Gesetzesvorhaben in der Kritik: Wie gefährlich ist Cannabis nun wirklich?
Insbesondere beim Jugendschutz scheiden sich die Geister. Was wissen wir über den Einfluss von Cannabis aufs jugendliche Gehirn? Karl Lauterbachs Initiative und ihre Kritiker im Faktencheck.
Gestern, am 16. August 2023, stand Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach in der Bundespressekonferenz Rede und Antwort (hier im Angebot von Phoenix). Das Interesse war groß, denn nun ist der Kabinettsbeschluss zur Teillegalisierung von Cannabis bekannt:
Noch dieses Jahr soll der Bundestag das Gesetz verabschieden, das den Besitz von bis zu 25 Gramm Cannabisprodukten straffrei stellt. Ihren Bedarf sollen Konsumentinnen und Konsumenten dann über bis zu drei eigene Pflanzen zuhause oder die Mitgliedschaft in einem Cannabis-Club decken können. Laut dem Minister kann auch der Bundesrat – in dem die Mehrheitsverhältnisse anders sind – das Vorhaben nicht aufhalten.
Während Lauterbach die mehr als hundertseitige Vorlage als “Gesetz mit Augenmaß” verteidigte, geht Vertretern der Hanflobby und manchen Abgeordneten von FDP und Grünen die Legalisierung nicht weit genug. Allerdings ist Deutschland nicht nur an die internationalen Verträge der UN gebunden, sondern im Rahmen der EU auch an das Schengenabkommen. Dieses verpflichtet die Länder im Gegenzug für die offenen Binnengrenzen zur Durchsetzung von Drogenverboten im Innern.
Welle der Kritik
Die Initiative hat aber auch viele Gegner: Schon vor Wochen warnten beispielsweise Verbände von Kinder- und Jugendärzten vor steigendem Konsum und Schaden für das heranwachsende Gehirn. MENSCHEN-BILDER deckte allerdings Fehlinformationen auf: So hat sich der Konsum Minderjähriger durch die Legalisierung in mehreren US-Staaten nicht erhöht und setzte der steigende Trend bei jungen Erwachsenen schon lange vorher ein. Auf den Punkt mit dem Gehirn komme ich gleich im Detail zurück.
Presseberichte flankierten dann Lauterbachs gestrigen Termin mit alarmistischen Warnungen: “CDU warnt vor ‘komplettem Kontrollverlust'”, “Deutliche Kritik an Lauterbachs Cannabis-Plänen”, “Kritiker laufen Sturm”, Cannabis “macht krank”, das Gesetz “stärkt den Schwarzmarkt” und “ist in der Praxis nicht machbar” – um nur einige Beispiele zu nennen. Polizeigewerkschaft und Richterbund hielten es für zu bürokratisch. (Seit wann, mit Verlaub, ist das, gerade für diese Beamtenbünde, eine Kritik und keine Arbeitsplatzgarantie?)
Doch Lauterbach zeigte sich in der Pressekonferenz selbstbewusst: Er nennt einen wichtigen Punkt, wo er auf das Scheitern der heutigen Verbotspolitik hinweist. Für das gute Funktionieren der Prohibition gibt es in keinem Land ein gutes Beispiel. Wer eine psychoaktive Substanz wirklich will, für den gibt es einen Markt – dann unter wesentlich gefährlicheren Bedingungen, weil ohne Qualitätskontrolle und in Händen der Organisierten Kriminalität.
Und hieran kranken die Stellungnahmen der Kritikerinnen und Kritiker allesamt: Die Verfehlungen der Verbotspolitik seit den 1970ern/1980ern löst man nicht mit einem sturen “Dagegen”. Die Opposition hatte lange genug Zeit für die Ausarbeitung alternativer Vorschläge. Durch das plumpe Herbeten der immer gleichen Parolen (“Suchtgefahr”, “Einsteigsdroge” usw.) löst man keine Probleme, sondern bestärkt in erster Linie Vorurteile.
Cannabis und das “jugendliche Gehirn”
Soweit die Politik und die öffentliche Diskussion. Jetzt wollen wir uns die Aussage, Cannabis sei insbesondere fürs heranwachsende Gehirn – das Gehirn von Heranwachsenden – eine Gefahr, genauer anschauen. Erst gestern wiederholte Simone Borchardt (CDU), Mitglied im Bundestags-Gesundheitsausschuss, im Morgenmagazin der ARD die Warnung der Kinder- und Jugendärzte:
“Wenn wir uns den Gesetzesentwurf anschauen, reden wir immer von einer Altersgrenze von 21 Jahren. Und wenn Sie nun mit Kinder- und Jugendärzten sprechen, dann wissen wir, dass das menschliche Gehirn erst mit 25 Jahren richtig entwickelt ist. Und demzufolge wird es eben zu Entwicklungsschäden und psychischen Erkrankungen führen. Und das, denke ich, halten wir in diesem Zusammenhang für eine sehr sehr große Gefahr.”
Simone Borchardt (CDU)
Das Argument mit der Gehirnentwicklung habe ich mir für meine Forschung zum “Neuro-Strafrecht” in den Niederlanden genauer angeschaut: Mit der Behauptung, das Gehirn befinde sich noch in der Entwicklung, wurde hier die Altersgrenze für die mögliche Anwendung des Jugendstrafrechts auf 22 Jahre angehoben.
Bei genauerer Untersuchung stützten die angeführten neurowissenschaftlichen Studien diese Altersgrenze aber nicht und widersprachen ihr teils sogar ausdrücklich (siehe Schleim, 2020). In der Praxis kann es trotzdem von Vorteil sein, wenn die Justiz mehr Möglichkeiten hat, Integration und Rehabilitation höher zu gewichten als das Strafen. Das ist ein Wesensmerkmal des Jugendstrafrechts.
Wirrwarr der Altersgrenzen
Die vom niederländischen Justizministerium genannte Altersgrenze für die Gehirnentwicklung betrug 23 Jahre. Lauterbachs Gesetz zieht eine Grenze bei 21 Jahren, unter der nur Cannabis mit geringerem THC-Gehalt abgegeben werden soll. Unter 18 soll die Substanz ohnehin verboten bleiben.
Kritiker sprachen allerdings vom Alter von 25 Jahren, bis zu dem sich das Gehirn entwickle, was auch die CDU-Politikerin Borchardt weiterverbreitete. In der alarmistischen Stellungnahme der Kinder- und Jugendärzte vom 24. Juli heißt es aber im Wortlaut:
“Da Entwicklungs- und Reifungsprozesse und insbesondere auch die Hirnreifung bis über die Mitte der dritten Lebensdekade hinausreichen, sind Abgaberegulierungen mit Altersbegrenzungen bei 21 oder gar 18 Jahren aus entwicklungs-(neuro-)biologischer Sicht nicht plausibel.”
DGKJP u.a.
Demnach müsste die Altersgrenze für den weniger schädlichen Cannabiskonsum also sogar noch über 25 Jahren liegen! Die US-amerikanische Gesundheitsbehörde CDC (Centers for Disease Control and Prevention) wiederum warnt vor einem Konsum unter 18, da dann “Marihuana beeinflussen könnte, wie das Gehirn Verbindungen für Funktionen wie Aufmerksamkeit, Gedächtnis und das Lernen aufbaut.”
Als Quelle dient hier übrigens schlicht der ganze Internetauftritt einer Schwesterbehörde, des National Institute on Drug Abuse. Auch nach längerem Suchen fand ich dort keinen Hinweis auf Studien, die eine bestimmte Altersgrenze begründen würden.
In ähnlicher Weise informiert ein Fakten-Check der Deutschen Welle über Cannabis: Das Gehirn entwickle sich in etwa bis in die Mitte der 20er. Die dort genannte Quelle ist wieder nur eine allgemeine Seite einer US-Behörde, diesmal das National Institute of Mental Health. Auch dieser Verweis bleibt vage.
Wissenschaftliche Befunde
Halten wir erst einmal fest: Wir haben jetzt schon die Altersgrenzen von 18, 21, 23, 25 und >25 Jahren. Dazu können wir noch die im Jugendschutzgesetz wichtigen Altersgrenzen von 14 und 16 Jahren hinzunehmen: Ab 14 gilt man in Deutschland nicht mehr als Kind – und darf in Begleitung seiner Eltern schon in der Öffentlichkeit Alkohol trinken (§ 9 JuSchG, Abs. 2). Ab 16 darf man das auch alleine (§ 9 JuSchG, Abs. 1).
14, 16, 18, 21, 23, 25, >25 Jahre – da ist für alle ‘was dabei. Bloß die oft bemühte Wissenschaft (Hirnforschung) gibt diese Unterscheidungen nicht her! Manche neurowissenschaftliche Arbeiten stellen sogar dar, dass der sensomotorische Kortex schon im Alter von nur vier Jahren, Parietal- und Temporallappen im Alter von zehn und der in Diskussionen um die Gehirnreifung besonders gern bemühte präfrontale Kortex schon mit 16 mehr oder weniger fertig entwickelt ist (z.B. Casey et al., 2005).
Diese Verwirrung deutet darauf hin, dass es überhaupt keinen eindeutigen Standard zur Bemessung der Gehirnentwicklung gibt. Das entlarvt die alarmistischen Berichte aber als Propaganda: Man ist gegen Substanzkonsum – und behauptet dann einfach, die Wissenschaft belege die gewünschte Altersgrenze, wie es eben auch beim niederländischen “Neuro-Strafrecht” gemacht wurde. (Ich habe gerade eine Förderung dafür erhalten, das in einem Buch, wieder open access, auszuarbeiten; man gebe mir Zeit bis Anfang/Mitte 2024.)
Damit sind aber die Gesundheitsgefahren von Cannabis nicht vom Tisch. Und auch ich will hier Substanzkonsum nicht verharmlosen. Die wissenschaftliche Datenlage ist aber nicht so eindeutig, wie es vor allem die Legalisierungsgegner immer wieder medienwirksam darstellen.
Gesundheitsgefährdung durch Cannabis
In der Diskussion um Substanzkonsum und Drogenpolitik geht verloren, aus welchen Gründen Menschen überhaupt psychoaktive Mittel verwenden (siehe dazu mein open access Buch, Schleim, 2023). Wenn wir aber annehmen, dass viele Personen das aufgrund von psychosozialen Problemen tun, haben die wissenschaftlichen Studien ein allgemeines Problem:
Negative Ergebnisse könnten dann nämlich an den psychosozialen Umständen liegen oder an deren Interaktion mit dem Substanzkonsum, nicht nur an den Substanzen selbst. Mit anderen Worten: Wie schädlich die Verwendung der Mittel ist, liegt dann auch an der allgemeinen Gesundheit einer Person und an ihrer Lebenssituation.
In einer neueren Studie britischer Forscher wurden jugendliche Cannabiskonsumenten im Alter von 16 und 17 Jahren mit einer erwachsenen Gruppe (26 bis 29 Jahre) verglichen. Wenn das “heranwachsende Gehirn” so viel anfälliger ist, sollte man hier auch mehr Probleme erwarten. Die Wissenschaftler schlussfolgern aber:
“Die 16- und 17-Jährigen hatten, zusammengenommen, kein höheres Risiko für Cannabis-bezogene psychische Störungen als die 26- bis 29-Jährigen. Demnach scheint es, als wären Jugendliche nicht anfälliger für Schäden durch Cannabis als Erwachsene.”
Lawn et al., 2022, S. 1358; dt. Übers.
Wie so oft ist weitere Forschung nötig – und war die Stichprobe in diesem Fall (n = 274) nicht sehr groß. Das letzte Wort ist also noch nicht gesprochen.
Eine großangelegte Analyse der Daten von 2152 Cannabisnutzern und 6575 Nicht-Nutzern fand unter den Konsumenten – im Mittel – zwar leichte kognitive Defizite. Diese verschwanden aber, wenn die Personen mindestens 72 Stunden lang abstinent gewesen waren (Scott et al., 2018).
Fortsetzung folgt
Bis hierher haben wir gesehen, dass die häufig genannten Altersgrenzen wissenschaftlich nicht haltbar sind. Es ist eine komplexe Frage, wie gefährlich Cannabiskonsum wirklich ist. Im zweiten Teil betrachten wir die Rolle der richtigen Dosierung näher – und beziehen das Gelernte schließlich zurück auf die Drogenpolitik.
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erhellend ist der Zusatz “nun wirklich”
Bekommen wir jetzt die Botschaft von oben, “ja,du darfst” sehen wir den drohenden Zeigefinger, oder sehen wir nur den Denker auf dem Berg der Weisen, den Kopf auf die Hände gestützt.
Meine Meinung. Kultur beginnt nicht heute, die entwickelt sich ganz langsam und zu ihr gehört der geduldete Mißbrauch in jeder Beziehung.
Das beginnt bei der Prostitution, geht über die Volksfeste mit den Bier- und Weinzelten und endet bei den Parties mit Kokain und anderen Modedrogen.
Wenn jetzt Herr Lauterbach den Mut aufbringt, Cannabis als geduldete Kulturdroge teilweise zu legalisieren, dann muss tatsächlich das Parlament entscheiden, ob man das will.
Ob jetzt Cannabis gefährlichere Drogen verdrängt, ober ob Cannabis ein Einstieg für noch stärkere Drogen ist , kann ich nicht beantworten.
Ist Bier ein Ersatz für Schnaps oder ist Bier der Einstieg zu Schnaps.?
Aber gerne doch – potentiell Gutes sollte nicht durch Drängeln prokrustriert werden 😉
Aber mal schnell eine Suggestivfrage zu diesem uraltem Mem absetzen geht immer, ne? Gemäß der Methodik der mir bekannten Studien mit dem Ergebnis ‘ja, Einstieg’ (“hat die Person vor der Hinwendung zur Droge X mindestens ein Mal Cannabis konsumiert?”) ist übrigens Muttermilch die ultimative Einstiegsdroge…
@rolak: Nicht alle Babys werden an der Brust gestillt. Aber fast 100% der späteren z.B. Heroinkonsumenten dürften früher schon einmal Alkohol getrunken haben.
Das mit der “Einstiegsdroge” ist willfährige Propaganda.
Da kommt doch gleich die Erinnerung an die Absinth-Hysterie des Mainstream bzw. den Absinth-Kult der Bohème.
(https://www.weinfreunde.de/magazin/weinwissen/absinth-wermut-mit-attituede/)
Der Weinindustrie, der zudem die Kunden zum effektiveren (mehr Umdrehungen pro Franc) Gesöff wegliefen, heizte die Anti-Absinth-Kampagnen zusätzlich an.
Ich würde gerne wissen, wie viele Buddy-Beziehungen in den letzten Monaten aktiviert wurden, bei denen ein Ende in der Alkohol-Industrie und das andere in Ärzteschaft oder Politik zu finden ist.
Herr Rolak,
du bist noch eine Antwort schuldig ! Einstieg ja oder nein !
In bezug auf Drogen bin ich noch unbeleckt. Mich interessiert das Thema, weil ich es wichtig finde. Bei Menschen mit Dauerschmerzen soll Cannabis Linderung bereiten, mehr weiß ich auch nicht.
Uralte Mems setze ich also ab, ich wusste gar nicht, dass es sowas gibt,
dass ich suggestiv bin, das wusste ich , was bist du dann ?
Noch’n Wort
Das Beispiel mit Bier und Schnaps ist bildhaft gemeint, damit jeder versteht, worum es geht. Wer Bier trinkt muss nicht unbedingt Schnaps mögen. Die meisten Frauen trinken kaum Klare. Die mögen Likör.
Auch an Dich die Frage : ja oder nein ?
Mir ist nicht klar, “ja oder nein” — zu welcher Frage?
@Neumann/Wort: Ging es nicht um die Frage, ob Cannabis eine Einsteigsdroge ist?
Man müsste erst einmal die Kriterien dafür feststellen, wann etwas als Einstiegsdroge gilt (erstens).
Dann müsste man, zweitens, überprüfen, ob diese Kriterien auf Cannabis zutreffen.
Dass man weder erstens noch zweitens unternimmt, beweist hinreichend, dass es bei dem “Einstiegsdroge-Argument” um Propaganda geht; man weiß halt sonst nichts und wiederholt dieses Schlagwort gebetsmühlenartig. Leider funktioniert das bei geistig Schwachen, dass es etwas glauben, wenn man es nur oft genug wiederholt.
@ Stephan Schleim
17.08.2023, 23:28 Uhr
“Man müsste erst einmal die Kriterien dafür feststellen, wann etwas als Einstiegsdroge gilt (erstens).”
W0rd 🙂 Bis jetzt habe ich nichts gefunden das über Korrelationen hinaus geht. Wenn ich so persönlich auf mein Leben zurückblicke finde ich auch einfach nicht mehr als das. Was soll das sein: Einstiegsdroge? Bin ich vom Alkohol zur Bulimie oder von der Bulimie zum Alkohol? Warum kann ich mit Cannabis oder Amphetaminen so gar nix anfangen? Wenn doch vieleicht Alkohol als erster Konsum dahin vieleicht den Einstieg erleichtern soll? Gefährlichen oder anhängigen Konsum oder gefährliches oder abhängiges Verhalten hatte ich eigentlich immer nur wenn mit meinen Emotionen irgendwas in Schieflage war. Hat zugegebenermaßen lange gedauert bis ich drauf gekommen bin aber ich bin ja noch nicht tot ^^ Warum wird man rückfällig wenn man doch am körperlichen Entzug vorbei ist? Warum ist der Konsum von alkoholfreiem Bier für manche Alkoholiker gefährlich und für andere nicht? Meine Erfahrung und auch die von anderen Betroffen ist das man dann einfach seine Medizin nicht bekommt und sich dann doch lieber wieder ordentlich behandelt anstatt homöopathisch ^^ Und nutzen tut die ganze repressive Politik einfach nichts: Der Konsum von Alkohol war mir immer möglich egal was die Altersgrenzen gesagt haben…
@Schoppe: Einstieg & Droge
In gewisser Weise ist es auch ein Ablenkungsmanöver: Für viele sind psychosoziale Probleme der Einstieg; und die sind zum Teil auch politisch bedingt (z.B. Chancenungleichheit, Ausgrenzung, unterschiedlicher Zugang zu Hilfe).
Danke fürs Teilen Ihrer persönlichen Erfahrung. Bei mir war das so, dass ich mit Cannabis einfach so aufhören konnte (im Alter von 16, nach mehrjährigem, regelmäßigem Gebrauch, war schließlich nicht mehr schön); bei Zigaretten bedurfte es vieler Anläufe, bis es klappte (schließlich mit 19) – und spüre ich mitunter immer noch dieses Verlangen, wenn man z.B. den Rauch von anderen einatmet, und habe ich darum aus Sicherheitsgründen seitdem keine einzige Zigarette mehr angerührt; und beim Alkohol hatte ich immer wieder mal Phasen mit eher weniger oder eher mehr oder auch ‘mal gar keinem Konsum, z.B. zuletzt auf meiner Indienreise im März 2023.
Will sagen: Es scheint hier individuelle persönliche Unterschiede darin zu geben, mit welcher Substanz man kontrolliert umgehen kann (bei mir: Cannabis, Alkohol?) und mit welcher nicht (bei mir: Tabak und…?). Das könnte durchaus auch an der Verteilung und Dichte bestimmter Rezeptoren im Gehirn liegen.
Der Beitrag verliert sich in einer lächerlichen Diskussion über das Alter. Sind es nun 21 oder 23 oder gar 25 Jahre? Jeder Mensch dürfte auf seine Art einen Reifungsprozess durchlaufen, was für den einen mit 21 „unschädlich“ sein mag, ist für einen anderen mit 25 noch schädlich. Allein wenn ich den Eintritt in die Pubertät betrachte, gibt es immense Altersunterschiede.
Der Konsum von Drogen ist schädlich für einen Menschen, selten förderlich (wenn der Vorteil z.B. im medizinischen Bereich überwiegt, das sollten jedoch behandelnde Ärzte von Fall zu Fall entscheiden). Wir haben bereits zwei schreckliche legale Drogen, die Leben zerstören. Warum noch eine weitere, wenn meist auch weniger schreckliche Droge?
Auch die unselige Frage der Kausalitäten: Löst es eine Psychose aus oder suchen psychosenanfällige nach Linderung? Die Frage geht wieder am Kern vorbei. Die Frage mag medizinisch interessant sein. Ist nicht viel mehr die Frage wichtig, wollen wir als Gesellschaft bekiffte junge Menschen auf der Arbeit, im Unterricht, im Straßenverkehr oder zuhause am Esstisch? Welche Konsequenzen leiten wir daraus ab?
Ich gebe zu Bedenken, dass eine gut gemeinte Legalisierung nicht immer den gut gemeinten Effekt hat. Wir wagen ein riesiges Experiment, falls es schief geht, wir die Uhr nicht mehr zurückdrehen können.
Aber hier noch eine Frage? Warum nicht Heroin oder Kokain oder sonstige Drogen legalisieren. Was spricht hier dagegen? Der Stoff wäre rein, Kriminalität wäre weg, kontrollierte Abgabe mit einer 19% Umsatzsteuer, … alles wäre gut.
https://edoc.unibas.ch/68318/3/20190513145629_5cd9697da1d16.pdf
Stephan Schleim, Andere
der Bundestag entscheidet, die Abgeordneten sind wahrscheinlich auch überfordert, wenn es um die Beurteilung von Cannabis geht. Wieviel % der Älteren haben schon gekifft ?
Also muss man den Medien Entscheidungshilfen anbieten.
Der Begriff “Einstiegsdroge” ist nun mal gefallen , definiert oder nicht, das ist jetzt schon zu spät, das wissenschaftlich zu untermauern, deswegen war meine Frage kurz, ist Cannabis eine Einstiegsdroge ja oder nein .
Sie haben es ja selbst schon beantwortert, Cannabis ist keine Einstiegsdroge, wenn ich das richtig interpretiere.
Vorallem dann nicht, weil jeder Mensch anders auf Substanz reagiert.
Mich hat Rauchen z.B. nie gereizt, Biertrinken ist nicht nur langweilig sondern auch noch ungenehm, weil man einen schweren Kopf davon bekommt.
Sekttrinken ist in geringen Mengen anregend. Bei Kaffee bin ich süchtig, ohne die Frühstückstasse Kaffee bin ich nicht belastbar.
Wenn ich das jetzt auf andere Menschen übertrage, dann können die ganz andere Erfahrungen mit Bier z. B. haben. Ein Bekannter von uns , der hat tatsächlich an einem Morgen 12 Flaschen Bier getrunken ohne besoffen zu sein.
Man kann also keine allgemeinverbindliche Aussagen machen.
Wenn die Gegner ihr Argument mit der Gehirnreifung tatsächlich Ernst meinen, müssten sie dann nicht auch dafür plädieren, Alkoholkonsum unter 18, 21, 25 Jahren zu verbieten?
@Esperantistino: Ich glaube, manche von denen würden auch lieber Alkohol stärker einschränken, als Cannabis mehr freizugeben.
Absurd ist das, wenn man gleichzeitig bedenkt, dass viele Kinder- und Jugendärzte kein Problem damit haben, schon Kindern massenweise Amphetamine (einschließlich “Speed”) zu verschreiben, damit sie in der Schule stillsitzen.
Was das wohl mit einem heranwachsenden Gehirn macht?
@Neumann: Meine Antwort ist, dass man erst einmal klar definieren müsste, wann etwas als Einstiegsdroge gilt; ansonsten kann man diese Diskussion einfach nicht wissenschaftlich führen.
Ohne so eine Definition ist meine Intuition, dass eher bestimmte psychosoziale Umstände (auch solche, die politisch bedingt sind) zum Drogeneinstieg führen als Cannabiskonsum.
@Neumann/Wort: Ging es nicht um die Frage, ob Cannabis eine Einsteigsdroge ist?
Mu.
Die Einstiegsdroge für Innenstatt-Raser war natürlich das erste Robben als Säugling, schließlich sind beides Formen selbstbestimmter Mobilität.
Das Wort “Einstiegsdroge” sollte man für sachorientierten Dialog komplett aus dem Wortschatz streichen. U.U. wäre es noch akzeptabel mit einer bei allen Gesprächsteilnehmern akzeptierten präzisen Definition (wie es bei guter Wissenschaft der Fall sein sollte), aber auch dann ist es eigentlich zu gefährlich (im Sinne allgemeiner Verdummung), weil Teile der Debatte sofort außerhalb dieses Kontextes aus dem Zusammenhang gerissen und als vermeintliche/vorgebliche Unterstützung einer Richtung (und ihrer Gegenrichtung, und …) missbraucht würden.
Und wie sollte solch eine Definition aussehen? “Zeitlich davor” ist sicher unumstritten, aber außerdem? “Betrifft selbe Lebensäußerung” (wie im Beispiel des Rasers oben), oder “stimuliert selbe neuropsychologische Mechanismen” (Belohnungssystem bei Drogen), oder “Beides ist verboten”, oder was?
Solche tendenziösen Begriffe sind gut um Leute zu manipulieren, die nach Feierabend einfach nicht mehr genug Kraft, Wachheit, Kritikwillen haben um wegzuschalten, wenn wieder eine dieser unsäglichen sprechenden Plakatwände(*) gesendet wird, oder die sich von ‘Bild’ oder ‘Junger Freiheit’ gut informiert fühlen.
Aber zum Erkenntnisgewinn durch gemeinsame Erörterung? Untauglich.
@Neumann
Ihre Frage macht daher für mich inhaltlich keinen Sinn.
(*) Talkshows
@Stephan Schleim
Leider nicht nur dort. Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft z.B. hat weite Teile auch der deutschen Intelligentsia mit ihrer Inszenierung wohl-gescripteter Pseudokontroversen verseucht.
@Schweikardt: (Selbst-) Widersprüche
Sie bieten hier (wohl unfreiwillig) Anschauungsmaterial dafür, was in drogenpolitischen Diskussionen alles schief geht. Nun denn, Punkt für Punkt:
Erstens, wenn Sie die Altersgrenzen mit Bezug aufs Gehirn für Unsinn halten, dann geben Sie mir also recht und müssten Sie, genauso wie ich, den fahrlässigen Umgang damit in der Diskussion kritisieren; schließlich liegt Ihnen ja viel an einer ehrlichen Diskussion, oder nicht?
Zweitens, da spricht der Fachmann! Wen ich Sie richtig verstehe, dürfen nur Mediziner definieren, was ein “Nutzen” des Substanzkonsums ist?
Drittens, informieren Sie sich doch erst einmal hier, tatsächlich auch bei einem Mediziner (Psychiatrieprofessor, Uniklinik Erlangen; ab Teil 2).
Viertens, Cannabis ist doch, de facto, frei verfügbar; wie halten Sie es nur in dieser schröcklichen Gesellschaft aus?!
Die allermeisten Menschen konsumieren trotzdem Cannabis nicht in den Fällen, in denen die Wirkung nicht zu den Anforderungen der Situation passt. Klingt irgendwie vernünftig, nicht schröcklich.
Fünftens, Sie wissen schon, dass Anfang des 20. Jahrhunderts Kokain, Opium, Heroin usw. einfach so in Apotheken gekauft werden konnten – oder in der Drogie? U.a. produziert von der deutschen Bayer. Was für eine schröckliche, schröckliche Welt das gewesen sein muss! Gott(!) sei(!) dank(!) haben wir heute wirksame(!) Verbote(!) gegen die schröcklichen Höllenkräuter!
@Schweikardt: P.S. Cannabis & Psychoserisiko
Noch zu dem von Ihnen verlinkten Aufsatz (ich schaue mir Ihre Quellen immerhin an; umgekehrt gilt das leider nicht):
Die akuten “Psychosen” (manche nennen es: bad trip) sind bekannt. Sie treten vor allem bei Überdosierung auf, übrigens bei sehr vielen Substanzen; sie sind zum Glück eher selten – und gehen meist von selbst vorbei.
Gemäß Ihrer eigenen Quelle gilt die langfristige Erhöhung des Psychoserisikos aber nur für Personen mit besonders problematischem Konsum (in dem Aufsatz als “Cannabisabhängige” verstanden). Auch das ist eher die Ausnahme. Es ist also nicht Cannabis an sich, sondern nur ein bestimmtes Konsummuster.*
Und am wichtigsten: Inwiefern helfen hier Verbote, anstatt die Risiken noch zu befördern, zum Beispiel durch zu hohen THC-Gehalt der Produkte und “dreckigen Stoff”?
Wenn Ihnen wirklich an der Gesundheit der Mitmenschen liegt, und Sie hier nicht nur so tun, dann ziehen Sie doch endlich mal den konsequenten Schluss!
* Scheinbar denkt auch niemand daran, was diese Betroffenen ohne Cannabis machen würden; vielleicht wären sie aggressiver und würden Sachbeschädigung verursachen oder gar andere Menschen angreifen?
So langsam nimmt die Diskussion hier Fahrt auf und zeigt wie widersprüchlich sie wird, wenn man sich nicht festlegt.
Soll das eine politische Diskussion werden auf der Höhe der Bundestagsabgeordnen , die entscheiden, eine medizinische Diskussion, die nur auf Grund von Vergleichen mit Statistiken oder den Urteilen von Medizinern bzw. Psychater belegen kann wie gefährlich Cannabis ist oder nicht ist, und damit berühren wir den Punkt „Einstieg“ . Oder ist das eine philosophisch/moralisch/weltanschauliche Diskussion.
Und drittens müssen wir noch festlegen , für wen Cannabis gefährlich ist. Für den Konsumenten, für den Staat, für die Politiker, die gewählt werden wollen und die Rücksicht auf die öffentliche Meinung nehmen müssen.
Und…..was ist gefährlich …..und ab wann……wann ist etwas ungefährlich…….
Auf die Geschichte des Substanzkonsums gehe ich jetzt nicht ein, auch wenn diese Betrachtungsweise gute Argumente pro und kontra liefert.
Meiner Meinung nach müsste sich jetzt ein Mediziner zu Wort melden, der in der Psychatrie Drogenkranke behandelt.
Herr Schleim, wenn Sie mit dieser Vorgehensweise nicht einverstanden sind, dann übernehmen Sie das Ruder. Sie sind der Fachmann.
blöde Frage vielleicht…
aber was spricht gegen eine komplette Substanzlegalisierung? (über das Alter kann man ja streiten)
gibt es wirklich Drogen, die man aus medizinischer Sucht verbieten muss?
In der ‘Debatte’ um den Gesetzentwurf bezogen sich die Gegner desselben oft auf Daten aus den US-Staaten, die ‘recreational marihuana’ legalisiert hatten, z.B. eine Zunahme im Konsum bei bestimmten Altersgruppen (aber nicht anders als in den ‘ban’-Staaten).
Aber bisher habe ich noch keine Klagen über das “riesige Experiment” (nach A. Schweikardt) in Portugal gehört.
Vielleicht gilt hier auch no news are good news.
@Thomas, 18:49h:
Du meinst, wie unterm Kaiser?
@wereatheist: Auch wenn man die Daten der USA heranzieht, widerspricht das der Darstellung in den Medien. Das war ja gerade Sinn und Zweck meines Fakten-Checks vor ein paar Wochen.
Zu Portugal hat mir einer meiner Leser auf Twitter diese Arte-Doku empfohlen: Das portugiesische Wunder im Kampf gegen die Drogen | ARTE Re: Reupload
@Thomas: politischer Liberalismus
In so einer Gesellschaft muss das Verbot gut begründet sein, nicht die Erlaubnis; die Erlaubnis ist der Standardfall.
Offiziell verbietet man Drogen, weil sie so gefährlich sein sollen und man meint, die Bürger vor sich selbst schützen zu müssen (“Prävention”); es ist allseits bekannt, wie gut das funktioniert.
Inoffiziell will (oder zumindest: wollte) man eine juristische Handhabe gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen: Man konnte im späteren 20. Jahrhundert Chinesen, Farbige, Hippies, Latinos usw. nicht einfach mehr per Gesetz diskriminieren, sondern machte es dann über in diesen Gruppen verbreitete Substanzen (wie Cannabis, LSD, Heroin…).
Mit Drogenpolitik wird Sozial- und Migrationspolitik gemacht
Schweikardt 18.08. 08:38
„Ist nicht viel mehr die Frage wichtig, wollen wir als Gesellschaft bekiffte junge Menschen auf der Arbeit, im Unterricht, im Straßenverkehr oder zuhause am Esstisch? Welche Konsequenzen leiten wir daraus ab?“
Kriminalisieren, was missfällt halt? Das trifft es womöglich jetzt wirklich.
Wer wirklich stört, kann denn nun meistens per Hausrecht verwiesen werden. Ist das denn nicht doch sehr einfach, missliebigen Personen einfach aus dem Weg zu gehen? Sicher kommt es mal vor, in der U-Bahn Betrunkenen vorzufinden, und manchmal auch anderweitig Zugedröhnte. Ich mag das auch gar nicht. Aber ich lebe einfach damit.
Kriminalisieren kann man auch gleich mit Obdachlosen machen, mit psychisch Kranken generell oder nur nichtsnutzigen Personen aller Art. Wenn man die nicht mag, dann verhängen wir einfach ein Verbot für den öffentlichen Nahverkehr oder in Parks, dass man die möglichst nie sieht. Es könnte ja sein, dass deren negative Schwingungen grundlegend unser Befindlichkeit stören. Menschen, die mit ihrem Leben nicht klar kommen, sollen gefälligst wenigstens dabei nicht auffallen?
Mit der gängigen Kriminalisierung jedenfalls helfen wir so ziemlich niemanden, außer dem organisiertem Verbrechen.
Wie schon mal gesagt, wenn die Ärzte meinen, dass nur sie Drogen verschreiben dürften, dann sollten wir sie dies einfach machen lassen. Kein Heroin oder Kokain ohne nachgewiesene Sucht, und kein Cannabis für Risikogruppen, die das nicht vertragen. Und dann gleich auch größere Mengen an Alkohol und Tabak nur per ärztlichem Bezugsschein, und den gibt es dann auch nur bei schon bestehender Sucht.
Der Gesetzentwurf sieht vor, dass man bis zu drei Hanfpflanzen wachsen lassen darf.
Ich hatte mal zehn Pflanzen auf meinem Balkon (die gehörten meinem Mitbewohner, dessen Zimmer keinen Balkon hatte und auch sowieso weniger Licht).
Die wurden auch etwa mannshoch, und der grüngelbe Blütenstaub überfärbte durch die meist offene Balkontür den kackbraunen Teppich aufs angenehmste.
Aber nur zwei Pflanzen waren weiblich.
Deshalb fordere ich: zwischen “drei” und “Pflanzen” gehört im endgültigen Gesetz noch “weiblich”.
@Tobias: Alkohol auf Rezept gab’s schon einmal. Während der Prohibition in den USA. Hat hervorragend funktioniert. (Jedenfalls war es eine gute Einnahmequelle für Ärzte und Apotheker.)
P.S. Alkohol für religiöse Zwecke war übrigens vom Verbot ausgenommen.
@wereatheist: Es geht um weibliche Pflanzen, ja; dieses Detail habe ich ausgespart. Wer das zuhause anbauen will, sollte es wissen.
Cannabis auf Rezept,
was soll das denn ? Ich denke, man sollte sich zu einer klaren Meinung durchringen und die dann vertreten.
Also, ich habe mich auch etwas schlau gemacht und die Stellungnahmen von Krankenkassen durchgelesen.Cannabis sei gefährlich, weil es psychisch abhängig macht, nicht wie bei Alkohol der zuerst körperlich abhängig macht. Und diese Abhängigkeit bekommt man mit einer Wahrscheinlichkeit von 10 % bei täglichem Genuss.
Also nichts Neues.
Wir brauchen aber Kriterien (Gründe) warum der Konsum von Cannabis beschränkt bleiben soll.
Und man muss ein Maß dafür einführen, also eine Menge, die man als unbedenklich einstufen kann.
Und hier tut sich eine Lücke auf, denn Cannabis ist nicht gleich Cannabis. Es gibt Sorten die haben 1 – 2 % THC und es gibt Sorten, die haben 20 % THC.
Eine reine Mengenbeschränkung auf Gramm ist also sehr ungenau. In einem Zusatz sollte im Gesetz stehen für welche Konzentration von THC die Höchstmenge gilt.
Also z.B. 10 Gramm Cannabis mit einem Gehalt von 20 % THC maximal.
Und man könnte einen Anreiz schaffen, ” bei geringerer Konzentration von THC kann die Höchstmenge in Gramm größer sein”
Damit wäre ein Anreiz geschaffen , Cannabissorten mit weniger THC zu züchten.
@Neumann: Cannabis auf Rezept
Wir hatten hier kürzlich im Blog eine Diskussion (siehe hier), dass der gesetzliche Rahmen es den Ärzten recht schwer macht, Cannabis auf Rezept zu verschreiben: Das muss wohl im Einzelfall bei der Krankenkasse beantragt und begründet werden.
Vielleicht hatte man Angst, dass sich zu viele Konsumenten ihren “Stoff” dann “gratis” aus der Apotheke abholen?
Man könnte auch an ein Privatrezept denken: Ein Arzt kontrolliert die medizinischen Probleme & Risiken – und der Konsument bezahlt dafür dann aus der eigenen Tasche. Win win!
Stephan Schleim,
die Differenzierung zwischen Cannabis als Arzneimittel und als Genussmittel ist schon mal ein Anfang.
Mit den heutigen Genmethoden müsste es doch möglich sein, eine Cannabissorte zu züchten die eine andere Blattform hat und somit gleich als solche erkannt wird und die einen niedrigen THC Gehalt hat und dann könnte man diese Sorte frei geben ohne Beschränkung.
Mal zur Diskussion angedacht.
Ich denke dabei auch an die Polizei, der ja der Schwarze Peter bei all diesen Verboten zugeschoben wird.
Mich wundert es, dass Stephan Schleim hier so stark auf die „Reife des Gehirns“ eingeht. Ist das nicht ein sehr verschwommener Begriff?
Sinnvoller scheint es mir den Cannabiskonsum im Jugendalter mit Faktoren wie Lehre/Beruf/Studium in Zusammenhang zu bringen. Nach dem was ich darüber gelesen habe, gibt es nicht wenige Jugendliche, die mit Beginn ihres Cannabiskonsums die Lehre, den Beruf oder das Studium abgebrochen haben oder aber einen Karriereknick erlebt haben. So etwas ist zu Beginn einer Ausbildung natürlich viel wichtiger als später.
Zum Zusammenhang Cannabis-Konsum und dem Verlauf von Ausbildung und Karriere liest man einiges etwa auf der Website
National Career Development Association
oder auch hier
https://www.drugcom.de/newsuebersicht/topthemen/auswirkungen-des-fruehen-einstiegs-in-den-cannabiskonsum-auf-schule-und-beruf/
@Stephan 19.08. 12:03
„Man könnte auch an ein Privatrezept denken: Ein Arzt kontrolliert die medizinischen Probleme & Risiken – und der Konsument bezahlt dafür dann aus der eigenen Tasche. Win win!“
Ich kann mir auch eine Art von Bezugsschein vorstellen. Man geht einmal zum Hausarzt oder zum Psychiater, bespricht das Thema, und bekommt dann einen Schein, der eine bestimmte Droge in definierter Menge und Wirkstoffgehalt erlaubt. Der beschränkt dann den Einkauf auf diese Menge wöchentlich oder monatlich, und der Schein selbst kann auch über Jahre gültig bleiben, solange es hier nichts weiter mit dem Arzt zu besprechen gibt.
Die Ware selbst muss nicht unbedingt über einer Apotheke verkauft werden, es muss nur irgendwie registriert werden, dass die genehmigte wöchentliche oder monatliche Menge nicht überschritten wird.
Insbesondere könnte so ein System auch den finanziellen Schaden für Raucher mit wenig Einkommen begrenzen. Wenn man das mit dem Bezugsschein auch mit Tabak so macht, dann kann man die Tabaksteuer auch nach Einkommen des Betroffenen staffeln. Einfach immer teurer machen und dann nicht mal Tabakwerbung zu verbieten sieht ziemlich nach Abzocke aus. Die Raucher sind letztlich richtig süchtig, und haben wenig eigenen Spielraum.
Bei harten Drogen wie Heroin kann man mit einer persönlichen Mengenbegrenzung auch eine immer weitere Steigerung der Dosis verzögern.
Und generell kann der Hausarzt oder der Psychiater auch anderweitig helfen, wenn hier psychische Schwierigkeiten bestehen, die mit Medikamenten oder Psychotherapie besser zu behandeln sind als mit Drogen. Auch aktuell macht es ja durchaus mal Sinn, seinen Drogengebrauch hin und wieder mit seinem Arzt zu besprechen.
Man müsste nur noch gucken, dass sich keiner Drogen genehmigen lässt, um sie dann weiter zu verkaufen. Öfter kann der Arzt wohl z.b. per Blutuntersuchung feststellen, was sein Patient wirklich konsumiert, hier müsste man vielleicht mal forschen, ob man diese Möglichkeiten nicht ausweiten kann.
Bei Cannabis gibt es wohl auch eher Einzelne, die wirklich soviel davon konsumieren, dass es durchaus Sinn macht, wenn hier ein Arzt mit einbezogen wird.
@Neumann: Cannabis-Sorten mit niedrigem THC-Gehalt muss man nicht erst züchten; es gibt sie längst. Die haben dann natürlich einen geringeren psychoaktiven Effekt. Und wofür konsumiert man Cannabis i.d.R.?
Zurzeit überlässt man die Produktion eben vor allem Kriminellen. Die haben ein höheres Interesse an einem höheren THC-Gehalt bzw. der Ergänzung mit anderen Mitteln. Grund: stärkere Sucht. So hat doch die Tabakindustrie auch ihre Gewinne optimiert.
Beim Bier/Alkohol gibt es demgegenüber Reinheitsgebote, Qualitätskontrollen usw.
@Holzherr: Wenn Menschen mit größeren psychosozialen Problemen häufiger kiffen, um besser mit ihrem Leben zurechtzukommen, ist es allein schon aufgrund ihrer psychosozialen Probleme trivial, dass sie andere Ausbildungs- und Karrierewege haben; diesen Punkt könnten Sie endlich einmal anerkennen.
Außerdem sind solche Untersuchungen systematisch verzerrt, indem sie immer nur auf die (angeblichen) Nachteile des Substanzkonsums schauen, ohne die Vorurteile zu berücksichtigen. (Nehmen wir zum Beispiel an, jemand hört mit dem Kiffen auf, wird dann aggressiv und verursacht nicht nur bei anderen Schaden, sondern landet selbst im Gefängnis. Das wäre wohl kaum ein drogenpolitischer Gewinn.)
Mann darf die Konsumenten also nicht nur mit nicht-konsumierenden Kontrollgruppen vergleichen; man müsste wissen, wie diese Personen ohne den Konsum leben würden. Das ist wissenschaftlich ganz schwer herauszubekommen! Mehr dazu in Teil 2.
@Tobias: Privatrezept oder Bezugssschein…
…ist mir im Endeffekt eins. Aber selbst mit einem Bezugsschein kann man nicht verhindern, dass jemand, wenn er seine vom Arzt definierte Höchstmenge erhalten hat, noch illegal im Bahnhofsviertel mehr “Stoff” kauft.
Will sagen: Man muss schon auch auf die Eigenverantwortlichkeit der Betroffenen setzen!
In der hier kürzlich verlinkten Das portugiesische Wunder im Kampf gegen die Drogen | ARTE Re: Reupload wurde ein Mann gezeigt, der, meiner Erinnerung nach, seit gut 20 Jahren Heroin spritzte, ohne die Dosis zu erhöhen, um damit die Entzugserscheinungen zu behandeln. Das wäre ein Beispiel für “kontrollierten Konsum”.
Lieber wäre mir natürlich, jemand finge erst gar nicht mit dem Spritzen an. Meiner Erinnerung meinte er, diesen Substanzkonsum von einer früheren Partnerin gelernt zu haben. (Und auch wenn ich keine Angst vor Impfungen, Blutabnahmen usw. habe, dreht sich mir der Magen um, wenn ich sehe, wie sich jemand so auf der Straße im Dreck eine Spritze setzt. Konsumräume sollen dieses Leid ja teilweise lindern.)
@Holzherr 19.08. 13:09
„Nach dem was ich darüber gelesen habe, gibt es nicht wenige Jugendliche, die mit Beginn ihres Cannabiskonsums die Lehre, den Beruf oder das Studium abgebrochen haben oder aber einen Karriereknick erlebt haben.“
Das kann ich aus eigener Erfahrung nur bestätigen. Cannabis geht auf geistige Leistungsfähigkeit, Lernvermögen, Leistungsbereitschaft und vor allem auf den Ehrgeiz. Aus Sicht der Arbeitgeber ist Cannabis entsprechend gar nicht zu begrüßen. Wer allerdings nur gelegentlich mal einen Joint raucht, kann dennoch was werden.
Wobei Karriere und Geld eigentlich auch als Droge angesehen werden könnten. Zumindest macht Beides nicht unbegrenzt Sinn. Da könnte Cannabis in der Tat sogar heilsam sein, man sieht das Leben schlicht entspannter. Die Dosis macht das Gift, öfter bei Drogen, genauso aber auch beim Geld?
@Holzherr, Tobias: Cannabis & Arbeit
Dass Cannabis keine Leistungsdroge ist und man dementsprechend besser nicht vor/auf der Arbeit kifft, sollte doch jedem klar sein; man wird eben nicht so eine fleißige Arbeitsbiene mit Hyperfokus und Getriebenheit, wie manche das für Amphetamine (einschließlich Methylphenidat/Ritalin) beschreiben.
In meinem früheren Bekanntenkreis konsumierten Menschen vor allem in der Freizeit, gerne auch abends, um besser zu schlafen; und wenn man besser schläft, ist man tendenziell wieder besser ausgeruht und am nächsten Tag auch wieder produktiver. Ich glaube, ein paar meiner früheren Kommilitonen hätten ohne Cannabis ihr Studium nicht durchgehalten – oder zumindest viel länger dafür gebraucht.
P.S. Mit Blick auf die hohe Anzahl an Bullshit Jobs oder Tätigkeiten, die Mensch & Umwelt weiter gefährden, wäre es in manchen Fällen deutlich besser, wenn die Leute ab und zu einen Joint rauchen, statt als fleißige Biene am Arbeitsplatz größeren Schaden zu verursachen.
@Stephan 19.08. 14:09 / 14:02 / 14:38
„Will sagen: Man muss schon auch auf die Eigenverantwortlichkeit der Betroffenen setzen!“
Im Prinzip ja, allerdings ist hier dann auch der Arzt gefragt, nicht zuwenig Dosis zu genehmigen.
„Mann darf die Konsumenten also nicht nur mit nicht-konsumierenden Kontrollgruppen vergleichen; man müsste wissen, wie diese Personen ohne den Konsum leben würden.“
Es ist entsprechend vorstellbar, dass jemand mit dem Ausbildungspensum sowieso kaum klarkommt, und dann in dieser Not zu Cannabis greift, um sich zu entspannen. Die Drogenwirkung tut diesem noch eins drauf, indem die Leistungsfähigkeit reduziert wird. Das kann dann dazu führen, dass man eben die Anforderungen definitiv nicht mehr schafft, und das Thema dann endlich zur Entscheidung kommt.
Die Entscheidung kann man dann auch dank Cannabis wieder entspannter sehen, und sich eine Arbeit bzw. Ausbildung suchen, die man auch problemlos schafft.
„Ich glaube, ein paar meiner früheren Kommilitonen hätten ohne Cannabis ihr Studium nicht durchgehalten – oder zumindest viel länger dafür gebraucht.“
Bei mir persönlich ging Cannabis doch sehr auf die Leistung, das hielt nach einem Joint bei mir durchaus einige Tage an. Entsprechend habe ich den Konsum auch mit 19 ganz eingestellt. Es bekam mir einfach nicht. Das kann bei Anderen durchaus anders sein.
„…wenn die Leute ab und zu einen Joint rauchen, statt als fleißige Biene am Arbeitsplatz größeren Schaden zu verursachen.“
In der Tat kann auch Arbeit nicht nur sinnlos, sondern sogar schädlich sein. In jedem Fall macht es Sinn, nur soviel zu arbeiten, dass man noch Luft für genug Entspannung findet. Ob nun mit oder ohne Cannabis. Hier ist dann auch Platz für Eigenverantwortung.
@Neumann
19.08.2023, 09:04 Uhr
[…] “nicht wie bei Alkohol der zuerst körperlich abhängig macht. Und diese Abhängigkeit bekommt man mit einer Wahrscheinlichkeit von 10 % bei täglichem Genuss.”
Wie kommst Du denn auf das schmale Brett? Bei Antritt der Reha hatte ich einen gamma gt von 39. Da dort kein Entzug mehr angeboten wird war ich vorher in einer entsprechend ausgerüsteten psychatrischen EInrichtung. Der Kommentar bei der ersten Visite an Tag 2: “Wo sind denn Ihre Entzugserscheinungen?”, das war ganz freundlich gemeint dort. Nicht mißverstehen. Und das bei einem Konsum den Du erst mal schaffen musst… Für Deine 10% hätte ich übrigens gerne mal gerne eine Quelle ^^
Stephan Schleim
19.08.2023, 14:38 Uhr
“@Holzherr, Tobias: Cannabis & Arbeit
Dass Cannabis keine Leistungsdroge ist und man dementsprechend besser nicht vor/auf der Arbeit kifft, sollte doch jedem klar sein; man wird eben nicht so eine fleißige Arbeitsbiene mit Hyperfokus und Getriebenheit, wie manche das für Amphetamine (einschließlich Methylphenidat/Ritalin) beschreiben.”
So ist es. Morgens mit Anphetaminen hoch. Dann Abends mit Alkohol wieder runter. Hauptsache produktiv genug. Bis zum Zusammenbruch den der Mensch dann natürlich selber schuld sein soll.
So ein Konsumverhalten gibt es öfter als man so denkt…
@Schoppe: Schuld
Früher gab’s das Konzept der Nervenschwäche (Neurasthenie). Heute haben wir Burn-out. Da sieht man die “Schuld” schon auch in der Umgebung. Vielleicht ist das ein Fortschritt.
Therapiert wird am Ende aber doch vor allem das Individuum. (Stressmanagementkurse und so.)
Wie Deutschland mit Süchten umgeht, am Beispiel Nikotin:
Rauchen ist fast überall unerwünscht, die Tabaksteuer steigt und steigt, es besteht offensichtlich ein starkes öffentliches Interesse, Nikotinsucht zurückzudrängen.
Zeitgleich ist ein überproportionaler Teil der Leute, die “Bürgergeld” etc. beziehen, nikotinsüchtig.
Also sollte es niedrigschwellige Hilfen für diese Klientel geben, nicht?
Das war jetzt ein Scherz.
Im (Ex-)Ostblock wird seit fast 60 Jahren ein Präparat zur Rucherentwöhnung benutzt, das Rauchfreiheit in 25 Tagen verspricht (zumindest ist dann erst mal der ‘Jieper’ weg).
Besonders erfolgreich sind Selbst(Therapien) mit dem Zeug nicht, nur etwas mehr als 10% der Patienten sind nach einem Jahr nicht rückfällig. Aber besser als nichts, oder?
Die gute Nachricht: in Deutschland ist jetzt ein Präparat zugelassen, das in Wirkstoff, Dosierung und Packungsgröße identisch mit dem Ostzeug ist, nur neu patentiert, weil mußja (ich liebe Trivialpatente… NICHT).
Die schlechte Nachricht: es kostet fast 400€ pro Schachtel (auf Privatrezept, versteht sich).
Die bulgarische Online-Apotheke, auf die die Website des Herstellers des Original(Ost)-Produkts verweist, verlangt ca. 18€.
Ich bezweifele aber, dass die nach Deutschland versenden.
Uli Schoppe,
Als Konsument ist dein Urteil viel aussagekräftiger als mein angelesenes Wissen.
Sind jetzt 10 % zu viel oder zu wenig? Ich habe es erst gestern gelesen aber wo ?
zu einem anderen Punkt:
“Morgens mit Anphetaminen hoch. Dann Abends mit Alkohol wieder runter” (statt Alkohol nahm unser Verwandter Schlaftabletten) Der war Antialkoholiker und rauchte auch nicht.
Das war ein Arbeitstier mit starker Gesundheit. Der wurde trotzdem 97 Jahre alt.
Im Krieg war der bei der Panzerwartung. Der war gegen Hitler und ist auch dessertiert. Nach dem Krieg hat er für die russische Kommandatur in M. gearbeitet. Dann wurde er Kapitalist und hat die Amerikaner mit Schnaps beliefert.
Du siehst, flexibel muss man sein. Bleib gesund !
Es ist schon erstaunlich welche Aussagen durch die Politik oder Verbände zu Cannabis verbreitet werden, für welche es einfach keine wissenschaftlichen Belege gibt.
Das angeblich sich bis 25 entwickelnde Gehirn ist nur eine dieser merkwürdigen Aussagen.
Falls es diese Belege gibt, dann vielleicht einfach was präsentieren das über ein individuelles “Bauchgefühl” hinausgeht.
Sonst entsteht halt leicht der Eindruck, es geht um eine ganz andere Agenda und die angeblich gefährdete Gesundheit ist nur vorgeschoben. Zumal in einem Land, wo sich jeder in einem Getränkemarkt genug Alkohol kaufen kann um ganze Schulklassen ins Koma zu befördern.
@Neher: Was ist schlimmer, dass Verbände und Politiker solche Desinformation streuen und nachplappern – oder dass so viele Bürgerinnen und Bürger das einfach glauben?
(Obi-Wan Kenobi: “Wer ist der größere Tor: Der Tor – oder der Tor, der ihm folgt?”)
@S. Schleim:
Bürgerinnen und Bürger glauben doch recht gerne, wenn es ihren Ton trifft. Politiker sind sehr erfahren darin den Ton ihrer Klientel zu treffen und genau das wird bedient.
Zudem haben sie über Jahrzehnte einstudierte Feindbilder: Drogenhändler, Kriminelle, Langhaarige usw.. Die Schreckbotschaft ist also einfach zu platzieren. Natürlich, bei einer bestimmten Klientel.
Macht es jetzt Sinn zu fragen ob diejenigen schuld sind die das anbieten oder diejenigen die das nur allzu gern abnehmen? Der gern zitierte aufgeklärte Bürger taucht ja auch sonst nirgends auf, weshalb also hier?
In der Wirkung ist der nachtrottende Bürger selbstredend schlimmer; denn er stellt den größeren Hebel dar.
Aber wie man diese Menge an Bürgerinnen und Bürgern auf einmal zu nachdenklichen Zeitgenossen formen könnte? Zumindest in diesen Fragestellungen?
Das wissen sie vermutlich besser als ich.
@Neher: Aus kybernetischer Sicht handelt es sich um ein Feedback-System, in dem die Bürgerinnen und Bürger das Verhalten solcher Politiker verstärken (Belohnung/Reinforcement), spätestens mit ihren Wählerstimmen, direkter mit ihrer Aufmerksamkeit; und die Politikerinnen und Politiker richten sich auf das Verhalten aus, das von ihrer Zielgruppe verstärkt wird.*
Das ist eine dynamische Schleife, bei der man nur schwer sagen kann, wo es anfing.
Mir fällt gerade ein, dass mir in der Schule beigebracht wurde, wir müssten nun “lebenslang lernen”; das schien mir damals plausibel. Erst später kam mir der Gedanke, dass das auch als “ewige Anpassung an Marktinteressen” verstanden werden kann; auch das ist so eine Feedbackschleife.
* Soziale Medien wie Twitter werden für solche Verstärkereffekte kritisiert; meines Erachtens führen sie uns solche Mechanismen aber nur besonders deutlich vor Augen – und funktionieren sie eben genau darum, weil sie zu unserer Psychologie passen.
Lieber Herr Schleim,
ich mag all Ihre Beiträge sehr und sie geben mir immer wieder Anstoß meine eigenen Werte und Gedanken zu hinterfragen (und neu zu positionieren). Besonders Ihre Beträge rund um das Themen Stress und Depressionen haben mir imponiert.
Ihr Engagement zum Thema gesellschaftlicher Umgang mit Drogen und Cannabis finde ich sehr interessant. Da treibt sie doch auch ein wenig Ihre Biographie?
Die Welt der Drogen ist von meinem Leben ziemlich weit entfernt. Bei einer Legalisierung hätte ich nur etwas Sorge, dass die vormals sehr viel Geld machenden Strukturen sich neue Bereiche suchen, die vielleicht mein Leben mehr tangieren….
Wobei – wenn ich selbst darüber schon ein klein wenig nachdenke – das Geld fließt ja – leider nur zur Bereicherung einiger weniger und nicht in die Sozialsysteme.
Vielen Dank für Ihre tollen Beträge – ich freue mich, was noch so folgt…
Erwin Neher, Stephan Schleim,
jetzt machen Sie die Leute nicht dümmer als sie sind.
In Thüringen wählen die Leute AfD, weil Thüringen wenig Industrie hat und sich die Leute abgehängt vorkommen.
In Norddeutschland finden sie die AfD unterrepräsentiert, weil hier eine landwirtschaftlich geprägte Bevölkerung wohnt , meistens mit Eigenheim.
Wir sind doch keine Ameisen oder Fische, die nur hinterherlaufen oder schwimmen.
Und dass ein Lokalpolitiker auf diese Verhältnisse Rücksicht nimmt ist ja normal.
@ S. Schleim: Die (Bio)Kybernetik ist mir geläufig, wenn auch deutlich mehr im Zusammenhang mit Wahrnehmungsphysiologie. Interessant dies auch auf die (Massen)psychologie anzuwenden.
Aber ja macht Sinn sich solcher dynamischer Effekte dann zu bedienen, wenn man eine Gruppe in eine bestimmte Richtung steuern möchte.
Ob bzw. ab wann eine solche Gruppe wohl merkt, gesteuert zu werden? Wobei es bei Schleifen eigentlich eine Regelung und keine Steuerung ist, aber ich will nicht abschweifen.
Gebe ich hnen recht. Hier den Anfang der Schleife zu suchen kann sehr mühsam sein. Ist bei bestehender Schleife auch nicht mehr so ganz wichtig.
Ich kann ihnen versichern, es ist die “ewige Anpassung an Marktinteressen”. Aber das hatten sie vermutlich ohnehin angenommen bzw. befürchtet. Denke nicht, dass nach Aussprechen dieses Satzes von einem sagen wir Callcenter-Agent erwartet wird sich mit Wittgenstein zu befassen oder der Psychophysik der Wahrnehmung. Druck und (vermeintliche) Belohnung erzeugen dann eine schon fast perfekte Feedbackschleife. Amerikaner nennen das auch gerne die “dangling carrot”
Denke schon, dass die Macher solcher sozialer Medien sehr genau um diese Effekte wissen. Ob sie nun Twitter, dann X oder sonstwie heissen.
Ich hoffe nur, dass die Regierung bei der in kleinen Teilen erfolgenden Cannabis-Legalisierung nicht der Mut bzw. die Vernunft verlässt.
@Mario: Meine Drogenbiografie…
…ist eher langweilig: Meinen letzten Joint rauchte ich 1996, mit 16. Damit ist das Wesentliche gesagt.
Gestern saß ich mit einer hübschen Friesin und Rechtsanwältin am See und auf meine Bemerkung, in meinem Buch gehe es auch um Ecstasy/MDMA, meinte sie wie beiläufig: “Ah ja, das habe ich auch genommen.” So what?! Ich nicht.
Bei Gewährung des Datenschutzes stelle ich gerne Körperhaar für Substanzkontrollen zur Verfügung. 😉
Ich kam eher indirekt zum Thema. Wie man leicht nachvollziehen kann, allein schon hier im Blog, beschäftige ich mich seit fast 20 Jahren mit “Gehirndoping“. Das ist auch Substanzkonsum. Die Diskussion wurde aber unter falschem Vorzeichen geführt. Die Trennung medizinisch/nicht-medizinisch lässt sich oft gar nicht aufrechterhalten. Das war die Grundthese meines Buches.
Davon abgesehen halte ich die Drogengesetzgebung für ein großes Problem, ja, das die soziale Ungerechtigkeit weiter vergrößert. Ich bin gegen soziale Ungerechtigkeit.
Wenn Sie an meine Biografie denken, woran denken Sie da? Vielleicht übersehe ich ja etwas.
@Neher: Masse und Individuum
Danke für die interessante Ergänzung (und das witzige Beispiel, Wittgenstein im Callcenter; was würde wohl passieren, wenn man bei so einer Hotline anruft und darum bittet, Wittgenstein erklärt zu bekommen?).
Vergessen wir nicht, dass “Masse” und “Individuum” nicht nur Begriffe sind, sondern auch Perspektiven. In der Volkswirtschaftslehre unterscheidet man bsp. Mikro- und Makro-Ökonomik. Das hat Sinn. Die beiden Sichtweisen bedingen aber einander, nur kann man manche Aspekte eben eher so, andere eher anders beschreiben. (Analog dazu: Psychologie und Soziologie.)
Kybernetik beim Menschen: Ich denke, mit Reinforcement (Belohnung) ist das Wesentliche gesagt. Die Algorithmen der Sozialen Medien basieren auf sozialwissenschaftlichem Wissen oder sind zumindest dadurch inspiriert.