Von Terroranschlägen zur Willensfreiheit

Der größte Neuro-Mythos und was Benjamin Libet wirklich herausfand

Bücher vermitteln Wissen. Anders als in Fachzeitschriften oder populärwissenschaftlichen Medien können Autorinnen und Autoren in Büchern sehr frei schreiben: Es gibt (in der Regel) kaum Einschränkungen zu Inhalt und Umfang. In der “Buchkritik” diskutiere ich ein Kapitel eines Buches, das mich besonders interessiert oder mir zur Rezension angetragen wurde. Wie gewohnt geht es um den Themenbereich Philosophie, Psychologie und Hirnforschung.

Heute steht “Fenster ins Gehirn: Wie unsere Gedanken entstehen und wie man sie lesen kann” (Ullstein Verlag, 2021) von John-Dylan Haynes und Matthias Eckoldt zum dritten Mal im Rampenlicht. Haynes ist Direktor des Berlin Center for Advanced Neuroimaging und Professor am Bernstein Center for Computational Neuroscience der Charité Berlin. Eckoldt ist erfahrener Wissenschaftsjournalist.


Im letzten Teil ging es um das Gedankenlesen. Kommen wir jetzt zur Willensfreiheit. Es dürfte kaum jemandem entgangen sein, dass sich hierzu in den letzten Jahrzehnten so mancher Philosoph, Psychologe und Hirnforscher geäußert hat. Auch anno 2021 räumen Haynes und Eckoldt ihm große Bedeutung bei: Ihr Kapitel “Der freie Wille” ist mit 30 (von insgesamt 300) Seiten das mit Abstand längste ihres neuen Buchs.

Am Anfang rufen sie, wie mehrmals im Buch, ihren Lesern schwere Verbrechen und Terroranschläge in Erinnerung. Und nicht nur irgendein Anschlag, sondern schlichtweg das Terrorereignis des 21. Jahrhunderts, die Flugzeugentführungen vom 11. September 2001. Damit suggeriert man, die Hirnforschung sei hierfür von Bedeutung.

Wie bauen die Autoren diese Brücke? Hätte man mit am Flughafen installierten Hirnscannern die Pläne der Flugzeugentführer erkennen können? Und hätte man nicht nur die gedanklichen Absichten erkennen, sondern auch das konkrete Verhalten voraussagen können? Hätte also die Hirnforschung dieses Jahrhundertverbrechen verhindern können? Und dann sind wir plötzlich beim Physiologen Benjamin Libet (1916-2007).

In memoriam Benjamin Libet

Libet interessierte sich schon für Bewusstseinsvorgänge, als das noch für viele Forscher ein Tabu war. Ich erinnerte im zweiten Teil daran, dass die einflussreiche Schule des Behaviorismus das ganze Thema für unwissenschaftlich hielt. Das hinderte Libet aber nicht daran, seine bahnbrechenden Versuche mit der Elektroenzephalographie (EEG) durchzuführen.

Ihn interessierte insbesondere die zeitliche Dynamik der Bewusstseinsprozesse. Das äußert sich auch im Titel seines Buchs, das 2004 erschien, als der Forscher schon stolze 88 Jahre alt war: “Mind Time. The Temporal Factor in Consciousness.” Dieser Titel wurde ein Jahr später (vom Suhrkamp Verlag) irreführend ins Deutsche übersetzt: “Mind Time. Wie das Gehirn Bewusstsein produziert.” Vom Faktor Zeit im Bewusstsein zur Gehirnproduktion von Bewusstsein?

Wahrscheinlich hat jeder schon einmal davon gehört, dass laut Libets einschlägigem Experiment ein unbewusster Gehirnprozess einer bewussten Entscheidung (für eine Handbewegung) um ca. 300 Millisekunden vorangegangen ist (Libet et al., 1982). Daraus strickten andere(!) Philosophen und Forscher das Märchen, unser Wille könne nicht frei sein, denn die Entscheidung stehe bereits fest, bevor sie überhaupt ins Bewusstsein komme. Et cetera, et cetera. Nun müsse das Strafrecht grundlegend revidiert werden.

Das Bereitschaftspotenzial

Warum spreche ich von einem Märchen? Rund 15 Jahre vor Libet hatten deutsche Physiologen dem Gehirnsignal einen zutreffenden Namen gegeben: Bereitschaftspotenzial (Kornhuber & Deecke, 1965). Es signalisiert die Bereitschaft zur Bewegung (im sogenannten prämotorischen Kortex der Großhirnrinde). Das war Libet und seinen Mitstreitern auch bewusst, als sie schlussfolgerten:

“Die Evidenzen zeigen daher […], dass alle Bereitschaftspotenziale, ob sie mit vorausgeplanten oder spontanen Willensakten zusammenhängen, von neuronalen Prozessen produziert werden, die spezifisch mit der Vorbereitung zur Ausführung einer motorischen Handlung involviert sind.”

Libet et al., 1982, S. 332; Übers. d. A.

Vom Willen, ob frei oder unfrei, ist in der ganzen Studie nicht die Rede. Doch versetzen wir uns kurz noch in die Lage der Versuchspersonen, um zu verstehen, worum es überhaupt ging: Diese saßen auf einem Stuhl und starrten auf ein speziell präpariertes Oszilloskop. Dieses ließ mit 2,56 Sekunden pro Umdrehung einen Punkt kreisen. Um diesen “Bildschirm” herum – Jahre später hätte man schlicht einen PC verwendet – brachten die Forscher in Fünferschritten eine Skala von 5 bis 60 an. Es handelte sich also um eine Art Uhr mit schnell laufendem “Sekundenzeiger”.

In der entscheidenden Bedingung sollten die Personen den Punkt erst einmal vollständig kreisen lassen (also mindestens 2,56 Sekunden warten) und dann, in einem selbst bestimmten Moment, wenn sie den “Drang” zu einer Bewegung spürten, die rechte Hand bewegen. Ein Elektromyogramm (EMG) registrierte die damit verbundene Muskelaktivität und ein Durchlauf endete. Dann meldete die Versuchsperson die Zahl, bei der der Punkt im Moment der bewussten Entscheidung war.

Somit haben wir eine Gehirnvariable (vom EEG, das Bereitschaftspotenzial), eine Muskelvariable (vom EMG) und den subjektiven Bericht über die Entscheidung. Alle haben eine zeitliche Komponente. Und um diese ging es, wie gesagt, Benjamin Libet.

Libet und das Veto

Nun stimmt es zwar, dass sich erst das Bereitschaftspotenzial aufbaute, dann die Versuchsperson ihre Entscheidung meldete und zum Schluss die Bewegung stattfand. Libet behaupte aber nicht, die (frühere) Gehirnaktivierung determiniere die (spätere) Entscheidung. Dazu hatte er gar keinen Grund. Im Gegenteil. Er und seine Kollegen berichteten schon damals:

“Es war nicht ungewöhnlich für die Versuchspersonen, einen Bewegungsdrang zu spüren, der nicht zum Vollzug einer tatsächlichen Bewegung führte, als ob dieser Drang durch ein ‘Veto’ gestoppt wurde, und dann auf einen neuen Drang zu warten, auf den die Bewegung folgte. Man mag annehmen, dass ein jeder solcher verdeckter oder unerfüllter Bewegungsdrang auch mit einem entsprechenden Bereitschaftspotenzial verbunden sein sollte, ohne das abschließende motorische Signal. Doch die Messung eines solchen Bereitschaftspotenzials würde einen neuen Versuchsaufbau erfordern.”

Libet et al., 1982, S. 333; Übers. d. A.

Natürlich konnten sie das nicht messen, denn nur das Muskelsignal (durch die Handbewegung) beendete ja den Durchlauf. Wie gute Forscher das so machen, entwickelten sie ein Folgeexperiment, um die neue Hypothese zu untersuchen. Und schon im Jahr darauf, also 1983, veröffentlichten sie die Ergebnisse für die Vetobedingung:

“Von besonderem Interesse ist unser Ergebnis, dass die fortschreitende Vorbereitung oder Absicht für eine Bewegung sogar dann von einem substanziellen Bereitschaftspotenzial begleitet werden kann, wenn die Versuchsperson weiß, dass sie gegen die Absicht zur Bewegung ein Veto einlegen wird und den Muskel tatsächlich nicht betätigt.”

Libet et al., 1983a, S. 371; Übers. d. A.

Logischerweise musste hier der Versuchsaufbau etwas geändert werden, denn in der Vetobedingung gab es ja prinzipiell kein EMG-Signal, um einen Durchlauf zu stoppen. Daher wurde der Endpunkt nun vom Versuchsleiter vorgegeben. Und die Versuchsperson sollte sich kurz vorher für (M-Bedingung) oder gegen die Bewegung (M-Veto-Bedingung) entscheiden. So oder so war und ist das Ergebnis deutlich: Das Bereitschaftspotenzial kann gar nicht die (vollständige) Ursache der Bewegung (M für “motorisch”) sein und auch nicht die Entscheidung festlegen.

Vierzigjähriges Missverständnis

Halten wir einen Moment inne: Seit fast vierzig(!) Jahren diskutieren Philosophen, Psychologen und Hirnforscher rund um den Globus, ob die Determination des (bewussten) Willens durch (unbewusste) Gehirnaktivierung laut dem Libet-Experiment der Vorstellung von Willensfreiheit widerspricht. Dabei war diese Annahme bereits 1982 unplausibel und sprachen die Evidenzen schon 1983 dagegen.

Diesen Befund bestätigten übrigens 2010 neuseeländische Neuropsychologen mit moderneren Methoden (Trevena & Miller, 2010). Aber ja, wer sind schon neuseeländische Neuropsychologen!

Nach rund vierzig – oder wenn wir Kornhuber und Deecke hinzuzählen: fast sechzig – Jahren ignorieren Philosophen, Psychologen und Neurowissenschaftler, darunter genug Koryphäen auf ihrem Gebiet, dass das Bereitschaftspotenzial eben nur dies signalisiert: die Bereitschaft zu einer Bewegung.

Dennoch wurden seit den 1980ern zahllose Konferenzen abgehalten, Forschungsprojekte bewilligt, Bachelor-, Master- und Doktorarbeiten, vereinzelt sogar Habilitationsschriften geschrieben, alles unter der Prämisse, das (unbewusste) Signal lege den (bewussten) Willen fest. Man muss hier fast von “alternativen Fakten” sprechen.

Zahlreiche Autorinnen und Autoren entwickelten Argumente dafür, warum das Experiment keine Gefahr für die Willensfreiheit sei: beispielsweise handle es sich nur um sinnlose Handbewegungen, sei der Bericht der Versuchspersonen nicht 100% zuverlässig, seien die EEG-Messungen begrenzt oder widerspreche Determinismus gar nicht der Willensfreiheit (“Kompatibilismus”). Das mag alles stimmen. Doch Fakt war und ist: Das Bereitschaftspotenzial allein determinierte gar nichts (Schleim, 2011; Schleim 2012).

Libet-Experiment anno 2021

Zugegeben, man hätte natürlich viel weniger zu diskutieren gehabt, hätte man sich nicht einen Teil der Befunde zurechtgebogen und den Rest ignoriert. Denkt jemand, ich übertreibe? Gut, dann schauen wir uns doch einmal an, was John-Dylan Haynes und Matthias Eckolt, beide führende Persönlichkeiten in ihrem Fach, anno 2021 im wichtigen Kapitel über den freien Willen schreiben:

“Im Jahr 1983 erschien eine bahnbrechende Studie von Benjamin Libet, die für viele die Willensfreiheit fundamental infrage stellte” (S. 164). Sie erschien erstmals 1982. Aber was ist schon ein Jahr? Doch auch in der ausführlicheren Publikation von 1983 werden die wesentlichen Fakten genannt: Das Bereitschaftspotenzial gibt nur die Vorbereitung der Bewegung an; ein Veto könnte die Bewegung verhindern; und bei Willenshandlungen, die nicht “spontan” getroffen werden, könnte die Sache sowieso ganz anders aussehen (Libet et al., 1983b). Haynes und Eckoldt schreiben weiter:

“Aber wie kann ein Signal für die Ausführung einer Handlung im Gehirn entstehen, wenn man sich noch gar nicht bewusst entschieden hat, die Handlung auszuführen?” (S. 166-167). Hmm, denken wir kurz nach: Wie kann das sein? Vielleicht, weil die Versuchspersonen die Anweisung haben, spontan die Hand zu bewegen? Es ist doch keine Magie, dass das Gehirn so eine Bewegung dann vorbereitet. Die Autoren aber bleiben überrascht:

“Das hieße doch, die Hirnaktivität wäre bereits gestartet, bevor der Proband den Handlungsimpuls verspürte. Eine reichlich paradoxe Angelegenheit, denn wenn das Gehirn vor der willentlichen Entscheidung aktiv wird, müsste es ja bereits gewusst haben, dass sich der Proband gleich entscheiden wird.”

Haynes & Eckoldt, 2021, S. 166-167

Psychologische Plausibilität

Hier sehen wir sehr deutlich, wie die Autoren Gehirn und Person gegeneinander ausspielen und dabei Vorbereitung und Entscheidung vermischen. Das ist aber schon psychologisch unplausibel. Was passiert denn, wenn man Versuchspersonen sagt, sie sollen sich auf einen Stuhl setzen, auf einen Bildschirm starren und bitte nichts tun, bis sie (spontan, nicht geplant!) einen Drang spüren, die Hand zu bewegen? Irgendwann beginnt eben die Vorbereitung der Bewegung, sonst würde das Experiment nie aufhören und die Teilnehmer wahrscheinlich vor Langeweile sterben.

Das entsprechende Modell zu Haynes’ und Eckoldts Beschreibung wäre, dass wir immer bewusst entscheiden müssten, was unser nächster spontaner(!) Drang wird. Dann wäre er aber gar nicht mehr ungeplant und spontan. Und es wäre eine völlige Überforderung unseres Bewusstseins. Die Autoren verwickeln sich hier in Widersprüche.

In Wirklichkeit spüren wir mal einen Drang, auf Toilette zu gehen, etwas zu trinken, einen Spaziergang zu machen, die Nachrichten oder Social Media zu checken, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Wenn dem nichts entgegensteht, machen wir es meistens. Manchmal überwältigt uns ein Drang, wird er übermächtig und verlieren wir die Kontrolle. Das ist zum Glück – außer bei schweren psychiatrischen und neurologischen Erkrankungen – aber die seltene Ausnahme. Noch einmal die Autoren:

“Wie passt das zusammen mit dem subjektiven Eindruck des Versuchsteilnehmers, dass er sich erst später bewusst entschieden hatte? Wenn der Wille tatsächlich dieser frühen, unbewussten Hirnaktivität hinterherhinkt, kann die bewusste Entscheidung nicht der Startpunkt der Kausalkette sein, die letztlich zur Handlung führt.”

Haynes & Eckoldt, 2021, S. 167

Die Autoren verbreiten hier, wie so viele, den Mythos, das Libet-Experiment habe irgendetwas mit Willensfreiheit zu tun. Und ebenfalls fragwürdig: Die Befunde zum Veto erwähnen sie nicht einmal. Den Lesern wird zudem vorenthalten, dass Libet selbst die Willensfreiheit gar nicht anzweifelte.

Im Gegenteil schreiben die beiden: “Allerdings wurden auch Kritikpunkte an Libet laut. War es nicht ein wenig vorschnell, mit einem derart einfachen Experiment, das die zeitlichen Abläufe bei einer Handbewegung untersucht, gleich die ganze menschliche Willensfreiheit zu verabschieden?” (Haynes & Eckoldt, 2021, S. 168). Das hat Benjamin Libet ausdrücklich nicht gemacht!

Ich will hier nicht über Vorsatz spekulieren, nur die eine Hälfte der Geschichte zu erzählen, die sich gut “verkaufen” lässt; und dann auch noch so verzerrt. Fahrlässig ist dieses Vorgehen aber schon; nach vierzig Jahren und wenn man selbst auf diesem Gebiet forscht, wahrscheinlich eher grob fahrlässig.

Libets Erklärung

Libet würde das wohl bedauern, wäre er nicht schon gestorben. 2002 schrieb nämlich der Harvard-Psychologe Daniel Wegner (1948-2013) ein Buch über den angeblich illusionären Willen. Er reihte sich als namhafter Wissenschaftler bei den Willensfreiheitszweiflern ein, allerdings auch aufgrund anderer Studien, deren Diskussion hier zu weit führen würde.

Jedenfalls fand Libet Wegners Beschreibung seines Experiments einseitig: “Nirgendwo in seinem Buch diskutiert er das Veto-Phänomen und dessen mögliche kausale Rolle für den bewussten Willen” (Libet, 2004, S. 144; Übers. d. A.). Wissenschaftler sollten verschiedene Erklärungen berücksichtigen, oder nicht? Das machte Wagner nicht; ebenso wenig Haynes und Eckold. Vielleicht, weil die Geschichte dann nicht mehr so schön ist?

Doch Moment mal, was meint Libet hier mit der “kausalen Rolle”? Wir wissen inzwischen, dass das Bereitschaftspotenzial allein weder die bewusste Entscheidung noch die Bewegung festlegt. Der bewusste Wille könnte aber doch dem gespürten Drang über die nötige Schwelle zur Ausführung verhelfen! Wenn dem so ist, meint die Mehrheit der Forschergemeinschaft, die Willensfreiheit mit einem Experiment zu widerlegen, das sie tatsächlich bestätigt.

Haynes’ neuere Studien

Mit Blick auf die Länge des Artikels will ich allmählich zum Ende kommen. In Haynes’ und Eckoldts Kapitel über den freien Willen werden aber noch zwei Versuche aus Haynes’ eigener Forschungsgruppe besprochen, die hier erwähnt werden müssen.

Beim ersten Experiment führten die Forscher eine neuere Variante von Libets Versuch im Kernspintomographen durch; das ist übrigens laut Google Scholar Haynes’ meistzitierte Arbeit (Soon et al., 2008).

Im Buch schreiben die Autoren von der Innovation, den Versuchspersonen zwei Optionen anzubieten: einen Knopf mit links oder rechts drücken. Das sei eine “entscheidende Verbesserung” (S. 169) gegenüber Libet. Zwei Optionen gab es aber auch schon in den 1980ern: 1982, weil die Versuchspersonen manchmal dem Drang nicht nachgaben, ergo die Hand nicht bewegten; 1983 die M- und M-Veto-Bedingungen, wobei diese aber aufgrund des Versuchsaufbaus von außen vorgegeben werden mussten.

Der Sinn der neuen Untersuchung: “Die Frage war, ob der Computer die Entscheidung aus den Hirnaktivitätsmustern vorhersagen konnte, noch bevor die Person selber glaubte, sich entschieden zu haben” (S. 169-171). Der Titel der neuen Studie verrät die Antwort: “Unbewusste Determinanten freier Entscheidungen im menschlichen Gehirn.”

Die alte Geschichte, dass (unbewusste) Gehirnaktivierung den (bewussten) Willen bestimmt, wurde damit wieder aufgewärmt. Diesmal stehe die Entscheidung nicht nur 300 Millisekunden vorher fest, wie bei Libet (was allerdings falsch ist, wie wir gesehen haben), sondern mindestens 7 Sekunden!

In aller Kürze sei hier gesagt, dass die Hirnforscher gar nicht wissen, ob ihre Signale wirklich mit unbewussten Prozessen zusammenhängen. Sie merken offenbar keinen Widerspruch, wo sie selbst von einem “Netzwerk höherstufiger Kontrolle” sprechen, das vor allem Gebiete im Frontalhirn und Precuneus umfasst.

Neurologisch gesehen passt das vielmehr zur bewussten Steuerung der Aufgabe. Und das war ja die Aufgabe für die Teilnehmer: Irgendwann “spontan” einen der beiden Knöpfe zu drücken, wenn sie einen “Drang” dazu spürten. Zusätzlich mussten sie, wie bei Libet, auf eine Zeitmarke (diesmal eine Reihe von Konsonanten statt des Zeigers) achten. Die brauchten die Forscher für die Auswertung der Daten.

Es ist schon etwas unfair, die Versuchsperson dazu zu zwingen, den Moment der bewussten Entscheidung auf einen festen Zeitpunkt zu fixieren – und alles davor schlichtweg als “unbewusst” zu definieren. Praktisch ist es allemal, sicher für die griffige Schlagzeile der unbewussten Determinierung des Menschen. Diese lässt sich wieder mit angeblichen Folgen für unsere Rechtsordnung verknüpfen, wofür die Nature-Redaktion begleitend zur Studie sorgte.

Das Vorgehen ist aber auch in sich unschlüssig: einerseits unsere innere Wahrnehmung (Introspektion) grundlegend in Zweifel zu ziehen, andererseits die Auswertung entscheidend von der inneren Wahrnehmung der Versuchspersonen abhängig zu machen. Ja was denn nun? Funktioniert unser Bewusstsein zuverlässig oder nicht? Hier rächt sich auch, dass man Introspektion in Psychologie und Hirnforschung im 20. Jahrhundert so stiefmütterlich behandelte, wie ich im zweiten Teil schrieb.

Beschränkte Experimente

Haynes und Eckoldt kritisieren die Versuchsaufbauten anderer Forscher. Einschränkungen der eigenen Arbeiten erwähnen sie aber nicht. So wurde den Teilnehmern beispielsweise wieder das Vorausplanen der Entscheidungen verboten. Die Knopfdrücke sollten so spontan wie möglich erfolgen und zudem einer Zufallsverteilung entsprechen. Hierfür wurden in einem Vorexperiment nur 14 von 36 (knapp 40%) Personen ausgewählt. Linkshänder waren übrigens von vorne herein ausgeschlossen; die sind schlecht fürs Signal.

Von den 14 verbliebenen Kandidatinnen und Kandidaten mussten nach dem Versuch im Kernspintomographen dann noch einmal zwei entfernt werden: Die eine reagierte dann doch nicht zufällig und die andere nicht spontan genug. Wenn mit nur 12 von 36, ohnehin nur jungen (21 bis 30 Jahre), rechtshändigen Menschen, gerade einmal ein Drittel(!) den Vorstellungen der Hirnforscher entspricht, dann muss man schon an der Aussagekraft des Versuchs zweifeln. Dazu kommt, dass die Vorhersagewahrscheinlichkeit für den Knopfdruck nur leicht über dem Zufallsniveau lag.

Hier sehen wir, wie sich Forscher im Laborversuch (liege still im Hirnscanner!) mit Instruktionen (sei spontan!) und Verhaltensanalysen (schnell und zufällig) ihr Subjekt sorgfältig auswählen, ja konstruieren. Das müsste einen Wissenschaftler eigentlich bescheiden stimmen.

Unfreie Freiheit

Wenn die Aussagen in den Medien aufgeblasen werden, werden solche Einschränkungen aber kaum erwähnt. Das vermittelt der Gesellschaft ein systematisch falsches Bild von den Möglichkeiten der Hirnforschung. Hierzu findet sich schon in Libets Buch ein amüsantes Zitat:

“In unseren Experimenten entfernten wir alle Einschränkungen der Handlungsfreiheit; die Subjekte führten eine einfache Streckung oder Krümmung des Handgelenks aus, wann immer sie den Drang oder Wunsch dazu verspürten. Diese freiwilligen Handlungen sollten unberechenbar, frei von allen äußeren Beschränkungen ausgeführt werden.”

Libet, 2004, S. 141; Übers. d. A.

Amüsant ist das, wenn man bedenkt, was die Voraussetzungen dieser “Freiheit” des Hirnforschers waren: Möglichst still auf einem Stuhl sitzen und auf den Bildschirm starren; nicht einmal mit den Augen blinzeln (das stört das EEG-Signal); auch nicht vorausplanen und möglichst spontan sein. Diese “Freiheit” besteht also nur unter der Voraussetzung extremer Unfreiheit und ist daher ein Widerspruch in sich.

Libet gerät auch ins Schwimmen, wo er das psychische Phänomen beschreibt, das er untersucht. Mal ist es eine “bewusste Absicht” (S. 125), “Absicht oder Wunsch, sich zu bewegen” (S. 126), “bewusst wollen oder wünschen [engl. wanting or wishing or willing]” (S. 126) oder auch ein “Drang oder Wunsch, sich zu bewegen” (S. 134). 25 Jahre später ist es bei Haynes mit seinem “Drang”, einen Knopf zu drücken, meiner Meinung nach nicht viel klarer geworden.

Wir erinnern uns an den zweiten Teil: Die Behavioristen verwendeten solche Unklarheiten des Forschungsgegenstands für ihren Generalangriff auf die Psychologie, insbesondere Introspektion und Phänomenologie. Und den Gründervätern der experimentellen Psychologie wie Wilhelm Wundt wäre das wahrscheinlich zu vage gewesen, um wissenschaftliche Mindeststandards zu erfüllen. Hier reden wir von Maßstäben des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts.

Abschluss: Gehirn-Duell

In seinem neuesten Versuch zum Themenbereich ließen Haynes und seine Mitarbeiter Versuchspersonen zu einem “Gehirn-Duell” antreten. “Die Grundfrage war: Können Menschen ihre Handlung noch abbrechen, nachdem das Bereitschaftspotenzial im Gehirn einmal aktiv geworden ist?” (Haynes & Eckoldt, 2021, S. 182). Die Antwort gab 1982 und 1983 bereits Benjamin Libet – und womöglich 1965 schon Kornhuber und Deecke: Ja, Menschen können das!

Dabei war der neue Versuchsaufbau durchaus interessant: Ein Computer registrierte das EEG der Teilnehmer. Ein Algorithmus sollte die Bewegung (nun mit dem Fuß) der Menschen vorhersagen. Gelang es den Versuchspersonen, einen Schalter zu betätigen, bevor eine Lampe auf rot umsprang, dann ging die Runde an sie. Waren sie langsamer, bekam der Computer den Punkt. Im Ergebnis: Unentschieden zwischen Mensch und Maschine (Schultze-Kraft et al., 2016).

Die Forscher Versuchten, den Zeitraum, in dem die Teilnehmer nach Beginn des Bereitschaftspotenzials die Bewegung stoppen konnten, näher einzugrenzen: “Ab ca. 200 Millisekunden vor der Handlung ist der Point of no Return erreicht. Wurde der erste Hirnprozess bis zu diesem Zeitpunkt nicht eingeholt, gibt es keine Chance mehr zum Abbruch der von ihm initiierten Handlung” (S. 184-185). Sprang also in dieser Zeitspanne die Lampe auf Rot, gewann der Computer.

Um solche zeitlichen Dynamiken ging es auch Libet. Zu genau dieser Frage, bis wann das “Veto” eingelegt werden kann, schrieb er noch 2004 über seine früheren Ergebnisse: “Tatsächlich haben wir experimentell gezeigt, dass das Veto einer geplanten Handlung sogar noch während der letzten 100 bis 200 Millisekunden vor dem erwarteten Moment der Handlung eingelegt werden konnte” (S. 138; Übers. d. A.). Und auch für die Variante, in der es um einen von außen vorgegebenen Zeitpunkt ging (das M-Veto von oben), kam er auf dieselbe Zeitspanne (S. 139).

Bewusster Mensch

Dank Haynes’ neuerem Versuch wissen wir es jetzt etwas genauer: Das Fenster für das Veto endet eher 200 als 100 Millisekunden vor einer Bewegung. Das Fazit des Hirnforschers und des Wissenschaftsjournalisten im Jahr 2021 lautet:

“Das Bewusstsein kann sich umentscheiden und eine eingeleitete Handlung unter bestimmten Bedingungen noch abbrechen. Das klassische Libet-Experiment hat damit seine Relevanz für das Problem der Willensfreiheit verloren, denn es ist kein Beleg dafür, dass unsere Entscheidungen durch vorangehende Hirnprozesse kausal determiniert sind.”

Haynes & Eckoldt, 2021, S. 184

Wie ich gezeigt habe (und auch Libet von Anfang an betonte), stellten die experimentellen Befunde nie die Willensfreiheit in Frage. Die Ergebnisse passen sogar sehr gut zum Begriff der Steuerungsfähigkeit des Menschen, auf dem das Strafrecht aufbaut: Die Versuchspersonen kontrollierten bewusst ihr Verhalten. Gut, jetzt wissen wir, dass man eine bewusst gesteuerte Bewegung (im Mittel) 200 Millisekunden vor ihrer Ausführung nicht mehr anhalten kann.

Man muss Versuchspersonen schon in eine merkwürdige Lage bringen, muss ihnen komische Anweisungen geben, muss sich die Teilnehmer sehr sorgfältig auswählen, muss Libets Ergebnisse verzerrt wahrnehmen und die andere Hälfte ganz ausblenden, um eine andere Geschichte zu erzählen: Hirnforschers Mär von der unbewussten Steuerung des Menschen. Es sei noch einmal daran erinnert, dass wir froh sein können, unsere unbewussten Dränge und Wünsche nicht auch noch selbst steuern zu müssen. Andernfalls wären wir permanent damit beschäftigt!

Libet warf dem Harvard-Psychologen Wegner, der das Märchen in seinem vielzitierten Buch von 2002 verbreitete, diese Einseitigkeit vor. Haynes und Eckoldt zitieren aus genau diesem Buch Benjamin Libets – und ignorieren dann doch, wie Wegner, die frühere Forschung zum bewussten Veto. Warum? Weil nur dann die eigenen Ergebnisse so neu und innovativ erscheinen?

Es ist natürlich die freie Entscheidung wissenschaftlicher Redakteure – hier von Nature und den Proceedings of the National Academy of Sciences der USA (PNAS) – solche Studien zu veröffentlichen. Dass die angeblich unbewussten Determinanten von Entscheidungen wahrscheinlich weder unbewusst waren, noch die Entscheidungen determinierten, und dass die Untersuchung des Vetos gar nicht so neu war, sollte man aber schon erwähnen. Natürlich würden die Studien dann nicht so stark von den Medien und anderen Forschern aufgegriffen.

Manche dieser Aspekte liegen vielleicht im Auge des Betrachters. Unstrittig scheint mir aber doch zu sein, dass es diesem bald vierzigjährigen Märchen um Hirnforschung und Willensfreiheit an Substanz fehlt, von Anfang an. Warum es dennoch so verlockend ist und ob es im 19. Jahrhundert anders war, darum wird es im vierten und letzten Teil der Serie gehen.

So viel sollte aber deutlich geworden sein: Terroranschläge können Hirnforscher bis auf Weiteres wohl eher nicht verhindern. Vor allem dann, wenn sie in ihren Laborversuchen ein weltfremdes Objekt konstruieren; eigentlich einen Zufallsgenerator.

Hinweis: Dieser Beitrag erscheint auch auf Telepolis. Titelgrafik (bearbeitet): Gerhard G. auf Pixabay.

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299 Kommentare

  1. Jede Wirkung hat eine Ursache.
    Es gibt keine Wirkungen ohne Ursache.
    Jeder Gedanke ist eine Folge von anderen Gedanken.
    Die anfänglichen Gedanken sind entweder angeboren, anerzogen oder etwas später erlernt.
    Natürlich kann man sich dafür entscheiden, entweder gar nichts, oder etwas rein zufälliges zu tun.
    Auch diese Entscheidungen sind dann ebenfalls kausale Folgen von früheren Gedanken.

  2. Wir denken gleichzeitig auf verschiedenen Ebenen. Die eine Ebene kontrolliert die Pfanne, dass das Schnitzel nicht anbrennt, die andere Ebene überlegt, was man dazu trinken könnte.
    Bei dem Bereitschaftssignal ist das ähnlich. Die Versuchsperson ist aufmerksam (1. Ebene) die Versuchsperson trifft eine Entscheidung (2. Ebene)
    Frauen beherrschen das sogar doppelt, die sind multitaskingfähig.
    Männer haben Schwierigkeiten sich auf mehrere Sachen gleichzeitig zu konzentrieren. Daraus zu folgern , Männer sind geistig determiniert, das ist ja schon sexistisch.

    Daraus zu folgern, dass unser Denken dadurch determiniert sei, das

  3. Wie eigentlich ist Wille definiert von
    1. theoretischer und 2. praktischer Psychologie und 3. Neurophysiologie?
    Was meint eigentlich frei? (Bitte keine Betrachtungen aus der Quantenmechanik.)
    Sind menschlicher „Wille“ und Entscheidungsfindung nicht beeinflusst von Erfahrungen, Emotionen, Bedürfnissen, Umgebungserwartung, Zufällen etc. ? (Daniel Kahneman, Schnelles Denken, langsames Denken. München 2012)

  4. “Die Evidenzen zeigen daher […], dass alle Bereitschaftspotenziale, ob sie mit vorausgeplanten oder spontanen Willensakten zusammenhängen, von neuronalen Prozessen produziert werden, die spezifisch mit der Vorbereitung zur Ausführung einer motorischen Handlung involviert sind.” [Benjamin Libet]

    Wie wären “Bereitschaftspotentiale” auch anders erklärlich?
    Entweder der Entscheider hat auf Grund langer Erfahrung einen sozusagen strengen ersten Blick, der ernst zu nehmen ist, in der Folge aber nicht unbedingt bestehen bleibt, sondern angepasst wird, nach Nachdenken, oder es liegt nur ein nackter Impuls vor, ein ahnungsloser sozusagen.

    Sicherlich könnte da von ‘neuronalen Prozessen’ etwas vorproduziert sein, auch wenn die Lage neu ist, ist die Erfahrung mit gleichartigen Situationen nicht selten vorhanden.
    Wobei es, bei einigen, lol, auch zu sog. ‘spontanen Willensakten’ kommen könnte, aus dem Nichts heraus sozusagen, fachlich ganz ahnungslos, fürwahr und lol.


    Terrorismus ist übrigens so definiert, dass mit Anwendung oder Androhung von Gewalt politisches Ziel angestrebt wird.
    (Korrekt, diese Definition greift nur in Liberalen Demokratien, anderswo ist “Terrorismus” sozusagen Usus.)

    Es gibt eine metapsyschologische Erklärung, die vor allem auch Psychologen meint, die erklärt, warum einige (eben Psychologen) die Suche nach der Tatursache in der Psyche betreiben, auch, wenn nackte Interessen, der Ratio folgend, vertreten werden, zum Beispiel beim terroristischen Akt.

    Sie besagt, dass nur dann, wenn irgendetwas mit der Psyche Einheimischer nicht stimmt, auch gegengewirkt werden kann.
    Wenn die Täter nicht einfach nur böse sind, sondern durch die Umgebung, durch die Liberale Demokratie, belastet, auch gestört sind, auch gestört worden sind.
    Ansonsten würde den Püschologen ja etwas weggenommen und das mögen die oft nicht, oft gar nicht.

    Mit freundlichen Grüßen und einen schönen Tag des Herrn noch!
    Dr. Webbaer

  5. Bonuskommentar hierzu :

    Halten wir einen Moment inne: Seit fast vierzig(!) Jahren diskutieren Philosophen, Psychologen und Hirnforscher rund um den Globus, ob die Determination des (bewussten) Willens durch (unbewusste) Gehirnaktivierung laut dem Libet-Experiment der Vorstellung von Willensfreiheit widerspricht. Dabei war diese Annahme bereits 1982 unplausibel und sprachen die Evidenzen schon 1983 dagegen. [Artikeltext, Dr. Stephan Schleim]

    Sicherlich nicht schön, sich in seinem Fachbereich im Jahre 2021 noch derart herumschlagen zu müssen.

    Was es natürlich schon gibt, ist der “erste Blick”, Fachkräfte (in bestimmten Situationen, bspw. Bewegungsabläufe meinend, ist sozusagen jeder hier “Fachkraft”) kennen einen “ersten Blick”, bspw. in der Wirtschaft (dort geht es nicht selten um viel Geld), dieser erste Blick tritt sozusagen instantan auf, mit sozusagen atemberaubender Geschwindigkeit, eine Fachkraft kann sozusagen instantan besser leisten als die meisten anderen nach langem Überlegen, doch ist es so, dass die Fachkraft dann innehält, zusätzlich reflektiert, die Kontemplation sucht und manchmal, gar nicht mal so-o oft seine Einschätzung korrigiert.
    (Wobei es auch, lol, einige gibt, die meinen, dass der sogenannte erste Blick fast immer richtig sei.)

    Determiniertheit kann so in keinem Fall belegt werden.

  6. Fenster für das veto.
    Beim 100 m Lauf wird eine Reaktionszeit von unter 100 Millisekunden als Frühstart gewertet. Im Sport wird also einkalkuliert, dass ein Mensch mindestens 100 Millisekunden braucht um eine Entscheidung zu treffen oder zu ändern.
    Bei der Auswertung eines testes könnte man die Reaktionen folgendermaßen gestalten.
    1. dem Probanden wird ein Bild gezeigt. Er muss sich innerhalb von 100 – 200Millisekunden entscheiden ob er einen Knopf drückt. Drückt er, wird das als „ja“ gewertet. Drückt er nicht ist es ein „nein“.
    2. Nach 7 Sekunden wird der Proband aufgefordert, das gezeigte bild mit ja oder nein zu beurteilen.
    3. Die Korrelation wir mit einem XOR Gatter ausgewertet.
    4. 1. Drücken 2. Drücken Ergebnis
    …..ja……………….ja………………nein
    …..ja……………….nein……………ja
    ..nein…………..ja………………..ja
    ..nein………….nein…………….nein
    Das bedeutet, wenn bei 40 Bildern das Ergebnis 20 mal „ja“ist, dann kann man annehmen, dass die Entscheidung erst nach 7 Sekunden gefallen ist. Das gilt auch bei 20 mal „nein“.
    Zum Verständnis des XOR Gatters: Nur wenn bei einem Bild unterschiedlich gedrückt wurde, gilt das Ergebnis als „ja“ . Sind bei einem anderen bild die Ergebnisse des Drückens gleich, gilt das als nein. Interessant oder ?

  7. @Mende: Wille vs. Volition

    Der Wille ist schon wieder so ein verdinglichtes Wort, das wahrscheinlich mehr Probleme verursacht als löst. Wenn ich etwas will und meinen Kopf in den Kühlschrank halte, ist mein Wille dann im Kühlschrank?!

    Im Ernst: Es hat wahrscheinlich eher Sinn, von Willensvorgängen zu sprechen. Spontan würde ich als Zutaten nennen: Absicht/Ziel & bewusste Kontrolle.

    Man kann sich bei Bedarf vertiefen in der: Volitionspsychologie.

  8. Dazu der Duden (“Wille”):

    jemandes Handlungen, Verhaltensweise leitendes Streben, Wollen, besonders als Fähigkeit des Menschen, sich bewusst für oder gegen etwas zu entscheiden; durch bewusste geistige Entscheidung gewonnener Entschluss zu etwas; bestimmte feste Absicht

    Ist doch gar nicht mal so schlecht.

  9. Der Wille meint die beabsichtigte, geplante Handlung.
    Er dient im E-Sprachigen auch dem Futur, vgl. bspw. so :

    -> https://www.youtube.com/watch?v=f9rCUQjmkxU

    Auch im D-Sprachigen, dies hat direkt etwas mit sog. Angelsachsen zu tun.
    Es ist einstmals ausgewandert worden.
    Das Gleiche meinend, von Willen und Absicht. mögen einige.

    Korrekt ist, dass über den sog. Willen auch sprachlich interessiert nachgedacht werden darf.

    MFG
    WB

  10. Paradox: Gerade die Negierer des freien Willens bestätigen diesen durch ihren hartnäckigen Willen, das Gewünschte herauszulesen.
    Biologismus wie um 1900 herum, mit demselben Ziel, Mißstände, bzw. deren Folgen, ausschließlich über den Einzelnen zu definieren, bzw. dessen ausschließliche Schuld an den Folgen.
    Ziemlich gefährlich, damals war das ein intellektueller Türöffner für den späteren Rassenwahn und seine Ergebnisse.

  11. Sicherlich können Aussage-Mengen dieser Art :

    Der Wille ist schon wieder so ein verdinglichtes Wort, das wahrscheinlich mehr Probleme verursacht als löst. Wenn ich etwas will und meinen Kopf in den Kühlschrank halte, ist mein Wille dann im Kühlschrank?!

    … keine besondere Empfängerzufriedenheit – direkt! – generieren, beim Schreiber dieser Zeilen zumindest momentan, instantan nicht.

    Tätschel, tätschel, btw : auf Grund derartiger gönnerhafter, süffisanter Nachricht, ist Dr. Webbaer bei einigen extrem unbeliebt.

    MFG
    WB (der sich nun ausklinkt, es war schön; insgesamt hat Herr Dr. Schleim, webbaer-zertoifiziert, rechht, Dr.. W wollte sich nur ein wenig ausbreiten, Dr. S abär bestätigend, alles richtig und so, nice1!)

  12. @DH: Ja, das ist auch so ein Argument, wenn der “Wille” generell unbewusst determiniert ist, dann gilt das natürlich auch für den Hirnforscher. Wie können wir seinen Argumenten dann noch glauben?

    Im vierten Teil komme ich aufs 19. Jahrhundert. Guter Hinweis. Ich hatte letzte Woche aber gerade wenig Lust zu schreiben.

  13. Ob der Wille unbewusst determiniert ist, oder ob der Wille bewusst determiniert ist, der Wille ist in jedem Fall durch vorherige Informationen determiniert.

  14. @Stephan Schleim, 08.08.2021, 18:23 Uhr

    Man kann sich bei Bedarf vertiefen in der: Volitionspsychologie

    Hier wird die u.a. die Willenskraft als charakterliche Eigenschaft beschrieben, was wieder neue begriffliche Fragen aufwirft. Moral ist ja zeitgeist- und erziehungsabhängig.

    “Sich bewusst für oder gegen etwas zu entscheiden,” (Duden) berührt den Begriff des Bewusstseins, lässt aber das Unbewusste außen vor. Ich befürchte, in diesem verliert der Wille seine Freiheit.
    In hypnotischer Trance, also bei reduziertem Bewusstsein, kann man vielleicht am ehesten die Volition entdecken, aber auch dann ist der Wille der VP durch Suggestionen nicht frei.
    Also ist der freie Wille ein Ding an sich im Sinne Kants oder Spinozas (Vernunft als Ursache ethischen Verhaltens)?

  15. Den freien Willen gibt es nicht, weil aus wissenschaftlicher Sicht nicht klar ist, wie er seine Wirkung in der materiellen Welt entfalten können soll. Da ist immer irgendwie Magie erforderlich.
    Die Entscheidung für ein Veto entsteht ja auch irgendwo im Gehirn, ist also ein materieller Prozess, den man messen könnte (auch wenn das mit heutigen Mitteln vermutlich noch nicht geht). Die Entscheidung, ein Verbrechen zu begehen kann auch “nur” auf materielle Prozesse im Gehirn zurückzuführen sein. Die Libet-Begründungen sind für mich eine (ziemlich) plakative Erläuterung dieser Tatsache. Stark vereinfachend, aber nicht grundsätzlich falsch.

  16. H.Hoyer
    wie der Wille entsteht.
    Wenn ein Kleinkind seinen Willen entdeckt, dann kann man vermuten, er war schon vorhanden und das Kleinkind entdeckt gerade seinen Willen. Man nennt das übrigens die Trotzphase und man nennt es auch die Entdeckung des Ichs. Das Ich war auch schon vorhanden, es entwickelt sich , es war so vorhanden, wie das Kleinkind vorhanden ist.
    Das was den Menschen ausmacht, seine Individualität, die lässt sich nicht durch Reduktion erklären.
    Wenn man das könnte, dann ist der Tag nicht fern, wie man einen Golem konstruiert. Man nimmt lebende Stammzellen, lässt die in einer Retorte wachsen und spricht einen Zauberspruch: Geist erwache!
    Oder wie erklären Sie sich , dass wir denken können ?

  17. Wir können die Willensfreiheit immer wieder in eine Blackbox in den Neuronen verbannen, damit wir sie nicht finden müssen, sicher irgendwo verstecken, wo die Wissenschaft nicht hingucken kann, in der Kompliziertheit, im Quantenraum, in Fantasieuniversen voller Dunkler Willensfreiheit, die irgendwie nirgendwo zu finden ist, weswegen wir auch nichts beweisen müssen. Das Katz- und Mausspiel hält immerhin einen Haufen Religionen, Philosophien und Wissenschaftler in Lohn und Brot, ist sicherlich ein angenehmerer Zeitvertreib, als RTL2 gucken, also halte ich es für eine hervorragende Idee, damit ewig weiterzumachen. Deswegen lesen Sie bitte nicht weiter.

    Freiheit ist per Definition undefinierbar – 1/0=Energie, ein unbestimmter Zustand, Chaos. Gefühlt betrachtet, sind Wille und Freiheit im Schmerz enthalten: Ein Zustand, dessen einzige Eigenschaft es ist, dass er sich ändern muss, egal wie. Hier gibt’s keinen Unterschied mehr zwischen „Müssen“ und „Wollen“, freier Wille erschöpft sich darin, dem vorprogrammierten Zwang zu folgen. Und was ist denn Wille anderes als ein Impuls, von dem wir nicht wissen, woher er kommt? Was wir wollen, kommt n a c h dem Wollen, der reine Wille ist nur der Befehl: Tu was („tu nix“ ist auch „tu was“).

    Wille ist auf ein Ziel gerichtete Energie, Strom, der sich frei fühlt, wenn er sich irgendwohin ergießen kann, und wenn man ihm Stromleitungen baut, in denen sich nie allzu viel Stau bildet, ist die ganze Nummer gegessen: Es liegt an der Verkabelung des Sklaven, ob ihn das Baumwolle pflücken versklavt oder befreit, an der Zahl der Hardware- und Softwarekonflikte in seinem Schädel, der Überspannungen, die sich nicht entladen können. Determinismus und Willensfreiheit schließen einander nicht aus – es gibt einen g e f ü h l t e n Unterschied: Wenn übermächtige Strukturen da sind, die uns lenken, wissen wir nicht, woher sie kommen und wohin sie uns führen, und in einer darwinistischen Welt führen sie allzu oft ins Schlachthaus. Wir mögen es nicht, wenn Stärkere uns Dämme bauen, wir wollen den Willen aller anderen unserem unterordnen, ihnen Dämme bauen, die uns Wege öffnen, um uns möglichst viele Fluchtmöglichkeiten zu erhalten. Das Universum ist im Grunde so was wie Stuhlpolka unter Kannibalen, wer keinen Stuhl erwischt, den erwischt der Tisch. Wer Ihnen einen Stuhl anbietet, befreit Sie, seine Dämme schützen Sie mit und Sie pflücken gern für ihn die Baumwolle, bis er zu sehr nervt. Rede ich von Stalin oder Gott? Wo ist der Unterschied?

    So kommt auch die große Freiheit des Kapitalismus zustande: Wir verhökern all unser Hab und Gut, um nackt auf einer Parkbank zu schlafen, mit einem großen Geldsack unterm Kopf, mit dem wir uns alle möglichen Schlösser und Prachtkleider kaufen könnten, denn tatsächlich kaufen können wir nur ein Schloss und eine Modekollektion, und all die anderen Möglichkeiten kollabieren. Theoretisch sollte auf jedem Geldschein Schrödingers Katze abgedruckt sein. Tja, Geld ist auch Energie: Die Finanzkreisläufe beschleunigen sich durch das Drucken von Antigeld (Schulden) immer weiter, weil sie sonst verpuffen würden, die Realwirtschaft ächzt und verzichtet auf materiellen, realen Nutzen, um das Feuer zu speisen, verarbeitet Ressourcen zu Müll, der möglichst kurz existieren muss, damit neuer Müll nachgekauft werden muss, doch neues Geld nährt den Geldhunger, statt ihn zu löschen, und so verbrennt die Welt zu Asche. Globale Erwärmung betrifft das ganze System, das Klima ist nur mit betroffen.

    Gedankenlesen und Willensfreiheit… Ich sehe einen Menschen, der Hunger hat. Vor ihm auf dem Tisch liegt eine Pizza. Offensichtlich hat die Pizzeria seine Gedanken gelesen, bevor er sie hatte. Er kann sich frei entscheiden, was er jetzt tut. Wird er jetzt, a), die Pizza essen, oder b), auf einem Bein Geige spielend zur NASA hüpfen, damit die ihn auf den Mond schießt, oder c), qxJt34xs?

    Es lässt sich nach Wahrscheinlichkeit ordnen: a) ist sicherlich die erste Option, die sein Gehirn prüft, während c) ausgeschlossen ist, da weder sein Hirn noch das physische Universum diese Option enthalten. Gegenüber c) hat er die Willensfreiheit einer Kaffeemaschine, die zwar, von Außen betrachtet, Opern singen und Steuerformulare mit Wachsstiften bemalen könnte, aber es irgendwie nicht tut. Ihr freier Wille beschränkt sich auf ihre Möglichkeiten, ihre Programmierung – ihre Sinnesorgane sind die Knöpfe, ihr Hirn eine einfache Schaltung. Ihre Entscheidungen lassen sich von Außen erahnen, schon bevor sie sie trifft, weil Morgen ist, der Mensch jeden Morgen Kaffee trinkt, jetzt wieder Kaffeedurst hat, Kaffee, Filter und Wasser vorbereitet hat und sein Finger zum Knopf wandert: Das Bereitschaftspotenzial steigt ständig. Trifft sie eine Entscheidung, die analog zu b) ist, also kontextfrei und aus unbekannten/unerklärlichen Gründen geschieht, nennt man das „kaputt“. Die Kaffeemaschine wird entweder repariert oder getötet. Die Wahrscheinlichkeiten für freie Entscheidungen von Kaffeemaschinen sind deshalb aus dem Verhalten der Kaffeemaschinen abzuleiten, die noch existieren dürfen, weil die Umwelt frei entschieden hat, deren Freiheit auf diese Entscheidungen einzudämmen. Einfacher gesagt, wenn Sie von der Klippe stürzen und der Boden näher kommt, entscheiden Sie sich, den Aufschlag zu wollen, dann sind Sie nicht Sklave der Schwerkraft, sondern frei und zielstrebig. Sollten Ihnen irgendwelche Ängste im Weg stehen, dafür gibt’s Gehirnchirurgie, schneiden Sie sie einfach raus. Dann steigt auch Ihr IQ ins Kosmische, denn Sie treffen in jeder gegebenen Situation die richtige Entscheidung, um Ihr Ziel zu erreichen.

    Kann natürlich auch sein, dass die Maschine jetzt ein Geräusch macht, das den Menschen an das Rülpsen seiner verstorbenen Tante Edna erinnert, er sie zur Geisterbeschwörung nützt, damit berühmt wird, sie nachbaut und im Internet vertickt, sodass sie zur Stammmutter einer ganzen Spezies von Geisterbeschwörer-Kaffeemaschinen wird, die immer weiter gepimpt werden, weil sie nicht funktionieren, bis sie irgendwann die Menschheit als dominierende Spezies ablösen und abmurksen, um mehr Geister zum Beschwören zu haben, weil ihre Wissenschaft sehr korrekt erkannt hat, dass es nur am Geistermangel liegt, dass das Beschwören immer noch nicht klappt, aber die Original-Kaffeemaschine war trotzdem einfach nur kaputt. Die Umwelt war es, die diese Zufallsmutation zu einer Erfolgsgeschichte gemacht hat, und die war, bezogen auf ihre eigene Umwelt, auch einfach nur kaputt – hielt nur lange durch, um nicht gefressen zu werden, und lauerte auf ihre Chance. Die sich ergab, als genug Dinge kaputt gingen, in groß und klein. Die Kaffeemaschine in Ihrer Küche lauert auch.

    Die Grundschaltung bei Neuron, Mensch, Universum, scheint zu sein: Zuckerbrot/Peitsche=Bock. Zwei Muskelmänner an beiden Seiten der Tür, die dagegen drücken, ich will durch, du darfst nicht. Je mehr Strom überm Bruchstrich, je weniger Strom unterm Bruchstrich, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass die Energie, von allen möglichen Wegen, diesen einen nimmt. Entscheiden mehrere Schaltungen parallel, gewinnt die mit dem höchsten Bock-Quotienten, der Strom bricht durch und wird den anderen Leitungen abgesaugt, sodass sie ins Koma fallen – sie lauern auf ihre Chance. Und mit entscheiden darf alle Energie, die an der Schaltung ankommt – ob sie aus dem Hirn selbst kommt, aus den Genen, über Ohren und Augen vom Führerbefehl, als Licht von den Sternen, aus allen Punkten von Raum und Zeit, Zukunft theoretisch mit einbegriffen. Das „Ich“ ist nur der Name einer physischen Verwaltungseinheit, eines Knotens im Netzwerk Universum.

    Insofern ist die Frage nicht so sehr, o b Sie einen freien Willen haben. Sondern w e s s e n. Ändert sich ständig. Im Grunde haben Sie Interfaces für viele verschiedene Netzwerke in sich, die kooperieren und konkurrieren um das Recht, Sie vorrängig benutzen zu dürfen: Konkurrieren um Ressourcen, Lebensraum, Körpermasse, wie alle anderen Viecher auch. Hätte auch nicht gedacht, dass Physik, Elektrik, Psychologie, Informatik, Philosophie, Religion und Biologie irgendwann zu Dämonologie zusammenfließen. Mal sehen, wie hoch der Bock-Quotient für diesen Weg ausfällt?

    Bewusstsein ist das, was das Sein vom Nichtsein unterscheidet, Sie können es immer dort vermuten, wo eine Entscheidung getroffen wird – die Bewusstlosen reisen als blinde Passagiere durch die Zeit, sie entscheiden nicht, über sie wird entschieden. Also können Sie auch umgekehrt vermuten, dass es ausgeknipst wird, wenn keine getroffen wird. Und ich kann mich fragen – wenn ich mir vorstellen kann, dass es qxJt34xs gibt, aber mehr nicht: Welcher Stalin kneift mir da das geistige Auge zu? Wessen Kaffeemaschine bin ich?

  18. Ich amüsiere mich immer wieder, wie mühsam es ist, wissenschaftliche Meinungen, die möglicherweise schon das Momentum einer Gefolgschaft oder gar institutioneller Förderung aufgebaut haben, zu widerlegen. Da mag man ohne Scheuklappen sofort erkennen, daß das gegen “common sense” und Allgemeinwissen (durchaus auch anderer Wissenschaften oder gar der Philosophie) ist – “wissenschaftlich korrekt” muß es durch detaillierte Analyse, Aufdeckung von Fehlinterpretationen (z.B. von Versuchen) und Gegenbeweisen (mit besseren Versuchen, einschl. Mess-/Interpretationsverfahren) ablaufen – was hier Herr Schleim akribisch und schmerzfrei vorführt.

    Nun, was könnten “common sense” und Allgemeinwissen dazu sagen? My take:
    1) Ohne Volitionspsychologie vertieft zu haben, scheint es mir evident, daß Volitionen von reflexhaft (etwa, wenn ich gegen blendendes Licht reagiere) bis intuitiv (etwa “ich bagger jetzt die tolle Blondine an”, zeitgleich mit “Vorsicht, Risiko: Rivalen beachten, die Angetraute ist auch in der Nähe …”) – aber eben erst nachträglich oder sehr spät in unserem Bewusstsein auftauchen – das halt nur die Spitze des Eisbergs unserer geistigen Vorgänge “sehen” kann.
    2) Am ehesten ist einem die Abwägung zwischen widersprüchlichen Volitionen (siehe “Blondine”) bewusst, da setzt sich eines (analog zum “Veto”) durch – oder die Abwägung lähmt einen. Aber auch da ist der Abschluß der Abwägung bzw. das Veto doch auch wieder eher intuitiv (und damit unterbewusst). Hier wäre hochinteressant, ob das Veto bzw. die Abwägung zwischen Alternativen voraussetzt, daß wir uns der alternativen/widersprüchlichen Volition(en) bewusst sind – daß also erst im bewussten Denken mehrere Volitionen interagieren können.
    3) Wie schon in einem Kommentar zum letzten Artikel vermutet, könnte man diese reflexhaften, intuitiven Willensimpulse im Unterbewusstsein über ihr neuronales Korrelat feststellen – aber daraus komplexere Volitionen zu erkennen und zu unterschieden (siehe “Blondine anbaggern” versus “Vorsicht, eher nicht”) ist auf jeden Fall noch ein sehr weiter Weg.
    4) Ich weiß nicht, wo ich das aufgegriffen habe, aber mir scheint es völlig ausreichend, daß mein Wille dann (bzw. in dem Sinne) “frei” ist – wenn ich das so empfinde – weil kein unmittelbarer äußerer Zwang gegen meine Volitionen vorliegt.
    5) Das widerspricht dem nicht, daß die Willensvorgänge letztlich wohl kausal ablaufen (beeinflusst durch unsere Anlagen, Prägungen, Wissen als “inneren Zustand”) – und auch aus moralischer Sicht (aus der Perspektive der Gesellschaft) sind sie auch dann in dem Sinne “frei” – daß sie durch erlernte moralische Vorstellungen (also aus Bildung/Sozialisierung), Androhung von Sanktionen (Justiz), etc. beeinflussbar und veränderbar sind.
    Habe ich irgendwas verpasst? … oder zu grob vereinfacht?

  19. Es gibt keinen immateriellen freien Willen
    Ohne meine Geist gibt es mich nicht als lebende, aktive Person. Ohne mein aktives Hirn gibt es meinen Geist nicht und damit auch nichts was meinen Geist ausmacht oder in ihm vorgeht.
    Mit andern Worten: Es ist prinzipiell unmöglich, das was man meinen freien Willen nennt, von meinem Geist und damit von meinem Hirn zu trennen. Das bedeutet auch: wenn ich den Willen verspüre etwas zu tun, dann muss das vorbereitet worden sein, in meinem Hirn vorbereitet worden sein. Das gilt auch für die Vetosituation, in der ich mich im allerletzten Moment umentscheide.

    Kurzum: Mein Ich, mein Wille und alles andere Geistige an mir ist nicht ohne mein Hirn möglich. Es gibt keinen Willen ohne Hirn. Es gibt keinen immateriellen Willen sowenig wie es eine immaterielle Person gibt, die mein Ich sein soll. Und ja, mit meinem Tod ist auch mein Geist tot.

  20. @Martin Holzherr

    Kurzum: … Es gibt keinen immateriellen Willen sowenig wie es eine immaterielle Person gibt, die mein Ich sein soll. Und ja, mit meinem Tod ist auch mein Geist tot.

    Gibt es also keine Zombies im Sinne vom Bewusstseinsphilosophen David Chalmers?

  21. @Mende: Dass unbewusste Einflüsse verhaltenswirksam werden können, steht nicht im Widerspruch dazu, dass wir im Allgemeinen die bewusste Kontrolle über unser Verhalten haben. Das habe ich gerade im vierten Teil noch einmal ausführlich ausgeführt (war eine schwere Geburt, puh!). Kommt wahrscheinlich nächstes Wochenende.

    P.S. Oder sprichwortlich gesagt: Man soll das Kind nicht mit dem Bade ausschütten.

  22. @Rüdiger Mende (Zitat): „Gibt es also keine Zombies 🧟‍♀️
    Antwort: Wir alle könnten theoretisch Philosophische Zombies 🧟‍♂️ sein, in dem Sinne, dass bei jedem das Innere Erleben und die „Qualia“ anders sein könnten. Die Idee der P-Zombies ist aber, dass alle Menschen gleich fühlen und empfinden, P-Zombies aber gar nichts fühlen und empfinden, sich aber gleich verhalten wie wir anderen.
    Nun, die Idee der P-Zombies widerspricht dem Prinzip „alles was es über Generationen gibt, ist nötig oder verbessert das Überleben und Fortpflanzen“, denn P-Zombies funktionieren ja genau so gut wie wir, nur haben sie keine Empfindungen. Evolutionär gesehen kann es keine P-Zombies geben.

    Dass man Terroristen heute nicht mit dem Hirnscanner erkennen kann, könnte durchaus darauf zurückzuführen sein, dass jeder Mensch seinen eigenen Denkstil hat, der auch hardwaremässig/hirnmässig anders ist. Die gemeinsame Sprache schafft dann die Illusion, wir verstünden uns. Dabei tun wir das gar nicht. Mindestens nicht auf Codeebene oder wie Informatiker sagen, auf binärer Ebene.

  23. @Hoyer: Ihr Standpunkt ist vielfach überholt. Erst einmal muss Willensfreiheit nicht im Widerspruch zum Determinismus stehen (Stichwort: Kompatibilismus). Zweitens, woher wissen Sie, dass das Veto (o.ä.) ein rein materieller Prozess ist, wenn er sich doch gar nicht als solcher beschreiben lässt; was Sie hier als Tatsache darstellen, ist also rein hypothetisch. Drittens hat man sich in der jüngeren Diskussion vom freien hin zum bewussten Willen bewegt, wodurch auch der Widerspruch materiell/immateriell verfällt, falls es ihn so überhaupt jemals gab.

    P.S. Sie glauben also wirklich, dass genau das, was Sie hier vor ein paar Momenten geschrieben haben, so schon zum Zeitpunkt des Urknalls festgelegt war?

  24. @Mende, Holzherr: Zombies

    Anders herum wird ein Schuh daraus: Bei dem Beispiel (“Gedankenexperiment”) geht es nicht um die Frage, ob Geist ohne Gehirn möglich ist, sondern ob es dasselbe Gehirn ohne Geist (bzw. Bewusstsein) geben könnte.

  25. @Holzherr 09.08. 14:06

    „Es gibt keinen immateriellen Willen sowenig wie es eine immaterielle Person gibt, die mein Ich sein soll.“

    Keine Ahnung, wie materiell Wille, Person und innere Existenz wirklich sind. Aber wir sind ein geistiges Faktum, im Sinne einer komplementären Sichtweise: Bestimmten prinzipiell von außen zu beobachtenden Vorgängen von Nervenzellen stehen bestimmte innere Fakten gegenüber.

    Die inneren Fakten bilden in der Praxis eine Einheit von außen und innen, ein Phänomen, das von verschiedenen Seiten aus gesehen was völlig anderes ist, obwohl es derselbe Vorgang ist.

    Das ist so ähnlich, wie wenn ein Fernseher aus einem Funksignal erst ein Fernsehbild macht. Das Funksignal ist ein elektromagnetisches Faktum, das die selbe Information enthält, aber erst nach der Umwandlung durch den Fernseher kann die Information als ein Bild von uns Menschen gesehen werden.

    So ähnlich muss doch das Sehen in unserem Gehirn auch ablaufen: Die Informationen, die der Sehnerv ins Gehirn weiterleitet, müssen dort erstmal so aufbereitet werden, dass die Strukturen und Prozesse, die für unsere Innensicht sorgen, das Bild so in sich integrieren, dass es von Innen gesehen gesehen werden kann.

    Unser gesamtes Bewusstsein muss hier als Innensicht geöffnet sein, sonst sind wir bewusstlos. Und können nichts sehen, nichts denken und auch nichts entscheiden. Ohne dass wir als bewusstlos schon tot sein müssen, wir können nur nichts mehr machen, allerhöchstens schlafend träumen oder schlafwandeln. Im Wachkoma gibt es noch bedauernswerte Zwischenzustände, wenn eine Gehirnverletzung das Wachsein nur rudimentär ermöglicht.

    Die guten alten EEGs bilden ja ganz charakteristisch ab, dass im Wachzustand ganz andere Muster aufgezeichnet werden, als wenn man schläft, oder wenn man eben im Wachkoma liegt.

    Ich fand es mal erhellend, als bei mir ein EEG gemacht wurde: zwischendurch sollte ich die Augen zu, und dann die Augen wieder aufmachen, und genau in dem Moment, wo ich die Augen aufmachte, hörte ich den Schreiber loslegen, wie die Maschine promt auf meinen veränderten Bewusstseinsmodus reagierte.

  26. @Martin Holzherr, 09.08.2021, 15:13 Uhr

    „alles was es über Generationen gibt, ist nötig oder verbessert das Überleben und Fortpflanzen“… Evolutionär gesehen kann es keine P-Zombies geben.

    Nun, dies ist nur eine von mehreren Interpretationsmöglichkeiten der Evolution.
    Aber es geht um das Gedankenexperiment Chalmers als Antithese zum Physikalismus, der nur eine von vielen philosophischen -ismen darstellt.
    Bewusstsein, Geist, etc. sind keine wissenschaftliche Begriffe der Physik.

  27. @Mende 09.08. 16:36

    „Bewusstsein, Geist, etc. sind keine wissenschaftliche Begriffe der Physik.“

    Das gilt auch für Literatur oder das Grundgesetz. Und doch existiert all dieses.

    „Nun, dies ist nur eine von mehreren Interpretationsmöglichkeiten der Evolution.“

    Interessant könnte etwa die Innenwelt von Insekten sein. Eventuell braucht die Evolution bei diesen Tieren keine innere Welt, das könnten dann wirklich Automaten sein. Es kann auch sein, dass diese Tiere einfach zu klein sind, um entsprechende Strukturen ausbilden zu können. Nervenzellen lassen sich nicht kleiner scalieren, ihre Anzahl entscheidet über das Ausmaß der möglichen Intelligenz und hängt damit relativ direkt mit der absoluten Größe des jeweiligen Nervensystems zusammen.

    …oder, wenn das Bewusstsein sowieso eine Geistesebene ist, dann verbraucht es einerseits gar keine direkten Ressourcen, und andererseits wäre Bewusstsein dann auch als Eigenschaft des physikalischen Raumes sowieso im ganzen Kosmos überall in einer gewissen Art präsent. Nicht direkt wie wir die Welt erleben, aber irgendwie als allgemeiner kosmischer Geist doch vorhanden und irgendwie auch lebendig. So ähnlich wie im Schintoismus der Japaner. Dann kann es auch Insekten mit Innenwelt geben.

  28. Paul der Fatalist und seine Kaffeemaschine,
    dir scheint es ja gut zu gehen, wenn du locker vom Hocker Gott und Stalin in einem Atemzug nennst.
    Also, so geht es nicht. Andere Leute arbeiten währenddessen und haben keine Zeit für solche Ergüsse.
    Gib doch mal was Praktisches von Dir !

  29. @Tobias Jeckenburger (Zitat): „ Keine Ahnung, wie materiell Wille, Person und innere Existenz wirklich sind.„
    Direkt materiell ist eine Person die über einen Körper verfügt. Den Willen dieser Person schreiben wir ihr zu. Da heisst ohne Person auch kein Wille. Der Wille ist insoweit materiell, dass er sich während einer bestimmten Zeit in dieser Person manifestieren muss – und zwar physikalisch manifestieren muss. Denn nichts auf dieser Welt passiert ohne begleitenden physikalischen Prozess.

    Letztlich steckt hinter diesen Ansichten die Überzeugung, dass das Universum der materiellen/physikalischen Dinge alles ist, was es gibt und dass alles was es für uns Menschen gibt, eine mindestens temporäre Verkörperung/Materialisation in dieser Welt besitzt.
    Beispiel: der Gedanke an einen Kreis ist nur möglich, wenn ein materielles Hirn irgendwo diesen Gedanken ausführt, was Energie benötigt und bestimmte Strukturen im Hirn „beschäftigt“.

    Dies ist ein monistisches Weltbild, was bedeutet, dass es nur genau eine Realität gibt und alle denkbaren Träume, Gedanken, Ideen sich dieser Realität bedienen um mindestens vorübergehend zu existieren.

  30. Also, dsa ewige rumkauen auf einem Experiment, das nur wenig aussagt, und das offenbar ale falsch verstehen wollen, ist unerfreulich. Aus solchen Gründen halte ich die Wissenschaftskommunikation für größtenteils selbst schuld am Problem und für unfähig, echte Wissenschaft zu kommunizieren.

    Anyway, … Das “Bereitschaftspotential” allein ist noch kein Beweis für unfreien Willen. Das Libet-Experiment ist dazu auch zu simpel und einseitig aufgebaut. Auch das Folge experiment ist dazu nicht hilfreicher.

    Es ist eher eine Frage der “Neuroenhancemend”-Quantität, inwiefern ein Bereitschaftspotential zu einem echtem Auslöser für Handlungen wird.
    Bei ADHS-Symptomatik könnte man davon ausgehen, das ein Bereitschaftspotential schon Ursache für Handlungen sind. Und: das sich dieses Bereitschaftspotential dann auch relativ unbewusst, also unwillendlich und aufgezwungen aufbaut.

    Wenn ein Gehirn viel Neuroenhancemend erleiden musste, dann können die Bereitschaftspotentiale durchaus schon mal jede Handlung bestimmen.

    Denn wenn ein Gehirn “Maximal-Verschränkt” ist, fragt sich nämlich, woher der Wille (oder die Entscheidung) zur Handlung kommt, wenn einzelne Nervenzellen ode rNervenzellen-Verbünde überwältigend feuern und Bewusstsein sich aus solchen zusammensetzt.
    Wobei ich nicht der Meinung bin, das die “lautesten” Nervenzellen den Willen oder die Entscheidung darstellen. Aber ein maximalverschränktes Gehirn ist auch kein Normalzustand, woraufhin es zu Ausnahmen kommt.

    Und was sind Terroristen, die sich in die Luft sprengen? Sie sind des Lebens müde und da wirkt dann auch ein Jungscher (oder Freudscher) suizidaler Trieb, de überwältigend Verhalten bestimmt. Selbstmord ist unmöglich mit souveräner Willensentscheidung vereinbar.
    Und dann kommt das Libet-Experiment wieder ins Spiel: Bei Menschen, die sich suizidieren wollen, ist ein Bereitschaftspotential (hier in Form des Todestriebes) so hoch, das es im Bewusstsein als Wille “angenommen” wird.

    Und da wir wissen (können), das unsere Bewusstseine miteinander Interaggieren, … oder präziser: unsere Gehirne interaggieren miteinander, in unserem Bewusstsein denken wir uns unabhängig und getrennt von allen anderen Menschen….müssen wir einsehen, das wir fremdbestimmt sein können und dann das Bereitschaftspotetnial als Wille (an)erkannt werden kann. Und so also unser Verhalten bestimmen kann.

    Und der Schlüssel zu solchem Mechanismus ist Metall in den Gehirnzellen. Zuviel davon erzeugt so allerhand diagnostizierbares (Schizophrenie, Bipolar, ADHS oder auch mal Depressionen als Vorstufe einer schwereren Störung).

    Es gibt also einen Mechanismus, der im Bewussstein Verhaltensentscheidungen vorbestimmen kann, wenn die Bedingungen dazu günstig sind. Das sollte eine verheerend beklemmende Erkenntnis sein, die durchaus Diskussion und “Bemerkung” wert ist und notwendig ist, zu erwähnen.

    Das man “Terroristen” als Beispiele oder Szenierung herranzieht, ist dann wieder typisch “Extremistische Denkweise”. Das, wo es eben auch in einer hyperaktiven Störung der gleiche Fall ist, wo Bereitschaftspotentiale mit Verhaltensentscheidungen gleichgesetzt sind und ein seltsames verhalten resultiert.
    Das ist analog zum Krebs als Folge von so allerhand. Wo doch auch vor der ultimativen Diagnose (Krebs) andere Symptomatiken die Normalität stören und schon Erwähnung wert sind und erwähnt werden sollten – schon wegen der Prävention und so. Und Vermeidungsstrategien, die nicht nur den Betroffenen betreffen, sondern auch die Gesellschaft als solche und ihr Verhalten und die Folgen ihres Verhaltens (etwa, keine gefährliche Chemie in Nahrungsmitteln oder andere für individuelle Probleme unverdächtigen Verhaltensweisen).

    Im Gehirn gibt es “Verschaltungen”, die nicht logisch funktionieren, sondern quantitativ. Eine der wesendlichsten Funktionsunterscheidungen ist die der “Schnittstelle” und der Identität. Die Schnittstelle ist der Neokortex, die Identität findet darunter statt. Zwar ist man ohne die Vernetzung über die Schnittstelle (keine) wenig Identität, also keine IDentität möglich, wie man sie sich vorstellt im Ideal, aber nur dann, wenn eine deutlich und eindeutige trennung zwischen Neokortex und tieferen Gehirnregionen möglich ist, ist man frei.
    Das scheint kontraintuitiv, wenn man souveräne Menschen mit viel scheinbarer Identität als “freie” Menschen erkennt, weil sie souverän handeln können und sogar über ganze Gesellschaften zu dominieren scheinen.
    Der Fehler in dieser Deutung ist, das ein Souveräner Mensch, der über größere teile der Gesellschaft dominieren kann, größere Zustimmung aus der Gesellschaft (Population über das Gehirn als Schnittstelle) haben muß und so erst die Souveränität (und Macht) bekommt.
    Und also “unfrei” ist. Und mit dieser Unfreiheit ist auch das nicht mehr unterscheiden können zwischen Bereitschaftspotential und Entscheidung verbunden. Menschen, die solche Souveränität zeigen, sind durch die hohe Vernmetzung in Population an die Population gebunden. Und eben nicht frei. Also unfrei “aus” der einen Richtung (Vernetzung), aber freier “in” die andere Richtung (unmittelbares Umfeld in Gesellschaft im Extrinsischen).

    Verbunden damit ist diese sogenannte “Selbstsicherheit”, die man schlüssigerweise ausschliesslich nur so deuten kann, das sie besteht, weil eine hohe Veschränkung der Gehirne vieler Menschen mit dem Selbstsicheren besteht, die sich in irgendeiner Weise einig sind und synchron “denken” und Verhalten. Diese “Selbstsicherheit” ist meist der “unfreiheit” unverdächtig, aber dies nur, weil es gefühlt dem eigenen Willen entspricht.

    Was aber, wenn die gleiche hohe Veschränkung dazu führt, das jemand aus anderen Gründen nicht mehr zwischen Bereitschaftspotential (also daraus resultierenden Bewegungsdrang) und eigenem Willensinteresse unterscheiden kann, wie bei Hyperaktiven Menschen (ADHS-Störung) oder eben symptomatisch für Terroristen, die bereit sind, ihr Leben zu beenden?

    In solchen Szenen ist die Trennung zwischen Neokortex und Identität nicht mehr möglich, was eine gewisse fortgeschrittene Myelinisierung vorraussetzt, die “primäre” Vernetzungsstrukturen erzwingt, aus denen Bewusstsein und Wille generiert (oder gedeutet) wird, welche andere Vernetzungsmöglichkeiten regelmäßig “überstimmt” (übvertöhnt, weil die Signalstärke und Geschwindigkeit in diesen Vernetzungslinien/Strukturen schneller und stärker ist, als zu anderen). Was meint, das “Bildung” hier rein organisch gemeint ist, das sich myelinisierte Vernetzungen herrausbilden sollen, auf denen primäre Bewusstseins-Ursprünge erzeugen.

    Wer also von “Bildung” spricht, redet vom Mechanismus der Unfreiheit. Deswegen rede ich nie von Bildung im Sinne irgendeiner “Besserung” von Wissen oder Erkenntnisförderung, sondern von Erkenntnis und Wissen, die “ungezwungen” existieren können, als das sie durch enhancemend-Übererfüllung, die zu übermäßigen Myelinisierungen führen, die den Menscnben “unfreier” machen, als er sein müsste.

    Und de Schlüssel zur Myelinisierung ist elektrisches Potential und Stromfluß.

    Und das bekommt man eben mit Metallenhancemend hin, welches in Verbindung mit Nervengiften dazu führt, das sich unkontrolliert und unbestimmt Gehirnregionen mit Metallionen “enhancen”, die nicht zum normalen und willendlichen Verhalten entsprechen, sondern aus Panik oder Ausnahmezustand im Gehirn durch die Nervengifte aktivierten Gehirnregionen aus dem default-mode-Netzwerk (welches das ist, wohin man im Tagtraum hinein-wandelt mit seinem Bewusstsein, aber jederzeit wieder herraus kann, indem man ein fokussiertes Bewusstsein aufbaut, also eine Trennung zwischen Vernetzungsstrukturen möglich ist), das daraufhin zum Wachbewusstseinsnetzwerk wird, weil durch Nervengifte und Metallionen-Integration die Zellaktivität erhöht wird, und sich schnell myelinisierte Nervenbahnen bilden, aus denen man dann nicht mehr herraus kann.

    Wer den Menschen also “Bildung” angedeihen lassen will, ist ein Unterdrücker und will prinzipiel nichts Gutes, sondern will Menschen “unfrei” machen mit dem Vorwand der Integrationshilfe, die aber eben Zwangsintegration sei, was man sonst auch Assimilierung nennt.

    Die Strategie/Methode der “Integration” mit Nervengiften und Metallionen ist inzwischen schon seit 150 Jahren etwa möglich und wohl auch üblich. Die chemische Synthese von Nervengiften ist eine Vorraussetzung, die monoatomare Herstellung von Metallionen eine andere. Und die Industriellen Fähigkeiten und Methoden sind die dritte Bedingung, um systematisch ganze Bevölkerungen “bilden” zu können.

    Der Westen fabuliert immerzu von Freiheit und was tut er? Er zwingt den Menschen in ultimative Unfreiheit, indem er sein Gehirn “bildet”… zur übererfüllenden Myelinisierung zwingt, die ihn ultimativ unfrei macht, weil der Mechanismus der Unfeiheit vorbewusst ansetzt (eben an den Bereitschaftspotentialen und Vernetzungsbildungen des Gehirns, nicht an ideellen Konditionen im Bewusstsein).
    Der Westen lügt sich was vor, wenn er so handelt. Entgegen seiner Werte-Ideologie.

    ich bin zwar nicht “frei”, wenn ich keine oder nur eine geringe Identität habe, aber nur so werde ich in Gesellschaft nicht zu etwas gezwungen werden kännen, das ich nicht wirklich will, denn ich habe ja keine “vorverschalteten” Primär-Vernetungen, die mich dazu zwingen, ich kann jederzeit “faul” sein und nichts tun und noch nicht mal tangiert sein. Das “nicht tangiert sein” ist der Schlüssel zur Freiheit, nicht, das ich mich gegen etwas entscheiden kann, was vorbewusst als Trieb oder als Bereitschaftspotential von meinem Gehirn aktivität aufweisst. Denn dann bin ich ja schon “tangiert” und kann nur noch mit viel Aufwand dem angelegten Bereitschaftspotential widersprechen.

    Und übrigens ist die gegenwärtige “Diagnose-Schwemme” von psychischen Krankheiten/Störungen eine Folge der Massenvergiftung mit Nervengiften und Metallionen. Sie führen zu Belastungen der Menschen in Form von unnormal erhöhter Neuroaktivität im Alltag und führen so auch zu permanenter “traumatisierung”, welche wiederum dazu führt, das sich beschleunigt und unpräferiert myelinisierte Vernetzungen bilden, sie uns unfrei machen und eben auch psychisch belasten.

    Die Feldchemie, die wir alle in unseren Nahrungsmitteln haben, ist ein wesendliches Problem dabei (abe rnicht das Einzigste, sondern auch Chemie in Fertiglebensmitteln, die im menschlichen Organismus als Bioreaktor miteinander reagieren, was subtil ist, weil die einzelnen Chemikalien allein nichts im Körper bewirken, aber zusammen im Organismus reagieren und Folgewirkungen auslösen). Und wir werden alle durch diese Feldchemie erpresst oder direkt unterdrückt. Die Erpressung kommt so zustande: Wenn diese Feldchemie nicht verwendet wird (echte Biolandwirtschaft), werden Pflanzenschädlinge auf das Feld ausgesetzt, sodass die Ernte entweder verlustig geht oder der Landwirt sich doch zur Feldchemie entscheidet.
    An der Stelle sollte jede Politik ansetzen. Und Lösungen für dieses unsägliche und unmenschliche Problem finden.

    Und wer echte Freiheit will, muß eben davon absehen, die ganze Bevölkerung (oder einzelne Menschen) mit solchem “Neuroenhancemend” zu vergiften.

  31. Zitat Tobias Jeckenburger: „ Interessant könnte etwa die Innenwelt von Insekten sein. Eventuell braucht die Evolution bei diesen Tieren keine innere Welt, das könnten dann wirklich Automaten sein.„
    René Descartes hielt alle Tiere für Automaten. Nur gerade Menschen konnte sich Descartes nicht erklären, das heisst Ideen, Sprache und die Fähigkeit zu logischem Denken des Menschen konnte der Reduktionist Decartes nicht, oder wollte er nicht auf Maschinenelemente reduzieren.
    Deshalb erfand er eine Art Gegenwelt, in der die für ihn nicht auf Maschinenbauteile reduzierbaren Fähigkeiten des Menschen ihre wahre Behausung haben sollten. Diese Gegenwelt in der gedacht wurde, in der die res cogitans abgehandelt wurde, existierte für Décartes getrennt von der materiellen raumzeitlichen Welt und war seiner Ansicht nach nur über einen dünnen Kommunikationskanal mit der materiellen Welt verbunden.

    Fazit: Für Descartes war die gesamte Welt mechanisch, automatenhaft – ausser dem Mentalen des Menschen. Dieses human Mentale lagerte er in eine höhere Welt aus, in eine Welt, die über dem mechanisch/automatenhaften stand.

  32. David Chalmers Hard Problem of Consciousness -Video enthält folgende zwei Aussagen:
    1) Das Bewusstseinsproblem ist das Problem wie Physik in inneres Erleben umgesetzt wird
    2) Ein Mensch verhält sich ähnlich wie ein Roboter, empfindet aber im Gegensatz zum Roboter etwas. Warum das? Es ginge doch auch ohne Empfindung wie der Roboter uns das zeigt.

    Nun 1) ist teilweise ein Problem der Neurokognition, denn dabei laufen untersuchbare Prozesse ab und teilweise ist es ein biologisch/historisches Problem, denn wir können Empfindungen wie Schmerz, Angst, Geborgenheit, Farbempfinden oder Zuversicht nicht allein physikalisch erklären, sondern müssen annehmen, dass diese Empfindungen einen biologischem und evolutionären Zweck dienen. Nicht einem physikalischen Zweck, sondern einem biologischen Zweck, also einer Verbesserung des Verhaltens in Bezug auf das Überleben und die Fortpflanzung.

    Punkt 2) ist nur dann ein valider Punkt, wenn man meint sich wie ein Roboter, also ohne Empfindung zu verhalten, genüge um erfolgreich zu sein. Doch genau das stimmt bei Tieren (und damit Menschen) ja nicht. Affekte, Gefühle und Empfindungen sollten vielmehr als animalische Formen der Zukunftsberechnung, Zukunftseinschätzung, der Erinnerung und der gefühlten Priorität gesehen werden. Das heisst, wer sich zufrieden fühlt, hat damit „berechnet“, dass alles in der unmittelbaren Vergangenheit gut gelaufen ist und weil Zufriedenheit ein angenehmes Gefühl ist, bedeutet das auch, dass das Tier oder der Mensch daraus lernen darf, zu wiederholen was zur Zufriedenheit führte. Ähnliche Überlegungen gelten auch für andere Empfindungen und Gefühle. Sie alle sind affektiv/emotionale Berechnungen mit Erinnerungs- und Lernwert.

  33. @Martin Holzherr, 09.08.2021, 21:21 Uhr

    ad1. Qualia dienten einem evolutionsbiologischer Zweck? Kann sein oder auch nicht.
    ad2. Gefühle etc. seien “affektiv/emotionale Berechnungen mit Erinnerungs- und Lernwert” Das ist recht spekulativ.

    Ich weiß nicht, ob wir den PhiloDiskurs zwischen D. Chalmers und D Dennett auflösen können. Der monistische Eigenschaftsdualismus versucht ja die sog. Erklärungslücke der Physikalisten aufzufüllen. So kommen wir mit dem Thema des freien Willens nicht weiter.
    Schleim: “Dass unbewusste Einflüsse verhaltenswirksam werden können, steht nicht im Widerspruch dazu, dass wir im Allgemeinen die bewusste Kontrolle über unser Verhalten haben.” Spannend was für den 4.Teil angekündigt wird.

  34. @Holzherr 09.08. 21:21

    „Das heisst, wer sich zufrieden fühlt, hat damit „berechnet“, dass alles in der unmittelbaren Vergangenheit gut gelaufen ist und weil Zufriedenheit ein angenehmes Gefühl ist, bedeutet das auch, dass das Tier oder der Mensch daraus lernen darf, zu wiederholen was zur Zufriedenheit führte.“

    Hört sich gut an. Manchmal reden Psychologen auch vom Belohnungssystem, das im Falle von Drogensucht auch pathologisch wirken kann. Im Blick der Introspektion erscheint dies plausibel, aber wie das dann doch wirklich im Gehirn implementiert ist, könnte doch wieder anders sein.

    Nebenbei versuche ich immer wieder darauf hinzuweisen, das unsere innere Repräsentation des Außenraumes und der eigenen Körperposition einer ganzen Erlebniswelt zur Existenz verhilft, die grundlegend schon eine eigene Seinsweise ist. Die Emotionen und Gedanken, Vorstellungen und Pläne sind darin eingebettet, und spezifisch menschlich.

    Bei Insekten etwa könnte die innere Erlebniswelt grundsätzlich auch existieren, könnte aber vergleichsweise sehr simpel sein, damit sie im insektentypisch kleinem Nervensystem dann doch implementierbar ist. Ich fände Forschung spannend, die sich mit Konnektomen von Insekten beschäftigt, vielleicht kann man hier die Strukturen und Prozesse einer inneren Existenz tatsächlich finden – oder feststellen, das es ohne eine Mitwirkung von allgemeinem theoretischem kosmischen Geist hier noch nicht mal geht.

    Und auch unter Insekten gibt es ja schon ganz verschiedene Größen. Bei den Spinnentieren gibt es eine Spanne von 0,1 mm bei der Hausstaubmilbe und 10 cm bei den größten Vogelspinnen, das ist ein weites Feld.

  35. @ Tobias Jeckenburger
    09.08.2021, 15:42 Uhr

    Zitat:
    Bestimmten prinzipiell von außen zu beobachtenden Vorgängen von Nervenzellen stehen bestimmte innere Fakten gegenüber.

    -> Ist das so? Oder sieht es nur so aus? Was, wenn neuronale Aktivität anhand elektrischer Potentiale nicht der Inhalt des Bewusssteins darstellt? Sondern nur feuernde Nervenzellen, die ihrerseits ihren Willen aufzwingen wollen? Was bedeuten würde, das Nervenzellen nicht dem Besitzer in dessen Gehirn sie sind, gehorchen, sondern geradezu autonom sind, und Informationen preisgeben – mit mehr oder weniger energetischem Potential. Ab wann kann man einer Information, die im Gehirn bereitgestellt wird / preisgegeben wird, nicht mehr widerstehen?

    Das sind die Fragen, die beantwortet werden sollten. Denn es ist mit absolut nichts bewiesen, das Neuro-Aktivität auch Bewusstseinsinhalt sei. Es widerspricht sich auch mit der Erkenntnis, das besonders bei Autisten eher weniger Gehirnaktivität vorzufinden ist. Wo man doch davon ausginge, das im Zweifel (bei Inselbegabten-Autismus) geniale Aussagen eine krasse Neuroaktivität vorrausging, weil…je korrekter eine aussage, desto mehr müsste unter begleitung von hoher Neuroaktivität nachgedacht werden, oder?

    Zu beachten wäre noch, das der Neokortex als weitest vom Stammhirn entfernter Gehirnteil wohl auch am wenigsten “zugehörig” zur Person gelten müsste. Auch, wenn ich die Rechnung, das Signalweg und Signalgeschwindigkeit bei der Bewusstseinsbildung bestimmend sein sollen, nicht recht traue, ist im Zweifelsfall auch daran etwas drann: Es ist möglich, einem Bewusstsein Gedankeninhalte aufzuzwingen. Das geht schon daraus hervor, das man mit Magnetstimmulation Gehirnbereiche so manipulieren kann, das im Bewusstsein entscheidene Veränderungen stattfinden.

    Es klingt fast so, als ob Neuroaktivität tatsächlich Bewusstyseinsinhalt darstelle. Aber das gilt nicht für alle Menschen und alle Neurologischen Konstitutionen.
    In der Neurowissenschaft wird sowieso viel zu wenig zwischen neurologischen Konditionen unterschieden. Offenbar haben die üblichen Studenten der Universitäten relativ ähnliche Konditionen ihrer Neurofunktionen, sodass man meint, da gäbe es keine Unterschiede und der typische Student wäre die “Normvariante” des menswchen. Was ja auch aus anderen Betrachtungen ziemlich entgegen jeder Gleichstellungidee sei, wenn man einen teil der Population schlicht ignoriert bei der Forschung.

    Anway, …. bei den Messungen der neuroaktivität muß beachtet werden, in weölchem Bereich die Neuroaktivität stattfindet. Und ich meine die Unterscheidung zwischen Neokortx und teiferen Gehirnregionen. Und das, so wie ich das sehe, geht mi teinem EEG sowieso nicht. Das misst das nächst höchste elektrische Potential und seine Frequenz. Was unter/hinter dem Potential geschieht, wird überhaupt nicht gemessen.
    Und hinter einer solchen “Wissenschaft” und den Ergebnissen, kann man haufenweise andere Manipulationen verbergen, die gar nie gemessen werden, weil die übliche Methode dazu unzureichend ist.

    Das man nur den Neokortex misst, ist also vollkommen unzureichend und lässt zu dem andern Problem oben einen weiteren zweifel daran aufkommen, das elektrische Aktivität auch Bewusstseinsinhalt sei.
    Jedenfalls ist diese Annahme mit den bisherigen Methoden gar nicht beweisbar un dist also nur eine Vorannahme, deren Korrektheit unbewiesen und sogar nicht wirklich plausibel ist.

    Aber im Falle von einer Störung der neuronalen und der identitären Konstitution kann es dann doch so sein, das diese neuronale Aktivität im Neokortex Bewusstseinsbildend und bestimmend ist. Unter diesen Bedingungen könnte man von einem “Zombie” sprechen, dessen Bewusstein an wenigen, und gleichbleibenden neuronalen Vernetzungen hängt, die, wie oben beschrieben, durch “überbildung” von Vernetzungen zu primären Informationsbezugspunkten werden, sodass eine Identität darunter nicht mehr eigenständig existent scheint und sozusagen an “Ketten” hängt, denen sich die Identität nicht mehr verwehren kann.

    Insofern: ist der Mensch potentiel “unfrei” im Willen, weil er erheblich und womöglich unter Umständen extrem eindimensional Primärvernetzt ist, sodass er keine “Wahlmöglichkeit mehr hat zwischen Entscheidungen, die ausserhalb der primären Vernetzung lägen.

  36. Beispielsweise das hier:

    Shattering cancer with resonant frequencies: Anthony Holland at TEDxSkidmoreCollege
    1.389.293 Aufrufe
    23.12.2013
    TEDx Talks

    Wenn das wahr ist, das man mit Resonanzfrequenzen organische Zellen “zerschmettern” kann, dann kann man die Zellen mit anderen Frequenzen auch anderes manipulieren.
    Und das gilt natürlich nicht nur für Krebszellen, sondern für jede Zelle, die im Körper ein relativ hohes Potential hat. Und das sind nunmal Nervenzellen, die nur dann effektiv funktionieren, wenn sie ein hohes elektrisches Ptoential haben. Und der Grund, wieso sie ein hohes Potential haben, ist das Metall in ihnen.

    Wenn man das also weiterdenkt, dann kann man mit flächendeckender Mobilfunkbestrahlung taktische Zellmorde vollziehen. Und da machen sich durchaus viele kleine Sender, wie bei 5G vorgesehen, besser, als nur wenige große, die wenig gezielt einen großen Raum bestrahlen und wenig gezielte Resonanzen auslösen können, sondern relativ starr eine Frequenzwelle in den Raum schiessen.

    Man kann auch taktische Neuromanipulationen erzeugen, indem man die dazu nötige Frequenz gezielt auf das Zielgehirn strahlt. Etwa Angsterregung, oder auch andere Manipulationsziele.

    Aber in der so holden und für alle Niederträchtigkeit unverdächtige Wissenschaft geht es mal wieder nur um Krebs. Obwohl vor dem krebs allehand andere Auswirkungen der belastung stattfinden und selbstverständlich eben auch neuronale Manipulationsmodi sehr unterscheidlicher sein können, als nur Krebszellen abzutöten.
    Ebenso, wie man mit Magnetfelder Gehirnregionen manipulieren kann, so erzeugt man auch elektrische Felder, wenn man Bestrahlung mit entsprechender Frequenz die Zellen so reizt, das sie das erwünschte verhalten und Aktivitätsmuster aufweisen werden, was dann nicht anders sei, als wenn man mit Magnetfeldern an die Zellen geht. Magnetfelder sind äußere Reize für Nervenzellen und die reagieren dann in gewisser Weise auf die Reize. möglicherweise sogar auf unterscheidliche Reize mti unterschiedlichen Reaktionen.
    Das ein Gehirn ein eigenes elektrisches Feld um sich herum bildet, und dieses mit elektromagnetischer Strahlung “reizbar” ist, sodass die Zellen, welche das Feld aufbauen, darauf reagieren werden, sollte bewusst und klar sein.

    Die Frage ist nur, wie sie reagieren und bei welchen Frequenzen und Bestrahlungsleistungen das auftritt.

  37. Beim Schlafwandeln und unter Hypnose wird ein dem Zombie ähnlicher Zustand erreicht.
    —–
    Bei Gruppen bildenden Lebewesen kommt es in der Evolution oft vor, dass die Lebewesen den Mitgliedern der eigenen Gruppe helfen, und auch, dass die Lebewesen den Mitgliedern der anderen Gruppen schaden.
    Für beide Arten der Verhaltensweisen gibt es angeborene oder anerzogene Instinkte, Triebe, Wünsche oder Regeln.
    Ein Terrorist ist ein Stammeskrieger aus einem feindlichen Stamm, für den er aber ein Held ist.

  38. @Rüdiger Mende (Zitat): „ ad1. Qualia dienten einem evolutionsbiologischer Zweck? Kann sein oder auch nicht.„

    Antwort: Nun, das hochkomplexe Immunsystem über das alle höheren Lebewesen verfügen dient zweifellos dem Überleben in einer Welt voller Parasiten und einer Welt voller opportunistischer Keime.
    Sie würden wohl kaum sagen, das Immunsystem sei evolutionsbiologisch erklärbar oder auch nicht, denn es ist klar, dass Menschen mit angeborener Immunschwäche ständig in ihrem Leben bedroht sind.

    Jetzt gibt es aber mindestens eine perfekte Analogie zur angeborenen Immunschwäche im Bereich der Qualia, nämlich die angeborene Schmerzunempfindlichkeit. Solche Leute gibt es. Ihr Leben ist aber alles andere als glücklich, denn sie verletzen sich im Laufe ihres Leben so schwer, dass sie immer mehr bleibende Schäden erleiden.

    Wer also sagt (Zitat):“ Qualia dienen einem evolutionsbiologischer Zweck? Kann sein oder auch nicht“, dem fehlen einfach die biologischen Kenntnisse, dem fehlt die Übersicht über das, was höhere Lebewesen für Leistungen vollbringen müssen, damit sie durchs Leben kommen.

  39. Zitat Tobias Jeckenburger:

    Bei Insekten etwa könnte die innere Erlebniswelt grundsätzlich auch existieren, könnte aber vergleichsweise sehr simpel sein, damit sie im insektentypisch kleinem Nervensystem dann doch implementierbar ist. Ich fände Forschung spannend, die sich mit Konnektomen von Insekten beschäftigt

    Teile von Insektennervensystemen, beispielsweise von Libellen, werden inzwischen nachgebildet, denn hier lösen oft wenige tausend Neuronen, die in nur 3 Schichten angeordnet sind, hochkomplexe Navigations- und Jagdprobleme. Der Artikel FAST, EFFICIENT NEURAL NETWORKS COPY DRAGONFLY BRAINS ist Zeuge davon:

    Während Libellen möglicherweise keine strategischen Spiele wie Go spielen können, zeigt eine Libelle eine Form von Strategie, indem sie vor dem aktuellen Standort ihrer Beute zielt, um ihr Abendessen abzufangen. Dies erfordert extrem schnelle Berechnungen – eine Libelle braucht normalerweise nur 50 Millisekunden, um sich als Reaktion auf das Manöver einer Beute zu drehen. Sie tut dies, während sie den Winkel zwischen ihrem Kopf und ihrem Körper verfolgt, damit sie weiß, mit welchen Flügeln sie schneller schlagen muss, um sich vor der Beute zu drehen. Und sie verfolgt auch ihre eigenen Bewegungen, denn wenn sich die Libelle dreht, scheint sich auch die Beute zu bewegen.

    Das Gehirn der Libelle ermöglicht also eine bemerkenswerte Leistung, wenn man bedenkt, dass die Zeit, die ein einzelnes Neuron benötigt, um alle seine Eingaben – die sogenannte Membranzeitkonstante – zu addieren, 10 Millisekunden überschreitet. Wenn man die Zeit einkalkuliert, die das Auge benötigt, um visuelle Informationen zu verarbeiten und die Muskeln die für die Bewegung erforderliche Kraft erzeugen, bleibt wirklich nur Zeit für drei, vielleicht vier Schichten von Neuronen, um ihre Eingaben zu addieren und Informationen weiterzugeben.
    ….

    In meiner vereinfachten Simulation der Libellenjagd dreht sich die Libelle, um das Bild der Beute an einer bestimmten Position auf ihrem Auge auszurichten, aber sie muss berechnen, wie diese Position aussehen sollte.

    Die dritte und letzte Schicht meines simulierten neuronalen Netzes ist die motorische Befehlsschicht. Die Ausgaben der Neuronen in dieser Schicht sind Anweisungen auf hoher Ebene für die Muskeln der Libelle, die der Libelle sagen, in welche Richtung sie sich drehen soll. Die Libelle verwendet die Ausgabe dieser Ebene auch, um die Auswirkungen ihrer eigenen Manöver auf die Position des Bildes der Beute in ihrem Sichtfeld vorherzusagen und diese projizierte Position entsprechend zu aktualisieren. Diese Aktualisierung ermöglicht es der Libelle, die Sichtlinie zu ihrer Beute relativ zur Außenwelt stabil zu halten, wenn sie sich nähert.

    Folgerung das Innenleben von Libellen betreffend: Eine Libelle, die ein anderes Insekt im Flug erhascht erledigt das vollautomatisch mit einem spezialisierten Netzwerk von nur 3 Neuronenschichten. Mehr können es nicht sein, weil jede Schicht mindestens 10 Millisekunden mehr Verarbeitungszeit bedeutet und die Libelle innerhalb 40 Millisekunden oder so auf eine Flugrichtungsänderung ihrer Beute reagiert.
    Die Libellenjagd endet in 95% der Fälle tödlich für ihre Beute und das ist nur möglich, weil die Libellenjagd vollautomatisch und ohne jedes Innenleben, ohne irgendwelche Erlebnisqualitäten und Qualia abläuft.

    Es wird also ohne Denken und Empfinden getötet, denn es bleibt keine Zeit zum Denken oder Empfinden.

  40. @Martin Holzherr, 10.08.2021, 07:05 Uhr

    Wer also sagt (Zitat):“ Qualia dienen einem evolutionsbiologischer Zweck? Kann sein oder auch nicht“, dem fehlen einfach die biologischen Kenntnisse, dem fehlt die Übersicht über das, was höhere Lebewesen für Leistungen vollbringen müssen, damit sie durchs Leben kommen.

    Das ist aber hart aufgetragen!. Sie führen als Beispiel das “hochkomplexe Immunsystem” an, von dem Sie soviel verstehen wie ein Physiker.
    Ich befürchte, über die Bedeutung des Wortes Qualia haben wir verschiedene Ansichten.

  41. @Karl Bednarik, 10.08.2021, 04:10 Uhr

    Beim Schlafwandeln und unter Hypnose wird ein dem Zombie ähnlicher Zustand erreicht.

    In therapeutischer hypnotischer Trance sicher nicht. Sie können aber Gefühle und Emotionen suggerieren. Sog. unmoralische Handlungen kann man nicht bewirken, wenn die VP unbewusst (oder bewusst) dieses ablehnt. Hypnose kann nie den “Willen brechen “.

  42. Ist Willensfreiheit eine Frage des Wie oder des Was?
    Wenn man Libets Gehirn- und Muskelstrommessungen als Kriterium dafür nimmt, ob es einen freien Willen gibt, bedeutet das, dass man die Existenz eines freien Willens daran festmacht, wo genau die Entscheidung fällt: Wenn die Entscheidung messbar im Hirn fällt bevor sich der Proband seiner Entscheidung bewusst wird, dann besteht kein freier Wille, denn das Bewusstsein wurde bereits mit einer fertiggebackenen Entscheidung versorgt und tut dann so, als habe es (das Bewusstsein also) entschieden obwohl in Wirklichkeit eine tiefere Instanz entschieden hat.
    Meiner Meinung ist das eine völlig falsche Art den Menschen zu betrachten, nämlich eine Art, in der der Mensch hierarchisch unterteilt wird in ein untergeordnetes Unbewusstes (warum nur spricht man von Unbewusstem, nicht aber von Unbewusstsein (Tipp: Sein in BewusstSEIN ist höher/besser) und ein übergeordnetes, hoffentlich den Ton angebendes Bewusstsein. Doch in Wirklichkeit ist der Mensch eine Einheit und nicht etwa ein Auto wo das Unbewusstsein der Motor und das Bewusstsein der Fahrer ist. Gerade hat auch der Artikel „Der Autopilot im Kopf“ von Steve Ayan darauf aufmerksam gemacht, dass unbewusstes Agieren der Normalfall ist und bewusstes Agieren eher einem Unfall entspricht, denn es wird dann nötig, wenn es nicht so klappt wie es eigentlich im Autopilotenmodus klappen sollte. Folgerung: Wenn ich im Hirn entscheide Muskeln zu aktivieren, dann habe ich das entschieden und es ist falsch dies entweder dem Unbewussten oder dem Bewusstsein zuzuordnen.

    Für mich geht es bei der Frage ob es einen freien Willen gebe, nicht darum, welche Instanz in mir entscheidet, was zu tun ist, sondern vielmehr darum, was ich überhaupt entscheiden kann, also darum, welche Optionen mir zur Verfügung stehen. Überspitzt formuliert: Zeugt es von freiem Willen, wenn ich zwischen Giftspritze und Erhängen wählen kann oder ist es nicht vielmehr so, dass wer stark eingeschränkte Wahlmöglichkeiten hat, auch nur sehr beschränkt frei ist?

    Ein Argument gegen die Existenz eines freien Willens ist nun gerade, dass die Wahlmöglichkeiten, die mir vermeintlich zur Auswahl stehen nur eingebildet sind. Wer so argumentiert, sagt im Prinzip, dass meine innere Verschaltung, dass die Wetware in mir bereits so konditioniert ist, dass Entscheidungen nur noch eine Illusion sind und in Wirklichkeit schon alles entschieden ist.

    Auch Martin Luther meinte, menschliche, freie Entscheidungen seien eine Illusion, allerdings nicht wegen der Prägung des Menschen durch seine Umwelt, sondern weil in Wirklichkeit Gott entschieden hat und ich nur noch ein Werkzeug Gottes bin und nicht mehr ein freier Mensch. Für Martin Luther war der Mensch inhärent unfrei und er, der Mensch, lebte als Handpuppe des täglich übenden/agierenden göttlichen Schöpfers.

    Diese Sicht des von äusseren Umständen (oder gar von Gott) gelenkten Menschen ist nicht völlig falsch, doch sie ist auch nicht völlig richtig. Es gibt in jedem Fall eine sinnvolle Auffassung davon, was freier Wille ist, nämlich die Auffassung, dass ich die Folgen und die Bedeutung meiner Handlungen bei der Entscheidung dazu berücksichtigt habe und deshalb mit deren Folgen leben muss. Wer sich entscheidet an einem illegalen Strassenrennen mit überhöhter Geschwindigkeit durch ein Dorf teilzunehmen, der hat sich auch entschieden die Konsequenzen dieser Entscheidung zu tragen. Einen freien Willen hatte er genau dann, wenn er sich der möglichen Konsequenzen bewusst war und dann muss er auch die Verantwortung für sein Handeln übernehmen.

    Mit andern Worten: Freier Wille bedeutet letztlich Selbstverantwortlichkeit des Handelnden. In einer Welt ohne Selbstverantwortlichkeit gibt es keine freien Menschen und wir landen in Martin Luthers Welt oder in einer Welt in der eine anonyme höhere Instanz die Verantwortung übernimmt.

  43. Qualia sind zwar subjektiv, aber überlebenswichtig
    @Rüdiger Mende (Zitat): „ Ich befürchte, über die Bedeutung des Wortes Qualia haben wir verschiedene Ansichten.“
    Mit ziemlicher Sicherheit, denn die Begriffe um die es hier geht wie Bewusstsein oder Qualia werden selbst von den Philosophen, die sich dazu äussern oft im Unklaren gelassen und/oder es wird an die persönliche Erfahrung appelliert.
    In der Wikipedia liest man zu Qualia folgende Definition: “ Unter Qualia (Singular: das Quale, von lat. qualis „wie beschaffen“) oder phänomenalem Bewusstsein versteht man den subjektiven Erlebnisgehalt eines mentalen Zustandes.“
    In der englischen Wikipedia wird das weiter ausgeführt

    Beispiele für Qualia sind das wahrgenommene Schmerzempfinden von Kopfschmerzen, der Geschmack von Wein sowie die Rötung eines Abendhimmels. Als qualitative Merkmale von Empfindungen stehen Qualia im Gegensatz zu “propositionalen Einstellungen”,[1] wo der Fokus auf Überzeugungen über Erfahrung liegt und nicht darauf, wie es direkt ist, zu erfahren.

    Der Philosoph und Kognitionswissenschaftler Daniel Dennett schlug einmal vor, Qualia sei „ein unbekannter Begriff für etwas, das jedem von uns nicht vertrauter sein könnte: die Art und Weise, wie die Dinge uns erscheinen“.

    Nun, der typische Bewusstseinsphilosoph à la David Chalmers behauptet, Qualia seien Empfindungsmodalitäten, die
    1) absolut unerklärbar und subjektiv sind
    2) nicht nötig sind, also ein Luxusprodukt der Evolution sind
    3) nicht von dieser Welt sind.

    Doch das ist ziemlich falsch. Ich behaupte, wie und wo wir Farbe, einen Geruch oder Geschmack oder auch einen Schmerz empfinden, hat eine immense Bedeutung für unsere alltägliche Leistungsfähigkeit und für unsere Vertrautheit mit der Welt. Das zeigt gerade das Post-Covid-Symptom zu dem in vielen Fällen eine Geschmacksfehlwahrnehmung gehört. Gestern sah ich einen Bericht über eine Parfumerin, die nun nach ihrer Covid-Erkrankung alle Parfums als eklig empfindet, für sie ist eine Welt zusammengebrochen.

    Oft wird auch behauptet Qualia seien atomar, also nicht weiter analysierbar. Doch das stimmt nicht. Und es stimmt auch nicht, dass Qualia unverarbeitete, rohe Sinneseindrücke sind. Vielmehr sind Qualia von unserem Hirn aufbereitete Erlebnisse, die uns den Dingen eine bestimmte Bedeutung geben lassen.

    Eine als rot beschriebene Blume sieht selten wirklich rot aus, denn je nach Beleuchtung kommen andere Farben in unserem Auge an. Doch unser Hirn weiss meist, dass es rot sein muss und wir sprechen dann von Rot wo es gar kein rot zu sehen gibt.
    Auch der Schmerz, seine Lokalisation, Intensität und Form ist etwas hochgradig Aufbereitetes und es gilt: ohne Hirn gibt es kein Schnerzempfinden. Das Hirn schafft die Benutzerillusion, es tue an einer bestimmten Stelle weh und dazu muss das Hirn einen gewissen Aufwand betreiben und das inhärente Körperschema benutzen, welches es internalisiert hat.

    Fazit: Sinnesempfindungen sind kein Luxus, sondern wenn schon einer der Gründe, warum man leben will und warum man sich in dieser Welt bewegen kann.

  44. Heutige selbstfahrende Autos fahren so schlecht weil ihnen Qualia fehlen
    Nach dem Konsum von mindestens 20 Selbstfahr-Videos kann ich mit ziemlicher Sicherheit sagen: Ein wichtiger Grund warum die heutigen selbstfahrenden Autos meist so schlecht fahren ist der, dass ihnen die Qualia fehlen. Es fehlt ihnen das Empfinden dafür, wie man fahren sollte, wie ein Mensch fahren würde, damit man das Fahren als angenehm empfindet. Ja, selbst bei Dingen wie dem Autofahren spielt das Gefühl eine wichtige Rolle. Gefühlvoll fahren bedeutet, angemessen, nachvollziehbar fahren, bedeutet im richtigen Augenblick in richtiger Weise zu beschleunigen oder zu bremsen. Wem das Gefühl dafür fehlt, der ist kein guter Autofahrer, den meisten heutigen selbstfahrenden Autos fehlt dieses Gefühl. Deswegen sind sie keine guten Autofahrer.

  45. Bei der Diskussion über die Willensfreiheit wurde ein Gesichtspunkt nicht beachtet, die menschliche Phantasie.
    Um bei dem Beispiel mit dem selbstfahrenden Auto zu bleiben. Man kann dem Programm alle Eventualitäten programmieren, sogar Qualia gerecht.
    Man kann aber nicht den Faktor x einprogrammieren, ein Ereignis, das man nicht voraussagen kann , per Definition nicht, und dem nur der Mensch mit seiner Phantasie erfolgreich begegnen kann.
    Die Phantasie ist nicht determiniert, per Definition nicht..
    Ein neuer Torpfosten, ich weiß.

  46. @hwied (Zitat): „ Man kann dem Programm alle Eventualitäten programmieren, sogar Qualia gerecht.“
    Ja, das kann man. Ein Automat kann ein perfekter Imitator sein.

    Doch warum sind wir selbst keine Imitatoren? Antwort: Weil jeder seinen eigenen Stil hat und der Stil eine Art der Vereinfachung der Welt, des Zurechtkommens mit der Welt ist.

  47. @Demolog Unfreiheiten

    Wir sind als Menschen durchaus auch Kulturwesen. Von klein auf lernen wir erst die Sprache, welche schon auch das Denken prägt, gleichzeitig beobachten Kinder die Erwachsenen und deren Ansichten. Später in der Schule lernen wir weiter allerhand, was dort so angeboten wird. Parallel fangen wir an, uns selber zu interessieren, und lesen Bücher zu den Themen, die uns interessieren.

    So wachsen wir in unsere Kultur hinein, aber gleichzeitig prüfen wir alles auch schon auf Plausibilität, und entwickeln immer mehr auch unsere eigenen Ansichten. Mit unseren Ansichten können wir in der Tat auch gewaltig anecken, und in manchen politischen Systemen können diese eigenen Ansichten sogar strafbar sein.

    Unsere Freiheit ist also eigentlich auch ein Lebenswerk, hat eine kulturelle Basis, aber eben auch in vielen Bereichen ganz eigene Inhalte. Und die sind oft nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich umkämpft. Manchmal kämpfen wir auch mit uns selbst, und kommen dabei nicht mal immer zu Endergebnissen.

  48. Martin Holzherr,
    Wir sind auch Imitatoren, aber eben nicht nur.
    An dieser Stelle müssen wir uns klar werden , ist das Chaos determiniert oder gibt es im Chaos den Faktor x, bei Ihnen wahrscheinlich nicht, bei mir ist er möglich.

  49. @ Herr Martin Anantharaman (Version 3! [1], so ist dieser Leserbrief (hoffentlich) korrekt textlich ausgezeichnet) :

    4) Ich weiß nicht, wo ich das aufgegriffen habe, aber mir scheint es völlig ausreichend, daß mein Wille dann (bzw. in dem Sinne) “frei” ist – wenn ich das so empfinde – weil kein unmittelbarer äußerer Zwang gegen meine Volitionen vorliegt.
    5) Das widerspricht dem nicht, daß die Willensvorgänge letztlich wohl kausal ablaufen (beeinflusst durch unsere Anlagen, Prägungen, Wissen als “inneren Zustand”) – und auch aus moralischer Sicht (aus der Perspektive der Gesellschaft) sind sie auch dann in dem Sinne “frei” – daß sie durch erlernte moralische Vorstellungen (also aus Bildung/Sozialisierung), Androhung von Sanktionen (Justiz), etc. beeinflussbar und veränderbar sind.
    Habe ich irgendwas verpasst? … oder zu grob vereinfacht?

    Vielleicht besteht Interesse an Re-Feedback.

    Sie amüsieren sich bei diesem Thema, das ist gut, Herr Martin Anantharaman, der werte hiesige Inhaltegeber kann sich wohl, wie es ausschaut, so wie er berichtet, hier nicht ‘amüsieren’, denn es liegt sein Fachgebiet vor.
    “Opi Webbaer” amüsiert sich dagegen ebenfalls.

    ad (4)
    So darf, glaube ich, nicht gedacht werden, also das eigene Empfinden meinend – die Frage nach der Existenz eines freien Willens ist nicht direkt blöde und kann nicht mit einem “Ich meine dies und das, empfinde so, jawoll!” abgehandelt werden.
    Es geht nicht nur hintergründig darum, ob das Weltsystem determiniert, vorausberechnet ist, und insofern alle, auch erkennende Subjekte sozusagen nur einer Berechnungsvorschrift folgen.
    Dies kann nicht gewusst werden, vielleicht ist dies so, die diesbezügliche Spekulation ist müßig, denn es kann gewusst werden, dass nicht so gewusst werden kann.
    Was amüsant ist.
    Aber auch wichtig, es gilt im Sinne der dreiwertigen Logik sich zu bestimmten Fragen agnostisch zu stellen, gar bei binärer Unterscheidbarkeit.
    ad (5)
    Es ist so, dass sich nicht determiniertes, sozusagen echtes zufälliges Handeln von (auch : erkennenden) Subjekten nicht vorgestellt werden kann.
    Vorgestellt werden kann sich kein sozusagen echter Zufallszahlengenerator.
    (Zufallszahlengeneratoren suchen insofern immer die Schnittstelle zur Physik (“Natur”), um sich bspw. über Prozessortemperaturen an der x-ten Nachkommastelle zu initialisieren.)
    Insofern gibt es womöglich, auch philosophisch fehlgeleitet, einen gewissen natürlichen Impetus beim hier gemeinten Hominiden sich die Welt als deterministisch vorzustellen, weil andere Vorstellung nicht verbildlicht (“ideologisiert”) werden kann.
    Verraten werden darf an dieser Stelle, dass es (viele) Spiele gibt, in denen für den gewissen wollenden Spieler probabilistisches Handeln zwingend angeraten ist.
    Dr. Webbaer geht davon aus, dass alle hier gemeinten Hominiden und Ursiden in bestimmtem Umfang “zufällig” handeln.
    Was ein Indiz dafür sein könnte, dass das, dieses Weltsystem den Zufall mag, ihn vielleicht auch für Naturforscher erkennbar in seinen Betrieb eingepflegt hat.
    Genau wird so nichts gewusst, korrekt, kann nicht gewusst werden, nur gewusst werden, dass so nicht gewusst werden kann.

    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Webbaer

    [1]
    Dr. Webbaer ist abgelenkt worden, auch durch Werbung, die ihm beim Schreiben dieser Nachricht hochgepoppt ist, nicht seine Schuld, die Notwendigkeit zur Versionierung von Leserbrief, sorry, Dr. Webbaer exkulpiert sich.

  50. *
    für den gewi[nn]en wollenden Spieler


    Physikalische, aktuelle Konstrukte fordern ebenfalls sozusagen echten Zufall, die Platzierung, die Lokalität von sog. Teilchen meinend zum Beispiel, abär, wie bereits (anderswo) geschrieben, es kann bei der sogenannten Verschränkung versteckte Variablen geben und der Doppelspaltversuch kann im realistischen Sinne irgendwie als im Ergebnis determiniert verstanden werden.
    (Wobei sich hier noch Fragen ergeben, der Art, ob das erkennende Subjekt, der Beobachter, das Ergebnis seiner Forschung durch besondere (Mess-)Anforderung manipuliert, ändert, das Weltsystem sozusagen ein System sein könnte, das quasi auf Anforderung reagiert, Zeilinger hat dazu einiges geschrieben, hoffentlich ist diese Welt nicht magisch. [1])

    [1]
    Magie wäre schlecht für die szientifische Methode.
    Magie meint, im Sinne des altiranischen ‘magher’, wir gucken hier auch auf den Magus, dass bloßer Wille in der Lage wäre Weltgeschehen zu verändern.

  51. Verraten werden darf an dieser Stelle, dass es (viele) Spiele gibt, in denen für den gewi[nn]en wollenden Spieler probabilistisches Handeln zwingend angeraten ist.

    Vgl. bspw. mit :

    -> https://scienceblogs.de/kritisch-gedacht/2015/12/07/dezemberraetsel-tauschen-oder-nicht/

    … und dem sogenannten Kuhn-Poker :

    -> https://en.wikipedia.org/wiki/Kuhn_poker


    Ja. derartiger Sachverhalt ist für die Überlegung ob der Determiniertheit (“Vorherberechenbarkeit”) dieser Welt oder von Welten allgemein relevant.

  52. Dr. W.
    Die Qualia ist die Grundlage ihres Lebensgefühles.
    Sie bezeichnet das Erlebte, Gefühlte, Gedachte.

    Jemand fällt in den Fluss und ist kurz vor dem Ertrinken. Er bekommt Todesangst. Mit Geistesgegenwart gelingt es ihm sich zu retten. Er weiß jetzt. Was das Wort Todesangst bedeutet, weil er das Wort mit dem konkreten Vorfall in Verbindung bringt.

    Eine andere Person liest in einem Roman, wie jemand in den Fluss gefallen ist und Todesangst bekommen hat. Für diese Person bleibt das Wort Todesangst abstrakt, weil sie keine konkrete Erfahrung damit verbinden kann.

    Das gleiche Wort kann also eine ganz unterschiedliche Gewichtung bekommen.

    Noch krasser. Ein Mensch hat eine Gotteserfahrung gemacht. Für ihn ist Gott kein abstraktes Wort mehr, sondern für ihn ist Gott eine konkrete Erfahrung.

    Wenn jetzt zwei Personen sich über Todesangst und Gott unterhalten so kommen die zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen, weil sie von unterschiedlichen konkreten Erfahrungen ausgehen.

    Die Qualia bei beiden Personen ist verschieden.

  53. @Dr. Webbaer, auch hier bekräftige ich, daß ich solches Re-Feedback begrüße – und mich über Ihre interessanten und gelehrten Ansichten hinaus auch schon durch die Mühe, die Sie sich zu deren korrekten Verfassung gegeben haben, zu einer Antwort verpflichtet fühle😉
    Zunächst einmal möchte ich klarstellen, daß ich mich in keinster Weise über Herrn Schleim amüsierte, sondern lediglich über die Funktionsweise des (Geistes-)Wissenchaftsbetriebs – wo wenig sinnvolle Entwicklungsrichtungen mühsam beantwortet und “eingefangen” werden müssen – was Herr Schleim in bewundernswerter Art und Weise tut (u.A. hier).
    Wir reden hier ja nun speziell über die Willensfreiheit, wo ich erst gar nicht versuche, alle metaphysischen Konzepte dazu aufzugreifen – weil ich aus Überzeugung eher zu etwas gelangen will, was meiner Lebensrealität entspricht und mir darin auch Orientierung gibt. Mir geht es also um eine Auffassung von “frei” (in der Willensfreiheit), die dem normalen Sprachgebrauch und Verständnis entspricht – aus der Sicht des …
    – Einzelnen, der sich meiner Ansicht nach eben nicht wg. komplizierter Metaphysik unfrei fühlt odder fühlen muß, und
    – der Gesellschaft, die in den Regeln des Zusammenlebens bis hin zu Gesetzen zurecht von solcher Willensfreiheit ausgeht – was auch funktioniert, weil solche Regeln (aus dieser Annahme) durchaus Einfluß auf das Handeln des Einzelnen haben.
    Zu ad (4): Die eben beschrieben pragmatische Sicht beantwortet dies – aber dieser muß man sich nicht anschließen – und ich bewundere sogar gelehrt differenzierte und agnostische Überlegungen – so wie ich Diejenigen bewundere, die Bachs “Kunst der Fuge” sowohl genießen als auch dekonstruieren können – ist einfach nicht meine Richtung (aus Veranlagung und Ziel).
    Zu ad (5): Es ging mir eigentlich weniger darum, ein streng kausal/deterministisches Weltbild zu postulieren (auch wenn ich das, durchaus in Kenntnis ihrer Grenzen in hochkomplexen sowie subatomaren Zusammenhängen, überwiegend selbst glaube), als vielmehr darum, daß selbst dann das “frei” der Willensfreiheit in einem bestimmten Sinne auch aus Sicht der Gesellschaft nicht nur de facto gültig ist – sondern sogar zurecht – in einem gewissen Sinne, siehe wieder einleitende Überlegung.
    Ich bin gespannt darauf, ob Herr Schleim sich nicht doch noch äußern will – wo ich doch den Verdacht habe, daß er trotz seiner hervorragenden Beherrschung der Psychologie und Philosophie (einschl. Metaphysik) zu ähnlich pragmatischer Auslegung neigt🤭

  54. @Anantharaman: Wille vs. Volition

    Hatte ich hier eine Frage übersehen? Ich gebe zu bedenken, dass das Leben endlich ist und ich auch noch andere Aufgaben habe. Ich kann leider nicht alle Kommentare, vor allem nicht ab einer bestimmten Länge, im Detail studieren.

    Sie hatten unter Punkt 4 Ihre Willensprozesse von äußerem Zwang abgegrenzt. Diese Abgrenzung ist sinnvoll. Das “neue” Argument (doch siehe u.a. Sigmund Freud) war nun, dass das, was man angeblich bewusst entscheide, unbewusst festgelegt sei. Das wäre schon ein Problem für unser Menschenbild – sofern man den Menschen nicht für seine unbewussten Verlangen verantwortlich macht (was wieder andere Probleme mit sich brächte). Eine derartige Form der Beeinflussung zeigen die Experimente aber gerade nicht.

  55. @Schleim 11.08. 11:40

    „Eine derartige Form der Beeinflussung zeigen die Experimente aber gerade nicht.“

    Das ist das entscheidende Faktum. Das Unbewusste macht Vorschläge, das Bewusstsein entscheidet konkret. Mag sein, dass so mancher auch mal Lust hat, andere umzubringen, aber als unabhängiger Söldner im Krieg irgendwo in Afrika, der wirklich machen kann was er will, da wird das erst überhaupt zum Problem. Im normalem Alltag reicht die soziale Kontrolle, auch in Form eines funktionierenden Rechtsstaats, und der Mensch wird hier praktisch nie wirklich jemanden töten.

    Dazu kommt ja noch, dass unser Unbewusstes weniger aus dunklen Trieben, sondern mehr aus gesammelter und gründlich geprüfter Lebenseinstellung besteht. Hier gibt es meistens gar nicht die Konflikte zwischen Vorschlägen des Unbewussten und dem bewusst kontrolliertem tatsächlichen Verhalten. Das Unbewusste ist aktiv wenn es einfach ist oder schnell gehen muss, das Bewusstsein ist für die Probleme zuständig, und braucht Zeit. Manchmal Jahre, so z.B. die Entscheidung, seinen aktuellen Partner zu heiraten.

  56. Sicher, Herr Martin Anantharaman [1], es gibt unter der metaphorischen Schicht, die philosophische mit dem Hang zur Erkenntnis ist gemeint, die Praxis.

    Herr Dr. Stephan Schleim, als auch u.a. ausgebildeter Philosoph, ist ja idR so freundlich sich sozusagen gegen dulle philosophische Einwände abzufeimen, um dann sozusagen in medias res zu gehen.
    Die Metaphysik, das Brouhaha sozusagen, insbesondere dann, wenn sich philosophisch geirrt wird, ist nicht erforderlich bei der Sacharbeit.
    Sie sichert nur so ab.

    MFG
    WB

    [1]
    Sie heißen “nicht wirklich” so, woll, stimmts oder hat Dr. Webbaer recht?

  57. HIerzu :

    Das Unbewusste macht Vorschläge, das Bewusstsein entscheidet konkret.

    Alternativ geht es so :

    Das Bewusste macht Vorschläge, das “Unbewusstsein” entscheidet konkret.

    Das “Unbewusstsein”, hier sind sozusagen stets laufende Rechenvorgänge bei erkennenden Subjekten gemeint, die keine völlige Inaktivität kennen, vgl. bspw. damit :

    -> https://de.wikipedia.org/wiki/Leerlaufprozess

    (Die Evolution war sozusagen abgefeimter und nutzt sozusagen jede auch noch so klein erscheinend Ressource.)

    Das Bewusstsein entscheidet, oft aber unbewusste Erfassung von Herausforderung meinend, intuitiv.
    Manchmal so und manchmal so, also, gemeint, was entscheidet.

    Es ist möglich jeden Entscheidungsträger zu fragen, ob er bewusst oder unbewusst gehandelt hat, die korrekte Antwort ist bei nicht gänzlich klarer Datenlage : “Weiß nicht”

    Wie bereits weiter oben, insbesondere auch Kooperationsverhältnisse meinend, Dr. W springt seit längerer Zeit in der Wirtschaft herum, die Kneipe ist mitgemeint, anregt zu denken, entschieden wird dann nicht selten probabilistischer Maßgabe folgend.
    Die Mischung macht’s. [1]

    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Webbaer

    [1]
    Kein bloßer Gag, es ist, spieltheoretisch nachweislich, dass bei auch binärer Entscheidungsfindung die Mischung für den Erfolg zentral ist, beispielsweise, um nur einmal ein konkretes Beispiel zu nennen : “7 zu 3”

  58. Zitat:

    Stephan Schleim
    08.08.2021, 18:25 Uhr

    Dazu der Duden (“Wille”):

    jemandes Handlungen, Verhaltensweise leitendes Streben, Wollen, besonders als Fähigkeit des Menschen, sich bewusst für oder gegen etwas zu entscheiden; durch bewusste geistige Entscheidung gewonnener Entschluss zu etwas; bestimmte feste Absicht

    Ist doch gar nicht mal so schlecht.

    Das ist schlecht. Ich kannauch einen Willen haben, wenn ich keine kognitive Logik zur Rechtfertigung habe – außer etwa, das ich nicht will.
    Es ist auch ein Wille, wenn ich etwas nicht will. Insofern ist diese Definition also suggestiv und damit beginnt ja schon die Manipulation, wenn im Duden sowas steht. Wieder so ein Beispiel, das der Mensch praktisch unfähig ist, bei der Wirklichkeit zu bleiben, oder anderen immerzu suggestive Ideen hinzudichtet und einpflanzen will, die nicht ganz der Wirklichkeit entsprechen und ihnen somit mehr abfordern, als sie selbst zu liefern bereit oder fähig sind. Es ist dann ihr “Wille”, die Wirklichkeiten zu verdrehen.

    Und wirklich, Herr Schleim, das sie lange Beiträge nicht lesen, zeugt nicht sehr davon, das sie sich überhaupt interessieren. Wozu machen sie sich die Mühe mit dem Blog dann überhaupt?

  59. @demolog: Wollen ohne Absicht?

    Da steht nichts von “kognitiver Logik zur Rechtfertigung”; aber können Sie etwas wollen ohne Absicht, ohne Ziel, ohne Bewusstsein?

    Meine kognitiven Ressourcen sind begrenzt und im Übrigen schon durch das (nach meinen Kräften: sorgfältige) Schreiben dieser Artikel strapaziert. Ich habe Sie x-mal darum geben, sich kürzer zu fassen. Das wollen Sie halt nicht. (Anders als andere Leser hier.) Nun ja, Ihnen steht frei, sich ein Forum zu suchen, das Ihnen besser gefällt. Das wäre auch erwachsener, als hier immer wieder zu jammern und zu sticheln.

  60. Stefan Schleim, Dr. Webbaer,
    zur geistigen Erbauuung ein Gedicht von mir

    Gedicht
    Ich will

    Bin reiner Geist, bin Leidenschaft,
    wen ich berühr, der wird für immer brennen.
    Ich bin die Macht, die Welt erschafft,
    bin Wille, wirst du jetzt erkennen.

    Ich treib die Welt, und sie treibt mich,
    nur ich allein kann das erkennen.
    Doch dann , nur dann, erkenn ich nicht,
    dass Du und ich sich müssen trennen.

    Ich bin du, und du bist ich,
    getrennt durch Raum und Zeit.
    Nur manchmal, wenn du Dich vergisst,
    sind wir nicht mehr zu zweit.

  61. Aus dem Beitrag:

    Halten wir einen Moment inne: Seit fast vierzig(!) Jahren diskutieren Philosophen, Psychologen und Hirnforscher rund um den Globus, ob die Determination des (bewussten) Willens durch (unbewusste) Gehirnaktivierung laut dem Libet-Experiment der Vorstellung von Willensfreiheit widerspricht. Dabei war diese Annahme bereits 1982 unplausibel und sprachen die Evidenzen schon 1983 dagegen.

    Nun ja, ist es denn nicht vielmehr so, dass schon lange vor Libet nicht wenige Philosophen diskutiert haben, wie ein wirklich* „freier“ Wille in einer naturgesetzlich determinierten Welt überhaupt möglich sei?

    Libets Experimente kamen da vielleicht wie gerufen. Naturwissenschaftliche Befunde sind halt meist überzeugender als philosophische Argumente.


    * mit „wirklich frei“ ist hier die Unabhängigkeit des „Geistes“ von hirnphysiologischen Prozessen gemeint, sozusagen als übergeordnete Instanz (das abstrakte „Ich“).

  62. @Stefan Schleim: Wille vs. Volition
    Nein, Sie haben keine Frage übersehen – aber Dr. Webbaer deutete an (so habe ich es verstanden), daß Sie evtl. von meiner Einleitung (“Ich amüsiere mich …”) gekränkt sein könnten.
    Zu dem Dilemma “Verantwortung für unbewusstes” postuliere ich folgende Auflösung: Das Unterbewusstsein ist lern- und entwicklungsfähig, letztlich schlägt sich alles, was wir lernen, dort nieder – so daß sich unsere intuitiven Bewertungen, Schlussfolgerungen, Emotionen aus diesem Unterbewusstsein laufend weiterentwickeln – und das können wir auch bewusst wahrnehmen, diesen “Lernprozeß” sogar rekonstruieren – und fördern – was ja dann der Ansatzpunkt für Psychologie, Psychotherapie und Neurowissenschaft ist.
    Vielleicht muß man “bewusst” vs. “unbewusst” gar nicht so scharf trennen – aber es ist auch schon bei jedem das Verständnis davon ein bißchen anders …

  63. Dualismus, freier Wille, Bewusstsein und der Glauben an Gott sind DIE Themen der You-Tube Serie Closer to Truth. Der ältere Herr, der durch diese Serie führt ist all dem Genannten gegenüber aufgeschlossen, ja er ist positiv eingestellt dazu. Er bejaht also letztendlich Dualismus, die Auffassung von Bewusstsein als etwas Magischem, den Glauben an den freien Willen selbst bei Annahme eines allmächtigen Gottes, den Glauben an Gott, Strong Emergence, Human Exzetionalism, etc. etc.
    Seine Gesprächspartner sind etwa Chalmers, Dennett und ähnliche Leute.

    Durch diese Serie wird einen auch bewusst, dass Dinge wie Dualismus, der Glaube an die Magie des Bewusstseins, der Glaube an den freien Willen und an den Exzeptionalismus des Menschen, also an die Herausgestelltheit des Menschen und der Glaube an ein Weiterleben nach dem Tode, innerlich zusammenhängen.

  64. Martin Holzherr,
    Ihr letzter Abschnitt ist ihr bester.
    Der Zusammenhang ist es, der diesem Denken seine Kraft verleiht. Leider ist das Video nur in englisch und die feinen Unterschiede müssen verstanden sein, wenn man seine Sichtweise erweitern will.
    Um beim Thema zu bleiben, die Willensfreiheit ist eine Säule des Idealismus und der Religionen.

  65. @Holzherr 13.08. 08:59

    „Durch diese Serie wird einen auch bewusst, dass Dinge wie Dualismus, der Glaube an die Magie des Bewusstseins, der Glaube an den freien Willen und an den Exzeptionalismus des Menschen, also an die Herausgestelltheit des Menschen und der Glaube an ein Weiterleben nach dem Tode, innerlich zusammenhängen.“

    Klar gehört das zusammen: wenn ich meiner Innenwelt eine eigene Art von Existenz zuschreibe, dann kann das alles dazugehören. Differenzen mag es doch geben: Nur einen mächtigen Gott, keinen allmächtigen, oder ein Weiterleben nach dem Tod nur als ein Wiederauflösen im kosmischen Geist, das wäre z.B. meine Ansicht.

    Da wo die Empirie der Lebenserfahrung den Traditionen widerspricht, da nimmt man dann auch durchaus Abstand von den Traditionen. So sind wir doch ein wesentlich biologisches Wesen, auch wenn wir eine Geistesseite haben, und in der Konsequenz muss man dann auch Tieren eine Geistesseite zugestehen. Weil das tierische und das menschliche Gehirn wohl ziemlich ähnlich sind, und man auch im Umgang mit Tieren durchaus den Eindruck hat, dass diese auch ihre Innenwelt haben, liegt das nahe.

    Grundsätzlich sind eigene Lebenserfahrung individuell und persönlich, sodass man eine eigene persönliche Empirie haben kann, die man eben nicht mit dem Stand der wissenschaftlichen Empirie verwechseln sollte. Erlebt ist erlebt, und das nimmt man auch dann als Erfahrung an, wenn die Wissenschaft das so nicht kennt. Andersherum, was wirklich gesicherte wissenschaftliche Erkenntnis geworden ist, das akzeptiert am Ende sogar die katholische Kirche.

  66. Martin Holzherr
    13.08.2021, 08:59 Uhr
    hwied
    13.08.2021, 09:48 Uhr

    “Die Herausgestelltheit des Menschen und der Glaube an ein Weiterleben nach dem Tode ist der Zusammenhang, der diesem Denken seine Kraft verleiht.”

    Und deshalb nennen wir uns ja auch “homo sapiens sapiens”, doppelt genäht hält besser.
    Aber ich kannte mal einen, der konnte die Omeletten so dünn backen, dass sie nur eine Seite hatten.

  67. Höchst erstaunlich, wieviel man über Libets falsche Erkenntnis schreiben kann.
    Im Kopf sind drei aktiv : Das Gehirn, darüber das Ich, der Wille, er hat also eine eigenständige Position und darüber das Überhirn. Wenn Herr Lbet einen Auftrag im Kopf formulierte, konnte ihn sein Überhirn zeitgleich um die Welt schicken, also kam er auch zeitgleich im Kopf des Probanden an. Die Zeitverzögerung entstand bei der Vermittlung des Auftrages an das Gehirn, das dauert eben eine Kleinigkeit.
    Wäre ein Kind bei den Versuchen dabei gewesen, hätte es wahrscheinlich gesagt, im Kopf sind zwei, einer der zeitgleich empfängt und einer, der verspätet ausführt.
    Das Gehirn ist ein Arbeiter, es erledigt tagsüber nur Aufträge des Überhirns, von sich aus macht es absolut gar nichts und nachts wird es mit dem Körper ruhig gestellt, damit beide das Überhirn nicht behindern.
    Da brauchen die Hirnforscher noch Jahrzehnte, um das zu begreifen.
    Sie haben sich mit ihrem Naturalismus so in einer Sackgasse verfahren, dass sie da nicht so schnell herauskommen
    Aus Libets Experimenten zu schließen, wir hätten keinen freien Willen, darauf wären auch die Schildbürger gekommen.
    Um seinen Fehler zu erkennen, brauchte ich als Laie nicht mal eine Minute.
    Kornhubers und Deeckes Bereitschaftspotential hat natürlich auch nichts mit dem Gehirn zu tun.
    Harald Fischer.

  68. Ein sehr gut klingender Name, Herr Martin Anantharaman.
    MFG + weiterhin viel Erfolg
    Dr. Webbaer (der auch einen so klingenden Namen hat)

  69. Bei der feinen dreifachen Unterscheidung i.p. Person stimmt Ihnen, Herr Harald Fischer, nicht zu, dies könnte bis müsste abär richtig sein :

    Aus Libets Experimenten zu schließen, wir hätten keinen freien Willen, darauf wären auch die Schildbürger gekommen.
    Um []einen Fehler zu erkennen, brauchte ich als Laie nicht mal eine Minute.

    Ein Kategorienfehler (der bisher in diesem Kommentariat ungenannte Fachbegriff) besonders übler Art liegt bei der Interpretation Libetscher Arbeit womöglich vor.

    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Webbaer

  70. @all

    Noch eine kurze Anmerkung zum Thema Benjamin-Libet-Paper (1982):

    Vom Willen, ob frei oder unfrei, ist in der ganzen [Libet-] Studie nicht die Rede.

    Nicht direkt (in Form von: „free will“), aber indirekt sehr wohl, nämlich so:

    – voluntary acts
    – volitional acts
    – volitional processes
    – ‘free volition’
    – voluntary choice,

    Im Übrigen war es wohl keineswegs so, dass aus Libets Untersuchungsergebnisse „andere(!) Philosophen und Forscher das Märchen [strickten], unser Wille könne nicht frei sein“.

    Vielmehr war es wohl so, dass die Versuche keinerlei Hinweis lieferten auf eine vom sogenannten Bewusstsein ausgehende Initiierung von Handlungen—das bewusste (geistige) Erleben hinkt dem (physischen) Bereitschaftspotential hinterher. Das bedeutete für eingefleischte Dualisten natürlich eine herbe Enttäuschung, denn eine experimentelle Bestätigung der Auffassung, dass der menschliche Geist Erstursache von Ereignisketten sein könne, wäre zu schön gewesen. So aber fühlte sich die Fraktion der naturalistischen Philosophen in ihrer Meinung bestätigt und für den Rest begann die Trauerarbeit (Libet-Kritik), die bis heute andauert.

  71. Balanus. Das ist richtig, Libet hat sich nicht festgelegt.
    In einem Gespräch, Singer/Haynes 2014 beriefen sich aber beide auf seine Experimente, die ja bis heute von Haynes, Haggard und anderen, wenn auch in veränderter Form, nachgemacht werden.
    Ein Professor aus Wien schrieb mir im Januar, Prof. Singer ist gerade dabei, in dieser Ansicht eine 180 Grad Wendung zu machen, nach 40 (!) Jahren.
    Geben Sie mal im Netz ein : Arbeitskreis Origenes/ Ricardo Ojeda-Vera.
    Das Überhirn entscheidet, da wird der Mensch nicht gefragt. In diesem Fall das einer krebskranken Frau. Ihr Überhirn weiß, wo der Spanier wohnt und übersetzt ihr den spanischen Brief ins Deutsche.
    Mendelejew sah Teile des Perioden-Systems im Traum und brauchte sie nur zu notieren. Kreativität ist der Sinn der Welt und unseres Lebens und wer kreativ ist und an einer Sache nicht weiterkommt, da hilft das Überhirn ganz gezielt. H.Fischer.
    Es ist immer sehr witzig, wenn Hirnforscher sagen : Das Gehirn steuert die Vorgänge im Körper. Das Gehirn steuert gar nichts, alles, was es am Tage erledigt, sind Anweisungen des Überhirns, von sich aus macht es nichts.

  72. @Balanus / 17.08.2021, 19:08 Uhr

    Derartige Versuche können naturgemäss weder über “Willensfreiheit” noch über “wollen” oder “Freiheit” schlechthin irgendeinen Aufschluss liefern — weder positiv noch negativ.

    “Willensfreiheit” ist letztlich eine Idee, die ihre Wurzeln offenbar bei Epiktet hat und seither von etlichen, mehr oder minder hellen Geistesblitzbirnen auf diese oder jene Weise ausgeleuchtet worden ist. Man kann gewiss darüber streiten, ob das nun eine gute oder schlechte Idee von Epiktet war, aber eines kann man garantiert nicht: daraus eine empirisch testbare Grösse machen. Können wir uns darauf einigen?

  73. Allerbester Herr Stegemann !
    Gehen Sie mal ein Stück zurück, da steht mein erster Beitrag.
    Im Kopf sind drei. Leider können alle Hirnforscher weltweit, aus unerklärlichen Gründen, nicht logisch denken.
    Sie schreiben, das Gehirn steuert die Vorgänge im Körper,
    das Gehirn macht die Träume, im Gehirn entsteht Kreativität, sie fragen sich, wie das Gehirn Bewusstsein erzeugt, usw., usw.
    Sie nennen eine Zeitschrift ” Gehirn&Geist. Schon am Titel sieht man, dass sie nicht wissen, was im Kopf los ist.
    Falls Sie wollen : harald.trebra@gmx.de. Herzliche Grüße, H. Fischer.

  74. @Fischer:

    “im Kopf sind drei aktiv : Das Gehirn, darüber das Ich, der Wille, er hat also eine eigenständige Position und darüber das Überhirn.”

    Meinen Sie das morphologisch? Wenn nein, wie dann, und gibt es da irgendwelche Anhaltspunkte oder entspringt das Ihrer lebhaften Fantasie?
    Die Logik verstehe ich jedenfalls nicht.

  75. @Chrys // 19.08.2021, 12:19 Uhr

    » “Willensfreiheit” ist letztlich eine Idee … Können wir uns darauf einigen?«

    Aber gewiss doch. Und insofern gibt es keine „Willensfreiheit“ in der physikalischen Realität. Was wiederum zur Folge hat, dass es nichts Substanzielles gibt, was mit naturwissenschaftlichen Mitteln untersucht werden könnte. Aus naturwissenschaftlicher Sicht liegen die Dinge also klar auf der Hand.

    Womit sich auch die in der Philosophie gerne gestellte Frage: „Widerlegt die moderne Hirnforschung die Willensfreiheit?“ (z. B. hier: Click) erledigt: Was in der Wirklichkeit von vorneherein nicht existiert, kann wissenschaftlich nicht widerlegt werden.

    Dennoch bleibt die Frage, wie Menschen zu ihren willentlichen Entscheidungen kommen, gehen sie vom phänomenalen „Bewusstsein“ aus (als Erstauslösung von Ereignissen), oder werden sie schlicht neurophysiologisch generiert. Das heißt, das Verhältnis von bewusstem, subjektivem Erleben zu objektiv messbaren Hirnaktivitäten, kann durchaus Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen sein.

    Kurzum: „Willensfreiheit“ (als Idee) ist keine „empirisch testbare Grösse“, wie Du schreibst, aber der zeitliche Zusammenhang von bewusst erlebten Entscheidungen und neurophysiologischen Prozessen schon.

  76. Stephan Schleim
    20.08.2021, 12:10 Uhr
    Dann existiert wohl auch der Sachverhalt “2+2=4” nicht, obwohl er wahr ist!

    Das ist ein schwieriges Feld. Es gibt Untersuchungen zur Mengenerkennung bei Menschen ( die haben Zahlwörter ) und Tieren ( die haben keine Zahlwörter – soviel wir wissen ). Bis zu einer Menge von etwa “sechs” ( cum grano salis ) können “wir” ( Menschen und Tiere zum Teil einige mehr ) ganz “intuitiv” und ohne im Geiste oder laut zu zählen, die Anzahl gleicher Gegenstände unterscheiden.
    Als Menschen haben wir ( Beispiel in deutscher Sprache ) die Anzahlen gleicher Gegenstände mit “eins”, “zwei”, “drei” usw bezeichnet=sprachlich definiert und uns auf Umwegen die Zahlzeichen “1”, “2”, “3” usw dazu besorgt. Andere Kulturen haben andere Bezeichnungen “erfunden” und andere Zahlzeichen dazu.

    Insofern sind “zwei” ( “2” ) ( Gegenstände ) und weitere “zwei” ( “2” ) ( Gegenstände ) per definitionem ( gesprochen und geschrieben ) = “vier” ( “4” ) ( Gegenstände ). Der Sachverhalt ist insofern zwar “wahr”, aber: Weil er so definiert ist.
    Aber natürlich ist es vertrackt und in gewisser Weise zum In-die-Tischkante-beißen, die Unterschiede und die Gemeinsamkeiten von ( Gegenstand & Gegenstand ) und ( Gegenstand & Gegenstand ) gleich ( Gegenstand & Gegenstand & Gegenstand & Gegenstand ) und im Vergleich dazu 2 + 2 = 4 zu erkennend zu beschreiben. Was ist “wahr” ( gilt für Mensch und Tier ) und was ist “Definition” ( gilt nur für Menschen )?

  77. @Maier: Es geht hier nicht darum, wie wir Menschen Zahlen, Mengen usw. wahrnehmen (Psychologie), sondern um den ontologischen Status solcher Sachverhalte. Balanus hat die Sache einmal wieder… balanisiert.

  78. @Stephan / 21.08.2021, 07:06 Uhr

    »Balanus hat die Sache einmal wieder… balanisiert.«

    Dagegen möchte ich allerdings der Korrektheit halber Einspruch erheben. Balanus schrieb ja (meine Fettung): »Und insofern gibt es keine „Willensfreiheit” in der physikalischen Realität.« Ich verstehe das durchaus so, dass er damit gemeint hat, was ich mal umformuliere als »Und insofern gibt es keine „Willensfreiheit” in der physikalischen Realität Begriffswelt.« Und falls er das so gemeint hat, wäre das — aus meiner Sicht* — okay und konsensfähig.

    Unstimmig wird so etwa erst dann, wenn irgendwer die Position vertritt, es gäbe überhaupt nur das, was es gemäss der physikalischen Begriffswelt “gibt”.

    * Das “aus meiner Sicht” ist hier angebracht, denn die “Willensfreiheit” hat sich inzwischen bis in die Quantenphysik verirrt, siehe Free Will Theorem. Es fällt einem da schon eine bedenkliche Konvergenz zwischen postmoderner Wissenschaft und Esoterik auf. Gerhard Roth liegt mit seinen “Bewusstseinsteilchen” womöglich gerade voll im Trend.

  79. @Chrys, Balanus: Balanisierung

    So so… Nett, dass du hier einspringst. Aber dann möchte ich von Balanus wissen: Wie viele Realitäten gibt es denn, neben der physikalischen?!

    Und ich finde, man muss das im Kontext sehen von (im selben Kommentar):

    Was in der Wirklichkeit von vorneherein nicht existiert, kann wissenschaftlich nicht widerlegt werden. (Balanus)

    Es geht also nicht nur um die physikalische Begriffswelt, sondern schlechthin das, was wirklich ist!

  80. Stephan Schleim
    21.08.2021, 07:06 Uhr

    Ich habe nicht von psychischen Wahrnehmung der Zahlen gesprochen, auch nicht von der Psychologie der Zahlen, sondern eine Begriffsbestimmung zu geben versucht, unter Hinweis auf die kaum zu trennenden Begriffe des Denkens, der Sprache dazu und des “Seins”.

    “Es geht hier … um den ontologischen Status solcher Sachverhalte.”

    Verzeihung, wenn ich um Entschuldigung bitte, aber ich verstehe nicht …

    Was bitte ist der “ontologische Status” von “eins” ff, alternativ “1” ff?

  81. @Stephan / “Wirklichkeit”

    »Was in der Wirklichkeit von vorneherein nicht existiert, kann wissenschaftlich nicht widerlegt werden. (Balanus)«

    Klar, treffender wäre beispielsweise gewesen, “Was in der Wirklichkeit Empirie von vorneherein nicht existiert, kann wissenschaftlich empirisch nicht widerlegt werden.” Aber Balanus ist doch nicht der erste und einzige, der hier mit der Floskel von der “Wirklichkeit” daherkommt, und wenn Du anderen so etwas ohne Stilkritik durchgehen lässt, dann wäre es nur fair, auch ihm keinen Strick daraus zu drehen.

    Inhaltlich kritikwürdig erscheint mir hingegen eher dieses Statement (Balanus, 17.08.2021, 19:08 Uhr): »Das bedeutete für eingefleischte Dualisten natürlich eine herbe Enttäuschung, denn eine experimentelle Bestätigung der Auffassung, dass der menschliche Geist Erstursache von Ereignisketten sein könne, wäre zu schön gewesen.«

    Das sieht mir doch sehr nach einem Strohmann aus, mir dem davon abgelenkt werden soll, wer eigentlich die Diskussion um das Libet-Experiment auf Abwege gebracht hat.

  82. @Chrys // 21.08.2021, 12:34 Uhr

    »Unstimmig wird so etwa erst dann, wenn irgendwer die Position vertritt, es gäbe überhaupt nur das, was es gemäss der physikalischen Begriffswelt “gibt”.«

    Es „gibt“ auch die von Dir irgendwo erwähnte EU, aber eben nicht derart, dass sie Gegenstand der (empirischen) Naturforschung sein könnte. Entsprechendes gilt für die „Idee“ von der „Willensfreiheit“.

    Der Gebrauch des Begriffs „Wirklichkeit“ meinerseits war kein Versehen oder eine Nachlässigkeit, sondern bezeichnet im Kontext meiner Einlassung schlicht jenen Gegenstandsbereich, der experimentell bzw. messtechnisch zugänglich ist (so ungefähr).

    Stephan hat anscheinend ein Problem mit dem „ontologischen Status“ der Idee „Willensfreiheit“. Wie sich, ontologisch gesehen, eine „Idee“ zu einem „Sachverhalt“ wie 2+2=4 verhält, weiß er sicher besser als ich. Und auch, wie viele Realitäten es gibt (neben der physikalischen).

    (Kann aber auch gut sein, dass für Stephan „Willensfreiheit“ mehr ist als bloß eine Idee—etwas reales eben, ein Faktum.)

    @22.08.2021, 00:22 Uhr

    Zum Verdacht, ich würde mittels eines „Strohmanns“ ablenken wollen davon, „wer eigentlich die Diskussion um das Libet-Experiment auf Abwege gebracht hat“:

    Begründete Zweifel an der Existenz (sic!) eines freien Willens gab es ja schon lange vor Libets Untersuchungen (siehe z.B. Schopenhauer: „…der Mensch kann nicht wollen, was er will“, oder so ähnlich). Wobei „Willensfreiheit“ als das tatsächliche selbstständige, unabhängige Vermögen der Erstauslösung von Ereignissen bzw. Kausalreihen gesehen wurde (und eben nicht bloß als Idee).

    Libet hat ja im Grunde versucht, dieser „Erstauslösung“ auf die Spur zu kommen. Aber da war eben nichts, was als „Erstauslösung“ hätte interpretiert werden können. Insofern kann von einer abwegigen (zumeist philosophischen) Diskussion im Anschluss an die Libet-Experimente eigentlich keine Rede sein.

    Apropos „Free Will Theorem“: Von einem „Theorem“ spricht auch der Univ.-Prof. Dr. theol. habil. Michael Roth, Inhaber des Lehrstuhls für systematische Theologie und Sozialethik an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, allerdings ohne dabei an besondere „Teilchen“ zu denken.

    In der Zeitschrift: evangelische aspekte, 28. Jahrgang, Heft 2, Mai 2018, hat er einen, wie ich finde, sehr klugen Aufsatz unter der Überschrift:
    „Warum wir den freien Willen nicht brauchen – Determination und Freiheit schließen sich nicht aus“
    verfasst. Und das als Theologe 😉

    Den Schlusssatz daraus möchte ich der geneigten Leserschaft hier nicht vorenthalten (auch, weil Gerhard Roth drin vorkommt):

    Wir haben daher im Anschluss an Gerhard Roth und Michael Pauen den Begriff der Willensfreiheit als selbstwidersprüchlich erkannt, da er miteinander unvereinbare Implikationen besitzt. Das Theorem der Willensfreiheit zerstört daher, was es garantieren will: die Rede von menschlicher Freiheit.

    Schönen Sonntag! :- )

  83. @Chrys: Sphingenhaft

    Wenn ich hier jemandem (außer Balanus) etwas durchgehen lasse (hier: die Verwendung von “Wirklichkeit”), dann habe ich das vielleicht übersehen; oder gerade keine Lust. Jedenfalls erscheint mir dein Hinweis etwas sphingenhaft.

    …wer eigentlich die Diskussion um das Libet-Experiment auf Abwege gebracht hat.

    Denken wir beide dasselbe: die Naturalisten!?

    P.S. Zudem hat Balanisierung hier bei MENSCHEN-BILDER eine gewisse Tradition (*seufz*). Daher erfährt sie mitunter besondere Aufmerksamkeit. 😉

  84. @Balanus, Chrys: Willensfreiheit ad nauseam (bis zum Erbrechen)

    Philosoph Dirk Hartmann sprach im Schlusskapitel seiner Habilitationsschrift (“Philosophische Grundlagen der Psychologie”, 1998; übrigens musste ich dem verstorbenen Leser Ingo-Wolf Kittel versprechen, diese zu lesen, beziehungsweise bracht er mich auf diese Spur) von einem naturalistischen Fehlschluss: wo Forscher sich etwas ausdenken (das “Konstrukt”), das im Experiment (der “Natur”) nicht finden beziehungsweise etwas Widersprüchliches finden und daraus dann bestimmte Rückschlüsse auf die Wirklichkeit ziehen.

    Willensfreiheit ist ein hervorragendes Beispiel hierfür. Philosophen begehen übrigens durchaus auch so einen Fehlschluss, wobei man noch einmal reflektieren sollte, ob er dann “naturalistisch” genannt werden kann.

    Oder um es einfacher zu sagen: Woher wissen wir, dass sich bestimmte Philosophen und Naturalisten das Willensfreiheitsproblem nicht nur ausgedacht haben, um damit bestimmte Zwecke zu verfolgen?

    Dass ich mich dieser Tradition nicht anschloss, sollte doch klar sein: Mensch in Körper und Gesellschaft: Was heißt Freiheit?

  85. @Balanus / 22.08.2021, 11:16 Uhr

    »Es „gibt” auch die von Dir irgendwo erwähnte EU, aber eben nicht derart, dass sie Gegenstand der (empirischen) Naturforschung sein könnte. Entsprechendes gilt für die „Idee” von der „Willensfreiheit”.«

    Absolut, und das habe ich auch nicht anders von Dir erwartet. Zu sagen, “die EU gibt es nicht”, wäre vernunftwidrig, obgleich sie nur ein Gebilde unserer kollektiven Vorstellung ist, das seine Bedeutung für unsere Lebenswirklichkeit allein durch Konvention erlangt.

    Was die “Wirklichkeit” angeht, nach meiner Einschätzung hat sich niemand je scharfsinniger dazu gäussert als Paul Watzlawick (Wie wirklich ist die Wirklichkeit? Piper Verlag, München, 1976.
    ISBN 978-3-492-31777-1
    ) Wo er im Vorwort u.a. bemerkt, “daß das wacklige Gerüst unserer Alltagsauffassungen der Wirklichkeit im eigentlichen Sinne wahnhaft ist, und daß wir fortwährend mit seinem Flicken und Abstützen beschäftigt sind — selbst auf die erhebliche Gefahr hin, Tatsachen verdrehen zu müssen, damit sie unserer Wirklichkeitsauffassung nicht widersprechen, statt umgekehrt unsere Weltschau den unleugbaren Gegebenheiten anzupassen.” Dem habe ich nichts weiter hinzuzufügen.

    Stephan fragt, die Verantwortlichen für die Abwege der Libet-Diskussion betreffend, »Denken wir beide dasselbe: die Naturalisten!?« Da kann ich nur ja antworten. Wenn Dein Eindruck hierzu ein anderer sein sollte, dann wäre meine Frage, auf welche Quellen Du Dich dabei stützt.

    Wurde übrigens schon mal Retrocausality zur Deutung des Libet-Experiments von irgendwem erwogen? Das wäre doch auch nicht absurder als die Bewusstseinsteilchen von Gerhard Roth. Damit wären auch die die-hard Dualisten wieder im Spiel und hätten nichts mehr zu jammern.

    Der Aufsatz von Michael Roth ist tatsächlich ganz ausgezeichnet — vielen Dank für dieses Fundstück! Ja, das hat ein Niveau, auf dem sich Fragen zur Willensfreiheit auch vernünftig erörtern lassen.

  86. “Willensfreiheit” ist letztlich eine Idee, die ihre Wurzeln offenbar bei Epiktet hat und seither von etlichen, mehr oder minder hellen Geistesblitzbirnen auf diese oder jene Weise ausgeleuchtet worden ist. Man kann gewiss darüber streiten, ob das nun eine gute oder schlechte Idee von Epiktet war, aber eines kann man garantiert nicht: daraus eine empirisch testbare Grösse machen. Können wir uns darauf einigen?

    Dr. W will das einmal erklären, ohne “Bal” zu dissen >:-> :

    Es ist denkbar, dass dass erkennende und sich so auch beschreiben könnende Subjekt in (s)einer Welt herrscht.
    Philp K. Dick hat derartige, denkbarerweise vorliegende Welten, tatsächlicher Art oder rein gedachter Art seinerzeit bearbeitet, die Idee ist nicht schlecht, sie darf gedacht werden.

    Früher, in voraufklärerischer Zeit wurde oft gedacht, dass eigenes Denken den Lauf der Welt entscheidend verändern könnte, zeitgenössisch wird dies (dankenswerterweise, wie einige finden) nicht (mehr) so gesehen, auch dem Sapere Aude folgend, das sich genau so abzusetzen, nun, gedachte.

    Anderseits bliebt die Denkmöglichkeit, auch Epiktet als großer Idiot (im Wortsinne) und Epiktet hatte seinerzeit mit dem Animismus zu tun, dem er sich, streng und stolz, widersetze, indem er sich selbst sozusagen für einen Gott oder als zumindest per se unangreifbar erklärt hat, dies war seine (voraufklärerische) Leistung.

    ‘Empirisch testbar’ wären auch Erkenntnissubjekte, die sich sozusagen über die Welt erheben könnten, Terry Pratchett hat diesbezügölich gearbeitet, in der Person des ‘Ponder’ hat er einen in einer magischen Welt tätigen (Natur-)Wissenschaftler erfunden, eine große Leistung, wie einige finden.


    Heutzutage reflektiert sich derartige Überlegung in der “Rolle des Beobachters”, Zeilinger schrieb und vor allem auch, lol, redete dazu.
    Konstruktivistische Sichten kommen zudem auch in aufklärerischer Zeit nicht ohne dem Beobachter aus, korrekt!, der gerne nicht durch bloßen Willen, magisch sozusagen Welt verändern kann.
    Das Sapere Aude bleibt abär eine Forderung.

    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Webbaer

  87. *

    Anderseits bl[ei]bt die Denkmöglichkeit


    Zu unterscheiden bleibt zwischen der Denkmöglichkeit, auch die Natur meinend, und dem physikalischen Sacharbeit, Dr. Webbaer ist streng auf Seiten des gemeinten Sacharbeiters, sorgt abär im Defensiven streng vor, verschließt sich anderer Sicht nicht (unablehnend, dann abär immer aus “gutem Grunde”).

  88. *
    und de[r] physikalischen Sacharbeit


    Dr. W hat sich korrigiert, glaubt abär ohnehin nicht so recht, dass Andere, ‘Chrys” vielleicht, “Schleimie” nicht zu vergessen, hier verstehen könnten, bleibt arrogant, jawoll.

  89. *

    Epiktet hatte seinerzeit mit dem Animismus zu tun, dem er sich, streng und stolz, widersetz[t]e

  90. Bonuskommentar hierzu :

    Wo er im Vorwort u.a. bemerkt, “daß das wacklige Gerüst unserer Alltagsauffassungen der Wirklichkeit im eigentlichen Sinne wahnhaft ist, und daß wir fortwährend mit seinem Flicken und Abstützen beschäftigt sind — selbst auf die erhebliche Gefahr hin, Tatsachen verdrehen zu müssen, damit sie unserer Wirklichkeitsauffassung nicht widersprechen, statt umgekehrt unsere Weltschau den unleugbaren Gegebenheiten anzupassen.” [Paul Watzlawick, von Kommentatorenfreund ‘Chrys’ so zitierend beigebracht]

    Es ist so, dass das erkennende Subjekt in nicht immer leichter, die ihm Zupassenkommung sozusagen ist gemeint, Umgebung sozusagen navigiert.
    ‘Tatsachen’ sind (im aufklärerischen Sinne) als behauptete, so von einigen behauptetete, eine (fast) Gesamtzustimmung ist ebenfalls möglich, bspw. den Mond meinen oder die Rundheit der Erde, womöglich ist so auch die angebliche ‘Unleugbarkeit’ gemeint.

    Von ‘Wirklichkeit’, es war wohl “Meister Propper”, der so erfunden hat, ist aus diesseitiger Sicht eher niederrangig zu reden, sicherlich ist Wirkung für das erkennende Subjekt zentral, sie darf aber womöglich doch im Theoretischen durch die Messung, die Empirie und vor allem auch physikalisch ersetzt werden.

    Auch mag Dr. Webbaer den Begriff des ‘Wahns’ an dieser Stelle nicht, er erklärt an dieser Stelle gerne, dass die Welt (das, was waltet oder herrscht) zu bearbeiten ist, die Realitas, die (sinnhaft, danke) gebildete Sachlichkeit, das Universum, die physikalische Sicht auf das, was ist, ist gemeint, und die Mode, die Kultur, das im dann nicht immer Richtigen sozusagen Schwimmende.

    Direkt blöde ist so nicht, Dr. Webbaer wird abär auch hier, wie bspw. auch bei Langzeit-Kommentatorenfreund “Bal” nicht in die Person gehen.
    Cooler womöglich gar hier, bei den Scilogs.de verfügbare Kräfte, Namen nennen will Dr. Webbaer nicht, außer vielleicht ganz am Rande auf u.a. Josef Honerkamp und Joachim Schulz zu verweisen.

    Beware of effing ‘Wirklichkeit’.

    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Webbaer

  91. PS:

    Denkbarerweise hat sich Dr. W i.p. jener Person auch die Erinnerung meinend ungünstig ausgebreitet, Dr, W hat auch Plus-Punkte notieren können, derart :

    -> ‘Die eigentliche Ursache des Leids liegt in unserer Unwilligkeit, Tatsachen als reelle Tatsachen und Ideen als bloße Ideen zu sehen, und dadurch, dass wir ununterbrochen Tatsachen mit Konzepten vermischen. Wir tendieren dazu, Ideen für Tatsachen zu halten, was Chaos in der Welt schafft.
    …denkbarerweise hat Dr. W so in Erinnerung behalten, Dr. W ist schon lange im Geschäft.

    Konstruktivistische philosophische Ansätze mag er, auch weil : alternativlos, ein Primat (natur-)wissenschaftlicher Erkenntnis über das Sein des hier gemeinten Hominiden erkennt er nicht.

    Weiter oben hätte Dr. W weniger “nickeln” können, beim Wesen von Tatsachen, Daten (“Gegebenes”) ist gemeint, das ausschnittartig, näherungsweise und an Interessen gebunden (!) in der Natur(welt) festgestellt wird, würde Dr. W gerne Veranstaltung auch bei der messungsbestimmten Erfassung feststellen wollen.

    ‘Leid’ sieht Dr. W auch nicht, ‘Tatsachen’ folgen direkt Ideen, bspw. unser Langzeit-Kommentatorenfreund Herr Dr. Frank Wappler arbeitet sich hier nicht umfänglich sinnlos ab, die (physikalische) Messtheorie meinend, die, nun, relativ, zu bleiben hat, lol.
    Aus konstruktivistischer Sicht sowieso.

    ‘Reelle Tatsachen’ gibt es, Tatsachen sind per se ‘reell’, die Sachlichkeit meinend, diese Dichotomie, die womöglich auch jene Kraft zu erheben suchte, im Selbst, ist nicht korrekt :

    “Tatsachen als reelle Tatsachen und Ideen als bloße Ideen”

    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Webbaer

  92. Am Rande notiert :

    Sollten hier bei den SciLogs.de regelmäßig sog. Popups hochkommen, dies ganz im Ernst angemerkt, wird Dr. W sich verabschieden.

    Ist dies so, oder ist Dr. W von sog. Erweiterungen seines “Browsers” befalllen, oder liegt eine nun hier Wesensart im wissenscaftsnahen WebLog-Wesen vor?

    Dr. W ist schon ein wenig älter, ihm hier gerne sachbezogen Nachricht geben, danke.

    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Webbaer

  93. Was Dr. W auch a bisserl stört, Dr. W weiß wo “Chrys” sitzt u.s.w. – will demzufolge keine näheren Angaben machen, nur generelle Verklemmtheit feststellen, die Philosophie bedingt doch ihrem Wesen nach den Idioten, in etwa so, wie das Militär die Frontkraft benötigt, nicht immer nur bestens bevorkömmlicht, fürwahr.

    MFG (“Popuphasser” und sich nun ausklinkend, es war schön)

  94. Als Side-Kick sozusagen, vielleicht einfach aus sich direkt und öffentlich heraus kommen, zu sagen hat Kommenntorenfreund ‘Chrys’ genug, die Öffentlichkeitsarbeit meinend, sicherlich, dies hat (“Alpha-Tier”) Dr. W längst verstanden, liegt hier sozusagen sich per se zurücknehmendes “Beta-Tier” vor.

    Und um den Gag mit dem “Side-Kick” abzurunden wäre Dr. W womöglich in persona, auch Tagessätze meinend, bei Ihnen.

    Schmieriger Sloterdijk ist ja nun weg und “Precht” könnte unsereins nur recht, vs. Precht, haha, sein.
    Bundesdeutsch.

  95. @Chrys: Außer Naturalisten/Materialisten hätte auch niemand ein Interesse daran, die experimentellen Daten so schräg zu interpretieren (während man natürlich gerne von der “harten Wissenschaft” und von der “wissenschaftlichen Methode” prahlt).

    Es hat sich wohl seit Hyrtl wenig geändert: Die Materialisten haben wenig gute und vor allem keine neuen Argumente. Man wiederholt immer dasselbe Mantra: Wir konnten Phänomen A reduktiv erklären (was sich oft genug als irreführend herausstellt, wenn man genau hinschaut), darum werden wir auch Phänomen B reduktiv erklären können. “Hier geht alles mit rechten Dingen zu.” Amen.

    Vielleicht wiederholen sie ihr Mantra so oft, als eine Form von Selbsthypnose/Autosuggestion, damit sie es selbst glauben. In der New Age-Bewegung macht man es meines Wissens genauso.

    Insofern: Hirnforschung in den Medien

    Am Ende findet sich ja eine interessante Liste mit solchen Neuro-Mythen. Die könnte man verlängern. Doch sich so oft mit den Fehlern anderer zu beschäftigen, ist auf Dauer nicht erbaulich.

  96. Was haben Willensfreiheits-Befürworter da von, wenn man Willensentscheidungen nicht vorhersagen kann? Wenn der Wille nicht determiniert ist, ist er zufällig. Wer würde sich als frei bezeichenen, wenn Entscheidungen ausgewürfelt werden?

  97. @Stephan / 22.08.2021, 23:00 Uhr

    »Man wiederholt immer dasselbe Mantra: … “Hier geht alles mit rechten Dingen zu.” Amen.«

    Ein wichtiges Mantra lässt sich wohl ungefähr so fassen: “Wenn ein Explanandum nicht durch seine konstituierenden Komponenten erklärbar wäre, dann müsste ja etwas Spukhaftes aus dem Jenseits hinzukommen, was nicht sein kann, wenn alles mit rechten Dingen zugeht.”

    Das tönt ja auf den ersten Blick sogar ziemlich plausibel. Dennoch wird dabei leicht das Nächstliegende übersehen: wer “erklärbar” sagt, verlangt damit unausweichlich immer auch etwas Jenseitiges, wenngleich nicht gerade Spukhaftes, das nicht dem Explanandum innewohnt, nämlich einen Erklärer mit seiner Perspektive, seinem Vorverständnis, und — insbesondere — mit seinen sprachlich limitierten Ausdrucksmitteln.

    Der unbedarfte Naturforscher meint, das empirisch Vorfindliche müsse sich problemlos im Verhältnis 1:1 sprachlich nachbilden lassen, und es käme dann nur noch darauf an, die richtige Sprache zu finden. Er schreibt sich damit faktisch selbst unbegrenzte Geisteskräfte und eine vom Prinzip her unlimitierte “Power of Explanation” zu. Beispielhaft demonstriert von Markus Diesmann mit seinem Spruch “Das Gehirn ist ein Objekt endlicher Größe, man kann alles darüber rauskriegen”.

    Erstaunlich ist, dass man sich bei dieser Methode erst einmal unbegrenzte Geisteskräfte zuerkennen muss, um anschliessend verkünden zu können, es gäbe gar keinen Geist. Das nennen wir dann paradox, oder?

  98. @Chrys // 22.08.2021, 14:51 Uhr

    Abwege der Libet-Diskussion?

    Nun, was dem einen abwegig vorkommt, mag dem anderen folgerichtig erscheinen. Wie das halt so ist… ; -)

    Aus biologischer Sicht jedenfalls sind Libets Versuchsergebnisse kein Aufreger. Hätte sich stattdessen gezeigt, dass Bereitschaftspotentiale erst dann entstehen, wenn der Proband sich bewusst zu einer Handbewegung entschließt, dann hätte wohl so mancher Biologe sich die Augen gerieben und gefragt, wie sich das wohl erklären lässt angesichts der Tatsache, dass unsere Vorfahren vor 10 oder 20 Mio. Jahren noch gar nicht dazu in der Lage waren, bewusst erlebte Entscheidungen zu fällen (also vermutlich, Daten hierzu liegen ja nicht vor).

    Und eigentlich ist es ja von (evolutionärem) Vorteil, wenn das Bereitschaftspotential bereits da ist, wenn dem Individuum bewusst wird, dass sofortiges Handeln angesagt ist.

    Kurzum, auch ohne Kenntnis der philosophischen „Willensfreiheits-Debatte“ ist die Vorstellung, die Spezies Mensch könne unabhängig von hirnphysiologischen Prozessen zu Entscheidungen gelangen, kaum vermittelbar. Für die Einsicht, dass „Willensfreiheit“ letztlich nur eine Idee sein kann, muss man kein Naturalist sein. Insofern erscheint es mir auch nicht abwegig, dass einige Philosophen Libets Versuche als Untermauerung ihrer Anti-Willensfreiheit-Argumente genutzt haben. Dass dabei auch manche Aussagen zustande gekommen sind, die bei näherer Betrachtung nicht haltbar sind—mein Gott, so ist das nun mal in philosophischen Debatten.

    Abwegig hingegen erschien Libet (2002) die eher sachfremde Kritik und Versuche der nachträglichen Neuinterpretation der experimentellen Daten, vornehmlich aus Reihen der Philosophie:

    It should be of interest to the reader that many of the world’s leading neuroscientists have not only accepted our findings and interpretations, but have even enthusiastically praised these achievements and their experimental ingenuity. These included the editors and referees of the journals that published our articles (including the Journal of Neurophysiology, Science, Electroencephalography and Clinical Neurophysiology, Brain, etc.). Individual expressions came from E. D. Adrian, J. C. Eccles, Ragnar Granit, R. W. Gerard, Frederic Bremer, Charles Phillips, Laurence Weiskrantz, Wilder Penfield, David Ingvar, Herbert Jasper, Robert Doty, Robert Schmidt, Anders Lundberg, Per Andersen, Howard Shevrin, Hans Kornhuber, Ainsley Iggo, Petra Stoerig, Pierre Buser, Stuart Hameroff, and many others.
    It is interesting that most of the negative criticism of our findings and their implications have come from philosophers and others with no significant experience in experimental neuroscience of the brain. Some notable positive exceptions have been Sir Karl Popper (the leading philosopher of science in the 20th century), Stephen Pepper (late Professor of Philosophy at UC Berkeley), Martin Edman (Professor of Philosophy at the University of Umea˚, Sweden), and others.

    (Consciousness and Cognition 11, 291–299 (2002)
    doi:10.1006/ccog.2002.0568)

    (Leider nicht frei zugänglich; woher ich das Paper bezogen habe, weiß ich nicht mehr)
    (Beachte die Aufzählung der Namen… sehr ungewöhliche Sache, das…)

    »Wurde übrigens schon mal Retrocausality zur Deutung des Libet-Experiments von irgendwem erwogen? Das wäre doch auch nicht absurder als die Bewusstseinsteilchen von Gerhard Roth. Damit wären auch die die-hard Dualisten wieder im Spiel und hätten nichts mehr zu jammern. «

    Ja, interessanter Gedanke (und in meinen Augen kein bisschen absurder als die Behauptung, „Willensfreiheit“ sei mehr als eine bloße Idee, ein Faktum): In dem Moment, wo ich mich dazu entscheide, zur Tasse zu greifen, wird in der nahen Vergangenheit das hierfür nötige Bereitschaftspotential erzeugt. Dank der speziellen Eigenschaften der Quantenfelder. Denn schließlich ist „die Welt ein total verschränktes System“, und bekanntlich „bilden [wir] mit den Objekten unserer Beobachtung (und diese untereinander) ein unteilbares, holistisches Ganzes.“ (Wolfhard Koch, 1999).

    Was Gerhard Roths „Teilchen“ anbelangt: Meine Güte, da hat er halt mal frei spekuliert, das wird ja wohl noch erlaubt sein angesichts des schier unlösbaren Rätsels, wie die Bilder in den Kopf kommen … was Penrose kann, kann Roth schon lange ; -)

  99. Balanisierung der Diskussion

    …ist die Vorstellung, die Spezies Mensch könne unabhängig von hirnphysiologischen Prozessen zu Entscheidungen gelangen, kaum vermittelbar.

    Darum ging’s zum Glück auch gar nicht! 😂

  100. @Balanus: Neurowissenschaftler vs. Philosophen

    Hier im Text kamen auch zwei Psychologen bzw. Neurowissenschaftler dran (die Professoren Daniel Wegner und John-Dylan Haynes), die die Ergebnisse so diskutieren, als hätten sie etwas mit Willensfreiheit zu tun, indem sie eben Person und Hirn so gegeneinander ausspielen und das mit dem Veto übergehen.

    Dass sich auch unter Philosophen viele “Übeltäter” finden, bezweifle ich nicht; eben die Naturalisten.

  101. P.S. Gerhard Roth, Victor Lamme, Dick Swaab… und viele andere mehr, alle Neurobiologen/Neurowissenschaftler, haben die Experimente auch falsch wiedergegeben.

  102. @Stephan Schleim / 23.08.2021, 17:40 Uhr

    »Balanisierung der Diskussion«

    Man tut, was man kann, um das Niveau zu heben… : -)

    (Man kann ja auch mal einen Gedanken äußern, der nicht unmittelbar mit dem Blog-Beitrag zu tun hat, wenn er insgesamt in die Ausführungen passt, oder?)

  103. @Balanus / 23.08.2021, 17:29 Uhr

    Libet … Consciousness and Cognition 11, 291-299 (2002) doi:10.1006/ccog.2002.0568

    »(Leider nicht frei zugänglich; woher ich das Paper bezogen habe, weiß ich nicht mehr)«

    Gesucht und gefunden → PDF

    Da geht’s aber anscheinend eher um eine Verteidigung der Experimente gegen diverse Vorwürfe hinsichtlich Fehlerhaftigkeit in Design und/oder Interpretation.

    Eine andere Sache ist indes die Vereinnahmung von Libets Ergebnissen durch Autoren, die dann eigene Deutungen hinzufügen, die so aber gar nicht von Libet stammen oder beabsichtigt waren.

  104. @Balanus / 23.08.2021, 17:29 Uhr

    Zunächst noch mal zu Deinen Kommentar (20.08.2021, 11:22 Uhr), wo Du schreibst,

    »Dennoch bleibt die Frage, wie Menschen zu ihren willentlichen Entscheidungen kommen, gehen sie vom phänomenalen „Bewusstsein” aus (als Erstauslösung von Ereignissen), oder werden sie schlicht neurophysiologisch generiert.«

    Ja, die Frage scheint berechtigt und naheliegend. Doch wenn ich etwas darüber sinniere, dann komme ich mehr und mehr unter den Eindruck, dass unser aller Rede von Entscheidungen ziemlich diffus ist — und problematischer, als es auf den ersten Blick scheinen mag.

    So fällt mir u.a. auf, dass ich auch beim sog. “Entscheidungsproblem” in der Formulierung von Turing die Frage stellen kann, wer oder was da gegebenenfalls etwas entscheidet, resp. auf welche Weise eigentlich entschieden wird, ob eine Turing Maschine M mit dem Input I anhält oder nicht. Erst auf den zweiten Blick mag sich erschliessen, dass es da gar nicht um Entscheidung, sondern um Entscheidbarkeit geht, was ähnlich klingt, aber ganz etwas anderes meint.

    Ich füchte ferner, dass sich in der wissenschaftl. Literatur viele Stellen werden finden lassen, wo `Entscheidung’ wie ein wissenschaftl. Terminus verwendet wird, jedoch ohne zuvor als solcher qualifiziert worden zu sein, sodass die Rede von `Entscheidung’ dann über die Bedeutung einer zwar intuitiven, aber dubiosen Metapher nicht hinauskommt. Was dann kaum jemandem noch auffällt.

    Kurzum, ich bezweifle, dass `Entscheidung’ eine für wissenschaftl. Belange weitläufig brauchbare Wortbildung ist, und wenn überhaupt, dann nur dort, wo begründet handlungstheoretisch argumentiert werden kann. Das Wort ist meines Erachtens mit äusserster Vorsicht zu geniessen, wenn Neurobiologen es verwenden.

    »Meine Güte, da hat er [Gerhard Roth] halt mal frei spekuliert, das wird ja wohl noch erlaubt sein angesichts des schier unlösbaren Rätsels, wie die Bilder in den Kopf kommen … was Penrose kann, kann Roth schon lange ; -)«

    Falls Du gerade auf einem Eso-Trip bist, Click!
    Abstract als Apéritif:

    The Operational Architectonics (OA) of brain-mind functioning is a theory that unifies brain and mind through nested and dynamic hierarchy of electromagnetic brain fields. Recently, it has been enriched by concepts from physics like time, space, entropy, and self-organized criticality. This review paper advances OA theory further by delving into the foundations of quantum physics and Eastern metaphysics in relation to mind function. We aim to show that the brain-mind OA is the boundary between and integration point of quantum physics and Eastern metaphysics, and that it may inspire building a richer and more inclusive paradigm of the brain-mind relation, where quantum physics and Eastern metaphysics are inherently intertwined.

  105. Kann es sein, dass das Libet Experiment erst dadurch Diskussionen auslöst, dass man implizit eine Zuordnung von Unterbewusstsein zur Physis und Bewusstsein zum Geist bzw. zur Ratio macht? Vielleicht wäre es gar kein Problem, wenn man dem ontologischen Bewusstsein bewusste und unbewusste Anteile zuschreibt, die nicht nur unscharf getrennt sind, sondern ineinander hineinragen? Und wenn man anerkennt, dass Physis und Psyche zwei Systeme sind, die zwar kausal, aber nicht vollständig deterministisch sind, da die eine Arbeitslogik eine für sie völlig verschiedene Logik hervorbringt, die ihrerseits einer eigenen Dynamik folgt.
    Natürlich sind beide ein integratives System, das aber zwei Sprachen spricht, eine elektrochemische und eine begriffliche. Und manchmal ist die begriffliche (symbolische) einfach langsamer.

  106. Übrigens: was hat ein terroristischer Akt oder eine andere systematisch geplante Tat mit Bereitschaftspotential zu tun? Selbst die meisten Affekthandlungen brauchen länger, als beim Libet Experiment.

  107. @Stegemann: Aufmerksamkeit

    …was hat ein terroristischer Akt oder eine andere systematisch geplante Tat mit Bereitschaftspotential zu tun?

    So erzielt man Aufmerksamkeit und erhöht seine Chance auf Fördergelder.

  108. @Chrys

    Nur zur Info: Bin fuer den Rest der Woche unterwegs, wenn ich zurueck bin schau’n wir mal, wie das mit dem ‘decision making’ im Hirn ist…

  109. @Balanus:
    Das Libet-Experiment taugt nicht zu einer Theorie der Entscheidungsfindung. Es müsste den ganzen Bogen vom Zuschlagen nach einer Provokation (Affekt) bis hin zur Kaufentscheidung nach einer komplexen mathematischen Berechnung erklären. Das Bereitschaftspotential ist bestenfalls ein warm-up (es sei denn, man meint, es kann schneller rechnen als ICH).
    Der Reduktionismus schließt gerne unmittelbar von B auf A. In der unbelebten Natur geht das in der Regel. Man kann gedanklich B wieder auf A reduzieren (auch bei nichtlinearen physikalischen Entwicklungen).
    In der belebten Natur geht das nicht, weil zwischen A und B ein komplexer Regulationskreislauf steckt. Man kann diesen zwar von A nach B verfolgen, der Rückschluss ist aber nicht möglich. Daran krankt alle Lebenswissenschaft einschließlich der Medizin (die bloße Empirie nicht eingeschlossen).

  110. @Wolfgang Stegemann // 28.08.2021, 10:28 Uhr

    » Das Libet-Experiment taugt nicht zu einer Theorie der Entscheidungsfindung. «

    Ach, wer hätte das gedacht ; -)

    Libet et al. (1982) gingen u.a. der Frage nach, welche der beiden bekannten Komponenten des Bereitschaftspotentials, wenn überhaupt, direkt verbunden ist mit der Initiierung eines freien, uneingeschränkten Willensakts. Welcher, aus pragmatischen Gründen, darin bestand, zu einem frei gewählten Zeitpunkt einen Finger oder die Hand zu bewegen. Viel einfacher geht es nicht in punkto Entscheidungen. Das Ergebnis und die nachfolgenden Diskussionen in bestimmten gesellschaftlichen Kreisen sind bekannt.

    » Das Bereitschaftspotential ist bestenfalls ein warm-up (es sei denn, man meint, es kann schneller rechnen als ICH). «

    Das Bereitschaftspotential geht dem bewussten Erleben der Bewegung voraus. Punkt.

    » Der Reduktionismus schließt gerne unmittelbar von B auf A. «

    Mit großem Erfolg, wie man an den Beschreibungen der zahlreichen Regulationsmechanismen und Regelkreisen, die dem Lebendigen bekanntlich zugrunde liegen, sehen kann.

    Die Lebenswissenschaften sind viel weiter, als manch einer glauben mag. Aber noch lange nicht am Ende.

    @25.08.2021, 08:21 Uhr

    »Übrigens: was hat ein terroristischer Akt oder eine andere systematisch geplante Tat mit Bereitschaftspotential zu tun?«

    Sie stellen die Überschrift dieses Beitrags in Frage? Kann ich nachvollziehen. Bei ersterem geht es vor allem ums Gedankenlesen, beim zweiten um eine grundlegende Hirnfunktion.

    Aber irgendwie hängt ja alles mit allem zusammen.

    Um es nochmal deutlich zu machen, wir haben gesehen, dass man nicht mal den kleinen Finger bewegen kann, ohne dass dem willentlichen Bewusstseinsakt das entsprechende Bereitschaftspotential vorausgeht. Sogar, wenn Sie entscheiden, den Finger jetzt gerade nicht zu bewegen, geht ein Bereitschaftspotential dieser bewussten Willensentscheidung voraus. Faszinierend!

    Beim Bereitschaftspotential geht es also schlicht um den biologischen (zeitlichen) Zusammenhang von der bewussten Entscheidung zur nachfolgenden Aktion. Daran ändert sich auch nichts, wenn Sie eine Aktion von langer Hand planen: Wenn Sie am Ende bewusst den Finger krümmen, z. B. damit es knallt, dann folgt dieser bewusste Willensakt dem entsprechenden (unbewusste) Bereitschaftspotential nach. Und das wirft natürlich Fragen auf bezüglich des menschlichen „Geistes“ als Erstursache von Ereignisketten.

    (Damit hier kein falscher Eindruck entsteht: es ist für die geplante Aktion und die ethische Verantwortung für den Terrorakt natürlich völlig irrelevant, wie das Gehirn en detail funktioniert).

  111. @Chrys // 24.08.2021, 18:07 Uhr

    » …wer oder was da gegebenenfalls etwas entscheidet, resp. auf welche Weise eigentlich entschieden wird, ob eine Turing Maschine M mit dem Input I anhält oder nicht. Erst auf den zweiten Blick mag sich erschliessen, dass es da gar nicht um Entscheidung, sondern um Entscheidbarkeit geht, was ähnlich klingt, aber ganz etwas anderes meint.«

    Es mag durchaus Probleme geben, die nicht entscheidbar sind (durch wen oder was auch immer).

    Aber warum sollte der Begriff ‚Entscheidung‘ nur dort brauchbar sein, wo „begründet handlungstheoretisch argumentiert werden kann“?

    Handlungen fallen ja nicht vom Himmel, sondern sind gebunden an biologische Entitäten, zumeist Menschen (wobei, auch im Tierreich spricht der Verhaltensbiologe hin und wieder von „Handlungen“, aber das nur nebenbei)

    Kurzum, Handlungen gibt es, weil es Nervensysteme gibt, die gewissermaßen “entscheidungsfähig” sind (nach links, nach rechts, essbar oder nicht, usw.). Wer meint, nicht Nervensysteme, sondern Menschen würden entscheiden, der zäumt das Pferd von hinten auf. Denn der verkennt, wie Menschen evolutionsgeschichtlich zur Sprache und zu den Begriffen gekommen sind.

  112. @Balanus:
    “…dann folgt dieser bewusste Willensakt dem entsprechenden (unbewusste) Bereitschaftspotential nach.”
    “…weil es Nervensysteme gibt, die gewissermaßen “entscheidungsfähig” sind…”

    Das glauben Sie doch nicht im Ernst, oder? Nerven entscheiden, ob ich eine Entscheidung treffe?
    Da sieht man die ganze Metaphysik des Reduktionismus. Ich sehe mal von den methodischen Unsinnigkeiten des Libet-Experiments ab, wo die Versuchspersonen selbst entscheiden, wann sie das Gefühl haben, dass in ihrem Kopf was passiert.
    Das Gehirn ist eins der komplexesten Systeme überhaupt. Und das will man dann mit einem primitiven Reiz-Reaktions-Test untersuchen. Ich lach mich kaputt.
    Warum gehen wir eigentlich nicht von der Phänomenologie unserer Erfahrung aus und stellen fest, dass wir nicht nur Entscheidungen treffen, die sehr komplex sein können, sondern auch dass wir morgen noch derselbe sind wie heute, also eine relativ stabile Ich-Identität haben. Es muss also irgendeine Steuerungsinstanz geben, die dafür verantwortlich ist. Freud hat dies als ICH bezeichnet. Ich sage, es ist eine virtuelle Instanz, die entstanden ist durch die spezifische Zusammenarbeit von ungeheuer vielen Neuronen. Und natürlich hat jede mentale Aktivität eine physiologische Entsprechung, aber eben nicht wie in einer Maschine. Eine Maschine macht, was man ihr sagt. Beim Gehirn ist es ‘beidseitig’. Das Gehirn meldet: Ich habe Hunger. Das virtuelle ICH sagt, keine Zeit. Auch wenn einer Entscheidung ein Bereitschaftspotential vorausgehen würde, was ich sehr anzweifle, wäre es nichts anderes, als eine physiologische Aktion, die man asynchron aufgezeichnet hätte. Mit Willensentscheidung hätte dies nichts zu tun.
    Übrigens, in Ihrer Vorstellung dürfte es keine rationalen Entscheidungen geben.

  113. @Balanus:
    “Zitat Stegemann: » Der Reduktionismus schließt gerne unmittelbar von B auf A. «”
    “Mit großem Erfolg, wie man an den Beschreibungen der zahlreichen Regulationsmechanismen und Regelkreisen, die dem Lebendigen bekanntlich zugrunde liegen, sehen kann.”

    Sie erinnern sich an unsere Diskussion über die Rolle zufälliger endogener Mutationen für die Evolution. Dieser Zusammenhang ist an keiner einzigen Stelle wissenschaftlich bewiesen worden. Und wie nennt man etwas, was nicht bewiesen ist, an das man also nur glaubt, weil man meint, es wäre plausibel oder denkt, wie sollte es denn sonst sein?

  114. @Wolfgang Stegemann // 30.08.2021, 21:27 Uhr

    »Das glauben Sie doch nicht im Ernst, oder? Nerven entscheiden, ob ich eine Entscheidung treffe? «

    So könnte auch ein verkappter Dualist fragen ; -).

    »Ich sage, es [Freuds ICH] ist eine virtuelle Instanz, die entstanden ist durch die spezifische Zusammenarbeit von ungeheuer vielen Neuronen. «

    Virtuell—also „nicht echt, nicht in Wirklichkeit vorhanden, aber echt erscheinend“? (Google)

    » Und natürlich hat jede mentale Aktivität eine physiologische Entsprechung,… «

    Genauer: Jede bewusst erlebte „mentale Aktivität“ beruht auf physiologischen Prozessen.

    » …aber eben nicht wie in einer Maschine. Eine Maschine macht, was man ihr sagt. Beim Gehirn ist es ‘beidseitig’. «

    Gerade eben nicht „beidseitig“, das wäre ja dann wieder ein dualistisches Modell, was wir beide ja ablehnen (oder ist mit ‚beidseitig‘ gar nicht „beidseitig“ gemeint?).

    Wenn das „Gehirn meldet: Ich habe Hunger“, also wenn also das Gefühl Hunger bewusst wird, dann können andere Bereiche des Gehirns melden, „keine Zeit“. Ein „virtuelles ICH“ wird in meinem Modell nicht gebraucht. Anschließend taucht im Bewusstsein auf, wie die Entscheidung (jetzt essen oder später) ausgefallen ist.

    » Übrigens, in Ihrer Vorstellung dürfte es keine rationalen Entscheidungen geben. «

    Kommt drauf an, was Sie unter „Ratio“ verstehen. Wenn Vernunft nichts mit einem althergebrachten „Geist“ zu tun hat, sondern als „schlussfolgernder, logischer Verstand“ (Google) verstanden wird, also als eine Leistung des Großhirns, dann wüsste ich nicht, wieso nach meinen Vorstellungen keine rationalen Entscheidungen möglich sein sollen. Das ist doch nur eine Frage der spezifischen neuronalen Mikro-Architektur, was eine neuronales System wie das Gehirn leisten kann und was nicht.

    ———–
    @30.08.2021, 21:34 Uhr

    » Sie erinnern sich an unsere Diskussion über die Rolle zufälliger endogener Mutationen für die Evolution. Dieser Zusammenhang ist an keiner einzigen Stelle wissenschaftlich bewiesen worden. «

    Zufällige Mutationen sind für den evolutionären Wandel zentral, dass ist tausendfach belegt.

    Was das Wörtchen „endogen“ bedeuten soll ist mir nicht ganz klar. Mutationen werden auch durch äußere Einflüsse hervorgerufen. Zudem gibt es DNA-Bereiche, die leichter mutieren als andere.

  115. @Wolfgang Stegemann,

    Nachtrag: Das Libet-Experiment ist natürlich kein Reiz-Reaktions-Test, wie Sie schreiben. Bei aller berechtigten Kritik: Darauf ist noch niemand gekommen… oder doch? Quelle?

  116. @Balanus:
    Im Libet-Experiment entscheide ICH, und niemand anderes, einen Knopf zu drücken. Dann werde ICH aus dem Experiment ‘ausradiert’, und es heißt, nicht ICH habe diese Entscheidung getroffen, sondern meine Nerven. Da trickst sich das Experiment selber aus.

    Ich denke, man kann das Gehirn nur verstehen, wenn man annimmt, dass Mentales und Physiologisches quasi zwei Seiten derselben Medaille sind. Der Unterschied zur Medaille: Das Nervensystem generiert seine eigene (teilautonome) Steuerung. Und diese nimmt natürlich Einfluss auf die Physiologie. Denken Sie an die Neuroplastizität oder den Placeboeffekt. Virtuell deshalb, weil es keine physiologische Organisation ist, sondern eine strukturell-funktionale. Das heißt, der ‘Strom’ fließt mal so, mal so (um es bildlich auszudrücken).

    Zur Evolution: Nennen Sie mir einen einzigen Beweis für die Tatsache, dass Mutationen von innen heraus geschehen. Es gibt keinen, denn man kann es nicht beweisen. Somit kann jedes andere Modell zunächst gleichberechtigt angesehen werden. Der (endogene) Zufall wird lediglich mangels Alternative angenommen.

  117. @Balanus:

    “Das Libet-Experiment ist natürlich kein Reiz-Reaktions-Test”

    Ich habe etwas schlampig formuliert. Es hätte heißen müssen: ‘… auf dem Niveau…’

  118. @Balanus / 30.08.2021, 19:21 Uhr

    »Aber warum sollte der Begriff ‚Entscheidung’ nur dort brauchbar sein, wo „begründet handlungstheoretisch argumentiert werden kann”?«

    `Entscheidung’ und `Handlung’ werden seit jeher als irgendwie zusammengehörig erlebt und gedacht. Das ist eine nicht so ganz leicht zu entwirrenede Verwandtschaft; mir fällt dazu gerade auch nichts besseres ein als wikipedia, das bietet zumindest einen passablen Einstieg:

    Unter Entscheidung versteht man die Wahl einer Handlung aus mindestens zwei vorhandenen potenziellen Handlungsalternativen unter Beachtung der übergeordneten Ziele.

    Das ist im Ursprung sicherlich durch das individuelle Erleben bedingt, bleibt aber nicht darauf beschränkt. Wenn andere Menschen als handlungsfähige Agenten auftreten können, die Entscheidungen treffen, mit deren Konsequenzen man sich zu befassen hat, dann ist es nur noch ein kleiner Schritt, hinter allem, was wie die Konsequenz einer Entscheidung aussieht, auch einen handlungsfähigen Agenten zu vermuten. Ein launischer Wettergott Huracan etwa, der … okay, das scheint mir in diesem Fall ziemlich offensichtlich.

    Die lebensweltliche Rede von Entscheidungen impliziert unterschwellig irgendwie stets auch die Existenz von individuell oder kollektiv handelnden Agenten mit eigenen Motiven. Und wo nicht der Chef oder der Ältestenrat offenkundig als verantwortlich in Betracht kommen, werden leichthin Agenten einfach hinzugedacht — diverse Naturgeister und Daemonen, die Göttin Tyche, der Zufall, das Schicksal, die Vorsehung und dergleichen mehr.

    Kurzum. nur handlungsfähige Agenten können etwas nach Massgabe eigener Motive entscheiden. Indem Du ein Nervensysteme als entscheidungsfähig hinstellst, erhebst Du es in den Rang eines handlungsfähigen Agenten, der gleichsam ein Eigenleben führt und zum Antagonisten seines “Besitzers” werden kann. Genau so etwas sollte man aber in einem wissenschaftl. Sprachgebrauch unbedingt vermeiden. In der Psychologie würde ich es für gerechtfertigt halten, `Entscheidung’ als Fachterminus zu verwenden, aber da wird es ja auf eine Person bezogen und nicht etwa, wie bei den Neurobiologen, auf das Nervensystem eines Individuums.

    Und sag’ jetzt bitte nicht, das mit dem “entscheidungsfähigen” Nervensystem war ja nur eine Metapher mit Tüttelchen. Klar ist das nur eine Metapher, aber es ist keine gute und passende Metapher, denn sie führt in die Irre. Wer es richtig verstanden hat, dem sollte es dann ja auch nicht so schwer fallen, sich eine bessere Metapher dafür auszudenken.

  119. @Wolfgang Stegemann // 31.08.2021, 14:53 Uhr

    » Im Libet-Experiment entscheide ICH, und niemand anderes, einen Knopf zu drücken. Dann werde ICH aus dem Experiment ‘ausradiert’, und es heißt, nicht ICH habe diese Entscheidung getroffen, sondern meine Nerven. «

    Gewiss, der Proband und niemand sonst entscheidet, wann von ihm der Knopf gedrückt wird. Die dabei erfolgten EEG-Messungen zeigen, dass das Bereitschaftspotential der bewussten Entscheidung zum Knopfdruck (gemäß den Angaben der Probanden) zeitlich ein wenig vorausgeht. That’s all. Da wird überhaupt nichts „ausradiert“.

    »Ich denke, man kann das Gehirn nur verstehen, wenn man annimmt, dass Mentales und Physiologisches quasi zwei Seiten derselben Medaille sind.«

    Wenn die mentale Seite als ‚virtuelle Seite‘ angenommen wird (und somit nicht kausal wirksam werden kann), dann könnte ich mitgehen.

    » Virtuell deshalb, weil es keine physiologische Organisation ist, sondern eine strukturell-funktionale. «

    Das ist mir zu hoch. Struktur und Funktion sind nicht zu trennen. Physiologische Prozesse kann es nur dort geben, wo entsprechende Strukturen vorhanden sind—und ohne physiologische Prozesse sind funktionale Strukturen unnütz (zumindest im ZNS). Aus alledem resultieren schlussendlich die bekannten biologischen Funktionen (funktionale Mechanismen).

    »Zur Evolution: Nennen Sie mir einen einzigen Beweis für die Tatsache, dass Mutationen von innen heraus geschehen. Es gibt keinen, denn man kann es nicht beweisen. «

    Sie belieben zu scherzen. Wollen Sie wirklich einen Beweis dafür, dass Fehler bei der DNA-Replikation tatsächlich bloß Fehler sind und mithin das, was Molekularbiologen „intrinsische Mutationen“ nennen, keine gezielt herbeigeführten Abänderungen der DNA-Sequenz sind?

  120. @Balanus:

    “EEG-Messungen zeigen, dass das Bereitschaftspotential der bewussten Entscheidung zum Knopfdruck (gemäß den Angaben der Probanden) zeitlich ein wenig vorausgeht. That’s all.”

    Warum macht man diese Experimente? Um zu zeigen, dass unsere bewussten Entscheidungen gar nicht bewusst sind, da sie schon getroffen wurden, bevor sie uns bewusst geworden sind. Und genau darauf gründet man dann strafrechtliche Konsequenzen. Natürlich wird das ICH ausradiert. Mein Unterbewusstsein (oder meine Nerven, ganz wie man will) treffen die Entscheidung. ICH werde davon lediglich im Nachhinein unterrichtet. Die Nerven machen das also unter sich aus. Das bezeichne ich als Witz. Wenn so Wissenschaft funktioniert, dann gute Nacht.

    Das Credo der Evolutions- und Molekularbiologie lautet doch, Veränderungen der DNA kommen ausschließlich (mit Ausnahme der Epigenetik, wie man ja nun inzwischen weiß) durch zufällige innere Mutationen statt.
    Ich hatte dazu ja einige Punkte in einem früheren Beitrag genannt, die diese Sichtweise als unlogisch erscheinen lassen.
    Wenn man Leben als Selbstorganisation auffasst, dann kann doch das Prinzip der zufälligen, also wahllosen Veränderung nicht das treibende Prinzip der Evolution sein.
    Der endogene Zufall kann natürlich nicht bewiesen werden (hatte ich ja gesagt), also ist diese Annahme eine Hypothese, die genauso gut falsch sein kann.
    Das Auge ist ein gutes Beispiel. Es ist nicht zufällig entstanden, sondern aufgrund des ständigen Bombardements der Organismen mit elektromagnetischer Strahlung. Woher hätte der Zufall ‘wissen’ sollen, dass er Mutationen generieren soll, die letztlich zum Auge führen.
    Betrachtet man das Genom als Ganzes, kann man davon ausgehen, dass es bzw. Teile davon von außen ‘gestört’ wird und dadurch ‘gezwungen’ wird, neue Variationen zu generieren. Wenn ich die Studie wiederfinde, setzt ich den Link hier hinein. Dort wurde die Entwicklung des Auges als Folge von Stress durch Licht interpretiert, also nicht durch Zufall.

  121. @Chrys // 01.09.2021, 11:20 Uhr

    » `Entscheidung’ und `Handlung’ werden seit jeher als irgendwie zusammengehörig erlebt und gedacht. «

    Ja, und genau das scheint mir Teil des Problems zu sein: Wir haben es zumeist mit althergebrachten Begriffen und Redeweisen zu tun, die aus einer Zeit stammen, als man noch keine Vorstellung davon hatte, was den Menschen (oder auch höhere Tiere) dazu befähigt, Entscheidungen zu treffen.

    Eine Amöbe z. B. trifft keine Entscheidung, wenn sie sich nach links statt nach rechts bewegt. Das ist lediglich die Folge komplexer biochemischer Prozesse.

    Echte Entscheidungen (zwischen Alternativen) sind Lebewesen erst dann möglich, wenn ein hinreichend komplexes Nervengewebe vorhanden ist. Wobei es natürlich keine scharfe Grenze gibt, insofern ist „echte“ als das eine Ende des Spektrums zu sehen (das andere Ende wäre vielleicht bei einem Fadenwurm zu verorten, etwa C. elegans ; -).

    Man kann natürlich statt „das Nervensystem entscheidet“ auch sagen: der Mensch (das Tier) entscheidet mittels seines Nervensystems. Sprachlich mag uns das passender erscheinen, aber sachlich macht das keinen Unterschied, denn wie schon Sperry sagte: „It all comes together in the brain“, ein Satz, dem sogar Stephan beipflichten kann.

    »Kurzum. nur handlungsfähige Agenten können etwas nach Massgabe eigener Motive entscheiden.«

    Wie bereits angedeutet, der „handlungsfähige Agent“ mit seinen „Motiven“ und „Gründen“ ist ja zuvörderst ein Resultat des menschlichen Erfindungsgeistes, und kein Naturobjekt. Was der kann oder nicht kann, liegt, so scheint mir, allein im Ermessen des Schöpfers (dieser Begrifflichkeiten).

  122. @Balanus:
    Sie haben völlig recht. Das Nervensystem entscheidet nicht nur, es denkt auch. Nur, was ist das Nervensystem? Ist es ein Haufen zusammenhängender Neuronen oder ist es ein geordnetes System (Tononi würde sagen, ein gekoppeltes System mit integrierter Information, die man messen kann). Ein geordnetes System folgt bestimmten Regeln, und das sind andere als die, die sich auf das einzelne Neuron beziehen. Das Nervensystem organisiert sich selber (falls wir keinen Choreografen annehmen wollen, der von außen den Takt vorgibt). Selbstorganisation ist für mich ein unbefriedigender Begriff, denn er beschreibt nur, erklärt aber nichts.
    Jede Organisation hat eine Struktur (denken Sie an eine Gruppe von Menschen, die sich organisiert), die von außen nicht unbedingt sichtbar ist. Ein Verein hat etwa eine Satzung, die man nicht erkennt, wenn man bloß die Mitglieder von außen betrachtet. Dennoch wird diese Satzung realisiert. Der Vorstand ist dabei die Exekutive, bei dem die Fäden zusammenlaufen, auch wenn er nicht alle Aktivitäten der Mitglieder (Neuronen) kennt (Bewusstsein). Vieles ist nämlich automatisiert und dennoch verfügt der Vorstand wahrscheinlich über die meiste Information und ist Handelnder für den Verein.
    Das Nervensystem hat keine Satzung, die wir uns anschauen könnten, wir müssen sie daher rekonstruieren. Sie ist also nicht identisch mit der Morphologie des Vereins (Sitzordnung etc.), aber sie ist real. Ich habe sie daher virtuell genannt, man kann auch eine andere Bezeichnung verwenden.
    Das ICH ist also eine teilautonome (bewusst/unbewusst) Instanz, welche die ‚virtuelle‘ Architektur des Gehirns, also seine struktur-funktionelle Organisation widerspiegelt, die, wie gesagt, nicht identisch mit der Morphologie ist.
    Die sprachliche Trennung beider führt immer wieder, auch bei Nichtreduktionisten, zu einem heimlichen Dualismus.

  123. @Balanus / 02.09.2021, 13:50 Uhr

    »Wie bereits angedeutet, der „handlungsfähige Agent” mit seinen „Motiven” und „Gründen” ist ja zuvörderst ein Resultat des menschlichen Erfindungsgeistes, und kein Naturobjekt. Was der kann oder nicht kann, liegt, so scheint mir, allein im Ermessen des Schöpfers (dieser Begrifflichkeiten).«

    Ist es denn nicht so, dass handelnde Agenten mit ihren Motiven, Gründen, Intentionen und ähnlichen Befindlichkeiten zu unser aller Lebenswirklichkeit gehören? Und nehemen wir uns nicht selbst auch ganz natürlich als solche Agenten wahr? Insofern tönt es recht schräg, wenn Du diese Begrifflichkeiten ein Produkt menschlichen Erfindungsgeistes nennst, als ginge es dabei um die die Glühbirne oder die Dampfmaschine.

    Eher würde ich doch meinen, handelnde Agenten, die Entscheidungen treffen, sind etwas uns pragmatisch Vorfindliches und für die meisten Menschen vermutlich ebenso natürlich wie ein Sonnenaufgang. Also durchaus der Phänomenwelt zugehörig. Wer hier zur Explanation nur eine Elimination anbieten kann (weil alles andere viel zu schwierig erscheint), hat meines Erachtens die Aufgabe nicht gelöst und auch nichts erklärt.

  124. @Wolfgang Stegemann / / 02.09.2021, 16:43 Uhr

    Dass unser Nervensystem ein hochgradig (selbst)organisiertes System ist, ist klar.

    Der Begriff ‚Selbstorganisation‘ beschreibt nur, erklärt aber nichts, schreiben Sie. Was genau meinen Sie mit erklärt? Man könnte immerhin sagen, der Begriff „erklärt“, wie die Organisation des NS zustande kommt (nämlich „durch die Zellen, die das NS bilden, also Neuronen, Gliazellen, und was es sonst noch so geben mag). Kommt halt auch drauf an, welche Ansprüche man an „erklären“ stellt, wie hoch die Latte der hinreichenden Erklärung liegt. Was „Erklärungen“ anbelangt, da bin ich als Ex-Naturwissenschaftler es ja gewohnt, ganz kleine Brötchen zu backen. Stephan Schleim will ja immer gleich den ganzen Menschen „erklärt“ haben—was mich etwas ratlos macht..

    » Jede Organisation hat eine Struktur (denken Sie an eine Gruppe von Menschen, die sich organisiert), die von außen nicht unbedingt sichtbar ist. «

    Die innere Organisation des Gehirns ist von außen definitiv nicht sichtbar. Hirnschnitte unterm Mikroskop lassen immerhin erahnen, dass es diverse funktionale Bereiche geben muss. Na ja, und so weiter, die bisherigen Erkenntnisse der Hirnforschung sind bekannt. Um es kurz zu machen: Nach meinem Verständnis kommt das Hirn ohne eine oberste Instanz („Vorstand“) aus. Die Hirnfunktion, die wir als „(Ich-)Bewusstsein“ wahrnehmen, ist ja eine recht junge evolutionäre Erfindung, über zig Jahrmillionen hinweg mussten unsere Vorfahren ohne ein bewusstes Ich-Gefühl auskommen—und kamen auch in der Welt zurecht.

    Um in Ihrem Bild zu bleiben: Der Verein hat die allermeiste Zeit prima ohne Vorstand funktioniert, dann kam ein neues Mitglied mit einer neuen Aufgabe bzw. Funktion hinzu. Diese bestand vor allem darin, etwas weiter in die Zukunft zu blicken und längerfristige Vorhaben zu planen—denn dadurch erlangte man einen gewissen Vorteil gegenüber anderen Vereinen. Hierzu war natürlich der Input von vielen Vereinsmitgliedern nötig, die über die aktuellen Zustände der Außen- und Innenwelt berichteten, sowie die Schaffung von Zugriffsmöglichkeiten auf erweiterte Speicherinhalte.

    (Naja, ist schon ganz schön schräg, es gibt für die Hirnfunktionen eben keine wirklich treffenden Analogien aus der Lebenswelt…)

    Festzuhalten bleibt aus meiner Sicht, dass das neue Vereinsmitglied im Detail genauso funktioniert wie allen anderen, seine besonderen Funktionen beruhen allein auf spezielle, zum Teil rückkoppelnde Verbindungen. Struktur und Funktion halt… ; -)

  125. @Balanus:

    “Was „Erklärungen“ anbelangt, da bin ich als Ex-Naturwissenschaftler es ja gewohnt, ganz kleine Brötchen zu backen.”

    Ich plädiere ja dafür, die Naturwissenschaften zu trennen, in solche für die belebte und solche für die unbelebte Natur. Das würde manches erleichtern.

    “Die innere Organisation des Gehirns ist von außen definitiv nicht sichtbar.”

    Ich denke schon, wenn man jedenfalls von der vielzitierten Phänomenologie ausgeht, dann hat das schon viel etwa mit Freuds Strukturmodell zu tun, wie ich finde.

    “Die Hirnfunktion, die wir als „(Ich-)Bewusstsein“ wahrnehmen, ist ja eine recht junge evolutionäre Erfindung, über zig Jahrmillionen hinweg mussten unsere Vorfahren ohne ein bewusstes Ich-Gefühl auskommen—und kamen auch in der Welt zurecht.”

    Ich denke nicht, dass es eine neue Erfindung ist. Nach meinem Verständnis gibt es das ICH seit es Bewusstsein gibt. Nur in seiner entwickeltsten Form kann man es am besten erkennen. Ich glaube, dass alle Lebewesen mit einem (zentralen) NS (gleich) denken, nämlich neuronal. Wir Menschen denken zusätzlich mit (abstrakten) Begriffen.
    Aber man kann das Thema, wie immer, unter allen möglich Aspekten betrachten. Für mich macht ein Modell Sinn, das alle möglichen Phänomene erklären kann.

  126. @Balanus / 05.09.2021, 09:16 Uhr

    »Stephan Schleim will ja immer gleich den ganzen Menschen „erklärt” haben–was mich etwas ratlos macht.«

    Diese Formulierung halte ich für etwas korrekturbedürftig.

    Vielmehr geht es Stephan doch u.a. um das, was beispielsweise auch Herbert Schnädelbach anspricht, nämlich “die Debatte über die Willensfreiheit, die uns bestimmte Neurophysiologen aufgedrängt haben, wobei sie bei der Interpretation ihrer Forschungsergebnisse souverän ignorierten, was in der philosophischen Fachliteratur über Wille, Handlung oder Freiheit zu lesen gewesen wäre; sie blieben einfach bei ihren Common-Sense-Meinungen und erregten damit erhebliches Aufsehen.“*

    Mit anderen Worten, der Stein des Anstosses ist der vollmundig erhobene, aber nicht eingelöste Anspruch bestimmter Neurophysiologen, praktisch den ganzen Menschen neurophysiologisch erklären zu wollen — inklusive ethischer Fragen, weil angeblich doch im Gehirn alles zusammenkommt.

    * Herbert Schnädelbach, Was Philosophen wissen. C.H. Beck, 2012 [Leseprobe]

  127. @Chrys // 03.09.2021, 22:54 Uhr

    » Ist es denn nicht so, dass handelnde Agenten mit ihren Motiven, Gründen, Intentionen und ähnlichen Befindlichkeiten zu unser aller Lebenswirklichkeit gehören? Und nehemen wir uns nicht selbst auch ganz natürlich als solche Agenten wahr? «

    Gewiss, so, wie wir uns selbst (subjektiv) erleben, so sehen wir halt auch die anderen: Dem subjektiven Gefühl nach besitzen wir geistige Kräfte, wir stellen uns etwas vor und können danach handeln, kraft unseres Geistes schaffen wir Dinge, forschen, handeln, usw. Hierbei ist „Kraft“ durchaus physikalisch gemeint (also kausal wirksam).

    Dabei könnten wir es ja belassen. Wir eliminieren die geistige Kraft nicht, sondern finden uns damit ab, dass wir es mit einem für alle Zeiten unerklärlichen Phänomen zu haben (zumindest aus Sicht der Naturwissenschaften).

    Mit anderen Worten: An der Elimination des Geistigen als kausal wirksame Kraft führt m. E. kein Weg vorbei, wenn wir die Funktionsweise unseres Zentralnervensystems erforschen wollen. Experimente vom Typ Libet sind da nur ein kleiner Schritt in die richtige Richtung.

    Etwas völlig anderes wäre die Frage, wie es zu unserem subjektiven Erleben kommt, dass wir den nicht zu eliminierenden Eindruck haben, wir könnten dank unseres Geistes Erstauslöser von Ereignisketten sein.

    @05.09.2021, 14:40 Uhr

    »Mit anderen Worten, der Stein des Anstosses ist der vollmundig erhobene, aber nicht eingelöste Anspruch bestimmter Neurophysiologen, praktisch den ganzen Menschen neurophysiologisch erklären zu wollen — inklusive ethischer Fragen, weil angeblich doch im Gehirn alles zusammenkommt.«

    Bislang habe ich das immer nur hier auf MENSCHEN-BILDER gelesen, dass die Hirnforschung versuche, „den Menschen“ zu erklären. Dabei sagt doch schon der Name „Hirnforschung“, dass man die Funktion(en) des Gehirns verstehen will. Aus dem Munde eines Neurophysiologen habe ich das so jedenfalls noch nicht vernommen.

    Der Begriff „Mensch“ wird ja insbesondere als Gegenpol zum Begriff „Tier“ gebraucht, und nicht als Gattungsbegriff. Wenn es also darum geht, was den Menschen gegenüber dem Tier auszeichnet, dann ist es weniger die spärliche Körperbehaarung, als vielmehr die einzigartige kognitive Leistungsfähigkeit des Großhirns, die sich nicht nur in Kunst und Kultur zeigt, sondern eben auch in der Behandlung philosophischer und ethischer Fragen. Insofern hat das Forschungsobjekt Gehirn schon viel mit dem zu tun, was das „Wesen“ des Menschen ausmacht.

    Davon abgesehen habe ich schon ein gewisses Verständnis für die Situation der Philosophen, die sich, wie Schnädelbach sagte, „die Debatte über die Willensfreiheit“ von „bestimmte[n] Neurophysiologen“ aufdrängen ließen. Aber was können Hirnforscher dafür?

  128. @Wolfgang Stegemann // 05.09.2021, 13:18 Uhr

    » Ich denke nicht, dass es eine neue Erfindung ist. Nach meinem Verständnis gibt es das ICH seit es Bewusstsein gibt. […] Ich glaube, dass alle Lebewesen mit einem (zentralen) NS (gleich) denken, nämlich neuronal. Wir Menschen denken zusätzlich mit (abstrakten) Begriffen. «

    Und seit wann gibt es (Ich-)Bewusstsein? Ab welcher Organisationshöhe sind sich Lebewesen ihrer Existenz bewusst, wissen gar um ihre eigene Sterblichkeit? Das Trauern um Artgenossen oder Familienmitglieder gibt hier und da bei Säugetieren, aber häufiger es gibt es wohl Gleichgültigkeit.

  129. @Balanus:

    “Wir eliminieren die geistige Kraft nicht, sondern finden uns damit ab, dass wir es mit einem für alle Zeiten unerklärlichen Phänomen zu haben (zumindest aus Sicht der Naturwissenschaften).”

    Für einen Physiker eine akzeptable Einstellung. 😉 Man muss natürlich unterscheiden zwischen ‘geistiger Kraft’ und Qualia. Wie ich einen Sonnenuntergang empfinde, werden Sie nicht erfahren können.

    “An der Elimination des Geistigen als kausal wirksame Kraft führt m. E. kein Weg vorbei, wenn wir die Funktionsweise unseres Zentralnervensystems erforschen wollen.”

    Denken Sie an den Placeboeffekt!!!

    “die einzigartige kognitive Leistungsfähigkeit des Großhirns, die sich nicht nur in Kunst und Kultur zeigt, sondern eben auch in der Behandlung philosophischer und ethischer Fragen.”

    Wo sitzt eigentlich diese Fähigkeit genau? Oder sind es andere Neuronen als beim Tier, die diese Fähigkeiten hervorbringen? Sie werden antworten, dass es die Komplexität ist. In dem Falle wäre Kultur also dann eine quantitative Eigenschaft.

    “Und seit wann gibt es (Ich-)Bewusstsein? Ab welcher Organisationshöhe sind sich Lebewesen ihrer Existenz bewusst, wissen gar um ihre eigene Sterblichkeit? Das Trauern um Artgenossen oder Familienmitglieder gibt hier und da bei Säugetieren, aber häufiger es gibt es wohl Gleichgültigkeit.”

    Meine Überlegung lautet, dass Bewusstsein (und das ist immer ICH-Bewusstsein, was soll es sonst sein?) entsteht, wenn ein bestimmtes Verhältnis zwischen dem, was Tononi integrierte Information nennt [bitte nachlesen, das kann ich hier nicht erläutern] und der Informationsmenge des ICH (das ich als ‘Ansammlung’ von Information bezeichnen würde [man kann es auch anders formulieren] erreicht ist, dass sich das System ‘ICH’ hervorheben kann.
    Es dürfte schwer sein, dieses genau festzulegen, aber nicht unmöglich. Die Evolutionsbiologie erfindet immer neue rekonstruktive Methoden.

  130. @Balanus:
    Um Missverständnissen vorzubeugen: Während das ICH eine bestimmte Informationsmenge sowie das besagte Verhältnis voraussetzt, entsteht das spezifisch menschliche (reflexive) ICH erst durch die Repräsentation sozialer Normen (im Neokortex) und deren Abgleich mit dem ICH. Rudimentär dürfte das bei Primaten u.a. ebenfalls vorhanden sein. Natürlich korrespondiert die Morphologie mit den Funktionen.
    Ich denke, man muss ICH, reflexives ICH, Intelligenz, Bewusstsein, etc. genau voneinander trennen.

  131. @Chrys / Ergänzend zu Schnädelbach:

    Das ist ja ein witziger Buchtitel, den der Verlag (oder war es der Autor selbst?) da gewählt hat. Was „wissen“ denn Philosophen zu „Wille, Handlung oder Freiheit“ derart, dass man sie als Naturwissenschaftler in einer Fachpublikation zitieren oder bei der Interpretation der empirischen Daten berücksichtigen könnte?

    Wenn wir Stephan als Beispiel nehmen und uns anschauen, wie er Libets „Veto“ beschwört, um den menschlichen Geist als wirkmächtige oberste Instanz zu retten, dann kommen mir doch einige Zweifel, ob bei den Philosophen diesbezüglich was zu holen. Deren Stärken liegen, so scheint mir, woanders.

  132. @Balanus: Satire?

    Welche Naturwissenschaften würden denn bitte “Wille, Handlung oder Freiheit” erforschen können? Das sind doch kulturelle Begriffe. War das jetzt Satire oder ernst gemeint?!

    Und ja – es ist schade, dass (manche) Hirnforscher neurowissenschaftliche Experimente so verzerrt darstellen, dass man sie philosophisch korrigieren muss.

    Von einer “oberen Instanz” habe ich nie gesprochen; du laberst. Ich halte mich an die Fakten: Das BP konnte nicht die Ursache der Bewegung sein; die Experimente stehen im Einklang mit der kausalen Rolle bewusster Kontrolle.

    Gegenargumente höre ich mir gerne an. Inhaltsloses Gelaber langweilt eher.

  133. @Stephan Schleim:
    Ich glaube, Balanus meint es ernst. Dennett sieht es ja so ähnlich. Mich würde nur interessieren, wer dieses Bereitschaftspotential auslöst. Sitzt da ein kleines Männchen im Hirn, das sagt, heb den Arm? Und wer sagt dem Männchen, dass es mir sagen soll, heb den Arm? Ich fürchte, das gibt eine unendliche deterministische Kette. Am Ende sind es die (zufallsgesteuerten) Quanten oder gleich der Urknall.

  134. @Stegemann: Auslöser

    Balanus kann gar nichts meinen; er ist immerhin ein vom Gehirn gesteuerter Automat. 😉

    Im Ernst: Wer oder was Auslöser des BP ist, wäre mal eine interessante Frage; hätte man das mal untersucht, anstatt über Willensfreiheit zu schwurbeln!

    Hier kann man eben nicht mehr linear denken, wie bei Billardkugeln auf dem Billardtisch.

  135. @Balanus / 05.09.2021, 23:56 Uhr

    »Dem subjektiven Gefühl nach besitzen wir geistige Kräfte, wir stellen uns etwas vor und können danach handeln, kraft unseres Geistes schaffen wir Dinge, forschen, handeln, usw. Hierbei ist „Kraft” durchaus physikalisch gemeint (also kausal wirksam).«

    Du scheinst ein Problem damit zu haben, dass der lebensweltliche Begriff der Geisteskraft (engl. mental power) zusammen mit dem Begriff der physikal, Kraft (engl. force) im Deutschen in den gleichen, mit “Kraft” etikettierten Topf geworfen wird. Wäre Newtons `force’ dereinst anders ins Deutsche übersetzt worden, etwa mit `Forcierung’, dann müssten wir jetzt nicht um Kraftausdrücke streiten.

    Betont sei dabei noch, dass Dein »kausal wirksam« gerade da am allerwenigsten passt, wo Du es hingesetzt hast.

    Du meinst, Newtons Schwerkraft sei “kausal wirksam”? Die lässt sich in der Tat eliminieren — das heisst dann Newton-Cartan Theorie, und da läuft sozusagen der gleiche Film ab wie in Newtons Gravitationstheorie. Nur ganz ohne Schwerkraft. Was machen wir nun?

    »Dabei könnten wir es ja belassen. Wir eliminieren die geistige Kraft nicht, sondern finden uns damit ab, dass wir es mit einem für alle Zeiten unerklärlichen Phänomen zu haben (zumindest aus Sicht der Naturwissenschaften).«

    Hast Du eine zitierfähige Def. für “(natur-)wissenschaftl. Erklärung” zur Hand, die den Glauben rechtfertigen würde, die Hirnforschung könne erklären, »wie Menschen zu ihren willentlichen Entscheidungen kommen«? Ich kenne nämlich keine.

  136. @Wolfgang Stegemann // 06.09.2021, 07:29 Uhr

    » […]Elimination des Geistigen als kausal wirksame Kraft […]

    Denken Sie an den Placeboeffekt!!! «

    Tue ich, aber auch bei diesm Effekt komme ich ohne die Annahme von kausal wirksamen geistigen Kräften aus.

    Alle Vorgänge, die als „psychisch“ bezeichnet werden, sind m. E. als neurophysiologische Prozesse oder Zustände zu begreifen. „Psycho-somatisch“ bedeutet demzufolge lediglich, dass neurophysiologische Prozesse auf andere Prozesse im Körper einwirken—und vice versa.

    » ICH-Bewusstsein, […] Tononi integrierte Information«

    Mir ist jede Bewusstseins-Theorie recht, die auf dem Boden der Naturwissenschaften bleibt :- ). Ob nun etwa das Global Neuronal Workspace (GNW) Modell von Dehaene S und Changeux J-P (2011) oder die Integrated Information Theory (ITT) von Tononi et al. (2014) die bessere Bewusstseins-Theorie oder Hypothese ist, kann ich nicht beurteilen.

  137. @Balanus:

    “Alle Vorgänge, die als „psychisch“ bezeichnet werden, sind m. E. als neurophysiologische Prozesse oder Zustände zu begreifen.”

    Das ist eine Binsenweisheit. Darum geht es doch gar nicht. Die Frage ist, formiert sich innerhalb des Nervensystems ein teilautonomes System, das als solches teilweise handlungsfähig ist, also eine gewisse Unabhängigkeit gegenüber dem restlichen NS erlangt hat. Dieses könnten wir dann als ICH (oder sonst was) bezeichnen. Es erklärt, warum ein System überhaupt gegenüber seiner Umwelt autonom ist und nicht nur auf deren Reize reagiert.
    Ich könnte mir sogar vorstellen, dass dieses Prinzip für alle lebenden Systeme gilt, dass also alle diese Systeme ein integriertes (virtuelles) Steuerungssystem entwickeln. Aber das wäre wieder eine andere Frage, die man vielleicht mathematisch in irgendeiner Weise formulieren könnte.
    Übrigens halte ich Tononis Theorie für nicht hinreichend zur Erklärung von Bewusstsein, da ihr genau diese Dimension fehlt.

  138. @Stephan // 07.09.2021, 11:29 Uhr

    » Welche Naturwissenschaften würden denn bitte “Wille, Handlung oder Freiheit” erforschen können? Das sind doch kulturelle Begriffe. «

    Geht die Frage an mich oder Schnädelbach?

    Hier noch einmal die von @Chrys gepostete Textstelle zum Nachlesen:

    Ein drastisches Beispiel dafür ist die Debatte über die Willensfreiheit, die uns bestimmte Neurophysiologen aufgedrängt haben, wobei sie bei der Interpretation ihrer Forschungsergebnisse souverän ignorierten, was in der philosophischen Fachliteratur über Wille, Handlung oder Freiheit zu lesen gewesen wäre; sie blieben einfach bei ihren Common-Sense-Meinungen und erregten damit erhebliches Aufsehen.

    (Herbert Schnädelbach, Was Philosophen wissen. C.H. Beck, 2012)

    Nach Satire klingt das eigentlich nicht, das ist gewiss ernst gemeint.

    »Von einer “oberen Instanz” habe ich nie gesprochen; […] die Experimente stehen im Einklang mit der kausalen Rolle bewusster Kontrolle.«

    Aha, „bewusste Kontrolle“ also. Wer oder was kontrolliert denn da?

  139. @Chrys // 07.09.2021, 18:50 Uhr

    » Du scheinst ein Problem damit zu haben, dass der lebensweltliche Begriff der Geisteskraft (engl. mental power) zusammen mit dem Begriff der physikal, Kraft (engl. force) im Deutschen in den gleichen, mit “Kraft” etikettierten Topf geworfen wird. «

    Es geht mir nicht um Begriffe, sondern (immer noch) um Sachverhalte. Und zwar speziell um die Quelle unseres Verhaltens. Weit über die Hälfte der Menschheit meint offenbar, Quelle unsers Verhaltens seien bewusste Gedanken, ungeachtet der Tatsache, dass es sich dabei um eine biophysikalische Unmöglichkeit handelt. Das erscheint mir völlig inakzeptabel ; -).

    » Du meinst, Newtons Schwerkraft sei “kausal wirksam”?«

    Ähnlich „kausal wirksam“ wie der menschliche Geist, das Bewusstsein, die Gedanken.

    »Hast Du eine zitierfähige Def. für “(natur-)wissenschaftl. Erklärung” zur Hand, die den Glauben rechtfertigen würde, die Hirnforschung könne erklären, »wie Menschen zu ihren willentlichen Entscheidungen kommen«? Ich kenne nämlich keine.«

    Ich schließe aus dem Gesagten, dass Du annimmst, man könne niemals erklären (nachvollziehen, verstehen), wie Menschen zu willentlichen (gewollten) Entscheidungen (Verhaltensäußerungen, Aktionen, Handlungen) kommen. Der Mensch, das ewige Rätsel, …? Wir können zwar Sonden zum Mars schicken, aber die biologischen Funktionen des menschlichen Gehirns scheinen Dir unerforschlich. Habe ich Dich da recht verstanden?

  140. @Wolfgang Stegemann // 08.09.2021, 07:32 Uhr

    » Das ist eine Binsenweisheit. «

    Was Ihnen als Binse erscheint, wird von den wenigsten als Faktum akzeptiert (siehe die Umfragen zur Verbreitung von dualistischen Auffassungen).

    » Die Frage ist, formiert sich innerhalb des Nervensystems ein teilautonomes System, das als solches teilweise handlungsfähig ist, also eine gewisse Unabhängigkeit gegenüber dem restlichen NS erlangt hat. «

    Wozu soll eine „gewisse Unabhängigkeit gegenüber dem restlichen NS“ gut sein? Jedes lebende (tierliche) System bewegt sich autonom in seiner Umwelt. Das NS ist dabei lediglich eines der zahlreichen Subsysteme. Dass im Subsystem NS (oder Gehirn) ein weiteres Subsystem teilautonom gegenüber dem restlichen NS (also eigentlich gegenüber dem Gesamtsystem NS) sein könnte, ist schwer vorstellbar.

    »…gegenüber seiner Umwelt autonom ist und nicht nur auf deren Reize reagiert.«

    Wie gesagt, jeder tierliche Organismus agiert von vorneherein autonom in seiner Umwelt, vom begeißelten Bakterium bis zum Menschen. Ein „teilautonomes System“ innerhalb des Nervensystems wird nach dem bisherigen Kenntnisstand dafür nicht gebraucht.

  141. @Balanus:

    “Ein „teilautonomes System“ innerhalb des Nervensystems wird nach dem bisherigen Kenntnisstand dafür nicht gebraucht.”

    Das bewusste Erleben bzw. das Bewusstsein wird nicht durch das gesamte Nervensystem erzeugt, sondern jeder Bereich trägt einen unterschiedlichen Anteil bei (das ist derzeitiger Stand der Wissenschaft). Die Zusammenfassung dieser Anteile in einem ‘Subsystem’ bildet nicht nur Realität, besser: die Realität von Phänomenen gut ab, sie folgt auch der Logik der integrierten Informationstheorie im Sinne einer maximalen Informationsdichte (sowie der Theorie der kausalen Emergenz, nach der eine hohe Informationsdichte kausale Kraft erzeugt). Man könnte dieses ICH (das morphologisch nicht abgrenzbar ist) in anderer Terminologie als Attraktor bezeichnen. Möglicherweise streben hochkomplexe Systeme einem Zustand zu, der ein Steuerungssystem generiert, so wie eine komplexe Gesellschaft ebenso ein wie auch immer geartetes ‘Steuerungssystem’ etabliert.
    Letztlich müssen sich alle Modelle in der Praxis bewähren, im Idealfall durch Übertragung auf eine Maschine. Entsteht dort im Ansatz Bewusstsein (oder nicht), ist das Modell bestätigt (oder nicht).
    Zur Erinnerung: mit dem System des ICH lässt sich das Libet-Experiment realistisch deuten, der Mensch ist also nicht bloß Automat seiner Nerven.

  142. @Wolfgang Stegemann // 09.09.2021, 06:53 Uhr

    » Das bewusste Erleben bzw. das Bewusstsein wird nicht durch das gesamte Nervensystem erzeugt, sondern jeder Bereich trägt einen unterschiedlichen Anteil bei (das ist derzeitiger Stand der Wissenschaft). «

    Soweit, so gut.

    Mag sein, dass ich das mit dem teilautonomen System nicht richtig erfasst habe. Das visuelle und/oder auditive System sind ja auch funktionell abgegrenzte Teilsysteme innerhalb des Gesamtsystems. So ähnlich könnte es sich mit dem System verhalten, der speziell für die Eigenwahrnehmung, das „Ich“ oder „Selbst“, zuständig ist (und etwa beim Spiegeltest zum Tragen kommt).

    Zwei Fragen (nebenbei):

    1: Welchen Informationsbegriff verwendet Tononi eigentlich, den von Shannon? Und ist mit Information mehr der Ordnungsgrad der Nervenzellen oder mehr das neuronale Aktivitätsmuster gemeint?

    2: Nur so aus Neugier: Was sehen Dennett und ich ähnlich?

    » Zur Erinnerung: mit dem System des ICH lässt sich das Libet-Experiment realistisch deuten, der Mensch ist also nicht bloß Automat seiner Nerven.«

    Eine Deutung, bei der Mensch „bloß Automat seiner Nerven“ ist, wäre dann wohl die dualistische Deutung des Libet-Experiments.

    Oder anders gesagt: Die Vorstellung, der Mensch könne „Automat seiner Nerven“ sein, scheint mir eindeutig eine dualistische zu sein.

  143. @Wolfgang Stegemann

    »Dennett reduziert Psyche auf Physis. «

    Dass psychische Phänomene auf physische Prozesse zurückzuführen sind, hatten Sie als oben als Binsenweisheit bezeichnet. Ich bin etwas verwirrt… ; -)

    Danke für die Links!

  144. Balanus:
    Jeder psychische Prozess ist ein physischer (wenn wir keinen externen Geist annehmen wollen), der psychische ist aber nicht auf den physischen 1:1 abbildbar (das wäre Reduktionismus). Offensichtlich generiert das physische System eine Eigenschaft, die man als emergent oder sonst wie bezeichnen kann und die als funktionelles System kausale Kraft gegenüber dem physischen System hat. Tononi würde sagen, indem es redundante oder verrauschte Elemente gruppiert, um ihre Ursache-Wirkungs-Leistung zu erhöhen. Dies entspricht dem Phänomen, dass wir uns bewusst für oder gegen etwas entscheiden können (im Sinne einer Teilautonomie).

  145. @Wolfgang Stegemann // 10.09.2021, 10:47 Uhr

    »…der psychische [Prozess] ist aber nicht auf den physischen 1:1 abbildbar«

    Mir genügt es, wenn es allein die physischen Prozesse sind, aus denen das Psychische hervorgeht, denn dann kriegt mein naturwissenschaftliches Weltbild keine Risse.

    Wie verhält es sich Ihrer Meinung nach bei einem Uhrwerk: Ist die Zeitanzeige 1:1 auf die mechanischen Vorgänge „abbildbar“?

    » Offensichtlich generiert das physische System eine Eigenschaft, die man als emergent oder sonst wie bezeichnen kann und die als funktionelles System kausale Kraft gegenüber dem physischen System hat. «

    Das physische System besitzt als funktionelle Einheit gewiss spezielle Eigenschaften (Systemeigenschaften), wobei dieses funktionelle physische System dann „kausale Kraft“ hat (oder haben kann, je nachdem, mit welchen Systemeigenschaften wir es zu tun haben).

    Ich vermute mal, Sie meinten mit den „emergenten Eigenschaften“ aber keine physischen, sondern psychische Eigenschaften. Das halte ich für problematisch, denn das „Psychische“ liegt auf einer anderen („höheren“) Beschreibungsebene. Nur auf der physischen Ebene haben wir es mit den Gesetzmäßigkeiten der Physik zu tun (worauf auch das Konzept der ‚Kausalität‘ beruht).

    Für Tononi ist „Bewusstsein“ (consciousness) offenbar gleichbedeutend mit „Erfahrung – jeder Erfahrung – von Formen oder Klängen, Gedanken oder Emotionen, über die Welt oder über das Selbst“ (Google-Translater).

    Damit wäre auszuschließen, dass das Bewusstsein als solches irgendetwas aktiv (kausal) kontrollieren könnte, wie der eine oder andere zu meinen scheint.

    Das heißt, Kontrolle findet nicht auf der psychischen, sondern auf der physischen Ebene statt.

    Soweit ich das überblicke, denkt Tononi ähnlich wie ich über die neurobiologischen Grundlagen des Bewusstseins. Über seine IIT erlaube ich mir kein Urteil.

  146. @Balanus / 08.09.2021, 22:26 Uhr

    »Der Mensch, das ewige Rätsel, …? Wir können zwar Sonden zum Mars schicken, aber die biologischen Funktionen des menschlichen Gehirns scheinen Dir unerforschlich. Habe ich Dich da recht verstanden?«

    Nicht ganz recht verstanden. Wie schon bei früheren Gelegenheiten verschiedentlich betont, halte ich Selbstreferenz für ein essentielles Muster mit Hinblick auf Fragen zum ich-Bewusstsein und allem, was davon abhängen mag.

    Über selbstreferentielle Verhaltensmuster als Gegenstand empirischer Untersuchung kann sogar ein Biologe reden, ohne einen Kategorienfehler zu begehen → Elster Gerti. Was Onur Güntürkün da erforscht und wie er seine Forschung auch für Nicht-Experten verständlich präsentiert, ist für meine Begriffe vorbildlich dafür, wie Wissenschaft eigentlich sein sollte.

    »Weit über die Hälfte der Menschheit meint offenbar, Quelle unsers Verhaltens seien bewusste Gedanken, ungeachtet der Tatsache, dass es sich dabei um eine biophysikalische Unmöglichkeit handelt.«

    Ja, ja, was sich die menschliche Logik alles so wünscht. Dazu fällt mir gerade noch etwas ein:

    Meine Logik wünscht sich, dass alles eine Ursache hat. Aber wie die aussieht, ob bärtig, männlich oder einfach nur wie eine kleine Qualle — ich weiß es nicht.
    —Dieter Nuhr

  147. @Balanus: Ich denke, oft scheitert es an den Begriffen und an der festgefügten Meinung, an die alles adaptiert wird. Ein offener Dialog ist erst dann möglich, wenn man nicht meint, etwas verteidigen zu müssen.
    Vielleicht sollten wir an dieser Stelle einfach ein Ende finden.

  148. @Wolfgang Stegemann

    Kein Problem, kommen wir zum Ende–wir befinden uns hier ja nicht in einer Disputation… ; -)

  149. @Balanus

    Du schreibst (12.09.2021, 14:16 Uhr): »Mir genügt es, wenn es allein die physischen Prozesse sind, aus denen das Psychische hervorgeht, denn dann kriegt mein naturwissenschaftliches Weltbild keine Risse.«

    Bei dieser Formulierung übersiehst Du offenbar etwas. Indem Dir anscheinend klar ist, dass es dabei nur um unterschiedliche Levels von Beschreibung geht (»[D]as „Psychische” liegt auf einer anderen („höheren”) Beschreibungsebene«), sollte es Dir auch einleuchten, dass es der Beschreiber ist, der durch die Wahl seiner Betrachtungs- und Beschriebungsweise überhaupt erst einen Unterschied zwischen Physisch und Psychisch einführt. Es ist die Mitwirkung des Beschreibers, die bei Deiner Betrachtung zum Hervorgehen des Psychischen aus dem Physischen unberücksichtigt bleibt. Gleichwohl ist der Beschreiber hier ein irreduzibler Mitspieler und kein unbeteiligter Zuseher.

    Es ginge Dir nicht um Begriffe, hast Du mir geantwortet, sondern um Sachverhalte. Das ist gewissermassen Teil des Problems. Bei allen unseren Theoretisierungen geht es um die Wahl adäquter Begriffe, mit denen dem Verstande etwas begreiflich gemacht werden soll. Und auch Du operierst hier schliesslich die ganze Zeit mit Begriffen — etwas anderes bleibt Dir auch gar nicht übrig, um anderen Diskursteilnehmern etwas mitzuteilen.

  150. »… dass es der Beschreiber ist, der durch die Wahl seiner Betrachtungs- und Beschriebungsweise überhaupt erst einen Unterschied zwischen Physisch und Psychisch einführt. «

    Na ja, das scheint mir nur halb richtig zu sein. Es geht doch darum, was der Untersuchungsgegenstand ist: Entweder das Verhalten und die soziale Interaktionen, oder eben die Struktur und Funktion des Nervensystems. Der Unterschied zwischen den beiden Gegenstandsbereichen wird nicht „erst eingeführt“, nein, es wird ein bestehender Unterschied „erkannt“. Erst erkannt und dann benannt (und beschrieben), so läuft das in der Regel. Darin erschöpft sich (in diesem Falle) im Wesentlichen die „Mitwirkung“ des Beschreibers.

    Als ich schrieb, mir ginge es nicht um Begriffe, da bezog sich das auf Deine Annahme, ich hätte ein Problem damit, wie undifferenziert der Kraft-Begriff verwendet wird—so zumindest hatte ich es verstanden.

    Dabei war es mir aber gerade um das gegangen, wofür die Begriffe stehen, um die Sache, die mit den Begriffen beschrieben werden sollen. Aber das nur nebenbei zur Klarstellung.

  151. @Chrys // 12.09.2021, 14:31 Uhr

    » Über selbstreferentielle Verhaltensmuster als Gegenstand empirischer Untersuchung kann sogar ein Biologe reden, ohne einen Kategorienfehler zu begehen…«

    Vor allem dann, wenn der Biologe ein Bio-Psychologe ist—so wie das bei Onur Güntürkün offenbar der Fall ist: Für die Bio-Psychologie ist die relevante Kategorie das Tier als Ganzes, Körper und Verhalten. Beim Menschen verhält es sich im Grunde nicht anders. Biologisch fallen Tier und Mensch ohnehin in die gleiche Kategorie (bloß rechtlich und philosophisch nicht).

    Neurobiologen (Hirnforscher) haben es mit mindestens zwei System- bzw. Beschreibungsebenen zu tun: Das Nervengewebe und die Verhaltensäußerungen, beides gehört untrennbar zusammen—in etwa so, wie die Fahreigenschaften zu einem Fahrzeug gehören (welche im Übrigen zu 100 Prozent abhängen von dem verbauten Material und der Konstruktion).

    In diesem Lichte mutet es schon ein wenig seltsam an, wenn der Wiki-Eintrag zu „Kategorienfehler“ mit dem Satz endet:

    Insbesondere die Biologie und die Psychologie sind auf eine gründliche Diskussion angewiesen, welche eigenständigen Kategorien für diese Wissenschaftsbereiche adäquat sind, um einem einseitigen Reduktionismus, letztlich der Reduktion auf die Kategorien der Physik, zu begegnen.

    Steckt das etwa dahinter, wenn hier immer wieder Kategorienfehler reklamiert werden, der Kampf gegen den bösen Reduktionismus?

  152. Ich möchte mich doch nochmal einmischen. Ich denke, es ist klar, dass das Psychische aus dem Physischen hervorgeht und dass beides aus zwei unterschiedlichen Perspektiven beschrieben werden kann. Aus der Perspektive von Aliens wäre das Gehirn nichts anderes als ein Navigationssystem mit dem Modus bioelektrische Informationsverarbeitung, im Unterschied zu Einzellern, die dies proteinbasiert tun. Bewusstsein wäre die interne Repräsentation der Umwelt, in welcher der Organismus navigiert, Qualia wäre das subjektive Wahrnehmen und Empfinden des Navigators. Bewusstsein wäre also integraler Bestandteil des Gehirns, so wie Kälte integraler Bestandteil des Winters ist. Die ontologische Frage, was ist Bewusstsein, wäre also unsinnig bzw. die Antwort wäre bereits gegeben. Sinnvoll wäre nur die Frage, an welcher Stelle oder durch welchen ‚Mechanismus‘ entsteht Bewusstsein, also diese innere Repräsentation von Umwelt (mit ihren subjektiv unterschiedlichen Qualia) und welche Formen gibt es.
    Navigation oder besser: Orientierung lässt sich wahrscheinlich nur realisieren, indem der Organismus nicht alles Äußere intern repräsentiert, sondern eine ‚sinnvolle‘ Auswahl trifft, d.h. die Umwelt ‚grobkörnig‘ abbildet. Es wird also nicht jeder Baum detailliert abgebildet, sondern lediglich die grobkörnige Quintessenz, also eine Reduktion. Legt man ähnliche Muster (desselben Gegenstandes) übereinander erhält man als ‚Summe‘ eine Topologie mit Tälern und Bergen, wobei die Bergspitzen die Grobkörnigkeit des Gegenstandes (in allen seinen Ausführungen) beinhaltet, wie eine Reduktion oder ähnlich einer Fouriertransformation. Die Berge bilden ihrerseits ein Muster, nennen wir es Impulsmuster und viele Impulsmuster bilden höherdimensionale Muster etc. Das bedeutet, die Repräsentation von Umwelt wird nicht nur immer komplexer, sondern sie beginnt ein Eigenleben, es entsteht eine innere Welt, relativ unabhängig von der Außenwelt. Dies scheint mir der Mechanismus zu sein, wie Bewusstsein entsteht bzw. immer umfassender Realität repräsentiert.
    Die Bergspitzen bilden also das, was ich schon mal als virtuelles System bezeichnet habe. Als solches ist es emergent, eine andere logische Form also, mit der die Physis ‚arbeitet‘, die nicht 1:1 aus der physischen Arbeit ableitbar ist. Es braucht also diesen Zwischenschritt der Transformation.
    Menschliches Bewusstsein gewinnt seine Spezifik dadurch, dass die (Impuls-) Muster mit sprachlichen Bedeutungen assoziiert werden, die als solche eine eigene Bedeutungswelt eröffnen und damit die innere emergente Welt als komplexe innere Erlebniswelt erst ermöglichen. (Hinzu kommt der ständige Abgleich mit Normativen und Vitalstatus).
    Die beiden führenden Bewusstseinstheorien (IIT und GWT) haben einen anderen Zugang, nämlich einen theoretisch konstruktiven. Die IIT argumentiert zwar stringent und sehr elegant, ob aber Bewusstsein informationstheoretisch erklärbar ist, ist letztlich Glaubenssache. Die GWT hingegen baut eher eine Puppenstube auf, in der sich das ganze Bewusstseinstheater abspielt, trägt aber nichts zu den Mechanismen bei.
    Ob man künstliches menschliches Bewusstsein in Ansätzen erschaffen kann, hinge davon ab, ob man es schafft, eine ähnliche Architektur zu erstellen.

  153. @Wolfgang Stegemann // 15.09.2021, 11:03 Uhr

    »Sinnvoll wäre nur die Frage, an welcher Stelle oder durch welchen ‚Mechanismus‘ entsteht Bewusstsein, also diese innere Repräsentation von Umwelt (mit ihren subjektiv unterschiedlichen Qualia) und welche Formen gibt es.«

    Das ist eben „the hard problem of consciousness“ (Chalmers).

    »Navigation oder besser: Orientierung lässt sich wahrscheinlich nur realisieren, indem der Organismus nicht alles Äußere intern repräsentiert, sondern eine ‚sinnvolle‘ Auswahl trifft, d.h. die Umwelt ‚grobkörnig‘ abbildet. «

    Was genau ist eine ‚interne Repräsentation‘? Da fangen für mich die Schwierigkeiten schon an.

    Nehmen wir die Fliege aus. Die hat große Komplexaugen, Riechorgane (Antennen), und kurvt zumeist zufallsgesteuert durch die Luft. Die Frage ist nun, was passiert, wenn die Sinneszellen Nervenimpulse auslösen. Kommt es bei dem Insekt zu internen Wahrnehmungen (Bilder, Empfindungen), oder werden nur bestimmte, komplizierte Regelkreise aktiviert.

    Man könnte nun all die von außen induzierten internen Prozesse als „interne Repräsentation“ der Umwelt bezeichnen, aber hilft uns das beim Verständnis des bewussten Erlebens (phänomenales Bewusstsein) weiter? Ab welcher Organisationshöhe kann man überhaupt von „Bewusstsein“ sprechen? Interne neuronale Zustände und Aktivitätsmuster infolge des sensorischen Inputs (= interne Repräsentation?) müssen ja nicht mit einem phänomenalen Bewusstsein einhergehen.

    Will sagen: Wenn ich versuche, Ihren Gedankengang nachzuvollziehen, dann ist für mich praktisch schon bei der ‚internen Repräsentation‘ Schluss. Ich habe keine Idee, was ein einfacher Organismus „erlebt“, wenn Sinnesorgane neuronale Aktivitätsmuster auslösen (Gleiches gilt im Übrigen für frühe Entwicklungsstadien des Menschen—ab wann werden Bilder und Töne bewusst wahrgenommen? Und wie funktioniert „Blindsehen“?).

    »Ob man künstliches menschliches Bewusstsein in Ansätzen erschaffen kann, hinge davon ab, ob man es schafft, eine ähnliche Architektur zu erstellen.«

    Ich vermute, dass das Geheimnis in den Eigenschaften der Nervenzellen selbst liegt. Architektur und Organisation sind natürlich auch essentiell, aber für das phänomenale Erleben braucht es aus meiner Sicht (lebende) Zellen mit ihren speziellen biophysikalischen Eigenschaften.

  154. @Balanus:

    “Was genau ist eine ‚interne Repräsentation‘? Da fangen für mich die Schwierigkeiten schon an.”

    Da muss ich passen. Ich dachte, dass klar sei, dass die Wahrnehmung im Gehirn komplexe Prozesse auslöst, nicht nur Regelkreise aktiviert, wie bei einer Maschine. Man kann es auch so betrachten: Ich sehe einen Baum, bestimmte Neuronen feuern, und Schluss. Die Frage ist nur, wer sagt meinen Neuronen, dass es ein Baum ist?

    “Ich vermute, dass das Geheimnis in den Eigenschaften der Nervenzellen selbst liegt. Architektur und Organisation sind natürlich auch essentiell, aber für das phänomenale Erleben braucht es aus meiner Sicht (lebende) Zellen mit ihren speziellen biophysikalischen Eigenschaften.”

    Es ist ja der alte Streit. Der Reduktionismus meint, Kausalität entsteht ausschließlich im Mikrobereich und der Makrobereich wäre bloß ein Haufen von Mikroteilchen. Da scheiden sich halt die Geister.

  155. @Balanus / 14.09.2021, 21:28 Uhr

    »Es geht doch darum, was der Untersuchungsgegenstand ist: Entweder das Verhalten und die soziale Interaktionen, oder eben die Struktur und Funktion des Nervensystems.«

    Zur Exemplifizierung hättest Du besser vielleicht Balzverhalten von Haubentauchern und Neuronale Struktur von Haubentauchern einander gegenüberstellen sollen. In beiden Fällen werden dann konkret Haubentaucher untersucht, und es ist jeweils ein Beobachter, der durch seine Fragestellung seine Form der Referenz auf Haubentaucher festlegt, womit er überhaupt erst einen “Untersuchungsgegenstand” konstituiert.

    »Der Unterschied zwischen den beiden Gegenstandsbereichen [physisch vs. psychisch] wird nicht „erst eingeführt”, nein, es wird ein bestehender Unterschied „erkannt”.«

    Keineswegs. So ist die Beurteilung, ob ein observables Ding denkbefähigt ist oder nicht, gar keine Frage des Erkennens, sondern die eines Zuerkennens. Platt gesagt, es ist nicht die Natur, die uns hier einen Unterschied vorgibt, sondern wir sind es, die den Wunsch haben, für unsere eigenen Belange zwischen denkenden und nicht-denkenden Entitäten zu unterscheiden.

    / 14.09.2021, 21:35 Uhr

    »Für die Bio-Psychologie ist die relevante Kategorie das Tier als Ganzes, Körper und Verhalten. Beim Menschen verhält es sich im Grunde nicht anders.«

    Klar, aber für jegliche Fragen im Umfeld von ich-Bewusstsein verhält es sich eben auch nicht anders. Ich kann mir keinen Menschen vorstellen, der noch alle Tassen im Schrank hat und sein Gehirn meint, wenn er “ich” sagt.

    »Das Nervengewebe und die Verhaltensäußerungen, beides gehört untrennbar zusammen…«

    Für die Verhaltensäusserungen ist die Hirnforschung aber doch gar nicht zuständig, dazu ist sie mit ihren Begriffen und Methoden auch überhaupt nicht imstande. Hattest Du ja zuvor selbst schon festgestellt, dass es dazu den Blick auf das ganze Tier braucht — ob H. sapiens oder P. pica ist unerheblich. Bisweilen braucht es dann sogar den Blick auf ganze soziale Gemeinschaften solcher Tiere, um deren individuelle Verhaltensäusserungen interpretieren zu können.

  156. @Chrys // 16.09.2021, 14:49 Uhr

    »Haubentaucher … und es ist jeweils ein Beobachter, der durch seine Fragestellung seine Form der Referenz auf Haubentaucher festlegt, womit er überhaupt erst einen “Untersuchungsgegenstand” konstituiert. «

    Ja doch, ich sage ja nur, dass der Beobachter zuerst mal erkennen muss, dass es Unterschiedliches gibt, das untersucht werden könnte .

    » So ist die Beurteilung, ob ein observables Ding denkbefähigt ist oder nicht, gar keine Frage des Erkennens, sondern die eines Zuerkennens. Platt gesagt, es ist nicht die Natur, die uns hier einen Unterschied vorgibt, …«

    Beim Psychischen geht es m. E. um mehr als um bloße Denkfähigkeit (wobei „Denken“ ohnehin ein schwieriger Begriff ist, wenn es nicht um Menschen geht). Du hattest die Arbeit von Onur Güntürkün gelobt. Ich hatte nicht den Eindruck, dass er der Elster Gerti die „geistigen Leistungen“ lediglich zuerkennt, vielmehr scheint er sie festgestellt zu haben, als etwas real Vorfindliches, sozusagen.

    »Für die Verhaltensäusserungen ist die Hirnforschung aber doch gar nicht zuständig, dazu ist sie mit ihren Begriffen und Methoden auch überhaupt nicht imstande.«

    Mag sein, dass der Begriff ‚Verhaltensäußerung‘ eine etwas enge Auslegung provoziert. Mir ging es bloß um den Zusammenhang von Struktur (Hirn) und Funktion (Verhalten). Und das wird selbstredend von Neurobiologen untersucht. Ein Beispiel ist Martin Heisenberg, dessen Arbeit auf Wiki so beschrieben wird:

    Heisenberg begründete die Neurogenetik in Deutschland, indem er als einer der Ersten Gehirnentwicklungsmutanten in Drosophila verwendete, um den Zusammenhang von Gehirnstrukturen und Verhalten zu erforschen.

    Näheres zu seiner Forschungsarbeit schildert Heisenberg hier im Rahmen der Verleihung des Karl Ritter von Frisch-Preises 2006.

    Interessant auch seine Gedanken zur „Freiheit“ (man könnte auch sagen: Plädoyer für die Handlungsfreiheit) in einer von physikalischen Gesetzmäßigkeiten regierten Welt (ist halt ein Kind von Werner H.)

  157. @Balanus 16.09. 10:06

    „Was genau ist eine ‚interne Repräsentation‘? Da fangen für mich die Schwierigkeiten schon an. …. Interne neuronale Zustände und Aktivitätsmuster infolge des sensorischen Inputs (= interne Repräsentation?) müssen ja nicht mit einem phänomenalen Bewusstsein einhergehen.“

    Die Fortschritte in der KI werden vermutlich zeigen, wie weit man ohne interne Repräsentation kommt, ganz aktuell z.B. bei Selbstfahrsystemen für Autos.

    Wenn wir in der Biologie eine interne Repräsentation hätten, die gar nicht unbedingt nötig ist, hätten wir ein Argument, dass diese Repräsentation nicht der Verhaltensfunktionalität dient, sondern der eigenen Lebensqualität. Vorstellbar ist ebenso, das diese Lebensqualität neben der Funktionalität für biologische Wesen auch maßgeblich ist.

    Was wiederum für einen Kosmos spricht, der eine Geistesseite hat, die nicht nur in uns selbst, sondern ganz allgemein eine interne Repräsentation mit sich bringt. Und nebenbei die Lebewesen in ihren Ökosystemen in vielfältiger Weise begleitet und unterstützt.

    Erstaunlicherweise könnte jetzt gerade die Hirnforschung die Fakten aufklären können. Wenn man mal wirklich die Eigenschaften der Nervenzellen und das ganze Konnektom entschlüsselt hat, wird man wohl erkennen können, ob dies wirklich eine innere Repräsentation in sich selbst kann, oder doch nur eine Schnittstelle zu echten Geisteswelten zur Verfügung stellt.

    Sofern man etwa so wie ich sowieso mit spirituellen Erfahrungen daherkommt, die eine gewisse Übernatur nahelegen, dann würde das alles genau so Sinn machen. Ich verfolge also mit Spannung die Fortschritte der Hirnforschung und die der KI.

  158. @Jeckenburger:
    Mit interner Repräsentation meine ich die triviale Tatsache, dass wir in unserem Hirn die Welt quasi widerspiegeln, und zwar im konstruktiven Sinn. Das macht nicht das einzelne Neuron, sondern das neuronale Kollektiv. Die Tatsache, dass unser Wille nicht deterministisch bloß von der physiologischen Funktion der Neuronen abhängt, sondern von der Art und Weise wie diese zusammenarbeiten, habe ich oben versucht darzustellen. Wäre der Begriff Supervenienz nicht als Einbahnstraße von Physis zu Psyche definiert, sondern auch in umgekehrter Richtung möglich, könnte man ihn ebenso verwenden, wie Supersystem oder virtuelles System.

  159. @Stegemann 18.09. 16:59

    „Wäre der Begriff Supervenienz nicht als Einbahnstraße von Physis zu Psyche definiert, sondern auch in umgekehrter Richtung möglich, könnte man ihn ebenso verwenden, wie Supersystem oder virtuelles System.“

    Ich gehe davon aus, dass unser Bewusstsein aus seiner eigenen Logik heraus auf das Gesamtsystem Psyche bzw. Gehirn zurückwirkt, und das unabhängig von der Frage, ob hier Geisteswelten beteiligt sind oder nicht. Wenn wir gelernt haben, wie man Kopfrechnet, dann bestimmt unser Bewusstsein, welches Ergebnis die Aufgabe “wieviel ist 17 plus 25 ?” macht. Das korrekte Ergebnis 42 entsteht nicht im Unbewussten.

    Das selbe passiert, wenn wir einen mathematischen Beweis prüfen und als korrekt erkennen, und es passiert genauso, wenn wir selber nach einem mathematischen Beweis für eine Aufgabe suchen.

    Gerade in der Mathematik ist die Kommunikation von Bewusstsein zu Bewusstsein maßgeblich, wenn man hier Fortschritte machen will. Letztendlich ist ein mathematischer Beweis genau dann korrekt, wenn andere Mathematiker auch meinen, dass er gültig ist. Das kommt nicht aus dem Unbewussten, nicht aus der Logik von Nervenzellen, sondern aus der Eigenlogik des menschlichen Bewusstseins.

    Letztlich ist Kultur eine Bewusstseinssumme vieler Menschen.

  160. @Wolfgang Stegemann // 16.09.2021, 10:50 Uhr

    » Ich dachte, dass klar sei, dass die Wahrnehmung im Gehirn komplexe Prozesse auslöst, nicht nur Regelkreise aktiviert, wie bei einer Maschine. «

    Mir ging es dabei um einfacher gebaute Gehirne, wie eben z.B. bei Insekten wie Fliegen oder Bienen. Da kann man ja auch von „interner Repräsentation“ sprechen, aber was bedeutet das in diesem Falle konkret für das Tier, was sieht es, falls es überhaupt was sieht, also ein phänomenales visuelles Seherlebnis hat.

    » Der Reduktionismus meint, Kausalität entsteht ausschließlich im Mikrobereich…«

    Ja, wenn Energie von einem Teilchen auf ein anderes übertragen wird, dann haben wir es mit einem Vorgang zu tun, der den von uns festgestellten Kausalzusammenhängen zugrunde ligt. Wenn ich wegen einer roten Ampel auf die Bremse trete, dann würde ich nicht unbedingt von einem kausalen Geschehen sprechen.

    In dem von Ihnen verlinkten Aufsatz von Kim et al. (2021) (Danke dafür!) werden u.a. die von Hoel et al. postulierten emergenten kausalen Strukturen angesprochen. Aber leider auch ohne ein konkretes, überzeugendes Beispiel zu nennen. Ich habe den Aufsatz zwar nicht gründlich gelesen und auch längst nicht alles verstanden, aber die Idee, irgendwie per „Messung“ feststellen zu wollen, ob ein Gebilde „lebendig“ ist oder nicht, bzw. zu welchem Grad es lebendig ist, das hat schon was. Eigentlich hätte ich erwartet, dass das am Beispiel der ‚Viren‘ veranschaulicht wird, aber soweit ist man da wohl noch nicht mit der Theorie.

  161. @Balanus 18.09. 23:35

    „Wenn ich wegen einer roten Ampel auf die Bremse trete, dann würde ich nicht unbedingt von einem kausalen Geschehen sprechen.“

    Ich meine schon, das die Ampel hier kausal wirksam ist. Der Vorgang ist zwar im Detail komplex, aber bei geübten Fahrern äußerst zuverlässig. Wenn ich die Ampelsteuerungen einer Stadt intelligent steuere, dann hat dies unmittelbare Auswirkungen auf den Verkehrsfluss. Wenn ich telefonisch einen Arzttermin vereinbare, und ich zu dem Termin hingehe und dann tatsächlich behandelt werde, dann war die Terminvereinbarung hier kausal wirksam. Wenn ich den Fahrplan der U-Bahn studiere, und pünktlich an der Haltestelle erscheine, dann habe ich gute Chancen, dass die U-Bahn auch pünktlich kommt. Der Fahrplan ist hier kausal wirksam, weil der Bahnfahrer in auch kennt, und guckt, dass er so fährt, dass er den Fahrplan einhält.

    Hier haben wir doch schöne Beispiele für die kausale Wirkung von Symbolen in Zusammenarbeit mit psychologischen Fakten.

  162. @Balanus / 17.09.2021, 21:26 Uhr

    »Ja doch, ich sage ja nur, dass der Beobachter zuerst mal erkennen muss, dass es Unterschiedliches gibt, das untersucht werden könnte.«

    Sagen wir mal so: Im Prinzip beginnt es damit, dass ein Beobachter gewisse phänomenale Auffälligkeiten bemerkt, die er anschliessend genauer inspiziert, weil ihm das irgendwie interessant erscheint. ich könnte eine Leuchterscheinung am Himmel bemerken, ohne dabei schon etwas erkannt zu haben. Und beim Betrachten einer Kippfigur ist das, was ich bemerke, nicht unbedingt das, was ich da zu erkennen meine. Da kann ich womöglich sogar Unterschiede “erkennen”, wo gar keine sind.

    Auch bei der Rede von “Verhalten” scheint mir inzwischen eine sprachliche Präzisierung angebracht. Das Flugverhalten einer Drosophila scheint mir etwas zu sein, was sich auch im Rahmen der “Biologischen Kybernetik” noch modellieren lässt, ohne dass notwendig ein höherer Level ins Spiel kommen muss. So findet man, wenig überraschend, auch hier eine Verbindung zu Heisenberg & Wolf:

    Cruse, Holk (2009). Neural Networks as Cybernetic Systems. 3rd and revised edition. Brains, Minds and Media, Bielefeld. [PDF]

    Biologische Kybernetik lässt sich von Neurobiologie gewiss nicht generell klar abgrenzen. Und inwiefern es noch Neurobiologie oder schon interdisziplinäre Forschung zu nennen ist, wenn es ums Verhalten geht und methodische Anleihen aus anderen Bereichen herangezogen werden, sei mal dahingestellt.

    Einen “höheren” Level hast Du in jedem Fall mit der Psychologie, die ihre eigenen Konzepte und Methoden festlegt. Hier, als Fundstück, etwas aus einem Lehrbuch (W. Hussy et al., 2009, Leseprobe, S. 2):

    Definition: Gegenstand der Psychologie ist das Erleben, Verhalten und Handeln des Menschen.

    Bedeutungen von Wörtern sind abhängig vom Kontext, und was hier mit “Verhalten” gemeint ist, darf man gewiss nicht unreflektiert einfach gleichsetzen mit dem, was Biologen als solche gemeinhin darunter verstehen. Von “Erleben” und “Handeln”, mit denen das hier in eine Reihe gesetzt wird, ganz zu schweigen — das sind high-level Konzepte, die weiter unten gar nicht vorkommen.

    Danke im übrigen für Deine Heisenberg-Links. Ich werde mir das noch anschauen, brauche aber etwas Zeit dafür.

  163. Tobias Jeckenburger – gestern – 18:25

    Letztlich ist Kultur eine Bewusstseinssumme vieler Menschen.

    Sehr schön gesagt. Allerdings ist Quantität nicht notwendigerweise = Qualität. Aber sehr demokratisch.

  164. @Balanus:

    » Der Reduktionismus meint, Kausalität entsteht ausschließlich im Mikrobereich…« (Stegemann)
    Ja, wenn Energie von einem Teilchen auf ein anderes übertragen wird, dann haben wir es mit einem Vorgang zu tun, der den von uns festgestellten Kausalzusammenhängen zugrunde ligt.

    Ich hätte dazusagen müssen „bei allem Lebendigen“. Bei rein physikalischen Zusammenhängen mag der Reduktionismus angebracht sein, denn selbst aus komplexen Reaktionen lässt sich jedes Element identifizieren, ohne dass die Kausalzusammenhänge und Funktionalitäten verloren gingen. Beim Lebendigen geht das nicht. Dort liegt die kausale Kraft ausschließlich im Ganzen, im Makro. Es wäre unsinnig zu glauben, dass komplexe Hirnprozesse wie Denken, Fühlen ode gar Bewusstsein auf die Arbeit eines Neurons zurückzuführen sind, auch wenn dieses die konstitutionelle Basis bildet. Genauso unsinnig ist es, komplexe Krankheiten wie Krebs oder Herz-Kreislaufkrankheiten auf ein Gen zu reduzieren (https://www.researchgate.net/publication/319913087_Cancer_as_a_disorder_of_patterning_information_computational_and_biophysical_perspectives_on_the_cancer_problem). Die Medizin kennt Fortschritte vor allem bei ‚physikalisch‘ zu lösenden Problemen wie Knochenbrüche etc. Bei komplexen Problemen hilft kein reduktionistisches Vorgehen.
    Deshalb ist zwar die Frage, wie Neuronen funktionieren, am einzelnen Neuron erklärbar, nicht aber, wie das Gehirn funktioniert. Und deshalb kann die Frage nach dem Willen nicht anhand einfacher ‚wenn-dann‘ Versuche geklärt werden.
    Man muss sich, ob man will oder nicht, letztlich von der Frage ‚Was ist Leben‘ hocharbeiten. Und diese Frage lässt sich niemals physikalisch beantworten.

  165. @Stegemann 19.09. 09:58

    „Man muss sich, ob man will oder nicht, letztlich von der Frage ‚Was ist Leben‘ hocharbeiten. Und diese Frage lässt sich niemals physikalisch beantworten.“

    In der Tat, Konnektome alleine reichen auch nicht, man muss auch die einzelnen Nervenzellen verstehen, wovon man wohl auch noch weit entfernt ist. Davon gibt es alle möglichen Zelltypen, und die Gliazellen spielen auch noch mit.

    Aus meiner Sicht ist aber auch die Physik noch unvollständig, Stichwort gezielter Quantenzufall als Schnittstelle zu Geisteswelten. Das würde dann auch in der Zellchemie mitspielen können, neben einer möglichen direkten Geistesbeteiligung an den Innenwelten.

    Die Frage „Was ist Leben“ ist auf jeden Fall die richtige Frage.

    Unabhängig davon kann aber KI auch erhellende Fakten liefern, nicht 1:1, aber doch informatische Möglichkeiten aufzeigen, die eventuell in der Biologie mitspielen. Wenn wir etwa einen Weg finden, wie echte Innenwelten in der Technik herstellbar wären, dann könnten wir gucken, ob wir was Ähnliches in der Biologie finden können. Obwohl ich das nicht glauben mag, aber wer weiß, vielleicht geht das doch.

  166. @Jeckenburger:
    Sie wissen aber schon, dass Geisteswelten nichts mit Wissenschaft zu tun haben, sondern ausschließlich mit Religion.

  167. @Chrys // 19.09.2021, 00:42 Uhr

    » Im Prinzip beginnt es damit, dass ein Beobachter gewisse phänomenale Auffälligkeiten bemerkt, die er anschliessend genauer inspiziert, weil ihm das irgendwie interessant erscheint.«

    Einverstanden, so kann man’s auch sagen.

    » ich könnte eine Leuchterscheinung am Himmel bemerken, ohne dabei schon etwas erkannt zu haben.«

    Mir genügt es, wenn ein Helligkeitsunterschied überhaupt erkannt (im Sinne von: bemerkt, registriert) werden kann (mir geht es darum, dass unser Erkenntnisapparat dafür ausgelegt ist, in der Umwelt Unterscheidungen treffen zu können).

    Und ja, auch beim Begriff ‚Verhalten‘ kommt es auf den Kontext an. In einem kleinen Wörterbuch zur Verhaltensbiologie (Tembrock, UTB/Gustav Fischer, 1978) wird Verhalten so definiert:

    Organismus-Umwelt-Beziehung auf der Grundlage des Informationswechsels.

    (Die Begriffsschöpfung ‚Informationswechsel‘ steht in einer Reihe mit ‚Formwechsel‘ und ‚Stoffwechsel‘, also mit Phänomenen, die kennzeichnend sind für Organismen.)

    Ich finde diese Definition so umfassend und allgemein, dass auch der Gegenstand der Human-Psychologie (“Erleben, Verhalten und Handeln”) darin untergebracht werden kann.

    Da wir schon dabei sind: Im Tierreich kann man unter ‚Handlung‘ eine „spontane oder ausgelöste Verhaltensäußerung (Operation)“ verstehen, „die arttypisch und im Ergebnis einer stammesgeschichtlichen Entwicklung entstanden ist, so daß sie wie ein morphologisches Merkmal zur Artkennzeichnung verwendet werden kann“ (gleiche Quelle).

    Das heißt, was im Tierreich unter ‚Handlung‘ behandelt wird, wird beim Menschen—arttypisch—unter dem high-level Konzept ‚Handeln’ verhandelt.

  168. @Tobias Jeckenburger // 19.09.2021, 00:26 Uhr

    » Ich meine schon, das die Ampel hier kausal wirksam ist. «

    Ich glaube, da würde Dir Stephan Schleim zustimmen.

    In der Leseprobe des Psychologie-Lehrbuches, das @Chrys verlinkt hat, lese ich in der Einleitung:

    Er [der Wissenschaftler] kann sich aber darüber hinaus auch noch dafür interessieren, ob nun die Attraktivität eine Ursache für den beruflichen Erfolg ist oder umgekehrt. Denn ein beobachteter Zusammenhang – attraktive Menschen sind häufig beruflich erfolgreich – sagt allein noch nichts darüber aus, was Ursache und was Wirkung ist (es könnte ja sein, dass erfolgreiche Menschen attraktiver wirken, weil sie mehr Zufriedenheit ausstrahlen, sich teure Kosmetik leisten können etc.).

    (Fettung im Original)

    Ich fasse ‚Kausalität‘ halt enger (die Physik hat’s eh nicht so mit dem Kausalprinzip).

  169. @Wolfgang Stegemann // 19.09.2021, 09:58 Uhr

    »Beim Lebendigen geht das nicht. Dort liegt die kausale Kraft ausschließlich im Ganzen, im Makro.«

    So scheint das zu sein, ja. Wir nehmen ja immer nur die Individuen als Ganzes als autonome Akteure wahr. Die internen, vielfach verflochtenen Kausalketten, die jeglicher Handlung notwendigerweise vorausgehen, können wir leicht ausblenden, weil uns nur das Ergebnis interessiert: die resultierende Handlung.

    Aber nichtsdestotrotz steht das, was Sie die „kausale Kraft“ des Ganzen nennen, am Ende einer Reihe von internen, kausal verknüpften Ereignissen. An dieser Stelle sei noch einmal daran erinnert, dass das Lebendige ohne Kenntnis der elementaren indeterministischen Vorgänge gar nicht erklärbar wäre. Von daher weiß ich auch nicht, was das soll, immer wieder mit dem „Reduktionismus“ zu kommen. Mir ist kein biologisches Forschungsprojekt bekannt, an dessen Anfang nicht das Ganze stünde (vor 500 Jahren gab es weder Mikroskope noch biochemische Kenntnisse). Wie der Mensch als Ganzes ist und sich verhält, das wird seit den Anfängen der Philosophie diskutiert. Aber man wollte eben auch wissen, wie es unter seiner Haut aussieht. Und wie die Organe funktionieren, und so weiter.

    »Genauso unsinnig ist es, komplexe Krankheiten wie Krebs oder Herz-Kreislaufkrankheiten auf ein Gen zu reduzieren.«

    Wer macht das denn, auf „ein Gen“? Aber wahr ist auch, dass es ohne eine (krankhafte) Veränderung der normalen (regelgerechten) Genexpression bzw. -regulation kaum eine Krebserkrankung gäbe. Über die diversen Ursachen dieser Veränderungen kann man diskutieren und spekulieren.

    » Die Medizin kennt Fortschritte vor allem bei ‚physikalisch‘ zu lösenden Problemen…«

    Und was ist z. B. mit den mRNA-Impfstoffen? Oder den Checkpoint-Inhibitoren? Sind therapeutische Interventionen, die in das höchst komplexe Immunsystem eingreifen, auch „physikalische“ Problemlösungen? (Naja, letztendlich irgendwie schon, zugegeben, … ;-))

  170. @Balanus:

    “Wie der Mensch als Ganzes ist und sich verhält, das wird seit den Anfängen der Philosophie diskutiert. Aber man wollte eben auch wissen, wie es unter seiner Haut aussieht. Und wie die Organe funktionieren, und so weiter.”

    Das ist das immerwährende Missverständnis, das sich scheinbar nicht ausrotten lässt. Die Frage ist nicht, ob man die Elemente bzw. die kleinsten Skalen untersuchen soll [das ist selbstverständlich], sondern ob diese Elemente bereits die Erklärung liefern. Sie sind unbestritten die Konstituenten des Ganzen, aber eben nicht die Erklärung. Was für die Beschreibungsebene gilt, gilt auch für die Funktionsebene. Trotz Checkpoint-Inhibitoren hat man keinen blassen Schimmer, warum Krebs entsteht. In dem oben verlinkten Artikel zu Krebs wird die Ansicht vertreten, dass das ganze Genom ‘gestört’ wird und dies sich auf die komplexen Prozesse auswirkt, also eine Regulation von oben nach unten stattfindet. Daher meine Auffassung: Konstitution von unten nach oben, Regulation von oben nach unten [wie gesagt, für alles Lebendige].

  171. @Balanus / 17.09.2021, 21:26 Uhr

    »Interessant auch seine [Heisenbergs] Gedanken zur „Freiheit” (man könnte auch sagen: Plädoyer für die Handlungsfreiheit) in einer von physikalischen Gesetzmäßigkeiten regierten Welt (ist halt ein Kind von Werner H.)«

    Man könnte auch sagen: Plädoyer für die Ursachenlosigkeit. Und es wäre vieleicht nicht so verkehrt, wenn davon etwas erkennbar auf Dich abfärben würde.

    Doch erscheinen mir auch einige Punkte bei Heisenberg etwas kritikwürdig. Im Grunde hält er ja “Determinismus” für die Wurzel allen Übels, wenn er beispielsweise schreibt

    Wenn man den Determinismus nicht ganz abgeschüttelt hat, kann die Beschäftigung mit den Naturgesetzen leicht zu der Vorstellung führen, dass alles, was prinzipiell der naturwissenschaftlichen Betrachtung entgeht, nicht eigentlich Teil der Wirklichkeit sein könne. Aus dieser Einstellung resultiert m. E. oft die oben erwähnte Ablehnung der Freiheit unter Naturwissenschaftlern.

    Insofern “"deterministisch" = "nicht stochastisch" bedeutet, ist ein in diesem Sinne aufgefasster Determinismus nicht das Problem. Ein Konflikt mit der Idee von Freiheit ergäbe sich nur, wenn wir Anlass zu der Annahme hätten, alles tierliche Tun und Lassen sei aus gewissen deterministischen Regeln strikt vorhersagbar, etwa von einem Laplaceschen Daemon. In diesem Fall erschiene alles Geschehen vorab determiniert und folglich ein Anspruch auf Handlungsfreiheit nicht länger gerechtfertigt. Wir haben jedoch keinen Anlass zu dieser Annahme — weder empirisch durch konkrete Beobachtung von Tieren noch logisch durch abstrakte Betrachtung von deterministischen Systemen.

    Inzwischen hat sich erwiesen, dass deterministische Systeme eine ebenso unvorhersagbare Dynamik zeigen können wie stochastische. Der Laplacesche Daemon ist eigentlich für die Wissenschaft längst erledigt. Letztlich sind es aber gerade die Vorstellungen, die mit diesem Daemon versinnbildlicht werden, die manche noch nicht ganz abgeschüttelt haben.

    Weiters stosse ich mich daran, dass Heisenberg zwischen “Gründen” und “Ursachen” nicht angemessen differenziert und eher beides synonym verwendet. So schreibt er beispielsweise

    Aber mit welchen anderen Erfahrungsdeutungen sollte die der relativen Handlungsfreiheit im Konflikt stehen? Die Erfahrung, dass nichts ohne Gründe geschehe, kann hier sicher nicht angeführt werden. Sie gibt es nicht. Das entsprechende Postulat ist ein theoretisches Konstrukt des 19. Jahrhunderts.

    Wenn jemand sagt, “Es lässt sich für alles eine wissenschaftl. Begründung finden,” dann ist das etwas anderes, als wenn er sagte “Es geschieht nichts ohne eine Ursache.” Denn eine zur wissenschaftl. Erklärung angeführte Begrundung muss keineswegs eine Nennung von Ursachen sein — sogar ganz im Gegenteil. Das gleiche fällt mir übrigens auch störend auf in der Leseprobe (Hussy et al., 2009), wenn ich da finde

    Erklären meint herauszufinden, welches Merkmal ein anderes kausal verursacht …

    Tröstlich ist, dass offenbar anderswo in der Psychologie das Hempel-Oppenheim Schema des wissenschaftl. Erklärens durchaus bekannt ist. Tatsächlich hat die Rede von Ursachen da gar nichts verloren und wird im H-O Schema folglich auch konsequent vermieden — was man bei Wolfgang Stegmüller oder auch bei Herbert Schnädelbach lernen kann, den ich hierzu mal zitiere:

    Der Begriff der Ursache ist hier in dem der Antezedensbedingungen aufgegangen, und das bedeutet, dass die Gesetzeszeile nicht simple Ursache-Wirkungen-Verknüpfungen enthalten kann, sondern nur Konditionale von der Form ‹Immer wenn …, dann…›, und dies meist auch in irrealer Gestalt: «Wären die und die Antezedensbedingungen erfüllt, dann wäre mit der und der Wahrscheinlichkeit das Explanandum zu erwarten.»

    Doch abschliessend komme hier auch Stegmüller selbst noch zu Wort:

    Dieser Begriff [Ursache] entstammt der vagen Sprache des Alltags und ist dort auch zweifellos brauchbar. Denn für jene praktischen Belange, denen die Alltagssprache dient, ist er ausreichend. Für die Zwecke einer philosophischen Begriffsexplikation darf er aber nicht als Ausgangsbasis dienen.

  172. @Stegemann 19.09. 15:31

    „Sie wissen aber schon, dass Geisteswelten nichts mit Wissenschaft zu tun haben, sondern ausschließlich mit Religion.“

    Die meisten Wissenschaftler sehen das so, und vermutlich auch die meisten Theologen. Ich selber habe durchaus mit Spiritualität zu tun, und eigentlich nicht so viel mit religiösen Vereinen. Aber wenn man das Thema Geisteswelten nicht zur reinen Fantasie erklären möchte oder kann, dann kann man meine ich darüber nachdenken, wie Wechselwirkungen von Geisteswelten und physischer Welt konkret aussehen könnten.

    Generell finde ich es sehr wichtig, Glaubensinhalte und gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse gründlich zu unterscheiden. Aber was die Wissenschaft nur vermutet ist genauso wenig gesichert, wie was der eine oder andere einfach nur glaubt. Wo also die gesicherten Erkenntnisse nicht hinreichen, da ist im Prinzip Platz frei für alle möglichen Vermutungen.

    Meine Idee, dass der Quantenzufall auch mal gezielt sein kann, wäre nur eine neue Interpretation des Quantenzufalls und würde die sonstige bekannte Physik nicht antasten. Ich füge nur eine Vermutung hinzu, die aber interessante weitere Perspektiven eröffnet.

    Diese Wechselwirkung von Geisteswelt und Physis per Quantenzufall ist nur eine Möglichkeit, die aber zukünftig belegt werden könnte, wenn sie denn tatsächlich stattfinden täte.

    Ob jemand damit was anfangen kann, ist eine andere Frage. Wer mit Spiritualität nichts zu tun hat, für den ist es nur theoretisch. Die meisten Wissenschaftler werden es jedenfalls vermutlich nicht mögen. Was jetzt aber wissenschaftliche Vermutungen von nichtwissenschaftlichen Vermutungen unterscheidet, das ist nicht so viel, scheint mir. Sciencefiction und Fantasy liegen so weit nicht auseinander.

  173. @Wolfgang Stegemann // 20.09.2021, 13:56 Uhr

    » Die Frage ist nicht, ob man die Elemente bzw. die kleinsten Skalen untersuchen soll [das ist selbstverständlich], sondern ob diese Elemente bereits die Erklärung liefern.«

    Wenn’s gut läuft, dann liefern wissenschaftliche Untersuchungen eine wissenschaftliche Erklärung für das untersuchte Phänomen. Wozu sonst würde man Wissenschaft betreiben?

    Üblicherweise ergeben sich weitere Fragen, die entsprechende Untersuchungen nach sich ziehen, nicht selten dann auf der nächsttieferen Systemebene.

    »Trotz Checkpoint-Inhibitoren hat man keinen blassen Schimmer, warum Krebs entsteht.«

    Checkpoint-Inhibitoren zielen lediglich auf Immunzellen, nicht auf die Entstehung von Krebszellen.

    Dass man keinen „blassen Schimmer“ hat, warum (sic!) Krebs entsteht, mag sein, kommt darauf an, worauf die Warum-Frage abzielt. Über die Mechanismen der Krebsentstehung weiß man aber schon einiges (siehe German Cancer Research Center) .

    »In dem oben verlinkten Artikel zu Krebs wird die Ansicht vertreten, dass das ganze Genom ‘gestört’ wird und dies sich auf die komplexen Prozesse auswirkt, also eine Regulation von oben nach unten stattfindet.«

    Ich habe nur das Abstract gelesen, da ist von einem „endogenen bioelektrischen Netzwerk“ die Rede, das über viele Gewebe hinweg wirkt. Wird im Text ein empirischer Befund aufgeführt, der die Ansicht von der Genom-‚Störung‘ stützt? Wie kommt es zu dieser Störung, und warum?

    Mit selbstregulatorischen Systemen habe ich natürlich kein Problem, jede lebende Zelle ist ein solches. Aber wenn behauptet würde, die Zelle als Ganzes reguliere die Prozesse in ihrem Inneren (oder auch nur einen), dann hätte ich schon ein Problem damit.

  174. @Jeckenburger:
    Natürlich kann jeder denken was er will. Aber wenn ich behaupten würde, irgendwo kreist ein kleines rotes Teekesselchen um die Sonne, was würden Sie mir dann antworten? Sie würden vielleicht sagen, ‘was für ein blödsinniges Konstrukt’. Und Sie hätten recht.

  175. @Balanus:
    Ich versuchs mal mit einer ganz einfachen Analogie:
    Stellen Sie sich vor, wir wollen wissen, was eine Gesellschaft ist und wie sie funktioniert. Unsere erste Frage ist, aus was besteht eine Gesellschaft. Antwort: aus Menschen. Was sind Menschen? Es sind Lebewesen mit unterschiedlichem Geschlecht, Hautfarbe, Körpergröße, Genstruktur etc. pp. Wir können auch noch weiter fragen, etwa nach Blutgruppen etc. Wir könnten noch konkrete Beispiele anfügen, z.B. Herrn Meier aus Buxtehude u.a. Das sind dann alles wichtige Erkenntnisse, ohne die unsere Ausgangsfrage, sagen wir, nebulös bleiben würde. Die Frage als solche wird aber durch diese und weitere Erkenntnisse nicht beantwortet. Sie wird beantwortet durch die Analyse der Gesellschaftsstruktur, des politischen Systems etc.pp.
    Soweit die Beschreibungsebene. Kommen wir zur Funktionsebene und fragen, ob die Gesellschaft das einzelne Individuum beeinflussen kann. Die Antwort ist natürlich Ja. Prekäre Lebensverhältnisse haben psychische und physischen Einfluss. Natürlich kann sich ein Mensch ein Bein brechen. Das hat dann in der Regel keine gesellschaftliche Ursache. Aber selbst dafür kann der Grund an einem gefährlichen Arbeitsplatz liegen. M.a.W., die Kenntnis der Elemente sagt noch nichts aus über die Dynamik des Ganzen, weder auf der Beschreibungs- noch auf der Funktionsebene. Und: das Ganze determiniert immer die Elemente auf der Ebene seiner Einflusssphäre. Das bedeutet, die Gesellschaft nimmt dort Einfluss, wo sie es ‘kann’, also nicht auf der Ebene etwa der Blutgruppe.
    Übertragen etwa auf die Medizin heißt das, die Analyse auf immer kleineren Skalen ist richtig, die Erklärung dort zu suchen, ist falsch.
    Im Bereich der unbelebten Natur, also dem Gegenstand der Physik, sind die Beziehungen wesentlich einfacher.

  176. @Chrys: Grenzen und Schranken

    Na, ihr seid hier ja immer noch am diskutieren! (Der Artikel war vom Anfang August.)

    Doch einen kritischen Einwand zur Vorhersagbarkeit: Ich habe ja immer wieder den Unterschied zwischen epistemischen und ontologischen Aussagen betont.

    Wenn ich etwa sage, das Ergebnis des Vorgangs V ist unvorhersehbar (was praktisch für alle chaotischen Vorgänge gilt, weil Änderungen bei den Startbedingungen, die jenseits der Messgenauigkeit liegen, große Auswirkungen auf das Ergebnis haben), dann sage ich erst einmal nur, dass niemand es wissen kann – selbst wenn es bereits feststeht.

    Das finde ich schräg. Wollte Bettina Walde (damals auch am Lehrstuhl Metzinger) nicht so die Willensfreiheit retten? Ich habe ihre Habil aber nicht gelesen.

    Mir geht es selbst bekanntermaßen um praktische Freiheit; Willensfreiheit im philosophischen Sinne aber über die Unvorhersagbarkeit zu retten, erscheint mir dennoch unbefriedigend.

    P.S. Ja – und wer “wissenschaftliche Erklärung” mit “kausaler Erklärung” gleichsetzt, der beweist damit vor allem Lücken in der theoretisch-philosophischen Bildung. Als ob alle Fahrzeuge Fahrräder wären.

  177. @Stegemann 21.09. 07:47

    „Natürlich kann jeder denken was er will. Aber wenn ich behaupten würde, irgendwo kreist ein kleines rotes Teekesselchen um die Sonne, was würden Sie mir dann antworten?“

    Für das Teekesselchen gäbe es keinen Anhaltspunkt, und auch keine Erkenntnisfortschritte zu erwarten, selbst wenn es existieren würde.

    Wenn hier eine Sonde von Außerirdischen kreisen würde, die uns ganz in Ruhe seit Jahrtausenden beobachtet, weil die wissen wollen, wie es uns geht, dafür gäbe es schon Anhaltspunkte: Wenn es intelligente Außerirdische gäbe, die solche Sonden bauen und hier hinschicken können, dann werden die das womöglich tatsächlich auch tun. Wir würden das auf jeden Fall machen, wenn wir die Mittel dazu hätten. Einen Erkenntnisfortschritt hieraus gäbe es auch: eventuell können diese Sondenbetreiber auch jederzeit mit uns Kontakt aufnehmen, sobald sie den richtigen Zeitpunkt hierfür abgewartet haben.

    Das wäre eine gewisse Perspektive, und es kann nicht schaden, wenn wir verdächtige asteriodenähnliche Objekte darauf untersuchen, ob sie vielleicht eine Sonde sind.

    Auch für eine Wechselwirkung von Geisteswelten und Physis gibt es durchaus Anhaltspunkte: Seit Jahrtausenden gehen die Religionen davon aus, dass es Geisteswelten gibt, und mindestens die halbe Menschheit glaubt das aktuell immer noch. Mag sein dass das alles wirklich nur Fantasie ist, aber immerhin kann man das als Anhaltspunkt nehmen, der Sache näher auf den Grund zu gehen.

    Und wenn es diese Wechselwirkung tatsächlich gibt, wäre dies auch sehr interessant, würde ich sagen. Und keinesfalls bedeutungslos. Das könnte auch der Frage, was unserer Bewusstsein ist, eine neue Dimension geben.

    Also ganz klar mehr als ein Teekesselchen.

  178. @Schleim 21.09. 13:25

    „Mir geht es selbst bekanntermaßen um praktische Freiheit; Willensfreiheit im philosophischen Sinne aber über die Unvorhersagbarkeit zu retten, erscheint mir dennoch unbefriedigend.“

    Dass wir aus psychologischer Eigenlogik heraus agieren und in diesem Sinne frei sind, ist eben die praktische Freiheit. Die Unvorhersagbarkeit ist aber nicht nur bei chaotischen Systemen gegeben, sie ist auch ganz unmittelbar durch den Quantenzufall gegeben, der etwa bei den chemischen Reaktionen an den Synapsen mitspielt. Ob der Quantenzufall jetzt auch mal gezielt ist oder auch nicht, jegliche präzise Vorausberechenbarkeit macht dieser Zufall unmöglich. Wir können nur zugucken, was passiert. Erklären können wir uns den Mitmenschen nur, wenn wir seine Psychologie gut kennen. Und wenn das nicht reicht, geht es gar nicht.

    @Balanus 19:09 21:13

    „Denn ein beobachteter Zusammenhang – attraktive Menschen sind häufig beruflich erfolgreich – sagt allein noch nichts darüber aus, was Ursache und was Wirkung ist.“

    Das gilt aber nicht bei der roten Ampel. Erst kommt das Rot, dann reagiert der Mensch. Und selbst wenn der Mensch komplett deterministisch reduzierbar wäre: Ohne Rote Ampel kein Bremsen. Eine Fahrschulausbildung oder zumindest eine Kenntnis des Kulturguts Verkehrsregeln, das ist aber auch nötig. Sonst reagiert keiner auf die Ampel.

    Erst bremsen, und dass davon die Ampel auf Rot springt, das geht nicht. Da müsste man selbstfahrende Autos haben, die über 5G mit der Ampel kommunizieren.

  179. @Jeckenburger: Quantenzufall

    Man müsste hier aber noch argumentieren, dass der Indeterminismus auf der grundlegendsten Ebene auf die höheren Beschreibungs- und Erklärungsebenen durchschlägt.

    Oder einmal anders gesagt: Gemäß ihrem Argument alleine dürfte es sonst ja gar keine deterministischen Vorgänge in der Welt geben.

    (Davon abgesehen, dass es in der Diskussion Teilnehmer gibt, die den Indeterminismus für irrelevant oder sogar im Widerspruch zur Willensfreiheit sehen.)

  180. @Schleim 21.09. 17:00

    „Gemäß ihrem Argument alleine dürfte es sonst ja gar keine deterministischen Vorgänge in der Welt geben.“

    Ja doch, wenn sich die Quantenzufälle herausmitteln, wird ihr Effekt mit zunehmender Größe des beschriebenen Phänomens immer kleiner, bis gegen null. Etwa bei der Berechnung von Heizungsanlagen sind die Fluktuationen der Einzelmoleküle gegenüber der Mitteltemperatur irrelevant. Oder bei der Berechnung von Umlaufbahnen von 3 Körpern, hier kommt es sogar zu dem mathematischem determiniertem Chaos, bis aber auf der absolut untersten Stufe womöglich dann doch auch der Quantenzufall wieder übernimmt.

    Aber was in der Praxis maßgeblich ist, da drauf kommt es doch an.

    „…die den Indeterminismus für irrelevant oder sogar im Widerspruch zur Willensfreiheit sehen.“

    Sehe ich teilweise auch so, wesentlich ist die psychologische Eigenlogik. So wie @Stegemann argumentiert: das Makro reguliert das Mikro. Das tut es auch mit Quantenzufall an den Synapsen. Mag sein, dass wenn eine Sache sehr wackelig ist, dass dann der Quantenzufall sogar mal mitentscheidet, aber dann ist es auch egal.

    Wenn hier jetzt noch subtiler geistiger Einfluss im Quantenzufall dabei ist, dann ändert das an der Dominanz der psychologischen Eigenlogik jedenfalls auch nicht viel. Nur etwas mehr Freiheit und zugleich etwas Geborgenheit wäre zu erwarten, aber erstmal rechne ich hier nur mit Inspiration.

  181. @Jeckenburger:

    “Das tut es auch mit Quantenzufall an den Synapsen. Mag sein, dass wenn eine Sache sehr wackelig ist, dass dann der Quantenzufall sogar mal mitentscheidet”

    Das wäre so, als wenn ein Wassertropfen den Ausschlag gäbe, dass ein Fluss seinen Lauf ändert.

  182. @Stegemann 21.09. 20:33

    „Das wäre so, als wenn ein Wassertropfen den Ausschlag gäbe, dass ein Fluss seinen Lauf ändert.“

    Naja, bei einfachen Nervensystemen etwa von kleinen Insekten mag der Zufall dann doch kreativ in den Systemablauf integriert sein, dass der Wassertropfen dann doch etwas mehr bewegen kann. Auch bei uns mag der Zufall dazugehören, wenn er kreativ eingebunden ist. Sparsamkeit ist in der Biologie überall zu beobachten.

    Aber wie gesagt, die psychologische Eigenlogik wird maßgeblich bleiben.

    Die derzeitige Computershiptechnik kann man nicht beliebig verkleinern, irgendwann kommen hier auch Quanteneffekte hinzu, die man erstmal irgendwie verarbeiten müsste. Wenn man hier die Zufälle kreativ einbinden könnte, könnte man die Strukturen dennoch weiter verkleinern.

  183. @Stephan / 21.09.2021, 13:25 Uhr

    »Mir geht es selbst bekanntermaßen um praktische Freiheit; Willensfreiheit im philosophischen Sinne aber über die Unvorhersagbarkeit zu retten, erscheint mir dennoch unbefriedigend.«

    Für ein klassisches deterministisches System (eine “deterministische Welt”) sind zwei Fälle zu unterscheiden: Entweder ist mit Kenntnis eines initialen Zustandes und der determinist. Regeln, welche die dynamische Entwicklung des Systems festlegen, bereits alle Information über zeitlich nachfolgende Zustände gegeben, oder es wird durch die Dynamik im zeitichen Verlauf weitere Information generiert, die in den initialen Daten noch nicht enthalten ist.

    Nur im ersten Fall liesse sich sagen, künftige Zustände seien durch die initialen Daten bereits determiniert, und es stehe von Anfang an fest, was geschehen wird. Und in diesem Fall kann ein Laplacescher Daemon die Information über künftige Zustände auch aus den initialen Daten herauslesen und so die Zukunft vorhersagen. Solche Systeme nennen wir daher auch vorhersagbar. Laplace hatte die zweite Möglichkeit gar nicht in Betracht gezogen, es war ihm nicht vorstellbar, dass determinist. dynamische Systeme Information generieren könnten. Und einem Martin Heisenberg scheint das auch undenkbar, weshalb er meint, den (Quanten-)Zufall bemühen zu müssen, um den Bann der Determinierung zu brechen und so die Freiheit zu retten.

    Heisenberg hätte ausserdem noch das Problem, dass ein Quantenzufall nur ein Feature der Kopnhagener Deutung, aber nicht der Quantenmechanik schlechthin ist. In der Deutung von de Broglie und Bohm ist auch die Quantenmechanik determistisch. Die Beschwörung der Quanten allein erspart uns also keineswegs das Schlamassel.

    Von einer Rettung der Willensfreiheit soll hier auch keine Rede sein. So etwas brauchen wir nicht — das hat Balanus (22.08.2021, 11:16 Uhr) sozusagen erledigt mit seinem Link zu dem Artikel

    Michael Roth, „Warum wir den freien Willen nicht brauchen — Determination und Freiheit schließen sich nicht aus.evangelische aspekte, 28. Jahrgang, Heft 2, Mai 2018.

    An Michael Roths Argumentation habe ich im Grossen und Ganzen nichts auszusetzen, und abgesehen von ein paar Unwesentlichkeiten bei der Wortwahl kann ich mich dem nur anschliessen. Was bleibt ist ist die Frage nach Handlungsfreiheit, die weniger obskur ist.

  184. @Balanus / Nachtrag betr. “Kausale Erklärung”

    Stegmüller nennt andernorts (Erklärung. Begründung, Kausalität, Springer, 2. Aufl. 1983) noch Karl Popper als denjenigen, der “die logische Struktur sogenannter kausaler Erklärungen erstmals klar beschrieben” habe, in seiner Logik der Forschung. Ich finde die entsprechende Stelle in der engl. Übersetzung im Kapitel 12 CAUSALITY, EXPLANATION, AND THE DEDUCTION OF PREDICTIONS.

    Popper distanziert sich da explizit von den Ausdrücken `Ursache’ und `Wirkung’ wie auch von jeglichem `Kausalitätsprinzip’. Hempel & Oppenheim haben mit ihrem Schema von wissenschaftl. Erklärungen unverkennbar bei Popper angeknüpft. Und Stegmüller selbst hat 1960 eine Definition von `kausaler Erklärung’ gegeben, die der von Popper entspricht, ohne jedoch diesen namentlich zu erwähnen; er verweist da nur auf Hempel und Oppemheim.

  185. @Tobias Jeckenburger // 21.09.2021, 15:10 Uhr

    » Sonst reagiert keiner auf die Ampel. «

    Das ist der entscheidende Punkt: Man reagiert (!) auf die Ampel, aus eigener Kraft. So, wie man auf alles Mögliche, was einem widerfährt oder was man wahrnimmt, irgendwie reagieren kann. Eine irgendwie geartete kausale Kraft geht von der Ampel nicht aus. Darauf wollte ich hinaus.

  186. @Chrys // Zwischenbemerkung

    Im Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik lese ich zum Hempel-Oppenheim-Schema:

    Die häufigste Form der Erklärung in der Psychologie ist die Erklärung nach dem Subsumptionsmodell, in dem der zu erklärende Sachverhalt unter ein allgemeines Gesetz subsumiert wird. Dieses deduktiv-nomologische Modell der wissenschaftlichen Erklärung eines Kausalzusammenhangs dient sowohl zur Erklärung von allgemeinen Gesetzmäßigkeiten als auch von einzelnen sprachlich beschreibbaren Ereignissen, und wurde von Carl Gustav Hempel und Paul Oppenheim 1948 vorgeschlagen und ist als Hempel-Oppenheim-Schema in die Wissenschaftstheorie eingegangen.

    (Stangl, 2021).

    Wie passt das mit Deiner Aussage zusammen, dass »Hempel & Oppenheim […] mit ihrem Schema von wissenschaftl. Erklärungen unverkennbar bei Popper angeknüpft [haben]«? Irgendetwas scheint mir hier zu entgehen im Gewirr der Kausalitäten.

  187. @Chrys: Vermischung

    Sowohl mit der Voraussetzung der (1) “Kenntnis eines initialen Zustandes” als auch mit dem (2) Informationsbegriff werden meines Erachtens die Grenzen zwischen epistemischer und ontologischer Ebene vermischt:

    (1) Warum definiert man Determinismus nicht so, dass der Zustand der Welt zum Zeitpunkt t ihren Zustand zu t+1 eindeutig festlegt?

    Chaotische Phänomene zeichnen sich doch gerade dadurch aus, dass man den Anfangszustand nicht hinreichend genau bestimmen kann: Sie erscheinen indeterministisch (epistemisch), selbst wenn sie deterministisch sind (ontologisch).

    (2) Was hat denn Information für einen ontologischen Status? Das ist meiner Meinung nach alles andere als trivial! Der Begriff kommt doch aus der Nachrichtentechnik(?); oder man mag ihn in der Theoretischen Physik wahrscheinlichkeitstheoretisch definieren.

    (3) Zurück zur Ursprungsfrage: Vorhersagbarkeit hat eine praktische Bedeutung (eben die, dass sich t+1 aus t vorhersagen lässt). Aber sowohl deterministische als auch indeterministische Systeme lassen sich – zumindest in Grenzen – vorhersagen: zum Beispiel, wann ein einzelnes Atom zerfällt, ob ein einzelnes Photon am Doppelspalt nach links oder rechts fliegt gegenüber dem Zustand vieler Atome (gibt uns die Zerfallskurve) oder Photonen (gibt uns die Spektralmuster).

    So oder so – ich verstehe nicht, was uns die Vorhersagbarkeit für das philosophische Willensfreiheitsproblem nutzt.

  188. @Balanus / 22.09.2021, 13:48 Uhr

    Im Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik ist bei der Literatur zum Hempel-Oppenheim Schema ja verwiesen auf

    Hempel, C. G., & Oppenheim, P. (1948). Studies in the Logic of Explanation. Philos. Sci., 15(2), 135-175. [PDF]

    Dass man dort auf Popper stossen würde, war mir vorhersagbar. Und siehe, in einer Fussnote auf p. 140 schreiben die Autoren

    A lucid analysis of the fundamental structure of explanation and prediction was given by Popper in [Forschung], section 12, and, in an improved version, in his work [Society], especially in Chapter 25 and in note 7 referring to that chapter.—For a recent characterization of explanation as subsumption under general theories, cf., for example, Hull’s concise discussion in [Principles], chapter I.

    Der letzte Satz bezieht sich dabei auf den Psychologen Clark L. Hull und sein Werk Principles of Behavior (1943). Passt hier ja gerade ganz gut hin. Hilft das weiter?

  189. @Stephan / 22.09.2021, 14:31 Uhr

    Ich erspare mir womöglich einiges an Worten zu “chaotischer Dynamik” mit dem Hinweis auf den SciLogs Beitrag Laplace, die Karnickel und das Chaos von Christoph Pöppe. (Man sieht, der Daemon ist praktisch omnipräsent.)

    ad (1) Man will ja zunächst stochastische Dynamik, wo sukzessive irgendwie “ausgewürfelt” wird, wie es weitergeht, unterscheiden von nicht-stochastischer Dynamik, wo eben nicht “gewürfelt” wird. Letztere wird dann einfach “deterministisch” genannt. Historisch hatte man letztere freilich zuerst — in Gestalt der klass. Mechanik — und Laplace konnte noch gauben, “deterministisch” impliziere auch “determiniert”. Damit lag er falsch, woraus man ihm aber keinen Strick drehen muss, denn das glaubten so ziemlich alle seine Zeitgenossen.

    ad (2) Das hierbei relevante Konzept von Information lässt sich rigoros durch Definition einer geeigneten info.-theoret. Entropie für dynamische Systeme fassen (präziser, für eine grosse Klasse von dynamischen Systemen). Diese Entropie liefert dann sozusagen ein Mass für die Unvorhersagbarkeit eines dynamischen Systems. More to explore bei R. Frigg & C. Werndl (2010) Entropy — A Guide for the Perplexed. (Ist aber nicht ganz trivial, das nur zur Warnung vor dem Click.)

    ad (3) Vorhersagbarkeit ist vor diesem Hintergrund als ein info.theoret. Problem zu sehen. Der Laplacesche Daemon hat nach keinerlei epistemsche Defizite, und wir auch nicht, wenn wir eine hinreichend einfache “Welt” betrachten, wie die von Christoph Pöppe präsentierte “Blätterteig-Welt”, wo wir selbst Daemon spielen können. Diese “Welt” besteht nur aus einem reellen Intervall [0,1) und ihre Dynamik ist durch Iteration einer Selbstabbildung dieses Intervalls vollständig beschrieben. Dann fragen wir uns, wie es um die Vorhersagbarkeit bestellt ist, und versuchen, daraus etwas über verwickeltere “Welten” zu lernen. Wo vielleicht Tiere leben, deren Verhalten man studieren und nach Hinweisen darauf untersuchen kann, ob das wohl seit Erschaffung der Welt bereits determiniert ist oder nicht.

  190. Korr.: Der Laplacesche Daemon hat nach Annahme keinerlei epistemsche Defizite …

  191. @Chrys: Pöppe

    Pöppes Dämon scheint, wenn ich das richtig gelesen habe, nicht das gesamte Wissen über den Anfangszustand zu besitzen; das ist ein anderer Dämon als der, den ich kenne.

    Wie dem auch sei… Es ging hier um Willensfreiheit. Was man mit Unvorhersagbarkeit bzw. Indeterminismus gewinnt, ist mir nicht klar geworden.

  192. @Chrys // 22.09.2021, 18:11 Uhr

    Hilft das weiter?

    Der Link zu Hempel & Oppenheim hat weitergeholfen—denke ich… ;- )

    Es geht H&O darum, was eine wissenschaftliche Erklärung ist, wobei sie sich insbesondere mit dem kausalen Typ beschäftigen.

  193. @Stephan / 22.09.2021, 19:20 Uhr

    Der Daemon in Pöppes Blätterteig-Welt hat alles Wissen, das er nur haben kann. Für die durch Iteration der Blätterteig-Abbildung f erhaltene Dynamik lässt sich auch die Kolmogorov-Sinai Entropie bestimmen; sie beträgt log 2. Das heisst, entlang eines f-Orbits x,f(x),f(f(x)),f(f(f(x))),… wird im Mittel bei jedem Schritt 1 bit an Information generiert, und der Daemon scheitert ergo hier an seiner Aufgabe des Vorhersagens der Zukunft.

    Es ging bei Martin Heisenberg um Determinismus in Konflikt mit Handlungsfreiheit, und dass er folglich den Zufall für den rettenden Ausweg hält. Nun ist Zufall aber nicht Freiheit, siehe M. Roth. Was ihm der Zufall letztlich liefert, ist nur die Unvorhersagbarkeit von stochastischer Dynamik. Und zur Unvorhersagbarkeit baucht es halt nicht notwendig stochastische Dynamik.

  194. @Chrys: Dämonen

    Es ging u.a. um Pöppes Satz:

    …könnte der Dämon diesen Verfall des Wissens nur bewältigen, indem er totale Kenntnis von den Anfangsdaten hätte. (meine Hervorhebung)

    Üblicherweise wird der Dämon so konstruiert, dass er das vollständige (“totale”) Wissen über die Welt zum Zeitpunkt t hat. Wenn er schon daran scheitert, wird die Diskussion über die (Un-)Vorhersagbarkeit der Welt witzlos.

    So oder so: Dass Zufall keinen freien Willen erklärt, ist geschenkt; der Indeterminist sieht darin aber zumindest die prinzipielle Möglichkeit für einen determinierenden Willen. Mit anderen Worten: Wenn die natürliche Welt nicht alles determiniert, könnte für den Menschen (sein Bewusstsein, seinen “Willen”) eine Hintertür offen bleiben. Ich dachte, dass darüber zwischen uns Konsens besteht.

  195. @Wolfgang Stegemann / 21.09.2021, 08:11 Uhr

    Analogien sind oft heikel, können aber auch erhellend sein.

    Die Frage, ob die Gesellschaft das einzelne Individuum beeinflussen kann, ist m. E. nicht einfach mit Ja zu beantworten.

    Wir können die (rote) Ampel als Sinnbild für die Gesellschaft nehmen (sie regelt den gesellschaftlichen Verkehr). In meiner Entgegnung an Tobias Jeckenburger habe ich versucht deutlich zu machen, was ich als das Entscheidende ansehe, nämlich dass es an dem Verkehrsteilnehmer ist, auf die Ampelschaltung irgendwie zu reagieren, sich dazu zu verhalten. Eine kausale Kraft geht weder von der Ampel noch von der Gesellschaft aus, die liegt allein beim handelnden Akteur, dem einzelnen Menschen.

    Für das Individuum ist die ‚Gesellschaft‘ im Grunde einfach nur Teil der Umwelt. Das heißt, so wie die vorherrschende Temperatur das Verhalten der Menschen „beeinflusst“ (der Mensch reagiert auf die Verhältnisse), so können die gesellschaftlichen Verhältnisse das Verhalten der Menschen „beeinflussen“. In einer sehr kleinen Gesellschaft, sprich Horde, existieren womöglich Rangunterschiede, die ebenfalls das Verhalten der Gruppenmitglieder „beeinflussen“. Was aber nichts anderes heißt, als dass das Gruppemitglied sein Verhalten den Gegebenheiten aktiv anpasst. Und wenn das misslingt, kann es auch darüber auch psychisch krank werden.

    Kurzum, man kann, aus meiner Sicht, nicht einfach sagen,
    »das Ganze determiniert immer die Elemente auf der Ebene seiner Einflusssphäre«,
    wenn das „Ganze“ gar keine kausale Kraft besitzt, eben weil es selbst kein Akteur ist, sondern nur das Resultat des Agierens seiner Konstituenten.

    Wahr ist aber auch, dass es ohne das Ganze (die Zelle, der Organismus, die Gruppe, die Gesellschaft) kein entsprechendes Verhalten oder Funktionieren seiner Konstituenten gäbe.

  196. Balanus:

    “Analogien sind oft heikel, können aber auch erhellend sein.”

    Nehmen Sie eine Körperzelle im menschlichen Körper. Sie arbeitet dort nach der Logik einer Zelle, also proteinbildend (und nicht etwa nach der Logik von Organen etc). Im menschlichen Körper aber arbeitet sie nach den ‘Regeln’ des menschlichen Organismus und nicht nach denen des Ein- oder Vielzellers. Sie bildet Proteine im Sinne des menschlichen Organismus. Insofern determiniert der Organismus die Zelle (stoßen Sie sich nicht an dem Begriff ‘determiniert’).
    Genau diesen Sachverhalt beschreibt die kausale Emergenztheorie aus informationstheoretischer Sicht unter Verwendung von Markov-Ketten.

  197. @Stephan / 23.09.2021, 08:03 Uhr

    »Es ging u.a. um Pöppes Satz: …«

    Eine ähnlich missverständliche Formulierung in Pöppes vorausgegangenem Blogbeitrag hatte ich ihm [hier, 19.08.2020, 22:27] schon angekreidet, wo ich den Daemon überhaupt erst ins Spiel gebracht hatte und es zu gewissen Unklarheiten über dessen anzunehmende Fähigkeiten kam. Was mich dann [hier, 22.08.2020, 12:53] nochmals zu einer Klarstellung veranlasst hatte.

    Man darf einen Daemon, dem man totale Kenntnis von den Anfangsdaten zugesteht, nicht verwechseln mit einem Daemon, den man für allwissend hält. Im ersten Fall gesteht man dem Daemon alles theoretisch nur mögliche Wissen über die Anfangsdaten zu; er ist keinen, wie Du es wohl ausdrücken würdest, epistemischen Einschränkungen unterworfen. Pöppe spricht von praktisch statt epistemisch, meint damit aber im Prinzip das gleiche.

    Einem allwissenden Daemon müsste man hingegen sogar theoretisch unmögliches Wissen zugestehen, der kann auch das zufällige Ergebnis, Kopf oder Zahl, von fairen Münzwürfen vorhersagen, sonst wäre er nicht allwissend. Andererseits können die Münzwürfe dann aber nicht fair gewesen sein, wenn das Ergebnis vorhersagbar war — Allwissenheit ist daher inkonsistent. Die Annahme, der Daemon könne die Binärdarstellung einer unberechenbaren Zahl x ∈ [0,1) vorab kennen ist jedoch gleichbedeutend mit der Annahme, er könne das Ergebnis fairer Münzwürfe vorhersagen, denn alle nur vorstellbaren Folgen fairer Münzwürfe lassen sich auch in diesem Intervall als binär codierte Zahlen wiederfinden, mit "Kopf":=0,"Zahl":=1.

    Lange Rede, kurzer Sinn: Die Binärdarstellung unberechenbarer Zahlen ist eine Information, die in den Anfangsdaten schlicht nicht enthalten ist, weshalb der Daemon auch bei totaler Kenntnis der Anfangsdaten diese Information gar nicht haben kann. Das zeigt sich hier gerade daran, dass die Blätterteig-Dynamik eine positive KS-Entropie hat — wäre nämlich diese Information schon in den Anfangsdaten versteckt, dann hätte die KS-Entropie den Wert null und es würde keine neue Information dynamisch generiert.

    »Wenn die natürliche Welt nicht alles determiniert, könnte für den Menschen (sein Bewusstsein, seinen “Willen”) eine Hintertür offen bleiben. Ich dachte, dass darüber zwischen uns Konsens besteht.«

    So ähnlich sieht es wohl auch Martin Heisenberg. Nur meint er offenbar, deterministische Naturgesetze implizierten naturgesetzliche Determiniertheit für alles, was da kreucht und fleucht. Das ist im Lichte gewisser Einsichten aus dem 20. Jhdt aber ein Irrtum, der im übrigen seine Wurzeln im Stoizismus hat, wie Schnädelbach schreibt:

    Die Stoa ist eine Philosophie des kausalen Determinismus, die nach dem Ende der Scholastik, welche weitgehend in platonisch-aristotelischen Bahnen des Denkens verblieben war, das neuzeitliche Verständnis der Natur bestimmen sollte.

    Aber nicht nur Heisenberg, sondern auch manche Philosophen sind über ein stoizistisches Verständnis von Determinismus scheinbar noch immer nicht hinausgekommen und streiten darüber mit antiken Argumenten, ohne dass dabei irgendein Fortschritt zu erwarten wäre.

  198. @Chrys: Philosophie

    Man sieht, wie das ohnehin von Philosophen erdachte Problem der Willensfreiheit einen immer tiefer in den Kaninchenbau führt.

    Wie sich der Dämon (ohnehin nur eine Denkfigur; heute würde man vielleicht sagten: ein Gedankenexperiment) zu unberechenbaren mathematischen Größen verhält und was diese überhaupt über die erfahrbare Welt aussagen, sei ‘mal dahingestellt.

    P.S. Wenn “praktisch” und “epistemisch” das Gleiche bedeuten sollen, dann sollte man vielleicht besser aufpassen.

  199. @Balanus 23.09. 11:49

    „Eine kausale Kraft geht weder von der Ampel noch von der Gesellschaft aus, die liegt allein beim handelnden Akteur, dem einzelnen Menschen.“

    Praktisch ist das ziemlich egal. Wir brauchen eine vernünftige Ampelschaltung genauso wie überhaupt eine vernünftig gestaltete Gesellschaft um vernünftig leben zu können. Natürlich muss das Individuum auch reagieren und seinen Teil beitragen, und das tut es auch, mehr oder weniger.

    Die rote Ampel ist genau dann quasi kausal, wenn die Autofahrer wie selbstverständlich reagieren und bremsen. In Ländern, wo man sich wenig an Verkehrsregeln hält, ist die Ampel dann auch tatsächlich nur noch eingeschränkt wirksam.

    Wenn ich jetzt selbstfahrende Autos habe, die über 5G noch direkt mit der Ampelschaltung verbunden sind, dann wird das Auto und die Ampel ein einziges organisierendes System, das man gar nicht mehr richtig trennen kann. Von mir aus kann man das mit menschlichen Fahrern auch so sehen, so bilden alle Autofahrer zusammen in Zusammenarbeit mit Ampeln und sonstigen Verkehrsregeln ein System, das den gesamten Straßenverkehr als kollektives Geschehen realisiert.

    Der Stadtverkehr ist schon ein kollektives Phänomen, vergleichbar mit dem Blutkreislauf in Organismen. Ampeln sind hier zentrale Elemente, die Gewohnheiten der Fahrer aber auch. Wenn eine entscheidende Ampel mal ausfällt, hat das weitreichende Folgen, genauso wie wenn ein Fahrer einen Unfall baut und eine wichtige Straße blockiert ist.

    Wenn Sie das nicht kausal nennen möchten, bitte. Das ändert aber nichts an der realen Wirksamkeit von realen Ampeln.

    „wenn das „Ganze“ gar keine kausale Kraft besitzt, eben weil es selbst kein Akteur ist, sondern nur das Resultat des Agierens seiner Konstituenten. „

    Die teilweise ausgetüftelten Ampelschaltungen sind doch von konkreten Akteuren in Form von Menschen in der Stadtverwaltung konstruiert worden, mit dem ganz klaren Ziel, den Stadtverkehr flüssiger zu machen. Und ohne eine Polizei, die Bußgelder und Punkte in Flensburg verhängt und damit durchaus ebenso als Akteur zu sehen ist, würde wohl auch der Autofahrer nicht hinreichend auf Ampeln reagieren.

    Wir haben hier eben Akteure, die ganz bewusst im Sinne des Funktionierens des ganzen Stadtverkehrs handeln. Und Autofahrer, die das mitmachen, zumindest mehr oder weniger, und nicht immer freiwillig.

  200. @Stephan / 23.09.2021, 16:31 Uhr

    Ein Laplacescher Daemon wäre aus heutiger Sicht einfach ein idealer Rechner und wird als griffige Allegorie halt gerne heranzitiert, wo es um Determinismus und Vorhersagbarkeit geht. Wer darin erstmal einen “Daemon” zu erblicken meinte, ist mir nicht bekannt. Anzumerken wäre vielleicht aber noch, dass der Daemon Vorfahren hat und letztlich wohl vom stoizistischen Lógos abstammt, siehe etwa hier.

    Den Daemon als solchen kannst Du auch weglassen, wenn er Dir nicht behagt; die Problematik eines Kurz- oder Fehlschlusses von deterministischenen Naturgesetzen auf naturgesetzliche Determinierung ist davon nicht tangiert. Und wenn Du dabei unbedingt `epistemisch’ und `ontologisch’ hineinbringen willst, dann bitte wenigstens konsequent. Wenn jemand sagt, “Die dynamische Entwicklung dieses Systems geschieht nach deterministischen Regeln“, so gehört das in die ontische Kiste. Sagt er indes, “Künftige Zustände des Systems sind durch seinen aktuellen Zustand vollständig determiniert,“, dann wäre das ein epistemisches Statement, denn damit wird ein prinzipielles Wissen über etwas behauptet, das aktuell noch gar nicht vorliegt. Die Behauptung der Determinierung künftiger Zustände ist folglich nicht mehr und nicht weniger als die Behauptung der Vorhersagbarkeit der Zukunft aus dem aktuell Vorfindlichen. Mit anderen Worten, die Information über einen beliebigen künftigen Zustand wird dabei als in jedem füheren Zustand bereits vorhanden behauptet. In dieser Formulierung wird zumindest andeutungsweise das Problems erkennbar als ein info.-theoretisches.

    Mich verwundert etwas Deine Verwunderung über “unberechenbare mathematische Größen” und was die gegebenenfalls mit einer “erfahrbaren Welt” zu tun haben könnten. Bist Du inzwischen tatsächlich unter dem Eindruck, in einer berechenbaren erfahrbaren Welt zu leben???

  201. Determinismus

    Wir leben nicht in einem geschlossenen mechanischen System. Von daher ist der Weltverlauf am besten als Markov-Prozess beschreibbar, also als Abfolge von Wahrscheinlichkeiten. Schließlich sagen die Naturgesetze lediglich, wie etwas geschieht – und das in idealisierter Form -, aber nicht wann und ob. Der Apfel fällt nach Newtons Gravitationsgesetzt vom Baum, aber dieses sagt nicht, wann er fällt oder ob er überhaupt fällt. Aus den Naturgesetzen lässt sich also kein stoizistischer Determinismus ableiten. Von daher wäre jeder ‘Dämon’ dumm. Aber ich denke, dass das allen klar ist, oder?

  202. @Stegemann 25.09. 15:20

    „Von daher ist der Weltverlauf am besten als Markov-Prozess beschreibbar, also als Abfolge von Wahrscheinlichkeiten.“

    Sehe ich auch so.

    Das müsste schon im Quantenzufall so laufen. Wenn ich mir etwa eine Digitalkamera ansehe, die gerade ein Video aufnimmt: Die einlaufenden Lichtwellen erzeugen auf den Pixeln des Aufnahmechips das Herausschlagen einzelner Elektronen, die dann von dem Auszählprozess zum Ende jedes Einzelbildes gezählt werden und dann als Zahlenwert in der Bilddatei abgespeichert werden.

    Das Herausschlagen der Elektronen selbst erfolgt nach Quantenzufall, und ist als Einzelprozess nicht vorhersehbar, nur die Wahrscheinlichkeiten sind gegeben. Die Ordnung des ganzen Chips zählt die Pixelwerte der gesamten Bilddatei gleichzeitig, und diese werden gemeinsam schön ordentlich sortiert in den Einzelbildern der Videosequenz dann abgespeichert.

    Interessant finde ich hieran, dass sich die Wirklichkeit von Einzelbild zu Einzelbild gleichzeitig weiterbewegt, während das ganze Video aufgenommen wird.

    In jeder neuen Auszählrunde entstehen spontane Quantenzufälle, die vor der Aufnahme noch unbestimmt waren, im Auszählprozess konkret werden, und danach nicht mehr geändert werden können.

    Genau so stelle ich mir nicht nur Videoaufnahmen vor, sondern auch den Fortschritt der ganzen Wirklichkeit. So werden etwa in der Zellchemie keine Dateien aufgenommen, aber auch hier sind in jeder einzelnen Chemischen Reaktion Quantenzufälle unterwegs, die zunächst unbestimmt sind, dann im Moment der Gegenwart konkret werden und hinterher als Vergangenheit feststehen.

    Eben diese Gegenwart ist ein kosmischer Prozess, der durch die Zeiten wandert, und ständig Zukunft in Vergangenheit verwandelt. Ich denke, dass dieser Verwandlungsprozess im ganzen Kosmos „gleichzeitig“ stattfinden muss. Wenn hier manche Stellen benachbarten Stellen vorauseilen würden, käme alles durcheinander.

    Die Relativitätstheorie kennt zwar keine allgemeine Gleichzeitigkeit, aber die brauchen wir auch gar nicht. Es genügt etwas das Bezugssystem, in dem die kosmische Hintergrundstrahlung isotrop ist, damit hier ein geordnetes Abwickeln der Quantenzufallsprozesse ablaufen kann. Genau entlang dieses Bezugssystems kann der beschriebene Wirklichkeitsprozess dann ablaufen, ohne das hier Vergangenheit und Zukunft durcheinander geraten.

    „Von daher wäre jeder ‘Dämon’ dumm. Aber ich denke, dass das allen klar ist, oder?“

    Zunächst mal ja. Der Dämon könnte eben die Vergangenheit nur immer bis zu den Ergebnissen der aktuellen Gegenwart kennen. Wenn der Gegenwartsprozess an einem zukünftigem Zeitpunkt noch nicht angekommen ist, ist keine Vorhersage möglich. Erst danach steht die Wirklichkeit als Vergangenheit fest.

    Was jetzt vielleicht möglich ist, wäre dass dieser Dämon den Quantenzufall im Rahmen der physikalischen Wahrscheinlichkeiten auf bestimmte Ziele hin auszurichten kann. Das geht aber auch immer nur im allgemeinen Gegenwartsprozess, und wenn dieser gezielte Zufall sinnvoll sein soll, dann braucht es eine Art Zukunftsvorplanung, die dann eben für sich irgendwie laufen muss, neben dem physikalischem Geschehen. Diese Vorplanung wäre sozusagen göttlich, ich bevorzuge dafür den Begriff „Kosmischen Geist“.

    Wir als Bewusstsein von biologischen Wesen wären an diesem Kosmischem Geist, der sich u.a. mit Zukunftsvorplanung beschäftigt, eventuell direkt beteiligt.

    Und wir wären sowieso alle gemeinsam in der selben Gegenwart unterwegs durch die Zeiten, um Zukunft in Vergangenheit zu verwandeln.

  203. @Chrys // 20.09.2021, 18:29 Uhr

    Martin Heisenbergs Plädoyer für die Freiheit

    Bin noch gar nicht dazugekommen, zu antworten.

    » Man könnte auch sagen: Plädoyer für die Ursachenlosigkeit. Und es wäre vieleicht nicht so verkehrt, wenn davon etwas erkennbar auf Dich abfärben würde. «

    Auf der Ebene elementarer Vorgänge habe ich mit der Ursachenlosigkeit kein Problem. Aber dass Verhaltensmodule ursachenlos, also ohne Anstoß von außen, aktiviert werden können, heißt ja nicht, „dass diese Aktivierung keine physiologischen Ursachen hätte“ (M. Heisenberg 2007).

    In den medizinischen Wissenschaften kann man m. E. auf das Prinzip der kausalen Verursachung/Erklärung kaum verzichten (siehe z. B. das Springer-Lehrbuch zu den Forschungsmethoden in der Psychologie von Hussy et al.), desgleichen in der Biologie. Inwieweit man dabei dennoch auf die Rede von Ursachen verzichten kann, sei mal dahingestellt.

    »Inzwischen hat sich erwiesen, dass deterministische Systeme eine ebenso unvorhersagbare Dynamik zeigen können wie stochastische.«

    Der entscheidende Punkt bei M. Heisenberg scheint mir nicht die „unvorhersagbare Dynamik“ zu sein (das ist eher eine Begleiterscheinung), sondern der Umstand, dass elementare Zufallsprozesse an/in den Nervenzellen die Voraussetzung dafür sind, dass der Organismus (genauer: das Gehirn) aus sich heraus Verhalten (Aktionen, Handlungen) generieren kann. Ohne diesen basalen Zufall wäre Autonomie aus rein biophysikalischen Gründen gar nicht möglich.

    Es geht also nicht darum, mittels Quantenzufall die (philosophische) Willensfreiheit zu retten, sondern um eine wissenschaftlich begründete Erklärung, wie im Rahmen physikalischer Gesetzmäßigkeiten autonomes, freies Verhalten oder Handeln möglich ist.

    Bei alledem spielt es überhaupt keine Rolle, wie man die Quantenmechanik deutet, die basalen stochastischen Prozesse sind wie sie sind. Kein „Schlamassel“, nirgends… ;- )

  204. @Balanus:

    „ … der Umstand, dass elementare Zufallsprozesse an/in den Nervenzellen die Voraussetzung dafür sind, dass der Organismus (genauer: das Gehirn) aus sich heraus Verhalten (Aktionen, Handlungen) generieren kann. Ohne diesen basalen Zufall wäre Autonomie aus rein biophysikalischen Gründen gar nicht möglich.“

    Hier zeigt sich der ganze reduktionistische Unsinn. Soll das heißen, dass zufällige Prozesse in der Zelle entscheiden, ob ich spazieren gehe oder ein Buch lese? Wer soll das glauben? Oder heißt es, dass zufällige Prozesse in der Zelle dafür sorgen, dass ich überhaupt lebe? Ab dem Übergang zum Leben haben wir es mit zyklischen Reaktionen zu tun, und die sind keineswegs zufällig, sondern folgen dem immer gleichen Muster. Die unterste Ebene dieser strukturierten Muster namens Leben ist die Zelle. Wer also sorgt für die Strukturierung, wer macht aus zufälligen Prozessen Zyklen? Genau: die Zelle. Sie ist also der Taktgeber für alle Prozesse auf Zellebene. Das wiederholt sich auf allen emergenten Ebenen: Vielzeller (bzw. Gewebe), mehrzellige Strukturen (Organe) oder der gesamte Organismus.
    Der Zufall spielt auf der Ebene des Lebens also immer nur als äußerer Zufall eine Rolle [womit wir übrigens wieder bei der Evolution wären], also etwa, welches genetisches Mosaik wird mir mit welchen epigenetischen Anteilen in die Wiege gelegt, oder anders: habe ich gute oder schlechte Karten, oder, in welcher Gesellschaft mit welchen Strukturen und in welchen familiären Beziehungen wachse ich auf etc.pp.
    Seit sich Leben als selbstorganisierendes Prinzip herausgebildet hat, strukturiert es die es konstituierenden Elemente, und nicht umgekehrt.

  205. @Wolfgang Stegemann / 23.09.2021, 13:32 Uhr

    » Im menschlichen Körper aber arbeitet sie [die Zelle] nach den ‘Regeln’ des menschlichen Organismus und nicht nach denen des Ein- oder Vielzellers. «

    Was für ‚Regeln‘ sollen das sein? Jeder komplexe Organismus beginnt seine durch die DNA determinierte Entwicklung als Einzeller. Und welche Proteine wann gebildet werden, determiniert natürlich auch die DNA.

    » Sie [die Zelle] bildet Proteine im Sinne des menschlichen Organismus. Insofern determiniert der Organismus die Zelle (stoßen Sie sich nicht an dem Begriff ‘determiniert’).«

    Das ist teleologisch gedacht, vom Ende her. Aber das hat auf die Abfolge der natürlichen Prozesse und das resultierende Ergebnis keinen Einfluss. Das läuft in der Natur völlig anders als z.B. im Bauwesen oder in der Autoindustrie. Dort bestimmen die Konstrukteure, welche Materialien wie verbaut werden.

  206. @Tobias Jeckenburger // 24.09.2021, 00:16 Uhr

    »Die rote Ampel ist genau dann quasi kausal, wenn die Autofahrer wie selbstverständlich reagieren und bremsen. «

    Das lasse ich gelten: „quasi kausal“ ;- ).

    Wobei rotes Licht natürlich durchaus richtig kausal wirksam sein kann. Aber eben nicht, wenn es bloß ein Zeichen darstellt und gelesen und verstanden werden muss.

    » Wenn ich jetzt selbstfahrende Autos habe, die über 5G noch direkt mit der Ampelschaltung verbunden sind, dann wird das Auto und die Ampel ein einziges organisierendes System, das man gar nicht mehr richtig trennen kann. «

    Das scheint mir eine völlig andere Situation zu sein. Man könnte Autos auch per Funksignal stoppen. Oder über ein Lichtsignal (infrarot ginge da auch). Das hat mit der ursprünglichen Frage nach der kausalen Wirkung einer roten Ampel auf den Autofahrer nichts mehr zu tun.

  207. @Wolfgang Stegemann // 26.09.2021, 13:26 Uhr

    » Soll das heißen, dass zufällige Prozesse in der Zelle entscheiden, ob ich spazieren gehe oder ein Buch lese? «

    Nein, das soll heißen, dass es ohne diese basalen Zufallsprozesse für einen Organismus gar nicht möglich wäre, autonome Entscheidungen zu treffen.

    » Ab dem Übergang zum Leben haben wir es mit zyklischen Reaktionen zu tun, und die sind keineswegs zufällig, sondern folgen dem immer gleichen Muster. «

    Aber die funktionieren eben nicht wie ein Uhrwerk. Wie lange ein Hormon an seinen Rezeptor bindet, oder wie lange ein Vitamin an ein Enzym, oder wie lange ein Ionenkanal in der Nervenzellmembran geöffnet bleibt, das ist unbestimmt, also vom Zufall abhängig, da geht es um Wahrscheinlichkeiten.

    Aber das nur am Rande, worum es hier geht, ist ja die erstaunliche Fähigkeit mancher Organismen, sich frei und selbstbestimmt, aus eigenem Antrieb heraus, durch die Landschaft bewegen zu können. Dazu brauchen sie das Nervensystem (Pflanzen und Pilze haben so etwas nicht). Kennzeichnend für Nervensysteme sind spontan entstehende Aktionspotentiale. Ohne solche spontanen (zufälligen) Aktivitäten könnte ein Nervensystem seine Funktion(en) wohl nicht erfüllen.

    »Seit sich Leben als selbstorganisierendes Prinzip herausgebildet hat, strukturiert es die es konstituierenden Elemente, und nicht umgekehrt.«

    Wie das? Erst konstituieren die Elemente lebende Systeme, und dann werden die konstituierenden Elemente vom lebenden System strukturiert?

    Nein, dafür gibt es keinerlei empirische Befunde. Was wir sehen, ist, dass bei ausreichender Energiezufuhr die intrazellulären Prozesse (des „Lebens“) am Laufen gehalten werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Zelle alleine existiert oder im Zellverband innerhalb eines komplexen Organismus.

    Wenn die sich selbst regulierende intrazelluläre Maschinerie durch äußere oder innere Ereignisse gestört wird, dann kann die Zelle ihre Funktion im Organismus nicht mehr erfüllen und geht womöglich zugrunde.

    Die maximale Störung wäre, wenn dem Organismus (als Ganzes) ein fatales Ereignis (tödlicher Unfall) zustoßen würde. Wenn die Energiezufuhr irreversibel ausfällt, dann sterben sämtliche Zellen nach und nach ab.

    Kurzum: „Leben“ entsteht, entwickelt und organisiert sich ausschließlich bottom-up. Wohl aber kann es zugrunde gehen, wenn zentrale Bereiche oder Strukturen des Ganzen dysfunktional werden. Sterben geht auch top-down.

  208. @Balanus:

    “Erst konstituieren die Elemente lebende Systeme, und dann werden die konstituierenden Elemente vom lebenden System strukturiert?”

    Ganz genau.

    “Nein, dafür gibt es keinerlei empirische Befunde.”

    Wie soll es denn dafür empirische Befunde geben, wie sollten die denn aussehen? Reduktionismus wie Emergentismus interpretieren erst empirische Befunde.

    “Kennzeichnend für Nervensysteme sind spontan entstehende Aktionspotentiale. Ohne solche spontanen (zufälligen) Aktivitäten könnte ein Nervensystem seine Funktion(en) wohl nicht erfüllen.”

    Woher wissen Sie, dass es zufällig ist? Aber mal ehrlich, wie sollen denn zufällige Prozesse zielgerichtetes Verhalten hervorbringen? Sie können solche Fragen nur beantworten, wenn Sie verschiedene Emergenzebenen ins Spiel bringen und dort die jeweilige Arbeitslogik identifizieren. Ansonsten geht alles durcheinander und am Ende kommen dann solche Statements heraus, dass alles zufällig ist.

  209. @Balanus / 26.09.2021, 11:24 Uhr

    »Auf der Ebene elementarer Vorgänge habe ich mit der Ursachenlosigkeit kein Problem.«

    Wie verträgt sich das jetzt mit der von Dir so geschätzten These von der “kausalen Abgeschlossenheit der Welt”? Wenn Du nämlich “kausal” da noch immer mit “Ursache-Wirkung” interpretierst, steht die These offenbar doch in Konflikt mit Deiner Akzeptanz von Ursachenlosigkeit. Irgendwas musst Du opfern — die These oder die “Ursachen” — wenn Du konsistent bleiben willst.

    Hussy et al. geben keine Begriffsbestimmung von “Ursache”, wie es für einen wissenschaftl. Begriff geboten wäre. Da wird nur auf das umgangssprachl. Vorverständnis dieses Wortes gebaut, was für die Anforderungen an wissenschaftl. Sprache und Terminologie jedoch völlig unzureichend ist.

    Dass Karl Popper erstmals das logische Grundmuster des kausalen Erklärens erfasst und in Logik der Forschung beschrieben hat, ist eine Take-Home Message, die eigentlich zum Basiswissen jener gehören sollte, die beim Thema “wissenschaftl. Erklären” mitreden wollen. Bei Hussy et al. ist diese Message aber in keiner mir erkennbaren Weise angekommen zu sein.

    »Der entscheidende Punkt bei M. Heisenberg scheint mir nicht die „unvorhersagbare Dynamik” zu sein (das ist eher eine Begleiterscheinung), sondern der Umstand, dass elementare Zufallsprozesse an/in den Nervenzellen die Voraussetzung dafür sind, dass der Organismus (genauer: das Gehirn) aus sich heraus Verhalten (Aktionen, Handlungen) generieren kann. Ohne diesen basalen Zufall wäre Autonomie aus rein biophysikalischen Gründen gar nicht möglich.«

    Du verwechselst hier nach meinem Eindruck `randomness‘ mit `chance. Was Du allenfalls phänomenal beobachten kannst, ist augenscheinliche Randomness bei einer Abfolge von Ereignissen, und zwar immer dann, wenn Dir diese Abfolge irregulär und unvorhersagbar erscheint. Randomness kann aber auch durch deterministische Regeln (Gesetzmässgkeiten) hervorgebracht sein und impliziert in keiner Weise Deine »basalen stochastischen Prozesse«.

    Das gilt auch für die Quantenmechanik. Die indeterministische Kopenhagener Deutung der QM darf nicht mit der QM schlechthin werwechselt werden, nur weil sie die populär geläufigste Interpretation der QM ist.

  210. @Wolfgang Stegemann // 26.09.2021, 18:35 Uhr

    » Reduktionismus wie Emergentismus interpretieren erst empirische Befunde. «

    Ok, schau‘n mer mal…

    Empirischer Befund: Das begeißelte Bakterium Escherichia coli bewegt sich mittels rotierender Geißeln im nährstofffreien Medium scheinbar ziellos umher.

    „Reduktionistische“ Erklärung 1: Die Drehrichtung der molekularen Rotationsmotoren der Geißeln ändert sich alle paar Sekunden, was jeweils mit einem Richtungswechsel verbunden ist.

    „Emergentistische“ Erklärung 1: ???

    „Reduktionistische“ Erklärung 2: Die zufällig erscheinende Änderung der Drehrichtung der molekularen Rotationsmotoren beruht auf quantenmechanischen Vorgängen.

    „Emergentistische“ Erklärung 2: ???

    » Aber mal ehrlich, wie sollen denn zufällige Prozesse zielgerichtetes Verhalten hervorbringen? «

    E. coli zeigt, wie das geht ;- )

    Es beginnt mit einem ziellosen Herumsuchen (per zufälligen Taumelbewegungen) und geht bei Sucherfolg, wenn sich die internen Zustände aufgrund des äußeren Nährstoff-Stimulus geändert haben, über in eine zielgerichtete Geradeausbewegung.

    Im Gehirn kommt der “richtungsweisende Stimulus” nicht von außen, sondern aus anderen Bereichen des Hirns (bekanntlich ist ja das Gehirn hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt). Am Ende steht dann die zielgerichtete Aktion.

  211. @Balanus:

    “Die zufällig erscheinende Änderung der Drehrichtung der molekularen Rotationsmotoren beruht auf quantenmechanischen Vorgängen.”

    Die Quantenmechanik spielt auf dieser Ebene keine Rolle. Da liegen einige Größenordnungen dazwischen.

    “Es beginnt mit einem ziellosen Herumsuchen (per zufälligen Taumelbewegungen) und geht bei Sucherfolg, wenn sich die internen Zustände aufgrund des äußeren Nährstoff-Stimulus geändert haben, über in eine zielgerichtete Geradeausbewegung.”

    Das hat nichts mit Zufall, sondern mit einer Strategie zu tun, man kann sie random walk nennen.

    Emergenz hieße hier, falls man den Begriff in diesem Zusammenhang verwenden möchte, dass die Handlungen vom Subjekt und nicht von seinen Elementen ausgeführt werden, und schon gar nicht (rein) zufällig.
    Nach Ihrem Verständnis müsste die belebte Welt und alle ihre Prozesse auf reinem Zufall basieren. Letztlich also auch Beethovens Neunte. Es müsste also ein intelligenter Zufall sein, nicht weil er etwas Schönes produziert hätte (Schönheit ist subjektiv), sondern etwas Strukturiertes, das mit allen anderen (zufälligen) Strukturen perfekt zusammenpasst. Eine Tautologie also, es sei denn, in jedem Quantum sitzt der liebe Gott.

  212. @Chrys: EpistemOntologie

    Schau, wie konträr Meinungen sein können:

    Wenn jemand sagt, “Die dynamische Entwicklung dieses Systems geschieht nach deterministischen Regeln“, so gehört das in die ontische Kiste. Sagt er indes, “Künftige Zustände des Systems sind durch seinen aktuellen Zustand vollständig determiniert,“, dann wäre das ein epistemisches Statement, denn damit wird ein prinzipielles Wissen über etwas behauptet, das aktuell noch gar nicht vorliegt.

    Ich sehe es gerade anders, denn Regeln (wie Naturgesetze) sind Konstrukte, mit denen wir Sachverhalte/Prozesse in der Welt fassen wollen.

    Und wo bitteschön setzt man notwendigerweise Wissen vom zukünftigen Zustand voraus, wenn man diesen deterministisch nennt?!

    Das Chaospendel ist doch deterministisch – und trotzdem wissen wir den Ausgang vorher nicht.

    Die Behauptung der Determinierung künftiger Zustände ist folglich nicht mehr und nicht weniger als die Behauptung der Vorhersagbarkeit der Zukunft aus dem aktuell Vorfindlichen.

    Mitnichten: Ich kann aus den Randbedingungen eine Eigenschaft des Zustands ableiten (z.B. determiniert zu sein), auch wenn ich den Zustand selbst gar nicht weiß (z.B. aufgrund von Komplexität oder Messungenauigkeit nicht berechnen kann).

    Ich fürchte, so kommen wir nicht weiter.

  213. @Balanus 26.09. 14:01 / 14:53 / 17:18

    „Man könnte Autos auch per Funksignal stoppen.“

    Genau das macht auch die Ampel, wenn es plangemäß funktioniert. Ob ich jetzt eine Ampelsteuerung baue, die per Lichtsignal ein Autonomes Fahrzeug zum Bremsen bringt, oder einen menschlichen Fahrer, das ist wirklich fast dasselbe. Genauso wie ein Mensch sich mal weigert, zu bremsen, könnte auch ein autonomes Fahrzeug die Ampel ingnorieren, etwa weil es ein Rettungsfahrzeug im Einsatz ist.

    „Das läuft in der Natur völlig anders als z.B. im Bauwesen oder in der Autoindustrie. Dort bestimmen die Konstrukteure, welche Materialien wie verbaut werden.“

    Das Wesen der Industrie sind die Baupläne, die von den Entwicklungsabteilungen konstruiert wurden. In der Natur gibt es genauso Baupläne, die allerdings in der Evolution entstanden sind. Aber gemeinsam ist hier, dass alles nach Plan zusammengebaut wird.

    „Kurzum: „Leben“ entsteht, entwickelt und organisiert sich ausschließlich bottom-up.“

    Das Zufallsprinzip ist in der sexuellen Fortpflanzung ein ganz wesentliches Element. Wir sind so gebaut, dass wir zufällig zusammengewürfelte Gene kreativ in einen individuellen Organismus umsetzen. Diese Grundflexibilität ist zusammen mit dem Wesen der Gene als Baupläne der Kern unserer Lebensfähigkeit. Hier wird ganz viel aus dem System heraus reguliert. Und wenn das mal nicht funktioniert, wird es ganz schnell ungesund.

    Das hat eine gewisse Ähnlichkeit mit Betriebssystemen von Computern, ist nur noch viel komplexer und flexibler.

    Auch unser laufendes Gehirn hat vermutlich einfach schon deswegen mit Zufall zu tun, weil die Strukturen in den Nervenzellen so klein sind, dass hier Quantenzufall unvermeidlich ist. Ich kann mir gut vorstellen, dass dieses kreativ genutzt wird, etwa in Form von Suchbewegungen bei der Suche nach mentalen Lösungen.

    Aber wesentlich ist doch die Vernunft dessen, was am Ende dabei herauskommt, wenn es gut läuft. Die Eigenlogik der eigenen Ziele, die in jeder erdenklichen Situation jeweils zielführende Lösungen sucht und meistens auch findet, die bestimmt uns und unser Verhalten. Und das ist der Kern unserer Freiheit.

    Dass Quantenzufall schon eine physikalische Determiniertheit unmöglich macht, ist ein netter Zusatz.

    Wenn wir teildeterminiert und nur eingeschränkt frei sind, dann durch rote Ampeln und andere Zwänge, die gesellschaftlicher oder auch physikalischer Natur sein können. Fliegen können wir nicht, und um die Steuer kommen wir auch nicht leicht drumrum. Überhaupt gibt es nur ein eingeschränktes Leistungsspektrum des Menschenmöglichen, was meistens so selbstverständlich ist, das es nicht so auffällt.

  214. @Stephan / 27.09.2021, 17:42 Uhr

    Dann schau doch mal, was John Earman dazu sagt. In [*], Sec. 3.9, sorgt er sich auch um diverse Verwechselungen und schreibt:

    Perhaps by taking Laplace’s vision too literally, philosophers and physicists alike conflate determinism and predictability. The conflation leads them to reason as follows: here is a case where predictability fails; thus, here is a case where determinism fails. This is a mistake that derives from a failure to distinguish determinism — an ontological doctrine about how the world evolves — from predictability — an epistemic doctrine about what can inferred, by various restricted means, about the future (or past) state of the world from a knowledge of its present state.

    Es ist doch völlig einerlei, ob ich sage, “Künftige Zustände dieses Systems sind durch die Regeln seiner Dynamik und seinen aktuellen Zustand vorherbestimmt (determiniert),” oder “Künftige Zustände dieses Systems sind aus der Kenntnis der Regeln seiner Dynamik und seines aktuellen Zustandes vorhersagbar.” In beiden Fällen wird behauptet, die Information über irgendeinen künftigen Zustand sei in den initialen Gegebenheiten bereits komplett enthalten, und die Dynamik produziert beim Übergang zwischen zwei Zuständen keine neue Information.

    Wenn jemand nicht die (vollständige) Kenntnis des aktuellen Systemzustand hat, dann liegt ein individuelles Defizit an dem für eine Vorhersage als erforderlich behaupteteten Wissen vor. Das ändert aber nichts an der Behauptung von Vorhersagbarkeit. Die besagt ja nur: Wenn die Kenntnis des Gegemwärtigen gegeben ist, dann ist daraus das Zukünftige vorhersagbar.

    [*] John Earman (2006) Aspects of Determisism in Modern Physics. In: Handbook of the Philosophy of Science. Vol. 2: Philosophy of Physics. Elsevier, Amsterdam. [PDF]

  215. @Chrys // 27.09.2021, 11:42 Uhr

    » Wie verträgt sich das jetzt mit der von Dir so geschätzten These von der “kausalen Abgeschlossenheit der Welt”?«

    Ich unterscheide offenkundig zwischen einer „Quantenwelt“ und der Welt der klassischen Physik, quasi unserer erfahrbaren „Lebenswelt“. Soviel Freiheit muss sein…

    »Du verwechselst hier nach meinem Eindruck `randomness‘ mit `chance‘.«

    Zufälligkeit mit Zufall? (Oder wie würde man das auf Deutsch formulieren?)

    »Was Du allenfalls phänomenal beobachten kannst, ist augenscheinliche Randomness bei einer Abfolge von Ereignissen, …«

    Schön, ich beobachte also eine zufällige Abfolge von Ereignissen wie z. B. das (irreguläre, nicht vorhersagbare) Öffnen und Schließen von Ionenkanälen durch spontane Konformationsänderungen.

    Beschreiben lässt sich das wohl durch eine Wahrscheinlichkeitsfunktion, ähnlich wie beim radioaktiven Zerfall. Laut SEP hätten wir es also mit „Chance“ zu tun.

    Ich frage mich, was hätte es denn für Konsequenzen für unser Selbstverständnis und die Handlungsfreiheit, wenn dieses biophysikalische Grundrauschen deterministischen Regeln folgte und nicht stochastischen Ereignissen zuzuschreiben wäre? Würde es einen Unterschied machen?

  216. @Wolfgang Stegemann // 27.09.2021, 14:17 Uhr

    »Die Quantenmechanik spielt auf dieser Ebene keine Rolle. Da liegen einige Größenordnungen dazwischen.«

    Das sehen andere anders (Stichwort: Quantenchemie).

    »Das hat nichts mit Zufall, sondern mit einer Strategie zu tun, man kann sie random walk nennen.«

    Man nennt das Ergebnis der zufallsbedingten Richtungsänderungen des Bakteriums auch „random walk“, das stimmt. Und man kann das Ganze auch als „Strategie“ sehen, als eine einfache Form „intelligenten Verhaltens“. Das ist ja im Grund der Witz bei dieser Geschichte.

    » Emergenz hieße hier, falls man den Begriff in diesem Zusammenhang verwenden möchte, dass die Handlungen vom Subjekt und nicht von seinen Elementen ausgeführt werden, und schon gar nicht (rein) zufällig.«

    Sind wir noch bei dem Bakterium? Ich fragte doch nach einer emergentistischen Erklärung des random walks bei E. coli.

    »Nach Ihrem Verständnis müsste die belebte Welt und alle ihre Prozesse auf reinem Zufall basieren. Letztlich also auch Beethovens Neunte. «

    Nochmal: Rein zufällig sind z. B. die spontanen Konformationsänderungen vieler Biomoleküle. Gäbe es die nicht, ich wüsste nicht, wie „Leben“ sonst möglich wäre.

    Was Beethovens Neunte betrifft: Gerade von Komponisten hört man oft, dass ihnen die Idee zu einem Musikstück „zugefallen“ ist.

  217. @Balanus:
    Wir können wochenlang weiter diskutieren. Am Ende läuft es immer auf dasselbe hinaus: ich sage, die kausale Kraft geht vom System aus, Sie sagen, sie geht vom Element aus. Ich sage, das Gehirn trifft Entscheidungen (mal bewusst, mal unbewusst), Sie sagen, es sind Aktionspotentiale. Ich sage, der random walk von E. coli geht vom Organismus aus (genetisch ‚hinterlegt‘), Sie sagen, er ist ein Zufallsprodukt der Drehrichtung der molekularen Rotationsmotoren, etc.pp.
    Ich ziehe eine Linie zwischen unbelebter und belebter Materie unterhalb der Zellebene, Sie machen diesbezüglich keinen Unterschied hinsichtlich Kausalität und Determinismus.
    Übrigens emanzipiert sich die Emergenztheorie immer mehr von der ‚bloß‘ philosophischen Idee hin zu naturwissenschaftlichen Ansätzen, z.B. auf Basis informationstheoretischer Überlegungen. Ich kann mir vorstellen, dass hier auf Dauer ein Paradigmenwechsel stattfindet. Ich bin schließlich nicht der einzige, für den es unsinnig erscheint, wenn letztlich jegliche Begründung von Lebensprozessen auf der Quantenebene landet.

  218. @Balanus 28.09. 11:13

    „Ich frage mich, was hätte es denn für Konsequenzen für unser Selbstverständnis und die Handlungsfreiheit, wenn dieses biophysikalische Grundrauschen deterministischen Regeln folgte und nicht stochastischen Ereignissen zuzuschreiben wäre? Würde es einen Unterschied machen?“

    Die psychologischen Vorgänge haben ihre Eigenlogik, und jede Entscheidung muss den psychologischen Weg gehen. Ein physikalisch determiniertes Universum könnte die Missdeutung denkbar machen, dass wir unbewusst festgelegt sind, und gar nichts wirklich entscheiden können. Aber so ist es in keinem Fall, ohne den ganzen psychologischen Gang der Dinge in unserem Gehirn geht es nicht, auch dann nicht, wenn das Ergebnis vorher theoretisch schon feststand. An der Psychologie kommt auch ein determiniertes Universum nicht dran vorbei.

    Wenn die Quantenzufälle tatsächlich stochastisch sind, dann ändert das nichts an der psychologischen Dynamik. Dann ist eben nichts wirklich vorherbestimmt, es wäre nichts im Leben nicht mal theoretisch vorhersehbar. Mit einer determinierten Quantenwelt wäre es immer noch praktisch unvorhersehbar. Das ist der einzige Unterschied, entweder theoretische Unvorhersehbarkeit oder eben nur praktische Unvorhersehbarkeit. Die Psychologie ist das bleibende Faktum, sie integriert jedes biophysikalische Grundrauschen.

    Selbst Geisteswelten, die gezielte Quantenzufälle hinzufügen könnten, kämen nicht an der Psychologie des Systems vorbei, und müssten sich im wesentlichen mit Inspirationen zufrieden geben, die nur so weit gehen kann, dass ein Subjekt sie noch in seine persönliche Erkenntnisse integrieren kann.

    Und Geisteswelten könnten auch nicht die Zukunft vorwegnehmen, und müssten immer improvisieren und erst die Zeit abwarten, bis die Zukunft näher rückt und letztlich zur Gegenwart wird. Zumindest wenn sich Geisteswelten mit Menschen beschäftigen.

    Letztlich sind wir in einem 80-jährigem Gegenwartsprozess unterwegs, der immer neue und ganz frische Gegenwart am bearbeiten ist. Das Leben ist eine Zeitreise, die man nicht vor und nicht zurückspulen kann, und die weder zu beschleunigen noch zu verlangsamen ist. Nur unsere Psychologie, die wächst die ganze Zeit dabei. Und auch gerne dahin, wo wir wirklich hinwollen. Redlichkeit und Wahrhaftigkeit sind dabei sehr hilfreich, andernfalls entgleitet irgendwann der Überblick.

  219. @Jeckenburger:
    👍

    Wir können also eine relative Autonomie des Subjekts annehmen. Die Relativität besteht darin, dass sich das Subjekt in einer Umwelt (Gesellschaft) bewegt, die ihm die ‘Wege’ vorgibt (‘determiniert’). Evolution besteht dann in der Ausnutzung der Möglichkeitsräume (‘Wege’) sowie die Adaption an diese. Triebfeder wäre also nicht die Zufälligkeit auf kleinsten Skalen (zufällige genetische Mutation, welche der Organismus nicht in der Lage ist zu reparieren [genetische Reparaturmechanismen]), sondern die ‘Anforderungen’ der Umwelt (‘Gesellschaft’). Informationstheoretisch ließe sich das beschreiben als Minimierung von Unsicherheit durch Informationszuwachs und damit Erhöhung der Vorhersagekraft in einer relativ unbekannten Umwelt im Sinne adaptiver Handlungen und damit Steigerung der Überlebensfähigkeit (insofern etwa das Auge kein Zufallsprodukt wäre, sondern Folge der ständigen ‘Bombadierung’ mit elektromgnetischer Strahlung [Licht]).

  220. @Wolfgang Stegemann // 28.09.2021, 13:32 Uhr

    » Wir können wochenlang weiter diskutieren. «

    Ja, das scheint mir auch so.

    Allein schon, dass Sie unterhalb der Zellebene, also auf molekularer Ebene, „unbelebte“ von „belebter“ Materie trennen, zeigt, wie fundamental sich unsere Auffassungen von den realen Verhältnissen unterscheiden.

    Was die sogenannte „Emergenztheorie“ betrifft: Wir werden sehen, ob da noch was Substantielles kommt, d.h., ob sie der Erkenntnis, dass ein System in der Regel andere Eigenschaften aufweist als seine Teile, noch etwas Wesentliches hinzufügen kann.

  221. @Chrys: Vorhersagbarkeit

    Damit kann ich leben…

    …aber Vorhersagbarkeit hat für mich immer eine praktische Komponente (es sei denn, wir unterscheiden tatsächliche und prinzipielle V.)…

    …sowie die eines erkennenden Subjekts (das die Vorhersage treffen könnte).

    Insofern sehe ich hier keinen wirklichen Zusatznutzen, wenn man schon das Determinismuskonzept (Zustand t+1 = Zustand t + Naturkräfte) hat.

  222. @Balanus:

    “Allein schon, dass Sie unterhalb der Zellebene, also auf molekularer Ebene, „unbelebte“ von „belebter“ Materie trennen, zeigt, wie fundamental sich unsere Auffassungen von den realen Verhältnissen unterscheiden.”

    Ich meine das im Sinne von Emergenz, d.h. dass die Zelle das basale Lebensmodul ist, alles was ‘darunter’ ist, kann allein nicht leben.
    Man kann Emergenz übrigens auch als Informationsumwandlung verstehen. Durch die Kombination von Informationen in Elementen ergeben sich völlig neue Informationen. Der Informationsgehalt eines Vielzellers ist nicht nur quantitativ ein anderer als der des Einzellers, sondern auch qualitativ (Spezialisierung und Differenzierung). Man kann Emergenz auch mathematisch berechnen (https://arxiv.org/pdf/2104.13368.pdf).

  223. @Balanus / 28.09.2021, 11:13 Uhr

    »Ich unterscheide offenkundig zwischen einer „Quantenwelt” und der Welt der klassischen Physik, quasi unserer erfahrbaren „Lebenswelt”. Soviel Freiheit muss sein…«

    Aha. Erschiene Die die Bezeichnung dualistischer Naturalismus, oder alternativ naturalistischer Dualismus, für diese Position angemessen? (Womit ich allerdings hier und jetzt keine neue Debatte über Naturalismus auslösen will…)

    »Zufälligkeit mit Zufall? (Oder wie würde man das auf Deutsch formulieren?)«

    Meines Wissens ist das im Deutschen nicht geregelt; die deutsche Sprache hat wohl gewisse Schwierigkeiten, zwischen verschiedenen Bedeutungen von `Zufall’ zu unterscheiden.

    »Beschreiben lässt sich das [Beobachten einer zufälligen Abfolge von Ereignissen] wohl durch eine Wahrscheinlichkeitsfunktion, ähnlich wie beim radioaktiven Zerfall. Laut SEP hätten wir es also mit „Chance” zu tun.«

    Nicht so hastig. Wo meinst Du, das herausgelesen zu haben?

    Wahrscheinlickeitstheorie gehört zur mathematischen Masstheorie, und das hat nicht per se immer etwas mit “Chance” zu tun. Auch auf deterministische dynamische Systeme lassen sich mit probabilistischen Methoden untersuchen; das macht man in der sogenannten Ergodentheorie.

    »Ich frage mich, was hätte es denn für Konsequenzen für unser Selbstverständnis und die Handlungsfreiheit, wenn dieses biophysikalische Grundrauschen deterministischen Regeln folgte und nicht stochastischen Ereignissen zuzuschreiben wäre? Würde es einen Unterschied machen?«

    Deine Fragestellung legt nahe, dass Du meinst, einer observierten random sequence könne man irgendwie ansehen, ob sie deterministisch oder indeterministisch zustandegekommen ist. Das kann man aber nicht. Charlotte Werndl schreibt dazu hier, p. 6 (Fettung im Original kursiv):

    More specifically, Kolmogorov conjectured that while the deterministic systems which simulate stochastic processes in science produce positive information, the deterministic systems in science produce zero information. Kolmogorov and Sinai introduced the Kolmogorov-Sinai entropy to capture the property of producing positive information; and this property was expected to be able to separate stochastic processes from deterministic systems. It was a big surprise when it was found that many deterministic systems in science, among them Newtonian systems, have positive Kolmogorov-Sinai entropy and thus produce positive information (Frigg and Werndl 2009; Sinai 1989, Werndl 2009b).

    Die Selbstbestimmung (beim “selbstbestimmten Agieren/Handeln”) eines Wesens zu verknüpfen mit dem Aspekt seiner Befähigung, Information zu produduzieren, scheint mir insgesamt weniger abwegig, als Handlungsfreiheit durch indeterministischen Zufall rechtfertigen zu wollen. Dass “Information” inzwischen ein vieldeutiges Buzzword ist, ist mir dabei schon klar. Insbesondere hat Giuseppe Longo offenbar erhebliche Bedenken dagegen, den Begriff Information in der Biologie anzubringen (siehe etwa hier), die man nicht einfach übergehen sollte.

  224. @Stephan / 29.09.2021, 14:42 Uhr

    Antony Eagle, der Verfasser des SEP Eintrags Chance versus Randomness, hat es auch gemerkt, dass Vorhersage resp. Vorhersagbarkeit in diesem Kontext einer begrifflichen Präzisierung bedürfen. In dem ganz unten verlinkten Artikel schreibt er daher

    [T]he third objective I have in this article is to give a plausible and defensible characterization of the concept of predictability, in order that we might give philosophical substance and content to this intuition that randomness and predictability have something or other to do with one another.

    Das ist dann im wesentlichen ausgefüht in Sec. 4. Hier die Quelle:

    Eagle, A. (2005). Randomness is unpredictability. Brit. J. Phil. Sci., 56(4), 749-790. [PDF]

  225. @Chrys:
    Interessanter Artikel von Longo u.a. Ich sehe das ähnlich, denke, dass der Informationsbegriff (in Anlehnung an Shannon und letztlich an Boltzmann) nicht die Erklärung für Bewusstsein liefert, sondern eine Erklärungsgrundlage bietet, um Ordnung und Kausalität zu begründen, es aber, wie im Artikel erwähnt, eine dreidimensionale Architektur braucht, die ich um eine funktionelle Architektur erweitern würde, die nicht 1:1 in der Morphologie sichtbar wird. Insofern lässt die bloße Beobachtung weder auf Determinismus, Indeterminismus oder die Richtung der Kausalität schließen (im Artikel ist die Rede von Reziprozität).

  226. Naja, manchmal muss man eben ein bisschen tiefer gehen. Jedenfalls ist klar geworden, dass ein bottom-up Determinismus eher nichts mit der Realität zu tun haben dürfte. Bezogen auf das Thema heißt das, nicht ein Aktionspotential (womöglich noch ein rein zufälliges) trifft meine Entscheidungen, sondern, sondern ICH treffe sie, manchmal bewusst, manchmal weniger bewusst. Im letzten Fall wird mir das halt erst etwas später klar (bewusst).

  227. @Wolfgang Stegemann // 29.09.2021, 15:45 Uhr

    » Ich meine das im Sinne von Emergenz, d.h. dass die Zelle das basale Lebensmodul ist, alles was ‘darunter’ ist, kann allein nicht leben. «

    Ach so, aber worin soll denn dann der Unterschied zu meiner Auffassung von „Leben“ bestehen? Denn was Sie da noch geschrieben haben, nämlich

    »Sie machen diesbezüglich keinen Unterschied hinsichtlich Kausalität und Determinismus.«

    ergibt für mich keinen rechten Sinn.
    Natürlich ist die Zelle die eigentliche (kleinste) lebende Einheit, geradezu das „lebende System“ schlechthin; die Zellbestandteile hingegen, also die diversen strukturbildenden Makromoleküle, sind demzufolge keine „lebenden Systeme“. Organellen wie Mitochondrien und Plastiden sind ein Grenzfall (Viren hingegen werden gemeinhin nicht als „lebende Systeme“ betrachtet).

    » Man kann Emergenz auch mathematisch berechnen«

    Spannend wäre, wenn man auf diese Weise die Eigenschaften eines Moleküls anhand seiner atomaren Struktur berechnen könnte.

  228. @Balanus:
    Wir sollten es dabei belassen. Sie sind Reduktionist und sagen, dass zufällige Quantenprozesse dafür verantwortlich sind, dass ich mir ein Auto kaufe. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass diese Herangehensweise sich auf Dauer in der Wissenschaft halten wird.
    Und dann fragt man sich verwundert, was Bewusstsein ist.
    Es gibt genauso wenig ein hartes Problem des Bewusstseins wie es kein hartes Problem des Herzens oder der Leber gibt.
    Die Frage, wie entsteht Bewusstsein oder was ist es, suggeriert, dass es ein Gehirn gibt und man sich nun die Frage stellen muss, wie dort Bewusstsein hineinkommt bzw. wie es dort entsteht.
    Bewusstsein ist einfach eine Eigenschaft des Gehirns wie Sehen eine Eigenschaft des Auges ist oder der Herzschlag eine Eigenschaft des Herzens. Bewusstsein ist eine Folge von nervösen Wahrnehmungen, die zentralisiert zusammen fließen und dort ein sensorisches Theater verursachen. Alle Lebewesen mit einem zentralen Nervensystem erleben dieses Theater. Es ist Grundlage der Orientierung, so wie die Proteinbildung Grundlage der Orientierung von Einzellern ist. Das Theater ist beim Menschen dadurch besonders beeindruckend, da er durch seine begrifflichen Abstraktionen eine virtuelle Welt schafft, in der er sich widerspiegeln kann und die er mit seinen somatischen Befindlichkeiten verknüpft. Die Navigationsfunktion namens Gehirn gewinnt damit neue Sphären: neben einer fast endlosen Begriffswelt entsteht eine eigene Gefühlswelt, die ebenso zum Gegenstand des Denkens werden kann.
    Die einzig legitime Frage (neben denen der physiologischen Funktionalität) ist die des systemtheoretischen Mechanismus des Entstehens von Bewusstsein. Dies ist weder eine physiologische noch eine philosophische Frage.

  229. @Wolfgang Stegemann / 29.09.2021, 19:59 Uhr

    Die Kritik an einem inflationären Gebrauch von Computer-Metaphern in der Biologie hat sicherlich ihre Berechtigung. Andererseits sehe ich nicht, dass Entropie grundsätzlich kein für die theoret. Biologie brauchbares Konzept sein sollte. Wobei auch nicht alle Formen von Entropie info.theoretisch definiert sind und ein Bezug zu “Information” dort nicht gegeben ist, zumindest nicht unmittelbar. Mit Hinweis auf die KS-Entropie würde ich dem folgenden Statement bei Longo et al. (2012) allerdings widersprechen wollen:

    Information deals with data and not with dynamics. The digital bent of information is static and bottom-up;

    Die KS-Entropie ist info.theoretisch und betrifft Dynamik; in der gegebenen Formulierung ist dieses Statement gewiss nicht korrekt.

  230. @Stephan / 29.09.2021, 22:29 Uhr

    Was die Philosophen angeht, siehe die Fussnote bei Earman. (“On the philosophical side, Karl Popper is the prime example. Popper [1982] goes so far as to formulate the doctrine of “scientific determinism” in terms of prediction tasks.“)

    Und wenn Du selbst schreibst (29.09.2021, 14:42 Uhr). »Insofern sehe ich hier keinen wirklichen Zusatznutzen, wenn man schon das Determinismuskonzept (Zustand t+1 = Zustand t + Naturkräfte) hat,« wird mir daraus mir jetzt nicht ersichtlich, dass Dir klar geworden wäre, wo Popper da hereingefallen ist.

    Mit seiner Forderung nach einem “Abschütteln des Determinismus” ist M. Heisenberg offenbar in die gleiche Falle getappt, indem er meint, Determinismus stehe in Konflikt mit der Möglichkeit selbstbestimmten Handelns, das heisst, mit der Idee von Freiheit.

    Richtig wäre indessen, wenn wir uns durch empirische Beobachtungen zu der Annahme gezwungen sähen, all unser Handeln sei strikt vorhersagbar, dann stünde das in Konflikt mit der Idee von Freiheit. Diese Idee, so meint Heisenberg, ginge nur zusammen mit indeterministischen Regeln, und da liegt er eben falsch.

  231. @Chrys // 29.09.2021, 16:52 Uhr

    » Erschiene Dir die Bezeichnung dualistischer Naturalismus, oder alternativ naturalistischer Dualismus, für diese Position angemessen?«

    Eigentlich nicht, ich vertrete ja keine Zwei-Welten-Theorie, sondern unterscheide lediglich zwischen zwei Beschreibungsebenen—die allerdings an vielen „Stellen“ miteinander verschränkt sind, oder einander überlappen. Solche „Stellen“ findet man zuhauf in biologischen Systemen.

    Wenn z. B. Wolfhard Koch (1999), Hans Primas folgend, schreibt:

    Ohne Quantenmechanik sind chemische Phänomene nicht zu verstehen.

    dann gilt das ja wohl auch für biochemische Phänomene.

    » Nicht so hastig. Wo meinst Du, das [… hätten wir es also mit „Chance” zu tun] herausgelesen zu haben? «

    Hier, SEP, Section 1.2:

    Do chances exist? The best examples of probability functions that meet the principles about chance are those provided by our best physical theories. In particular, the probability functions that feature in radioactive decay and quantum mechanics have some claim to being chance functions.

    Passend dazu, was in alten Lehrbüchern* in punkto spannungsregulierte Na+-Kanäle zu finden ist:

    Transitions from one conformation to another occur probabilistically: a given conformation under given conditions has a certain probability per unit time of making a transition to another state, just as a radioactive isotope has a certain probability per unit time of undergoing radioactive decay.

    Zur Erklärung der spontanen Konformationsänderungen der Biomoleküle wird natürlich nicht die Quantenmechanik bemüht, da genügen die bekannten schwachen Wechselwirkungen.

    » Deine Fragestellung legt nahe, dass Du meinst, einer observierten random sequence könne man irgendwie ansehen, ob sie deterministisch oder indeterministisch zustandegekommen ist. «

    Ansehen nicht, aber es lassen sich sicherlich begründete Vermutungen darüber anstellen, was dem beobachteten stochastischen Verhalten wahrscheinlich zugrunde liegt (Ionenkanäle würfeln nicht–oder doch?!)

    *) Molecular Biology of the Cell. Bruce Alberts et al. Garland 1983

  232. @Chrys // 29.09.2021, 16:52 Uhr

    »Die Selbstbestimmung (beim “selbstbestimmten Agieren/Handeln”) eines Wesens zu verknüpfen mit dem Aspekt seiner Befähigung, Information zu produduzieren, scheint mir insgesamt weniger abwegig, als Handlungsfreiheit durch indeterministischen Zufall rechtfertigen zu wollen.«

    Wenn schon, dann wäre der indeterministische Zufall die Begründung dafür, dass aus dem Nervensystem heraus eine neue, originäre Ereigniskette beginnen kann—und zwar ohne die physikalischen Gesetzmäßigkeiten zu verletzen.

    Denn wenn es aufgrund von Kanalfluktuationen zum rauschinduzierten spontanen Feuern eines Neurons kommt, dann könnte dies die Initialzündung für die Generierung eines völlig neuen Gedankens sein. Oder der Startpunkt für eine spontane Handlung.

    Das heißt, die Frage bleibt: Macht es einen bedeutsamen Unterschied, ob das stochastische Verhalten der Ionenkanäle (und in der Folge das spontane Feuern der Neuronen) letztlich indeterministisch oder deterministisch zustande kommt?

  233. @Chrys:
    Ich fürchte, Sie haben mich missverstanden. Ich denke, der Informationsbegriff in der Linie von Shannon ist sicherlich eine Basis für die Biologie, m.E. fast schon genial. Man kann nur nicht biologische Prozesse 1:1 aus der Informationstheorie ableiten, wie die Integrierte Informationstheorie Tononis dies augenscheinlich tut.
    Wenn ich Longo richtig verstanden habe, diskutiert er zwei informationstheoretische Ansätze. Den bottom-up Ansatz in der Folge von Komolgorov lehnt er (wie ich) ab.

  234. @Balanus:

    “Passend dazu, was in alten Lehrbüchern* in punkto spannungsregulierte Na+-Kanäle zu finden ist:

    Transitions from one conformation to another occur probabilistically: a given conformation under given conditions has a certain probability per unit time of making a transition to another state, just as a radioactive isotope has a certain probability per unit time of undergoing radioactive decay.”

    Der stochastische Prozess bei der Beobachtung von Ionenkanälen hat doch nichts mit dessen Verursachung zu tun. Denken Sie sich bei einem Fussballspiel alles weg mit Ausnahme des Balls. Dann erscheint die Flugbahn des Balls stochastisch. Blendet man die Akteure wieder ein, sieht man erst die Kausalitäten bzw. den Determinismus. Ihre Argumentation bezieht sich auf die Logik eines Zufallsgenerators.

  235. @Chrys: Determinismus (again)

    (Lehrsatz) Determinismus heißt: Zustand t+1 wird eindeutig vom Zustand t und den Naturkräften festgelegt; bei hinreichendem Wissen schließt das die Vorhersagbarkeit von Zustand t+1 ein.

    Was ist hieran eigentlich problematisch?!

    Und hier sind Zustand (Ontologie) und Wissen (Epistemologie) klar unterschieden.

    Man muss es nicht unnötig kompliziert machen.

    Und freier Wille: Für den Kompatibilisten sind weder Determinismus noch Vorhersagbarkeit ein Problem; ob man Kompatibilist sein will, steht aber auf einem anderen Blatt.

    Von der theoretischen zur praktischen Freiheit

  236. @Wolfgang Stegemann // 01.10.2021, 12:07 Uhr

    »Der stochastische Prozess bei der Beobachtung von Ionenkanälen hat doch nichts mit dessen Verursachung zu tun.«

    Was könnte denn diese probalitistischen Konformationsänderungen „verursachen“? Sie sind bedingt durch ihre molekulare Struktur und treten auf ohne erkennbare „verursachende“ Ereignisse. Die Temperatur spielt wohl eine Rolle dabei, aber sonst?

  237. @Balanus:
    Sie glauben also wirklich, Denken wird durch zufällige Ionenkanalaktivitäten ausgelöst? Oder sind es doch die Quanten?
    Auch bei komplexen Entscheidungen? Das verstehe ich nicht, ist mir vielleicht zu hoch.

  238. @Wolfgang Stegemann

    » Sie sind Reduktionist und sagen, dass zufällige Quantenprozesse dafür verantwortlich sind, dass ich mir ein Auto kaufe. «

    Nein, ich sage, dass zufällige Quantenprozesse es ermöglichen, dass ich aus eigenem Vermögen heraus ein Auto kaufen kann (würde mein Gehirn funktionieren wie ein gewöhnlicher Rechner, wäre das nicht möglich).

    Ohne zufällige Quantenprozesse hätten Nervenzellen nicht die dynamischen Eigenschaften, die sie nun mal haben. Und eine selbstbestimmte, spontane Aktion im Sinne einer Erstauslösung einer Ereigniskette wäre ohne sie nicht möglich (Stichwort: unbewegter Beweger).

    „Zufällige Ionenkanalaktivitäten“, wie Sie schreiben, können wie gesagt Aktionspotentiale auslösen. Und ohne Aktionspotentiale gibt es kein Denken. Nur darin besteht der Zusammenhang.

    Zufallsereignisse und naturgesetzliche physiologische Prozesse spielen im Hirn zusammen und machen autonomes Agieren überhaupt erst möglich. So sehe ich das als “Reduktionist”.

  239. @Stephan / 01.10.2021, 15:36 Uhr

    »Was ist hieran eigentlich problematisch?!

    Problematisch daran ist, dass es falsch ist.

    Der Denkfehler à la Popper besteht darin, aus der Prämisse, dass eine Abfolge von Systemzuständen produziert wird durch Iteration einer deterministischen Abbildung f:M→M, die Konlusion zu ziehen, dass aus der Kenntnis eines aktuellen Zustandes auch die Kenntnis des nachfolgenden Zustandes logisch deduzierbar sein müsse. Womit dann aus einem aktuellen Zustand auch der ihm nachfolgende stets vorhersagbar wäre.

    Leuchtet Dir ein, dass deterministisches Produzieren ganz etwas anderes ist als logisches Deduzieren? Populär gesprochen, bei ersterem kann neue Information produziert werden, bei letzterem jedoch nicht, weil dabei immer nur bereits vorhandene Information herausgelesen werden kann.

    »Und freier Wille«

    … interessiert mich — wie anscheinend auch Balanus — inzwischen eigentlich nicht mehr. Wir haben hier dieses leidige Problem erfolgreich reduziert auf die Frege nach dem selbstbestimmten Agieren/Handeln eines Agenten. Und hätte man empirisch fundierte Gründe zu der Annahme, dass dessen Aktionen allesamt prinzipiell vorhersagbar wären, dann kann von seiner Selbstbestimmung keine schlüssige Rede mehr sein, womit sich jeglicher Kompatibilismus erledigt hätte.

  240. @Wolfgang Stegemann

    Tononi 2012, meine Fettung:

    In this view, freedom requires first and foremost irreducibility, meaning that a choice cannot be ascribed to anything external, or anything less, than the agent. However, indeterminism also plays a role, though not the usual role of reducing responsibility by substituting it with chance. Recall that if a complex generates maximal integrated information at a macro-scale in space or time (say neurons instead of subatomic particles, and over hundreds of milliseconds), this means that: i) the system is most determined, in an informational/causal sense, at that macro-scale than at any micro-scale; but ii) it is also necessarily under-determined, because the macro-level can be more informative/causal than the micro-level only if there is some indeterminacy.

    (Archives Italiennes de Biologie, 150: 290-326, 2012.)

  241. @Balanus:

    “Und ohne Aktionspotentiale gibt es kein Denken. Nur darin besteht der Zusammenhang.
    Zufallsereignisse und naturgesetzliche physiologische Prozesse spielen im Hirn zusammen und machen autonomes Agieren überhaupt erst möglich.”

    Wenn Sie sagen wollen, dass die Bewegung der Materie Voraussetzung dafür ist, dass Leben sich bewegt, sich selbst organisiert, wächst, dann stimme ich zu.
    Ich wollte darauf hinweisen, dass Leben auf jeder Stufe (Einzeller, Mehrzeller, Organismen, etc.) emergente Eigenschaften beinhaltet, welche den Indeterminismus einzelner Teile determiniert. Zitat Tononi (von Ihnen): “… because the macro-level can be more informative/causal than the micro-level …”
    Die Determination erfolgt dabei nicht deduktiv-logisch (siehe Chrys), sondern im Sinne eines regulativen Prinzps.

  242. @Balanus / 01.10.2021, 10:56 Uhr

    »… keine Zwei-Welten-Theorie …«

    Okay, lassen wir das einstweilen mal so stehen. Das weiter zu vertiefen scheint mir hier nicht der passende Ort, da wäre ich wohl überfordert. Dass für biologische Vorgänge auch quantenphysikal. Phänomene relevant sind oder sein können, steht auch für mich ausser Frage, beispielsweise bei der Photosynthese.

    »Hier, SEP, Section 1.2: …«

    Ich lese das so, dass hier indeterministische (“chancy”) Interpretationen wie die Kopenhagener Deutung der QM als vertretbare Positionen gerechtfertigt werden. Das heisst aber im Umkehrschluss nicht, dass man irgendein Argument hätte, durch das man zu einer indeterminist. Deutung als einzig möglicher Erklärung einer Beobachtung gezwungen wäre. Denn beobachtet wird erst mal vielleicht eine Abfolge von augenscheinlich unvorhersagbar (“randomly”) eintretenden Ereignissen und nicht etwa ein Elektron, das eine Münze wirft, oder in Deinem Beispiel ein Ionenkanal, der würfelt.

    Erinnert sei hierbei auch an den früher schon verlinkten Artikel Calude & Longo (2016) Classical, quantum and biological randomness as relative unpredictability. Hast Du das PDF noch?

    Wenn man einer Ereignisfolge, die augenscheinliche Randomess erkennen lässt, aber nicht ansehen kann, ob sie ein stochastisches oder ein deterministisches Modell erfordert, sind beide Fälle observationell äquivalent, und es macht dann keinen bedeutsamen Unterschied, welche Art der Modellierung man bevorzugt. Eine Spezialistin für Fragen zur observationellen Äquivalenz ist im übrigen Charlotte Werndl; von der hatte ich ja zuletzt schon etwas verlinkt.

  243. @Chrys 02.10. 15:32

    „Wenn man einer Ereignisfolge, die augenscheinliche Randomess erkennen lässt, aber nicht ansehen kann, ob sie ein stochastisches oder ein deterministisches Modell erfordert, sind beide Fälle observationell äquivalent, und es macht dann keinen bedeutsamen Unterschied, welche Art der Modellierung man bevorzugt.“

    Genau, die Willensfreiheit ergibt sich aus den psychologischen Vorgängen, egal ob nun versteckte Parameter oder tatsächlicher Zufall den Quantenzufall von z.B. Ionenkanälen produzieren. Nur ein geistig bedingter, auch mal auf die Zukunft hin gezielter Quantenzufall würde etwas hinzufügen, das nebenbei auch auf die Dauer feststellbar sein müsste, wenn dem denn tatsächlich so ist.

    Was ich in dieser Diskussion noch interessant finde, dass ist der Aspekt, dass der Quantenzufall eigentlich ständig neue Informationen generiert. So ist die Gegenwart als Grenze zwischen unbestimmter Zukunft und fester Vergangenheit der Ort, in der der Quantenzufall stattfindet. Und die zeitreisende Gegenwart ist so ständig dabei was Neues zu produzieren, was einen unfertigen, sich erst noch entwickelnden Kosmos bedeutet.

    Wir sind da mittendrin dabei. Und können klar beobachten, dass sich der Mensch und seine Kultur ständig weiterentwickeln, und alles andere im Kosmos auch.

  244. @Wolfgang Stegemann // 02.10.2021, 14:49 Uhr

    » Ich wollte darauf hinweisen, dass Leben auf jeder Stufe (Einzeller, Mehrzeller, Organismen, etc.) emergente Eigenschaften beinhaltet, welche den Indeterminismus einzelner Teile determiniert.«

    Wenn ich Tononi richtig verstehe, dann ist eine gewisse Unbestimmtheit auf der Mikroebene aber Voraussetzung für die größere kausale Kraft auf der Makroebene—und eben nicht die Folge einer Determination durch die Makroebene.

    Eine völlig andere Sache ist, dass die Funktion (und auch Funktionsweise) der Ionenkanäle und anderer Biomoleküle nur im Zusammenhang mit dem Makrosystem (Biomembran, intra- und extrazelluläres Milieu, Zelle, Organ, etc.) versteh- und erklärbar ist.

  245. @Chrys // 02.10.2021, 15:32 Uhr

    » Wenn man einer Ereignisfolge, die augenscheinliche Randomess erkennen lässt, aber nicht ansehen kann, ob sie ein stochastisches oder ein deterministisches Modell erfordert, sind beide Fälle observationell äquivalent,… «

    Mit beiden Modellen ließe sich dann also — im Falle der Ionenkanäle — eine bestimmte Öffnungswahrscheinlichkeit formulieren—wobei dann offen bliebe, ob dem Öffnen notwendig ein bestimmtes Ereignis vorausgeht oder nicht. Na gut, why not…

    Den Aufsatz von Calude & Longo von 2016 hatte ich noch nicht gedownloaded, liegt mir jetzt aber vor. In Zukunft werde ich wohl etwas vorsichtiger mit dem Begriff „Quantenzufall“ hantieren. Die Bedeutung von Zufallsprozessen für die biologische Dynamik wurde ja richtig erkannt, aber ich würde nun nicht alles, was die Herren da geschrieben haben, unterschreiben wollen.

  246. @Chrys // 01.10.2021, 10:20 Uhr

    » Mit seiner Forderung nach einem “Abschütteln des Determinismus” ist M. Heisenberg offenbar in die gleiche Falle getappt, indem er meint, Determinismus stehe in Konflikt mit der Möglichkeit selbstbestimmten Handelns, das heisst, mit der Idee von Freiheit. «

    Dass dies für den Laplace-Determinismus zutrifft, behauptet auch Geert Keil (2009) in seinem Aufsatz (Link zu Docplayer):
    „Wir können auch anders. Skizze einer libertarischen Konzeption der Willensfreiheit“.

    Meinem Eindruck nach sind Geert Keil und Martin Heisenberg gar nicht so weit auseinander. Beide halten nichts von der metaphysischen Lehre „Determinismus“, bzw. sehen kein Argument dafür, dass diese philosophische Doktrin ‚wahr‘ ist (und das scheint mir nichts mit der Vorhersagbarkeit zu tun zu haben).

    Während Keil vor allem dahingehend argumentiert, dass nichts gegen die libertarische Auffassung spricht und letztlich offen lässt, wie Freiheit in einem physikalischen (naturgesetzlich funktionierenden) System realisiert werden kann, präsentiert Heisenberg ein positives Argument für die Freiheit des Handelns bzw. des Willens (zur Handlung).

    Das nur zur Ergänzung…

  247. @Balanus:
    In der Realität gibt es keine Mikro- oder Makroebene, sondern nur in unserer Beobachtung bzw. Beschreibung. Ob man die Mikroebene bestimmt oder unbestimmt bezeichnet, ist eine Frage der Betrachtung, wie bereits oben erörtert. Wichtig ist lediglich, dass (Zitat Balanus) “die größere kausale Kraft auf der Makroebene” liegt und (Zitat Balanus) “dass die Funktion (und auch Funktionsweise) der Ionenkanäle und anderer Biomoleküle nur im Zusammenhang mit dem Makrosystem (Biomembran, intra- und extrazelluläres Milieu, Zelle, Organ, etc.) versteh- und erklärbar ist.”
    Dann haben wir ja dieselbe Sichtweise.

  248. @Wolfgang Stegemann

    »Dann haben wir ja dieselbe Sichtweise.«

    Das, so scheint mir (Zitat Stegemann), „ist eine Frage der Betrachtung“.

  249. @Balanus / 03.10.2021, 17:13 Uhr

    Vorhersagbarkeit ist doch gerade die Pointe beim Laplaceschen Daemon und lässt sich — sogar ohne Beschwörung eines Daemons — als eine (objektive) Systemeigenschaft verstehen, also als ein Prädikat, das ein dynamisches System erfüllen kann oder auch nicht. Ein dynamisches System kann man Laplace-deterministisch nennen, wenn es vorhersagbar ist, das heisst, wenn die Kennntnis seiner künftiger Zustände aus der Kenntnis eines initialen Zustandes sowie der Regeln seiner Dynamik geschlussfolgert werden kann (Laplace sprach von Analyse). Vgl. dazu auch Eagle (2005), Sec. 4, Definition 5.

    Wer, wie Geert Keil, Determinismus dann mit Laplace-Determinismus gleichsetzt, setzt damit aber Determinismus nolens volens auch gleich mit Vorhersagbarkeit. Keil möchte das wohl gerne wieder auseinanderzerren, wenn er schreibt “Für uns, die wir keine Laplaceschen Dämonen sind, ist es besser, Determinismus von Vorhersag­barkeit zu unterscheiden, weil Vorhersag­barkeit ein epistemischer Begriff ist und Determiniertheit nicht.“. Aus “unserem” individuellen oder kollektiven Unvermögen, die dynamische Entwicklung eines Systems vorherzusagen, lässt sich aber nicht folgern, dass das System unvorhersagbar sei. Dazu müsste man die logische Unmöglichkeit von Vorhersagen zeigen, und in diesem Fall wäre aber auch dem Daemon keine Vorhersage möglich.

  250. @Chrys: Fehler

    Da haben wir endlich den Fehler an die Oberfläche geholt!

    Wer, wie Geert Keil, Determinismus dann mit Laplace-Determinismus gleichsetzt, setzt damit aber Determinismus nolens volens auch gleich mit Vorhersagbarkeit.

    Nein, eben nicht: Aus (1) Vorhersagbarkeit impliziert Determinismus folgt eben nicht, dass (2) Determinismus Vorhersagbarkeit impliziert. Das ist der (epistemische!) Punkt, den ich hier mehrmals gemacht habe; es ist eine Vermischung von Kategorien.

    Zudem muss nicht mal Vorhersagbarkeit Determinismus implizieren, nämlich dann, wenn das System nur auf einer für die Vorhersage relevanten Ebene deterministisch ist, auf einer tieferen aber indeterministisch.

    Ich kann nur daran appellieren, epistemisches und ontologisches Vokabular nicht zu vermischen.

  251. @Chrys // 05.10.2021, 00:50 Uhr

    » Vorhersagbarkeit ist doch gerade die Pointe beim Laplaceschen Daemon…«

    Ja gut, das mag beim Laplaceschen Dämon so sein, aber die Pointe des Determinismus (als philosophische Doktrin) ist ja nicht die Vorhersagbarkeit (durch wen auch immer), sondern die Behauptung, dass alle Ereignisse durch Vorbedingungen festgelegt sind, und zwar ein für alle mal.

    Nach meinem Verständnis sollten damit auch sämtliche Informationen festgelegt sein, die im zeitlichen Verlauf eines dynamischen Systems generiert werden und den weiteren Verlauf determinieren.

    Geert Keil hatte ja sicherheitshalber eine „moderne“ Definition gebracht (wohl nach J. Earman und D. Lewis): Wenn zwei mögliche Welten, in denen dieselben Naturgesetze herrschen, zu irgendeinem Zeitpunkt übereinstimmen, dann tun sie es immer.

    Das verstehe ich so, dass, wenn der Determinismus wahr ist, in jeder möglichen Welt die dynamischen Systeme die gleichen Informationen generieren.

    (Ich sehe gerade, dass ich diesbezüglich Stephan nur zustimmen kann… : -))

  252. @Balanus 05.10. 14:03

    „Das verstehe ich so, dass, wenn der Determinismus wahr ist, in jeder möglichen Welt die dynamischen Systeme die gleichen Informationen generieren.“

    Ja, aber so weit ich weiß ist der Quantenzufall nicht auf versteckte Parameter rückführbar, so wie man Pseudozufallszahlen mathematisch erzeugen kann. Deshalb haben wir eben keinen Determinismus, und die Welt hat in jedem Augenblick der zeitreisenden Gegenwart die Möglichkeit was anderes zu machen. Der Quantenzufall lässt sich nicht vorab festlegen. Die Zukunft ist nur im Groben vorherbestimmt, etwa bei Phänomenen wie Umlaufbahnen zweier Körper oder beim Ablauf von Computerprogrammen.

    Wie gesagt, der Willensfreiheit ist dies zunächst mal egal, sie arbeitet psychologisch indem sie die aktuelle Situation im eigenem Sinne zu gestalten versucht. Und der Wille ist nur vorhersehbar, wenn er auf einen Reiz so eindeutig reagiert, dass man sich darauf verlassen kann. Wenn jemand nach einem heißen Tag durstig nach hause kommt, und es ist noch eine Flasche Bier im Kühlschrank, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass er als erstes zum Kühlschrank geht, und sich das Bier herausholt.

  253. Ich denke, man muss zwischen Determinismus in einem geschlossenen mechanischen System und einem offenen dynamischen System unterscheiden. In ersterem ist eine logische Vorhersage möglich, im zweiten eine statistische. Determinismus ist abhängig vom Bezugssystem und: Determinismus findet überall statt (Was determiniert was?). Übrigens heißt Determinismus nicht, dass etwas vollständig festgelegt wird, man denke an Markov (Der Urknall war übrigens das größte deterministische Ereignis).

  254. Ich möchte noch einen Gedanken loswerden, der ebenfalls zum Thema Willensfreiheit passt:
    Die Behauptung, Bewusstsein ist eine Illusion, wirft zwei Fragen auf:
    1. Wem wird hier eine Illusion vorgegaukelt, also wer wird getäuscht?
    Die einzig mögliche Antwort ist: ICH
    2. Von wem werde ICH getäuscht? Zwei Antworten sind möglich.
    a. Ist es mein Geist, Bewusstsein, ICH etc, dann wäre es eine Tautologie. Ich würde mich also selbst täuschen.
    b. Ist es mein Körper im Sinne eines physiologischen Reduktionismus? Wäre es ein evolutionärer Vorteil, dass mein Körper mich täuscht? Ich glaube nicht.
    Ergo: Die Behauptung ergibt keinerlei Sinn.

  255. @Stephan / 05.10.2021, 13:54 Uhr

    Zur Definition von Laplace-Determinismus siehe Eagle (2005), Sec. 4, Definition 5. Wobei anzumerken wäre, dass Laplace selbst in seinem Essay nirgendwo von `Determinismus’ oder `deterministisch’ gesprochen hat oder gar eine Definition davon gegeben hätte. Zum anderen darf man den Daemon keinesfalls allzu wörtlich nehmen. Das ist einfach eine Allegorie, ein personifiziertes Sinnbild für eine spezifische Form von Vorhersagbarkeit. Wie gesehen lässt sich die Definition auch ohne Daemon formulieren.

    Wer sich die Bezeichnung Laplace-Determinismus ursprünglich ausgedacht hat, ist mir nicht bekannt, aber das ist nicht per se ein Fehler, denn Beispiele für Laplace-deterministische Systeme im Sinne der besagten Definition lassen sich ja durchaus konstruieren. Als Einwand liesse sich dann allenfalls noch vorbringen, dass die Definition überflüssig ist, da sie lediglich `Laplace-deterministisch’ als ein Synonym für `(strikt) vorhersagbar’ definiert.

    Da wir allerdings schon in der klassischen Mechanik — zu Laplaces Lebzeiten noch die Theory Of Everything — Systeme finden können, die definitiv nicht strikt vorhersagbar sind, auch nicht von einem Laplaceschen Daemon, dient Laplaca-Determinismus inzwischen eigentlich doch nur noch gewissen Philosophen in ihren Traktaten zur Willensfreiheit als ein Strohmann, an dem sie sich dann wortgewaltig abarbeiten.

    Im übrigen bleibt unklar, auf welche Definition von Determinismus Du Dich beziehst, wenn Du schon mit »Nein, eben nicht« daherkommst. Sollte ich das erraten können? Wissen kann ich das leider nicht, wenn Du es mir nicht verrätst.

  256. @Balanus / 05.10.2021, 14:03 Uhr

    »Determinismus (als philosophische Doktrin) ist … die Behauptung, dass alle Ereignisse durch Vorbedingungen festgelegt sind, und zwar ein für alle mal.«

    Eine pilosophische — wohl präziser, metaphysische — Doktrin interessiert doch wohl niemanden mit Hinblick auf die Frage, ob die empirischen Erkenntnisse der Physik in einem erkennbarm Konflikt stehen zu der Idee von der Möglickeit selbstbestimmten Handelns. Darum ging es uns hier doch, oder? Und überhaupt,

    Nihil tam absurde dici potest, quod non dicatur ab aliquo philosophorum.
    —Marcus Tullius Cicero (106 — 43 BC)

    (Nichts ist so absurd, dass es nicht schon von irgendeinem Philosophen behauptet worden wäre.)

    Wenn jemand die von Dir genannte Behauptung aufstellt, dann sollte man ihn fragen, woher er das denn eigentlich wissen will. Wenn darauf keine schlüssigen Argumente als Antwort kommen, dann bleibt das eine letztlich sinnfreie Sprechblase, um die man sich gewiss nicht ernsthaft kümmern muss.

  257. @Chrys: D.

    Was war jetzt an der Definition von

    Determinismus = der Zustand Z(t+1) des Universums ist vom Zustand Z(t) eindeutig festgelegt

    undeutlich? Ich hatte erst noch die Naturkräfte (besser nicht: Naturgesetze) gesondert genannt, doch die sind wahrscheinlich Teil von Z.

    P.S. Ich erinnere mich auch an eine klare Definition von D. aus dem Informatikstudium. Da nannte man einen Algorithmus deterministisch, wenn er bei gleichen Startbedingungen das gleiche Ergebnis lieferte. Das deckt sich mit meiner Definition.

  258. Neuronale Deterministen wie Singer behaupten entsprechend, „dass alle Prozesse im Gehirn deterministisch sind und Ursache für die je folgende Handlung der unmittelbar vorangehende Gesamtzustand des Gehirns ist“.
    Und Popper sagt: “Wenn der Determinismus recht hat, dann sollte es einem Physiker oder einem Physiologen, der nichts von Musik versteht, im Prinzip möglich sein vorauszusagen, auf welche Stelle des Papiers Mozart seine Feder setzen wird, indem er Mozarts Gehirn untersucht.”
    (Leider finde ich die Quellen nicht mehr).
    Gemeint ist hier ein sehr enger Determinismusbegriff. Für alles lebendige gilt eher der Begriff aus der Chaostheorie, als “zufällig erscheinendes Verhalten eines dynamischen Systems, das jedoch deterministischen Regeln folgt. Dynamische Systeme mit deterministisch chaotischem Verhalten sind nur scheinbar stochastische Systeme. Das Verhalten wird nicht durch zufällige äußere Umstände, wie beispielsweise Rauschen, verursacht. Es folgt aus den Eigenschaften des Systems selbst.” (Wikipedia).

  259. @Stegemann 07.10. 10:06

    „Dynamische Systeme mit deterministisch chaotischem Verhalten sind nur scheinbar stochastische Systeme. Das Verhalten wird nicht durch zufällige äußere Umstände, wie beispielsweise Rauschen, verursacht. Es folgt aus den Eigenschaften des Systems selbst.“

    Im Prinzip finde ich das nachvollziehbar, sehe es aber detaillierter.

    Ich denke, wir sind biopsychosoziale Wesen, die hauptsächlich ihren eigenen Lebensplan abarbeiten. Im Chaos der sozialen Welt wird es allerdings recht unvorhersehbar, wie wir im Alltag aufeinanderprallen, zusammenarbeiten oder streiten. Man hat eine Menge Probleme, an denen man arbeitet, und niemand weiß, welche eventuellen Lösungen uns nächste Woche einfallen werden.

    Letztlich leben wir im ewigen Augenblick, und reisen dabei durch die Zeit. Dieser Augenblick produziert ständig eine Mannigfaltigkeit von Neuem, was es nie zuvor gegeben hat, und eigentlich wehren wir uns die ganze Zeit gerade dagegen. Und versuchen ständig, dieses Neue so zu verarbeiten, dass unser Lebensplan fortgesetzt werden kann.

    Immer wieder passen wir diesen unseren Plan an, die täglichen Details werden abgearbeitet, und hin und wieder müssen wir uns ganz neu aufstellen. Etwa wenn wir plötzlich unsere Arbeitsstelle oder den Partner verlieren.

    Das Sein selbst ist dabei die ganze Zeit aber auch einfach ein Miterleben, zeitreisend zusammen mit der ganzen Natur um uns herum, und diese innere Erlebniswelt, als Teilhabe an diesem wunderbaren blauen Planeten, ist das Leben selbst. Neben dem täglichem Lebenskampf, haben wir hiermit eine Teilhabe, die mehr zum wirklichen Leben beiträgt, als unser Lebensplan, der eigentlich nur die Struktur liefert. Das konkrete Sein im Augenblick selbst ist der eigentlichen Lebensinhalt. Darum geht es, der Lebensplan, und wie er gelingt, ist nur die Form.

    Praktischen Determinismus gibt es auch, vieles ist vorhersehbar. Das ist wichtig für unsere Arbeit mit dem Leben. Aber das meiste, das jeder Augenblick mit sich bringt, ist einmalig, ganz aktuell was Neues, was nie da war und nie mehr wiederkommt. Ein Rauschen, das dann aber doch eine Symphonie sein kann. So jedenfalls mein Eindruck vom Spaziergang von heute morgen durch den herbstlichen Park.

  260. @Stephan / 06.10.2021, 16:57 Uhr

    »Determinismus … Ich hatte erst noch die Naturkräfte (besser nicht: Naturgesetze) gesondert genannt, doch die sind wahrscheinlich Teil von Z.«

    Bei der Betrachtung von dynamischen Systemen (“A dynamical system is a rule for time evolution on a state space.”) ist es schon angeraten, zu unterscheiden zwischen einem “state” und der “rule” zur dynamischen Änderung von “states”. Von der Art der “rule” hängt es schliesslich auch ab, ob die Dynamik des Systems deterministisch ist oder nicht.

    In Begriffen der Informatik heisst das, ein initialer Zustand wird hier durch einen Input I und eine Regel R zu dessen sukzessiver Prozessierung durch einen Algorithmus definiert.

    Frage: Wäre Dir dann ein deterministischer Algorithmus vorstellbar, für den die Zustände bei der Prozessierung eines konkreten Inputs nicht auch vorhersagbar sind?

  261. @Wolfgang Stegemann / 07.10.2021, 10:06 Uhr

    »(Leider finde ich die Quellen nicht mehr).«

    Das Zitat von Popper mit Quellenangabe — und vieles mehr — findet man auch bei Geert Keil, Kap. 2 in

    Keil, G. (2017). Willensfreiheit. Berlin, Boston: De Gruyter.
    https://doi.org/10.1515/9783110534511

    Das ganze Buch ist übrigens Open Access. Wenn schon der Wille nicht frei sein sollte, dann wenigstens doch freundlicherweise einiges an Literatur dazu…

  262. Chrys:
    Besten Dank, meine Notizen sind mitunter etwas ‘unsortiert’.

  263. Ich habe nochmal bei Keil geblättert. Er argumentiert zwar nicht-dualistisch, seine Argumente basieren aber nicht auf theoretischen Grundlagen, sondern auf denen der Plausibilität. Damit werden sie beliebig und mitunter tautologisch: “Diese Stipulation ist aber gut begründet, weil sie ein kohärentes und nichtdualistisches Bild der mentalen Verursachung zu bewahren hilft.” (S.224). Man sieht, wie wichtig ein theoretisches Modell ist, das auch kausale Zusammenhänge beschreibt und so Experimente wie Libet einordnen hilft.

  264. @Chrys: Wir hatten doch gerade eine klare Definition von Determinismus.

    Mit “dynamischen Systemen” und “Regeln” sind wir jetzt wieder auf der Beschreibungsebene.

    Ob es sinnvoll (bzw. pragmatisch) ist, bei dynamischen System die Regeln getrennt zu formulieren, hängt doch von unseren Zielen ab.

    Wenn bsp. Masse die Eigenschaft hat, andere Massen anzuziehen, dann enthält der Zustand Z(t) die Kräfte und Bewegungen zum Zeitpunkt t+1. Wichtig ist, dass Masse diese Eigenschaft intrinsisch hat und nicht, weil wir ihr die zuschreiben. (Das ist bei sekundären Eigenschaften wie Farben vielleicht anders.)

    Fällt das Dreikörperproblem eigentlich unter “dynamische Systeme”? Dann ist es doch interessant, dass sich die Lösung (hier: Zustand zum Zeitpunkt t+1) nicht analytisch-mathematisch bestimmen, sondern nur durch Simulationen näherungsweise berechnen lässt. Auch ohne Indeterminismus hätten wir damit ein System, das (praktisch) unvorhersehbar ist. (Was freilich die Nebenfrage aufkommen ließe, wie genau eine Vorhersage sein muss; dann bewegen wir uns im Reich der Normen.)

    Das ändert aber alles nichts an dem, was ich vorher über die Trennung metaphysischer und epistemischer Begriffe geschrieben habe, und ich habe hier auch keine neuen Argumente gelesen, die meinen entsprechenden Standpunkt als defizitär erscheinen ließen.

  265. @Stephan / 09.10.2021, 13:08 Uhr

    Die sich aus dem Thema des Blogartikels ergebende Frage ist doch, ob die Naturwissenschaft — spezieller vielleicht noch die sich letztlich auf Physik stützende Neurobiologie — uns irgendwelche rational unabweisbaren Einsichten beschert, die unsere Idee von Freiheit ad absurdum führen würden. Was willst Du da mit Metaphysik?

    Freiheit ist zunächst eine Idee der praktischen Venunft, also der Ethik, der Rechtsphilosophie etc. “Im weitesten Sinn bedeutet Freiheit die Möglichkeit der Selbstbestimmung,” steht auch im UTB-Handwörterbuch Philosophie. Nehmen wir das mal so, dann wäre die Frage, ob sich im Lichte “deterministischer Naturgesetze” von der Selbstbestimmung eines Agenten noch sinnvoll reden lässt, oder ob dessen Aktionen dann allesamt so fremdbestimmt wären wie die einer Marionette in der Augsburger Puppenkiste.

    In der Physik werden Hypothesen aber gerade dadurch getestet, dass aus theoriebasierten Modellen Vorhersagen deduziert werden, die sich dann empirisch überprüfen lassen. Eine mit Berufung auf die Physik vertretene Marionetten-Hypothese des Handelns wäre aber nach den gleichen Standards zu testen wie jede andere physikal. begründete Hypothese auch, und hierdurch kommt dem Aspekt der Vorhersagbarkeit eine entscheidende Rolle zu.

    Wenn Geert Keil im “Laplace-Determinismus” eine metaphysische Doktrin sehen will, dann ist doch eher gerade er derjenige, der da etwas unzulässig vermischt. Determinismus war kein Thema bei Laplace in seinem Essay. Man kann sicherlich konstatieren, dass sich Laplace hinsichtlich der predictive power von Newtons Theorie gewaltig verspekuliert hat, doch ich sehe nicht, dass man ihm vorwerfen könnte, Physik mit Metaphysik verwechselt zu haben. Einen “Laplace-Determinismus” mit diversen metaphysischen Zutaten haben sich erst andere daraus gebraut.

    Lassen wir also die Metaphysik hier doch einfach mal weg oder eliminieren sie konsequent, wenn jemand damit ankommt, dann können wir auch gar nichts verwechseln.

  266. Chrys schrieb (10.10.2021, 17:02 Uhr):
    > […] In der Physik werden Hypothesen aber gerade dadurch getestet, dass aus theoriebasierten Modellen Vorhersagen deduziert werden, die sich dann empirisch überprüfen lassen.

    In der Physik erfolgen empirische Überprüfungen aber gerade dadurch, dass als Theorie festgesetzte Messoperatoren auf gegebene, geeignete Wahrnehmungsdaten angewandt werden.

  267. @Chrys // 10.10.2021, 17:02 Uhr

    » Determinismus war kein Thema bei Laplace in seinem Essay. «

    In gewisser Weise schon, denn er schrieb:

    Wir müssen also den gegenwärtigen Zustand des Weltalls als die Wirkung seines früheren und als die Ursache des folgenden Zustands betrachten.

    Ist das nun Physik oder Metaphysik?

    Wie auch immer, für uns hier stellt sich die Frage, ob dieser Satz auch für das (menschliche) Gehirn gelten kann. Für dynamische und chaotische Prozesse scheint er immerhin zutreffend zu sein.

    Oder, wie Du es formulierst:

    » … dann wäre die Frage, ob sich im Lichte “deterministischer Naturgesetze” von der Selbstbestimmung eines Agenten noch sinnvoll reden lässt,… «

    Martin Heisenberg hat diese Frage mit Ja beantwortet, wir beobachten bei tierlichen Lebewesen Aktionen, die nicht als Reaktion auf vorhergehende Ereignisse aufgefasst werden können, sondern offenkundig im Organismus selbst ihren Ursprung haben. Selbstbestimmtes Handeln wäre somit prinzipiell möglich und mit den „deterministischen Naturgesetzen“ nicht nur vereinbar, sondern sogar durch sie bedingt (sofern man eine deterministische Deutung der Quantenmechanik zugrunde legt, was M. Heisenberg offenbar selbst nicht tut).

  268. @Balanus:

    “…wir beobachten bei tierlichen Lebewesen Aktionen, die nicht als Reaktion auf vorhergehende Ereignisse aufgefasst werden können, sondern offenkundig im Organismus selbst ihren Ursprung haben.”

    Man könnte fast meinen, Sie seien vom Reduktionismus abgerückt. Natürlich agiert jedes Lebewesen aus sich selbst heraus. Es heilt sich sogar selbst, denken Sie an einen Knochenbruch. Es ist nicht der Arzt, der ihn heilt. Ähnliches gilt für die Psyche (auch im negativen Sinn).
    Allerdings ist das dann wieder Reduktionismus, wenn Sie sagen:

    “Selbstbestimmtes Handeln wäre somit prinzipiell möglich und mit den „deterministischen Naturgesetzen“ nicht nur vereinbar, sondern sogar durch sie bedingt (sofern man eine deterministische Deutung der Quantenmechanik zugrunde legt,…”

    Nein! Es gibt keinen linearen Determinismus, der vom Urknall bis zum Knochenbruch und dessen Heilung bis hinunter zu den Quanten reicht. Nicht nur die Physik kennt Symmetriebrüche, das Leben selbst ist ein solcher und zeitigt immer neue.
    Wenn Determinismus und Kausalität bezüglich Leben Sinn ergeben sollen, müssen sie im Leben selbst gesucht werden. Es gibt keine deterministischen Quanten für das Leben.
    Übrigens redet @Jeckenburger auch vom Einfluss des Quantenzufalls auf das Gehirn. Reduktionismus und Metaphysik ähneln sich offenbar mehr als man glaubt.

  269. @Balanus / 11.10.2021, 11:28 Uhr

    »Martin Heisenberg hat diese Frage mit Ja beantwortet, …«

    Ich würde eher meinen, er hat sie mit Nein beantwortet. Denn Freiheit erscheint ihm doch nur dann selbstverständlich, “wenn man den Determinismus ganz und gar abgeschüttelt hat.

  270. @Balanus / 11.10.2021, 11:28 Uhr / diverse Anmerkungen

    »In gewisser Weise schon, denn er [Laplace] schrieb:
    “… Wirkung … Ursache …”
    Ist das nun Physik oder Metaphysik?
    «

    Weder das eine noch das andere — laut Earman (1986) ist es ein Strohmann. Earman beginnt seine Ausführungen mit einer Klarstellung, was Determinismus nicht ist und nennt als ersten Punkt dabei Kausalität. Wenn ich mich hier einfach mal selbst zitieren darf, das Thema hatten wir nämlich schon mal, bei Ludwig Trepl (20.04.2016, 10:12 Uhr).

    Earman patzt allerdings auch, indem er (1986, 2006) eine Definition von Laplacian determinism gibt, die Eagle (2005) in Definition 4 als Earman-Montague determinism wiedergibt und — korrekterweise — so von Laplace abgrenzt. Keil orientiert sich bei seiner Rede von “Laplace-Determinisus” offenbar u.a. an Earman und verpasst den Aspekt von Nicht-Äquivalenz, den Eagle bemerkt und zu einer Unterscheidung veranlasst hat.

    Zustimmen würde ich Geert Keil (2009, 2017) allerdings dahingehend, das mit dem Attribut “deterministisch” überaus nachlässig umgegangen wird. Da bringt anscheinend jeder sein eigenes beharrliches Vorverständnis mit in die Diskussion und es wird leicht versäumt, sich auf eine (kontextuelle) Bedeutung dieses Attributs zu einigen, was der Diskussion nicht gut bekommt.

  271. @Chrys // 12.10.2021, 11:18 Uhr

    »… es wird leicht versäumt, sich auf eine (kontextuelle) Bedeutung dieses Attributs [deterministisch] zu einigen, …«

    Na, dann woll’n wir mal: Nach meinem Verständnis sind mit „deterministischen Gesetzmäßigkeiten“ im Grunde (fast immer) „physikalische Gesetzmäßigkeiten“ gemeint. Alles, was sich mit der uns bekannten Physik vereinbaren lässt, fällt unter „deterministische Gesetzmäßigkeiten“. Also auch das oben erwähnte unregelmäßige, spontane Öffnen und Schließen von Ionenkanälen in Nervenzellmembranen—auch wenn das Gesetzmäßige hier nicht grad ins Auge springt.

    Davon zu unterscheiden wäre der Determinismus à la Laplace oder Earman, den Martin Heisenberg „abschütteln“ möchte.

    Kausalität ist wieder ein Kapitel für sich, aber es gibt wohl gewisse Berührungspunkte zum Determinismus. Ansonsten wäre es ja sinnfrei, eine Abhandlung unter den Titel „Causal Determinism“ zu verfassen (Carl Hoefer, 2016, SEP).

    (Schon witzig, was wir bei Ludwig Trepl alles schon mal hatten… und vor allem: auf welch hohem Niveau ;-))

    (Laplace-Variante ohne „Ursache“ und „Wirkung“:
    Wir müssen also den gegenwärtigen Zustand des Weltalls als die Folge seines früheren und den Ausgangspunkt des folgenden Zustands betrachten.)

  272. @ Wolfgang Stegemann // 11.10.2021, 13:18 Uhr

    »Natürlich agiert jedes Lebewesen aus sich selbst heraus.«

    Die Frage ist, was es dazu befähigt. Um da Antworten zu finden, muss man näher hinschauen, es genügt nicht, immer nur das Ganze zu betrachten, da muss man ins Detail gehen, bis hinab ins Allerkleinste.

    »Es gibt keinen linearen Determinismus, der vom Urknall bis zum Knochenbruch und dessen Heilung bis hinunter zu den Quanten reicht.«

    Das klingt, als hätten Sie bereits den durchgängigen Determinismus „abgeschüttelt“, von dem Martin Heisenberg in seinem Aufsatz „Naturalisierung der Freiheit aus Sicht der Verhaltensforschung“ (2007) spricht, damit „Freiheit“ im Rahmen physikalischer Gesetzmäßigkeiten (denk-)möglich ist.

    »Übrigens redet @Jeckenburger auch vom Einfluss des Quantenzufalls auf das Gehirn«

    Na und? Spontan feuernde Neuronen sind Fakt, das hat mit Metaphysik rein gar nichts zu tun.

    Als ich dem von Chrys bereitgestellten Link zu Ludwig Trepls Blog gefolgt bin, fiel mir folgende, bedenkenswerte Anmerkung von Chrys ins Auge (abgesehen vom Wörtchen „stumpfsinnig“ stimme ich dem weitgehend zu [unterschiedliche Organisationsstufen bedingen unterschiedliche „Beschreibungsebenen“, da sollte man vielleicht weniger pauschal argumentieren]):

    Das kausale Schema ist so tief mit unseren Wahrnehmungen und Vorstellungen verankert, dass es stumpfsinnig erst einmal überall in Anschlag gebracht wird, egal ob es passt oder nicht. Ein Beispiel, wo es überhaupt nicht passt, ist noch die ominöse “upward/downward causation” zwischen hierarchisch geordneten Beschreibungsebenen ein und desselben Sachverhalts, und das wird dann “ontologische Emergenz” oder so ähnlich genannt. Eigentlich lässt sich vergleichsweise leicht einsehen, dass die Beziehung zwischen zwei von einem Beschreiber konstituierten deskriptiven Levels kein irgendwas verursachender Wirkmechanismus, sondern nur eine durch die gewählten Betrachtungsweisen bedingte epistemische Relation sein kann. Was manche moderne Denker alles so emergieren lassen, ist schon sehr verwunderlich.

  273. @Balanus:

    “@ Wolfgang Stegemann // 11.10.2021, 13:18 Uhr
    »Natürlich agiert jedes Lebewesen aus sich selbst heraus.«
    Die Frage ist, was es dazu befähigt. Um da Antworten zu finden, muss man näher hinschauen, es genügt nicht, immer nur das Ganze zu betrachten, da muss man ins Detail gehen, bis hinab ins Allerkleinste.”

    Da haben Sie völlig recht. Die Frage ist nur, ob man das Detail auch als Erklärung nimmt. Aber das muss jeder selbst entscheiden.

    “»Es gibt keinen linearen Determinismus, der vom Urknall bis zum Knochenbruch und dessen Heilung bis hinunter zu den Quanten reicht.«
    Das klingt, als hätten Sie bereits den durchgängigen Determinismus „abgeschüttelt“,”

    Ich hätte das Wort linear hervorheben sollen.

    “»Übrigens redet @Jeckenburger auch vom Einfluss des Quantenzufalls auf das Gehirn«
    Na und? Spontan feuernde Neuronen sind Fakt”

    Was haben spontan feuernde Neuronen mit Quanten zu tun? Aber lassen wir das lieber.
    Zur Verwendung von Kausalität und Determinismus: Jeder interpretiert es anders. Darf er das, oder gibt es da womöglich gesetzliche Vorgaben und Beamte, die deren Einhaltung prüfen?
    Nein, Spaß beiseite. Wir gehen schon einige Zeit den Weg jeder Diskussion mit entgegengesetzten Standpunkten: am Ende wird es meist zur Erbsenzählerei. Ich verabschiede mich jetzt endgültig aus dieser Runde – versprochen. Wir sehen uns bestimmt an anderer Stelle wieder.

  274. @Stegemann 12.10. 23:01

    „Was haben spontan feuernde Neuronen mit Quanten zu tun?“

    Wenn Quanteneffekte in Ionenkanälen Zufälle produzieren, kann dies in den laufenden Prozessen in den Nervenzellen eine Auswirkung auf das Feuern der Neuronen haben.

    Dieser Zufallsanteil am Beitrag der einzelnen Nervenzellen wird sicherlich von der Gesamtkonstruktion des Nervensystems kreativ eingebunden. Sorgt dann aber auch vielleicht mal zu einer gewissen Offenheit im psychischem Geschehen.

    Jedenfalls scheitert hier der durchgängige Determinismus dann spätestens am Quantenzufall im Ionenkanal. Auch wenn die Willensfreiheit sowieso im psychischem System liegt und längst gegeben ist.

  275. @Balanus / 12.10.2021, 18:44 Uhr

    Man muss sich vor Augen halten, dass die Physik die Natur modellhaft beschreibt, und dass es nur abstrakte mathematische Modelle sein können, wo sich die Gleichungen der Mechanik etc. — also die sog. “Naturgesetze” — überhaupt definieren lassen. Inwiefern solche theoret. Modelle den Naturphänomenen gerecht werden, ist dann observationell zu testen. Das Attribut “deterministisch” bezeichnet dabei stets die Eigenschaft eines Modells und nicht die eines modellierten Phänomens, das sich möglicherweise ja auch noch ganz anders modellieren lässt.

    Was man dann mit Hinblck auf das Gehirn unter Beachtung physikal. Gesetzmässigkeiten tun kann, wäre etwa eine deterministische Modellierung neuronaler Dynamik, um herauszufinden, was sich bei solchen dynamischen Systemen als typische Eigenschaften feststellen lässt. Von besonderen Interesse erscheint dabei die Frage, ob deterministische neuronale Dynamik typischerweise mit positiver KS-Entropie einhergeht.

    Falls das der Fall ist, dann liefert das deterministische System auch keinen höheren Grad an Determiniertheit als ein indeterministisches. Eine positive dynamische Entropie ist ein Kriterium dafür, dass, populär gesprochen, das betreffende System “kreativ” sein kann und sein Verhalten sich nicht komplett aus einem initialen Zustand logisch deduzieren lässt. Was dann doch ganz prima passt zu Deiner Feststellung, »wir beobachten bei tierlichen Lebewesen Aktionen, die nicht als Reaktion auf vorhergehende Ereignisse aufgefasst werden können, sondern offenkundig im Organismus selbst ihren Ursprung haben.«

    So ganz neu ist die Idee inzwischen auch nicht mehr, und ich gebe Dir noch etwas Lesestoff zu den relevanten Stichworten mit:

    Faure, P., & Korn, H. (2001). Is there chaos in the brain? I. Concepts of nonlinear dynamics and methods of investigation. C. R. Acad. Sci. Paris, Ser. III 324(9), 773-793. [PDF]

    Faure, P., & Korn, H. (2003). Is there chaos in the brain? II. Experimental evidence and related models. C. R. Biologies, 326(9), 787-840. [PDF]

    Wie weit man mittlerweile auf diesem Weg gekommen ist, davon kannst Du Dir sicherlich mit google scholar selbst einen Eindruck verschaffen.

  276. @Tobias Jeckenburger // 13.10.2021, 00:14 Uhr

    » Wenn Quanteneffekte in Ionenkanälen Zufälle produzieren,«

    Das stochastische Öffnungsverhalten von Ionenkanälen wird gerne mit dem Münzwurf verglichen, wobei der Wurf selbst den zufälligen thermischen Bewegungen des Kanalproteinmoleküls entspricht. Wenn die Bindungen des Proteins schwingen, sich biegen und dehnen, dann gelangen Atome in eine Position, die eine Konformationsänderung des Kanalproteins ermöglicht. So ungefähr kann man sich das vorstellen, wenn man die Sache ohne den Begriff ‚Quanten‘, auf den manche allergisch reagieren, beschreiben will.

  277. @Chrys // 13.10.2021, 12:37 Uhr

    »Das Attribut “deterministisch” bezeichnet dabei stets die Eigenschaft eines Modells und nicht die eines modellierten Phänomens, das sich möglicherweise ja auch noch ganz anders modellieren lässt.«

    Eigentlich naheliegend, hätte ich auch selbst draufkommen können.

    Besten Dank für den „Lesestoff“, ist ja ganz schön umfangreich, was die Verfasser da abgeliefert haben. Bemerkenswerterweise wurde der zweite Aufsatz (der von 2003) schon am Folgetag nach dem Einreichen zur Publikation akzeptiert—rekordverdächtig (es gab offenbar kein Peer-review-Verfahren).

    Mir war gar nicht klar, dass da dermaßen viel in dieser Richtung gearbeitet wird. Fällt das noch unter ‚Hirnforschung‘?

    Auf jeden Fall scheinen wir es hier mit Forschungsansätzen und Theorien zu tun zu haben, die den „neuronalen Determinismus“ in ein neues Licht rücken.

    (Auch dieser Post verdankt sich vermutlich der neuronalen positiven dynamischen KS-Entropie—womit wir praktisch am Ziel angekommen wären.
    Bis denne… :-))

  278. @Balanus / 15.10.2021, 15:16 Uhr

    »Bemerkenswerterweise wurde der zweite Aufsatz (der von 2003) schon am Folgetag nach dem Einreichen zur Publikation akzeptiert–rekordverdächtig (es gab offenbar kein Peer-review-Verfahren).«

    Das war mir gar nicht aufgefallen. Zu bemerken wäre gegebenenfalls auch, dass beide Teile im gleichen Journal publiziert wurden, das nur ab 2002 unter neuem Namen erscheint. Dazu finde ich noch etwa hier (meine Fettung):

    The Comptes Rendus – Biologies are a peer-reviewed electronic journal. It is one of seven journals published by the Académie des sciences. Comptes Rendus – Biologies publish review articles, thematic issues, News and views, debates and articles reflecting the history of the Academy of Sciences and its current scientific activity in the different fields of biology. The Comptes Rendus – Biologies (4 issues per year) cover all areas of life sciences, presented in particular through numerous themes: biomodelling, molecular biology and genetics, developmental and reproductive biology, cell biology, biochemistry, neuroscience, immunology, pharmacology, ecology…. Articles are written in English or French.

    »Fällt das noch unter ‚Hirnforschung’?«

    Die Autoren sind jedenfalls Neurobiologen, wenn ich es recht sehe. Auf Faure & Korn bin ich auch erst ad hoc bei der Stichwort-Suche nach geeignetem “Lesestoff” für Dich gekommen, und nach meinem ersten Eindruck ist ihnen die Abhandlung der theoret. Grundlagen (Teil I) bemerkenswert gut und sachverständig gelungen.

  279. Anlässlich der Frankfurter Buchmesse hat die FAZ eine Rezension dreier neuer Bücher veröffentlicht, die um das Thema Bewusstsein kreisen: Im Organismus geht ein Licht an (Bezahlschranke)

    Das „harte Problem“ bleibt freilich trotz allem bestehen. Wie genau Bewusstsein im Gehirn entsteht, sei nach wie vor ungeklärt, gesteht Joseph LeDoux ein. Und Wolfgang Prinz beklagt, unser theoretisches Verständnis für das Phänomenale, dafür, wie es sich anfühlt, bleibe in wesentlichen Punkten unvollständig. Lediglich Antonio Damasio findet, die Erklärung des Bewusstseins werde komplizierter gemacht als nötig. Den einen oder anderen Sonntag wird uns das Phänomen also wohl noch beschäftigen. Dabei empfiehlt sich das Buch von Damasio für den Einstieg in das Forschungsfeld, das von LeDoux für den historischen Rückblick und das von Prinz für die gründlichste Diskussion relevanter Erklärungsansätze.

    Antonio Damasio: „Wie wir denken, wie wir fühlen.“ Die Ursprünge unseres Bewusstseins. Aus dem Englischen von Sebastian Vogel. Hanser Verlag, München 2021. 192 S., geb., 22,– €.

    Joseph LeDoux: „Bewusstsein“. Die ersten vier Milliarden Jahre. Aus dem Englischen von Elsbeth Ranke und Sabine Reinhardus.Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2021. 472 S., geb., 28,– €.

    Wolfgang Prinz: „Bewusstsein erklären“. Suhrkamp Verlag, Berlin 2021.317 S., br., 24,– €.

  280. @Joker: Bewusstsein

    Danke für den Hinweis. Von Prinzens Buch habe ich mir gerade das Inhaltsverzeichnis angeschaut. Davon verspreche ich mir am meisten. Damasio ist bei mir in der Schublade “Märchenerzähler” abgelegt.

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