Beispiel schön, wie groß der kulturelle Effekt von Werbung ist und welche Verantwortung die Macher solcher Spots tragen. Leider scheinen sie sich dessen nicht immer alle bewusst zu sein.

  5. @tranquebar 17. September 2018 @ 19:15

    Vor dem Hintergrund dieser Werbung stellt sich mir die Frage, was die jahrelange “Geiz ist geil”-Werbung mit unserer Gesellschaft gemacht hat. Von Billigprodukten aus Kinderarbeit und Massentierhaltung bis hin zum Stellenabbau allerorts, sogar bei Verwaltung, Polizei und Bildung!

    Stimmt dies denn? Die Massentierhaltung ist nun wirklich älter als dieser Werbespot. Und der Stellenabbau auch.

  6. Ja, das bedingt sich wohl gegenseitig. Dass man mit so einem Spruch in unserer Gesellschaft punkten kann, setzt ja auch eine gewisse Mentalität voraus. Die Arielwerbung zeigt aber auch, welche Sendungskraft solche Werbespots haben. Eine verstärkende oder in der Breite noch fördernde Wirkung ist schon denkbar, finde ich. Belegen kann ich das natürlich nicht.

    Spannend wäre es, mal zu sehen, ob eine Werbung mit gegenteiliger Aussage, ähnlich stark und langfristig promoted, vielleicht etwas irgendwie Messbares bewirkt.

  7. Zu “Geiz ist geil”:
    Dieser Werbeslogan setzt voraus, dass ein Produkt möglichst wenig kosten muss.Dieses kann es aber nur,wenn es in Billigstlohnländern wie Bangladesh , Indien etc. produziert wird,wo zum Beispiel Näherinnen mit 20 EUR im Monat bezahlt werden.Einerseits schafft also diese “Geiz ist geil” Psychose in Asien Arbeit,andererseits führt es zu einer extremen und würdelosen Form von kapitalistischer Ausbeutung.Wir sind sozusagen “geizig” auf Kosten der Menschenwürde. Die “Geilheit” besteht nun darin, dass wir diese extreme Ausbeutung anderer Menschen damit zu unserer tragenden Ideologie und Glaubensrichtung machen.Sogesehen bestimmt Werbung unser Menschenbild bzw. unsere Weltanschauung mit: Wir ackzeptieren,dass es uns auf Kosten anderer “gut” geht und finden das geil…

  8. Der link ist hier in endlos-schleife bislang.

    Aber Reaktionsgeschwindigkeiten: Respekt.

    Und mit Waschmitteln scheinen es viele Werbetreibende gerne treiben zu wollen.

    Früher hiess das „Persilschein“: „Persil, da weiss man was man hat“.

  9. Was sich aber gewaschen hat:
    Ariel wird von Procter&Gamble vertrieben.
    Persil indes von der Henkel AG.

    Wir brauchen also garnicht mehr zu wählen: das machen die für uns

  10. @Golzower 20. September 2018 @ 10:54

    Nun haben Sie schon mal daran gedacht, daß es hier Menschen gibt, die ein geringes Einkommen haben? Diese Menschen sind nun mal gezwungen, auf die Preise zu achten.

  11. @Rudi Knoth

    Ja, aber es ist etwas anderes, wenn ich aufs Geld achten muss oder wenn ich bewusst und absichtlich auf Kosten und zu Lasten anderer Leute und der Umwelt lebe, nur um so noch mehr für mich herauszuholen. Nicht der “Geiz” ist das Problem, sondern dass man ihn “geil” findet (obwohl Geiz auch nicht schön ist, aber manche haben keine große Wahl – trotzdem könnte man auch einfach sparsam sein, dass ist immer noch etwas Anderes als geizig zu sein).

  12. @tranquebar 22. September 2018 @ 00:23

    Ja, aber es ist etwas anderes, wenn ich aufs Geld achten muss oder wenn ich bewusst und absichtlich auf Kosten und zu Lasten anderer Leute und der Umwelt lebe, nur um so noch mehr für mich herauszuholen.

    Nun ist dies denn den meisten Konsumenten “bewusst” und “beabsichtigt”? Nun war dies ja der Werbespruch eines Elektrokaufhauses (Saturn). Interessant ist dabei, daß nicht alles dort billiger ist. Druckerpapier ist dort sogar teurer als in anderen Läden.

  13. @Rudi Knoth
    Nun ist dies denn den meisten Konsumenten “bewusst” und “beabsichtigt”?
    Ja, wenn man den Geiz geil findet, dann ist das schon eine bewusste Entscheidung, oder nicht? Dass man die Sache dann nicht vorher durchdacht hat, macht es eher noch schlimmer, finde ich.

    Das teurere Papier steht da in einem fast schon offenbarenden Zusammenhang damit: Es wird gekauft, obwohl es teurer ist und somit im Gegensatz zum Inhalt des Werbespruchs steht, den der Käufer aber doch verinnerlicht, mit der Marke verbunden und für gut befunden hat.

    Ausführlich gedacht:
    Ich höre den Werbespruch, finde ihn richtig (weil ich entweder tatsächlich die Überzeugung teile oder mir einfach keine Gedanken darüber mache), will danach handeln – und breche das Prinzip, indem ich es befolge! Noch deutlicher kann man die eigene Oberflächlichkeit und Kurzsichtigkeit doch eigentlich nicht vor Augen geführt bekommen, oder? Noch satirischer wird es, wenn ich mich dann noch darüber beschwere, dass die Firma das Papier teuer macht, aber trotzdem weiterhin ihrem Werbeslogan glaube.

    Ob das vielleicht ein Grund wäre, warum in Deutschland ein Spot wie der von Ariel nicht funktionieren würde? Weil er zum ehrlichen Reflektieren anregt? Es wäre zumindest ein großer Bruch von Saturn zu Ariel.

  14. @tranquebar 24. September 2018 @ 21:27

    Ja, wenn man den Geiz geil findet, dann ist das schon eine bewusste Entscheidung, oder nicht? Dass man die Sache dann nicht vorher durchdacht hat, macht es eher noch schlimmer, finde ich.

    Nur haben Sie von: a, aber es ist etwas anderes, wenn ich aufs Geld achten muss oder wenn ich bewusst und absichtlich auf Kosten und zu Lasten anderer Leute und der Umwelt lebe, nur um so noch mehr für mich herauszuholen. geschrieben. Also angenommen, daß die Folgen den Leuten bewusst seien. Nun stellt sich aber beim Produktangebot die Frage, ob Ihr Vorwurf wirklich in diesem Fall zutrifft. Saturn verkauft meist Markenware wie jedes Warenhaus mit einer Elektroabteilung. Warum soll ein Smartphone von Apple bei Saturn anders produziert werden als ein bei Karstatt gekauftes Smartphone? Gibt es “Billigversionen” für Saturn des Smartphone und andere für Karstatt?

    Was das Papier oder andere “Verbrauchsmaterialien” angeht, so scheint es wohl eine Kalkulation zu sein, einige Produkte im Angebot billig anzubeiten und andere Produkte dann teurer anzubieten.

    Ob das vielleicht ein Grund wäre, warum in Deutschland ein Spot wie der von Ariel nicht funktionieren würde? Weil er zum ehrlichen Reflektieren anregt? Es wäre zumindest ein großer Bruch von Saturn zu Ariel.

    Nun wer hat denn in Indien eine Waschmaschine? Ist dieses Gerät dort so verbreitet wie in Deutschland? Eventuell ist der Spot von Ariel an eher Wohlhabende gerichtet und der von Saturn an nicht so wohlhabende Menschen.

  15. @tranquebar 24. September 2018 @ 21:27

    Das teurere Papier steht da in einem fast schon offenbarenden Zusammenhang damit: Es wird gekauft, obwohl es teurer ist und somit im Gegensatz zum Inhalt des Werbespruchs steht, den der Käufer aber doch verinnerlicht, mit der Marke verbunden und für gut befunden hat.

    Nun das war ich und ich will Ihrer Unterstellung widersprechen. Ich brauchte Papier und wusste, daß es bei Saturn solches gibt. Später habe ich erfahren, daß es anderswo billiger ist. Natürlich kaufe ich es jetzt anderswo. Ich vermute Sie sehen das Handeln der hier lebenden Menschen mit vermutlich kleinerem Einkommen und niedrigerem Bildungsstand als nicht rational an.

  16. @Rudi Knoth
    Ich vermute Sie sehen das Handeln der hier lebenden Menschen mit vermutlich kleinerem Einkommen und niedrigerem Bildungsstand als nicht rational an.
    Wie kommen Sie darauf? Ich habe nie Sparsamkeit oder Armut verurteilt. Beide waren nichtmal Thema meiner Beiträge, ebensowenig die Bildung. All diese Aspekte kamen doch von Ihnen?

    Nochmals zur Verdeutlichung:
    Es geht gar nicht um Sparsamkeit (egal ob gewollt oder gemusst), sondern darum, “Geiz” “geil” zu finden. Das ist eine bewusste Entscheidung jenseits vom eigenen Bildungsstand. Eine Entscheidung, die auch in keinerlei Zusammenhang mit der eigenen finanziellen Situation steht. Ein Millionär kann sie genauso treffen wie ein Obdachloser. Und bei beiden ist sie gleichermaßen moralisch fragwürdig, wie ich meine. Ein Mensch, der Geiz geil findet, ist bereit, sich auf Kosten Anderer und/oder der Umwelt einen Vorteil zu verschaffen. Nicht weil er muss, sondern weil er will! Das Wollen ist das Problem, das Verherrlichen dieser Lebensweise (sie ist dann ja “geil”).

    Deshalb ist eigentlich auch egal, ob Saturn in Deutschland eine andere Zielgruppe hat(te) als Ariel in Indien, und ebenso, ob ein Smartphone bei Saturn das Gleiche kostet wie bei Karstadt oder ob dieser oder jener Bürger mal auf einen Werbespruch hereingefallen ist oder nicht. Das geht alles völlig am Thema vorbei. Das Thema ist doch, dass der Spruch “Geiz ist geil” in Deutschland auf allzu willige Ohren stieß und scheinbar immer noch stößt, und die Frage, die sich mir stellt, ist, ob ein gegenteiliger Werbeslogan (mit einer Ausrichtung ähnlich des Ariel-Spots aus Indien) in Deutschland auch so große Durchschlagskraft entwickeln könnte (was ich anzweifle, aber für wünschenswert halte).

  17. @tranquebar 28. September 2018 @ 18:46

    Nun wie heisst es bei Brecht “erst kommt das Fressen, dann die Moral”. Dies sollten Sie bei dem Vergleich von Millionär und Obdachlosen in Ihrer moralischen Bewertung bedenken. Übrigens bin ich “Stammkunde” bei Saturn seit 2000, weil de Laden auch nicht weit weg ist. Also auch vor diesem Werbespruch.

    Die Frage ist ja wohl auch, was man mit “Geiz” meint. Wenn damit eine bewusste Entscheidung meint, obwohl diese Nachteile für andere Menschen bringt, ist dies richtig, wenn man keinen Zwang zum Sparen hat.

    Ich denke, daß es sich bei diesem Slogan (gibt es den noch) um ein Signal handelt, daß dieser Laden besonders günstig sei. Ob die Kunden wirklich dies als Lebensmotto ansehen, ist ja noch zu ermitteln. Es kann ja auch sein, daß der Spot von Ariel sich an eine Zielgruppe in Indien richtet, dioe sich als “modern” ansieht.

  18. @Rudi Knoth:

    Materielle Not macht moralisches Handeln schwieriger, aber sie hat keinen Einfluss auf die Moral an sich. Ich kann gezwungen sein, sparsam zu leben, aber ich muss es deswegen nicht “geil” finden. Das ist und bleibt meine eigene, freie Entscheidung.

    Zudem gibt es wie gesagt einen Unterschied zwischen Sparsamkeit und Geiz, nachzuschlagen beispielsweise hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Geiz. Dort heißt es u.a.: Eng sinnverwandte Begriffe sind Gier, Habgier und Habsucht. Der Saturnspruch heißt also nicht “Sparsamkeit ist geil”, sondern er heißt eher “Habgier ist geil”. Gerade im Hinblick auf eine Ladenkette stimmt das mich als Kunde doch etwas nachdenklich – ich erwarte eigentlich nicht, dort ein aus meiner Sicht gutes Geschäft machen zu können, was Sie ja mit Ihrem Beispiel (Papier) belegt haben.

    Umso mehr überrascht mich der Erfolg dieses Werbespruchs in Deutschland.

  19. @tranquebar 30. September 2018 @ 22:44

    Zudem gibt es wie gesagt einen Unterschied zwischen Sparsamkeit und Geiz, nachzuschlagen beispielsweise hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Geiz.

    Ich vermute, daß viele Menschen Geiz und Sparsamkeit synonym verstehen. Daran ändert Wikipedia oder ein anderes Lexikon wenig. Auch denke ich, daß ein kurzes einsilbiges Wort sich besser als ein dreisilbiges Wort macht.

    Die Habgier besteht doch eher darin, ein Elektroartikel möglichst günstig zu erwerben. Dies denke ich eher ein verständliches und nicht unbedingt unmoralisches Verhalten. Ich kam übrigens zu Saturn/Media Markt, weil ein PC-Händler damals (vor 20 Jahren) den doppelten Preis (DM 4000) haben wollte.

    Umso mehr überrascht mich der Erfolg dieses Werbespruchs in Deutschland.

    Und woran machen Sie diesen Erfolg “gerade in Deutschland” fest? Denn dann müssten Sie ja ein Vergleich haben. Denn sonst macht Ihre Aussage keinen Sinn. Diese Läden sind einfach dasselbe wir Aldi/Lidl für Elektroartikel. Auch hat Saturn später andere Werbesprüche (“So muß Technik sein” etc).

  20. @Rudi Knoth

    Ich vermute, daß viele Menschen Geiz und Sparsamkeit synonym verstehen.
    Möglich, aber dadurch wird es ja nicht richtiger, sondern das wäre eher eine Bestätigung für den Verdacht, dass sich doch eine gewisse Oberflächlichkeit in unserer Gesellschaft ausbreitet, was ich nicht gut finde. So was sieht man immer wieder an allen möglichen Beispielen. Recht populär geworden ist ja letztens der Streit, ob die Sachen, die in Chemnitz passiert sind, denn nun “Hetzjagden” waren oder nicht. Dabei ist das gar nicht das Problem – das Problem ist doch, ob man das, was da passiert ist, akzeptieren will oder nicht. Wie man es nennt, ist da zweitrangig und die Debatte darüber lenkt bloß vom Thema ab.
    So ähnlich ist es hier auch – was genau jemand für sich unter Geiz versteht, ist eigentlich egal. Es gibt eine offizielle Definition, die gültig ist und die jeder nachlesen kann. Wer das nicht macht, ist selber Schuld. Die Frage, um die es geht, ist doch, wie man “geiziges” Verhalten bewertet – geil oder nicht?

    Die Habgier besteht doch eher darin, ein Elektroartikel möglichst günstig zu erwerben.
    Das würde ich ehrlich gesagt nicht als Habgier bezeichnen, sondern als ganz vernünftiges Verhalten. Habgier wird es dann, wenn man Sachen (auch Geld) haben will, die man gar nicht braucht, nur um sie zu haben oder weil man sie anderen nicht gönnt. Vgl. dazu: https://de.wikipedia.org/wiki/Habgier
    Dazu gehört auch, Dinge billiger haben zu wollen, als man es sich leisten könnte (eben um mehr Geld zu haben), obwohl man weiß (oder wissen könnte, wenn es einen interessieren würde), dass dies zu Lasten anderer (oder der Umwelt) geht. Die Habgier fängt also da an, wo “billig” auf Kosten anderer stattfindet. Diese Grenze ist natürlich eine “weiche” Grenze, denn man kann darüber streiten, wieviel Lohn z.B. ein Arbeiter in einem Billiglohnland nun braucht und ab wann es zu wenig wird. Aber wo auch immer die Grenze zu ziehen ist, sie ist da und kann/darf nicht einfach ignoriert werden.

    Zum Erfolg des Werbespruches kann ich sagen, dass er damals in aller Munde war und teils auch diskutiert wurde, er hat also die Marke “Saturn” bekannt gemacht und ihr ein Image verschafft, dass sie so vorher nicht hatte. Dieses Image verbinden alle, die sich an damals erinnern, auch heute noch mit Saturn, zumindest alle, die ich kenne. Somit hat der Slogan seinen Zweck also voll und ganz erfüllt und der Spruch “Geiz ist geil” wurde auch ohne Bezug zur Saturn-Kette in ganz normalen Alltagsgesprächen benutzt, er hatte also Einfluss auf die Gesellschaft, ähnlich wie der Ariel-Spruch in Indien. Das würde ich schon als einen Erfolg in Deutschland bezeichnen.
    “Gerade in Deutschland” stellt dabei den Zusammenhang her zwischen Deutschland und einem negativen Slogan auf der einen Seite und Indien und einem positiven Slogan auf der andern Seite. Ich finde es bedauerlich und traurig, dass sich gerade in Deutschland, in meiner Heimat und in meinem Volk, ein so negativer Spruch so stark durchsetzen und etablieren konnte. Das wirft kein gutes Licht auf uns und auf das Miteinander in unserem Land (was sich ja auch heutzutage wieder zeigt).

  21. @tranquebar 3. Oktober 2018 @ 13:17

    Eigentlich wollte ich hier keine grosse Diskussion über Saturn anfangen. Dieser laden war mir schon 1995 bekannt, weil ich ihn locker zu Fuß erreichen konnte.

    Nun zu dem Thema Werbesprüche und Gesellschaft.
    Meiner Meinung nach spiegeln Werbesprüche eher die Mentalität der Zielgruppe wider. Denn man will die Leute erreichen, denen man ein Produkt oder eine Dienstleistung verkaufen möchte. Daher ist es schon ein Unterschied, ob eine Werbung für die (vermutlich) Besserverdienenden eines Schwellenlandes ausgestrahlt wird oder für die (vermutlich) gering verdienenden eines Industrielandes. Allerdings fällt mir kein “positiver” Werbespot in Deutschland ein. Auch bei Saturn gab es ja andere Werbespots, die die Technik in den Vordergrund stellten (“So muss Technik sein”, “Tech-Nick fragen”). Oder wie ich manchmal gerne sage, mit 2 Messpunkten kann man bei der linearen Regression immer eine 100% Korrelation erhalten.

  22. @Rudi Knoth:
    Sie haben natürlich Recht, dass Webesprüche die Mentalität der Zielgruppe widerspiegeln (sollen). “Geiz ist geil” wurde damals aber doch recht weitläufig übernommen, hatte also Einfluss über die Zielgruppe hinaus (wenn denn die Geringverdiener die tatsächliche Zielgruppe waren, was ich nicht weiß und auch nicht automatisch annehmen möchte).

    Letztlich ist das aber auch eher nebensächlich, denn egal ob Geringverdiener oder nicht, dem Spruch liegt meiner Auffassung nach eine moralisch fragwürdige Auffasung zugrunde, wie ich ja schon dargelegt hatte. Dass er dann auch noch quer durch alle Gruppen unserer Gesellschaft anerkannt wurde, zeigt, dass es überall Akzeptanz für diese Auffassung gab, was auf niemanden ein gutes Licht wirft, weder auf die Geringverdiener noch auf die anderen.

    Die anderen von Ihnen genannten Slogans hatten bei Weitem keine so starke Wirkung wie “Geiz ist geil”, was meine These stützt, dass mit “Geiz ist geil” ein Nerv unserer Gesellschaft getroffen wurde. Und genau das ist es, was ich eben bedauere und was ich auch für entlarvend halte bzgl. ebendieser Gesellschaft.

    Mir ging es ja auch nicht um die Handelskette “Saturn”, sondern expilzit um die Wirkung dieses einen Webeslogans, gerade im Gegensatz zur Wirkung des Ariel-Slogans in Indien, auf wen auch immer der abgezielt haben mag. Dort gab es eine positive Wirkung durch einen positiven Spot, während in Deutschland ein negativer Spot geradezu herausragende Beliebtheit und Rezeption erfuhr. Das finde ich schade und es macht mich auch traurig.

    Im Zuge des Austausches hier bin ich bislang zu dem Schluss gekommen, dass der Saturn-Slogan offenbar ein weitverbreitetes Gefühl in unserer Gesellschaft aufgeriffen hat und deswegen so erfolgreich war. Dieses Gefühl war schon vorher da und ist wohl auch heute noch vorhanden, viele negative Auswirkungen davon erleben wir tagtäglich. Somit ist der Slogan nicht “Schuld” an irgendetwas, aber dass er so beliebt war, zeigt, wo bei uns Probleme liegen.

  23. @tranquebar 7. Oktober 2018 @ 16:30

    Dort gab es eine positive Wirkung durch einen positiven Spot, während in Deutschland ein negativer Spot geradezu herausragende Beliebtheit und Rezeption erfuhr. Das finde ich schade und es macht mich auch traurig.

    Gab es denn meßbare Anzeichen für den Erfolg dieses Werbespruchs? Etwa Absatzsteigerungen etc? Oder waren es doch nur Diskussionen, wie Sie jetzt führen? Diskussionen, die den wirklichen oder angenommen Geiz als ein moralisches Problem ansehen. Dies geht dann weiter bei Lebensmittel etc wo den Käufern von billiger Ware moralisches Versagen vorgeworfen wird.

  24. Gab es denn meßbare Anzeichen für den Erfolg dieses Werbespruchs?
    Er war in aller Munde und wurde im alltäglichen Umfeld noch lange Zeit von vielen Leuten rezitiert. Zahlen habe ich nicht, aber der Effekt war im Alltag deutlich spürbar. Die Aussage wurde häufig übernommen und wiedergegeben, und zwar unkritisch und über einen beachtlichen Zeitraum hinweg. Eine ähnlich starke Aufnahme eines Slogans kenne ich sonst nur von MediaMarkts “Ich bin doch nicht blöd”. Ich kann mich an keinen anderen Werbespruch außer diesen beiden erinnern, der je so weit und tief in die Gesellschaft gewirkt hat. Es gab viele andere Sprüche, die bekannt waren, z.B. “Freude am Fahren”, die Telefonnummer der Auskunft (11880) oder “… oder bei Obi”, aber diese beiden übertrafen alle anderen, “normalen” Werbesprüche in ihrer Wirkung bei Weitem.

    Freilich ist es möglich, dass dieser Effekt regional unterschiedlich auftrat, oder besonders stark in bestimmten Zielgruppen. Als Süddeutscher kann ich z.B. nicht sagen, ob der Effekt in Norddeutschland ähnlich ausgeprägt war. Aber in meinem Alltag beobachtete ich den Spruch als herausragend mächtig. Und gerade jetzt, wo ich zur Beantwortung Ihrer Frage darüber nachdenke und mir bewusst wird, dass der einzige vergleichbar starke Slogan der “Ich bin doch nicht blöd”-Spruch war, sehe ich Parallelen zwischen beiden Aussagen, die mir zuvor nicht bewusst waren: Der eine sagt im Grunde “ich weiß alles besser und die Meinung anderer interessiert mich nicht” und der andere sagt “es ist toll, auf Kosten anderer zu leben und ihr Schicksal interessiert mich nicht”. Beide entsprechen durchaus einer ähnlichen Geisteshaltung, oder nicht?

    Positivere Sprüche wie “Freude am Fahren” oder “XY gibts bei Obi” waren zwar auch bekannt, aber sie scheinen nie so “mächtig” geworden zu sein. Aber gut, das ist natürlich subjektiv, eine wissenschaftliche Untersuchung dazu kann ich nicht bieten.

  25. @tranquebar 9. Oktober 2018 @ 20:01

    Es sind also eher subjektive Eindrücke von Ihnen. Allerdings ist Ihre Interpretation der beiden Werbesprüche schon interessant.

    Media Markt: Dieser Werbespruch ist wirklich ein Satz, den es schon lange vorher gab. Hier interpretieren Sie diesen Werbespruch als ob die Person, die diesen verwendet, sich anderen überlegen hält. Die Aussage dieses Spruchs nach meiner Meinung ist wohl eher: “Ich lass mich nicht übers Ohr hauen”.

    Saturn: Hier ist vor allem mit der Darstellung einer hübschen Frau auch eine Anspielung auf einen elementaren Trieb für Männer verbunden. Denn Geil hat mehrere Bedeutungen. Allerdings wurde dieser Spruch, wie ich schon vorher erwähnte als “Kulturkritik” benutzt.

    Mir sind noch manche Werbesprüche von vor 40 Jahren bekannt. Etwa von der Bundesbahn “alle reden vom Wetter, wir nicht”.

  26. @Rudi Knoth:
    Nach längerer Pause noch einmal eine Meldung von mir, auch um das Thema langsam abzuschließen. Ich finde den Austausch hier sehr interessant, ehrlich. Hat für mich auch einen positiven Effekt zur Selbstreflexion beigetragen. Allerdings wird es schwierig, viele Themen gleichzeitig im Blick zu behalten.

    Sie haben völlig Recht, meine Haltung zu den Werbesprüchen ist subjektiv. Aber das an sich ist ja nichts Ungewöhnliches, höchstens meine ganz persönliche Auslegung ist es vielleicht. Aber auch dazu fehlen mir belastbare Daten. Ich kann nur sagen, dass meine Haltung in meinem näheren Umfeld durchaus auch geteilt wurde, ganz alleine stehe ich mit ihr also nicht da.

    Aufgefallen ist mir, dass ich, offenbar ungewöhnlicher Weise, die Webeslogans nicht auf die Kunden beziehe, sondern auf die Ladenketten, die die Sprüche machen. Das ist vermutlich nicht im Sinne des Erfinders, aber immerhin werben diese Leute mit diesen Sprüchen für sich, also ist es wohl nicht zu weit hergeholt, eine gewisse Verbundenheit der Kette mit dem Slogan anzunehmen.

    Von diesem Standpunkt aus gesehen bekommen die Aussagen aber eine ganz neue Wirkung: “Geiz ist geil” (dem Kunden gegenüber!) und, wie Sie es übersetzt haben, “ich lass mich doch nicht übers Ohr hauen” (vom Kunden). Andere Aussagen, wie der von Ihnen zitierte Spot der Bahn oder das bekannte “Freude am Fahren” sind da unverfänglicher und wirken auf mich viel sympatischer, da die Grundaussage nicht so leicht ins Negative verkehrt werden kann.

    Tja, und das war eben meine ursprüngliche Kritik, mit der das Ganze seinen Anfang genommen hat, dass diese “unverfänglicheren” Sprüche zwar durchaus ihre Wirkung hatten, die “negativ auslegbaren” jedoch nach meiner Erfahrung, also in meinem Umfeld (was ich vielleicht voreilig verallgemeinert habe, aber ganz ohne Grundlage geschah das nun auch wieder nicht), eine deutlich größere Reichweite erzielten. Was ich, wie gesagt, schade und auch etwas traurig finde.

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