Kommentar: Nehmen psychische Störungen zu?

Eine Antwort auf den Epidemiologen Frank Jacobi von der Psychologischen Hochschule Berlin

Da ist sie wieder, die Frage aller Fragen zur psychischen Gesundheit: “Nehmen psychische Krankheiten zu?” Gestellt wird sie diesmal in Gehirn&Geist 3/2021, S. 42-43, worauf der Psychologieprofessor Jacobi antwortet.

Zunächst einmal: Man spricht besser gar nicht von psychischer Krankheit, sondern von psychischen Störungen. “Krankheit” suggeriert, man könne die Krankheitsentitäten klar voneinander abtrennen und wüsste viel über ihre Ursachen, wie in der somatischen Medizin. Beides trifft aber auf psychisches Leiden nicht zu. Darum: psychische Störungen. Manche sprechen auch von “Syndromen”, um die Vielschichtigkeit und fließenden Grenzen zu betonen.

Das ist nicht nur ein sprachlicher Punkt. Denn wenn man etwas misst und Aussagen darüber treffen will, ob das Gemessene im Laufe der Zeit ab- oder zunimmt, dann muss man genau wissen, was man misst. Ansonsten kann man allenfalls so tun, als ob man die Frage beantworte.

Kommen wir nun zu Jacobis Antwort, der, das bestreite ich gar nicht, das Beste tut, was nach den Regeln seines Fachs üblich ist. Er schreibt:

“Epidemiologische Feldstudien, die die Verbreitung psychischer Störungen in der deutschen Bevölkerung untersuchen, sprechen nicht dafür, dass psychische Störungen vermehrt um sich greifen. Sie finden relativ konstant eine Prävalenz von 20 bis 30 Prozent […]. In solchen groß angelegten Untersuchungen werden bei einer umfangreichen Stichprobe, die die Bevölkerung in wichtigen Merkmalen abbildet, psychische Symptome anhand gängiger Diagnosekriterien abgefragt.”

Frank Jacobi, Gehirn&Geist 3/2021, S. 43

So weit so gut. Wir wollen hier aber auch nicht die international maßgebliche Studie zur psychischen Gesundheit in Europa weglassen, die Jacobi mit seinem langjährigen Mentor Hans-Ulrich Wittchen veröffentlichte. (Ja, das ist der Wittchen, der gerade wegen eines riesigen Forschungsskandals in den Medien ist.) Diese laut Google Scholar über 3.500-mal zitierte Studie schätzte die Häufigkeit nämlich eher auf 40 Prozent – und dabei wurden gerade einmal Symptome von einem kleinen Teil aller psychischen Störungen abgefragt.

Unzuverlässiges Instrument

Lassen wir uns diese Zahlen auf der Zunge zergehen: Der Epidemiologe schickt also seine Hilfskräfte mit psychologisch-diagnostischen Fragebögen für standardisierte Interviews durch die Länder. Je nach Untersuchung kommt er damit zum Ergebnis, dass rund 20 bis 40 Prozent der Bevölkerung jedes Jahr an mindestens einer psychischen Störung leiden. (Das nennt er dann die Zwölf-Monats-Prävalenz.) Laut der einflussreichen Studie betrifft das schlappe 165 Millionen Bürgerinnen und Bürger in der EU.

Stellen Sie sich zum Vergleich vor, Sie hätten eine Waage, mit der Sie Ihren Goldklumpen wögen. Mal würde der Apparat 20kg, mal 30kg, mal 40kg anzeigen. (Das entspräche übrigens einem derzeitigen Marktwert zwischen €940.000 und €1.880.000.) Wären das bedeutende Unterschiede zwischen den Messungen? Und würden Sie dieser Waage vertrauen – oder sie vielmehr beim Hersteller reklamieren oder gar wegwerfen?

Bereits beim bloßen Blick auf die Zahlen wird deutlich, dass hier etwas nicht stimmen kann. Und das hat viel mit meinem anfänglichen Punkt zu tun, dass gar nicht klar ist, was psychische Störungen genau sind; und noch weniger, wie man sie eigentlich misst.

Was der Epidemiologe misst, ist sein Konstrukt. Das macht es nicht weniger real: Ihre Wohnung oder Ihr Kontostand sind auch Konstrukte. Um darauf zu vertrauen, dass Ihr Haus nicht beim nächsten Sturm umfällt oder Ihr Konto auf einmal leer ist, müssen Sie der Arbeitsweise der Baufirma beziehungsweise der Bank vertrauen. Wie weit können wir dem Epidemiologen der psychischen Störungen vertrauen?

Epidemiologische Fehlschlüsse

Der Epidemiologe begeht einen ersten Fehler, wo er unterstellt, Antworten auf Fragen wie: “Haben Sie innerhalb der letzten zwölf Monate Angst erlebt?”, würden einen zuverlässigen Hinweis auf das Vorliegen einer psychischen Störung geben. Die gängige Arbeitsweise habe ich vorher schon einmal genauer diskutiert (Diagnosen psychischer Störungen steigen stark an). Neben den auf der Hand liegenden Verständnis- (Was ist “Angst”?) oder Erinnerungsproblemen (Was war vor zwölf Monaten?) geben Antworten auf solche Fragen keinen schlüssigen Hinweis auf das Vorliegen einer behandlungsbedürftigen psychischen Störung.

Warum reite ich auf diesem Punkt herum? Weil Behandlungsbedürftigkeit eine notwendige Voraussetzung für die Diagnose einer psychischen Störung ist: Es geht um eine klinisch relevante Einschränkung des Funktionierens im persönlichen oder professionellen (z.B. Arbeit, Schule, Studium) Leben. Ohne Behandlungsbedürftigkeit handelt es sich allenfalls um psychische Probleme, wie sie das Leben eben bringt, kein Problem für Psychotherapeutin oder Psychiater. (Man könnte natürlich trotzdem zu so einem Experten gehen, doch dann handelte es sich eher um Coaching als um Therapie.)

Das müsste dem Epidemiologen – und allen klinischen Spezialisten, die die Zahlen herbeten – eigentlich sofort ins Auge stechen. Denn hätten 20, 30, 40 oder gar mehr Prozent der Bevölkerung Jahr für Jahr eine behandlungsbedürftige psychische Störung, dann stünden wir nicht nur am Abgrund der Gesellschaft, sondern lägen schon lange an dessen Boden. Denn wenn wir Glück haben, kann man in den Wohlstandsländern vielleicht ein Zehntel davon – also zwei bis vier Prozent der Gesamtbevölkerung – gut psychiatrisch-psychotherapeutisch versorgen.

In der öffentlichen Diskussion zur Häufigkeit psychischer Störungen müsste man dem Epidemiologen hier eigentlich einen zweiten Fehler vorwerfen, nämlich den einer Äquivokation: dass “psychische Störung” in seiner Forschung und in der Diskussion verschiedene Bedeutungen hat, ohne das zu berücksichtigen. Doch so weit würde ich gar nicht gehen. Ich würde es schlicht einen Etikettenschwindel nennen. Und wenn man gar nicht das Vorliegen psychischer Störungen misst, dann sollte man nicht so tun, als ob; schon gar nicht als Wissenschaftler.

Es geht ums Geld

Warum halten sich diese Zahlen dennoch so hartnäckig? Weil sie eine Vielzahl von Funktionen erfüllen. Da ist erst einmal die Funktion für die Wissenschaftler und klinischen Spezialisten: Wenn 20, 30, gar 40 oder mehr Prozent der Gesellschaft psychische Störungen haben, dann muss man natürlich immense Summen in diesen Bereich investieren.

Es ist dann auch kein Zufall, dass die Epidemiologen wie Jacobi und Wittchen, die diese hohen Prävalenzen berichten, sogleich – in einer anderen vielzitierten Publikation – die Rechnung aufstellen: Nach konservativen Schätzungen würden psychische Störungen die EU-Länder Jahr für Jahr rund €300 Milliarden kosten!

Klar, dass dann ein paar Millionen hier und da zur Erforschung und Behandlung psychischer Störungen wie ein Schnäppchen aussehen. Dieser Art der Berechnung sollte man aber – ebenso wie die Erhebung der Prävalenz – nicht einfach so glauben (Wenn es ums Geld geht).

Raten Sie, wie Jacobi seinen Kommentar in Gehirn&Geist abschließt: “Doch egal, ob psychische Störungen nun real zugenommen haben oder nicht – es lohnt sich, weiter in die seelische Gesundheit zu investieren.” Kein Witz! Es fehlt bloß noch die Kontonummer. Alles egal, her mit dem Geld!

Politische Funktion

Diese Zahlen haben aber auch eine politische Funktion: Bedeutende ursächliche Faktoren für die meisten psychischen Störungen sind nämlich Stress (wie z.B. durch Armut) und schwere Lebensereignisse (wie z.B. der Verlust der Arbeit). Der Epidemiologe, der nun Jahr für Jahr berichtet, psychische Störungen nähmen nicht zu, stellt den regierenden Politikern und Beamten einen Persilschein aus: Ihr macht eure Arbeit zumindest nicht schlecht, denn dem Volk geht es nicht schlechter.

Das individualisiert aber umgekehrt die psychischen Störungen: Wenn es dir psychisch sehr schlecht geht und du eine Behandlung brauchst, dann liegt das nicht an deiner Umgebung, sondern an deinen Genen oder “dysfunktionalen Gedankenmustern”. Klinische Psychologie und Psychiatrie, vor allem aber die Klinische Neuropsychologie und die Klinische Neurowissenschaft (oder wie ihre führenden Vertreter es nennen: die Schaltkreisepsychiatrie), sind also in diesem Sinne politisch.

Ich behaupte nicht, dass alle Wissenschaftler sich nach den Interessen politischer Mehrheiten richten. Man sollte aber schon einmal bedenken, dass die meisten Professoren Beamte sind – ernannt von anderen Beamten, mit Plazet der Ministerien. Aus dieser Ecke sollte man also nicht gerade Gesellschaftskritik erwarten.

Günter Grass hat das in “Grimms Wörter” sehr schön verarbeitet: Schon den Göttinger Sieben, die sich für die bürgerliche Verfassung einsetzten, fiel die Mehrheit der Kollegen in den Rücken. Die Professoren, die den Aufstand wagten, wurden verbannt. Der große Rest aber: schwieg. Den Verweis auf die opportunistische Rolle der Universitäten in einer späteren Episode der deutschen Geschichte verkneife ich mir.

Es geht bei diesem Thema nicht nur um eine intellektuelle Übung, sondern darum, wie allein in Deutschland Abermillionen Jahr für Jahr mit ihren psychischen Problemen umgehen – und gegebenenfalls Hilfe bekommen. Mehr zu den Hintergründen schrieb ich in den beiden Telepolis-ebooks Was sind psychische Störungen? und Psyche & psychische Gesundheit. (Zum Interessenkonflikt: Ich verdiene am Verkauf keinen Cent, freue mich aber über Leser. Mit dem Kauf helfen Sie der Telepolis-Redaktion.)

Widersprüchliches System

Wer keinem Schelm wie mir Vertrauen schenkt, dem gebe ich zum Schluss ein paar (übersetzte) Sätze aus dem neuen Buch von Damiaan Denys mit auf den Weg, das hier in den Niederlanden in kürzester Zeit schon in mehreren Auflagen erschien. Denys ist Philosoph, Professor für Psychiatrie an der Universität von Amsterdam, Abteilungsleiter der dortigen Psychiatrie und Theaterschauspieler.

In dem eigensinnigen Buch “Het Tekort van het Teveel” (2020) beschäftigt er sich mit den inneren Widersprüchen des psychischen Gesundheitssystems. Bei der folgenden Diagnose bezieht er sich auf die Gesundheitsreformen in den Niederlanden. Ähnliche Schlüsse dürften sich aber für die Gesundheitssysteme in den meisten “hochentwickelten” westlichen Ländern ziehen lassen:

“Man wollte mehr, doch bekam weniger Kontrolle über die Behandlung. […] Man wollte günstigere, doch erzeugte teurere Behandlungen. […] Man wollte mehr, doch erzielte weniger Effizienz. […] Man wollte leichteren Zugang, doch erzeugte mehr Wartelisten. […] Man wollte mehr, doch erreichte weniger Qualität. […] Man wollte mehr, doch erreichte weniger Konkurrenz. […] Man wollte die Arbeit im Gesundheitssektor attraktiv halten, doch erzeugte einen gigantischen Personalmangel. […] Im Endeffekt hat die Reform des Gesundheitssystems allein für Verlierer gesorgt.”

Damiaan Denys, 2020, S. 60-61, dt. Übers. St. Schleim

Ich könnte es nicht treffender formulieren. Wie so oft in unserer hochentwickelten Zivilisation löst man Probleme nicht, sondern verwaltet man sie nur. Wenn das unerträglich geworden ist und man nicht mehr weiter weiß, ruft man das Zauberwort: Privatisierung! Und wieder wird für die Mehrheit alles komplexer, stressiger – und teurer. Es gewinnen: Die Verwalter, Berater und Privatisierer.

Die Professoren für Klinische Psychologie Jürgen Margraf und Silvia Schneider von der Universität Bochum hatten in einem mutigen Fachaufsatz aus dem Jahr 2016 schon einmal auf des Kaisers neue Kleider im psychischen Gesundheitssystem hingewiesen. Dass es beispielsweise Patienten mit der Diagnose Schizophrenie in vielen Entwicklungsländern besser geht als bei uns, hätte uns schon vor vielen Jahren wachrütteln sollen. Was ist seitdem passiert? Im Westen nichts Neues.

Mit den Füßen abgestimmt

Zur Beantwortung der Frage, ob immer mehr Menschen psychische Störungen haben, halte ich mich bis auf Weiteres lieber an die Stimme der Patienten als die der Epidemiologen. Die Patienten “stimmen mit den Füßen ab” und die Antwort ist unzweideutig: Jahr für Jahr suchen immer mehr Menschen Hilfe für ihr psychisches Leiden (Diagnosen psychischer Störungen steigen stark an) – ebenso wie übrigens für Krankheiten allgemein (Die Deutschen sind kränker denn je).

Die gängigen epidemiologischen Instrumente sind auf diesem Gebiet unzuverlässig und verfehlen das eigentliche Thema. In Fachsprache: Sie sind weder reliabel noch valide. Werfen wir sie weg.

Zum psychischen Leiden, dem Umgang damit und dem neuen Ansatz von Damiaan Denys sei ein Andermal mehr geschrieben.

Hinweis: Dieser Beitrag erscheint auch auf Telepolis – Magazin für Netzkultur. Titelgrafik: PDPics auf Pixabay.

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50 Kommentare

  1. “Es geht um eine klinisch relevante Einschränkung des Funktionierens im persönlichen oder professionellen (z.B. Arbeit, Schule, Studium) Leben”.

    Das ist doch zu kurz gedacht. Man muß auch die symptomlosen psychischen Störungen betrachten, die die Betroffenen selbst gar nicht bemerken. Die Dunkelziffer ist vermutlich sehr hoch.

  2. Dass Menschen vermehrt einen Experten zur Behandlung ihrer psychischen Probleme aufsuchen (, der dann natürlich dieses Problem als psychische Störung im Rahmen der derzeit gültigen Nomenklatur diagnostiziert) kann man aber auch schlecht als Gradmesser für die Zunahme von psychischen Störungen hernehmen.
    Es gibt einfach zu viele zusätzliche Faktoren, die hier eine Rolle spielen, z.B. :
    – Gesellschaftliche Akzeptanz, psychische Hilfsangebote wahrzunehmen (meine Meinung: zunehmend)
    – Die eigene Wahrnehmung, das ein psychologisch behandlungsbedüftiges Problem vorliegt (Beispiel: Modekrankheit Burnout)
    – eine geänderte Wahrnehmung auch in der somatischen Medizin: Psychosomatische (Begleit)Erkrankungen werden inzwischen denke ich auch öfters mal diagnostiziert und entsprechend behandelt.

    Letztendlich wird man nicht drumherumkommen, eine Untersuchung mit irgendwie gearteten objektiven Kriterien – so schwierig diese wohl auch zu definieren sind – durchzuführen, wenn man die Prävalenz von Erkrankungen in der Bevölkerung messen will.
    Ich sehe das Problem eher darin, dass die Unterscheidung gesund-krank zu sehr schwarz weiß geführt wird. Das führt dann dazu, dass bei entsprechend niedriger Schwelle für eine “Krankheit” plötzlich ein Großteil der Bevölkerung für krank befunden wird, worunder sich der Laie vielleicht dann doch etwas anderes vorstelle als der Epidemologe.

  3. @Christian: Objektivierung

    Also zunächst einmal möchte ich festhalten, dass, wenn ich Sie richtig verstehe, wir uns darin einig sind, dass die Aussage von Jacobi und den meisten Mainstream-Epidemiologen, es gebe keinen Anstieg psychischer Störungen, unsinnig und unseriös ist: Wenn sich das Konstrukt nicht valide und reliabel messen lässt, dann kann man auch nicht schlussfolgern, dass es keinen Anstieg gibt.

    Sie sprechen zum Teil gute Punkte an. Es gibt doch international etablierte Messungen von Glück, um nur ein Beispiel zu nennen. Damit könnte man im Laufe der Zeit erheben, wie es den Menschen geht.

    Und “objektive Kriterien” – was aber, wenn es um den subjektiven Zustand der Menschen geht?! (Das ist im Übrigen auch ein Kernpunkt, den Damiaan Denys in seinem Buch entwickelt: psychisches Leiden ist subjektiv, darum aber nicht weniger real.)

  4. …und separat zur “Modeerscheinung Burn-Out”

    Naja – man spricht und forscht darüber (unter diesem Namen) seit den 1970er Jahren. Die Publikationen von Freudenberger aus den 1970ern und 1980ern habe ich gelesen bzw. bin ich gerade noch dabei.

    Um 1900 sprach man von Neurasthenie (Seelenschwäche). Das wurde dann von zwei Weltkriegen unterbrochen. In China lebt die Kategorie fort. (Lese-Tipp: Warum man Burn-out nicht als Modeerscheinung abtun sollte)

    Wie lange muss es etwas geben, damit es nicht nur “Mode” ist? Vielleicht ist es auch eine “normale” Folgeerscheinung der Industrialisierung und Ökonomisierung der Welt, wie viele vermuten?

  5. Zum subjektiven Zustand der Menschen:
    Das sehe ich durchaus genauso wie sie, wenn ein psychisches Problem als subjektiv belastend empfunden wird, dann besteht die Indikation für eine Behandlung.
    Nur darf man aus der Zunahme des subjektiv empfundenen Behandlungsbedarfs nicht automatisch auf eine (“objektive”) Zunahme an Störungen schließen. Es könnte ja durchaus sein – und ist wahrscheinlich so – dass ein Mensch mit einer leichten/moderate Depression oder Angsstörung heute eher bereit ist professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen als vor 30 Jahren.
    Vielleicht muss man einfach genauer zwischen leichten Störungen/Erkrankungen, die wahrscheinlich jeder im Leben mehrmals mitmacht und schweren und stark einschränkenden Erkrankungen wie eine schwere Depression oder Psychose differenzieren. Das alles uniform unter psychische Erkrankung zu verbuchen erscheint mir unseriös. Da steckt ja neben dem Sichern von Geldern oft auch eine politische Kritik an derzeitigen gesellschftlichen Zuständen drin.

  6. @Christian: Behandlung & Objektivität

    …dass ein Mensch mit einer leichten/moderate Depression oder Angsstörung heute eher bereit ist professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen als vor 30 Jahren.

    Ja – und interessanterweise nimmt die Zahl der Personen in Behandlung nur zu, nicht ab. Würde das nicht für meinen Punkt sprechen, dass die Probleme der Menschen eher verwaltet als gelöst werden?

    Und zur “objektiven” Messung: Wir wissen bereits, dass Stress und schwere Lebensereignisse ursächliche Faktoren für viele psychische Störungen sind – und i.d.R. sogar die größten Effektstärken haben, viel größer als jedes bisher entdeckte Gen (auf Populationsebene; Mehr über Ursachen von Depressionen). Wir wissen bereits, dass nach der Finanzkrise in den am schwersten getroffenen Ländern wie Griechenland die Suizidrate enorm anstieg. Wir wissen bereits, dass auch durch die Corona-Pandemie Stress und Unsicherheit enorm gestiegen sind und immer mehr Menschen psychische Probleme haben bzw. Menschen mit psychischen Störungen noch größere Probleme bekommen haben.

    Wie viel Evidenz braucht man denn noch? Irgendwann klingt das ewige Fordern von mehr “objektiven” Beweisen schon sehr nach Realitätsverleugnung.

  7. Bei Schülern spricht man nicht von psychischen Störungen sondern von auffälligen Schülern. Die können Lernstörungen haben oder sie sind verhaltensauffällig.
    In den 70er Jahren gab es pro Klasse etwa 2 auffällige Schüler. 30 Jahre später um 2000 gab es pro Klasse etwa 4 auffällige Schüler.
    Die Ursachen waren sehr unterschiedlich. Der Balkankrieg , wachsender Drogenmissbrauch, Stress, Ehescheidungen.

    Die Störungen konnten nicht behandelt werden, die Jugendämter waren unterbesetzt, nur bei Mord, versuchter Mord, Körperverletzung wurden die Behörden aktiv.
    Die Schulverwaltung schickte die schweren Fälle in Sonderschulen für Verhaltensauffällige oder für Lernbehinderte. Das war in den meisten Fällen eine Einbahnstraße.

  8. zum Thema verwalten:
    Was wäre denn dann eine “wirkliche” Lösung der psychischen Probleme der Menschen?

  9. Ich bin betroffen, und ich gehöre zur Dunkelziffer.
    Wir machen weiter und funktionieren, wir medikamentieren und betäuben uns selbst. Wenn sie ein messbaren Faktor möchten, dann messen sie einfach die Spuren im Abwasser – diese Zahlen sind ehrlich.
    Es gibt unzählige Menschen die mit psychischen Störungen ein ganzes Leben lang verbringen, und sie sind und gehen leise.

    Dieser Artikel ist nur eine leere, diffuse Nebelwand.

  10. @Christian: Ideen

    Was mir spontan einfällt:

    * Stressvermeidung statt Stressmanagement
    * das trägt gleichzeitig bei zur Prävention

    * die Leute haben in den letzten Jahrzehnten gelernt, bestimmte psychische Probleme seien eine Störung, die man wegmachen müsse (oder gar eine Erkrankung im medizinischen Sinn); dort, wo das nicht möglich bzw. realistisch ist, sollte man es akzeptieren und besser lernen, damit umzugehen (Coping)

    * Zurückdrängen des New Public Management, unter dem so viele Menschen leiden; und, damit verbunden
    * Ökonomisierung nur in den Bereichen, wo es sinnvoll ist (und vor allem nicht in: Verwaltung, Justiz, Bildung, Gesundheitssektor)

    * nicht nur über Chancengerechtigkeit reden, sondern endlich machen
    * und damit meine ich nicht nur Transferleistungen, sondern vor allem Hilfe zur Selbsthilfe (Empowerment)

    * ein damit zusammenhängender echter Umweltschutz (und nicht nur wirtschaftsfreundliches Green Washing) würde sofort die “Umweltangst” reduzieren (ein Kandidat für eine neue psychische Störung)

    * und in so einer Gesellschaft gäbe es auch wieder mehr Raum und Zeit für Verbindendes zwischen den Menschen, wodurch die Einsamkeit abnehmen sollte (ein anderer Kandidat für eine neue psychische Störung)

    (Oder man erzählt den Menschen halt weiter, dass die mit den genannten gesellschaftlich-ökonomischen Veränderungen einhergehenden psychischen Zustände Gehirnstörungen bzw. medizinische Erkrankungen sind, die man mit u.a. Pillen und Gehirnstimulation beseitigen muss.)

  11. Psychopharmaka

    P.S. Wenn man statt der Diagnosen den Psychopharmakakonsum heranzieht – dieser lässt sich sicher “objektiv” messen, @Christian – dann widersprechen die Daten noch mehr Jacobis Standpunkt, denn es gibt eben nicht nur mehr Diagnosen und Medikamentenverschreibungen, sondern die Dosierungen werden auch immer höher.

  12. Zitat:

    Wenn 20, 30, gar 40 oder mehr Prozent der Gesellschaft psychische Störungen haben, dann muss man natürlich immense Summen in diesen Bereich investieren.

    Das hängt doch von den Ursachen ab. Wenn Stress die Ursache ist und dieser Stress gesellschaftlich bedingt ist, dann müsste man die gesellschaftlichen Bedingungen ändern.

    Vielleicht ist gerade das ja das Hauptproblem, das nämlich, dass fast alle glauben, psychische Störungen seien Sache von Psychiatern und Psychologen. Wenn psychische Störungen die Ausnahme wären oder nur sporadisch und kurzfristig aufträten wie etwa eine Grippe, dann wäre eine medizinische/psycholgische Therapie wohl das richtige und auch das kostengünstigste. Wenn aber psychische Störungen quasi das Normal sind, wenn auch unerwünscht und belastend für die Betroffenen, dann können doch Psychologen und Psychiater das gar nicht bewältigen, denn dann müssten ja 10% oder noch mehr aller Berufstätigen im Bereich Psychologie und Psychiatrie tätig sein.

    10% der Berufstätigen, die die psychischen Störungen der 30 oder 40% der Bevölkerung behandeln! Das kann doch nicht die Lösung sein. Genau so wenig wie es etwa eine Lösung wäre, bei 30% Arbeitslosen 10% der Berufstätigen einzustellen, damit sie den 30% Arbeitslosen Arbeit finden. Die richtige Lösung wäre hier doch, gesamtgesellschaftlich für mehr Arbeit zu sorgen. Und bem Überhandnehmen von psychischen Störungen müsste dementsprechend gesamtgesellschaftlich dafür gesorgt werden, dass es weniger solche Störungen gibt.

  13. @Müller: Zum Beispiel…?

    🙂

    Sie haben den Witz offenbar nicht verstanden. Wir müssen nur lang genug testen, lang genug diagnostizieren, dann findet sich die Krankheit schon. Egal, ob der Mensch sich krank fühlt oder nicht. Wer sich gesund fühlt, muß im Irrtum sein, denn er hat sich sträflich der genaueren Untersuchung verweigert! Es gibt keine gesunden Menschen, es gibt nur Menschen, die durch das Raster der Diagnose fallen!
    Sind psychische Erkrankungen oder besser Symptome eigentlich ansteckend? Das wäre auf jeden Fall gut, da wir da auf absehbarer Zukunft gleich einen Impfstoff hätten. Ironie ist hier gewollt und kann daher wie der Rest ignoriert und gelöscht werden.

  14. @Hilsebein, Müller: Aprilscherz

    Der Scherz war noch etwas zu früh für den ersten April. Es ist ja wissenschaftstheoretisch nicht ganz uninteressant, sich über eine psychische Störung Gedanken zu machen, die sich nie in Symptomen äußert – ob es so etwas gibt bzw. überhaupt geben kann.

    Man weiß hier in der Online-Welt nicht, mit wem man es zu tun hat. Einem Autor wird schnell vorgeworfen, das Leid irgendeiner Gruppe nicht ernst zu nehmen bzw. zu relativieren. Daher habe ich erst einmal nachgefragt.

    Doch im Ernst: Es gab diese Diskussion zum “versteckten Autismus”. Suchen Sie mal “hidden autism” im Netz, ein Autismus, der keinem auffällt.

  15. Zu D. Hilsebein
    “Sind psychische Erkrankungen überhaupt ansteckend ?”
    Ich denke eindeutig: JA. Nehmen sie einen Guru oder Heiler der seine eigenen psychischen Störungen als Offenbarung bzw. als “Berufung” anderen Personen als Heilung vermitteln will .
    Personen können dann diese Zwangs/Wahnvorstellungen glauben und verinnerlichen. Da wird schnell ein labiles /krankes Weltbild von einer Person -dank Glauben- auf die andere Person projiziert und geistig verankert. Persönlichkeiten der Polit-und Kunstszene, die selbst mit ihrem Leben nicht klar gekommen sind werden als Idole idealisiert, d. heißt auch ihre Lebensweisen die oft im Drogenrausch endeten. Das Gehirn übernimmt die Muster und damit auch die krankhafte Gedankenwelt. So gesehen kann auch eine Gesellschaftsform krank sein da sie aus Verhaltensmustern (Über Ich) besteht die bestimmte gewünschte Werte vermitteln.

  16. @Peter Müller

    Das ist doch zu kurz gedacht. Man muß auch die symptomlosen psychischen Störungen betrachten, die die Betroffenen selbst gar nicht bemerken. Die Dunkelziffer ist vermutlich sehr hoch.

    Natürlich kann jede Störung auch so schwach ausfallen, dass diese praktisch nicht bemerkt wird.
    Was das so gemeint?

  17. @ Stephan Schleim:

    “Wenn man statt der Diagnosen den Psychopharmakakonsum heranzieht … dann widersprechen die Daten noch mehr Jacobis Standpunkt”

    Nichts für ungut, aber von den Psychopharmakaverschreibungen sollte man nun wirklich nicht auf eine Zunahme psychischer Störungen schließen.

    Nur nebenbei: Nimmt man die Diagnosen aus der ambulanten Versorgung, ist auch etwa ein Drittel der Bevölkerung im Laufe eines Jahres betroffen.

  18. @Kuhn: Psychopharmaka

    Also diagnostizieren Ärzte Zustände als psychische Störungen, die gar keine sind? Oder verschreiben sie Psychopharmaka, wo das gar nicht indiziert ist? Oder haben sie in der Vergangenheit radikal zu wenig diagnostiziert/verschrieben?

  19. Die Forscher sahen sich auch an, woher die Nutzer die Tabletten, die man eigentlich ohne Rezept nicht kaufen kann, überhaupt herbekamen. Meist, in gut der Hälfte aller Fälle, lieferten Freunde und Familie die Pillen, oder besser: Die Nutzer nahmen sie sich einfach, meist ohne Wissen desjenigen, dem die Tabletten eigentlich verschrieben worden waren.

    Eher selten dagegen, in durchschnittlich 18 Prozent aller Fälle, versuchten die Nutzer sich ein Rezept durch Betrug beim Arzt zu erschwindeln. Und noch seltener, in nur fünf Prozent aller Fälle, wurden die Medikamente über Internetapotheken bestellt.

    https://www.welt.de/gesundheit/article158097359/So-viele-Menschen-werfen-heimlich-Tabletten-ein.html

  20. Denn wenn man etwas misst und Aussagen darüber treffen will, ob das Gemessene im Laufe der Zeit ab- oder zunimmt, dann muss man genau wissen, was man misst. [Artikeltext]

    Dies ist anzustreben, aber auch im Wirtschaftlichen, die Kneipe ist mitgemeint, ist nicht immer klar, was Daten genau bedeuten.
    Der Mathematicus stellt dann, auf Zuruf idR, diese oder jene Korrelation fest und rät zur Feststellung einer bestimmten Kausalität, die dann wiederum bestimmtes Handeln nahelegt.
    Meist wird ihm auf kaufmännischer Ebene nicht gefolgt.
    Es gilt andererseits : ‘What you cannot measure, you cannot manage!’
    Hier wird es dann auf Entscheiderebene a bisserl soft, denn es ist witzigerweise ebenfalls möglich auf Grund unzureichender Datenlage und ohne Rat der Mathematiker und der sonstigen wissenschaftsnahen Hilfskräfte zu managen, und zwar im Rahmen eines nicht umfänglich per Datenerfassung und späterer Datenanalyse bereit gestellten Kontextes, nackt aus dem Bauch heraus sozusagen.
    Es gilt also auch : ‘You do not go to war with the information you need, but with the information you have!’

    Mit “Fußabstimmungen” wäre Dr. Webbaer vorsichtig.
    Sicherlich sind individuelle Bedürfnislagen, der Kundschaft sozusagen, zK zu nehmen, sie müssen aber nicht Entscheidungsgrundlage werden.

    Am besten möglicherweise Datenlagen möglichst passend zu erfassen suchen, am besten möglichst passend nach Korrelation suchen lassen, am besten Kausalität möglichst verständig (selbst) festzustellen suchen, ja, hier darf auch der (im dankenswerterweise bereit gestellten Primärinhalt kritisierte) gesellschaftliche Erfolg (von “Püscholgen”) gesucht werden, der schnöde Mammon, das Blitzlichtgewitter sozusagen, denn das Thema ist an sich soft, soft im Wissenschaftlichen.

    Dr. W mag es ganz besonders, wenn (im “Püschologischen”) verständige, gut ausgebildete, auch philosophisch, und a bisserl auch nickelige Forscher hier herumspringen, danke!

    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Webbaer (vely zufrieden sein, here)

  21. *
    gesellschaftliche Erfolg (von “Püschol[o]gen”)

    PS:
    Also eigene Meinung haben, nicht angepasst sein und auch nicht werden, (wohl gepflegtes) Querdenkertum sozusagen müsste m.E. sehr wichtig sein, wenn derart schwierige Materie zu bearbeiten ist, es ist kein Zuckerlecken von einer “CPU” in andere “CPUs” zu schauen.
    Anzunehmenderweise findet im Angepassten, im angepasst “Püschologischen” sehr viel Fehl-. Mangel-, Minder-, Minus- und Nullleistung statt.

  22. Dr, W,
    uns fehlt eine Kultur der Gelassenheit Eccentrics gegenüber.
    Kein Wunder nach zwei verlorenen Kriegen. Wir haben nicht mehr viel, worauf wir kulturell stolz sein können. Musik und Kunst mal ausgenommen.
    Deswegen schlägt jede Störung, Querdenker, Corona durch, und sie führt zu einer psychischen Störung.

  23. Frage 1: Soll ein Hausarzt einem Menschen, der sich einsam fühlt und der sich selbst als depressiv wahrnimmt, Antidepressiva verschreiben?
    Frage 2: Verschreiben heute Hausärzte Patienten, die sich einsam (und depressiv) fühlen, Antidepressiva?
    Frage 3: Nehmen psychische Störungen ab wenn Hausärzte mehr Antidepressiva und andere psychotrope Mittel verschreiben?

  24. @ Martin Holzherr.

    Auch das sind gute Fragen. Böse Zungen würden dazu “Tödliche Psychopharmaka und organisiertes Leugnen: Wie Ärzte und Pharmaindustrie die Gesundheit der Patienten vorsätzlich aufs Spiel setzen” von Peter Gøtzsche empfehlen, gemäßigte einen Blick in den Arzneiverordnungs-Report von Schwabe/Ludwig.

  25. @Holzherr: Fragen

    Antwort 1: Der Hausarzt könnte besser erst einmal abwarten (“watchful waiting”) bzw. ein Placebo verschreiben. (Man erinnere sich auch: Antidepressiva wirken nicht spezifisch antidepressiv.)

    Antwort 2: Mitunter schon, ja; viele Jahre lang stieg dieser Trend zu, inzwischen verschreibt man die Medikamente nicht mehr ganz so schnell (siehe auch Antwort 1).

    Antwort 3: Mit ziemlicher Sicherheit nicht… und trotz massiver Zunahme der Verschreibungen seit den 1990ern konsumieren immer mehr Menschen Psychopharmaka. Langfristig. (Das hat den Wissenschaftsjournalisten Whitaker auf die Idee gebracht, die Psychopharmaka könnten die psychischen Störungen sogar verschlimmern.)

  26. @ Golzower

    “Nehmen sie einen Guru oder Heiler der seine eigenen psychischen Störungen als Offenbarung bzw. als “Berufung” anderen Personen als Heilung vermitteln will .”

    “Wenn Menschen aufhören, an Gott zu glauben, glauben sie nicht an nichts, sondern an alles Mögliche. Das ist die Chance der Propheten – und sie kommen in Scharen.”
    Gilbert Keith Chesterton

    Der Typ gefällt mir. Doch Aufklärer funktionieren nur dort, wo der Boden noch fruchtbar ist. “Doch der Boden ist arm und zahm geworden…”

  27. Grundsätzlich ist es so, dass Medikation bei sog. psychischen Störungen zweifelhaft ist und letztlich auf die Verabreichung sog, Gute-Laune-Pillen hinauslaufen könnte bis hinauslaufen muss.
    Also Märkte bedienend.

    Vielleicht besteht der einzige Grund dafür, dass sich der Webbaer hier ein wenig kommentarisch bemüht, darin, dass der hiesige werte Inhaltegeber authentisch zu sein scheint und auch von Morbus Bahlsen, sozusagen, ungesegnet und eigenbrötlerisch, zuvörderst Sacharbeit leistet.
    Auf schwierigem Terrain.

    Bei der Nichtwirksamkeit von Wirkstoffen, die Verständigkeit meinend (die “gute Laune” ist sicherlich in den gemeinten Wirkstoffen ohnehin vorhanden bzw. transportiert, niemand würde hier wagen wollen gegenzureden), geht Dr. Webbaer a bisserl weg von der Meinung des hiesigen werten Inhaltegebers.
    (Korrekt ist oder könnte sein, dass verständiges Personal Wirkstoffe der gemeinten Art nicht benötigt, nicht so besser werden kann.)
    Der eher durchschnittliche Bär oder Mensch profitiert hier mit an sich Sicherheit zu grenzender Wahrscheinlichkeit zumindest partiell derart, unsereins nicht.

    MFG
    Wb

  28. *
    sog[.] Gute-Laune-Pillen

    **
    Bär oder Mensch profitiert hier mit an [] Sicherheit [] grenzender Wahrscheinlichkeit […] nicht.

  29. Worum geht es in diesem blog ?
    Geht es um psychische Störungen
    oder geht es um Psychologe versus Epidemiologe ?

    Der Ruf der Neurologen ist ja schon schlecht genug, und wer sich outet zum Neurologen zu gehen, der ist schlecht beraten, das ist gleichbedeutend mit, du hast eine eingebildete Störung.
    Also, ist der Psychologe und der Epidemiologe noch einen Rang tiefer angesiedelt oder einen Rang höher ?

    Das Wort psychologische Kompetenz ist gefallen. Das verspricht Hilfe und Heilung. Ich selbst verstehe nicht viel von der Problematik, deshalb wäre es sinnvoll mit ganz konkreten Fallen zu arbeiten.
    Burn out ist ein konkreter Fall. Wenn ein Polizist arbeitsunfähig wird, weil er überfordert wird durch pausenlosen Stress, dann ist etwas faul in unserer Gesellschaft. Dann gehört der Begriff Burn out gesetzlich geschützt als Berufskrankheit und der Psychologe, der diese Leute behandelt, diese Berufsgruppe gehört auch gesetzlich geschützt.

  30. @hwied: Neuro- und Psychologie

    Die sollte man nicht in einen Topf werfen: Der eine ist Arzt und spezialisert auf Erkrankungen des Nervensystems…

    …der andere ist klinischer Psychologie und spezialisiert auf Gedankens- und Verhaltensprobleme.

    Ich lese zur Zeit ein paar Quellen aus den 1970ern/1980ern zum Thema Burn-Out. Damals tauchte der Begriff in seiner heutigen Funktion in wissenschaftlichen Arbeiten auf. Es ist erschreckend, dass dieses Wissen verloren gegangen ist und man immer wieder bei null anfangen muss.

  31. P.S. hwied: System & Geld

    In diesem System geht es nicht um die Erhaltung von Gesundheit, sondern um die richtige Verwaltung von Krankheit: An Gesundheit verdient niemand etwas, dann würden viele Spezialisten sogar bankrott gehen; mit Krankheit, v.a. chronischen Erkrankungen, lässt sich hingegen wahnsinnig viel Geld verdienen!

  32. Stefan Schleim,
    Danke für die Klarstellung.
    Bei den Ärzten geht es auch um Geld, denn eine Arztpraxis kostet viel Geld. Dass Krankheit nur verwaltet wird, dass stimmt so nicht. Unser Schwager, selbst Arzt, der hat teilweise mit seinen Patienten gelitten. Und meine Erfahrung mit Ärzten ist auch positiv.

  33. Klingt a bisserl böse :

    In diesem System geht es nicht um die Erhaltung von Gesundheit, sondern um die richtige Verwaltung von Krankheit: An Gesundheit verdient niemand etwas, dann würden viele Spezialisten sogar bankrott gehen; mit Krankheit, v.a. chronischen Erkrankungen, lässt sich hingegen wahnsinnig viel Geld verdienen!

    …müsste mE aber korrekt angemerkt sein.
    Es gibt viele derartige Ansätze, die witzigerweise funktionieren, Nutzen zeitigen.
    Bspw. scheint die (liberale) Demokratie in vielerlei Hinsicht gänzlich untauglich zu sein, sie ist “nur” besser als die Alternativen (die dbzgl. Beleglage soll an dieser Stelle nicht beigebracht wie erklärt werden, es ist so, empirisch gesehen), der von Herrn Dr. Schleim angezeigte und sicherlich bestehende Mangel existiert wohl, sozusagen.
    Und doch wird individuell länger gelebt und auch in der Beratung durch Psychologen [1] günstiger gelebt.

    Dr. Webbaer fasst mal, gutgelaunt wie eigentlich immer, so zusammen :
    Es gilt Systeme gesellschaftlicher Art kritisch und manchmal auch freundlich zu bearbeiten, selbst dann, wenn ihre Funktionsweise nicht direkt greifbar ist und anti-intuitiv erscheint. Insbesondere die Liberale Demokratie.

    Am besten sind hier (klar erkennbar) verständige Personen am Werkeln, eine Einschätzung, die bei softer Materie u.a. auch der hiesigen werten inhaltegebenden Kraft Mut geben soll.

    Philosophisch angemerkt : Der Ablativ ist vglw. cool.

    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Webbaer

    [1]
    Sicherlich war Dr. Webbaer hier in der Vergangenheit zu streng.

  34. @Stephan 27.03. 22:33

    „In diesem System geht es nicht um die Erhaltung von Gesundheit, sondern um die richtige Verwaltung von Krankheit: An Gesundheit verdient niemand etwas, dann würden viele Spezialisten sogar bankrott gehen; mit Krankheit, v.a. chronischen Erkrankungen, lässt sich hingegen wahnsinnig viel Geld verdienen!“

    Man muss hier schon gewisse Effekte vorweisen, sonst geht doch keiner mehr zum Arzt. Einen Konflikt um nachhaltige Problemlösung kontra nachhaltigem Geschäft hat man fast überall. Auch ein Heizungsbauer verdient daran, wenn die neue Heizung nicht 40 Jahre, sondern nur 20 Jahre hält. Aber er muss gut aufpassen: das kann sich herum sprechen, wenn man nicht so gute Arbeit macht.

    Das ist im medizinischem Bereich nicht anders. Ein Arzt, der gute Arbeit macht, der spricht sich rum, und bekommt entsprechend Zulauf. Einer der weniger hilfreich ist, der kann auf die Dauer sogar Pleite gehen, wenn er sich so ungeschickt anstellt, dass die Patienten das am Ende merken, wenn er die Krankheiten nur verlängert, anstatt die Probleme seiner Patienten wirklich zu lösen.

    Bei Psychiatern sieht das etwas anders aus. Erstmal gibt es zuwenige davon, einer mit schlechtem Ruf bekommt einfach deshalb schon immer wieder frische Patienten, einfach weil er Zeit hat, um Termine für neue Patienten zu vergeben.

    Dazu kommt im psychiatrischem Bereich, das die Psyche ziemlich undurchsichtig ist, und es nicht leicht festzustellen ist, welche Behandlung durch welche Ärzte jetzt welchen echten Effekt gebracht hat.

    Im stationären Bereich wird es jetzt nochmal relevant, das über die Hälfte der dortigen Patienten gar nicht freiwillig da sind, also entweder tatsächlich Zwangseingewiesen sind, oder nur aus Angst vor einer Zwangseinweisung freiwillig da sind. Man muss die nicht zufrieden stellen, man muss um diese Patienten nicht werben.

    Und doch gibt es freiwillige Patienten, die sich eine gute Klinik aussuchen, weil sich herumgesprochen hat, dass man da besser behandelt wird. Eine Klinik, die gute Arbeit macht, hat auch in diesem Bereich dann doch auch Erfolg.

    Das sieht bei den Medikamentenherstellern nicht anders aus. Ein Medikament, das lebenslang eingenommen werden muss, hat zunächst mal eine Perspektive, lebenslang Geld einzubringen. Aber sobald es bessere Medikamente gibt, ist dann auch Schluss mit diesem Geschäft. Wer was wirklich hilfreiches entwickelt, wird damit auch sehr viel Geld verdienen können.

    Generell kann man auch im Gesundheitssektor sagen: Konkurrenz belebt das Geschäft. Aber klar: hier muss man immer wieder damit rechnen, dass man mit wenig tauglichen Maßnahmen hingehalten wird, überall, nicht nur im Gesundheitssystem. Aufpassen, ausprobieren, drüber austauschen hilft dabei, Ärzte und Kliniken zu finden, die gute Arbeit machen.

    Ich glaube, dass die Mängel in der Versorgung von psychisch Kranken nur zu einem Teil auf mangelnde Motivation seitens der Ärzte zurückzuführen ist. Maßgeblicher ist, das auch die Experten durch die Untiefen des menschlichen Seins nicht so gut durchblicken, und wirklich nicht besser wissen, wie man da nachhaltiger Behandeln könnte.

    Zumal auch soziologische Aspekte oft nicht durch die Mediziner behandelt werden können. Wenn Harz4 einen wesentlichen Teil des Stresses ausmacht, der dann zum psychischem Kollaps geführt hat, dann kann der Arzt nur noch krankschreiben, was dann aber leider viel zu spät ist. Hier wäre der Vorsorgegedanke hilfreich, nur leider fühlt sich hier der Durchschnittsarzt anscheinend für nicht zuständig.

    Das wäre aber ein Thema für die Forschung, an den Unis, neben den Pharmafirmen. Und wenn hier mit öffentlichen Geldern mal die Medikamente entwickelt werden würde, die für die Pharmaindustrie nicht lohnend sind, dann wäre hier wirklich was zu ändern. Neben den dringend benötigten neuen Antibiotika könnten wir auch Psychopharmaka, die nur kurzfristig eingenommen werden müssen, sehr gut gebrauchen.

  35. @hwied, Jeckenburger: Systemebene

    Ich sprach nicht von individuellen Ärzten bzw. Menschen in den Heilberufen, sondern von der Systemebene: Die Anreize dort sorgen für die Verwaltung (idealerweise Chronifizierung) von Leid, nicht dessen Verhinderung.

  36. “Es geht ums Geld”
    Vielleicht wird man diese Einstellung in Zukunft auch mal unter “Psychische Störung” verbuchen ? So gibt es Religionen, Ideologien die das Wesen des Menschen nicht allein mehr auf diese GIER reduzieren wollten/wollen, zu mindestens predigen sie dieses Wasser und trinken heimlich Wein. Beginnt also eine psychische Störung damit dass man sich seiner Leiden bewusst wird oder das man diese Leiden (Buddha nannte das Dukkha) als Teil der gesellschaftlichen Selbstverwirklichung ansieht ? Menschliches Leiden ist eigentlich zum großen Teil darauf zurückzuführen das es nur um Geld ging/geht. Letzteres provozierte Neid, Gier, Hass, Machtstreben etc…Daraus entstanden Kriege, Morde, Verletzungen, Krankheiten usw…Psychische Probleme könnte man bekommen wenn man sieht wie dieser Tanz ums goldene Kalb von der Bibel verdammt wurde, Christen sich aber im MIttelalter davon freikaufen konnten(Tetzel) und heute “christliche” Politiker zu Lobbyisten des Finanzkapitals mutieren können.

  37. @Golzower: Pleonexie

    Seit der Antike gibt es den Vorschlag, das Immer-mehr-haben-Wollen als – heute würde man es so nennen – psychische Störung aufzufassen. Der Name dafür ist: Pleonexie.

    Interessant, dass die es, trotz der Multiplikation von Störungskategorien, nie in die offiziellen Diagnosehandbücher geschafft hat. Vielleicht will man es sich nicht mit dem großen Geld verscherzen?

    Und zum Buddhismus: Damals wurde eigentlich schon alles gesagt. Es gibt zwei unveränderliche (Krankheit und Alter/Tod) und zwei veränderliche Ursachen von Leiden. Die letzten beiden sind:

    1) Haben wollen, was man nicht hat; und
    2) haben, was man nicht will.

    In diesem Sinne: Alles Gute! lokah samastah sukhino bhavantu (Mögen alle Wesen glücklich sein.)

  38. Als ich eben das las

    Lara Bücker hat als Psychotherapeutin eine App entwickelt, die Spielsüchtigen und Depressiven einen Weg aus ihrem Albtraum bahnt. Das Potenzial ist riesig,

    musste ich an einen Satz aus diesem blog post denken:

    An Gesundheit verdient niemand etwas, dann würden viele Spezialisten sogar bankrott gehen; mit Krankheit, v.a. chronischen Erkrankungen, lässt sich hingegen […] viel Geld verdienen!

    Wobei ich Frau Bücker _keine_ “Raffgier” unterstellen will!

    Das Zitat ist aus diesem Artikel:

    https://www.zeit.de/2021/13/selbsthilfe-app-cogito-achtsamkeit-depression-selbstwert-lara-buecker.

    Nicht gelesen, da er eine paywall hat.

    Meinerseits “zum Abschluss” (und zur Auflockerung) auch zwei “Weisheiten” :

    **** Albert Einstein hielt einen Vortrag über die Relativitätstheorie, als ein Zuhörer aufstand und spöttisch rief: “Mein gesunder Menschenverstand lehnt alle Dinge ab, die man nicht sehen kann!” Gelassen entgegnete Einstein: “Dann kommen Sie bitte nach vorn, und legen Sie ihren gesunden Menschenverstand hier auf den Tisch.” ****

    **** So the Dalai Lama walks into a pizza shop.” And he says, ‘Can you make me one with everything?”’ The pizza vendor hands him one with everything. The Dalai Lama hands him a $20 bill and the pizza vendor pockets it. “What about my change?” asked the Dalai Lama. The pizza vendor says, “Sorry, mate! Change comes only from within.” ****

    😉

  39. @Krüger: Lara Bücker

    Naja – die Wissenschaft geht eben mit den Trends, daher gibt es nun immer mehr sogenannte e-Mental-Health-Angebote.

    Ich habe mir vor einiger Zeit im Zusammenhang mit einer Rezension einmal so eine App angeschaut, für die Professor Hans Markowitsch seinen Namen hergegeben hat; die war meinem Ergebnis nach vom wissenschaftlichen Standpunkt aus wirklich, wirklich schlecht.

    Lara Bücker hat in diesem Bereich immerhin mehrere Jahre geforscht. Dennoch wird Ihre App wohl auch keine Wunder bewirken. e-Mental-Health ist meiner Ansicht nach vor allem ein neuer Weg, Klienten effizienter zu verwalten.

    “Das Potenzial ist riesig”, ist so herrlicher Marketing-Sprech. Gut für die Psychologin, dass die Zeit-Redaktion hier (gratis?) Reklame für sie macht. Dass sowohl die Psychologin als auch die Zeit-Redaktion in Hamburg sitzen, ist vielleicht kein Zufall.

    P.S. Und für die Patienten/Klienten: Ein Chat mit einer Psychotherapeutin ist wohl besser als nichts. Die Ursachen der Probleme wird man damit wohl nicht beheben.

  40. @Stephan 28.03. 16:31

    „Ich sprach nicht von individuellen Ärzten bzw. Menschen in den Heilberufen, sondern von der Systemebene: Die Anreize dort sorgen für die Verwaltung (idealerweise Chronifizierung) von Leid, nicht dessen Verhinderung.“

    Wie wollen sie hier die Anreize anders gestalten? Es gibt ja schon das persönliche Budget für Leistungen in der Behindertenhilfe, dass auch in Einzelfällen funktioniert. Hier tritt der Behinderte selbst als Arbeitgeber auf, und holt sich genau die Unterstützung, die er haben will. Den meisten ist das aber zu kompliziert, zumal die Leistungen etwa des Betreuten Wohnens doch meistens ganz gut passen. Wenn hier die Leistungserbringer auch gerne mehr machen, als wirklich nötig ist. Das kostet, aber ist jetzt wenigstens dem Patienten kein Nachteil. Wenn die Wohnbetreuer mit dem Betreuten mit dem Auto zum Einkaufen fahren, auch wenn der Betreute das eigentlich auch selber kann, so ist das nur ein recht kleines Problem.

    Was unbedingt fehlt, dass sind sicher die Medikamente, die die Pharmafirmen nicht entwickeln. Mehr unabhängige Forschung auf diesem Gebiet, und auch z.B. im Bereich von Psychotherapie, das wäre sicher schon wichtig, und würde einen Unterschied machen.

    Gerade in den Kliniken kann man beobachten, das hier die Patienten im Prinzip links liegen gelassen werden. Es sind genug Krankenpfleger da, die sich eigentlich mit den Patienten beschäftigen müssten, aber die sitzen lieber in der Pflegerbude, unterhalten sich und schreiben auch mal in den Akten herum, die hinterher niemand liest. Hier müssten eher Tätigkeitsnachweise geführt werden, dass die Klinik nur den vollen Pflegesatz bekommt, wenn sich tatsächlich mit dem Patienten beschäftigt worden ist. Im Betreuten Wohnen ist das längst der Fall, hier wird nur abgerechnet, was auch getan wurde, und das funktioniert deswegen auch 3 mal besser als die persönliche Begleitung in den Kliniken.

    Generell ist meine ich die Krankenversicherung viel zu teuer. In England soll das viel billiger sein, hier hat der Staat selbst alles in der Hand, und achtet auch wirklich auf die Kosten. Man bekommt nicht jede gewünschte Behandlung, aber wenn eine Behandlung vom Kosten-Nutzen-Verhältnis her einfach nicht lohnt, dann wird so eben auch das ganze System kosteneffektiver, wo dann auch jeder von profitiert. Die britische Praxis kenne ich jetzt nicht, aber wäre das eventuell ein Modell?

  41. @Jeckenburger: Effizienz

    Natürlich wollen wir Effizienz – man muss aber aufpassen, wer das genau wie definiert. Trauen Sie Betriebswirten (bzw. “Gesundheitsökonomen”) zu, einfach mal so entscheiden zu können, was die besten Behandlungen sind?

    Die Probleme der Menschen sind zu divers. Da kann es keine einfache Lösung für alle geben. Ich hatte hier schon ein paar konkrete Vorschläge gemacht.

    Man sollte endlich auch einmal zugeben, dass der Mensch kein 100%-Wesen ist. Selbst Maschinen erreichen keine 100%. Das heißt, anstatt immer mehr Aufwand aufzubringen (Stichwort: Pareto Prinzip), um uns mit aller Kraft zu den 100% zu bringen, sollte man 95%, 90% o.ä. als Sollwert akzeptieren.

    Ganz allgemein: Hilfe zur Selbsthilfe! (Empowerment)

    P.S. Und es muss heute doch schon so viel dokumentiert werden; da werden sich die Pflegekräfte, wo es bereits einen Arbeitskräftemangel gibt, sicher freuen. Im Endeffekt werden die dann halt noch mehr schreiben und noch weniger Zeit für die Patienten haben.

  42. @Stephan 29.03. 13:52

    „P.S. Und es muss heute doch schon so viel dokumentiert werden; da werden sich die Pflegekräfte, wo es bereits einen Arbeitskräftemangel gibt, sicher freuen.“

    Also in der Psychiatrie haben die Pflegekräfte eher Langeweile. Mit der Dokumentation sollte man nicht am falsche Ende sparen, hier wirklich die Leistung am Patienten zu dokumentieren, wäre einfach nötig. Die haben da Zeit genug für, sich mit ihren Patienten zu beschäftigen, nur keine Lust. Wenn die da jeden Furz des Patienten dokumentieren, das braucht niemand.

    Was den Stresslevel in der Gesellschaft angeht, da macht es ganz viel Sinn, den zu reduzieren, und Hilfe zur Selbsthilfe ist eh gut. Nebenbei haben die meisten chronisch psychisch Kranken die meisten Probleme damit, keine vernünftige Beschäftigung zu finden, neben der Einsamkeit.

    „Trauen Sie Betriebswirten (bzw. “Gesundheitsökonomen”) zu, einfach mal so entscheiden zu können, was die besten Behandlungen sind?“

    Ich weis jetzt nicht so recht, was der Gesundheitsökonom kann. Wichtig wäre sicher noch, auf wessen Gehaltsliste der jetzt steht. Wie wäre es mit einer Patientenvertretung, die neben den medizinischen Fragen auch die Kosten im Sinne der Versicherungsbeiträge im Blick hat?

  43. @Jeckenburger: Sinngebung

    Nebenbei haben die meisten chronisch psychisch Kranken die meisten Probleme damit, keine vernünftige Beschäftigung zu finden, neben der Einsamkeit.

    Deshalb spricht man hier in den Niederlanden seit vielen Jahren von Sinngebung (zingeving): Den Menschen dabei helfen, in ihrem Leben das zu tun, was sie (sinnvoller- bzw. realistischerweise) tun können und wollen. Wenn man den Patientinnen und Patienten hingegen weismacht, man müsse nur auf das richtige Medikament, die richtige Gehirnstimulationstechik warten, ja, dann kann einem das Leben elendiger erscheinen, als es sein müsste.

    Und die Betroffenen einzubeziehen, das halte ich für selbstverständlich. Dafür gibt es im Niederländischen übrigens ein eigenes Wort: ervaringsdeskundige (bedeutet in etwa: Experte aus eigener Erfahrung). Dafür gibt es sogar feste Stellen(!) mit einem kleinen Gehalt. Hoffentlich werden diese Personen mit ihrem Erfahrungswissen in Deutschland auch miteinbezogen.

  44. @Stephan 29.03. 16:47

    „Und die Betroffenen einzubeziehen, das halte ich für selbstverständlich. Dafür gibt es im Niederländischen übrigens ein eigenes Wort: ervaringsdeskundige (bedeutet in etwa: Experte aus eigener Erfahrung). Dafür gibt es sogar feste Stellen(!) mit einem kleinen Gehalt. Hoffentlich werden diese Personen mit ihrem Erfahrungswissen in Deutschland auch miteinbezogen.“

    In NRW gibts inzwischen auch sogenannte Genesungsbegleiter, das sind Personen mit Expertise aus Erfahrung. Die haben teils feste Stellen in Kliniken oder bei den Trägern der Behindertenhilfe. Ausgebildet sind die meist vom EX-IN NRW e.V..

    Wir haben in Dortmund noch die KMPE, das ist die Koordinierungs-Gruppe Mitbestimmung Psychiatrie-Erfahrener in Dortmund. Da haben wir u.a. eine Peerberatung im Angebot, allerdings wegen Corona derzeit sehr eingeschränkt. Weiteres unter:

    http://kmpe-dortmund.de/

    Wir von unserem Selbsthilfeprojekt KLuW e.V. haben auch ein Buch über psychische Krankheiten aus Betroffenensicht geschrieben: „Die Wirklichkeit psychischer Krankheiten – Subjektivität als Maßgabe und Menschenrecht“ Das kann man hier lesen:

    https://introspektiva.de/

    Aktuell gibt es von uns z.B. die Idee, dass ein Genesungsbegleiter immer dann gehört werden sollte, wenn in den Kliniken Zwangsmaßnahmen anstehen, die vom Richter genehmigt werden müssen, also Zwangsunterbringung, Fixierung oder Zwangsmedikation. Das ist zur Zeit recht unbefriedigend gelöst, weil die Richter praktisch alles durchwinken, und nur die Formalien prüfen. Diese speziellen Genesungsbegleiter könnten den Fall vor Ort prüfen, und es würde reichen, wenn die nichts zu entscheiden haben, aber eben angehört werden müssten. Praktischerweise sollten die dann nicht auf der Gehaltsliste der Kliniken stehen, besser etwa bei den Gerichten angestellt sein.

  45. @Stephan Schleim – Gesundheitsökonomen

    Aus meiner Sicht ist das Gesundheitswesen in Deutschland vorrangig ein Reparaturbetrieb. Wenn eine Krankheit, Störung oder Verletzung erkannt wird, werden Maßnahmen dagegen verordnet und bezahlt. Ökonomen achten dann darauf, dass nur nötige Maßnahmen verordnet werden.

    Vorsorge oder Fürsorge im Sinne von Vermeidung von Krankheiten, Störungen oder Verletzungen wird dagegen eher nachrangig betrieben. Als positive Beispiele gehören dazu Impfungen, Vorsorgeuntersuchungen bei Kindern (U1 bis U11) und Jugendlichen (J1 und J2), Vorsorgeuntersuchungen bei Erwachsenen mit Alters- und Häufigkeitsgrenzen, Letztere wohl auch, weil frühzeitig diagnostizierte Krankheiten mit besserer Aussicht auf Erfolg therapiert werden können.

    Allgemeines Fitness-Training? Allgemeine Ernährungsberatung? Allgemeine Hygieneberatung? Ökonomen betrachten solche Maßnahmen oder auch ein „allgemeines anlassloses Gespräch des Arztes mit einem Patienten“ eher argwöhnisch und mit Blick auf vermeidbare Kosten und sie sind knauserig bei der Bewilligung entsprechender Abrechnungen. Könnte ja sein, dass der Patient auch ohne diese Vorsorge gesund bleibt.

    Oder frei nach Gunter Dueck formuliert: „Die Betriebswirte ruinieren alles.
    Siehe z.B. hier,
    DD342
    wobei es in seinem Beitrag von Juni 2019 um andere Themen geht als in diesem Blog.

    BWL hat ihre Berechtigung und ohne betriebswirtschaftliche Belange zu beachten, könnten Unternehmen (und auch Verwaltungen) wohl nicht lange Zeit bestehen. Aber wenn Entscheidungen in Unternehmen, Institutionen, Ämtern, Verwaltungen usw. vorrangig aufgrund betriebswirtschaftlicher Einschätzungen erfolgen, hat man am Ende viel Effizienz und wenig Effektivität. „Man erreicht eher nichts, aber das ist sorgfältig dokumentiert.

    Ich hoffe, dass die oben genannten Beispiele für Vorsorge und auch die im Blog-Beitrag und in Kommentaren beschriebenen Ansätze nur erste Schritte auf dem langen Weg zu einem besseren Gesundheitswesen sind. Und nicht zu vergessen: Da ist auch die jeweils eigene Verantwortung für die eigene Gesundheit gefordert.

  46. @Andresen: Umweltpsychologie

    Vielem kann ich zustimmen – wir Menschen (und andere Lebewesen) treffen unsere Entscheidungen aber in einer konkreten Umgebung/Umwelt. Man kann noch so viel informieren: Wenn am Ende im Supermarkt vor allem ungesunde Produkte zum Kauf angeboten bzw. am stärksten beworben werden, dann wird die Information nicht verhaltenswirksam.

    Man hat doch schon vor rund 100 Jahren verstanden, wie Konditionierung funktionert. Und jetzt haben wir noch Jahrzehnte der Forschung in Sozial- und Umweltpsychologie hinter sich. Warum nicht wissenschaftliche Erkenntnisse über menschliches Verhalten in die Umwelt integrieren?

    (Platt gesagt: Allgemein gesunde Verhaltensweisen und Entscheidungen sollten einfacher gemacht werden, allgemein ungesunde Verhaltensweisen jedenfalls nicht mit Werbe- und Rabattaktionen gefördert werden. Siehe auch: Mensch in Körper und Gesellschaft: Was heißt Freiheit?)

  47. Guten Tag Stefan….Nun ja ,ich habe nicht ihren Artikel gelesen…da ich davon ausgehe Sie können relativieren und differenzieren….Was sind Statistiken ?

    Des weiteren erinnere ich an die Unterscheidung Person und Mensch….und deren heutiges Rechtsverständnis global…..vielmehr sind es auch die Gewohn,-und Verhaltensweisen die von Generation zu Generation weitergegeben werden…

    bis man bewusst wird und das ändert… In dem Zusammenhang möchte ich auf die deutsche Gesellschaft und ein kürzliches Interview Professor William Toel USA verweisen…wo er die gesamtgesellschaftliche Aufgabe besonders Deutschlands Gesellschaft sieht… ! Thema der Geschichte wird kurz erörtert für den Insider !

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