Warum wir dringend mehr Philosophie brauchen: Replik auf Winfried Degens Polemik gegen das Philosophiestudium
Kann ein Bäcker die Arbeit eines Schusters beurteilen? Oder eine Fußballerin die einer Tennisspielerin? Vielleicht teilweise. Aber man sollte sicher nicht nur eine fachfremde Person fragen, um einen vollständigen Eindruck zu bekommen.
Kürzlich schrieb Winfried Degen, nach eigenem Bekunden Nichtphilosoph, einen “Brief an einen jungen Philosophen.” Dieser richtet sich an einen jungen Mann in der Familie, vielleicht ist es ein Neffe oder ein Enkelsohn, der sich für ein Philosophiestudium entschieden habe. Deshalb sah sich Degen dazu veranlasst, mit seinem Brief “das Schlimmste zu verhindern” und seinem Familienmitglied wichtige Lebens- und Studiertipps zu geben.
Das Wohl des Arbeitsmarkts
Degens Brief steht unter der Prämisse, dass jeder “talentierte Mensch”, der an Stelle einer Natur- oder Ingenieurwissenschaft ein Studium in einem Fach wie Philosophie wählt, “ein schwerer Verlust für unser Land” sei. Schließlich bedrohe doch der Mangel an guten Fachkräften die deutsche Wirtschaft. Der informierte Leser vermutet jedoch seit Längerem, dass das mit dem ewig beklagten Fachkräftemangel zumindest teilweise geschickte arbeitgeberfreundliche Propaganda ist:
Einerseits haben Arbeitgeber nämlich immer ein Interesse daran, dass sich auf ihre Stellen besser zehn, zwanzig oder gar hundert Menschen bewerben anstatt nur zwei oder drei; ab wann können wir sinnvollerweise von einem Mangel sprechen? Andererseits lässt sich mit dem Horrorszenario eines Wirtschaftseinbruchs wegen unbesetzter Stellen womöglich auch ein späteres Renteneintrittsalter rechtfertigen (Fachkräftemangel: Mehr Schein als Sein?). Arbeiten bis 70 für den Wirtschaftsstandort Deutschland?
Ich will hier nicht die herrschende Arbeitspolitik diskutieren. Dafür bin ich auch gar nicht qualifiziert. Ich will nur darauf hinweisen, dass Degens Brief schon in seinen Voraussetzungen zweifelhaft ist. Ähnlich verhält es sich mit seinem Loblied auf das Taxifahren, das viel nützlicher sei als Philosophieren. Das passt schon allein aus dem Grund nicht gut in Degens Bild, weil die von ihm so hochgelobten Absolventen der Natur- oder Ingenieurwissenschaften mit ihren Apps wie Uber das traditionelle Taxifahrertum in den nächsten Jahren wahrscheinlich platt machen werden.
Wenn wir also den Philosophiestudenten als Verlust für die Wirtschaft ansehen, dann können wir neue Apps ebenso als Verlust für das traditionelle Personenbeförderungssystem ansehen. Worauf ich hinaus will: Es ist alles eine Frage des Standpunkts. Des Einen Nutzen kann schnell des Andern Schaden sein. Warum Degens Standpunkt der Beste ist und für junge Menschen, die ein Studienfach wählen, verbindlich sein soll, begründet der Autor jedenfalls nicht.
Halten wir daher fest: Was Winfried Degen voraussetzt, ist vielmehr eine Hypothese, die man erst einmal belegen müsste. Und mit den Beispielen hakt es auch ein wenig. Dabei sind wir noch nicht einmal auf seine stillschweigende Voraussetzung eingegangen, dass Wirtschaftswachstum wichtiger als Bildung und persönliche Entwicklung ist.
Und die Jugend mit dem Argument überzeugen zu wollen, bei der Studienwahl den Interessen der deutschen Wirtschaft dienen zu müssen, erinnert mich eher an düstere Zeiten. Zeiten, in denen der Wunsch des Individuums gegenüber einem wie auch immer verstandenen Allgemeinwohl nicht viel zählte. In Ländern wie China soll es ja heute noch so zugehen. Ich weiß nicht, ob es die Menschen dort viel glücklicher macht, sich für das Land aufzuopfern. Sie tun es wahrscheinlich vor allem, weil sie anders bestraft würden oder ihre Lebensgrundlage verlören.
Ist nun aber die Philosophie so ein “unnützes Unternehmen”, wie Degen es behauptet? So unnütz, dass er sich dazu veranlasst sieht, seinen jüngeren Familienangehörigen S. von dem Wunsch abzubringen, in der Stadt B. Philosophie zu studieren. Und wenn der sich nicht ganz davon abbringen lasse, dann könne man vielleicht noch Schadensminimierung betreiben.
Autobiografisches Intermezzo
Dabei ist vielleicht interessant zu erwähnen, dass ich mich selbst einmal für das Fach Wirtschaftsingenieurwesen an der Universität Karlsruhe eingeschrieben hatte – und den Studienplatz auch bekam. Also ein äußerst “nützliches” Fach im Sinne Degens. Das war damals meine erste Wahl gewesen. Aus für mich unvorhersehbaren Gründen landete ich dann aber mit einer Einschreibung im Fach Philosophie an der Universität Mainz. Wahrscheinlich hätte ich nie für Telepolis angefangen zu schreiben, wenn ich Diplom-Wirtschaftsingenieur geworden wäre.
Aus dem erst als Überbrückung gedachten Semester wurden dann neun, die mit einem Magisterabschluss endeten. Es war Liebe auf den ersten Blick: In der Erkenntnistheorievorlesung der heute in Bonn lehrenden Elke Brendel beschäftigten wir uns etwa mit Fragen, was Wahrheit ist, was Wissen und unter welchen Umständen wir etwas von der Welt wissen können. Ich war beispielsweise fasziniert davon, dass sich schon Aristoteles Gedanken darüber gemacht hat, was eine sinnvolle Ontologie für die Unterteilung der Welt in verschiedene Kategorien ist.
Dieses Denken beeinflusst nicht nur alle Naturwissenschaften bis heute, sondern spielt beispielsweise auch beim objektorientierten Programmieren eine Rolle. Und bei künstlicher Intelligenz ist es eine große Herausforderung, die Eingabedaten auf die richtige Kategorie abzubilden. Das nennen wir dann Musterkennung. Dafür brauchen wir eine geeignete Taxonomie, also ein System von Kategorien. Und dies hängt wiederum von unseren Zielen ab, also dem, was wir als nützliche Problemlösung ansehen. Philosophen beschäftigen sich damit seit über 2000 Jahren.
Ein Jahr später kam dann der Bewusstseinsphilosoph Thomas Metzinger dazu. Es gab noch viele andere inspirierende Dozierenden an meiner Fakultät. Das Schönste war aber, dass dort nicht nur Standardlehrpläne unterrichtet wurden, sondern sich die Lehrenden aus ihrem Fachgebiet Jahr für Jahr die Themen heraussuchen konnten, die sie auch selbst interessierten. Es gab so viel Abwechslung! Und dass die Geselligkeit der Fachschaft Philosophie, während der durchschnittliche Philosophiestudent doch eher ein einsamer Wolf ist, auch eine Rolle fürs Bleiben spielte, will ich nicht bestreiten.
Beispiel Deutscher Idealismus
Aber zurück zu Winfried Degens Text. Erkenntnistheorie, Bewusstseinsphilosophie – davon erfährt man in seinem Brief kein Wort. Als Beispiel für philosophisches “Geschwätz” – das Wort fällt in seinem Text achtmal – zieht er lieber den Philosophen Hegel heran. Dem hält er dann eine Kritik Schopenhauers entgegen. Wobei “Kritik” hier eigentlich das falsche Wort ist: Es ist vielmehr ein persönlicher zerriss ohne inhaltliche Argumente.
Ich bin nun beileibe nicht dazu in der Lage, Hegel zu verteidigen. Dazu hätte ich auch gar keine Lust. Man sollte hier aber historisch hinzufügen, dass dieser Philosoph sich gerne auf die Seite der Mächtigen stellte. Das war im frühen 19. Jahrhundert der damals noch siegreiche Kaiser Napoleon, den Hegel in seiner Philosophie als “Weltseele” verherrlichte, später dann das aufstrebende preußische Königreich.
Der fast 20 Jahre jüngere Schopenhauer ließ es in seiner Berliner Zeit (1820-1831) dennoch auf einen Machtkampf mit dem schon sehr populären Hegel ankommen. So setzte er etwa seine Vorlesungen zeitgleich zu denen des berühmten Konkurrenten. Dass im Ergebnis fast niemand zu Schopi kam, während sich Hegel voller Hörsäle erfreute, überrascht dann eigentlich nicht. Jedenfalls handelt es sich bei dem Duell der beiden nicht nur um ein Streit der Philosophien, sondern auch der Männer. Oder sollte man besser sagen: Großer Egos? Das muss man bei Schopenhauers Äußerungen über Hegel berücksichtigen.
Wie dem auch sei, sich nach dem Prinzip pars pro toto – ein Teil steht für das Ganze – an einem schon lange verstorbenen Vertreter des angestaubten Deutschen Idealismus abzuarbeiten, also an Hegel, und damit die Philosophie insgesamt als unnützes Geschwätz zu brandmarken, ist kein Beispiel für gutes Argumentieren, also auch nicht für gute Philosophie. Vielmehr nennt man dieses Vorgehen einen Strohmann: Man sucht sich entweder einen schwachen Diskussionsgegner oder entstellt den Standpunkt des Anderen so sehr, dass er sich leicht abfackeln lässt. Das verrät aber viel mehr über die Denk- und Arbeitsweise des Abfacklers als des (scheinbar) Abgefackelten.
Nützliche Philosophie
Überhaupt bezieht sich Degen im ganzen Text nur einmal auf einen Philosophen von außerhalb des deutschen Sprachraums, nämlich kurz auf John Locke. Repräsentativ ist das sicher nicht. Das ist ein zweites schwerwiegendes Problem in der Polemik gegen die Philosophie. Dass aber von Degen im Prinzip nur Hegel, die Logik und Sprachphilosophie – zu letzteren beiden komme ich noch – herangezogen werden, ist aber doch recht schräg:
Denn damit sind in einem Artikel, der wohlgemerkt die Nutzlosigkeit der Philosophie beweisen soll, gerade die nach allgemeinem Verständnis nützlichsten Teile der Disziplin ausgeklammert: nämlich Lebensphilosophie, die an heutigen Unis kaum noch gelehrt wird, dem bereits erwähnten Schopenhauer aber mit seinen “Aphorismen zur Lebensweisheit” schon zu Lebzeiten einige Popularität bescherte, Politische Philosophie und vor allem die Ethik beziehungsweise Moralphilosophie! Wenn Degen also schlussfolgert, die Philosophie sei nutzlos, liegt das vielleicht auch schlicht an seiner beschränkten Auswahl.
Doch damit nicht genug. Als Beispiel für gute Philosophie zieht der Autor dann nämlich ausgerechnet die Logik heran. Diese setzt er seinem Familienangehörigen, wenn der sich schon nicht vom Philosophiestudium abbringen lässt, so doch ganz oben auf die Empfehlungsliste. Dieser Schachzug überrascht nun in zweierlei Weise: Erstens weiß Degen nämlich von der begrenzten mathematischen Begabung des jungen S., während die Logik – zusammen mit der Philosophie der Mathematik – ausgerechnet der mathematischste Teil der Disziplin ist. Zweitens ist die Logik, ebenso wie die reine Mathematik, gerade nicht für ihre Nützlichkeit bekannt.
Damit ist beileibe nicht gesagt, dass die Vermittlung logischen Denkens oder reiner mathematischer Kenntnis kein wichtiges Bildungsziel sein kann. Gerade wegen ihrer Schönheit und Nutzlosigkeit im wirtschaftlichen Sinne könnte sie eine l’art pour l’art sein, ein reines Vergnügen als Selbstzweck. Und in diesem Sinne entspräche das Logikstudium der ursprünglichen Bedeutung des Wortes Schule (altgriechisch scholé), nämlich zweckfreier Mußestunden aus purer Leidenschaft. Für den jungen S. wäre es aufgrund seiner Begabungen aber wohl eher eine Tortur.
Warum ist aber Logik nicht nützlich? Vielleicht kann man hier von einer Unschärferelation sprechen: Je mehr man sich dem Bereich der Logik annähert, desto mehr muss man von konkreten Inhalten abstrahieren. Reine Logik ist schlicht Manipulation von im wahrsten Sinne des Wortes bedeutungslosen Symbolen nach vorgegebenen Regeln. Das heißt, man gewinnt logische Wahrheit um den Preis der Inhaltsleere. Als nützliches Anhängsel der Logik könnte man allenfalls die Argumentationstheorie bezeichnen.
In der Praxis kommt man damit aber meistens zu dem Ergebnis, dass heutige Reden, etwa von Politikern, gerade nicht sauber argumentieren. Degen tut das ja selbst nicht, wie wir schon gesehen haben. Und mit ihnen auch ein Großteil der vom Autor so hochgehaltenen Natur- und Ingenieurwissenschaften, die vor allem statistische Korrelationen berichten, die irgendetwas nahelegen sollen. Mit gutem Willen könnte man das vielleicht noch als “Schluss auf die beste Erklärung” bezeichnen. Dafür müsste man sich aber mal eingehender mit Erkenntnistheorie und Wissenschaftstheorie beschäftigen, denen Degen keine einzige Zeile widmet.
Zur Sprachphilosophie will ich mich hier im Interesse der Kürze nicht näher äußern. Nur so viel sei gesagt: Degen widmet der Diskussion der Bedeutung des Satzes “Der Ball ist rund” gut ein Drittel seines langen Artikels. Damit ist er selbst philosophisch tätig, also Philosoph. Wenn sein junger Familienangehöriger schon vor Studienbeginn von Degen als “Philosoph” bezeichnet wird, dann ist der auf hohem Niveau philosophierende Autor Winfried Degen sicher auch einer.
Somit handelt er sich das Problem eines Selbstwiderspruchs ein: Entweder ist Philosophie nutzloses Geschwafel, dann steht aber auch sein eigener Text unter Schwafelverdacht. Oder Degens sprachphilosophischer Teil ist nützlich, dann widerspricht er aber seiner Kernthese von der Nutzlosigkeit der Philosophie. Das nennt man dann einen “performativen Selbstwiderspruch”: Indem man etwas tut, widerspricht man gerade dem, was man eigentlich belegen will. Im Übrigen empfand ich die Diskussion der Bedeutung von “Der Ball ist rund” als ein gutes Beispiel für die Erklärung der Funktion von Sprache und in diesem Sinne als nützlich.
Philosophie und Hirnforschung
Da sich Winfried Degen dafür entschieden hat, in seinem Brief mit der Autorität seines Alters beziehungsweise seiner Erfahrung zu argumentieren, will ich diese eher persönlichen Ratschläge hier nicht völlig außen vor lassen. So schreibt er Autor dem jungen S. wegen dessen mangelnder Sprachkenntnisse beispielsweise: “Du hast nicht nur zwei linke Hände, sondern, wie ich glaube bemerkt zu haben, auch zwei linke Gehirnhälften, oder mindestens ein hypertrophiertes Sprachzentrum.”
So formuliert ist die Diagnose so pädagogisch zweifelhaft wie bereits der Vorschlag, einem in Mathe nicht begabten Studenten ausgerechnet viel Logik ins Stammbuch zu schreiben. Oder war das vielmehr eine Guerillataktik des Autors, um dem Familienangehörigen den Spaß am Fach zu verderben? Aber fragen wir uns einmal, was hier eigentlich gesagt wird: Der junge Mann habe ein hyper-trophiertes, also übermäßig ausgebildetes Sprachzentrum. Das spräche aber doch gerade für gute Sprachkenntnisse.
Vielleicht meinte Degen im Gegenteil hypo-trophiert, also unterentwickelt. Doch dann wäre das schon ein recht peinlicher sprachlicher Patzer in einem so oberlehrerhaft daherkommendem Gesamtgefüge. Davon abgesehen halte ich es für übertrieben, von jemandem schon vor der ersten Stunde Philosophieunterrichts ein besonders trophiertes, also weit entwickeltes Sprachzentrum zu erwarten. Das wird sich – bei fleißiger Arbeit und vielleicht auch etwas Talent – schon im Laufe des Studiums von selbst richten.
Doch wo wir schon bei der Neurologie sind, also dem Teil der Medizin, der sich mit den Erkrankungen des Nervensystems befasst: Wahrscheinlich meint der Autor, wo er zum Verstehen des Denkens eher das Studium der “kognitiven Neurologie” als das der Philosophie empfiehlt, eigentlich die kognitiven Neurowissenschaften. Und wo es wirklich um die Störung von Denkprozessen geht, wären vielmehr die Psychiatrie und klinische Psychologie gefragt.
Es ist aber doch so, dass die Neurowissenschaften noch gar nicht über die richtigen Kategorien verfügen, den Menschen als fühlendes und denkendes Wesen zu beschreiben, geschweige denn hier viel Neues beizusteuern. Und wo sie es versuchen, da ergänzen sie psychologische Theorien in aller Regel um ein paar statistische Korrelationen mit Gehirndaten, die für sich selbst nichts erklären, sondern vielmehr wieder der Psychologie bedürfen, um erklärt zu werden. Und zur Analyse der Beziehung dieser Erklärungsebenen zueinander kommt schließlich die Wissenschaftstheorie und Philosophie des Geistes ins Spiel.
Im Übrigen war die für die Hirnforschung äußerst peinliche Willensfreiheitsdiskussion der letzten zwanzig bis dreißig Jahre das beste Beispiel dafür, dass sich der Mensch auf dieser Ebene noch gar nicht verstehen lässt, wenn das überhaupt jemals der Fall sein wird. Mit historischer Kenntnis, die Degner wiederum für nutzlos hält, hätte man auch gewusst, dass ähnliche Argumente in ähnlicher Weise schon im 19. Jahrhundert angeführt – und überzeugend zurückgewiesen wurden. Führende Hirnforscher haben uns schlicht alten Wein in neuen Schläuchen verkauft. War das nützlich? Vielleicht für ihren Geldbeutel.
Wie erklärt man das Sehen?
Degner versucht sich aber auch selbst in gewagter Weise als Neurophilosoph: Dort nämlich, wo er das Sehen erklärt. Einmal davon abgesehen, dass hier wohl kaum jemand bestreiten würde, dass Wahrnehmungspsychologie und Neurophysiologie dafür die wichtigsten Disziplinen sind, stellt sich die Frage, wie sich diese Beispiele auf das Verstehen des Denkens übertragen lassen. Darum ging es dem Autor doch gerade. Sehen ist etwas Anderes als Denken. Doch die Antwort hierauf bleibt er schuldig.
Stattdessen handelt er sich Probleme ein, wo er beispielsweise behauptet, wir Menschen sähen mit den Augen und hörten mit den Ohren. Man kann wohl mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass es sich hier um einen mereologischen Fehlschluss handelt, also um einen Teil-Ganzes-Fehlschluss. Das Sehen ist eine Leistung des ganzen Wahrnehmungsapparats, wenn nicht gar des ganzen Menschen, und nicht nur des Auges. Das Auge selbst “sieht” gar nichts, sondern registriert Lichtreize. Dabei muss man berücksichtigen, dass “registrieren” im vorherigen Satz eine Metapher ist.
Zum Glück haben Wissenschaftler aber das Auge und andere Teile des Wahrnehmungsapparats so gut verstanden, dass wir die Metapher ziemlich gut einlösen können: Bestimmte Lichtreize führen zu bestimmten elektrischen Reizen der Sehsinneszellen, also in Stäbchen, Zäpfchen und ein paar Ganglienzellen.
Dass aber beispielsweise das Farbensehen keine Eigenleistung des Auges und seiner Sinneszellen ist, wissen wir schon deshalb, weil die wahrgenommene Farbe auch von den Farben der Umgebung abhängt und nicht nur von der Wellenlänge des Lichts. Hier kommt es auf höherer Ebene des Gehirns zu einer Integrationsleistung. Wer das noch nicht kennt, der möge selbst im Internet nach Wahrnehmungstäuschungen des Farbensehens suchen. Zwölf faszinierende Beispiele gibt es hier.
Ein noch deutlicheres Beispiel sind sogenannte bistabile Reize: Zeigt man einer Versuchsperson etwa auf dem einen Auge eine rote, auf dem anderen aber eine blaue, sich drehende Scheibe, dann sieht die Person – nach Lehrbuch – immer nur abwechselnd entweder die rote oder die blaue Scheibe. Mir persönlich fällt auch ein diffuser Zwischenzustand auf, doch darum geht es hier nicht. Vielmehr zeigt es, dass obwohl die Augen permanent im degenschen (also falschen) Sinne dasselbe “sehen”, die Person abwechselnd mal das Eine, mal das Andere sieht.
Den argumentatorischen Ast, auf dem er sitzt, sägt Winfried Degen aber nur einige Zeilen später selbst ab, wo er schreibt: “Sehen heißt die Sinnesdaten, die Impulse aus der Netzhaut interpretieren. Und diese Interpretation hängt selbstverständlich von Deiner Erfahrung und Deinen Kenntnissen ab.” Wie bitte, das Auge, von dem es gerade noch hieß, dass es sieht, interpretiert nun auf einmal auch, es hat Erfahrungen und Kenntnisse? Nein, nein und nochmals nein.
Neurophilosophische Fehlschlüsse
Ähnlich schief geht die Empfehlung, die Bedeutung von Aussagen wie “Der Ball ist rund” durch Untersuchungen im Hirnscanner zu erfassen. Der Autor selbst räumt ein, dass jeder Mensch (und jedes Tier, das hierzu in der Lage ist, wie etwa sein Hund) wahrscheinlich andere Erfahrungen von Bällen hat. Das wirft die Frage auf, was uns die Untersuchungen unterschiedlicher Repräsentationen von Bällen in den Gehirnen unterschiedlicher Versuchspersonen über das Wesen von Bällen zeigen soll. Und welche Versuchspersonen repräsentieren einen “Ball an sich”, welche haben ein falsches Ballkonzept? Sind das etwa keine wissenschaftstheoretisch-philosophische Fragen, die der Forschung nutzen?
So ähnlich, wie Degen es vorschlägt, hat das übrigens der renommierte Hirnforscher Semir Zeki vom University College London für das Wesen des Schönen versucht. Ein Unterfangen, das, nebenbei erwähnt, der Autor selbst für ausgeschlossen hält: “…was wir als schön empfinden – darüber wird in der Wissenschaft nicht gesprochen.” Zeki redet in diesem TEDx-Vortrag über die Neurowissenschaft des Schönen ganze dreizehn Minuten über nichts Anderes. Und das ist nicht nur Hobby eines älteren Herrn, sondern basiert auf Publikationen in wissenschaftlichen Fachzeitschriften.
Die Arbeitsweise dieser Forschung ist aber gerade keine Glanzleistung der Hirnforschung, was meine Psychologiestudierenden im dritten Studienjahr in aller Regel schon ganz gut selbst feststellen können. Wo Degen aber empfiehlt, ein Philosoph, der das Denken erklären will, solle auch ein paar Psychologiekurse besuchen, da kann ich ihm nur zustimmen. Die kann sein Familienangehöriger, der junge S., gerne auch beim nicht mehr ganz so jungen S. belegen, nämlich bei mir. Das geht bis auf Weiteres aber nur in der Stadt G. und nicht in B.
Ich will zum Schluss kommen und muss auch noch das Versprechen des Titels einlösen, warum Philosophie meiner Meinung nach dringender nötig ist denn je. Ich hoffe, dass bis hierhin klar geworden ist, dass Philosophie eine Schulung des kritischen Denkens ist, mit der man die Bedeutung von Wörtern und Aussagen hinterfragen kann; mit der man die Gültigkeit von Argumenten überprüfen kann; dass sie Orientierungswissen geben kann; dass sie uns etwas über die Möglichkeit und Bedingtheit wissenschaftlicher Forschung lehren kann.
Warum die Ethik so wichtig ist
Weiter oben habe ich aber auch einmal kurz die Ethik erwähnt, also die Teildisziplin der Philosophie, die sich mit dem richtigen Handeln beschäftigt. Um den breiten gesellschaftlichen Nutzen dieser Form von Philosophie zu verdeutlichen, will ich der Einfachheit halber den Dieselskandal “Made in Germany”, also die Täuschungen des Volkswagenkonzerns diskutieren. Damit ist weder gesagt, dass nicht auch andere Firmen täuschen, noch, dass alle Mitarbeiter von Volkswagen täuschen würden.
Was ich an diesem Skandal psychologisch so interessant finde, ist die täuschende Intelligenz, vielleicht könnte man auch sagen: Täuschungsintelligenz, die Volkswagen in manche seiner Autos gebaut hat. Die im Abgastest niedrigeren Messwerte wurden ja dadurch erzeugt, dass das Auto “erkannte”, dass es sich in einer Testsituation befand. Das konnte natürlich nur deshalb gelingen, weil diese gesetzlich reguliert, also hinreichend standardisiert ist. In dieser Situation verhielt sich das Auto dann anders als auf der Straße, sodass die Messwerte zwar niedriger ausfielen aber nicht mehr realistisch waren.
Es geht nun nicht darum, dass im vorherigen Absatz Metaphern vorkamen. Autos können nichts erkennen und ob sie sich irgendwie verhalten, das ist auch noch eine offene Frage. Mir geht es darum, dass es sich hier um eine Täuschung höherer Ordnung handelte: Es wurden nicht nur irgendwelche Messwerte gefälscht, sondern die Autos wurden so programmiert, dass das Täuschungsprogramm zur rechten Zeit aktiviert wurde.
Natürlich steckt hinter diesen Vorgängen menschliche Intelligenz: Es muss Manager gegeben haben, wahrscheinlich mit Kenntnissen aus der Betriebswirtschaftslehre, die die Täuschung im Interesse der Gewinnerzielung entschieden haben. Und es muss Natur- oder Ingenieurwissenschaftler gegeben haben, also Angehörige der laut Degen so “nützlichen” Klasse, die die Täuschung so implementiert haben, dass sie funktionierte und über Jahre hinweg nicht auffiel. Bis irgendwelchen Prüfern dann doch einmal Unregelmäßigkeiten auffielen, die die Täuscher nicht vorhergesehen hatten.
Diese Angehörigendes Volkswagenkonzerns wussten während der gesamten Planungs- und Ausführungszeit und natürlich auch die ganze Zeit danach, dass sie nicht nur ihre zukünftigen Kunden, sondern auch ihre Kollegen täuschten und belogen. Die Kollegen, die die angeblich sauberen Dieselfahrzeuge mit Stolz zusammenbauen und schließlich verkaufen.
Die Täuscher wussten zudem oder mussten zumindest wissen, dass dem Vertrauen und Wert des Konzerns großer Schaden zugefügt würde, sobald die Sache auffliegt; dass daran Arbeitsstellen und Existenzen mutmaßlich tausender Menschen hingen, von den Gesundheitsfolgen durch die Schadstoffbelastung ganz zu schweigen.
Die verantwortlichen Personen wussten also, dass sie täuschen, und dass dies gravierende Folgen haben würde. Dennoch taten sie es.
Mein abschließender Punkt ist jetzt, dass diese Form der Täuschung vom Standpunkt der Ethik aus, ganz gleich, welche etablierte ethische Theorie man heranzieht, ein völlig inakzeptabler Vorgang ist. Es ist etwa schwer vorstellbar, dass ein Vertreter der schon in der Antike beliebten Tugendethik, die Falschheit dieses Handelns verstünde und es dennoch täte. Ein tapferer Tugendethiker bei Volkswagen hätte vielmehr den ganzen Beschiss auffliegen lassen, zumindest anonym. Mit Kants strenger Pflichtethik, für die Lügen ein absolutes No Go ist, brauchen wir hier gar nicht erst zu argumentieren.
Doch selbst ein plumper philosophischer Utilitarismus, der besser ist, als die alltagssprachliche Verwendung des Wortes vermuten lässt, könnte sich nicht zur Rechtfertigung dieser Täuschung heranziehen lassen: Denn die negativen Folgen für die Allgemeinheit stehen in keinem vertretbaren Verhältnis zum Nutzen. Das Handeln der Täuscher war keine utilitaristische Tat, sondern eine rein egoistische. Und reiner Egoismus ist das Gegenteil von Ethik.
Worauf die Wirtschaft hinausläuft
Nun hatten wir in den letzten Jahrzehnten schon so viele Skandale und Krisen, dass die Wirtschaft, auch die deutsche Wirtschaft, der Winfried Degen so das Wort redet, sich ihre eigene Lösung ausdenken durfte: Sie heißt nicht Ethik, sondern Compliance. Ausgedacht haben sie sich zweifellos gut bezahlte Personen, Personen also mit einer “nützlichen” Ausbildung. Und Compliance ist, das hat der frühere Bundesrichter Thomas Fischer einmal sehr schön dargelegt, nicht Ethik. Sie ist vielmehr die Kunst, im Wettbewerb so zu täuschen, dass man dafür hinterher nicht belangt werden kann.
Zweifellos hatte auch der Volkswagenkonzern eine gut funktionierende Compliance-Abteilung.
Das war jetzt nur ein Beispiel für die Funktionsweise der Wirtschaft, an deren Wohlergehen sich laut Degen junge Menschen heute bei der Studienwahl orientieren sollen. Allgemeiner formuliert ist die Moral meiner Geschichte aber: Macht nur weiter so, ihr gut bezahlten Betriebswirte, Ingenieure und Techniker, mit der wettbewerbs- und gewinngetriebenen Ausbeutung der Rohstoffe, Natur-, Tier- und Menschenwelt. Irgendwann gibt es dann schlicht keine Probleme mehr zu lösen, weil es dann keine lebensfähige Welt mehr gibt.
Wer jetzt noch nicht verstanden hat, warum Philosophie heute dringender denn je ist, bei dem weiß ich auch nicht mehr weiter. Ich versuche es aber gerne noch einmal persönlich im Diskussionsforum.
Hinweis: Dieser Beitrag erscheint parallel auf Telepolis – Magazin für Netzkultur.
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Der Physik-Nobelpreisträger Richard P. Feynman stand den Philosophen ebenfalls eher ablehnend gegenüber.
@Bednarik: Physiker und Philosophen
Ja, davon habe ich auch gehört. Die Details/Hintergründe sind mir allerdings nicht bekannt.
Hawking schrieb in einem seiner letzten Bücher sogar, die Philosophie sei tot; die Fackel der Erkenntnis trage jetzt die Physik.
Und hier bei den SciLogs hatten wir früher auch einen theoretischen Physiker, der wenig von Philosophie hielt. Das hat bei den Bloggertreffen für manche Spannung gesorgt. Aber ich habe das nie persönlich genommen.
Es ist doch so: Sowohl in der Physik als auch in der Philosophie gibt es bessere oder schlechtere Leute. Ich würde niemals einem Physiker erklären wollen, wie er seine Arbeit zu tun hat. Wenn er aber Unsinn redet (so wie etwa Sean Carroll über Reduktionismus), dann habe ich da als Philosoph und Psychologe durchaus eine Meinung zu.
Ich freue mich jedenfalls sehr, dass wir mit Heinrich Päs zurzeit einen Physiker bei den SciLogs haben, der auch eine ausgeprägte literarische und philosophische Ader hat, wenn ich das mal so sagen darf.
@Stephan Schleim: Logik
Ich entschuldige mich vorab, dass ich nur auf den Teil Ihrer Ausführungen eingehe, der mich bzw. meine Arbeit (ich schreibe an meinem fünften Buch) betrifft:
Nachdem die Mathematikdidaktikerin Inge Schwank und ich festgestellt hatten, dass wir beide zur selben Entdeckung gekommen waren, durfte ich ihre Begriffe “prädikative vs. funktionale Art logischen Denkens” übernehmen (ich hatte zuvor von zustandsorientiertem vs. prozessorientiertem Denken gesprochen). In öffentlichen Diskussionen kam dann sehr schnell der Einwand, dass Menschen doch eher unlogisch denken, wieso wir dann von Logik des Denkens sprechen.
Eigentlich hätte eben diese Formulierung deutlich machen sollen, dass wir gerade nicht von dem Denken sprechen, das gemeinhin unter diesem Begriff verstanden wird, sondern von der Arbeitsweise des menschlichen Gehirns – womit wir bei der Nützlichkeit sind:
Es ist schon überraschend, dass angesichts der Anstrengungen der Neurowissenschaften, der Psychologie und der (Bewusstseins-)Philosophie, die alle in die Erforschung des menschlichen Gehirns involviert sind, eben diese Arbeitsweise für die Wissenschaftler nach wie vor ein Rätsel ist. Dieses Rätsel ist nur lösbar, wenn man sich mit Logik beschäftigt. Denn das Gehirn arbeitet logisch, und diese Logik ist, was man kennen muss, um sie zu verstehen und zu beschreiben.
Als ich an einer Stelle nicht mehr weiterkam, weil ich nicht wusste, auf welche Art von Gesetz ich gestoßen war, sagte mir ein befreundeter Mathematiker, es sei ein synthetisches Urteil à priori. Mit ihm habe ich nicht nur das Axiom gefunden, das ich brauche, sondern kann mich nun auch in etwa an das halten, was schon Euklid formuliert hat : Definition, Satz, Beweis.
Ergo: die Lösung des Rätsels der Arbeitsweise des Gehirn fällt letztlich in den Fachbereich der Philosophie. Soviel zur Nützlichkeit.
@Trice: Neuro-Logik
Danke für Ihre Ergänzung und viel Erfolg beim Schreiben!
Ich glaube nicht, dass das Gehirn oder irgend etwas in der Natur “logisch” arbeitet, denn Logik ist für mich ein Spiel, das die Menschen erfunden haben. Es wäre dann ein Kategorienfehler. Aber ich kann mich freilich irren.
P.S. Von “Neuro-Logik” sprach übrigens schon Timothy Leary.
Was die Empfehlung für das Studienfach angeht, so hat Herr Degen wohl aus “pragmatischen” Gründen recht. Die MINT-Leute haben im Prinzip immer noch einen Plan B, wenn es mit einer sicheren Stelle im Wissenschaftsbereich nicht funktioniert. Ich kenne zum Beispiel den Fall einer Historikerin, die mit 40 ihren Abschluss machte und jetzt in einem Bio-Laden arbeitet. Es geht also um das Leben des Menschen selbst, um in dieser Welt klar zu kommen. .
Herr Schleim, vielen Dank für die Richtigstellung.
Übrigens unterrichte ich Philosophie und ich kann davon ganz gut leben, man kann also von Nützlichkeit für mich persönlich schon einmal sprechen. Zudem merke ich immer wieder, dass das Fach Philosophie für viele Schüler äußerst nützlich ist, behandelt es doch für sie relevante Fragen, die in keinem anderen Fach thematisiert werden.
Und ergänzend, ganz zu schweigen von der Schulung der sprachlichen Fähigkeiten, insbesondere der sprachlichen Präzision. Auch für einen Naturwissenschaftler oder Ingenieur ist das durchaus nützlich und wenn es um die Verabredung zu konspirativen Treffen zum Thema Abgasreinigung geht.
Philosophen sollten die Zusammenarbeit mit Naturwissenschaftlern suchen oder sie sollten mindestens eine Sicht anbieten, die auch Naturwissenschaft umschliesst denn Philosophie allein ist der Gefahr ausgeliefert, nicht geerdet zu sein und damit der Gefahr, Luftschlösser aufzubauen.
Eine andere Gefahr, denen Philosophen ausgesetzt sind, ist die der Haarspalterei, die des Kampfes um die Bedeutung von Worten anstatt der Bedeutung von Konzepten.
Es gibt übrigens Geisteswissenschaftler, die das genauso so sehen und die in Naturwissenschaft und Technologie den eigentlichen Grund für Fortschritte auch auf humanem Gebiet sehen. Allerdings sind das ehere wenige. Einer davon ist Stephen Pinker, der das auch in seinem neuen Buch Enlightenment Now: The Case for Reason, Science, Humanism, and Progress zum Ausdruck bringt. Stephen Pinker glaubt dabei nicht nur an die segensreichen Wirkungen von Naturwissenschaft und Technologie, sondern auch an die segensreichen Wirkungen bestimmter philosophischer Ansätze. Vor allem die Aufklärung und die Humanisten haben es ihm angetan, aber auch die Utilitaristen (gut ist was für möglichst viele gut ist) sind für ihn auf dem richtigen Weg.
Der von mir verlinkte Wikipedia-Artikel zeigt jedenfalls, dass philosophische Überlegungen und Argumentationen sowohl hinter Pinkers Ansichten und Werken stehen als dass philosophische Argumentationen auch gegen Pinker ins Feld geführt werden können. Folgende Kritik Pinkers finde ich etwa höchst gerechtfertigt (übersetzt von DeepL): Kritiker weisen dagegen darauf hin, dass es der Wissenschaft an einer eigenen ethischen Logik mangelt. Sie argumentieren, dass der wissenschaftliche Fortschritt befreiend, aber auch bedrohlich ist und gerade deshalb Gefahren mit sich bringen kann, weil er die menschliche Macht enorm erweitert. Das ist in meinen Augen sogar eine höchst berechtigte Kritik an Pinkers Verherrlichung von Naturwissenschaft und Technologie: Dass er überhaupt keine Gefahren im menschlichen (auf naturwissenschaftlichen Erkenntnissen basierenden) Machtzuwachs erkennen will obwohl es solche Gefahren zweifellos gibt.
Fazit: Wenn Philosophie einen lehrt besser zu argumentieren und man durch die Beschäftigung mit ihr schliesslich besser argumentiert, dann ist sie in der Tat hilfreich und wertvoll. Das allerdings wussten bereits die Sophisten, denen es nur darum ging im Rededuell zu gewinnen und nicht etwa darum, zu besseren Einsichten zu kommen.
@Stephan Schleim:Nicht Neuro- nur Logik
So würde ich es auch nicht formulieren wollen. Die Arbeitsweise des Gehirns basiert auf Regeln, und die sind logisch aufgebaut. Und ja, das trifft auch für die Natur zu. Das Gesetz, von dem sich die Regeln ableiten, ist universell gültig.
Aber wie ich schon schrieb, letztlich ist es richtiger, von einem Urteil (im Sinne Kants) zu sprechen.
Timothy Learys Buch ist zwar witzig, aber was seine Hirnentwicklungsstadien betrifft, sehe ich die Logik nicht.
Noch als Anmerkung zum Täuschungsmanöver von VW. Die deutschen Automobilkonzerne haben Unmengen an Geldern in die Entwicklung der Dieselfahrzeuge gesteckt, u.a. auch, weil sie auf den us-amerikanischen Markt wollten. Die amerikanischen Automobilkonzerne hat der Dieselmotor nie interessiert, sie sahen in ihm auch keine Konkurrenz. Das änderte sich mit den neuen Modellen. Das amerikanische Umweltministerium / Umweltbehörde hat justament zu diesem Zeitpunkt die Werte für Feinstaub us.w so angehoben, und mit dieser Behörde legt man sich besser nicht an. Die deutschen Konzerne hatten also nur die Wahl, entweder darauf zu verzichten, ihre Autos auf dem Markt in USA zu verkaufen – die Gelder für die Entwicklung wären dann zum großen Teil in den Sand gesetzt worden – oder noch einmal Unsummen in die weitere Entwicklung zu stecken, um die Bedingungen zu erfüllen.
In dieser Situation haben sie vielleicht auch einfach darauf gesetzt, dass mit ein bisschen Tarnen und Täuschen die Sache gut gehen könnte …
Betrug war es trotzdem, nur ganz so einfach war es dann auch wieder nicht.
@Holzherr: Luftschlösser
Haben Sie sich den Vortrag des (renommierten) Hirnforschers Semir Zeki angeschaut? Das ist doch das beste Beispiel für Luftschlossologie. Und die erwähnte Willensfreiheitsdiskussion ist ein Weiteres.
Aber es bringt uns ja nicht wirklich weiter, mit dem Finger auf andere zu weisen. Ich wollte nur herausstellen, dass es sowohl in der Philosophie als auch in Naturwissenschaften bessere und schlechtere Leute gibt. Der Streit ist schlicht sinnlos, wenn man sich nur Strohmänner heraussucht.
@Trice: Abgase
Die Details zum amerikanischen Markt sind mir nicht bekannt.
Man hat den europäischen Konsumenten aber doch auch genügend “saubere” Diesel verkauft.
P.S. Zu der Sache mit den Regeln verweise ich noch einmal auf meine Diskussion mit Herrn Päs, an der Sie meiner Erinnerung nach auch teilgenommen haben.
@Knoth: Systemlogik
Das stimmt so, aber immer nur innerhalb der Systemlogik gedacht.
Als Philosoph beschäftigt man sich aber auch damit, wie die Welt sonst sein könnte.
Man kann beispielsweise von Marx halten, was man will; ich habe persönlich kaum etwas von ihm im Original gelesen. Aber dass er nicht das 19. und 20. Jahrhundert stark beeinflusst hätte, das kann man wohl nicht sagen!
P.S. Marx hat übrigens auch den höchsten Impact Factor, haha:
Nature: Sigmund Freud und Karl Marx beste Forscher aller Zeiten!
@Eissner: nützlicher Philosophieunterricht
Was sind das denn für Themen, für die sich Ihre Schüler*innen am meisten interessieren?
P.S. Ich war damals in Mainz das eine oder andere Mal in der Pädagogik-Vorlesung für die Lehramtsstudierenden und was ich da so hörte und sah, das hat mich schockiert und abgeschreckt. Die eigentliche Ausbildung beginnt wohl erst im Beruf.
Vielen Philosophen scheint es mir an Pragmatismus zu fehlen und einige unter ihnen neigen zu problematischen, beinahe dogmatischen Festlegungen, die gar nicht nötig wären und die nicht produktiv sind.
Dabei denke ich etwa an Nida-Rühmelins Buch “Digitaler Humanismus” und den Interviews die er in diesem Zusammenhang gegeben hat. So äussert in einem Interview sein Urteil, es geben weder starke noch schwache künstliche Intelligenz, also weder eine künstliche Intelligenz die beseelt wäre wie es die menschliche Intelligenz sei (starke künstliche Intelligenz) noch eine künstliche Intelligenz, die die gleichen geistigen Leistungen vollbringen könne wie ein Mensch (schwache künstliche Intelligenz). Damit lehnt sich Nida-Rühmelin sehr weit aus dem Fenster hinaus und er unterstellt der künstlichen Intelligenz Einschränkungen, die es nicht von vornherien gibt, die Nida-Rühmelin wohl nur von den klassischen digitalen Computern her kennt und die er ungerechtfertigterweise auf alle “denkenden” heute und in Zukunft Maschinen ausdehnt. Kommt noch dazu, dass er Menschen nicht-algorithmisierbare Denkfähigkeiten zugesteht und in diesem Zusammenhang die Gödelschen Unvollständigkeitssätze bemüht. Das ist für mich eine Diskurstechnik wie sie belesene und wissensbefrachtete Leute wie eben Philosophen gerne anwenden: Sie wagen sich auf unbeständigen Untergrund und behaupten dann etwas, was kaum jemand, der nicht so belesen ist wie sie, widerlegen kann.
Im Interview Julian Nida-Rümelin: Die ultimative Grenze Künstlicher Intelligenz liest man dann vermeintlich sichere Urteile, die für mich aber nur Behauptungen sind. Beispiel: Interviewer: Und umgekehrt: Der Roboter ist auch nicht unser Feind?
Nida-Rümelin: Genau. Das sind zwei Seiten derselben Medaille. Der Roboter wird mystifiziert, erst mal positiv. Dann kommt die Angst, wenn das Akteure sind, wer garantiert uns denn, dass sie uns gegenüber wohlwollend sind? Das ist im Grunde derselbe Denkfehler. Sie sind weder böswillig noch gutwillig, sondern einfach Instrumente.
In einem gewissen Sinne ist Nida-Rümelin heute damit noch auf der sicheren Seite, denn heutige System künstlicher Intelligenz sind tatsächlich keine ernstzunehmenden Akteure. Doch die Absolutheit mit der Nida-Rühmelin diese heutige Beschränkung in alle Zukunft verlängert, die ist eben nicht gerechtfertigt. Wenn Nida-Rümelin hier Pragmatismus zeigt, dann wohl vor allem den Pragmatismus eines guten Hasardeurs/eines geschickten Spekulanten, der wohl zurecht davon ausgeht, dass es keine echt intelligenten künstlichen Systeme geben wird, solange sein eigenes Buch über dieses Thema noch aktuell ist und gelesen wird.
Schlaumeier diese Philosophen!
Zum Nutzen der Philosophie für den Naturwissenschaftler: der existiert m.E. tatsächlich nicht, und das dürfte wohl auch der Grund sein, warum viele Naturwissenschaftler die Philosophie als Fach insgesamt ablehnen. Als Naturwissenschaftler erhofft man sich von Philosophen Hinweise, welche Theorien es wert sind, weiterverfolgt zu werden und welche nicht. Hier hat die Philosophie noch nie geliefert und wird es wohl auch nie.
Die Enttäuschung darüber hat Feynman in seinem berühmten Verdikt ausgedrückt, dass die Wissenschaftsphilosophie für den Physiker so nützlich sei wie die Ornithologie für die Vögel. Auch die Erkenntnisphilosophie Poppers, die von den Philosophen so hochgehalten wird, ist hier keine Ausnahme. Für Steven Weinberg ist auch die nur eine weitere “oversimplefied theory” (so hat er sie in seinem Buch “Lake Views” genannt), die dem forschenden Naturwissenschaftler keine Hilfestellung bietet.
In diesem Zusammenhang eine Buchempfehlung: “Dreams of a Final Theory” von Weinberg ist zwar schon 25 Jahre alt, aber die darin enthaltenen Betrachtungen über die Zusammenhänge von Mathematik, Philosophie und Physik sind zeitlos. Für Philosophen schwer zu schlucken, aber die Lektüre allemal wert, zumal Weinberg auch zu schreiben versteht.
Damit ist natürlich nichts über einen möglichen Nutzen gesagt, den Philosophie in anderen Bereichen haben mag und schon gar nichts über den Vorrang der MINT-Fächer. Eine Gesellschaft, in der sich alle “talentierten Menschen” nur mit Natur- und Ingenieurwissenschaften beschäftigen, dürfte eine sehr begrenzte Lebensdauer haben.
@Schleim:
Da gibt es verschiedene Themen, zumeist aus der praktischen Philosophie. Ganz konkret z.B. die Frage, was eine gerechte Strafe ist, ob ein Schwangerschaftsabbruch vertretbar ist, ob es einen gerechten bzw. gerechtfertigten Krieg gibt, etc.
Etwas Abstrakter dann die klassischen kantischen Fragen. Didaktisch richtig aufbereitet hat man damit leichtes Spiel…
Die Mainzer Fachdidaktik kenne ich nicht, aber in Bochum habe ich durchaus einiges gelernt, Volker Steenblock, der leider erst vor kurzem verstorben ist, hat dort gute Arbeit geleistet, wie ich finde.
Zudem lernt man, wenn man Glück hat und einen guten Seminarleiter erwischt, natürlich auch viel im Referendariat.
@Stephan Schleim: Beim Lesen Ihres Textes dachte ich die ganze Zeit, hoffentlich vergisst er die praktische Philosophie nicht. Und als Schlusspunkt, oder eher als Ausrufezeichen, kam sie, jedenfalls die Ethik, doch. Überzeugend argumentiert, ich stimme aus vollem Herzen zu.
Gerade die Disziplinien der praktischen Philosophie sind gesellschaftlich eminent wichtig. Wie wollen wir uns darüber klar werden, was das alles soll, wozu das alles gut ist, wie wollen wir über die Fundamente dieser Gesellschaft nachdenken und uns über ihre Zukunft verständigen, ohne solides Rüstzeug, das Wirtschaftsethik, Bioethik, Technikethik, politische Philosophie oder Rechtsphilosophie bereitstellen? Ich würde mir im Gegenteil wünschen, dass solides philosophisches Rüstzeug in jedes Studienfach gehört. In meinen Studienfächern (technische und wirtschaftswissenschaftliche) war das nicht der Fall, ich hole das jetzt mühsam neben meiner Berufstätigkeit nach und verstehe erst jetzt Teile der Ökonomik – und ihre Fragwürdigkeit – richtig.
@aristius fuscus // 4. Januar 2019 @ 18:28
»Zum Nutzen der Philosophie für den Naturwissenschaftler: der existiert m.E. tatsächlich nicht, … «
Ich sehe durchaus einen gewissen Nutzen der Philosophie für den Naturwissenschaftler (weniger für die Naturwissenschaften als solche). Wenn Philosophen gut (!) vertraut sind mit einem naturwissenschaftlichen Gegenstand, dann kann eine Diskussion über Fachgrenzen hinweg für den Naturwissenschaftler schon erhellend sein. Wobei es dann weniger um spezielle Forschungsfragen geht, als vielmehr um die Art der Vermittlung und des Redens über die Forschung.
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Also, ich habe da so meine Zweifel. Der „Brief“, den „Winfried Degen“ bei Telepolis abgeliefert hat, könnte durchaus von einem Philosophen stammen (ansonsten wär’s ein sehr sehr kundiger Nichtphilosoph).
Nur vordergründig, scheinbar, geht es meinem Eindruck nach darum, den lieben S. vom Philosophiestudium abzubringen, tatsächlich aber scheint mir der Text ein einziges Plädoyer für das Fach Philosophie zu sein.
Mich wundert, dass man ihn überhaupt anders lesen kann.
Holzherr: JNR & Grundlagenforschung
Erst einmal halte ich das für eine klassische philosophische Frage, ob künstliche Intelligenz möglich ist. Und wenn ein Philosoph hier zu einem negativen Ergebnis kommt, dann ist das doch eine schöne Herausforderung für die empirischen Wissenschaften, das Gegenteil zu zeigen.
Herr Nida-Rümelin war in meiner Münchner Zeit formal mein Chef, als Dekan der Philosophischen Fakultät. Nicht, dass wir da viel miteinander zu tun gehabt hätten. Aber bei Abendvorträgen sah ich ihn hin und wieder als Gastgeber und da stellte er immer sehr anspruchsvolle Fragen.
Wie in der Grundlagenforschung der Wissenschaften gib es auch Grundlagenforschung in der Philosophie, deren Sinn und Nutzen sich nicht immer auf einfache Weise einem allgemeinen Publikum erklären lässt. Das ist ja die große Kunst der Wissenschaftskommunikation, ohne eine Geschichte so zu vereinfachen, dass sie nicht mehr stimmt.
Ich werde mir morgen das Interview durchlesen. Ich kenne diese Forschung noch nicht und habe mir vor ein paar Jahren nur mit seinen Thesen zur Bildung beschäftigt, die mir sehr fundiert vorkamen. Vielleicht reagiere ich dann noch einmal.
@fuscus: Philosophie für die Wissenschaften
In meiner Bonner Zeit gab es mal eine wissenschaftsphilosophische Veranstaltung, die vom sehr schlauen TV-Mann Scobel moderiert wurde. Da stellte er die Frage in die Runde, ob es denn prinzipiell etwas gebe, was ein Philosoph tun könne, was nicht ein Wissenschaftler auch tun könne.
Meine Antwort wäre, dass Philosophen nicht eine andere Spezies sind und dass Wissenschaftler auch philosophisch argumentieren könnten. Faktisch tun oder wollen viele das aber nicht – und manche erst im hohen Alter. Als Wissenschaftler ist man wahrscheinlich anderen Pragmatismuszwängen ausgesetzt und muss vor allem immer Lösungen parat haben, während Philosophen sich eher mit Problemen beschäftigen, gerne auch mal prinzipiellen Problemen.
(Mal ein Beispiel aus meinem Werdegang zur fMRT-Forschung: Die fMRT ist meines Erachtens gerade so erfolgreich, weil sie so ein schlechtes Instrument zum Messen von Gehirnaktivität ist. Über die Beschränktheit älterer [sog. univariater] Analyseverfahren durfte man erst öffentlich schreiben, als neuere [sog. multivariate] Verfahren angewendet werden konnten. Und man verwendet die ganze Zeit lineare Modelle, von denen man weiß, dass sie eigentlich nicht zur Arbeitsweise des Gehirns passen. Pragmatismus eben. Aber man hat nun einmal nichts Besseres. In der Konsequenz heißt das für mich aber, dass ein Großteil der Studien nutzlose Zeit- und Geldverschwendung sein. Und es ergibt sich ja auch kein kohärentes Bild, trotz oder wahrscheinlich gerade sogar wegen der inzwischen tausenden Publikationen pro Jahr.)
Aber zurück zu Ihrer These: Ich verstehe nicht, warum es nicht für die Wissenschaft von Relevanz ist, wenn etwa Forscher F sagt, mit seinem Experiment habe er die Möglichkeit von Willensfreiheit widerlegt, und der Philosoph P dann aufzeigt, warum das seines Erachtens eine unsinnige Aussage ist.
Oder ein konkretes Beispiel aus meiner Forschung: Ich behaupte, prinzipiell aufzeigen zu können, warum psychische Störungen nicht auf Gehirnstörungen reduziert werden können. Das ist aber gerade das zentrale Credo der der Biologischen Psychiatrie. Und ihre mehr als 170-jährige Geschichte des Versagens zeigt ja auch, dass es kein einziges positives Beispiel dafür gibt (wobei ich die neurologischen Störungen ausklammere, da diese eben in die Neurologie gehören, nicht in die Psychiatrie).
Würde man diese Erkenntnis akzeptieren, anstatt immer weiter wie ein betrunkener nur im Lichtkegel der Laterne nach dem verlorenen Schlüssel zu suchen, weil es da eben am hellsten ist (das heißt: weil es da seit den 1990ern eben am meisten Geld gibt), dann könnte man jährlich nicht nur Milliarden sparen, hunderttausende Forscher*innen könnten sich mit etwas Sinnvollem beschäftigen, man könnte etwas tun, was den Patienten nutzt und nach neuen Ansätzen außerhalb des Mainstreams suchen. Warum wäre das nicht nützlich? Auch und insbesondere für die klinische Psychologie und die Psychiatrie.
@Eissner: Schwangerschaftsabbruch und so
Dass das noch eine Frage ist, die die Jugendlichen bewegt… Es scheint, als habe der Feminismus in dieser Generation ein Imageproblem.
Ich habe zum Thema Leistungsdruck und Abtreibung in meinen Kursen mehrmals diesen 20-minütigen Kurzfilm Magnesium verwendet und einmal den jungen Regisseur auch eingeladen. Vielleicht ist das ein interessanter Tipp für Sie. Die Hauptdarstellerin spielt wohl eine 16-jährige.
@Walther: Ethik und praktische Philosophie
Schön, dass Sie sich diese Kenntnisse aneignen. Das spricht für Sie.
In der Praxis ist es ja aber so, dass die ethische Frage oft gar nicht so leicht zu beantworten ist. Doch selbst wenn man einmal eine Antwort gefunden hat, dann ist ihre Implementation noch einmal eine ganz andere Frage.
Und dafür braucht man dann meiner Meinung nach auch Expertise aus den Rechtswissenschaften, der Organisationssoziologie und so weiter…
Haben Sie mal ein konkretes Beispiel für eine Frage aus Ihrer Berufstätigkeit, in der die praktische Philosophie bzw. Ethik eine Rolle spielt?
P.S. Ich hätte übrigens auch mal Walther mit Nachnamen heißen können, wenn ich gewollt hätte; wollte ich aber nicht. 😉
@Balanus: Nutzen der Philosophie
Und so etwas aus deinem Munde! Da setzt ja beinahe mein Herz für ein paar Schläge aus. 😉 Jetzt sag bloß nicht, dass deine Besuche hier bei den SciLogs oder gar bei den MENSCHEN-BILDERN zu dieser Meinung etwas beigetragen haben.
@Balanus: Degen
Ich habe mich auch manchmal gefragt, ob man das Ganze nicht als Satire verstehen kann.
Aber wie in meinem Text steht, achtmal vom “Geschwätz” zu reden und dann im Curriculum aus der ganzen Philosophie nur die Logik aufzunehmen (selbst an Stelle der Sprachphilosophie soll ja besser Linguistik studiert werden), waren für mich aber doch sehr deutliche Zeichen, dass jemand es hier ernst meint.
Und wenn ich mich geirrt habe, so hat es immerhin Spaß gemacht, auf der Insel Terschelling, während es draußen einen Sturm mit Windstärkte >6 gab. Und vielleicht gibt es ja noch eine Reaktion von dem Degen.
P.S. Dass ich selbst die These vertrete, dass Degen schwer behaupten kann, er sei kein Philosoph, das ist dir aber schon aufgefallen?
@Stephan Schleim (zur Frage ob Philosophen sagen können, künstliche Intelligenz sei prinzipiell unmöglich): Tatsächlich hat ja der Philosoph John Searle bereits 1980 zu beweisen versucht, dass es keine starke künstliche Intelligenz geben könne, nämlich in seinem „Chinese Room“ Gedankenexperiment, einem Gedankenexperiment das in seiner Beweisführung auf eine Reductio ad absurdum herausläuft. Kurz zusammengefasst läuft Searles Argument darauf hinaus, dass die Fähigkeit etwa auf chinesische Sätze zu antworten nur dann auf Intelligenz hindeute, wenn das Subjekt auch chinesisch verstehe, das aber könne ein Algorithmus niemals, sei doch ein Algorithmus nichts anderes als eine Folge von Anweisungen, die automatisch und ohne Verständnis ausgeführt werde. Zur Verdeutlichung sagt John Searle, dass ein derartiger Algorithmus, der auf chinesische Sätze antworte, auch von ihm selbst ausgeführt werden könnte, einfach indem er die zugehörigen Instruktionen manuell ausführe. Er aber verstehe kein chinesisch und damit verstehe auch das „chinesische Zimmer“ welches die Instruktionen des Algorithmus automatisch ausführt, kein chinesisch. Noch allgemeiner formuliert läuft Searls Argument darauf hinaus, dass es ohne Verständnis, ohne Intentionalität, keine echte Intelligenz gäbe und alles was algorithmisch sei, sei per constructionem ohne Intention, ohne Verständnis.
Nun mein Gegenargument dazu: John Searle versteht selber englisch und denkt „englisch“. Doch was „englisch verstehen“ bedeutet, wissen wir gar nicht. Alles was wir aber wissen, deutet darauf hin, dass „Verstehen“ mentale Prozesse beinhaltet, die sich auch als Algorithmen beschreiben lassen und die nicht einmal ein menschliches Hirn benötigen, sondern einfach einen Prozessor und ein zugehöriges Gedächtnis.
Zudem scheint mir John Searl mit der Forderung nach echtem Verständnis, echter Intention als Voraussetzung für starke, für echte Intelligenz so etwas wie eine mentale Entsprechung zum élan vital einzuführen – und das ist genauso ein zweifelhaftes Konstrukt.
@Holzherr: Fremdpsychisches, KI und Searl
Also von Nida-Rümelin zu Searl, das ist ja nun wirklich ein Abstieg wie von der Bundes- in die Kreisliga. Bei Searle hatte ich immer schon einen Spaßphilosophenverdacht (ebenso wie bei Dennett). Ich begegnete ihm einmal auf einem Kongress, da hatte ich gerade meine Magisterarbeit über das Leib-Seele-Problem geschrieben, und wollte ihn davon überzeugen, dass er eigentlich Eigenschaftsdualist ist, was er abstritt. Aber Searle saß da und verteilte Autogramme. Tja, typisch amerikanisch: Merchandising, Merchandising, Merchandising.
Und zum Chinese Room: Sie werden wohl nur schwerlich jemanden finden, der mal eine Einführung in die Philosophie des Geistes hatte und dieses “Gedankenexperiment” nicht kennt. Dabei muss man aber wissen, dass man in den 1980ern und 1990ern in der amerikanischen Philosophie mit solchen “Gedankenexperimenten” gut Karriere machen konnte. Überhaupt ist diese Philosophie doch sehr weich, vielleicht mal von Leuten wie Donald Davidson (z.B. Anomalous Monism) oder Hilary Putnam abgesehen.
Aber zu Ihrem Beispiel: Es läuft letztlich doch darauf hinaus, was man als Verstehen ansieht. Woher weiß ich, dass Sie nicht nur ein tippender Roboter sind oder ein schlaues Computerprogramm? Tatsächlich hatte ich diese Vermutung schon einmal über unseren lieben Balanus ins Spiel gebracht; oder dass er ein Alter Ego von Gerhard Roth ist. 😉
Aber Spaß beiseite; jetzt wird es todernst: Mir gegenüber äußert sich Ihr Sprachverhalten. Und wenn ich Sie am Computer sähe, sähe ich auch Ihr körperliches Verhalten. Das könnte man analog zum Chinesischen Zimmer formulieren, dass bei Ihnen “Eingaben” erscheinen (z.B. mein Blogbeitrag), die in einer Black Box (Ihrem Körper/Gehirn) verarbeitet werden und zu “Ausgaben” führen (z.B. Ihr Kommentar). Wieso bitte soll dieses System etwas verstehen von dem, was es liest und schreibt?
Es handelt sich also um eine Variante des Problems des Fremdpsychischen, über das ich hier schon schrieb: Das Problem des Fremdpsychischen: Was wissen wir vom Mitmenschen?
Letztlich läuft es wohl auf diese Schlussfolgerung hinaus: Weil wir in einer Gesellschaft leben, in der die Überzeugung herrscht, Menschen hätten Bewusstseinsvorgänge, Gefühle, Gedanken und sie verstünden dieses und jenes, und weil wir lernen, dass wir selbst diese Vorgänge und dieses Verstehen haben und weil dann der Andere so ähnlich aussieht und sich so ähnlich verhält, übertragen wir die Schlussfolgerungen auf ihn*sie.
So gesehen ist es eigentlich ein Austausch von Vorurteilen. Oder man kann hier ruhig auch von Essenzialismus bzw. Speziesismus reden.
In beiden Richtungen hat man ein Dilemma: Entweder betrachten wir uns gegenseitig als psychische Wesen, um es mal so zu nennen, doch dann haben wir Schwierigkeiten, Systeme, die sich ganz genauso verhalten, die wir aber nicht als psychische Wesen sehen wollen oder können (etwa Roboter oder Chinesische Zimmer), abzugrenzen; oder aber wir räumen ein, dass wir selbst bloß anspruchsvolle Automaten sind und nicht die einzigartigen psychischen Wesen, wie es uns unsere Kultur weismachen will.
@Holzherr: KI und JNR und Was ist der Mensch?!
Ich habe das Interview – interessant: in “Capital: Wirtschaft ist Gesellschaft”, haha – jetzt auch gelesen. Ob die Sache mit Gödel für dieses Medium bzw. dessen Leserschaft ein interessanter Schachzug war, das sei mal dahingestellt. Aber es ist eben das: ein Interview. Und man muss Nida-Rümelin erst einmal anrechnen, dass er sich mit den Originalquellen beschäftigt hat. Es würde mich wundern, wenn das mehr als 1% der Leute getan hätten, die schon den “Turing-Test” in den Mund genommen haben.
Die beiden für mich entscheidenden Aussagen stehen ganz am Anfang und ganz am Ende:
Das erste Zitat wirft die Frage auf, was mentale Eigenschaften eigentlich sind; das zweite die große philosophische Frage danach, was der Mensch ist.
Und das mit dem Menschen ist ja kein neues Problem: Die Gedanken finden sich in der Neuzeit bereits bei Descartes (17. Jh., etwa: “Meditationes” und “Discours de la méthode”), der schon Tiere sezierte aber dem Menschen noch eine Seele gönnte, dann bei dem Arzt La Mettrie (18. Jh., etwa: “L’homme machine”), der das ohne Seele tat und wahrscheinlich balanesische Herzen höher springen lässt, und dann auch bei dem Biologen-Philosophen Thomas Huxley (19. Jh., etwa: “Animal Automatism”), der mich stark beeindruckt hat.
Nida-Rümelin forscht seit Jahrzehnten zum Humanismus, also auch zur Frage, was den Menschen als Menschen, als besonderes Wesen auszeichnet. Ich habe auch eine Antwort auf die Frage, was der Mensch ist, aber keine, die hier jetzt passt.
“Die eine ist diese Mystifizierung von Software, eine Vermenschlichung. Die andere besteht darin, das Maschinenparadigma auf den Menschen anzuwenden. (Julian Nida-Rümelin)”
Volle Zustimmung.
Der Dualismus verschwindet eben nicht, wenn man auf eine Seite verzichtet (z.B. die Seele), nur ist man dann gezwungen, andere Lösungen zu finden (wie o.g. oder z.B. die Epiphänomene), was am Grundproblem nichts ändert, dass die Entscheidung für den Dualismus bereits getroffen wurde, nicht bewußt, es ist die Funktionsweise des Nervensystens.
@Kollus: Welches Problem?
Welches Grundproblem meinen Sie? Die Wechselwirkung zwischen psychischen und physiologischen Vorgängen? Das ist für mich eher ein Problem der Beschreibungsebene.
Vielleicht hilft dieser ältere Blogbeitrag beim Verständnis, was ich damit meine, v.a. gegen Ende dieses Beitrags: Körper ist Geist
@Stephan Schleim: Fremdpsychisches und der Andere als Alien oder Freund
Miteinander Sprechen scheint zuerst einmal die einzige Methode zu sein um einander zu verstehen und einschätzen zu können. Doch das täuscht in mehrfacher Hinsicht wie folgende Exempel zeigen:
1) Frauen die Brieffreundschaften mit Gefängnisinsassen aufnehmen erfahren möglicherweise viel über die Psyche, die “Seele” des Gefängnisinsassen. Was aber wenn sich scheinbar eine Seelenverwandtschaft zwischen Gefangenem und schreibender Frau herausbildet, der Gefangene aber die Frau bei der nächsten Gelegenheit genauso brutal umbringen würde wie er es schon einmal getan hat?
2) Stellen wir uns zwei Schüler in der gleichen Klasse vor die nichts miteinander anfangen könne, sich nicht mögen und nicht miteinander sprechen, wo aber der eine dem Anderen im entscheidenden Moment selbstlos hilft obwohl er es nicht tun müsste.
Mit diesen Beispielen will ich zeigen, dass Sprache 1) nicht wahr sein muss und 2) Der Mensch ein (potenziell) handelndes Wesen ist und Handlungen ihre eigene “Sprache” haben.
Folgerungen für die Einschätzung eines intelligenten Wesen unabhängig davon ob es eine künstliche oder natürliche Intelligenz ist:
Nicht nur was jemand mitteilt zählt, sondern auch wie er handelt und wie er in der Praxis zum anderen steht. Das gilt genauso für eine natürliche wie eine künstliche Intelligenz, ja es gilt sogar für das Verhältnis Mensch und Tier. Ein Tier das sich gegenüber einem Menschen “freundlich” verhält, aber dann trotzdem plötzlich gefährlich wird, das muss vom Halter dieses Tieres ganz anders eingeschätzt werden als eines das sich “freundlich” verhält und jederzeit harmlos ist.
@Stephan Schleim
Wenn innerhalb eines Prozesses bei einer wiederholten Aktivität immer wieder die gleiche sensorische Rückmeldung auftritt und dieser Zusammenhang erlernt wird, dann wird es vielleicht nicht überraschen, wenn dieser Prozess, insofern er in der dazu in der Lage ist, die Äußerung macht, er habe z.B. etwas gespürt. Aus dem Zusammenhang von Aktivität und Rückmeldung werden plötzlich ein Ich und ein Etwas. (Hier entsteht der Dualismus.) Das ist vermutlich mit psychologischer Beschreibungsebene gemeint?
Das kann auf physiologischer Beschreibungsenbene (als Außenstehender) nicht funktionieren.
Nur wieso soll es da eine Wechselwirkung geben?
Für vernünftige Menschen besteht überhaupt kein Zweifel, dass der Mensch die Philosophie braucht, als reflexives Denken über den Menschen selber. Der Mensch ist das komplexeste und komplizierteste Produkt der biologischen Evolution, entstanden aus unzähligen Zufälligkeiten, verbunden mit Redundanzen, Toleranzen, Ungenauigkeiten, Unregelmäßigkeiten, Ineffektivitäten, Ineffizienzen, Fehlerhaftigkeiten, Lückenhaftigkeiten, Unvollständigkeiten, Abhängigkeiten, Leistungsgrenzen, behaftet letztlich mit dem Tod.
Der Mensch ist nur ganzheitlich, als Verbund von Körper und Geist, sowie als Produkt seiner individuellen Geschichte, aber nicht vollständig zu verstehen. Wie sehr die Vernunft beim Menschen Mangelware ist, auch bei vermeintlich intelligenten Menschen, das ist täglich in den Nachrichten zu sehen. Ein “Algorithmus Mensch” (bzw. KI) ist daher immer nur partiell möglich und jeder Algorithmus ist wiederum das Produkt eines anderen Menschen, der damit vorgegebene Absichten verwirklicht.
Hallo Herr Schleim,
Sie haben mir aus dem Herzen geschrieben. Wie kann man einem jungem Menschen erzählen, er solle die Finger von der Philosophie lassen. Der hat weder Verantwortung noch irgendwas vom Leben verstanden.
Es gibt auch, wie Sie richtig sagen, kein Denken außerhalb der Philosophie.
Stattdessen gibt es viel schlechtes und ungenaues philosophisches Denken, nicht nur in der Philosophie selbst, sondern vor allem in den Naturwissenschaften und in der IT-Branche, wo metaphysische Kategorien größtenteils unreflektiert bleiben.
Man denke nur an die Debatten über digitale Technologien, über selbstfahrende Automobile oder andere noch uns noch drohende Automaten, an die mikrobiologischen und Gentechnologien, den Klimakollaps, usw. – wie sollen diese Herausforderungen geistig bewältigt werden ?
Ohne philosophische Reflexion wird diese Entwicklung den Menschen utilitaristisch vereinnahmen, ihm seine Entfaltungsmöglichkeiten und seine Selbstbestimmung rauben.
Und man denke an die Unverantwortlichkeit der Eliten nicht nur in den Entwicklungsländern und anderswo, sondern auch bei uns: Banker, die faule Papiere massenhaft verkaufen, Automanager, der tricksen und täuschen und – wenn ertappt – nicht zu ihren Fehlern stehen. Wo Daten verarbeitet werden, versuchen ganze Branchen ihre Kunden von sich abhängig zu machen, um besser von ihnen zu profitieren (konkret: sie auszunehmen). Ich arbeite seit 40 Jahren in der Wirtschaft, ich weiß wovon ich rede.
Das ist die Folge des Aufstiegs der Naturwissenschaften, in der philosophische Reflexion nicht stattfindet, die aber den Fortschritt der Menschheit für sich reklamieren. Aber Technischer Fortschritt ist immer auch der Fortschritt neuer Probleme, die leider nur philosophisch zu lösen sind, was die Naturwissenschaft nicht erkennt. Sie wäre sonst kooperativ. Und dann kommen einige Protagonisten noch daher und wollen die Philosophie am liebsten abschaffen. Was für einen Schaden richten diese Leute an. Die sehen auch nicht, dass die Naturwissenschaften aus der Philosophie (Metaphysik) hervorgegangen sind, und – der Philosophie gleich – wie alle in spekulativen Gefilden unterwegs sind. Wer als Naturwissenschaftler glaubt, die Philosophie hätte der Physik nichts zu sagen, hat keine Ahnung von Philosophie, und keine Ahnung davon, was den Menschen und die Welt ausmacht.
Wir haben Zugang zur Realität nur über Spekulation, daß muß man als Naturwissenschaftler erst einmal verstehen.
Und wir können unterscheiden zwischen Gut und Böse, zwischen Richtig und Falsch nur durch philosophisches Denken.
Und nur so können wir im sozialen Kontext frei und selbstbestimmt sein, weil wir uns philosophisch – und nicht anders – austauschen – weil wir philosophieren. So einfach ist das. Diesen Austausch respektvoll zu führen, muss man lernen. Wer es denn will.
Man braucht nicht die Weisheit des Alters, um dies zu erkennen, sondern manchmal reicht es, den Philosophen einmal zuzuhören.
Man bleibt sonst beschränkt im Geiste, wie zu sein Herr Degen uns nahelegt. Sie setzen etwas dagegen und das finde ich so was von gut !
Grüsse Fossilium
@Stephan Schleim: Fremdpsychisches, Ich und der/die Andere II
Ein Anderer, den ich zu verstehen meine, wird vielleicht plötzlich unberechenbar und für mich gefährlich. Dabei ist der Andere weder anatomisch noch physiologisch auffällig (er ist biologisch genau so ein Mensch wie ich).
Ein anderer Anderer wird mir immer vertrauter und die Beziehung wird immer besser. Doch es stellt sich heraus, dass der Andere beispielsweise ein Loch im Hirn hat und sein Sprachzentrum an einem anderen Ort liegt als normalerweise.
Zukünftig könnte ein Anderer sich als Roboter herausstellen, obwohl er sich menschlicher verhält als die meisten die ich kenne.
These: Nicht die Bauweise des Anderen zählt, sondern die Interaktion mit dem Anderen. Wenn die Interaktion mit dem Anderen eine menschliche Interaktion ist, muss ich den Anderen als Mensch betrachten.
Das bedeutet auch: Was wir bis jetzt dem Menschen zuschreiben, Dinge wie Bewusstsein, Rationalität oder konzeptionelles Denken ist nicht unbedingt an die uns bekannte Biologie gebunden, sondern diese Dinge sind vorhanden wenn alle stattfindenden und denkbaren Interaktionen mit dem Anderen diesen Anderen als gleichwertigen Menschen ausweisen.
Unsere Kultur hat das teilweise bereits aufgenommen. So halten wir Hautfarben nicht für eine wesentliche Eigenschaft eines Menschen und auch viele andere äusserliche Dinge betrachten wir nicht als essentiell.
Schon die alten Griechen haben sich mit diesem Thema beschäftigt und dazu das Theseus-Gedankenexperiment (Paradox) geschaffen: Das Theseus-Paradox berührt die Frage, ob ein Gegenstand seine Identität verliert, wenn viele oder gar alle seiner Einzelteile nacheinander ausgetauscht werden (wie das beim Schiff des Theseus der Fall war).
Verallgemeinert bedeutet das Theseus-Paradox: Zählt die Materie und Bauweise eines Dinges oder zählt das, was ich mit dem Ding erfahre, wenn ich das Ding benutze (oder mit ihm interagiere).
Behauptung: Unsere Kultur hat sich eigentlich bereits für das zweite entschieden und John Searls “biologischer Naturalismus” (Bewusstsein und Verständnis erfordern eine spezifische biologische Maschinerie und die findet sich im menschl. Hirn) wurde in unserer Kultur bereits längere Zeit überwunden.
@Stephan Schleim // Philosophiephilie
» Jetzt sag bloß nicht, dass deine Besuche hier bei den SciLogs oder gar bei den MENSCHEN-BILDERN zu dieser Meinung etwas beigetragen haben. «
Angeregt durch die gewöhnungsbedürftigen Evolutionsvorstellungen auf Natur des Glaubens habe ich (mit Freude) viele philosophische Aufsätze zur Evolutionstheorie gelesen. Das hat wesentlich dazu beigetragen, in der Philosophie fortan etwas Nützliches zu sehen. Hinzu kamen die Diskussionen hier bei Dir und insbesondere bei und mit Ludwig Trepl.
Aber ich habe nach wie vor Schwierigkeiten mit Philosophen, die meinen, dass es im Wesentlichen der Besitz einer Seele sei, was den Menschen vom Tier unterscheide.
Julian Nida-Rümelin beispielsweise scheint aus irgendwelchen prinzipiellen Gründen davon auszugehen, dass es keine starke KI geben könne. Das halte ich für falsch. Es ist ein rein technisches Problem. Wenn auch eines, das vielleicht nie gelöst werden kann.
Aus dem Beitrag:
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Na ja, es ist ja wohl nicht so, als sei den Philosophen mehrheitlich schon immer klar gewesen, dass das sogenannte „Geistige“ nicht kausal wirksam sein könne. Erst seit sich allgemein die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass philosophische Positionen nur dann ernstgenommen werden, wenn sie den physikalischen Gesetzmäßigkeiten nicht zuwiderlaufen, konnte die Idee der „mentalen Verursachung“ neu, das heißt Biologie-konform, expliziert werden.
Kurz, man wird heute kaum noch eine aktuelle ernstzunehmende philosophische Abhandlung finden, die sich mit naturwissenschaftlichen Befunden nicht vereinbaren ließe—sofern sie überhaupt Bezug auf Gegenständliches (Dinge) nehmen, es gibt ja auch noch jede Menge anderer Themen.
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Tatsächlich, wurden sie das? Ich kenne da nur den sogenannten Materialismusstreit. Der zumindest ist meines Wissens nicht zugunsten der Seelengläubigen ausgegangen. Gegen die naturwissenschaftliche Faktenlage lässt sich nun mal schlecht argumentieren.
@Kollus: Dualismus
Meistens meint man damit ja Leib vs. Seele bzw. Körper vs. Geist. Sie bringen jetzt ein Ich und ein Etwas ins Spiel.
Ich denke auch, dass das Reden von der Wechselwirkung uns vielleicht in die Irre führt, weil es vielleicht nur eine Realität gibt, die wir eben auf unterschiedliche Weise beschreiben.
Und es könnte übrigens sein, dass keine dieser Beschreibungen stimmt, und man erst in einer fernen Zukunft auf die richtige stößt.
@fossilium: Liebe zur Philosophie
Wenn ich als junger Mann so einen Brief bekommen hätte, dann hätte ich erst recht Philosophie studiert. Oder noch eins oben drauf gesetzt und Kunst gewählt. Nein, dafür wäre ich nicht begabt gewesen. Aber Sie verstehen schon.
Ganz herzlichen Dank auch für diese freundliche Rückmeldung.
Der persönliche Hintergrund dieses Artikels ist, dass ich mich von einer Gruppenreise über Neujahr zurückgezogen habe, was mir schon die eine oder andere komische Bemerkung eingebrockt hat (Stichwort: Gruppenzwang).
Aber es ist nicht nur so, dass ich hierfür kein Geld bekomme, sondern für den Nachmittag im Hotelrestaurant auch noch EUR 35 bezahlt habe. Das macht aber alles nichts aus, weil es nämlich in genau dem Moment genau das war, was ich am liebsten tun wollte.
Und wenn nur ein paar Leute zu dem Ergebnis kommen, dass es die Mühe wert war, dann ist das schon Dank genug.
@Holzherr: Verhalten und Identität
Nida-Rümelin würde Ihnen wahrscheinlich den Vorwurf machen, dass Sie “das Verhalten mit der Eigenschaft” identifizieren. Für mich ist gerade nicht nachvollziehbar, worin hier genau der Fehler besteht (ich meine mich Dunkel an die Probleme des logischen Behaviorismus zu erinnern, wie sie einst der ehrwürdige Hilary Putnam diskutierte).
Dass mentale Eigenschaften “multipel realisierbar” sind und das zur Not eine entsprechende Konfiguration von Schweizer Käse beinhaltet, war eine Kröte, die die philosophischen Funktionalisten schon in den 1980ern/1990ern schlucken mussten.
Wie dem auch sei: Ich habe den Gelehrten (Nida-Rümelin, nicht Putnam) hier mal nach einer Literaturempfehlung gefragt und werde bei Gelegenheit Weiteres berichten.
Scharf nachgedacht aber auf jeden Fall! Weiter so. (Und das mit dem Schweizer Käse hat nichts mit Ihrer Herkunft zu tun.)
@Balanus: KI & Seele
Soso, dann hast du dich also beim Kollegen Blume fortgebildet. Das macht mich ja fast schon eifersüchtig.
Ich kann hier Nida-Rümelins Standpunkt nicht verteidigen. Ich bin für humanistische Werte – aber nicht so Humanist wie er.
Soso… Gibt es davon in der Philosophie denn noch so viele? Mir ist bisher genau einer begegnet. Dafür aber Beispielsweise auch ein ehemaliger Direktor eines angesehenen Molekularbiologie-Forschungsinstituts. Oder ein Humangenetiker. Oder oder… Ich halte es, wie bekannt, aber mit dem Agnostiker, wofür ich übrigens von beiden Seiten attackiert werde bzw. wurde, auch von dem genannten Dualisten aus der Philosophie.
@Balanus: Materialismusstreit
Es ging im Artikel um die Willensfreiheitdiskussion und ihre (angeblichen) rechtlichen Implikationen. Jetzt machst du mit der Seele ein anderes Fass auf.
Ich kann es nicht besser formulieren, als der bedeutende Physiologe Josef Hyrtl aus dem 19. Jahrhundert, in meinen eigenen Worten zusammengefasst: Dass die Materialisten seiner Zeit vor allem Aufschneider waren und ihre Argumente kaum Substanz hatten, dafür die Medien aber nach Sensationen heischten. Man sieht, manche Dinge ändern sich gar nicht so schnell.
Danke für diesen (und viele andere) erhellenden und seelenwärmenden Text!
@Stephan Schleim, 4. Januar 2019, 23:35:
Ja, wer von der Ethik eindeutige Handlungsanweisungen erwartet, wird enttäuscht werden. Die Begriffe und Gedankengänge sind dennoch enorm hilfreich, nicht nur, um zum Beispiel (in meiner “praktischen” Tätigkeit) ökonomische Praktiken wie soziale Diskontierung bzw. allgemeiner Kosten-Nutzen-Analysen einordnen zu können, sondern auch, um eigene Entscheidungen und politische Forderungen zu begründen.
Eine Frage beispielsweise, die mich persönlich umtreibt und mit Anstoß war, mich näher mit der akademischen Ethik zu beschäftigen: Wie soll ich in Fällen handeln, in denen mein Handeln eine sehr geringe Wirkung auf sehr viele Menschen hat? Wann ist es zum Beispiel zu rechtfertigen, in ein Flugzeug zu steigen, obwohl dies zur Erderwärmung und anderen Schäden beiträgt, oder Fleisch zu essen? Ich höre oft von anderen die konsequentialistische Antwort: “Ob ich es tue oder nicht, macht doch keinen Unterschied.” Allein, diese Antwort als konsequentialistisch einordnen zu können, hilft (mir) schon mal ungemein. Mein Unbehagen mit der Antwort (schon aus konsequentialistischer Sicht) habe ich dann mal in einem Gedankenexperiment von Glover formuliert gefunden: “It Makes no Difference Whether or Not I Do It” (hier zusammengefasst: https://www.futilitycloset.com/2013/09/10/bean-counting/ ), in Kombination mit den Überlegungen von John Nolt: “How Harmful Are the Average American’s Greenhouse Gas Emissions?” ( https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/21550085.2011.561584 ). Dagegen gibt auch Einwände, etwa von Sinott-Armstrong, die helfen, in konkreten Fällen eine vorläufige Antwort zu finden. Was ich damit sagen will: Auch in philosophischen Fragen wie “Wie soll ich/wie sollen wir handeln?”, kann man sich auf die Schultern von Riesen stellen, vorhandene Überlegungen aufgreifen und vielleicht sogar weiterführen, und muss nicht immer wieder das Rad neu erfinden und dieselben Fehler machen (zum Beispiel inkohärente Überlegungen).
> In der Praxis ist es ja aber so, dass die ethische Frage oft gar nicht so leicht zu beantworten ist. Doch selbst wenn man einmal eine Antwort gefunden hat, dann ist ihre Implementation noch einmal eine ganz andere Frage.
Die Beschäftigung mit der Ethik schärft meiner Ansicht nach sogar das Bewusstsein, dass es endgültige Antworten meist nicht gibt, und eine Implementation der vorläufigen Antworten reversibel sein sollte. Wobei auch das Beibhalten eines Status-Quo aus meiner Sicht ein Handeln, eine Implementation ist.
> Und dafür braucht man dann meiner Meinung nach auch Expertise aus den Rechtswissenschaften, der Organisationssoziologie und so weiter…
… oder, in obigen Beispielen, aus den Wirtschaftswissenschaften, der Klimaforschung oder Epidemologie.
Schönen Sonntag,
Es gab mal eine Zeit in der Philosophie ein Pflichtstudium neben jedem anderen Studium war. Dies wird einen rund gehabt haben. Ich denke es ist äußert sinnvoll sich damit zu beschäftigen wie die Welt funktioniert, daraus lassen sich Erkenntnisse für jedes andere wissenschaftliche Fach ableiten.
Im Übrigen ist der “Fachkräftemangel” ein Geburtenmangel. Die paar Philosophen, die vielleicht etwas anderen studieren könnten, lösen das Problem garantiert nicht. Das Problem wird eher gelöst, wenn man ganz auf ein Studium verzichtet und stattdessen das tut was für die Seele am besten ist und was einem inneren Frieden bringt.
Die Notwendigkeit und der Sinn eines Lehrfaches Philosophie und seines Studiums ergibt sich schon aus der sichtbaren Tatsache, dass hier beständig über Inhalte der Philosophie diskutiert wird, statt über das eigentliche Blogthema, eben den Zweck und Sinn eines Studiums der Philosophie, bzw. der Philosophie als begleitendes Lehrfach zu anderen Wissenschaften. Es zeigt also deutlich ein Bedürfnis nach philosophischen Überlegungen und Erkenntnissen.
@Schleim
Degens “Nützlichkeitsthese” ist ein klares Bekenntnis zur Kapitulation vor dem System des imperialistischen Faschismus.
Bei ihnen Herr Schleim, kann ich immer nur ein schwammiges “Dafürsein” feststellen. Manchmal denke ich: Da hat Schleim schon die richtigen Gedanken gehabt, aber es ist nicht erkennbar was er wirklich will, und er scheint sich wie ein populistischer Intrigant dieser “Weltordnung” gegen eine Konkretisierung zu wehren, vielleicht aber auch nur weil er nicht versteht …
Ich bin übrigens auch gegen ein Philosophiestudium, aber nur weil das Denken dort systemrational gebogen wird.
Ich denke ich sollte meinen ersten Satz umformulieren:
Degens “Nützlichkeitsthese” ist ein rationales Bekenntnis zur herkömmlich-gewohnten Kapitulation vor dem System des imperialistischen Faschismus, eben nicht die reine Vernunft.
@Walther: Konsequenzialismus
Schön, dass Sie für solche Fragestellungen offen – beinahe hätte ich geschrieben: sensibel – sind.
Ich bin seit meinem 16. Lebensjahr die meiste Zeit Vegetarier gewesen, zwischendurch habe ich es auch mal als Veganer versucht. Eine der größten Enttäuschungen war übrigens, dass die hier im Text positiv erwähnten Freunde aus der Fachschaft Philosophie dafür wenig bis kein Verständnis hatten. Das waren aber auch noch andere Zeiten.
Aber damit will ich nicht angeben, sondern nur deutlich machen, dass ich mich seit Längerem mit dem Thema beschäftige und freilich auch schon so manche Diskussion hatte. Vor über zehn Jahren gab es hier beispielsweise schon einmal diesen Artikel: Darf man seinen Hund essen?
Ich verstehe jedenfalls nicht, wie man behaupten kann, das (Konsum-)Verhalten habe keine Konsequenzen. Der durchschnittliche Deutsche konsumiert im Jahr netto 60kg bzw. brutto 88kg Fleisch (laut Wikipedia). Das heißt, dass man durch Fleischverzicht nach nur rund elf Jahren bereits 1.000kg bzw. eine Tonne Fleisch weniger konsumiert hat (brutto; netto dauert es rund 17 Jahre; das ist aber auch noch eine Zeitspanne, die Menschen miterleben).
Ich habe jedenfalls erfahren, wie in den letzten zwanzig Jahren immer mehr vegetarische/vegane Produkte vom Reformhaus in die Bioläden und schließlich in die Mainstream-Supermärkte gekommen sind. Inzwischen stellen sogar schon große traditionelle Fleischbetriebe entsprechenden Fleischersatz her. Das passiert freilich aus dem Grund, weil es die Nachfrage gibt, also weil es Menschen gibt, die sich dafür entscheiden, lieber etwas Anderes als Rind, Schwein, Huhn usw. zu essen. Das werte ich auch als Erfolg für die Ethik.
Bloß weil man Konsequenzen nicht sieht, heißt es nicht, dass sie nicht da sind.
Es stimmt zwar, was Sie schreiben, dass unterschiedliche Moraltheorien zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Das betrifft aber häufig Spezialfälle, wie etwa das Trolley-Dilemma oder den berühmten Fall mit den Nazis, die an der Tür klingeln und fragen, ob man Juden versteckt.* Darüber schreiben Philosophen ganze Bücher, das sind aber meist nicht die für die Praxis relevanten Fälle.
Wie dem auch sei: Etwas Ethik in Politik und Wirtschaft würde meines Erachtens schon einen großen Unterschied machen; so wie es bereits einen großen Unterschied machen würde, wenn nicht alle sofort Vegetarier würden, sondern einfach mal etwas weniger Fleisch äßen.
*Gewissermaßen schon ein Vorgriff auf den nächsten Artikel: In der indischen Philosophie gibt es das traditionelle Beispiel, dass man einen Metzger sieht, der sozusagen mit schwingendem Messer hinter einer Kuh herläuft (Kühe sind im Hinduismus heilig und dürfen nicht geschlachtet werden). Nun sieht man, in welche Richtung die Kuh rennt, der Metzger nicht. Der fragt einen dann: “Weißt du, wohin die Kuh gelaufen ist?” Darf oder muss man sogar jetzt lügen, wenn man weiß, dass der Metzger das heilige Tier töten wird?
“… täuschende Intelligenz … höherer Ordnung …”
Ja, die allgemein-konfusionierende Bewusstseinsbetäubung funktioniert / spaltet, im Sinne der gepflegten / zeitgeistlich-kreislaufenden Bewusstseinsschwäche in Angst, Gewalt und “Individualbewusstsein”, von unten nach oben mal mehr mal weniger, zwischendurch gibt es dabei “Krisen und Skandale”, wofür die “Ordnung” in Schuld- und Sündenbocksuche diese systemrational bestärkt.
Menschenwürdige Philosophie / geistig-heilendes Selbst- und Massenbewusstsein ist wahrhaftig notwendig. 😎
@Reutlinger: Ich würde sagen, dass wir hier durch die philosophische Diskussion gerade den Sinn und Nutzen eines Philosophiestudiums exemplifizieren.
@hto: Populismus und so
Erstens ist “Populismus” in Sinne von Volksnähe für mich keine Beleidigung, sondern ein Muss. Wenn ich für Fachkollegen schreiben wollte, könnte ich das ja in Fachzeitschriften tun. Und das tue ich regelmäßig auch noch. Das hier ist aber ein Blog für alle und keinen.
Man sollte sich eher mal fragen, wie es sein kann, dass die herrschende Politik und die Medien Volksnähe als Manko stigmatisieren. Der*die Wähler*in wählt sich also sein*e Repräsentant*in – und der*die Abgeordnete darf dann dem*der Wähler*in nicht mehr nahe stehen?! Wem dann? Vielleicht den Lobbyisten? Was für eine verquere Welt!
Und bei der Frage, wie konkret ich werde, da verlasse ich mich, mit Verlaub, nicht unbedingt auf Sie.
Aber hto versteht natürlich alles.
Wissen Sie, Sie sind mir hier mit Ihren vielen, meist unerwiderten Kommentaren zwar kein Dorn im Auge. Aber mein Vergleich des Webbären mit den zwei Kerlen in der Loge von der Muppets Show hätte vielleicht doch besser auf Sie zugetroffen.
Die Frage, wen bzw. was man im Leben erreichen will, die muss natürlich jeder für sich selbst beantworten. Nachdem Sie so persönlich an mich herangetreten sind, habe ich Ihnen auch einmal diese Anregung gegeben, wenn auch etwas verblümt.
@Stephan Schleim // Philosophiephilie II
» Soso, dann hast du dich also beim Kollegen Blume fortgebildet. «
Das kann man so nicht sagen, das erweckt einen völlig falschen Eindruck (selbst wenn‘s bloß ironisch gemeint ist). Ich war seinerzeit bestrebt, Deinen Kollegen Blume auf den rechten Pfad der wissenschaftlichen Tugend zurückzuführen—was mir aber wohl nicht gelungen ist (er wähnt[e] sich bereits dort).
Du hast Recht, es gibt kaum noch Philosophen, die die Existenz einer immateriellen Menschenseele behaupten. Das halte ich für einen großen Fortschritt. Und Du hast auch damit Recht, dass es auch im Fach Biologie Leute gibt, für die der Mensch eine (biologische) Sonderstellung im Tierreich einnimmt, die ihn für das alles überrragende Ergebnis der evolutionären Entwicklung (!) halten. Mal soll er besonders viele Gene haben (im Unterschied zum Tier), mal, als sich das nicht bewahrheitet hat, besonders viele verschiedene Proteine (auch das dürfte nicht der Fall sein). So ist sie eben, die „Krone der Schöpfung“ … 😉
Im Übrigen finde ich eine agnostische Haltung gegenüber unbelegten Existenzbehauptungen („Seele“) schon ein bisschen merkwürdig für einen gelernten Philosophen. Da erwarte ich mir mehr aus dieser Richtung.
@Stephan Schleim // Materialismusstreit
»Ich kann es nicht besser formulieren, als der bedeutende Physiologe Josef Hyrtl aus dem 19. Jahrhundert, …«
Argumentum ad auctoritatem? Oder doch eher ad verecundiam?
Für letzteres scheint mir zu sprechen, dass Josef Hyrtls Ansicht (als kundiger Laie) nicht von der überwältigenden Mehrheit der gelernten Philosophen geteilt wird. Die antimaterialistische Weltanschauung Hyrtls ist halt auch bloß eine Meinung unter vielen.
@Schleim
Also Populismus im Sinne des “Individualbewusstseins”, naja, aber “Volksnähe” – das erscheint mir hier ein bisschen sehr … sagen wir mal überheblich.
Philosophische und revolutionäre Grüsse ✊
@Schleim, 4. januar, 23:17:
Entschuldigen Sie, dass ich so spät antworte, aber ich hatte gerade die Bücher nicht zur Hand, die ich für eine einigermassen fundierte Antwort benötigte. Nun also:
Zunächst einmal bezweifele ich stark, dass man mit dem Instrumentarium der Naturwissenschaften dem Problem der Willensfreiheit zu Leibe rücken kann, so unverstanden, wie die Hirnfunktionen z.Zt. noch sind. Allerdings bin ich hier wirklich kein Experte (noch nicht einmal ein kenntnisreicher Laie) und möchte meinen Standpunkt lieber an einem konkreten Beispiel aufzeigen. In den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts entbrannte ein Streit zwischen der damals neuen Quantenmechanik und Vertretern der kantischen Philosophie. Der entzündete sich an folgendem Satz in Kants Kritik der reinen Vernunft:
Für Kant war das eine Erkenntnis a priori, die eine Grundlage all unserer Erkenntnisee über die Welt war. Eben diese Erkenntnis war aber im Lichte der Gesetzmässigkeiten der Quantenmechanik nicht mehr haltbar. Anstatt nun Kant einfach über Bord zu werfen, verschwendeten zahlreiche Physiker ihre Zeit mit der Suche nach verborgenen Variablen, die Kants Kausalitätsprinzip retten würden -Variablen, die es nicht gab, wie die Physiker, die nicht von des philosophischen Gedankens Blässe angekränkelt waren, bereits damals wussten.
Zu Ihrem Beispiel: wenn tatsächlich ein Philosoph auf der Grundlage seiner Begrifflichkeiten nachweist, dass unser Naturwissenschaftler eine unsinnige Aussage getätigt hat, dann kann das auch nur an seinen Begrifflichkeiten liegen. Ich übergebe das Wort Werner Heisenberg:
Aus: Werner Heisenberg, Physik und Philosophie (Hervorhebung von mir).
Zu dem Beispiel aus Ihrem Gebiet: dass man psychische Störungen nicht auf Gehirnstörungen reduzieren kann, erscheint mir (erneut: bin hier nur Laie) als völlig selbstverständlich, und ich glaube auch nicht, dass die Naturwissenschaft hier entgültige Antworten liefern kann.
Basis der Naturwissenschaft ist der Reduktionismus, und der muss bei so komplexen Vorgängen wie dem Zusammenwirken von Gehirnvorgängen und Umwelteinflüssen eigentlich versagen. Er funktioniert wunderbar in den klassischen Naturwissenschaften: die Vorgänge in einer Zelle kann man vollständig mit unserer Kenntnis der chemischen Reaktionskinetik beschreiben, und die wiederum ist nicht viel mehr als die Physik des Elektrons. Dass Biologen und Chemiker immer noch mit ihren hergebrachten Begrifflichkeiten arbeiten anstatt alles in Schrödingergleichungen zu formulieren, hat rein pragmatische Gründe.
Bei so hochkomplexen Problemen wie psychischen Störungen geht das nicht mehr, hier können die Naturwissenschaften nur Hilfestellung geben, die Antworten müssen die Psychiater schon selbst liefern.
Ja, die Sache mit Vernunftbegabung und Vernunft ist schon reichlich umgegraben / umgestaltet worden. 😎
@Balanus: Hyrtl
Josef Hyrtl war, wie mancher Naturforscher vor und nach ihm, gläubiger Katholik. Hat Christoph Koch nicht auch mal sowas gesagt, Katholizismus, nur dann ohne “Seele”? Wie dem auch sei…
Nein, es war kein Autoritätsargument. Nur eine historische Evidenz dafür, dass Wissenschaftler auch in der Vergangenheit das platte Gelaber vieler Materialisten als solches erkannt und entlarvt haben.
Und inhaltlich hatten wir das ja schon, siehe etwa den dir wohlbekannten Klassiker: Warum der Neurodeterminist irrt
Das ist jetzt schon über sechs Jahre her. Wie die Zeit fliegt…
@hto: Volksnähe…
…damit meinte ich hier nichts Anderes als das, dass man so schreibt, dass einen die Mehrheit der Menschen noch versteht.
Dazu habe ich keine empirische Erhebung, doch wenn ich mich hier so umschaue, dann scheint es mir, als hätte die Mehrheit hier weder Philosophie noch Psychologie noch Hirnforschung studiert.
Es ist eben kein Fachgespräch im Elfenbeinturm. So war MENSCHEN-BILDER auch nie gedacht.
Die Praxis und das Bedürfnis philosophischer Überlegungen, Studien und Diskussionen begründet das Lehrfach und das Studium der Philosophie. Es sagt aber noch nichts über den Zweck und Sinn eines solchen Lehrfaches. Dieses ergibt sich erst aus der Nützlichkeit (im weitesten Sinne) für die Menschen, für die Kultur und für die Wissenschaften. Gespräche und Literatur über Harry Potter würden kein Lehrfach dafür rechtfertigen.
@fuscus: Kant, Kausalität usw.
Danke für den interessanten Kommentar und dass Sie sich die Mühe gemacht haben, die Bücher herauszuholen. Insgesamt halte ich diese hier übrigens bisher für eine der besten Diskussionen im Blog. Danke an alle für die Beteiligung daran!
Ich verstehe Kant hier eher psychologisch: Wir setzen das eben so voraus. Mit anderen Worten: Wir nehmen es an. Unsere Annahmen können stimmen oder auch nicht stimmen. Aus Ihrer Schilderung der Lage unter den Physikern in den 1930er Jahren, die mir nicht bekannt war, schließe ich jedoch, dass diese Annahme von manchen als Dogma verstanden wurde.
Es würde mich wundern, wenn es in der Philosophie von Ost oder West nicht auch andere Positionen gegeben hätte, die nicht von einer vollständigen kausalen Determination der Welt ausgegangen sind. Aber selbst nach bald 100 Jahren Quantenmechanik denken wir – also psychologisch – doch wahrscheinlich immer noch, dass jedes Ereignis auch eine Ursache hat.
Bei Willensfreiheit und psychischen Störungen sind wir einer Meinung, zum Teil aus unterschiedlichen Gründen. Aber das ist auch schön.
Schließlich ist das Heisenberg-Zitat sehr interessant. Das Buch setze ich auf meine Leseliste (die jedoch immer nur wächst, niemals kürzer wird).
Ihre These über die Reduktion von Biologie und Chemie halte ich aber für gewagt. Eine ernsthafte Diskussion führt jetzt hier aber zu weit. Nur spontan kommt mir der Gedanke: Es gibt doch chemische Reaktionen, die man als unumkehrbar ansieht. Lässt sich so etwas in physikalischen Gleichungen ausdrücken? Meines Wissens nicht.
Der Begriff der “Volksnähe” ist so gefährlich wie der Ausdruck “wir sind das Volk”. Wer ist dieses Volk, wer gehört dazu und wer nicht? Jede beliebige Gruppe kann sich anmaßen, im Namen des Volkes zu reden oder zu agieren.
Das erinnert sehr stark an die “Volksgesundheit” und den “Volkswillen” vor einigen Jahrzehnten! Wir sollten sehr skeptisch sein bei solchen Begriffen. Ich würde hier “Bürgernähe” entschieden vorziehen, was bei Politikern eigentlich selbstverständlich sein sollte. Es ist aber keineswegs die Pflicht der Politiker, den Willen des Volkes zu erfüllen!
@Materialismus
Erstmal will ich dem Zustimmen, das die Eignung zum produktiven Arbeitnehmer wirklich nicht alles ist, worauf es im Leben ankommt. Eine zu starke Spezialisierung vergewaltigt die Fähigkeiten von Menschen, macht den Menschen lebensuntauglich und ist für die Gesellschaft insgesamt gefährlich.
Ein paar Semester Philosophie wird den meisten Studierenden wohl zugute kommen. Aber ich finde, man muss nicht unbedingt die Koryphäen der Philosophie lesen. Sich überhaupt mit den Grundfragen der Philosophie zu beschäftigen, finde ich schon ganz gut. Sich mit dem Ganzen der Kultur auseinander zu setzen, ist hilfreich.
Dazu ist es auch förderlich, dass man nicht seine ganze Leistung in Arbeit und Gelderwerb steckt, sondern sich überhaupt mit großem Interesse den Erkenntnissen über den Kosmos und den Menschen beschäftigt. Und dann wird auch die Frage bearbeitet, was das Individuum mit dem Kosmos und den dazu gehörigen Mitmenschen zu tun hat, oder auch nicht.
Lebenserfahrung auf diesem Gebiet kann genauso maßgeblich sein wie akademisch etablierte Theorien, die auch wichtig sind, aber eben gar nicht alles sind, das zählt. „Nur die Realität funktioniert“, ist ein Prinzip, das im Maschinenbau selbstverständlich ist. Am anderen Ende im Spektrum der Wissenschaften, in der Psychologie, nicht mehr. Dort funktioniert auch regelmäßig die Illusion, in dem Sinne dass auch realitätsferne Psychotherapienverfahren zahlende Kunden finden. Und in den Wirtschaftswissenschaften funktionieren auch hochgehaltene Ideologien, in dem Sinne, dass die Politik sie so umsetzt, das das Kapital eben gut Profit macht, auch wenn Mensch und Umwelt dabei draufgehen.
Der reine Materialismus, der die Physik beherrscht, ist meiner Ansicht nicht die Realität, in der wir als Menschen leben. Die Physik sucht seit Newton nach den mathematisch beschreibbaren Regelmäßigkeiten in der Wirklichkeit. Das ist genau das, was man zum Maschinenbauen braucht. Man kann Maschinen nur aus den regelmäßigen Effekten der Wirklichkeit zusammenschrauben.
Schon in der Biologie stimmt das oft nicht mehr, aber vor allem wenn es um uns selbst und um unser Innenleben geht, hört hier die reine Mechanik auf und es kommen spirituelle und auch magische Effekte dazu. Das sagt mir meine konkrete Erfahrung mit mir und meinem Leben, und viele andere Menschen erfahren das Leben auch in Dimensionen, die jenseits reiner regelhaften Materialmechanik liegen. Psychiater, Hirnforscher und sogar Religionswisssenschaftler sehen hier eher eben Halluzinationen, die dann entsprechend dem eigenen Geschäft als krankhaft in der Psychiatrie, als illusorisch in der Hirnforschung oder als evolutionär bedingt in den Religionswissenschaften wegerklärt werden.
Zum Glück haben wir es nur mit Menschen zu tun, die eben vom Leben nur die Hälfte mitbekommen, ein Problem mit der Realität hat die Spiritualität selbst ja nicht. Neben den rein mechanischen Effekten hat die Welt halt viel mit Geist, Seele und ihren Auswirkungen zu tun. Je weniger man sich im Leben spezialisiert, und je mehr man sich breiter aufstellt und aufmerksam nach der Wirklichkeit sucht, desto eher macht man auch seine Erfahrungen mit den Geisteswelten, in denen wir uns eben auch befinden.
Dennoch finde ich Wissenschaft sehr interessant und weiterführend. Bei der Suche nach den rein regelmäßigen Effekten wird man zwangsläufig im Laufe der Zeit auch an eben deren Grenzen geraten und so auch die Grundlagen der erlebbaren Spiritualität erforschen können.
So gibt es ein Riesenprojekt in der Hirnforschung, das man Gehirne so genau in Scheiben schneidet und unterm Mikroskop so komplett registriert, dass man ein Computermodell von allen Synapsen und Nervenzellen des gesamten untersuchten Gehirns erzeugen kann. Ich schätze mal, das man spätestens, wenn man bei Mäusen angekommen ist, dass man da in die Bereiche der Wirklichkeit gerät, die ohne Spiritualität nicht mehr funktionieren können.
Ich stell mir so ein Mausgehirnmodell im Computer als ein recht chaotisches System vor, dass von umfangreichen Zufallsprozessen mitbestimmt wird. Wenn ich dieses System dann mit Zufallszahlen, die aus der Quantenphysik stammen, z.B. aus dem Hintergrundrauschen eines elektrischen Widerstandes, füttere, wird das ganze Ding erst richtig wach werden und zu leben beginnen. Wenn ich nur mathematisch erzeugte Pseudozufallszahĺen verwende, wird die simulierte Mäuseseele eben keine werden können, sonder nur eine Art Dämmerzustand erreichen können.
Eben weil persönliches Bewusstsein ohne beteiligtes kosmisches Bewusstsein nicht existieren kann. Aber warten wir ab, das wird sich zeigen. Wenn wir die Grenzen der Mechanik erreicht haben, dann geht’s mit dem Leben im Kosmos weiter. Persönlich erfahrbar ist das seit Jahrmillionen, wissenschaftlich greifbar zur Zeit noch nicht. Aber in die Richtung forschen lohnt sich schon jetzt.
@Jeckenburger
Das Problem, wie es mir hier mal wieder “verblümt” deutlich gemacht wurde, ist das wettbewerbsbedingte Erfolgsdenken / das “gesunde” Konkurrenzdenken, welches grundsätzlich dem Geschäfts-Sinn und seiner Symptomatik / “Philosophie” in “Wer soll das bezahlen?” und “Arbeit macht frei” untergeordnet ist – so sind Koryphäen der Philosophie wie der sprichwörtliche Umgang mit dem Propheten aus dem eigenen Land, wenig lohnenswert, wenn ihr Verständnis von menschlicher Wahrheit wenig bis schlecht …!? 😎
@Jeckenburger: Chapeau!
Wenn das hier nicht schon in der Kommentarzeile stünde, hätte ich Ihnen dafür vielleicht auch einen Gastkommentar angeboten. Nur bei den spirituellen Implikationen, da bin ich zurückhaltend; aber ich lasse das mal so stehen.
Was die Simulation eines Gehirns angeht, da sollten Sie das Human Brain Project im Auge halten – wobei ich das ja eher noch für eine PR-Masche halte.
@reutlinger: Volks- vs. Bürgernähe
Nun gut, das würde ich jetzt anders formulieren.
Ich lebe seit bald neun Jahren in einem Land, in dem das entsprechende Ministerium tatsächlich noch “Ministerium für Volksgesundheit” heißt; und ich arbeite an einer “Reichsuniversität”.
Das war/ist aber eben kein Volk und kein Reich, das die Welt im 20. Jahrhundert zweimal mit einem Krieg überzogen hat.
Danke für Ihren Verbesserungsvorschlag.
Koryphäen sind meist tot und können sich nicht mehr wehren, bzw. können ihre Texte nicht mehr entsprechend anpassen!
Philosophie kann Physiker und Naturwissenschaftlern wohl wirklich wenig helfen, denn Denken allein kann uns die Natur nicht erklären. Ja die Philosophie kann Physikern nicht einmal die “richtige” Begrifflichkeit verschaffen, denn Begriffe wie etwa “Energie” erhalten in der Physik erst im Zusammenhang mit Experimenten, Gleichungen, Hypothesen und Theorien ihre Bedeutung und keine dieser Experimente und Theorien kann allein in einer philosophischen Studierstube entstehen.
Die Stärke der Philosophie sehe ich im Wissen über das Wissen und Denken vergangener, gegenwärtiger und zukünftiger Zeiten, denn viele philosophische Denkfiguren tauchen immer und immer wieder auf, nur jeweils in anderen, vom jeweiligen Zeitgeist geformten Einfärbungen. Wer sich mit verschiedenen philosophischen Schulen beschäftigt hat, der hat sich deshalb auch mit verschiedenen Gesellschaften, verschiedenen Denkschulen und wiederkehrenden Denkfiguren beschäftigt. Damit eröffnet sich dem philosophisch Geschulten ein einzigartiger Blick auf wiederkehrende gesellschaftlich/menschliche Fragen prinzipieller Qualität und die jeweiligen Lösungen, die in einer bestimmten Zeit von den damaligen Koryphäen gefunden wurden.
Ausgebildete Philosophen sind damit Spezialisten für eine Art Metaebene, einer Ebene in der (Zitat Wikipedia) Diskurse, Strukturen oder Sprachen als Objekte behandelt werden, wobei die Strukturen der Philosophie von den wiederkehrenden Denkfiguren, den als existenziell eingestuften Fragen an das Leben, die (richtigen) Gesellschaftsformen, an das Sein und das Werden, geprägt sind.
Eine praktische Anwendung von Philosophie könnte ich gerade wegen der Vertrautheit des Philosophen mit der Metaebene darin sehen, dass er Laien eine Art philosophische, eine Meta-Sicht auf die Welt anbietet, vielleicht in der Form einer philosophischen Praxis beispielsweise als philosophische Cafés oder als Lebensschule so wie Alain de Botton eine betreibt. Alain de Botton hat dazu The School of Life und Living Architecture gegründet und einige Bücher geschrieben, die sich in diesem Umfeld bewegen.
@Human Brain Projekt
Ich habe jetzt nicht die Englischkenntnisse, dass es Spaß macht, da mal zu Stöbern.
Aber für die Untersuchung von Bewusstseinseffekten habe ich ja auch eher Mäuse als Menschen anvisiert. Ich bin jetzt 55 und hoffe hier noch Fortschritte zu erleben. Das Mäusegehirn ist ja ein paar tausendmal kleiner als das menschliche Gehirn, zumindest was die Quantität der Aufgabe angeht.
Ich kann mir schon vorstellen, dass hier auch qualitativ Herausforderungen auf die Hirnforscher zukommen, die möglicherweise noch Jahrhunderte der Forschung nötig machen. Der Bau der Nervenzellen selber ist komplex, nicht nur das Geflecht der Verbindungen, und auch die Glia-Zellen sollen sich am Geschehen beteiligen. Und ein einmal gescanntes Mäusehirn ist ja nur ein Ist-Zustand, weil sich das Gehirn beim Lernen stets weiterentwickelt und ständig neue Verbindungen knüpft. Das kann man mit kleinschneiden und Scannen ja nicht weiter beobachten, wie sich das über die Zeit entwickelt.
Das betrifft aber wohl nicht die Bewusstseinseffekte, die laufen ja wohl momentan auf dem Status-Quo eines einmal gescannten Gehirns. Und wenn die Mäuse noch zu groß oder so schwierig sind, kann mans ja auch bei Insekten mal probieren. Bei Mücken bin ich mir nicht sicher, ob die was Bewusstseinsähnliches haben, die kommen mir eher als Automaten vor. Bei Bienen oder Hornissen aber wohl sehr wahrscheinlich, die kommen mir durchaus gefühlsmäßig wie Lebensgenossen vor, die ihre eigene Innere Realität haben.
@Tobias Jecklenburger (Human Brain Projekt): Ein Forscherkollege von Henry Markam (dem Initiator des HBP), meinte zur Idee Markams, das Hirn zu simulieren indem man es bis auf zelluläre, ja molekulare Ebene virtuell nachbaue, das sei vergleichbar damit, ein in hunderte von Teilchen zerlegtes Auto Stück für Stück zusammenzubauen nur um zu erfahren wie ein Auto funktioniere. Der Forscherkollege hielt also nichts davon und er ist nicht allein. Sehr viele andere Forscher denken genauso und glauben nicht daran, dass man durch Simulation von Unverstandenem zu Verständnis kommt.
Wenn die Philosophie als unnütz gilt, sagt das vor allem etwas über den entsprechenden Autor und dessen Werte aus, zu deren Verwirklichung etwas nützlich ist.
Um einigermaßen zuverlässig gut zu handeln und schon die moralischen Fallstricke in einem durchschnittlich langweiligen Leben zu meistern, braucht es entweder Riesenglück oder ethische Bildung. Die kommt aber nicht ohne Philosophie als ernsthafte Betätigung wenigstens einiger Leute innerhalb der Gesellschaft. Wie viele Philosophen braucht es für einen Aristoteles? Wie viele für eine Sprache und Kultur, die es erlauben, bestimmte Lebensfragen überhaupt zu stellen?
Und dass die übrigen Wissenschaften wesentlich zum Verstehen des Menschen und der Welt beitragen, bestreitet auch niemand. Dass sich in der Geschichte gerade der Physik viele Wissenschaftler auch mittels Philosophie ihren Themen gewidmet haben, um herauszufinden, was sie da eigentlich als Physiker herausgefunden haben, zeigt doch recht konkret die Lücke, die die Philosophie auch in diesem Bereich hinterlassen würde: einfach die entsprechenden Texte lesen.
Und dann ist es sicherlich auch nützlich, die ganzen psychologistischen, physikalischen usw. philosophische Theorien, die einige Leute auch heute noch pflegen, als solche zu erkennen: tatsächlich als philosophische Theorien, die gerade nicht durch die Methode derjenigen Wissenschaft gestützt werden, unter deren Dach sie gestellt werden. Und denen also auch philosophisch zu antworten ist.
@Fabio // 6. Januar 2019 @ 19:02
»Dass sich in der Geschichte gerade der Physik viele Wissenschaftler auch mittels Philosophie ihren Themen gewidmet haben, um herauszufinden, was sie da eigentlich als Physiker herausgefunden haben, …«
In bestimmten Bereichen der Physik kommt man irgendwann an die Grenze des Messbaren. Und wo nichts (mehr) gemessen werden kann, gibt es Raum für (philosophische) Spekulationen. Ich denke, das sollte man von der Philosophie gerade eben nicht erwarten, dass sie einem erklärt, was in den Naturwissenschaften herausgefunden wurde. Und schon gar nicht, was jenseits des Messbaren liegen könnte.
@Schleim
“Das Handeln der Täuscher war keine utilitaristische Tat, sondern eine rein egoistische.”
Hallo, wie kann das egoistisch gewesen sein, wenn wie inzwischen und garnicht verwunderlich bekannt ist das auch die anderen den “freiheitlichen” Wettbewerb so verstanden / verinnerlicht haben???
Welche Philosophie, wenn nicht die der Verstaatlichung?!
Schön, das sie es am Ende ihres Beitrages noch erwähnt haben: Compliance.
Und das betrifft auch die inzwischen schon mehrfach in den Massenmedien erwähnten “whistle blower”.
Denn eines scheint noch schlimmer, als die Lüge:
Verrat.
Und da können die Menschen noch so viel drum herum reden: Genau das ist in den vergangenen drei Jahrzehnten (oder immer schon?) ja geschehen: Man hat die Devianz (und mithin Verrat) konsequent, aber ziemlich unsichtbar, psychologisch subtil über die Massenmedien aller Art als die Ursünde allen Handelns etabliert, um damit bei Bedarf die “Verräter” ebenso unsichtbar an den massenmedialen Pranger zu stellen.
Wir wissen heute noch nicht, wer die Software bei VW geschrieben/entwickelt hat, die zu dieser mutmaßlichen “Abschaltfunktion” befähigte.
Was meinen sie, wer aufgrund des globalen Furors wegen der mutmaßlichen Betrugsszenerie zur “Rechenschaft” gezogen wird?
Mit Sicherheit nicht jener, der die Software entwickelte.
Sondern all jene, die aufgrund ihrer geistigen Dominanz in der Region wegen ihrer geistigen Dominanz Verantwortung tragen, weil sie der Geist sind, der diese Lügen und Betrüge “mitgetratgen” hat.
Wollte man nun diese Geister aber gar nicht haben, dann macht es Sinn, eine solche massenmediale Foruore und Betrugsszenerie zu etablieren, damit diejenigen Menschen, die im Geist dominant sind, und damit “deutungsfähig” im Sinne theologischer Perspektive (aka auch geistig als Vordenker” und Ursprung des Geistes zu beschreiben – denn Einer muß ja den Geist hervorbringen/in die Welt bringen – und wenn es auch nur temporär ist – dem wir alle ausgeliefert sind), damit diese dann durch den globalen massenmedialen Pranger eben aufgrund der BElastung wegen des daraufhin temporär ausgerichteten Weltgeistes aus ihrer Position demontiert werden. Theologisch muß man das dann “kreuzigung” nennen, was neurologisch Zersetzung/Zerstörung von Nervenzellen bedeutet. Quantengehirn eben. Wir haben all eine Auswahl an Nervenzellen im Gehirn – nicht alle gleich, aber viele Gleiche. Die “Reduktion” der Gehirne als praktische “Kultivierung” des Menschen (oder auch: des Monsters…des Golems).
Die allermeisten Menschen gehen diesen Weg der degeneration (in dieser modernen neuen Welt) wenn sie altern. Denn nicht umsonst gibt es diese “neurodegenerativen Krankheiten” als moderne Zivilisationskrankheiten.
Die Aussage, es gäbe diese neurodegenerativen Krankheiten, weil wir immer älter werden, ist im Sinne des Abgasschwindelskandals auch nur eine halbe Wahrheit – oder die Wahrheit in falscher Reihenfolge.
Denn wir werden nur älter, weil wir unsere Gehirne fourciert degenerieren.
Die Schlußfolgerung aus dieser seltsamen Philosophie ist:
Das die Empörung über den Skandal scheinheilig ist, weil es ihnen vorher vollkommen egal war, was ist. Die Empörung selbst als Reaktion auf die Veröffentlichung dieses angeblichen Missstandes besteht weniger in der tatsächlichen Problematik der “Umweltverschmutzung”, als vielmehr darin, dass die Menschen “Enttäuscht” wurden. Niemanden ist ursprünglich wichtig gewesen, dass die Autos wirklich so wenig Schadstoffe ausstoßen, weil alle gegenwärtig voll im Leben stehenden Menschen noch in Erinnerung haben, wie das in den 80´gern mit dem Smog war. Etwa so, wie man heute aus China manchmal berichtet. Alle halten die heutige Situation als Verbesserung.
Das diese “Verbesserung” nun aber anscheinend gar nicht so erfüllend stattfand, das ist ein verbrechen am Glauben der Menschen. Und das ist die Waffe gegen Gott (aka gegen den amtierenden Geist), weil sich das die Menschen so nicht gefallen klassen. Sie reagieren nicht auf die eigendliche Straftat, sondern auf den Tatbestand, dass sie angeblich getäuscht wurden.
In der Wirklichkeit hat wahrscheinlich nie ein Dieselskandal bestanden! Er wurde inszeniert, weil man damit unterr Zuhilfenahme der globalen Öffentlichkeit dem amtierenden Gott schaden wollte. Weil man “Gott” aus der Welt haben will.
Auch angesichts, das ein Großteil der Menschen opportunistisch ist, hat die moderne Welt eben auch Waffen gegen den falschen Geist (aka “Gott”), den sie sich formt, wie sie es will. Oder ihn demontiert. Und das in jeder Generation auf Neue, denn er wächst ja in jeder Generation mit den Nachkommen (Kinder) aufs Neue heran.
Wie formulierte doch Karl Marx einstmals: “Die Philosophen haben die Welt nur interpretiert.Es kommt darauf an, sie zu verändern.”
In dem Sinne haben die Gelbwesten wohl auch eine Philosophie.
Hallo Herr Holzherr,
“Philosophie kann Physiker und Naturwissenschaftlern wohl wirklich wenig helfen, denn Denken allein kann uns die Natur nicht erklären. Ja die Philosophie kann Physikern nicht einmal die “richtige” Begrifflichkeit verschaffen, …..”
Was Sie da schreiben sind Floskeln.
Die Energie eines Objektes ist ein Maß für die Fähigkeit zu einer Wirkung, dieser Begriff ist längst abgehakt. Nehmen Sie besser mal den Feldbegriff. Was ist ein Magnetfeld ? Was ist eine elektromagnetische Welle, was ist eine Wellenfunktion ?
Was sind das für Begrifflichkeiten ?
Das sind mathematische Konstruktionen, nichts weiter. Aber die Physik behauptet, dies seien ontologische Entitäten, so als ob die Welt aus Mathematik bestehen würde.
Da haben Sie zum Beispiel ein paar ungeklärte Begriffe.
Oder tut die Physik das nicht – beschreibt sie mit diesen Begriffen nur ?
Gibt es in der Umgebung eines Magneten kein Magnetfeld ? Im MRT kein Magnetfeld ? Was kommt aus dem Handy, keine Wellen ? Nur Beschreibung ? Oder doch Ontologie. Wenn Ontologie, dann haben wir eben Mathematik im MRT und Mathematik schwirrt vom Handy durch den Raum, wenn Beschreibung, dann wissen wir eben nicht, was da ist.
In der Quantenphysik wird es ganz wild, das würde jetzt zu lang.
Ich weiß, daß diese Fragen die Physik nicht scheren – zu ihrem Schaden. Da sie mit ihren Begrifflichkeiten die mathematischen Gleichungssysteme, die das richtige vorhersagen, nicht mehr verstehen kann, erfindet Sie immer neue Ontologien, z.B. Monster wie unendlich viele Welten, Quantenfelder als Kontinuum gekoppelter Oszillatoren, virtuelle Teilchen aus dem Nichts, und wir sollen glauben, dass all diese Ontologien die Welt auf dem Grunde zusammenhält ?
Sie können das gerne glauben, ich nicht. Ich setze philosophisch dagegen, daß die Physik die Voraussetzungen ihrer Methoden hinterfragen muß. Zum Beispiel die Frage, was uns eine phys. Theorie überhaupt sagt. Ist leider alles Philosophie. Und von daher nicht zu nutzen.
Dann kann man ihr eben nicht helfen.
Grüße Fossilium
@andromed: dem Post von 20:57 stimme ich (bis auf die Sache mit der Gottheit / Geist, ich glaube es gibt einen anderen Grund dafür) zu – genau zu dem gleichen Schluss bin ich auch gekommen. Wobei ich denke, dass einige Menschen nicht einmal reagieren, weil sie vermeintlich getäuscht wurden, denn ich bin mir sicher, dass vielen der Schadstoffausstoß ihres Autos vorher völlig (vollkommen) egal war, was einer Enttäuschung wiederspricht. Ich denke, dass es einfach Massenpolemik ist und die Menschen mitmachen, weil es alle machen. Genau das ist aber das Gefährliche (immer schon gewesen).
@fossilium, Holzherr: Physik und Philosophie
Mein Standpunkt ist, dass jede Wissenschaft auch eine Sprachpraxis ist und in diesem Sinne (gute) Philosophie ein Wörtchen mitzureden hat. Ob das dann hauptberufliche Philosophen sind oder die Wissenschaftler selbst, wie es @aristius fuscus hier gerade mit einem Beispiel angeführt hat, spielt für mich keine Rolle.
Man sieht doch bei vielen bedeutenden Wissenschaftlern, dass diese sich irgendwann einmal, oft eher gegen Ende ihres Lebens, in einen Grenzbereich zwischen Philosophie und Wissenschaft bewegen: eben dort, wo Begriffe, Konzepte und Theorien vage werden; oder wo die Ideen weiter führen als die Experimente es zulassen.
Der häufig bemühte Topos vom Streit zwischen Philosophie und (Natur-) Wissenschaft ist schlicht ein Konstrukt, das keiner braucht; jedenfalls keiner, der bessere Ideen hat, über die er diskutieren kann. Daher brauchen wir selbst Hawkings provozierende Behauptung vom Tod der Philosophie nicht ernst zu nehmen; wir widerlegen sie hier ja performativ. Meiner Vermutung nach hat ihm das auch sein Ko-Autor so ins Buch geschrieben.
Stephan Schleim schrieb (3. Januar 2019):
> Kürzlich [hat] sich [jemand] für ein Philosophiestudium entschieden […]
Bravo! — Jemand (weiteres), dem (dadurch) die Weisheit zuteil werden könnte, Äußerungen von Ansichten, die nicht seine eigenen sind, und die ihn womöglich sogar stören würden, (trotzdem) zu tolerieren, oder gar überhaupt erst zu ermöglichen.
p.s.
> Hinweis zur Diskussion: Seit einigen Monaten stören bestimmte Besucher leider wiederholt Diskussionen hier auf den SciLogs. […] Der Autor behält sich das Recht vor, störende Beiträge aus der Diskussion zu löschen und Nutzern, die wiedeholt gegen die Regeln verstoßen, Hausverbot zu erteilen. […] orientieren Sie sich am Thema der Blogbeiträge und vermeiden Sie Wiederholungen. […]
Diesem Hinweis mangelt offenbar die Weisheit, (Kommentar-)Beiträgen, die der betreffende (SciLogs-)Autor als “(hinsichtlich des jeweiligen “Themas” bzw. eventueller daran anschließender Diskussion) störend” einschätzte, einen separaten SciLog oder zumindest jeweils einen separaten SciLogs-Gastbeitrag zuzuweisen, um von den folglich (je nach Vereinbarung nur) dort zu äußernden (Kommentar-)Beiträgen wahlweise ausdrücklich “ungestört“ bleiben zu können.
@fossilium
Genau das meine ich auch. Die Physik weiß gar nicht, warum ihre Formeln die Phänomene beschreiben, sie weiß nicht was das macht, dass das alles zu den Formeln passt. Hier ist Platz für Philosophie, hier ist ein weites Feld, das es noch zu bearbeiten gilt.
Warum überhaupt so viel Mathematik anwendbar ist, ist erstaunlich. Vor Newton hätte das keiner gedacht, das man so viele Formeln finden kann, oft über Phänomene, die man damals noch gar nicht kannte.
Meine Idee vom intelligenten Universum ist spekulativ, hat aber Platz zwischen dem, was man heute kennt. Für mich Grund genug, mich damit zu beschäftigen. Ich will meine Welterfahrung gerne verstehen, und nutze die Möglichkeiten, die mir auffallen und einfallen.
Nahezu alle Thematiken hier wurden schon zu Beginn des 20.Jh. in Diskussionen/Auseinadersetzungen zwischen der “positivistischen” “Wiener Schule”
und Kantianern sowie danach vor allem den “Kritischen Rationalisten” (K.R. Popper) im Einzelnen durchdiskutiert. Sebst der psychologische bzw neurologische Aspekt bis hin zur Willensfreiheit.
Und daran beteiligt , waren sowohl Philosophen als auch führende Physiker dieser Generation !!
In dem Gemeinschaftswerk des “Philosophen” K.R. Poppermit dem “Gehirnphysiologen” John c. Ecccles (Das Ich und sein Gehirn, 1977, deutsch 1982 ) können Sie das alles auf mehr als 600 Seiten nachlesen. Ebenso in Eccles späterem Werk “die Evolution des Gehirns ” von 1989, das Popper so kommentierte: “Ich finde dieses Buch einzigartig…….” (Siehe Klappentext)
Ich habe mir das übrigens alles früher als unerfüllter Filosof in den Wartezeiten beim Taxifahren angelesen!
Ach was, Unsinn. Es begann schon in der Schule mit einer Philosophie- AG (eines
“progressiven” Theologen bzw Religionslehrers (der selbst den Buddhismus und Heisenberg thematisierte ), einem hervorragenden Buch mit dem Titel “Du und die Philosophie” und mit dem Beifach Philosophie beim Studium zum Dorfschullehrer.
Sowas hielt man damals noch für zielführend.
Witzig: Mit die ersten Hinweise zum “Positivismusstreit in der Soziologie”” (Popper versus “Frankfurter Schule”) erhielt ich von einer Broschüre des (streng DDR- treuen) “Studentenbundes Spatakus” auf deren Büchertisch in der Aula.
Das Thema: “Nützlichkeit der akademischen Philpsophie” (für was auch immer) sollte man also durchaus differenziert betrachten.
Es ist immer wieder amüsant, mit welcher Naivität manche Naturwissenschaftler sich von der Philosophie emanzipieren wollen, oder glauben, es zu können. Jede Wissenschaft macht Vorannahmen, die nicht begründet sind, sondern von den Vorfahren übernommen wurden, manchmal auch völlig unreflektiert. Dazu gehört selbstverständlich die Muttersprache mit grundlegenden und mehrdeutigen Begriffen (z.B. was ist Wahrheit?) und Redensarten, dazu gehören das Zahlensystem und die euklidische Geometrie, dazu gehören kulturelle Gewohnheiten und Vorstellungen sowie viele heuristische Erklärungen für alltägliche Phänomene.
Im Gegensatz dazu haben schon im 19.Jhdt. viele große Naturwissenschaftler die Bedeutung der Philosophie für ihre eigene Tätigkeit erkannt und beachtet. Als Beispiele wären zu nennen v.Helmholtz, DuBois-Reymond, Hertz, Wien, Mach.
Selbstverständlich wäre Philosophie nicht nur für Wissenschaftler von Bedeutung, sondern vor allem auch für die Politiker und Manager und letztlich für jeden Menschen. Leider haben bisher besonders die Kirchenvertreter die Einführung von Philosophie in Schulen wirksam torpediert, aus begründeter Angst vor weltanschaulicher oder humanistischer Konkurrenz.
@anton reutlinger // 7. Januar 2019 @ 13:39
»Es ist immer wieder amüsant, mit welcher Naivität manche Naturwissenschaftler sich von der Philosophie emanzipieren wollen, oder glauben, es zu können. Jede Wissenschaft macht Vorannahmen, die nicht begründet sind, sondern von den Vorfahren übernommen wurden, manchmal auch völlig unreflektiert. «
Keine Ahnung, welche naiven Naturwissenschaftler Sie da im Auge haben. Doch was haben unbegründete (oder nicht begründbare?) Vorannahmen mit Philosophie zu tun?
Gewiss, die Naturwissenschaften sind nicht vom Himmel gefallen, sondern haben eine lange Vorgeschichte, zu der selbstredend auch philosophische Disziplinen gehör(t)en.
Wären z. B. von Helmholtz, DuBois-Reymond, Hertz und Mach nicht wissenschaftlich tätig gewesen, welche philosophischen Einsichten wären uns dann von diesen Herren überliefert worden?
Philosophisch gebildet zu sein steht einem Naturwissenschaftler sicher gut an, aber für die tägliche Forschungsarbeit wird Philosophie eher weniger gebraucht.
Wer war übrigens Wien, worüber hat der gearbeitet?
@Wappler: Spielwiese
Ihre “Spielwiese” ist hier technisch nicht umsetzbar. Davon abgesehen wird hier auch – außer in absoluten Notfällen – nicht moderiert.
Demgegenüber wäre es den entsprechenden “Kommentatoren” ein Leichtes, sich eine Spielwiese im Internet zu suchen, wo sie andere nicht stören.
P.S. Ihr Kommentar ist Off-Topic. Bitte halten Sie sich an das Thema.
@Balanus;
Es geht nicht darum, dass Naturwissenschaftler philosophisch tätig werden, sondern darum, ihre eigene Arbeit und ihre Erkenntnisse zu reflektieren. Es gibt viele Fragestellungen zur Wissenschaft, die philosophischer Natur sind, z.B. Fragen zu Kausalität und Determinismus, selbstverständlich auch Fragen zu Logik und Ethik.
Wilhelm Wien (1864-1928) war Physiker und arbeitete über Eigenschaften elektromagnetischer Strahlung (Wiensches Verschiebungsgesetz). Näheres bei Wiki.
Immer mehr erkennen wir, dass alle Naturgesetze, die wir aufstellen, alle Theorien, die wir bauen, nichts anderes sind als Bilder, die wir herstellen, um das Naturgeschehen verständlich zu machen und zu begreifen. [..] Nur Gleichnisse können wir uns von dem machen, dessen wir um uns gewahr werden. Bilder, die als Menschenwerk notwendig unvollkommen sind und niemals abgeschlossen werden können.
Wilhelm Wien, 1905
Stephan Schleim schrieb (7. Januar 2019 @ 14:25):
> […] wäre es den entsprechenden “Kommentatoren” ein Leichtes, sich eine Spielwiese im Internet zu suchen, wo sie andere nicht stören.
Insbesondere zu diesem Standpunkt möchte ich eine (wahlweise öffentlich-auffindbare und Barriere-frei kommentierbare, aber dabei ansonsten so wenig wie möglich störende) Replik geben.
Nur: Wo (wenn nicht hier) ?? …
@Wappler: Öffentliche Online-Diskussionsforen…
…gibt es nun doch schon mindestens seit 1980 (etwa das Usenet mit seinem deutschen Ableger FidoNet seit mindestens 1984).
Warum müssen Sie und andere ausgerechnet SciLogs/MENSCHEN-BILDER für Ihre Ziele zweckentfremden? Bitte nicht.
Das Thema dieses Beitrags ist: Der Nutzen der Philosophie.
Hallo Herr Schleim,
da von Begriffen die Rede war, wollte ich zeigen, dass der wichtigste Fachbegriff der Physik (das Feld), der in Modellen und bei der Beschreibung von Experimenten umfassend verwendet wird, sich auf reale Vorgänge überhaupt nicht sinnvoll anwenden lässt. Dennoch geschieht dies laufend.
Es ist auch nicht so, dass ich die Physik damit abwerten will. Im Gegenteil, es ihre besondere Stärke, dass sie bei der Wahl ihrer Ontologien so pragmatisch ist. Ihr Erfolg ist ja gerade darin begründet, dass sie sich um Ontologien nicht schert. Die Physik ist nur an richtigen Vorhersagen interessiert, daran, wie etwas funktioniert, nicht woraus es besteht. Letzteres wird von Ihr passend gemacht. Die Antwort auf die Frage, wie etwas funktioniert, liefert dann die besten Vorlagen für die Ingenieure. De Physik liefert so funktionale Grundlagen für den Apparatebau, sie liefert nicht die fundamentalen Entitäten dieser Welt. Sie erklärt die Welt funktional, und dies sehr gut, aber nicht ontologisch, da sagt sie uns gar nichts.
Auf der anderen Seite ist die Philosophie viel eher zu kritisieren, denn die derzeitige lehramtliche Naturphilosophie im deutschen wie im englischsprachigen Raum ist fixiert auf die Physik, wie das Kaninchen auf die Schlange, mit der Frage in den Augen: hast Du bewundernswerte Physik wieder etwas Neues herausgefunden, was ich nehmen kann, um schön darüber zu reden. Es ist nicht gerade spekulative Metaphysik, wie ich sie mir sinnvoll vorstelle, wenn sich Bücher über die Philosophie der Quantenphysik wie Physikbücher für Dummies lesen, und uns z.B. Herr Esfeld als Philosoph eine fundamental Ontology anbietet, die nichts anders ist, als ein aufs Äußerste reduziertes physikalisches Modell. Ein Jammer ohne Ende.
Es ist ja zu verstehen: die intensive fachliche Beschäftigung mit einer Sache schränkt automatsich den Blickwinkel ein, dann kommen die Zwänge des Wissenschaftsbetriebes dazu – um zu Philosophieren braucht man aber Abstand von seinem Fach. Und für die Beschäftigung mit Philosophie ist keine Zeit, gibt es kein Geld, und erst recht keine positive Aufmerksamkeit von Kollegen. Aber um die Philosophie mache ich mir keine Sorgen, die Metaphysik war schon tot und ist auferstanden, solange der Mensch nachdenkt, wird sie nicht untergehen. Aber was geschieht ist ja, dass ihr Stellenwert herabgesetzt wird, vor allem von der Physik, das und nur das werfe ich ihr vor. Die Philosophie ist sozusagen auf dem – auch von Ihnen bedauerten – Rückzug, weil es die Physik ist, die das „sichere“ Wissen (Honerkamp) produziert, nur die Physiker die „richtige“ Beschreibung der Welt haben (viele Welten, Päs) – immer mit dem Verweis auf die empirischen Belege, die die Philosophie ja nicht hat. Dass solche Behauptungen inkonsistent sind, und jede Menge empirisch nicht belegbare Voraussetzungen beinhalten, lässt sich die Physik nicht sagen. Wenn überhaupt redet sie darüber nur mit Physikern – das nennt man dann Diskussionsbereitschaft. Auch in diesem Forum gab es in den letzten 10 Jahren keinen einzigen Blog-Beitrag, in dem die Inkonsistenzen und die Voraussetzungen physikalischer Behauptungen über die reale Welt thematisiert wurden (von ein paar sehr, sehr vorsichtigen Andeutungen von Herrn Schulz mal abgesehen).
Es ist daher keine Modeerscheinung, die vergeht, sondern dahinter steckt auch System, nicht unbedingt gewollt, aber befeuert durch den alleinigen Anspruch auf Deutungshoheit und Erklärungsmacht, und das schadet der Physik und der Philosophie gleichermaßen, und natürlich ihren Protagonisten, die das aber nicht sehen.
Denn wie kommt es, dass ein Herr Degen sich erdreistet, einem jungen Menschen vom Philosophiestudium abzuraten? Weil er sich mit vielen Menschen – allzu viele Naturwissenschaftler darunter – einer Meinung weiß. Natürlich gibt es diese und jene, und sicher auch andere. Und viele differenzierte Meinungen dazu. Aber einen, der sich darüber aufregt, und Klartext redet, muss es auch geben. Bei Ihnen im Blog kann glücklicherweise jeder auch kontern.
Grüße
Fosssilium
@fossilium (Zitat): “Das (Felder, elektromagnetische Welle, Wellenfunktion) sind mathematische Konstruktionen, nichts weiter. Aber die Physik behauptet, dies seien ontologische Entitäten, so als ob die Welt aus Mathematik bestehen würde.
Nein, nicht alle Physiker behaupten die Wellenfunktion von Erwin Schrödinger sei eine ontologische Entität. Das tun sogar nur die Multiple-Welt-Interpreten, die Kopenhagener Interpretation und die Quantum-Bayesianistische Interpretation dagegen betrachtet das, was die Wellenfunktion beschreibt nicht als Realität. Dieses Beispiel zeigt gerade, dass Physiker eben auch Begriffe verwenden, die nur eine indirekte Beziehung zu physikalischen Objekten haben. Die Wellenfunktion beispielsweise hat durchaus eine Beziehung zur Realität, kann man durch sie doch die Wahrscheinlichkeit bestimmten was man in einem Experiment misst und zudem bestimmen, was es überhaupt zu messen gibt. Auch den Begriff elektromagnetisches Feld muss man so sehen: Das EM-Feld hat eine Beziehung zu den Messerwartungen, die ein Experimentator in einem konkreten Experiment, haben muss.
@fossilium: Grenzen unseres Wissens
Gut geschrieben!
Wir wissen doch spätestens seit Ludwig Fleck und Thomas Kuhn, dass es in der Wissenschaft “menschelt”. Und dass Paradigmen einige sich selbst stabilisierende Faktoren haben, etwa die Wissenschaftsgeschichte verfälschen (“whig history”) und die nachwachsenden Wissenschaftler im Sinne seiner Überzeugungen beeinflusst.
Ich kann bei der Physik nicht mitreden. Wir hatten hier bei den SciLogs mal einen Physikprofessor, meiner Erinnerung nach aus Bonn, der eine abweichende Meinung vertrat. Mit ihm habe ich auf einem der Bloggertreffen gesprochen. Er fand meine Ausführungen über die sich selbst erhaltenden Strukturen von Paradigmen jedenfalls sehr aufschlussreich. Heute ist er nicht mehr bei uns. Ich weiß nicht, warum.
Menschlich ist es aber doch so: Wenn man z.B. hier bei den SciLogs jemandem versucht, eine andere Meinung näher zu bringen, und das beim 1., 10. und 100. mal nicht klappt, warum lässt man es dann nicht sein, anstatt es mit immer größerer Intensität zu versuchen? Warum mit dem Kopf immer wieder durch die Wand wollen?
Warum der Zensurvorwurf hier unangemessen ist, habe ich schon ausgeführt. Und wir hatten hier doch immerhin schon diese Diskussion mit über 2000 Kommentaren, die auch heute immer noch jeder lesen kann, auch wenn ich sie am Ende geschlossen habe.
Ich argumentiere hier für freies Denken, für Philosophie – und versuche, bisweilen die Kurzschlüsse in der Biologischen Psychiatrie aufzuzeigen. Das hat sicher auch schon dem einen oder anderen Redakteur den Hinweis eingehandelt, “dem Schleim” keinen Platz mehr einzuräumen; das wird dann nicht so direkt gesagt, sondern mit irgendwelchen Qualitätskriterien begründet oder damit, es sei “für unsere Leser schwer verständlich”. Wie ich feststellte, gibt es andere Medien, für deren Leser das durchaus verständlich ist, die viel besser bezahlen und mit denen die Zusammenarbeit mehr Spaß macht (siehe etwa die Januar-Ausgabe von “Psychologie Heute”). Ein doppelter Gewinn also.
Jeder hat doch die Möglichkeit, sich an die herrschende Meinung anzupassen und dann erfolgreicher zu sein (aber wozu?) – oder seine eigenen Ideen weiterzuverfolgen, unter Umständen eben an einem anderen Ort. Welches Leben für einen wertvoller ist, muss jeder für sich selbst entscheiden. (Zu diesem Punkt noch einen Geheimtipp auf diesen Essay über die Spannung zwischen Authentizität und Erfolg, den ich irgendwann noch vom Englischen ins Deutsche übersetzen will.)
Jetzt kam ich vielleicht selbst ein bisschen ins Schwafeln… Aber letztlich sind es auch die Leser*innen, die lieber Erfolgsgeschichten wollen als Geschichten des Scheiterns, für letzteres haben wir nicht mal ein eigenes Wort, Scheiternsgeschichten?, oder lieber über Lösungen als Probleme lesen wollen. Das wurde mir bei meinem allerersten Buch (Gedankenlesen, 2007) gleich vorgeworfen: Ich verstehe das Problem, doch wo ist die Lösung? Dabei war ich da gerade mal 27 und steckte noch mitten in der Doktorarbeit.
Ja, so ist der Mensch.
@Holzherr, fossilium: Nachdem ich bereits an andere diese Bitte gerichtet habe, darf ich dann auch Sie darum bitten, hier keine Fachfragen der Physik zu diskutieren?
Ich platziere aber gerne einen Link, wenn Sie ein geeignetes Forum für diese Diskussion gefunden haben, wo Sie und ggf. andere weiterdiskutieren können.
@fossilium&alle: Wörter, Wissen & Welt
Fast hätte ich vergessen, dass ich Ihnen noch eine Textstelle aus dem Buch der drei Niederländer, das ich in dem neuen Anti-Stress-Artikel gerade zitiert habe, anbieten wollte:
Es ist vielleicht schwierig, die richtigen Wörter zu finden, wenn wir beschreiben wollen, was in uns vorgeht. Aber das könnte vielleicht sogar ein Vorteil sein, denn wenn wir Gefühle mit Wörtern zu erklären versuchen, bringt das eine Reihe von Gefahren mit sich. So haben viele von uns die Neigung, Wörter als Gefühle anzusehen: Wenn ich ein Etikett an ein Gefühl gehängt habe, denke ich, dass es jetzt bekannt ist – es ist das-und-das… und dort liegt dann oft der Endpunkt unserer Untersuchung. Zu denken, dass wir es schon wissen, ist an sich eine Art Abwehr. (Übers. S. Schleim; meine Hervorhebung)
Wolter A. Keers, Jacques Lewensztain und Kumari Malavika (1977), S. 47.
Was die drei Autoren hier über die Erforschung des eigenen Seelenlebens schreiben, das lässt sich meines Erachtens auch auf unsere Erforschung der Welt übertragen. Wir geben etwas ein Wort und denken, damit sei es erklärt.
@fossilium // 7. Januar 2019 @ 21:48
» Denn wie kommt es, dass ein Herr Degen sich erdreistet, einem jungen Menschen vom Philosophiestudium abzuraten? «
Haben Sie den philosophischen Aufsatz, der unter dem Namen „Winfried Degen“ publiziert wurde, überhaupt gelesen? Mir scheint, nein.
Vielleicht hätte Stephan Schleim am Anfang seines Beitrags doch explizit darauf hinweisen sollen, dass er ihn unter der Annahme schreibt, dass alles, was Degen schreibt, ernst gemeint sei. Und dass Degens Aufsatz bloß der Aufhänger ist, um über den Nutzen der Philosophie zu debattieren.
@ Herr Schleim und zu :
“..Warum müssen Sie und andere ausgerechnet SciLogs/MENSCHEN-BILDER für Ihre Ziele zweckentfremden? Bitte nicht..
Das Thema dieses Beitrags ist: Der Nutzen der Philosophie……” (Zitatende)
Vielleicht deswegen, weil ein Unterbereich ihres Themas auch so überschrieben sein kännte:
“Der Nutzen der Philosophie für die (Natur- ) Wissenschaften”
Wo also liegt das Problem bei der Thematisierung von Physikthemen . Physik ist hier nicht weiter von Ihrer Themensetzung entfernt als Neurologie , Psychologie, Biologie , Informatik, Mathematik………….
Oder wollen Sie sich auf eine Art von praktischer Lebenskunde unter philosophischer Anleitung beschränken?
Ich denke, man sollte bei der Frage zum Nutzen der Philosophie in den harten Wissenschaften die Kirche im Dorf lassen. Die Philosophie kann sich in den empirischen Wissenschaften sicherlich gewinnbringend einbringen (durch ihre Arbeit am Begriff etwa), aber als empirischer Wissenschaftler sollte man sich nicht in philosophische Streitereien (Kausalität, Determinismus, Materialismus, Willensfreiheit) verwickeln lassen (als Privatier kann man das selbstverständlich gerne tun—und wird ja auch getan, wie man hier sieht).
Stephan Schleim plädiert zwar für mehr Philosophie in diversen Bereichen der Gesellschaft, aber gewiss nicht für mehr in Philosophie dilettierende Naturwissenschaftler.
@aristius fuscus // 6. Januar 2019 @ 13:44
» Zu dem Beispiel aus Ihrem Gebiet: dass man psychische Störungen nicht auf Gehirnstörungen reduzieren kann, erscheint mir (erneut: bin hier nur Laie) als völlig selbstverständlich, und ich glaube auch nicht, dass die Naturwissenschaft hier entgültige Antworten liefern kann. «
Es geht, nach meinem Verständnis, hierbei im Kern um Folgendes: Neurobiologen sind, salopp formuliert, der Auffassung, dass im oberen Teil des Schädels nichts anderes ist als das materielle Gehirn (keine immaterielle Psyche), dass also alle psychischen Phänomene letztlich auf neuronalen Vorgängen basieren. Im Grunde könnte man die Psyche eines Menschen, sein Gedächtnis und seine Persönlichkeit durch gezielte Manipulationen des zentralen Nervensystems (etwa der synaptischen Verbindungen) verändern. Gäbe es eine Psyche, die nicht neuronal basiert wäre, wäre dies schon allein aus prinzipiellen Gründen (und nicht bloß aus technischen) nicht möglich.
Ich bin mir nicht ganz sicher, welche Position Stephan Schleim mit Blick auf die sogenannte „Psyche“ einnimmt, mal scheint er näher der biologischen, mal näher einer agnostischen oder gar immateriellen Auffassung zu sein.
Was nun die Therapie von psychischen Störungen angeht: Das einfachste und sicherste ist ohne Frage, die „störenden“ synaptischen Verknüpfungen mittels einer konventionellen Gesprächstherapie zu korrigieren.
Aber wenn man z. B. wüsste, welche Synapse oder Nervenzelle notwendig für die quälende Erinnerung an ein traumatisches Erlebnis ist, wäre es womöglich eine Option, diese zu zerstören.
@Balanus&fuscus: Reduktionierbarkeit psychischer Störungen…
…ist schlicht darum nicht gegeben, da wir das Vokabular psychischer Störungen icht einmal im Ansatz in neurowissenschaftliches Vokabular übersetzen können. Im Gegenteil verwendet die Hirnforschung die ganze Zeit selbst psychologische Metaphern.
Nichts Anderes ist damit gesagt. Dann ist aber eben die Aussage, psychische Störungen seien Gehirnstörungen, so viel wert wie ein ungedeckter Scheck. Und über 170 Jahre Biologische Psychiatrie zeigen ja sehr deutlich, dass das nichts bringt.
So viel sollte nach elf Jahren MENSCHEN-BILDER doch irgendwann einmal klar sein.
@Balanus: “harte” Wissenschaft…
…gibt es doch gar nicht. Überall wird Statistik verwendet. Oder Simulationen. Oder gar beides zusammen. In der Physik vielleicht härtere Statistik/Simulationen als in der Psychologie – aber es bleibt eben weich.
Das mit den “harten” vs. “weiche” Wissenschaften halte ich doch eher für Propaganda.
@Balanus: Satire?
Wieso sollte er das erwähnen, wenn er nicht davon ausgeht, dass es sich bei dem Brief um Satire handelt?
Ähnlich wie du reagiert der Autor auf meinen Brief in seinem pseudonymen Kommentar im Telepolis-Forum.
Ich habe dem Autor nie seine besondere Schreibfähigkeit in Abrede gestellt. Aber so einen Brief zu verfassen und dann hinterher zu sagen, “Ich habe alles gar nicht so gemeint”, das überzeugt mich nicht. Viele Andere übrigens auch nicht.
Dafür brauche ich zwar keinen Aufhänger – aber es war eine willkommene Gelegenheit, ja.
Das Thema hier ist eigentlich schon uralt und wird trotzdem immer wieder debattiert. Hier ein Beispiel aus neuerer Zeit im SPEKTRUM:
https://www.spektrum.de/news/auch-physiker-sind-philosophen/1353710
Und hier ein Zitat des Philosophen Ernst Cassirer (1874-1945), der u.a. auch über die Relativitätstheorie Einsteins geschrieben hatte (Philosophie der symbolischen Formen):
Jedes [Natur-]Gesetz [..] kommt nur dadurch zustande, dass an die Stelle der konkreten Data, die die Beobachtung liefert, symbolische Vorstellungen gesetzt werden, die ihnen auf Grund bestimmter theoretischer Voraussetzungen, die der Beobachter als wahr und gültig annimmt, entsprechen sollen. [..] Die Bedeutung dieser Begriffe liegt nicht der unmittelbaren Empfindung offen, sondern kann erst durch einen höchst komplexen intellektuellen Deutungsprozess bestimmt und sichergestellt werden: und eben dieser Prozess, diese gedankliche Interpretation ist es, die das Wesen der physikalischen Theorie ausmacht.
Wissenschaftliche Arbeit und Erkenntnis besteht im wesentlichen aus einer Serie darstellerischer Transformationen von Beobachtungsdaten, durch Abstraktion, Approximation, Aggregation und Generalisierung. Die Darstellungen können wiederum durch Perspektivenwechsel empirisch bestätigt oder widerlegt werden. Die Wahrheit (natur)wissenschaftlicher Erkenntnis ist jedoch nicht beweisbar und daher ein rein philosophisches Problem.
Man darf vielleicht mal daran erinnern, dass auch das Alltagsleben im Prinzip nichts anderes als Wissenschaft ist, denn das Wissen, egal aus welcher Quelle und in welcher Form, ist lebensnotwendig.
@Stephan Schleim;
Zur Reduktionierbarkeit psychischer Störungen bin ich anderer Meinung. Es gibt eindeutig Korrelationen zwischen psychischen Zuständen bzw. Störungen und der Wirkung von Medikamenten, oder anderen Substanzen wie Alkohol oder Drogen. Selbst die tägliche Nahrungsaufnahme und auch die physischen Wahrnehmungsreize wirken auf unser psychisches Befinden.
Zugegebenermaßen gibt es bisher keine eindeutig und vollständig nachweisbaren Mechanismen oder Funktionalitäten zwischen Psyche und Physis. Das liegt auch an den Schwierigkeiten für die Beobachtung des arbeitenden Nervensystems und folglich an mangelnden Begrifflichkeiten für die Übergänge zwischen Psyche und Physis.
Im Gegensatz dazu sind die Funktionalitäten zwischen dem Verhalten eines Autos und seinen Einzelaggregaten wohlbekannt. Deshalb gibt es dafür geeignete Begrifflichkeiten wie Lenkung und Bremse, die zwischen dem Verhalten des Autos und den entsprechenden Aggregaten vermitteln. Hier gibt es offenbar kein “Körper-Geist-Problem”!
Sehr nett, lieber Herr Dr. Schleim, bei diesem Kommentator rennen Sie so nur offene Türen ein, so dass eine Individualbetreuung, danke für das Angebot, wohl nicht erforderlich sein wird.
Die Philosophie ist bekanntlich die Mutterwissenschaft aus der sukzessive die Fachdisziplinen herausgelöst werden konnten, und noch herausgelöst werden, nicht immer glücklich.
Erkenntnis- und Moraltheorie befähigen das Individuum und sind Basis nicht nur der Allgemeinbildung, sondern auch im fachlich Speziellen.
(Es macht auch im Bereich der IT Sinn Philosophie studiert zu haben, wobei dies nicht immer an den dafür vorgesehenen Bildungsstätten geschehen sein muss.
(Ausgebildete) Philosophen können bspw. ausgezeichnete Dokumentare sein.
Im dankenswerterweise bereit gestellten WebLog-Artikel, Stichwort : OOP, klang dies ja auch schon an.)
–
Dennoch kurz Konsens suchend, auch zwischen Ihnen und dem Kritisierten : Philosophie ist wichtig, das Studium der Philosophie an den dafür vorgsehenen Bildungsstätten womöglich weniger wichtig, deutlich weniger wichtig, denn es ist möglich seine fachliche Bildung eigenständig im Philophischen zu ergänzen.
Gerne auch dilettantisch, denn das Philosophie-Studium beschäftigt sich ja größtenteils mit der historischen Philosophie, wobei diesbezügliche Kenntnis oft nicht gebraucht wird; es ist ja auch viel Mist philosophiert worden.
Die Beschäftigung mit der Philosophie hält der Schreiber dieser Zeilen insgesamt für pflichtig, für Madame wie Gentleman.
Wobei sich dann auch Lieblingsphilosophen herausgesucht werden kann, Dr. W könnte hier einige empfehlen, bspw. Bas van Fraassen oder Sir Popper, aber hier soll jeder selbst suchen, auch um die zivilisatorisch zentrale Europäische Aufklärung zu verstehen zu suchen, das Ringen um Erkenntnis (vs. Wissen) schlechthin.
Von kollektivistisch grundierter Philosophie wird hier eher abgeraten, also bspw. von Rousseau, Marx und den Neomarxisten.
Aber auch diese dürfen (bis müssen sogar, wie Dr. W heutzutage findet) verstanden werden, um Ablehnung genau formulieren zu können.
MFG + gute Arbeit + weiterhin viel Erfolg!
Dr. Webbaer
Bonuskommentar hierzu :
Jeder gute Philosoph ist ‘Schwätzer’, denn das Reden (vs. Sprechen) ist seine Aufgabe bzw. sein Instrument, wobei gerne auch im Schriftlichen persistiert werden darf.
Die ‘meisten ihrer Zunft’ sind idT ‘nur Schwätzer’, was an der Menge liegt; es ist nicht verboten sich philosophisch, im Bereich der Erkenntnis- und Moraltheorie zu üben, so dass auch viele Nur-Schwätzer zu Worte kommen wie kamen, publizier(t)en und teils auch unverdiente Anerkennung erfahren bzw. erfuhren.
Dr. W nennt an dieser Stelle bspw. den bundesdeutschen „TV-Philosophen“ Richard David Precht, abär nur stellvertretend.
Womöglich hat der nur wegen besserem Aussehen den guten alten Sloterdijk medial, bestimmte Medien meinend, verdrängt, ist wohl auch ochlokratisch konform, ist ansonsten natürlich ganz nett, no problemo hier.
Zudem ist jeder gute Philosoph auch Idiot (im Sinne der Bedeutung, der ursprünglichen Bedeutung), ist nicht vom angebotenen Futtertrog abhängig, sondern als Privatier sozusagen Selbsternährer.
Weiß auch nicht zu gefallen.
–
KA, Dr. W kennt Winfried Degen nicht, weiß nicht, was der so treibt, bei „Telepolis“ ist auch nicht derart hingewiesen worden – und suchen wird Dr. W diesbezüglich nicht.
Dr. W ist mittlerweile i.p. pauschaler Philosophie-Kritik, wie auch von Florian Freistetter bei den Scienceblogs.de geübt, satt.
Neugierig gemacht worden ist Dr. W also von Herrn Degen nicht.
Will also bezüglich jener Personalie den Mantel des Schweigens bemühen, abär gut, dass der anscheinend für Gegenrede taugt, vermutlich primär beispielhaft herangezogen.
@Stephan Schleim
So, hab jetzt auch mal alles gelesen.
“Logik ist Vereinbarungssache.”(Winfried Degen)
Genial, der Mann.
“pseudonymen Kommentar”
Welcher Kommentar war denn vom Autor, da sind so viele hinter deinem Link?
““Ich habe alles gar nicht so gemeint” ”
Hab ich mir gedacht.
Und ich finde es – wie @Balanus – überzeugend. Von solche Verrissen der Philosophie darf es gerne mehr geben. Dass das viele nicht verstehen, ist klar, mich versteht auch keiner.
Nebenbei bemerkt, Schopenhauer, dem folge ich (kam allerdings schon lange nichts Neues mehr von ihm); Hegel ist bei mir geblockt.
@Reutlinger: Körper-Psyche-Korrelationen
Ja, schon der römische Arzt Galen hat die psychischen Folgen der Kopfverletzungen von Gladiatoren untersucht und jeder, der genug Alkohol getrunken hat oder die Luft lange genug anhält, der erfährt, dass Körperprozesse auf psychische Prozesse wirken, salopp gesagt: Der Körper ist das Vehikel der Psyche.
Daraus folgt aber in keiner Weise, dass die Entitäten, die psychische Störungen beschreiben, Entitäten im Gehirn sind. Vergleich: Sie könnten auch sagen, dass die Demokratie von den Körpern (und insbesondere Gehirnen) im demokratischen Staat abhängt – und doch werden Sie “die Demokratie” nicht im Gehirn finden.
Die Medikamentenstudien, die Sie ansprechen, sind nicht vertrauenswürdig, vielfach sogar gefälscht. Das werde ich hier nicht wiederholen, sondern verweise noch einmal auf die Interviews:
“Bei rund 90% wirken Antidepressiva nicht besser als Placebo.”
Die “Antidepressiva” genannten Mittel machen irgendetwas im Gehirn, wirken aber eben nicht spezifisch antidepressiv. Wie sollten Sie auch? Natürlich hat jemand mit diagnostizierter Depression Gehirnzustände. Darum ist die Depression aber noch lange kein Gehirnzustand.
P.S. Ich darf ihn leider nicht uploaden, empfehle aber für detailliertere Erklärungen meinen Artikel in der “Psychologie Heute” vom Januar 2019: Die Crux mit den Diagnosen.
@Joker, Balanus: korrekter Link
Verzeihung, der korrekte Link auf die Antwort Herrn Degens ist dieser.
Bonus-Kommentar hierzu :
]
Also, hier, würde sich Dr. W nicht aufregen, @Kommentatorenfreund ‘Joker’, denn sozusagen herkömmliche Philosophie sagt genau dies.
Wobei die Kenntnis von Philosophie und Logik hier so nur beworben wird.
Logik („Sprachlichkeit“) ist Tautologie.
Logik sagt insofern ‘nichts’, aber sie erlaubt Folgerungen, sie ist ein Instrument.
Das Fachwort hier : Formalwissenschaft.
Wenn Herr Degen schon so klug ist, auch das mit der Dreiwertigkeit von Aussage ist korrekt erkannt worden, Aussage kann falsch, richtig und unbestimmt i.p. Wahrheitsgehalt sein, vgl. mit der dreiwertigen Logik (das Fachwort an dieser Stelle [1]), dann ist Herr Degen womöglich schon recht firm i.p. Erkenntnis und Philosophie, sollte sich womöglich auch als Philosoph bekennen.
Und nicht insgesamt „herumnickeln“.
Sondern die Philosophie zu bewerben suchen.
Ansonsten bleibt dann unklar, wie er diesen Brief, nun, herausstoßen konnte, so dull und dümmlich im Gesamtrahmen.
IT ist (angewandte) Philosophie.
[1]
Logik kann per se n-wertig sein.
Die dreiwertige Logik ist abär zentral im Rahmen von Datenhaltungssystemen, bspw. im Rahmen von sog. DBMSen.
Die Relationalität meinend, klar, die auch bspw. vierwertig sein kann – die Dreiwertigkeit von logischer Aussage gilt allgemein abär schon als anerkannt (wie wirtschaftlich nützlich, alle (R)DBMSe funktionieren so).
Im Meta sozusagen ist dies natürlich auch philsophisch interessant, gar philosophisch angeleitet, im Sinne des Skeptizismus.
Dr. W sich hier ein wenig auskennen tun.
@Stephan Schleim;
Kurze Antwort: es gibt keine Entitäten, die psychische Störungen beschreiben, weil es keine psychischen Störungen gibt. Es gibt keine Norm für die Psyche. Die Begrifflichkeiten der Psychologie oder Psychiatrie sind Symbole für introspektive Deutungen bestimmter Bewusstseinszustände des Menschen, mehr oder minder willkürlich. Ebenso ist “die Demokratie” keine Entität, sondern ein gedankliches und abstraktes Konzept bestimmter Vorstellungen für kollektive Verhaltensweisen. Deshalb gibt es keine Abbildung psychischer und physischer Entitäten aufeinander. Es gibt ein “explanatory gap” (Joseph Levine).
@Reutlinger: ontologischer Status psychischer Störungen
Nunja, ich verstehe, denke ich, was Sie meinen…
…aber schlagen Sie bitte mal das DSM auf: Darin finden Sie, je nach zählweise, ca. 200 bis 600 unterschiedene psychische Störungen. Und jetzt sagen Sie, die gebe es nicht?
Über den ontologischen Status abstrakter Entitäten wird übrigens auch schon seit der Antike diskutiert; das ist ein weites Feld. Aber selbst bzw. gerade dann, wenn Sie sagen, psychische Störungen gebe es nicht, ist die Aussage, dass psychische Störungen sich nicht auf Gehirnstörungen reduzieren lassen, ein wahrer – oder sinnloser? – Satz. Was der Forschungsgegenstand der Biologischen Psychiatrie ist, wäre dann auf einmal ein großes Rätsel.
@Stephan Schleim // 8. Januar 2019 @ 17:28
»Reduktionierbarkeit psychischer Störungen«
Nach der „Reduktionierbarkeit“ von bestimmten Systemeigenschaften auf darunter liegende Sub- oder Teilsysteme fragen, so scheint mir, vor allem Philosophen. Wäre ich Hirnforscher oder Neuropsychologe, würde mich diese Frage nur am Rande interessieren. Wichtiger wäre, ob es neben den bekannten Dingen, die Eigenschaften eines Systems konstituieren, noch andere, bislang verborgene Komponenten oder Einflussgrößen geben könnte, die womöglich wesentlich zu den Systemeigenschaften beitragen.
Ich habe keine Ahnung, was in „über 170 Jahre Biologische Psychiatrie“ so gemacht wurde. Elektroschocks? Psychopharmaka? Lobotomien? Solche Sachen? (Vor 170 Jahren war Schleidens und Schwanns Zelltheorie gerade mal 10 Jahre alt…)
Im Übrigen scheint mir eine erfolglose Biologische Psychiatrie kein Beweis oder kein Argument dafür zu sein, dass die „Psyche“ und damit auch die psychischen Störungen nicht auf spezifischen Aktivitäten des biologischen Substrats beruhen.
PS: Im Kontext meines Kommentars habe ich „harte Wissenschaft“ synonym zu „empirische Wissenschaft“ gebraucht. Mir ging es also nicht um die Unterscheidung ‚harte‘ vs. ‚weiche‘ Wissenschaften.
Danke auch für den korrekten Link, Stephan, war inzwischen schon fündig geworden…
@Balanus: Reduktion vs. Zerteilung
Es geht gerade nicht darum, dass die psychische Störung ein “komplexes Ganzes” wäre, das sich ein seine einzelnen Neuro-Teile aufspalten ließe (das nennt man auch: Mereologie, Teil-Ganzes-Beziehung). Eine psychische Störung ist ein komplexes Ganzes, das jedoch aus psychischen Symptomen und einigen Regeln (z.B. muss mindestens sechs Wochen lang vorliegen) zusammengesetzt ist.
Es geht darum, dass dieses komplexe Ganze – aber wahrscheinlich auch seine meisten Teile – nicht in neurowissenschaftliche Sprache übersetzt werden kann.
So lange das nicht geht, nicht einmal in einem einzigen Fall, ist die Aussage, psychische Störungen seien Gehirnstörungen, bestenfalls ein Versprechen, eine ungedeckter Scheck, Propaganda, schlimmstenfalls gelogen. (Und ja, mir sind schon renommierte Forscher begegnet, die zu mir gesagt haben, dass sie das selbst für Quatsch halten – aber eben so in ihre Aufsätze bzw. Forschungsanträge schreiben, um Forschungsgelder zu bekommen. Schöne neue Welt!)
Psychische Störungen sind psychische Störungen, keine Gehirnstörungen.
reutlinger (Zitat): Die Wahrheit (natur)wissenschaftlicher Erkenntnis ist jedoch nicht beweisbar und daher ein rein philosophisches Problem. Wenn Wahrheit ein philosophisches Problem ist, dann jedenfalls wird dieses Problem von verschiedenen philosphischen Schulen verschieden beantwortet.
Mir scheint weiterhin, dass Physiker und Naturwissenschaftler durch die Philosophie keine Hilfe in der Begriffsbildung, Begriffsklärung und beim Erkenntnisgewinn haben, denn Begriffe wie sie in den Naturwissenschaften verwendet werden, entspringen naturwissenschaftlicher Forschung und kaum grundsätzlichen Überlegungen, die unabhängig von der Forschung sind.
Stephan Schleim : Psychische Störungen und Naturwissenschaft.
Die Idee hinter dem Satz “Psychische Störungen sind psychische Störungen, keine Gehirnstörungen.” lässt sich auch auf andere Gebiete anwenden, beispielsweise könnte man sagen: Ein Regenbogen ist ein Regenbogen und ist nicht reduzierbar auf die Mathematik, mit der man den Regenbogen beschreiben kann.
In der Praxis ist ein solcher Einwand aber oft ein Kategorienfehler, denn in der Praxis geht es nicht um ein Definitions- oder Reduktionsproblem, sondern etwa darum, wie man eine psychische Störung beeinflussen oder gar “heilen” kann und beim Regenbogen geht es vielleicht darum, die optischen Phänomen im Zusammenhang mit dem Regenbogen zu klären.
Konkret bin ich nach wie vor überzeugt, dass psychsiche Störungen wie eine Bipolare Depression zu einem grossen Grad durch Vorgänge im Hirn erklärbar ist und irgendwann durch medizinische Eingriffe oder Pharmaka günstig beeinflusst werden können oder gar heilbar werden. Hinweise dafür gibt es sehr viele. Dazu gehören beispielsweise polygene Risikopunktzahlen (polygenic riskscore) für eine bipolare Depression, also ein Zusammenhang zwischen einer Kombination von Genen und dem Risiko an einer bipolaren Depression zu erkranken (siehe z.B. The polygenic risk for bipolar disorder influences brain regional function relating to visual and default state processing of emotional information ), dazu gehören aber auch biochemische und MRI-Befunde bei aktuell an bipolarer Depression Erkrankten.
Heutige Therapien für viele psychiatrische Störungen sind in der Tat unbefriedigend – und das liegt meiner Meinung nach einfach daran, dass man das Hirn noch zuwenig versteht. Die praktische Frage in diesem Zusammenhang ist etwa: Kann man mit Gesprächstherapie oder Intervention in die Lebensführung Krankheiten wie die bipolare Depression besser beinflussen als mit medizinzischen und pharmakologischen Massnahmen. Ich würde sagen, dass sogar bei den heutigen beschränkten medizinischen/parmakologischen Eingriffsmöglichkeiten, diese immer noch grösser sind als die psychologischen Einflussmöglichkeiten.
@Stephan Schleim;
Psychische Störungen sind psychische Störungen, keine Gehirnstörungen.
Also da frage ich mich, ob Sie das ernst meinen. Man weiß, dass ein Überschuss oder ein Mangel an Neurotransmittern oder Hormonen zu psychischen Störungen führt und man weiß, dass Hirnläsionen zu psychischen Störungen führen müssen oder können. Vielleicht halten Sie diese nur für neurologische Störungen, aber wo wäre da die Unterscheidung?
Psychische Störungen sind Abweichungen von einer fiktiven psychischen Normalität. Man kann sie nur an ihren Phänomenen des Verhaltens erkennen. Psychisch gestörte Menschen empfinden sich selber oftmals nicht als gestört.
Richtig ist natürlich, dass psychische Störungen funktional nicht eindeutig zu erkennen sind und nicht eindeutig auf neurologische Abweichungen reduziert werden können. Manches Problem liegt in den mangelnden Begrifflichkeiten, d.h. dem Fehlen sogenannter Brückenbegriffe, wie ich früher schon geschrieben habe.
@Stephan Schleim // 8. Januar 2019 @ 21:44
» Es geht darum, dass dieses komplexe Ganze [psychische Störung] – aber wahrscheinlich auch seine meisten Teile – nicht in neurowissenschaftliche Sprache übersetzt werden kann. «
Ist das denn überhaupt der Anspruch der Biologischen Psychiatrie? Versucht sie tatsächlich, psychische Störungen mittels eines neurowissenschaftlichen Vokabulars zu beschreiben?
Auf Wikipedia (engl.) liest man folgendes:
[Übersetzt mit http://www.DeepL.com/Translator%5D
Ich kann mir nicht helfen, diese Langform der Kurzformel: „Psychische Störungen sind (nichts anderes als) Gehirnstörungen“, klingt ziemlich vernünftig: Bei der Therapie „psychischer“ Störungen geht es letztlich um die Funktion des Nervensystems. Jegliche therapeutische Intervention zielt notwendigerweise auf die Beeinflussung neuronaler Aktivitäten—allein schon, weil die Existenz einer „Psyche“ trotz Jahrtausende langer Suche nicht nachgewiesen werden konnte.
Deshalb: Philosophie mag in bestimmten Fällen zwar von Nutzen sein, aber eine klare Grenzziehung zu metaphysischen Spekulationen scheint mir für die Wissenschaften unabdingbar zu sein.
(Dass es offenbar Leute gibt, die den neurobiologischen Ansatz für „Quatsch“ halten, ihn aber für das Einwerben von Forschungsgeldern ins Feld führen, macht einen nur traurig…)
@gehirnstörung
Psychosen sind sicher auch von Gehirnstörungen begleitet. In der Praxis, wenn man von psychischer Krankheit betroffen ist, geht es aber sehr viel um die Wechselwirkung mit dem sozialen Umfeld, mit dem Hilfesystem und mit der prekären Situation auf dem Sektor Arbeit.
Medikamente sind auch hilfreich, wenn sie nur Placobo-Stärke haben, immer noch weit besser als nichts. Aber der Verlust des sozialen Umfeldes und das Ausgeliefertsein in den pychiatrischen Kliniken sind so eine starke Belastung, dass sich, wenn man nun erstmal so krank ist, dass man in einer Klinik war, dass sich die Sache meistens sehr schnell verselbstständigt.
Dazu kommt ja gerade das größte soziale Problem unserer Zeit: erst muss man sich kaputt arbeiten, und hat zu nichts mehr Zeit, kann sich nicht mehr um sich selbst und sein Leben kümmern. Wenn man dann nicht mehr kann, kommt die völlige Arbeitslosigkeit, und man hat auf einmal viel zu viel Zeit, womit man erstmal fertig werden muss. Da müssen erstmal Alternativen her, z.B. Kunst oder Ehrenämter, die die Zeit füllen und eine gute Forderung bieten, die man ja auch braucht, auch wenn man psychisch krank ist.
Wenn es einen erwischt, dass die Psyche zuerst aussteigt, wenn man über die Jahre überfordert ist, kommen dann eben auch noch die spezifischen sozialen Probleme dazu. Die Ausgrenzung durch das eigene soziale Umfeld und das Ausgeliefert sein im Hilfesystem sind harte Nüsse, die man erstmal knacken muss, bis man sein Leben wieder in den Griff bekommt. Jeder, der aus dem Berufsleben ausscheidet, ob er jetzt nicht mehr kann, ob er nicht mehr gebraucht wird oder einfach sein Rentenalter erreicht hat, muss gucken dass er eine erfüllende neue Beschäftigung findet. Aber psychisch Kranke müssen sich gleichzeitig ein neues soziales Umfeld aufbauen, und mit Psychiatern und Klinikstrukturen klarkommen. An der Summe der Herausforderungen scheitern viele dann komplett und kommen nie wieder auf die Beine.
So ist die Lebenswartung bei Psychotikern dann statistisch auch um 15 bis 20 Jahre reduziert, was kaum die direkte Folge der Gehirnstörung sein kann, die nebenbei schon existiert. Auf bessere Medikamente hoffe ich hier schon, aber der ganze Lebenszusammenhang ist hier maßgeblich.
@Martin Holzherr;
Das machen Sie sich entschieden zu einfach. In der Tat gibt es viele Wahrheitstheorien. Der Experimentalphysiker wird sich von der Philosophie kaum etwas versprechen, sehr wohl aber der theoretische Physiker oder der Biologe. Im übrigen geht es weniger um die Wissenschaftler, als vielmehr um die Wissenschaft selber. Was die wissenschaftlichen Erkenntnisse für die Menschen und für die Menschheit bedeuten, wie sie in den Gesamtzusammenhang einzordnen sind, das kann der Philosoph besser beurteilen.
Nicht zuletzt waren oder sind manche Physiker oder Naturwissenschaftler auch Philosophen oder haben Philosophen im Freundeskreis. Umgekehrt haben manche Philosophen auch ein naturwissenschaftliches Studium absolviert.
@Holzherr: Reduktion usw.
Klar, man kann den Regenbogen irgendwie mathematisch beschreiben – aber jetzt im Ernst, Farbe eine mathematische Eigenschaft?! –, aber 1) wie gut ist die Beschreibung und 2) würde jemand behaupten, der Regenbogen sei die Beschreibung? Den Kategorienfehler, wenn es denn einer ist, scheint mir derjenige zu begehen, der den Regenbogen auf die mathematische Beschreibung reduzieren will.
Zu 1) wissen wir, dass die neurowissenschaftlichen Beschreibungen sehr schlecht sind: Das sehen wir an den tausenden Inkonsistenzen zwischen den Studien, an den kleinen Effektgrößen, an der mangelnden Reproduzierbarkeit usw.
Ja, genau, und gerade deshalb, weil die über 170 Jahre der Forschung gar nicht beim Patienten ankommen, während veritable Ansätze etwa zur Suizidprävention oder Coping erst gar nicht eingesetzt werden können, weil der Neuro-Hype die Mittel austrocknet.
Und gerade da, wo Sie die Genetik ins Spiel bringen, schießen Sie mehrere Eigentore. Dass die Effekte solcher “Risikogene” verschwindend gering ist, weiß inzwischen doch jeder; nennen Sie mir bitte Gegenbeispiele. Man steckt immer mehr Geld in diese Forschung, doch wird damit nur immer kleinere Effekte finden, weil die bei größeren Stichproben auch statistisch signifikant werden. Das ist reine Mathematik.
Die wesentlichen Risikofaktoren sind Kinderheitserfahrungen, schwere Lebensereignisse und die Umgebung, in der jemand lebt (v.a. wie viel Stress er/sie da erlebt). Die wissenschaftlichen Fakten habe ich z.B. hier zusammengefasst: Mehr über Ursachen von Depressionen
Psychische Störungen sind psychische Störungen, keine Gehirnstörungen. (Stephan Schleim)
@ Reutlinger @ Schleim
…
…
…
Will man einer Seele nicht das Wort reden, so könnte auch ein Naturalist zustimmen, daß das Gehirn ein geöffnetes System ist. Man könnte also die Vermutung äußern, daß psychische Störungen zwischen den Gehirnen entstehen somit nicht auf ein einzelnes Gehirn reduziert werden können.
@Reutlinger: psychische Störungen
Durchaus. Wenn Ihnen die Artikel hier nichts sagen, dann vielleicht die Zusammenstellung in meinem eBook “Was sind psychische Störungen?” (2018) oder mein neuer Artikel in der Psychologie Heute vom Januar 2019.
Das weiß man gerade nicht: So ein “Überschuss” oder “Mangel”, der übrigens nie im Einzelfall diagnostiziert wird – warum wohl?! – führt bei unterschiedlichen Menschen zu ganz unterschiedlichen Symptomen; und kann auch bei einem bestimmten Menschen mal so, mal so ausfallen.
Ihr Argument ist so ein alter Hut: Menschen haben schon vor Jahrtausenden mittel wie Alkohol oder andere Drogen oder auch Rituale verwendet, um die Psyche mal so, mal so zu beeinflussen.
Neurologische Störungen haben eher mit Funktionen wie Motorik, Sprechen, Erinnern, Wahrnehmen oder Fühlen (im Sinne von Taubheit) zu tun. Bei psychischen Störungen betreffen die Symptome aber in der Regel das Denken und Fühlen (im Sinne von Gefühl, Emotion) der Menschen.
Es gibt da aber natürlich schwierig abzugrenzende Grenzfälle, etwa die Demenzen. Die können mit allen Arten von Symptomen einhergehen. Es wundert mich dann aber nicht, dass Psychiater die in ihre Diagnosehandbücher aufnehmen, schlicht schon aus Abrechnungsgründen.
Ihr Standpunkt ist reine Spekulation: Für keine einzige psychische Störung gibt es bisher eine vollständige neurowissenschaftliche Beschreibung, obwohl man seit über 170 Jahren danach sucht. Keine einzige Störung lässt sich mit dem Hirnscanner oder Neurotransmitter-Check zuverlässig diagnostizieren. Ebensowenig der Verlauf der Symptome bei der Therapie nachvollziehen.
Ihr Standpunkt hat so viele Widersprüche, dennoch halten Sie an ihm fest. Mir scheint das ein gelungener Fall von Propaganda (im Sinne von: interessengeleitete Wissenschaftskommunikation) zu sein.
@Balanesisches zu psychischen Störungen
Was für ein Kunststück wäre das, wenn nich schon ein Wunder, wenn man psychiche Störungen als Gehirnstörungen verstehen wollte, ohne sie als solche beschreiben zu können?!
Das gibt es nur in Balanesien.
@Jeckenburger: Psychosen
So kann man denken – aber wenn man so denkt, dann sollte man erst auch einmal Placebo verschreiben, allein schon wegen der Nebenwirkungen.
In meinem Bekanntenkreis gibt es eine Frau, die sich nach einer Überdosis “antipsychotischer” Mittel nur noch so bewegen kann, als wäre sie aus Gummi. Das ist dramatisch. Die Mittel sind jedenfalls keine Smarties.
Da kommt dann aber der Medizinethiker und sagt: Placebo, das wäre ja unehrlich, das geht nicht. (Die Pharmaindustrie verdient freilich kräftig mit.) Dabei verschreiben doch viele Ärzte viele Medikamente in dem Sinne: Schauen wir mal, was passiert. Warum dann nicht auch Placebos?
Absolut – und gerade bei Psychosen weiß man, dass Patienten in weniger “entwickelten Ländern” eine bessere Prognose haben, wohl schlicht darum, weil sie besser in der Gesellschaft integriert bleiben.
(Hohe Risikofaktoren für Psychosen sind übrigens: Mann, Stadtleben, Emigration, viel Stress.)
Sie dürfte mein Interview mit einem international führenden Psychosenforscher interessieren: “Es gibt keine Schizophrenie”
Oder auch das Buch “Crazy Like Us” über Kulturunterschiede bei den psychischen Störungen.
@Reutlinger: P.S. Brückenbegriffe
Das ist so, ja.
Das wirft aber die Frage auf, was uns heute schon der neurobiologische Ansatz bringt, wenn wir das Problem nicht mal Ansatzweise auf dieser Ebene formulieren können.
Und es wirft die Frage auf, ob solche Brückenbegriffe in Zukunft einmal gefunden werden.
Ich finde jedenfalls die Naivität erstaunlich, mit der man jährlich Milliarden in diesen Forschungszweig steckt, der in über 170 Jahren noch für keine einzige psychische Störung sein Versprechen eingelöst hast.
Man muss hier dringend andere Prioritäten setzen. Das ist aber nicht meine Entscheidung.
@Stephan Schleim;
Wir sollten nicht aneinander vorbei diskutieren. Psychische Störungen haben Ursachen und äußern sich in Phänomenen, meist in Verhaltensweisen. Damit verbunden sind neurologische Begleiterscheinungen. Das muss man auseinander halten.
Ursachen können in der Erziehung, in Erfahrungen, in Traumata liegen, also in psychologisch beschreibbaren Gegebenheiten und müssen nicht notwendig in neurologischen Störungen begründet sein. Soweit bin ich einverstanden. Der wesentliche Punkt ist jedoch, dass sich der gesamte Lebensverlauf in neurologischen Zuständen und Prozessen niederschlägt und somit von den psychischen Phänomenen und Störungen nicht zu trennen ist. Das macht schließlich den psychischen Unterschied zwischen den Menschen aus.
Offenbar sind Sie noch immer ein Anhänger des Dualismus von Körper und Geist, anders kann ich Ihre Argumentation nicht deuten. Letztlich ist für die Psyche nicht nur das Hirn von Bedeutung, sondern der ganze Körper, indem die Wahrnehmung des eigenen Körpers auf die Psyche wirkt. Das lässt sich alltäglich beobachten, besonders an sich selbst.
@ balanus und
“… Die Philosophie kann sich in den empirischen Wissenschaften sicherlich gewinnbringend einbringen (durch ihre Arbeit am Begriff etwa), aber als empirischer Wissenschaftler sollte man sich nicht in philosophische Streitereien (Kausalität, Determinismus, Materialismus, Willensfreiheit) verwickeln lassen (als Privatier kann man das selbstverständlich gerne tun—und wird ja auch getan, wie man hier sieht). ..”
(Zitatende)
Balanus hat eventuell eine etwas zu naive Vorstellung von “Empirie”. Man denke nur mal an das Doppelspaltexperiment(in der Physik) als Beispiel für viele weitere Problematiken.
Zudem fließen in das Experimantaldesign über gewisse Grundpostulate immer schon Theorieelemente ein und besonders der immer mehr zunehmende Rohdaten- Tsunamie wird heutzutage selbstverständlich unter Zuhilfenahmen von theoriegeleiteten Auwertungsmethoden “bewältigt”. Ganz besonders kritisch ist das bei den häufigen Messungen im Graubereich der Auflösungsfähigkeit der Instrumente.
Das alles gilt natürlich nicht nur für die Physik, sondern fast genauso für die Neurogogie . Und noch weit mehr für die Psychologie (und Neuropharmakologie)., da auch dort schon das Untersuchungsobjekt ( bzw. dessen “Funktionieren”) unklar ist und auch eine Therapieerfolg oft nur Interpretationssache ist oder auf rein subjektiven Empfindungen beruht.
Man kann natürlich alles, was empirisch irgendwie Probleme macht oder zu Unklarheiten führt einfach ignorieren (und ins Bereich der Metaphysik verweisen), darf sich dann aber über Stillstände in gewissen Fachbereichen auch nicht wundern.
@Stephan Schleim;
Widerspricht folgender Absatz aus Ihrem Link zur Schizophrenie nicht Ihrer Argumentation?
Wissenschaftlich gesehen ist jeder mehr oder weniger psychoseanfällig. Genetische und epidemiologische Forschung hat hunderte, ja tausende Risikogene identifiziert. Sie und ich haben auch viele solcher Gene. Je mehr jemand davon hat, desto größer das Risiko für die Störung. Ausschlaggebend sind aber oft traumatische Erfahrungen oder Rückschläge im Leben. Doch auch so etwas wie die Immigration in ein anderes Land kann eine Rolle spielen.
Das ganze Interview mit van Os kann zum Körper-Geist-Problem nichts beitragen, es besagt lediglich, dass die psychologische Komponente stärker berücksicht werden soll als die medizinische oder psychiatrische Komponente, die sich nur auf Medikamente stützt. Ähnliches hat übrigens schon vor Jahrzehnten auch Viktor Frankl geschrieben.
Der Spielverderber nörgelt:
Ich muss mich aber schon etwas wundern, weshalb hier jetzt unter dem Blogthema
“Warum wir dringend mehr Philosophie brauchen: Replik auf Winfried Degens Polemik gegen das Philosophiestudium” dann doch tagelang über psycho- neurologische Fachthemen aus den Grundlagenbereichen diskutiert werden darf. Auf anderen Blogs wurde eine solches Abweichen meistens nicht toleriert.
@reutlinger: Psychologische Sprache
Nö. Wir trennen das doch die ganze Zeit. Sprachlich.
Wenn ich zu der A sage: “Ich liebe dich!”, dann errötet sie vielleicht oder ist gerührt oder sagt etwas in Erwiderung. Sie sagt aber doch nicht: “Du, warte mal, ich muss erst einmal den Neurowissenschaftler anrufen und der muss dann seine Untersuchungen machen, ob das stimmt.”
Natürlich finden in mir auch physiologische Prozesse bei der Äußerung statt; sie sind sogar notwendige Voraussetzung für das Tätigen der Aussage. Darum ist “Liebe” aber keine physiologische Eigenschaft und die Äußerung von “Ich liebe dich!” kein physiologischer Vorgang.
Es sind zwei getrennte und wahrscheinlich prinzipiell unvereinbare Welten. Wer sagt: “Liebe ist ein Gehirnzustand”, der redet schlicht Unsinn (hierfür findet man wahrscheinlich wieder bei dem schon fürs Schöne bemühten Zeki ein Beispiel – der hat in ähnlicher Weise nämlich auch Liebe untersucht; jedenfalls gibt er das vor).
Warum glauben Menschen dann aber den Quatsch, Depression sei ein Gehirnzustand? Depression ist erst einmal eine abstrakte Definition, für eine Reihe von Symptomen, die wir psychologisch beschreiben, nicht neurowissenschaftlich.
Das ist ein Abwehrreflex… oder Sie verstehen wirklich nicht, dass es hier um ein sprachliches Argument geht. Sprache ist nun einmal aber das Mittel für uns, um Bezüge zur Welt herzustellen und uns darüber zu verständigen.
P.S. Vielleicht hilft: Körper ist Geist
@reutlinger: Schizophrenie-Interview
Nö. Wieso?
Es geht in dem Interview mit Van Os auch nicht um das Leib-Seele-Problem, sondern um den Sinn der Kategorie “Schizophrenie”.
@Louis: Gehen Sie doch in einen anderen Blog, wenn Sie hier nicht über Philosophie und Hirnforschung – das war sogar eine Zwischenüberschrift des Blogbeitrags – diskutieren wollen.
@Neurologische Zustände und Prozesse
Natürlich sind auch psychische Krankheiten letztlich Phänomene aus neurologischen Zuständen und Prozessen. Aber die sind fast unendlich komplex und die kennt heute noch keiner. Wenn das Human-Brain-Projekt irgendwann in 20 Jahren oder später mal Erfolg hat, und man das gesamte Konnektom eines Menschen im Computer simulieren kann, fängt die Arbeit erst an, das Funktionieren des Gehirnprozesses als Ganzes zu verstehen.
Wenn ich nur die Simulation haben, und die läuft sogar, weiß ich immer noch nicht wie und warum. Das ist dann zwar nicht mehr im Gehirn versteckt, aber immer noch in der Simulation innen drinnen ganz tief versteckt. Die Nervenverbindungsgeflechte sind dann nur vermessen, aber noch keineswegs verstanden.
Also wird uns die neurologische Forschung wohl bis auf weiteres nicht weiter helfen, wenn es um die Behandlung von psychischen Krankheiten geht. Hier muss man eben den einzigen Weg gehen, der hier machbar ist, und mit den Menschen reden, um herauszufinden wie es ihm geht, und um gemeinsam mit ihm Wege zu finden, wie er mit sich und der Welt wieder klar kommen kann. Die Medikamente werden nach wie vor nicht ausreichen, die Menschen wieder fit zu machen.
Was die Placebo-Wirkung von Psychopharmaka angeht, so ist es natürlich kostengünstiger gleich wirklich Placebos zu verwenden anstatt hochgelobte neue teure Antidepressiva, die dann doch kaum besser sind. Aber immerhin ist die Placebowirkung vom drum herum abhängig. Also wenn mir mein Psychiater die ganze Legende des neuen Neuroleptikums nahe bringt, und die Pille dann auch noch so hammermäßig auffällig wirkt, dass es mich als Patient erstmal umhaut, dann wird das auch mehr Placobo-Effekt haben. Nur eine Zuckerpille ohne Legende, von der ich zunächst nichts merke, ist da bestimmt schwächer im Placebo-Effekt als die 5 ml Haldol–Depotspritze. Das beeindruckt dann schon.
Was den Dualismus Körper und Seele angeht, wird uns vielleicht das Human-Brain Projekt weiterbringen. Sollte Bewusstsein mit einem geistigen kosmischem Bewusstsein verbunden sein (müssen), werden wir das irgendwann in den Komplett-Gehirn-Simulationen finden können. Das würde nebenbei ein Weg sein, künstliches psychisches Leben zu erzeugen, und Roboter mit Geist und Seele möglich machen. Nicht nur als Kopie der Natur in der Simulation, sondern, wenn man die Prinzipien dahinter versteht, auch als künstliche Konstruktion für beliebige Anwendungen. Science-Fiction kann auch Spaß machen, das sind doch Aussichten!
Man nimmt also ein komplexes System, das in in der Lage ist, sich über sich selbst zu äußern. Dann schaut man sich nur die Physis des Systems an, beeinflusst die Physis des Systems und behauptet dann, das hätte Einfluss auf die Psyche, die selbst aber nur eine sprachliche Beschreibung ist, für die Lücke zwischen nicht-reduziertem System und reduzierter Sichtweise auf ein- und dasselbe System? Und weil das noch nicht genug ist, versucht man herauszufinden, wie Physis und Psyche zusammenhängen (die reduzierte Systembeschreibung und der sprachliche Lückenfüller) ?
Das ist schon cool.
@Jeckenburger: Gegenwart und Zukunft
Das ist interessant: Denn im zweiten Satz räumen Sie ein, dass die Voraussetzungen für den ersten Satz noch gar nicht gegeben sind. Das nennt man eher Dogmatismus/Wunschdenken.
Ihre Äußerungen über das Human Brain Project erinnern mich doch sehr an die Erwartungen an das Human Genome Project: Und die haben sich heute, gut 20 Jahre danach, noch nicht ansatzweise erfüllt.
Es ist halt alles sehr komplex, ja ja.
P.S. Und da ich mich zufällig für einen Kurs gerade mit Eric Turkheimer beschäftige, einen der wenigen Psycho-Genetiker, die ich guten Gewissens empfehlen kann – meine Studierenden müssen das für ihre Klausur nächste Woche lernen: Ja, alles ist irgendwie biologisch, alles ist irgendwie erblich. Darum erklären unspezifische biologische Korrelationen, wie man sie tausend- und abertausendfach für allerlei psychische Störungen gefunden hat, eben so gut wie nichts.
Um einen “starken Biologismus” (strong biologism) zu rechtfertigen, bräuchte man einen “structurally or functionally localized biological process that explains some large part of the high-level phenomenon” (Turkheimer, 1998, S. 783). So einen hat man aber für psychische Störungen – und im Übrigen auch für die komplexeren psychologischen Prozesse – aber noch nicht gefunden.
@Stephan Schleim // Kunststück
Merke: Du sollst erst dann nach den biologischen Grundlagen psychischer Störungen fragen, wenn Du wenigstens eine psychische Störung allein mit dem Vokabular der Neurobiologen auf der zellulären Ebene beschreiben und erklären kannst.
Erst wenn Du dieses Kunststück vollbracht hast ist es Dir erlaubt, die biologischen Grundlagen psychischer Störungen zu erforschen und dafür Forschungsgelder einzuwerben.
Dein Philosoph wünscht Dir viel Erfolg!
@Balanus: Glaube & Forschung
LOL – oder besser: non sequitur!
Natürlich kann man danach suchen (forschen); aber das Ergebnis schon zu behaupten, bevor die Forschung abgeschlossen ist, das ist hier der springende Punkt!
@Stephan Schleim // Glaube
» …aber das Ergebnis schon zu behaupten, bevor die Forschung abgeschlossen ist, das ist hier der springende Punkt! «
Ah, ich glaube, jetzt verstehe ich: Du hältst offenbar die fundamentale Annahme oder Behauptung der Neurobiologen, dass es biologische Grundlagen für psychische Störungen geben muss oder gibt, für die Vorwegnahme möglicher Forschungsergebnisse.
Vielleicht kann man es so sagen: Die Annahme, dass es diese biologischen Grundlagen tatsächlich gibt, ist die Alternativhypothese zur Nullhypothese, die besagt, dass es keine solchen biologischen Grundlagen gibt.
Wenn die Nullhypothese falsifiziert werden kann, dann gilt die Alternativhypothese. Wenn nicht, dann haben wir es in der Tat mit psychischen Störungen ohne biologische Grundlage zu tun. Letzteres wäre ein wiklich spannendes, nobelpreiswürdiges Ergebnis…
@Dogmatismus/Wunschdenken
Ok, eigentlich glaube ich nur, dass das, was die Nervenzellen im Kleinen machen, dann auch mit komplexeren psychologischen Prozessen so geschieht, nur eben billionenfach komplexer. Ich weiß nicht, ob man eine Psychose in einer Komplettsimulation des Nervensystems überhaupt finden kann. Vielleicht ist eine Psychose weder Fehlfunktion noch Sonderfunktion, sondern einfach eine gesunde Reaktion auf Megastress und ungerechtfertigte Ausgrenzung. Oder zumindest größtenteils. Und überhaupt sind die verschiedenen Diagnosen wahrscheinlich eher Zufallskategorien mit wenig Entsprechung in der Realität der Gehirnprozesse.
Je mehr ich über die Realisierung der Komplettsimulation nachdenke, desto mehr hab ich den Eindruck, dass das erstmal noch sehr lange dauern wird, und man noch viel länger brauchen wird, bis man das versteht, wie die psychischen Fakten aus den Nervenzellaktionen zustande kommen. Wohl eher erst in 100 Jahren?
Ich selbst gehe ja davon aus, das Bewusstsein und noch einiges mehr im psychischen Geschehen durch immaterielle Effekte mitbedingt ist, aber ich kenne nicht die Grenze, wo die Mechanik aufhört und diese Effekte anfangen, die Regie zu übernehmen. Die Hoffnung, dass hier genaue und umfangreiche Gehirnuntersuchungen weiterhelfen ist nur eine Hoffnung, aber für mich eine durchaus Denkbare.
Was mittelfristig die Behandlung von psychischen Krankheiten angeht, sehe ich beim biologischen Aspekt auch keinerlei neue Perspektiven. Der Mensch selbst, so wie er von innen betrachtet lebt, muss respektiert werden, und dass er so leben kann, wie ein Mensch das braucht, da gehts wohl erst mal lang.
@Balanus: balanesisch über psychische Störungen
Nein, es geht nicht um die Frage, ob psychische Störungen neuronale Grundlagen haben. All unser Denken und Fühlen ist verkörpert. Körper ist Geist.
Es geht um die Aussage, dass psychische Störungen Gehirnstörungen sind, wie ich es hier schon zigmal dargelegt habe; eine aller Wahrscheinlichkeit nach falsche Aussage, die aber führende Biologische Psychiater wie Steven Hyman, Thomas Insel oder Joshua Gordon – also die letzten drei Direktoren des National Institute of Mental Health, der wohl größten Psychiatrieforschungseinrichtung weltweit – gebetsmühlenartig wiederholen.
Natürlich tun sie das mit finanziellen Interessen. Irgendwo müssen ihre Milliarden, die sie Jahr für Jahr bekommen, ja kommen, freilich aus Steuermitteln.
@Stephan Schleim;
Mir ergeht es ähnlich wie Balanus, Ihre Argumentation ist mir schleierhaft. Wenn etwas nicht gefunden wurde, bedeutet es nicht, dass es dieses Etwas nicht gibt. Das ist eigentlich trivial.
Es gibt unzählige Gründe und Erkenntnisse dafür, dass das psychische Erleben auf den biologischen Gegebenheiten gründet. Das bedeutet noch längst nicht, dass man alle relevanten Zusammenhänge erfolgreich erforschen kann. Die Qualia sind tatsächlich ein “hartes Problem”. Das ändert aber nichts an ihren biologischen, nach meiner persönlichen Meinung sogar physikalischen Fundamenten.
Eigentlich sind es nur noch religiöse oder esoterische Fundamentalisten, die den strikten Dualismus von Körper und Geist noch verteidigen und vertreten. Darüber kann man nicht mehr wirklich diskutieren, so wenig wie mit Gegnern der Evolutionstheorie. Da hilft dann auch keine Philosophie.
@Jeckenburger: Komplexität
Das mit der Komplexität wird meistens von den Reduktionisten als Schutzbehauptung angeführt, wenn man sie darauf hinweist, dass sie seit Jahrhunderten viel versprechen – aber so gut wie nichts liefern.
Das Tragische besteht für mich darin, dass weltweit zehntausende schlaue Menschen nach einer Nadel im Heuhaufen suchen, die es vielleicht noch nicht einmal gibt, während man heute schon viele Probleme tatsächlich lösen könnte. Und diese Forscher denken sicher auch, dass alles wahnsinnig komplex sei.
Aber seien wir uns dessen einig, ja, dass wir eine menschenfreundliche, gesunde Gesellschaft brauchen: Deutsche wollen weniger Stress – doch wie?
@Stephan Schleim;
Wie ich Ihrem letzten Beitrag entnehme, der zeitgleich mit meinem Beitrag entstanden ist, geht es Ihnen hauptsächlich um die Identifizierung von psychischen Störungen mit neurologischen Störungen. Das entspräche der Identitätstheorie, die jedoch längst aufgegeben wurde und von keinem seriösen Forscher noch vertreten wird. Das ist eigentlich zu banal, um darüber noch zu diskutieren. Ich finde in Ihren Beiträgen einen Hang zu unbegründeter Überheblichkeit, sorry!
@alle: Beispiel für den Neuro-Irrsin
Hier mal ein konkretes Beispiel, damit alle meinen Punkt verstehen und auch, warum ich so darauf beharre:
2012 berichteten Cory Burghy und Kollegen in Nature Neuroscience, dass mütterlicher Stress bei den Kindern zu Veränderungen im Gehirn (u.a. den Mandelkernen, Amygdalae) führen, die wiederum bei weiblichen Jugendlichen mit einem erhöhten Risiko für bestimmte psychische Probleme einhergehen.
Diese Studie ist bisher 163-mal im Web of Science zitiert, hat also seitdem zahlreiche andere Studien inspiriert. Der Neuro-Papst der Emotionsforschung Ahmad Hariri kommentierte das damals, ebenfalls in Nature Neuroscience, und träumt u.a. von Gentherapie für die betroffenen Jugendlichen. Ja sicher – weil wir ja auch schon so viele gute Beispiele für Gentherapien haben, wie sie uns vor dem Human Genome Project vollmundig versprochen wurden.
Zusammenfassend: Anstatt jetzt etwas dafür zu tun, dass Mütter weniger Stress erleben, rennt die ganze Biologische Psychiatrie weiter in ihre Neuro-Sackgasse in der Hoffnung, irgendwann (vielleicht in 20, 50, 100 Jahren?) die Mandelkerne von Mädchen genetisch zu therapieren, in denen es gar keine Störung gäbe, hätte man etwas gegen den Stress getan.
Warum tun die Psychiater das? Weil es für diese Forschung eben Geld gibt, viel Geld, und man das in Zeitschriften wie “Nature” publizieren kann, was wiederum für die Karriere wichtig ist.
Also wenn Sie mich fragen, dann grenzt das schon an unterlassene Hilfeleistung und fahrlässige Körperverletzung, wenn Psychiater so vorgehen – und dann auch noch mit öffentlichen Mitteln!
Deutsche wollen weniger Stress – doch wie?
Z.B. indem man Stress vermeidet.
@Reutlinger: Sie haben schlicht keine Ahnung, was in der Forscherwelt vorgeht, und projizieren dann Ihre Horrorvorstellungen (Dualismus, Fundamentalismus) auf mich. Danke, doch daran habe ich keinen Bedarf.
Lesen bildet! Sie können hier anfangen:
Thomas Insel: Faulty Circuits (Scientific American; gibt es auch in deutscher Übersetzung in Spektrum der Wissenschaft, finde ich aber gerade nicht)
Joshua Gordon: On being a circuit psychiatrist (Nature Neuroscience)
Das sind nicht irgendwelche Leute, sondern führende Persönlichkeiten der psychiatrischen Forschungslandschaft, die gebetsmühlenartig wiederholen, psychische Störungen seien Gehirnstörungen. Aber der Dogmatiker, der Fundamentalist, bin Ihrer Meinung nach ich. Ja klar.
Wenn Sie weiter im Zustand des Irrtums und der Unaufgeklärtheit verharren wollen, dann ist das freilich Ihre Entscheidung. Bitte haben Sie aber Verständnis dafür, dass ich mich jetzt wieder anderen Themen widme.
Das Beispiel mit dem mütterlichen Stress hilft Ihnen vielleicht auch weiter.
P.S. Reutlinger:
Jaja… Ich behaupte seit Jahren nichts anderes und habe vor einem Jahr sogar eine Aufsatzsammlung veröffentlicht, in der das Schritt für Schritt erklärt wird.
Sind Sie beim Lesen eigentlich bei Bewusstsein?! Oder wie machen Sie das?
Ich meine, dass jeder Philosophie studieren sollte der sich zu diesem Gebiet hingezogen fühlt, so wie jemand z.B. Chirurg werden möchte.
Für die Philosophen gäbe es genug Aufgaben die genauer und mit „modernen Methoden“ (z.B. der Elektronik/Informatik) erforscht werden sollten.
Weniger auf „Denkinhalte“ sondern auf „Methoden des Denkens“ sollte man das Augenmerk legen um die wegen der Geldverteilungsprobleme zunehmende „Kakophonie“ in der Wissenschaft und nicht nur in der Politik, wie sie einst Schröder beklagt hat, einzudämmen.
In der Philosophie möchte ich dieses Problem z.B. an der Sichtweise der (von Ihnen erwähnten) Philosophieprofessoren Thomas Metzinger und Nida Rümelin festmachen.
Nida Rümelin hält „harte künstliche Intelligenz“ für unrealistisch (unmöglich ??).
T. Metzinger befürchtet und warnt sogar davor, dass das „Leid auf der Welt“ unermesslich ansteigen könnte, wenn künstliche Systeme nicht nur intelligent, sondern womöglich auch noch empfindungsfähig werden, was er befürchtet.
Ich ziehe meine Erkenntnisse aus der objektorientierten Programmierung worauf Sie in Ihrem Eingangsstatement andeutungsweise eingegangen sind. Kleinste Fehler z.B. bei der „Deklaration der Objekte“ (was z.B. Begriffe genau bedeuten) können bewirken dass ein Computerprogramm seinen Programmierer „um die Ohren fliegt“. Bei (philosophischen) “Denkprozessen” kann es auch zu Widersprüchen kommen.
Zitat Stephan Schleim 4. Januar 2019 @ 23:27: „Ich behaupte, prinzipiell aufzeigen zu können, warum psychische Störungen nicht auf Gehirnstörungen reduziert werden können. Das ist aber gerade das zentrale Credo der der Biologischen Psychiatrie. Und ihre mehr als 170-jährige Geschichte des Versagens zeigt ja auch, dass es kein einziges positives Beispiel dafür gibt …“
Mich „stört“ der vage Begriff „Störung“. Der scheint Ursache für die unterschiedlichen Sichtweisen.
Der Begriff „Störung“ bedeutet eher eine „Hardwarestörung“, z.B. ein Kontaktfehler oder ein Kopfschuss. Es muss aber nicht zwingend ein Hardwaredefekt sein. Ein „Softwarefehler“ auf einer absolut intakten Hardware kann Funktionsfehler bewirken. Im Gehirn können „technisch“ absolut intakte synaptische Verknüpfungen schwere Funktionsfehler bewirken. Die kann man mit Messmethoden die zwar Hardwaredefekte erkennen aber keine Softwarefehler, nicht aufdecken. Softwarefehler beruhen auf „falsch“ (im Sinne von „korrekter“ Software) angelegten (synaptischen und logischen) Verknüpfungen.
Solange man nicht bereit ist, in der Art der (intakten) Verknüpfungen „Software“ zu erkennen (Dualismusproblem) und auf das grundsätzliche Konzept der Elektroniker /Informatiker, Prozessor, Prozess und Information aufzubauen, scheint mir keine vernünftige, möglichst vom Widerspruch weitestgehend freie Aussage, möglich.
Als Elektroniker kann ich verstehen, warum man den „Dualismus“ ablehnt. Einfach deswegen, weil Information normalerweise gemeinsam mit „angreifbarer Materie“ auftritt und die Information nicht eigenständig erscheint.
Elektroniker „entkoppeln“ aber stets ihre Objekte von jeglicher Materie und behandeln nur die „informellen“ Objektkomponenten, z.B. beim Telefon oder Radio.
Vom Gesprächspartner in New York empfängt man nur die auf Information beruhenden Sprachmuster, man erkennt den Partner an der Stimme und versteht was er sagt, aber es wird nicht das kleinste Stäubchen realer angreifbarer Materie, kein Molekül und auch kein Atom übertragen.
Die vielfältigen Methoden der Abspaltung (und späteren Verarbeitung) der „reinen“ Information und der Prozesse vom ursprünglichen Objekt ist für Elektroniker, noch mehr als für Informatiker, der alltägliche Job und völlig selbstverständlich.
Psychische „Störungen“ dürften letztlich vom Gehirn gesteuert werden. Selbst wenn ein äußerer Anlass, z.B. ein traumatisches Erleben, Ausgangspunkt ist.
Elektroniker
erst einmal ein gesundes Neues Jahr 2019 !
Ihr Denkansatz, dass die Hardware und die Software in einem Computer die gleichen Aufgaben vollbringen, ist sehr gut. Tatsächlich ist die Software ja nur eine andere Form der Hardware, strukturell aber gleich, wenn die Hardware geignet ist, die Sofware zu emulieren.
Und so ist das auch in unserem Gehirn. Das Gehirn kann alle möglichen Sinneseindrücke verarbeiten. Und das Gehirn kann sich den verändernden Bedürfnissen anpassen.
Das geschieht kurzzeitig über das Abspielen von vorhergehenden Ereignissen (Erinnerung) um eine Entscheidung parat zu haben.
Langfristig führt das Abspielen von Erinnerungen auch zu einer Veränderung des Gehirnes selbst, eine Gehirnpartie wird besser durchblutet und bildet neue Neuronen aus.
Herr Schleim
ein kleiner Einblick wie ein Computerprozessor funktioniert, schafft die notwendige Struktur. Der Streit , ob “Störungen” biologisch oder psychisch zu erklären sind, verliert damit seine Grundlage. Es sind beide Möglichkeiten vorhanden und werden vom Menschen auch genutzt.
@Elektriker: Hardware/Software
Danke, Ihre Kommentare sind hier immer eine erfrischende Ergänzung und darum gerngesehen.
Ich bin allerdings kein Befürworter der Hardware-Software-Metapher des Gehirns. Ich denke vielmehr, dass die “Hardware” des Gehirns die “Software” ist. Es gibt hier keinen Dualismus.
Dem stimme ich zu mit der Ergänzung, dass das Gehirn keine Konstante ist, sondern ein dynamisches/plastisches Organ, das Permanent durch äußere Reize beeinflusst und in diesem Sinne auch gesteuert wird.
Warum reagiere ich hier auf Ihren Kommentar? Weil er in meinem Blog erschien und ich ihn da gesehen habe. (Und, freilich, weil ich den in meinem Körper realisierten Persönlichkeitszug habe, dass ich auf ernst gemeinte Kommentare gerne antworte.) Ohne Ihren Kommentar gäbe es diesen Kommentar von mir nicht, obwohl ich sonst das gleiche Gehirn habe. Irgendwie komisch? Nein, logisch!
Aber noch einmal in aller Deutlichkeit: Dass psychische Störungen keine Gehirnstörungen sind, ist ein begriffliches Argument.
@ Schleim Zitat: „Ich bin allerdings kein Befürworter der Hardware-Software-Metapher des Gehirns. Ich denke vielmehr, dass die “Hardware” des Gehirns die “Software” ist. Es gibt hier keinen Dualismus.“
Dies scheint noch der Mainstream in der Hirnforschung. Roth und Singer aber auch die „uralten“ Elektroniker (für die die Struktur einer Schaltung nicht eigenständig ist und auch nicht als eigenständig betrachtet werden kann) würden es genauso sehen wie Sie.
Das Problem ist nur, ohne „Mathematisierung“ des Sachverhaltes (dass man die Struktur z.B. mittels der Boolschen Schaltalgebra und mittels Programmiersprachen abbilden und abstrakt behandeln kann) kommt man in der Informationsverarbeitung nicht wirklich weiter. Außer mittels (eigentlich unseriöser) Basteleien durch Versuch und Irrtum (war früher auch in der Elektronik so). Abgesehen davon dass die Versuchsergebnisse statistisch auf den Erfolg getestet werden, noch kaum Simulationen erfolgen, herrscht die Versuch-und-Irrtum-Methode in der Neurologie/Psychiatrie vor.
In der Physik und Technik hat man frühzeitig begonnen Sachverhalte in Komponenten zu zerlegen um weiterzukommen. Z.B. werden in der Statik höchst erfolgreich Kräfte in Teilkomponenten zerlegt um diese Kräfte z.B. mittels (genau berechneter) Tragwerke zu kompensieren und einen Gleichgewichtszustand zu erreichen, damit eine Brücke oder ein Hochhaus nicht zusammenkracht.
Praktisch alles wird heutzutage in der Technik berechnet, jede Schraube im Flugzeug, jedes Stück Eisen im Beton, jede Ausfallswahrscheinlichkeit, jeder Transistor, jeder Sensor oder Motor….
So gesehen war es allerhöchste Zeit dass auch Hirnforscher daran gegangen sind die Hirnprozesse im HBP zu „mathematisieren“.
Wie Bote 19 meint, wird tatsächlich die Software (Information, Gedanken…) auf Hardware (Neuronenverbände) „emuliert“. So wie man auch umgekehrt in der Informatik Hardware auf Software emulieren kann.
Es ist Sinn der längst fälligen „Mathematisierung“ in der Neurologie/Psychiatrie (die eigentlich mehr als nur ein Metapher zur Elektronik/Informatik ist) diese Beziehungen (unter Zwischenschaltung der Mathematik) herstellen, erforschen und real nachbilden zu können.
Gleichzeitig wird ein grundsätzliches Verständnis der Denkprozesse ermöglicht, zumal W. McCulloch schon 1943 erklärt hat, dass logische Gatterfunktionen ein neuronales Äquivalent haben und Turings Gesetzmäßigkeiten bezüglich der „Turing Berechenbarkeit“ gelten.
Zitat @ Bote 19: „Der Streit , ob “Störungen” biologisch oder psychisch zu erklären sind, verliert damit seine Grundlage. Es sind beide Möglichkeiten vorhanden und werden vom Menschen auch genutzt.“
Ich möchte hinzufügen, dass durchaus zu meiner Verblüffung, auch andere Psychologen/Psychiater bereits der Meinung von „Bote 19“ (und meiner Meinung) sind.
@Stephan Schleim // verkörpertes Denken und Fühlen
» Nein, es geht nicht um die Frage, ob psychische Störungen neuronale Grundlagen haben. «
Doch, um die geht es. Denn allem Anschein nach versteht man außerhalb Balanesiens diesen schlichten Satz etwas anders als eben dort.
In deinem verlinkten Beitrag Körper ist Geist heißt es z. B. an einer Stelle:
» An mentaler Verursachung ist auch nichts Mysteriöses. Man braucht sich nur einen Wald vorzustellen, schon entstehen entsprechende Gehirnaktivierungen; «
Vielleicht ist das nur etwas unglücklich formuliert, vielleicht offenbart sich hier aber auch eine grundlegend andere Auffassung über das Verhältnis von Körper und „Geist“ als es im naturwissenschaftlich orientierten Balanesien offenkundig der Fall ist.
Denn was geht vor, wenn „man“ sich etwas vorstellt? Es ist ja nicht so, dass ein Gedanke neuronale Aktivitäten erst hervorruft, also den Gehirnaktivitäten sozusagen vorausgeht, sondern der Gedanke ist bereits neuronale Aktivität. Genau genommen geht die neuronale Aktivität dem Bewusstwerden des Gedankens sogar voraus.
Das heißt, an der „mentalen Verursachung“ ist in der Tat nichts „Mysteriöses“, es gibt sie einfach nicht (im eigentlichen Wortsinne—im übertragenen Sinne gibt es sie schon, wie unser alltäglicher Sprachgebrauch zeigt).
Es fällt mir schwer, über die Kurzformel: „psychische Störungen sind Gehirnstörungen“ zu diskutieren. Dazu müsste ich erst einmal die entsprechende Literatur lesen, was genau damit gemeint ist, was dahinter steckt, was unter „Psyche“ verstanden wird, was unter „Störung“, und so weiter und so fort (es geht hier ja wohl um mehr als um Begrifflichkeiten und sprachliche Logik, oder?). Das heißt, ich müsste erst mal sicherstellen, dass diese Formel nicht bloß als Strohfrau dient, weil sie so schön angreifbar erscheint. Denn wenn Wörter noch eine bestimmte Bedeutung haben, dann ist Psyche selbstredend Psyche und Gehirn selbstredend Gehirn, was denn sonst.
Was also soll mit dieser Kurzformel ausgesagt werden?
So aus dem Stand heraus, ohne tiefere Kenntnis der Materie, würde ich meinen, dass es im Kern um das geht, was (der Nobelpreisträger!!! 😉 ) Eric Kandel gesagt haben soll: »All mental processes are brain processes, and therefore all disorders of mental functioning are biological diseases«.
Das ist natürlich eine sehr reduzierte (vereinfachte) Sicht der Dinge, die im praktischen Leben nicht viel weiterhilft. Aber falsch ist sie nicht, da beißt die Maus keinen Faden ab.
Im verlinkten Aufsatz von Ryan Bogdan & Ahmad R Hariri (Neural embedding of stress reactivity) habe ich übrigens, beim Überflug, nicht die Stelle finden können, wo die Autoren u. a. von einer Gentherapie für betroffene Jugendliche „träumen“.
Andererseits scheint mir der Gedanke, den betroffenen Jugendlichen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln helfen zu wollen, auch nicht sonderlich abwegig zu sein. Wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, dann holt man es erst einmal heraus. Und sorgt dann dafür, dass Kinder nicht mehr hineinfallen können.
@Tobias Jeckenburger // 10. Januar 2019 @ 00:44
»Ich selbst gehe ja davon aus, das Bewusstsein und noch einiges mehr im psychischen Geschehen durch immaterielle Effekte mitbedingt ist, aber ich kenne nicht die Grenze, wo die Mechanik aufhört und diese Effekte anfangen, die Regie zu übernehmen.«
Das wundert mich nicht, dass Sie die Grenze nicht kennen, keiner kennt sie. Das Problem mit dem Immateriellen ist, dass es mit dem Materiellen nicht wechselwirkt (wenngleich ich zugeben muss, dass dies noch niemand nachgewiesen hat—sozusagen eine weitere unbelegte Behauptung der Materialisten, die diesbezüglich einfach nicht liefern können).
Was die angesprochene Komplexität der sogenannten mentalen Prozesse betrifft, da haben Sie natürlich völlig recht. Ich halte das menschliche Gehirn für das komplexeste nur 1,5-kg schwere Gebilde im bekannten Universum.
Balanus
“All mental processes are brain processes, and therefore all disorders of mental functioning are biological diseases«. ”
Oberflächlich betrachtet stimmt das so, aber nur oberflächlich.
Der Knackpunkt ist, dass man nicht weiß, wie Gedanken abgespeichert werden.
Und wie sagt es der Voksmund so treffend : mir schoß ein Gedanke durch den Kopf.
Das bedeutet, dass der Gedanke keine neue Struktur bei den Neuronen geschaffen hat, sondern, dass der Gedanke schon einen bestehenden Weg genommen hat.
Und damit gehören die Gedanken informationstechnisch gesehen zu der Software.
Der Gedanke besteht nur für kurze Zeit, wenn er nicht abgespeichert wird. Wie dieses Abspeichern biologisch aussieht, weiß man noch nicht mal ansatzweise.
Die Diskussion ist reine Spekulation.
Die Hardware, das Gehirn ist Voraussetzung, aber das Gehirn darf nicht mit dem Gedanken verwechselt werden. Der Gedanke ist mehr, er kann sogar schöpferisch sein, also etwas Neues, was es vorher nicht gab.
@Elektriker: Von Schrauben und Menschen
Danke nochmals… Ich denke, dass man in der neuronalen Welt mit ihrer zeitlichen Dynamik und tausenden Kopplungen- und Rückkopplungen pro Zelle schnell an die Grenzen der mathematischen Beschreibung stößt, zumindest bei heutigem Wissen.
Das HBP muss hier nach meinem Eindruck erst noch zeigen, dass es die Versprechen einhalten kann – die Hälfte der Zeit ist ja nun schon rum. Aber wenn man im Antragstext nachschaut, das haben wir hier im Blog mal gemacht, dann stellt man fest, dass die Aussagen bezüglich der in PR-Aktionen so hochgehaltenen “Simulation eines menschlichen Gehirns im Supercomputer” doch sehr zurückhaltend formuliert sind.
Kann man aber wirklich sagen, dass in den Neurowissenschaften (und auch der Psychologie) nicht simuliert oder berechnet wird, wo es heute doch “Computational”-Teildisziplinen für alles gibt?
Aber das Problem ist dabei meines Erachtens, dass man dann vielleicht viel korrelieren, klassifizieren und vorhersagen kann, aber verstanden hat man dadurch so gut wie nichts… Und das gilt doch allgemein für die heutige KI-Forschung:
Die Geister, die wir rufen: Künstliche-Intelligenz-Algorithmen als neue Alchemie
Bote19;
Über das Gedächtnis ist heute schon sehr viel bekannt. Man weiß, dass der Hippokampus maßgeblich beteiligt ist, dass es eine sogenannte Langzeitpotenzierung gibt. Das Gedächtnis hat in der Tat eine zentrale Funktion für das menschliche Bewusstsein.
Was genau sind Gedanken? Das Hauptproblem ist der Umgang mit Begriffen, die historisch überkommen sind und alltäglich in vielen Bedeutungen gedankenlos benutzt werden. Hier kann die Sprachphilosophie helfen, die Begriffe zu analysieren. Um über die Sprache oder über Begriffe zu reden, braucht man wiederum die Sprache selber als Metasprache. Aus diesem Dilemma kommt man nicht heraus, man muss sich dessen bewusst sein.
Prinzipiell muss man unterscheiden zwischen der Bedeutung und dem Sinn von Begriffen oder Informationen/Gedanken. Der Begriff der Angst als Beispiel ist für alle Menschen gleichbedeutend, aber der Sinn ist unterschiedlich, weil Ursachen und Formen der Angst individuell unterschiedlich sind. Gerade bei Begriffen der Psychologie muss untersucht werden, welche Bedeutung und welchen Sinn sie haben, worin genau ihre objektive und konkrete Bedeutung liegt.
Jedermann weiß was Nebel ist. Man kann mystische Vorstellungen, Gedanken und Ängste damit verbinden und literarisch darstellen. Jedermann weiß aber auch, dass er nicht geheimnisvoll oder immateriell ist, sondern aus winzigen Wassertröpfchen gebildet wird. Hier kennen wir die Verbindung vom Psychischen/Phänomenalen zum Physischen unzweifelhaft, weil man jeden Zwischenschritt in der Entstehung und Präsenz des Phänomens Nebel psychologisch oder epistemologisch und physikalisch untersuchen und bezeichnen kann.
Hier käme niemand auf die Idee, von einem Materie-Geist-Problem oder einem Substanzdualismus zu reden. Das Hirn dagegen kann weder in seiner Entstehung noch in seiner Operationsweise direkt beobachtet werden. Hier fehlen die Zwischenschritte vom psychischen Phänomen zur physischen Funktion. Man kennt jedoch unzählige Formen physischer Reize, die psychische oder mentale Reaktionen hervorrufen. Man weiß auch, dass ein Mangel an physischen Reizen zu psychischer Verarmung führt, Stichwort Hospitalismus.
@ Balanus
In der Informatik kann steuerbaren Prozessen (z.B. wechselwirkenden Relaisschaltungen, Flip Flopschaltungen….) gezielt Information „zugeordnet“ werden, Information wird darauf sozusagen im mathematischen Sinne „abgebildet“. Darauf „baut“ die elektronische Informationsverarbeitung, meiner Meinung nach im Sinne McCullochs auch in neuronalen Systemen, auf. Der „Schatten“ der Information „wechselwirkt“ sozusagen mit der Materie. Nicht Materielles wird sozusagen mittels elektronischer Schaltungen, ich würde fast sagen „trickreich“, „interpretiert“. Man nennt derartige Schaltungen auch „Interpreter Schaltung“.
Ich habe allerdings einmal im Internet (möglicherweise sogar in den scilogs) eine sogar für mich plausible Aussage gefunden, warum theoretisch Materie nicht mit Information wechselwirken könne. Habe diesen Text leider nicht abgespeichert und auch nicht mehr gefunden, was mich immer wieder frustriert. Kann daher keine Brücke zur „Elektronikersicht“ finden, für die Wechselwirkungen zwischen Prozessor, Prozess und Information selbstverständlich und alltäglich sind.
Ich vermute die „Materialisten“ haben den Materiebegriff so „zurechtgebogen“ dass der Materialismus in sich sozusagen „stimmig“ bleibt, wobei jedoch gewisse Sachverhalte ungeklärt bleiben müssen, die sich mit dem Konzept der Wechselwirkungen zwischen Prozessor, Prozess, Information leicht erklären lassen.
@ Schleim
Die Problematik um Grenzen der mathematischen Beschreibung sehe ich wie Sie. Grundlagen für eine Computersimulation (des Gehirns) sollten jedoch geschaffen werden, selbst wenn man die Simulationen selbst erst später bei sinkenden Hardwarekosten realisieren kann.
Den letzten Punkt sehe ich nicht so aussichtslos.
Zitat: „Aber das Problem ist dabei meines Erachtens, dass man dann vielleicht viel korrelieren, klassifizieren und vorhersagen kann, aber verstanden hat man dadurch so gut wie nichts… Und das gilt doch allgemein für die heutige KI-Forschung:“
Wenn derartige KI Programme auf herkömmlichen (von Neumann Rechnern) ablaufen, kann man die Prozessschritte z.B. protokollieren und danach per Software auswerten lassen, ähnlich wie z.B. ehemals beim Reengineering von Computersoftware.
Man könnte bei zu umfangreichen (KI) Berechnungen besondere Kommentierungen in den KI Programmcode aufnehmen, so dass das KI Programm selbst „erklärt“ wie es zu bestimmten Ergebnissen kommt. Es ist eine Frage des Entwicklungsaufwandes.
Verständnis baut auf die Nachvollziehbarkeit des Prozessgeschehens.
Ich vermute, es könnte (auch auf Grund zufälliger eigener Erfahrungen in meiner persönlichen Umgebung) tatsächlich mindestens 2 Typen von Menschen geben, von denen „Trice“ immer wieder spricht.
Es scheint („Beziehungs“) Typen zu geben, die z.B. Informationsverarbeitung nach dem Prinzip der Excel Arbeitsblätter gut beherrschen, aber die prozedurale Programmierung nur schwer verstehen können.
Umgekehrt scheint es auch „Prozedurale“ Typen zu geben. Diesem Typ wird das Geschehen erst so richtig klar, wenn er das Prozessgeschehen (z.B. im Quellcode) nachvollziehen kann.
@Elektroniker: Neuronale Netze usw…
…können doch nichts Anderes, als die berechenbaren Funktionen zu berechnen. Wurde das nicht schon formal bewiesen? Sie tun es aber eben auf solche Weise, dass sie für manche Problemlösungen viel pragmatischer sind als ein expliziter Algorithmus.
Aber selbst wenn man so ein System hinterher in mühsamer Kleinstarbeit auseinandernimmt, um mehr über seine Funktionsweise zu lernen, was erklärt uns das über das ursprüngliche Phänomen, z.B. wie wir denken?
Ich fand es interessant, als das Go-System den Go-Meister geschlagen hat. Da hieß es, das System habe Züge gewählt, mit denen keiner gerechnet habe. Tatsächlich können Menschen also Neues (neue Strategien bei einer bestimmten Problemlösung) dadurch lernen. Dafür braucht man aber wiederum nicht zu verstehen, wie es das macht.
Sie wissen sicher viel mehr von der Anwendungsebene; aber mir kommt es doch so vor, als hätten wir es vor allem mit immer mehr vom Gleichen zu tun.
@all: Gehirnstörungen
Hier kam mehrmals die Frage auf, was es denn heißen soll, dass psychische Störungen Gehirnstörungen sind, beziehungsweise herrschte Verwirrung darüber.
Darf ich alle, die an der Diskussion hierzu interessiert sind, in den neuen Blogbeitrag einladen: Antwort auf die Frage: Was heißt es, dass psychische Störungen Gehirnstörungen sind?
Zitat @ Schleim: „Aber selbst wenn man so ein System hinterher in mühsamer Kleinstarbeit auseinandernimmt, um mehr über seine Funktionsweise zu lernen, was erklärt uns das über das ursprüngliche Phänomen, z.B. wie wir denken?“
Der Frage, wie wir denken, könnte man näher kommen, wenn man versucht vergleichbare Systeme zu finden die man näher untersuchen kann und die man bereits bestens versteht. Dies ist ein bekanntes Verfahren um neue Erkenntnisse zu gewinnen.
McCulloch hat herausgefunden, dass sich ein Neuron, ganz grob (es gibt einige größere Unterschiede) ungefähr wie eine logisches Gatter verhält.
Vor rund 50 Jahren waren Gatteranordnungen ganz wesentlich in der Industrie zur elektronischen Steuerung von Fabrikanlagen, letztlich einer Art von Informationsverarbeitung eingesetzt.
Als danach auch noch E. Kandel erklärt und nachgewiesen hat wie die (synaptische) Wissensspeicherung funktioniert, war für Elektroniker zu erahnen was die Grundlagen der Denkprozesse sind.
Die Elektronik hat sich zur Prozessortechnik weiterentwickelt. Man kann die Signalverarbeitung in kaskadierten Gatteranordnungen (zumindest als Elektroniker) nachvollziehen. Noch dazu wenn erklärt wurde, wie die synaptischen Verknüpfungen entstehen.
Entsprechende Verknüpfungen (Lötpunkte) für eine Prozessteuerung werden in der Elektronik vom Techniker geplant, in der Neurologie entstehen sie gemäß der Erkenntnisse von E. Kandel.
Die Sensorik liefert die Eingangsimpulse, über die Verknüpfungen wird der Output generiert und den Muskeln zugeführt.
Diese Prozesse sind im Prinzip, wenn auch nicht in jedem Detail, Neurologen aber auch manchen interessierten Ärzten zumindest oberflächlich bekannt.
Wenn auch noch Erkenntnisse aus der Computertechnik einbezogen werden, erhält man ein grobes Gesamtbild über die Funktionen. Selbst das Auftreten vom (informellen) Bewusstsein auf bestimmten Stellen der Struktur wird erklärbar. Nicht aber das Auftreten des Empfindungsphänomens, was allenfalls künstlich erzeugt, aber so wie z.B. die Schwerkraft nicht wirklich verstanden werden kann.
@Balanus 10.01.2019 19:12
Wenn das Immaterielle mit dem Materiellen nicht wechselwirken könnte, könnten wir entweder vom Imateriellen nichts mitbekommen, wenn wir selber materiell sind. Oder wir könnten vom Materiellen nichts mitbekommen, wenn wir selber immateriell sind.
Also wenn ich sowohl Immaterielles als auch Materielles in der Welt oder in mir selbst beobachte, kann das nur von der Art sein, dass das Immaterielle tatsächlich auch mit dem Materiellen wechselwirken tut.
Ich habe vor Jahren Experimente mit computergenerierten Bildern gemacht, in denen ich große Mengen Zufallszahlen für die Bildentwicklung verwendet habe. In der Hoffnung, dass Zufallszahlen, die aus der Quantenphysik kommen, besser sind als mathematische Pseudozufallszahlen, habe ich mittels einer Fernsehkarte analoges Rauschen aufgenommen, und aus dieser Datei dann die Zufallszahlen gezogen. Für jeden Programmlauf habe ich mir frische Zufallszahlen gezogen, damit das auch funktionieren kann. Das Ergebnis war dann tatsächlich, das diese Bilder besser aussahen, wenn ich die Analogen Zufallszahlen verwendet habe. Die Vergleiche mit den Programmläufen mit Pseudozufallszahlen taugten deutlich weniger.
Die Ergebnisse waren immerhin bessere Bilder. Ich stell mir aber vor allem vor, dass wir in einem intelligenten Universum leben, das über eine Art kosmisches Bewusstsein verfügt, mit dem unser lokales Bewusstsein verbunden ist und wovon wir letztlich auch ein Teil sind. Die Verbindungsstelle von „Seele/Bewusstsein“ und Gehirn sind dann wohl auch die vielen Zufallsprozesse, die in dem Geschehen auf der Ebene der Nervenzellen eine wesentliche Rolle spielen dürften. So wie in ganz kleinen Rahmen mit meinen Computerbildern.
Soweit meine Idee, wie Immaterielles mit Materiellem wechselwirken kann.
Inwieweit die Strukturen, die das Wachbewusstsein bilden, auf Gehirn und Geisteswelt verteilt sind, ist unbekannt, könnten aber in einer Komplettsimulation des Gehirns zu Tage treten und identifiziert werden. So schwer die Aufgabe auch ist, diese Komplettsimulation zu erstellen und auch zu verstehen, bin ich doch gespannt auf die Ergebnisse, auch wenn ich fürchte, das ich das nicht mehr erleben werde, weil das wohl eher noch Jahrhunderte als Jahrzehnte braucht.
Was die Behandlung von psychischen Krankheiten angeht, ist da die Gehirnforschung wohl mittelfristig ziemlich unnütz. Der Mensch selbst, so wie er von innen betrachtet lebt, muss respektiert werden, und dass er so leben kann, wie ein Mensch das braucht. Da gibt es was zu tun, dafür sollten Forschungsgelder fließen.
Hier ein paar von meinen Experimenten (die mit den analogen Zufallszahlen):
http://www.geier-wg.de/jeckenburger/mand2/index0.php
@Stephan Schleim: Sie plädieren dafür die psychiatrische/biologische Forschung im Zusammenhang mit psychiatrischen Erkrankungen aufzugeben zugunsten von sozial/psychischen Interventionen. Meiner Meinung nach ruhen aber bei schweren psychischen Erkrankungen wie einer Bipolaren Depression die Hoffnungen dennoch auf neuen Erkenntnissen über Prozesse im Hirn, denn auch psychisch/soziale Interventionen haben in schweren Fällen nur sehr bedingt Erfolg.
Was polygene Risikofaktoren betrifft, so werden die für sehr viele und immer mehr Erkrankungen sowieso erstellt. Risikofaktoren bedeuten meist nur eine erhöhte Vulnerabilität. Das Wissen um eine erhöhte Vulnerabilität kann aber bei der Prophylaxe hilfreich sein, selbst wenn man vor allem auf soziale/psychische Interventionen setzt.
Dass biologische Prozesse direkt oder indirekt eine Rolle bei schweren psychiatrischen Erkrankungen eine Rolle spielen, dafür spricht auch die Schwere des Krankheitsbildes in vielen Fällen. Bei akuten Schüben von Erkrankungen aus dem depressiven und schizophrenen Formenkreis sind die Patienten zudem kaum beeinflussbar – oft weder mit heutigen Medikamenten noch mit Gesprächstherapien oder anderen psychologischen Therapieverfahren.
Das alles spricht dafür, die Forschung von Hirnprozessen, die hier eine Rolle spielen, weiterzuführen.
Es zeigt sich immer wieder, dass selbst nach langjährigen Phasen von wenig klinischen Fortschritten plötzlich ganz neue Einsichten und Therapien auftauchen. Bei Krebs beispielsweise die Immuntherapie. Bei Migräne und Multipler Sklerose gab es in jüngster Zeit ebenfalls deutliche Fortschritte. Schwere psychiatrische Erkrankungen gehören nicht zu einer ganz anderen Kategorie, auch bei ihnen besteht die Chance auf naturwissenschaftlich/klinische Erkenntnisgewinne, die schliesslich in Therapien resultieren. Zudem gibt es keinen Widerspruch solcher Forschung zu psychisch/sozialen Interventionen. Die heutige Psychiatrie ist jedenfalls bereits stark psychotherapeutisch orientiert und bemüht sich auch die Patienten wieder ins normale Leben zurückzuführen.
@anton reutlinger (Zitat): Was genau sind Gedanken? … Hier kann die Sprachphilosophie helfen, die Begriffe zu analysieren.
Das scheint mir ein gutes Beispiel dafür, dass eben Philosophie bei der Begriffsbildung in der Naturwissenschaft wenig hilft. Denn die Naturwissenschaft beginnt nicht mit Begriffen aus dem Alltag (wie etwa dem Begriff “Gedanken”), sondern mit Begriffen, die der Untersuchung entspringen. Wenn man beispielsweise Hirnprozesse untersucht, so findet man dort zuerst einmal keine Gedanken sondern elektrische und chemische Aktivität. Eine Beziehung zum Begriff “Gedanken” herzustellen gelingt erst in einem fortgeschrittenen Stadium der Forschung und es kann sich sogar herausstellen, dass die Forschung dann zum Schluss kommt, dass beispielsweise der Begriff “Gedanke” nicht unbedingt weiterhilft oder gar vermieden werden sollte. Beispielsweise weil im Forschungsprozess bessere Begriffe gefunden wurden.
@Holzherr: Kompromiss
Das könnte ich so ja fast als Kompromissvorschlag stehen lassen…
…aber dann bitte mit der Ergänzung, dass die Forschungsförderung viele Ansätze möglich machen muss und nicht nur diesen einen. Dafür ist das Thema schlicht zu wichtig.
@Tobias Jeckenburger // 11. Januar 2019 @ 12:42
» Also wenn ich sowohl Immaterielles als auch Materielles in der Welt oder in mir selbst beobachte, kann das nur von der Art sein, dass das Immaterielle tatsächlich auch mit dem Materiellen wechselwirken tut. «
Was genau beobachten Sie denn an Immateriellem? Meinen Sie Gefühle oder Sinneseindrücke (Farben, Töne, Gerüche)? Ihre Erläuterungen mit den Zufallszahlen kann ich leider nicht nachvollziehen (ist vielleicht auch nicht so wichtig). Viele Ihrer Bilder aber erinnern mich an Querschnitte durch Pflanzenstängel oder Wurzeln. Organische Muster also, die durch Selbstorganisation entstanden sind.
»Was die Behandlung von psychischen Krankheiten angeht, ist da die Gehirnforschung wohl mittelfristig ziemlich unnütz.«
„Unnütz“, das klingt hart. Aber wenn irgendwann einmal irgendein klinischer Nutzen bei der ganzen Forschung herauskommen soll, dann muss man eben weiter forschen. Und selbst, wenn es nie einen klinischen Nutzen gibt wird, sollte man weiter die Funktionen des Gehirns erforschen. Welchen praktischen Nutzen hätte denn die Astronomie?
@Balanus 11.01.2019 22:17
Es gibt generell Schutzengelereignisse, Vorahnungen und Telephatische Effekte, die im Leben vieler Menschen vorkommen. Diese wären in der Art, dass man hier annimmt, das immaterielle Einflüsse auf die Materie Einfluss nehmen.
Wenn man Wachbewusstsein als immateriell annimmt, würde dieses dann auf das matirelle Gehirn wirken. Oder eben kann Wachbewusstsein auch als Synthese von Gehirnfunktionen und Teil des Kosmischen Bewusstseins gesehen werden.
Gerade im Bereich Geistiges Heilen gibt es noch Geisteswesen und Energien, die immateriell gemeint sind und auch Einfluss auf den Menschen nehmen, entweder auf den Körper und das Nervensystem, aber auch direkt von Geist zu Geist.
Auch die Energiebahnen, deren Energiefluss durch die Akupunktur mit Nadeln verbessert werden sollen, sind wohl immaterieller Natur und wirken doch entscheidend auf Körper und Psyche, zumindest dem Konzept nach. Die materiellen Nadeln sollen hier wirken und über die Energiebahnen das System Mensch insgesamt heilen. Das bezahlt sogar die Krankenkasse, weil die Wirkung erwiesen ist. Das Konzept ist nicht erwiesen, aber doch beachtenswert, finde ich.
Was den Nutzen der Hirnforschung angeht, so finde ich diese auch ohne Nutzen sehr spannend. Astronomie finde ich noch viel spannender. Da soll man ruhig fleißig forschen, die Neugier ist eine starke Kraft im Leben, die selbst Motiv genug ist, auch ohne konkreten Nutzen.
Aber die Erforschung der sozio-psychologischen Wechselwirkungen im ganzen Zusammenhang des menschlichen Lebens ist auch spannend, und da sind deutlicherer und schnellerer Nutzen für psychisch Kranke zu erwarten. Gerade weil dieses Thema in den letzten Jahrzehnten vergleichsweise immer noch völlig vernachlässigt wurde. Wir müssen uns in der Selbsthilfe viel mit diesem Ansatz beschäftigen, weil das Hilfesystem hier nicht aktiv genug ist. Auch eine Psychologie, die das Individuum zu sehr in den Mittelpunkt setzt, könnte mehr soziologischen Blickwinkel vertragen.
@Tobias Jeckenburger // 12. Januar 2019 @ 15:25
Aus meiner Sicht gibt es „generell“ weder „Schutzengelereignisse“ noch „telepathische Effekte“.
Naturwissenschaftler können sich nun mal nur mit Dingen beschäftigen, die physikalisch messbar sind. Alles andere ist für sie spekulative Metaphysik.
Dass Placebos und Akupunktur messbare Effekte zeitigen können, passt ins Bild, dafür brauchen wir keine Annahmen über immaterielle Einflüsse oder Wirkweisen.
Aber schön, dass wir beim Nutzen der Grundlagenforschung einer Meinung sind: Wissen schaffen besitzt einen Wert an sich.
@Balanus 13.01.2019 13:17
Wenn man nur einen Hammer hat, sieht jedes Problem wie ein Nagel aus.
Wenn sich Wissenschaftler entscheiden, ausschließlich regelmäßige Probleme, möglichst mit einfachen mathematischen Zusammenhängen, zu erforschen, dann müssen sie auch damit leben, dass es dann neben der Wissenschaft noch weitere Fachgebiete gibt, die sich alternativ mit der sonstigen Wirklichkeit auseinander setzen, und damit den ganzen unregelmäßigen Kosmos ohne Beteiligung der Wissenschaft bearbeiten.
Also Homöopatie, Akupunktur, das Universum der Anthroposophen, Buddismus, evangelisches Christentum, katholisches Christentum, die Ideologie des Nationalsozialismus usw.
Die Psyche selbst ist ein gutes Beispiel für einen von Grund auf unregelmäßigen Forschungsgegenstand, der wie hier im Blog vielfach beschrieben, eben nicht auf neurologisch einfacher Regelmäßigkeitsebene sinnvoll zu erfassen ist. Eine rein auf einfache Regelmäßigkeiten schielende Forschung ist hier hilflos.
Wenn sie persönlich besser damit klar kommen, den Kosmos vieler Ihre Mitmenschen auf die wissenschaftlichen Regelmäßigkeiten zu reduzieren, obwohl Sie wohl gar nichts darüber wissen, womit Sie es zu tun haben, dann tun Sie das. Das ist ja relativ normal.
Da kann man aber nur hoffen, das man als psychisch Kranker nicht an Therapeuten mit einer Auffassung von Wirklichkeit gerät, wie Sie sie vertreten. Leider passiert das psychisch Kranken öfter.
Am spannensten in der Wissenschaft finde ich sowieso die Astronomie. Hier werden Welten entdeckt, über die ich träumen darf. Und der Konflikt zur Wirklichkeit ist hier am kleinsten, weil sich die astronomischen Objekte aufgrund ihrer Größe tatsächlich fast nur regelmäßig verhalten. Je kleiner, chaotischer und lebendiger die Dinge werden, desto mehr gerät Unregelmäßigkeit in Konkurrenz zu der Art Wissenschaft, wie Sie sie verstehen.
Ich finde, die Wissenschaft kann nur den Anspruch haben, wahrhaftig die Welt erklären zu können, wenn Sie nicht die halbe Erfahrung des realen menschlichen Lebens ignoriert. Ansonsten ist das nur eine Tricksammlung, mit der man ausgewählte Effekte berechnen kann. Das hilft technisch unbedingt ganz gewaltig, aber menschlich dann eher nicht.
@Tobias Jeckenburger // 13. Januar 2019 @ 15:01
Mir scheint, Sie bringen da einiges durcheinander. Aber nicht nur Sie, ich erlebe das ziemlich oft.
Irgendwie scheint es die Vorstellung zu geben, dass ein Wissenschaftler, und insbesondere Naturwissenschaftler, und ganz speziell ein Biologe, also einer, der auf dem Boden der harten, wissenschaftlich erforschbaren Fakten unterwegs ist, keinen Sinn für die schönen Dinge des Lebens haben könne. Und schlimmer noch, auch völlig empathielos sein müsse. Für den könne ein kranker Mensch, so glaubt man, nicht anderes sein als ein nicht richtig funktionierendes zelluläres Gebilde.
Sie schreiben:
»Wenn sich Wissenschaftler entscheiden, ausschließlich regelmäßige Probleme, möglichst mit einfachen mathematischen Zusammenhängen, zu erforschen, dann müssen sie auch damit leben, dass es dann neben der Wissenschaft noch weitere Fachgebiete gibt, die sich alternativ mit der sonstigen Wirklichkeit auseinander setzen, und damit den ganzen unregelmäßigen Kosmos ohne Beteiligung der Wissenschaft bearbeiten.«
Was genau finden Sie an der Quantenphysik oder Neuropsychologie so „einfach“ und „regelmäßig“, dass Sie mit anderen als wissenschaftlich erprobten Methoden den Dingen auf den Grund gehen wollen?
Und was kommt dabei an Verwertbarem heraus, wenn nicht wissenschaftlich vorgegangen wird?
Im Übrigen: Stephan Schleim schaut zwar kritisch auf die Naturwissenschaften, aber er ist beileibe kein Wissenschaftsfeind. Ganz im Gegenteil.
@Balanus 13.01.2019 17:34
Ich finde ja nur, dass man nicht einfach sagen kann, dass es neben wissenschaftlich etablierten Fakten keine andere Fakten gibt. Die Wissenschaft sucht zur Zeit nur nach Regelmäßigkeiten, und kann deshalb keine Unregelmäßigkeiten finden. Alles was in Experimenten nicht regelmäßig und berechenbar auftritt, wird mit voller Absicht verworfen.
Das nennt man glaube ich Tautologie. Ich suche nur nach Regelmäßigkeit, verwerfe alles andere und behaupte dann, dass es nichts anderes gibt.
Mit Regelmäßigkeit meine ich hier physikalische Formeln, der Aufbau er Chemischen Elemente, die Funktionalität der DNA oder die Anatomie der Nervenzellen. Das ist alles regelmäßig und berechenbar, wenn auch mathematisch nicht unbedingt einfach und gar nicht trivial.
Z.B. Schutzengelereignisse und Vorahnungen sind eben nicht regelmäßig und alltäglich, man kann sich darauf nicht verlassen. Aber sie gehören eben öfter zum Leben dazu, als sie vermutlich glauben und können dann eben auch Leben retten.
Wenn sie nur Maschinen bauen wollen, ist das ja sinnvoll, sich auf das Verlässliche in der Wirklichkeit zu konzentrieren. Aber nicht wenn man mehr von der Welt verstehen will, und auch nicht, wenn man einen konkreten Menschen verstehen will. Dann ist das nicht ausreichend, einfach alles zu streichen, das nicht berechenbar aussieht.
Wenn Wissenschaftler etwas nicht verstehen und einordnen können, dann sollen sie nicht so tun, als wüssten sie genau, dass hier nur versteckte Regelmäßigkeiten noch nicht gefunden worden sind, aber mit Sicherheit noch gefunden werden können. Ich bin überhaupt kein Wissenschaftsfeind, ich sehe nur Grenzen der Wissenschaft und meine, dass es Effekte im Leben gibt, die über das Regelmäßige hinaus gehen und dennoch real sind.
Wenn man das mal ernst nehmen würde, könnte man mal in Ruhe gucken, wie man auf diesen Gebieten auch aktiv und produktiv werden kann, und sich mal auf den Weg machen, weitere Aspekte der Wirklichkeit zu erkunden. Und nicht gleich schreien, „Das ist ja keine Wissenschaft!“. Wissenschaft ist das, was Wissenschaftler machen wollen. Gerade in der Wissenschaft sollte doch echte Erfahrung vor Tradition gehen, auch wenn die Erfahrung nur ab und an auftritt, dann aber um so relevanter sein kann.
Da gibt ja auch sogar das Fach Parapsychologie. Was aber winzig ḱlein ist, mit entsprechend wenigen Ergebnissen, die dann auch noch vom Rest der Wissenschaft größtenteils einfach ignoriert werden.
@Tobias Jeckenburger // 13. Januar 2019 @ 19:05
» Wissenschaft ist das, was Wissenschaftler machen wollen. «
Wissenschaft ist vor allem eine Methode des systematischen Wissenserwerbs. Darauf gründet ihr Erfolg. Grenzen? Nur die üblichen, halte jene, die für alle gleichermaßen gelten. Also auch für Nichtwissenschaftler. Aber es gibt selbstredend Bereiche, wo die Wissenschaft außen vor ist. Etwa bei der dogmatischen Theologie. Oder was das Fremdpsychische betrifft (wie es sich zum Beispiel anfühlt, das vielzitierte Eichhörnchen zu sein).
» …ich sehe nur […], dass es Effekte im Leben gibt, die über das Regelmäßige hinaus gehen und dennoch real sind.«
Falls das „Regelmäßige“ die physikalischen, chemischen und biologischen Gesetzmäßigkeiten mit einschließt, anhand welcher Kriterien wollen Sie denn dann beurteilen, ob ein Effekt „real“ ist? „Real“ in der Außenwelt, versteht sich. Was man bloß im Geiste sieht, ist unerheblich für andere Geister.
Balanus
“Aus meiner Sicht gibt es „generell“ weder „Schutzengelereignisse“ noch „telepathische Effekte“.”
Wenn Sie noch keine solchen Ereignisse gehabt haben, dann kann es sie auch nicht geben. Ist das nicht ein wenig egozentrisch?
Ich habe schon Schutzengelereignisse gehabt und auch schon Erlebnisse, wo man denkt, das kann doch nicht sein.
Bleiben Sie offen, auch der Wissenschaft bleiben weitergehende Einsichten nicht erspart.
Tobias Jeckenburger
Sie haben es sehr ausführlich erklärt. Und dass sie Parapsychologie nicht in das Reich der Phantasie verdammen, spricht für sie. Es gibt einen versuch mit einem Lügendetektor und einer Pflanze. Zer Erinnerung, der Lügendetektor war nur ein Widerstandsmesser im Mikroamprebereich. Die Kontakte wurden an ein Blatt einer Pflanze angeklemmt.
Dann kam der biologe und sagte zu der Pflanze. “Ich zünde jetzt dein Blatt an”, und dabei holte er ein Streichholz heraus und zündete es an. Das Messgerät zeigte eine Veränderung des Blattwiderstandes in Ohm an.
Die Physik glaubt, man könne die Welt mit dem Maßband erklären, lächerlich!
Für mich ist die Philosophie immer noch die Mutter der Wissenschaften, denn welche Disziplin beschäftigt sich damit die Wissenschaft an sich zu untersuchen?
Aber davon ab, zu einem kleine autobiographischen Exkurs.
Das auch MINT Studenten Philosophie brauchen, habe ich in meinem Studium gelernt. Ein Studium der Informatik als es den Begriff MINT noch gar nicht gab. Ich habe u.a. Prof. Frieder Nake kennen gelernt. Einen Professor, der der Meinung war, dass Informatiker etwas vom Menschsein verstehen müssen, weil sie sonst schädlich für die Menschheit werden können. Auch zu der Zeit gab es schon Nerds die nur programmieren wollten und deren Überforderung bei der Frage „was ist ein schönes Diagramm?“ in aggressives Verhalten (nur verbal:-) mündete. Als Frieder Nake dann ein Seminar zusammen mit einem amerikanischen Kunstprofessor gab, war eigentlich den meisten meiner Kommilitonen klar: es gibt eine Welt jenseits der technischen Algorithmen. Eine Welt die mit Hilfe der Philosophie (und auch der Psychologie) erkannt werden kann.
Ich hab bei Frieder Nake gelernt Algorithmen zu entwickeln und in (egal welcher) Programmiersprache zu implementieren. Mach ich heute noch. Aber das Wichtigste was ich bei ihm gelernt habe: lernen zu denken, lernen zu erkennen (nicht sehen ;-). Nicht aufhören zu lernen. Philosophie bietet dafür das Handwerkszeug. Auch für MINT‘is
Das Geheimnis des Erfolgs besteht darin, das Wissen zu haben, Reichtum zu Macht und Ruhm zu bringen. Schließen Sie sich den Weisen an, vom Baum des Wissens zu essen, damit Sie weise sein können. Das Geheimnis und Wissen meines heutigen Reichtums besteht darin, nur die Möglichkeit zu haben, Mitglied zu werden der Freimaurer-Gesellschaft, sie geben dir das Wissen, um Machtreichtum zu erlangen. Die Freimaurer sind nicht satanisch, sondern kommen zusammen, um sich gegenseitig zu helfen, ihre Lebensziele zu erreichen und haben die richtige Kraft, die wir dich unterstützen und dir mehr Ideen für deine Karriere geben , Lord Melchers hat mich dazu gebracht, mich in den Verein einzutragen Nach meiner Registrierung erhielt ich fünf Millionen Euro, um mich heute willkommen zu heißen Ich bin sehr reich, solange Sie über 18 Jahre alt sind, können Sie Mitglied sein
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Herr David Sassoli