Science: Genaueste Gehirnbilder aller Zeiten

Eine Kooperation der Harvard University und Google zeigt bisher Ungesehenes in 3D. Was verraten die beeindruckenden Ergebnisse aus dem Elektronenmikroskop über das Wesen des Menschen?

In der heutigen Ausgabe von Science publizierte der Harvard-Forscher Jeff W. Lichtman mit seinem Team und Mitarbeitern von Google 3D-Konstruktionen eines Gehirnbereichs in bisher ungekannter Auflösung (Shapson-Coe et al., 2024). Dafür untersuchten sie einen Kubikmillimeter (1 x 1 x 1 mm³) Hirngewebe mit dem Elektronenmikroskop. Die Probe stammte aus dem Temporallappen eines Patienten, der wegen epileptischer Anfälle im Gehirn operiert werden musste. Der untersuchten Struktur wird eine wichtige Rolle für das Gedächtnis beigemessen.

Für die Untersuchung wurde das Gewebe vorbehandelt und dann in 5000 Scheiben mit je ca. 30nm (Nanometer) Dicke zerlegt. Computergestützt kam so eine 3D-Konstruktion von 57.216 Zellen und 133,7 Millionen synaptischen Verbindungen zustande. Der Datensatz umfasst schlappe 1,4 Petabyte beziehungsweise 1400 Terabyte an Speicherplatz.

Die Abbildung 12 aus der Vorveröffentlichung zeigt “ungewöhnliche Zellen”. A und D sehen wie Pyramidenzellen aus, B und C wie Interneuronen. Quelle: Shapson-Coe et al. Lizenz: CC BY-NC-ND 4.0 Deed

Weitere Abbildungen werden von Google in einer Galerie zur Verfügung gestellt. Zur Navigation wurde eigens ein “Neuroglancer” genanntes Tool für Webbrowser entwickelt.

Bedeutung

Es ist ein alter Traum, immer tiefer ins Innere des Menschen zu schauen. Laut den Forschern kann man mit der nun erreichten Genauigkeit die Funktionsweise des Gehirns besser verstehen – und vielleicht irgendwann neue Behandlungen für neuronale Erkrankungen entwickeln.

Das mag schon sein. Doch verrät uns das auch etwas über das Wesen des Menschen, wie es uns führende Hirnforscher seit Jahrzehnten versprechen? Wir erinnern uns an das berühmte Manifest, das dieses Jahr seinen 20. Geburtstag feiert.

Schon der Mathematiker und Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) entwickelte in seiner Monadologie von 1714 ein Gedankenexperiment zur Beantwortung dieser Frage: Stellen wir uns einen Automaten mit kognitiven Fähigkeiten vor, zum Beispiel Wahrnehmung. Im nächsten Schritt sollen wir uns vorstellen, diesen Automaten so zu vergrößern, dass man in ihm herumlaufen könnte, wie in einer Windmühle – einer fortschrittlichen Maschine zu Leibniz’ Lebzeiten.

Was würde man nun sehen, wenn man in diesem Automaten herumliefe? Eine Wahrnehmung? Leibniz geht davon aus, dass auch das gesamte Wissen um die Arbeitsweise dieser Maschine, mit allen ihren Teilen, niemals Wahrnehmung erklären könnte. Im 19. Jahrhundert dehnte der Physiologie Emil du Bois-Reymond (1818-1896) das Gedankenexperiment auf das Thema Bewusstsein aus.

In einer eigenen Forschungsarbeit habe ich die Geschichte dieses Gedankenexperiments bis hin zu David Chalmers’ “hartem Problem des Bewusstseins” kurz nachvollzogen (Schleim, 2022). Es liefert keinen schlagenden Beweis, sondern eher eine Intuition darüber, dass das Verständnis neuronaler Mechanismen keine grundlegende Erklärung für das Wesen des Menschen liefert, ja noch nicht einmal von Bewusstseinserlebnissen.

Quo vadis, Forschung?

Mit Verfahren, die sich weder Leibniz noch du Bois-Reymond vorstellen konnten, ging die Forschung nun in die andere Richtung: in immer mikroskopischere Bereiche. Wenn nur ein Kubikmillimeter eines einzelnen Gehirns 1400 Terabyte an Daten liefert, an welche Dimension muss man dann für ein ganzes Gehirn denken?

Meine Schätzung stimmt nicht ganz, da die Dichte von Nervenzellen im Gehirn schwankt. Tatsächlich befinden sich davon im relativ spärlichen Kleinhirn (Cerebellum) sehr viel mehr als im immensen Großhirn (Cortex). Doch wenn man von insgesamt ca. 86 Milliarden Neuronen ausgeht, käme man mit 1400 Terabyte x 86 Milliarden Zellen / 57.216 Zellen auf satte 2,1 Milliarden Terabyte – beziehungsweise 2,1 Zettabyte (zetta = 10 hoch 21). Zum Vergleich: Die Google Cloud wurde 2022 auf 27.000 Terabyte beziehungsweise 27 Petabyte (peta = 10 hoch 15) geschätzt.

Und selbst wenn man die Struktur eines gesamten Menschengehirns mit dem Elektronenmikroskop erfassen würde, hätte man damit gerade einmal eine Momentaufnahme. Über die Funktionsweise würde uns das wenig verraten.

Ich werfe darum wieder einmal die Frage auf, ob mit solchen Projekten die richtigen Prioritäten für die Forschung gestellt werden. Während die Gesellschaft auseinanderdriftet, die Polarisierung zunimmt, es zu mehr Extremismus und Krieg kommt, können viele Wissenschaftler nur mit den Achseln zucken. Die Weichenstellung in meinem Bereich hat dazu geführt, dass, salopp gesagt, für “alles mit Gehirn” die Forschungsgelder fließen; wer aber mit sozialwissenschaftlichen Methoden (einschließlich der Psychologie) wichtige gesellschaftlich Fragen beantworten will, der wird belächelt.

Dieses Muster haben wir an der Psychiatrie deutlicher nachvollzogen: Wer Karriere machen will, muss das Gehirn oder wenigstens die Gene erforschen. Wer unmittelbar Patienten helfen will, der gerät ins Hintertreffen.

“Die Psychiatrie hat immer solche Moden. Ich glaube schon, dass die drei genannten Grundpfeiler, diese drei Wurzeln der Psychiatrie, im Kern gesund sind. In der Forschung ist die Sozialpsychiatrie aber wohl ins Hintertreffen geraten. Auf wissenschaftlichen Kongressen kommen Sie mit sozialpsychiatrischen Vorträgen in unserer Zeit nicht so gut an. Und die Leute wollen eben auch Karriere machen.”

Psychiatrieprofessor Ludger Tebartz van Elst, 2020 im Interview

Zweite Natur

Wir Menschen sind zwar verkörpert und in diesem Sinne auch biologische Wesen. Doch Gesellschaft und Kultur sind uns zur “zweiten Natur” geworden. Im Alltag, sofern wir nicht zufällig eine körperliche Erkrankung haben, ist diese zweite Natur für uns wesentlich.

Oder um es mit einem anderen Beispiel zu verdeutlichen: Für die Entwicklung der Atombombe bedurfte es physikalischer und ingenieurwissenschaftlicher Fähigkeiten sowie des nötigen Organisationstalents. Die Entscheidung, sie einzusetzen, ist aber ein psychologischer Vorgang.

Mehr über die Möglichkeiten und Grenzen der Hirnforschung und das Verhältnis von erster und zweiter Natur des Menschen erfahren Sie in Stephan Schleims neuem Buch über Wissenschaft und Willensfreiheit:

Wissenschaft und Willensfreiheit: Was Max Planck und andere Forschende herausfanden, hier im Webshop von Springer als Taschenbuch oder E-Book zu bestellen – oder beim Buchhändler Ihrer Wahl.

Referenzen

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Folgen Sie Stephan Schleim auf Twitter/X oder LinkedIn. Titelgrafik: Shapson-Coe et al. Lizenz: CC BY-NC-ND 4.0 Deed

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48 Kommentare

  1. @Schleim: Ich habe nicht(!) vor, Sie zu verärgern – auch wenn Sie meine Hinweise nicht gerne haben!

    Mit üblichen Methoden der Gehirnforschung (z.B. MEG, PET, N-IR, EEG, fMRT, Elektroden) bekommt man nur INDIREKT Zugang zu neuronalen Aktivitäten.

    Die oben beschriebenen 3D-Konstruktionen erlauben es nur, biologische Strukturen in einem extrem kleinen Volumen zu erkennen (1 Kubikmillimeter).

    Im Rahmen der sogenannten ´Naht°d-Erfahrung´(NTE) kann man aber bewusst DIREKT LIVE erleben, wie das Gehirn einen einzelnen Reiz/Gedanken systematisch und strukturiert verarbeitet. (NTEs sind das Ergebnis eines bewusst erlebbaren Erinnerungsvorgangs. Um NTEs zu erklären, reichen zwei Fachbegiffe aus: predictive coding + state dependent retrieval)

    Das ist der DIREKTESTE – da bewusst erlebbare – Zugang zum arbeitenden Gehirn, den es gibt. Aber ausgerechnet Inhalte und Strukturen von NTEs werden von der Gehirnforschung nicht ernsthaft untersucht – weil man die Deutungshoheit dafür der Esoterik überlassen hat.

    Dieses Beispiel zeigt ein schwerwiegendes Problem auf: Wenn sich die Wissenschaft weiterhin weigert, den DIREKTEN Zugang zum arbeitenden Gehirn zu erforschen – wird damit eine konkrete riesige Chance vertan, um die Arbeitsweise des Gehirns besser zu verstehen.
    Denn der DIREKT LIVE erlebbare Zugang zum arbeitenden Gehirn ist ein wesentliches Merkmal seiner Funktionsweise!

    [Buchquelle: Kinseher Richard “Auflösung großer Fragen: Was ist Bewusstsein? Was ist Zeit?” – kostenlose Leseprobe im Internet z.B. bei Amazon]
    Im Buch wird – mit NTEs als konkretem Beispiel – beschrieben, wie DENKEN funktioniert, WIE und WARUM ein ´ICH-Bewusstein´ entsteht und was ´Bewussstein´ ist. Wenn man sich mit Denkvorgängen ernsthaft beschäftigen will – muss man sich auch mit der DAUER von Gedanken befassen: und deshalb mit dem Thema ´Zeit´.

  2. @KRichard: Sie wissen, dass Ihre Hinweise auf Nahtoderfahrungen, die Sie hier seit bald 16 Jahren(!) bei jeder Gelegenheit streuen, nicht willkommen sind.

    Wenn Sie mich/uns damit jetzt wieder für zehn Jahre verschonen, dann lasse ich Ihre Reklame stehen.

  3. Man müsste mal die Gehirne von (AFD) Nazis, den strunzdummen CDU/CSU Politikern und sonstigen Konservativen ideologisch geprägten Idioten unter die Lupe nehmen, aber da findet man wohl neben den von Ethanol zerfressenen Neuronen und Resten von Alkoholmolekülen nicht ganz so viele funktionale Fragmente.

  4. @ Stephan Schleim

    Ich meine, dass größte Problem in der Forschung ist die letztlich sehr mangelhafte Messtechnik, deswegen hat man hauptsächlich Probleme das „Verhalten, Funktionen“ bestens zu erforschen. Die Elektronik konnte sich dank der dort vorhandenen besseren Möglichkeiten bestens entwickeln.

    Die Neurologen müssen froh sein, wenn sie z.B. eine bessere Auflösung in der Elektronenmikroskopie erzielen können, bessere IT Systeme zur Verfügung stehen, allenfalls die Molekulardynamik besser erforschen können. Immer wenn es neue Möglichkeiten gibt, können sie mit neuen Forschungsergebnissen aufwarten.

    Ich glaube Sie haben einmal angeregt, möglichst viele „Mechanismen“ zu entdecken und zu verstehen. Mechanismen dürften auch über Menschen viel aussagen.

    Wir kennen kaum Mechanismen, die z.B. Empfindungen bewirken. Aber sehr viele Mechanismen des „Mensch Sein“ können wir heutzutage nachahmen und oft sogar den Menschen übertreffen, Stichwort KI.

    Wir können zwar keine Empfindungen, wohl aber so etwas wie Wahrnehmungen „nachahmen“ und ein Computer könnte über seine „Wahrnehmungen“ (Empfindungen müssen durch so etwas wie „Simulationen“ ersetzt werden), die weitergehend sein können als beim Menschen, Auskünfte geben. Empfindungen können als Grundlage für „Bewertungen“ höchst bedeutungsvoll sein.

    Zitat: „Während die Gesellschaft auseinanderdriftet, die Polarisierung zunimmt, es zu mehr Extremismus und Krieg kommt, können viele Wissenschaftler nur mit den Achseln zucken.“

    Mir kommt immer vor, ich stehe allein da mit meiner Meinung, aber mich verwundert es nicht im Geringsten, dass die Israelis nach dem Massaker vom 7. Oktober so reagiert haben, wie sie nun einmal reagiert haben. Oder wie die Russen (mit ihren Atombomben zur Rückendeckung) in der Ukraine reagiert haben, nachdem man sie von ihren Krimhäfen und ihrem Flottenhafen vertreiben wollte….

    Bei diesen Themen könnte der „gesunde Menschenverstand“ reichen und so einiges erklären….

    Ich fürchte, die Sozialpsychiatrie und die Sozialarbeit überhaupt, ist ein Fass ohne Boden. Es wurden vermutlich noch niemals so viele Mittel aufgewendet und die Probleme scheinen immer größer zu werden….

    Vielleicht hilft es, wenn zur Beratung und fürs „soziale Lernen“ KI Systeme eingesetzt werden können.

  5. @Elektroniker: Die grundlegende Frage ist, ob es ein Problem der Messtechnik ist – oder ob die wesentliche Qualität überhaupt nicht messbar ist.

  6. @ Schleim

    Ja, ich frag mich immer, was wir von aussen suchen, um uns im innern zu finden?

    Auch Ihnen: ich verabschiede mich. Wir sind halt unsere eigenen Labore.

    Gute Reise! Es war und ist mir eine Ehre!

  7. Für die Informationsverarbeitung sind die Übertragungsfaktoren
    der 133,7 Millionen synaptischen Verbindungen entscheidend.
    Wenn man für eine Synapse rund 16 oder 2 hoch 4 mögliche Stufen
    ihres Übertragungsfaktors annimmt, von hemmend über neutral
    bis verstärkend, dann hat man also rund 534,8 Millionen Bits.
    Auf den Informationsgehalt der Synapsen bezogen, aber
    ohne die Berücksichtigung der geometrischen Anordnung:
    133.700.000 Synapsen pro Kubikmillimeter,
    4 Bit pro Synapse,
    534.800.000 Bit pro Kubikmillimeter,
    86.000.000.000 Zellen pro Gehirn,
    57.216 Zellen pro Kubikmillimeter,
    1.503.076 Umrechnungfaktor,
    803.845.078.299.776 Bit pro Gehirn,
    8 Bit pro Byte,
    100.480.634.787.472 Byte pro Gehirn,
    also rund 100 Terabyte pro Gehirn.

  8. Zitat: Oder um es mit einem anderen Beispiel zu verdeutlichen: Für die Entwicklung der Atombombe bedurfte es physikalischer und ingenieurwissenschaftlicher Fähigkeiten sowie des nötigen Organisationstalents. Die Entscheidung, sie einzusetzen, ist aber ein psychologischer Vorgang.

    Ich weiß nicht so recht worum genau es in dem blog-post geht – abgesehen von der Komplementarität von Physik und Mentalität. Im Buddhismus gibt es die Aussage: It is your mind that creates this world. Wobei man, meine ich, besser sagen sollte: It is your mind that creates your world. Und wiederum: Unser mind wird von der Welt beeinflusst. Ob er von ihr kreiert wurde (was zuerst da war) ist eine (Art) Hamsterrad-Frage. Gemäß physikalischer Psychologie – oder psychologischer Physik – (erste & dritte Person Perspektive) waren Quantenfluktuationen der Urgrund (der Auslöser des Big Bang). Und die Ursache der Quanten?

    https://media.nature.com/lw767/magazine-assets/d41586-024-01387-9/d41586-024-01387-9_27068610.jpg?as=webp >> A single neuron (white) shown with 5,600 of the axons (blue) that connect to it. The synapses that make these connections are shown in green << … “Synapsenfluktuationen“ 😉.

  9. @Bednarik: Gehirn in Zahlen

    Da geht es jetzt aber um zwei Dinge, finde ich: Was Sie beschreiben, wäre wohl eher das Volumen der Informationsverarbeitung im Gehirn alle paar Millisekunden(?). Also die Funktion.

    Im Artikel steht eher die Struktur im Vordergrund.

    Die beiden Struktur und Funktion, treffen sich natürlich irgendwo: Struktur ermöglicht Funktion – und Funktion verändert Struktur (Neuroplastizität).

    Im Übrigen kann es ja nicht um die 100 Terabyte gehen, sonst gäbe es z.B. in der Google Cloud heute schon eine Art Hyper-Bewusstsein. Mit anderen Worten: Nicht nur das Volumen, sondern die Art der Informationsverarbeitung ist entscheidend. (Wobei übrigens “Information” hier als Metapher verwendet wird.)

  10. @Krüger: Buddhistische Sicht

    Dieses “du erzeugst die (bzw. deine eigene) Welt” ist wohl eher aus den New Thought- und New Age-Bewegungen der USA herübergeschwappt.

    Korrekt ist, wobei es in der indischen Philosophie und im Buddhismus natürlich auch viele verschiedene Schulen gibt, dass man die Welt als Ganze als Kreation eines All-Bewusstseins sieht; in der westlichen Philosophie nannte man das Idealismus.

    Demnach wäre auch das, was Sie “your mind” nennen, nur eine Reflexion dieses All-Bewusstseins, der selbst keine eigenständige Existenz zukommt; das ist ja gerade das Wesentliche der Śūnyatā-Lehre (vereinfacht: alles ist leer, nichts existiert aus sich selbst heraus, sondern nur in Abhängigkeit von anderem).

  11. P.S. Was ist an dieser Aussage so schwer zu verstehen? Waffen und Massenvernichtungswaffen sind materielle Dinge. Bis zum Einsatz autonomer Systeme (und wer programmiert die?) entscheiden Menschen – und daher psychische Vorgänge – über deren Einsatz.

    Insofern sollte man nicht nur Technologie und das Gehirn erforschen, sondern primär “die Psyche”. Das haben übrigens schon im 20. Jh. verschiedene Gelehrte unterschiedlicher Disziplinen immer wieder gesagt, dass scheinbar unsere technologische Entwicklung schneller geht als unsere psychologische.

    Mit anderen Worten: Wir haben immer mehr Mittel, doch lernen nicht den richtigen Umgang mit ihnen.

  12. Hallo Herr Schleim.
    Streng genommen gibt es da mindestens
    drei unterschiedlich schnelle Vorgänge.
    Am schnellsten ist die Weiterleitung der Signale unter
    der Verwendung der schon vorhandenen Übertragungsfaktoren.
    Etwas langsamer ist die Modifikation der Übertragungsfaktoren
    durch die Menge und Art der Signale.
    Noch langsamer entstehen neue Axone und Synapsen.
    —–
    Ob ein System ein Bewusstsein hat, das kann nur das System
    selbst feststellen, und kein anderes System von außerhalb.

  13. @Hauptartikel

    Offenbar ist es aussichtslos, die ganze Funktion des Gehirns so zu scannen, wie dieses Kubikmillimeter. Und im Lernbetrieb ändern sich auch noch die Details.

    Vielleicht kann man hier ein wenig für die KI lernen, wenn man hier konkrete Verschaltungen findet, die bestimmte Funktionen realisieren. Das kann dann eine Übertragung für die KI inspirieren.

    Man hat hier auch mal einen Wurm genaustens kartiert, der mit 302 Neuronen auskommt, und leider dennoch nicht herausfinden können, wie der funktioniert. Wobei die Idee, mit sehr kleinen Tieren zu forschen, eigentlich vielversprechend wäre, da hätte man doch wirklich die Möglichkeit, das ganze Nervensystem zu verstehen.

    Der Mensch bleibt auf diesem Weg unfassbar. Psychologie und Soziologie sind hilfreicher. Und wenn wir insgesamt persönliche Geheimnisse bleiben, dann kann das sogar spannend sein.

  14. @Bednarik
    Synapsenzählen allein sagt relativ wenig über die Funktionsweise des Gehirns aus.
    Man muss sich auch mit Mechanismen beschäftigen:

    z.B. entscheidet der Zustand von Neuronen VOR der Verarbeitung eines neuen Reizes, wie dieser dann verarbeitet wird. D.h. ein identischer Reiz kann zu völlig verschiedenen Reaktionen führen. (Fachbegriff: priming)

    z.B. werden Informationen vom Gehirn in neuronalen Netzwerken verarbeitet. D.h. die Struktur dieses Netzwerkes beeinflusst das Ergebnis

    z.B. bewegen sich ständig neuronale Aktivierungswellen – wie eine LaOla-Welle – über das Gehirn. Dadurch können Neuronen deaktiviert oder aktiviert werden. Dieser Vorgang hat nichts mit der aktuellen Verarbeitung eines neuen Reizes zu tun – kann aber als Nebeneffekt das Ergebnis dennoch beeinflussen.

    Das sind nur drei einfache Beispiele um zu zeigen, dass man sich auch mit der Arbeitsweise des Gehirns beschäftigen muss – wenn man seine Funktionsweise verstehen will.

  15. @ Karl Bednarik 11.05.2024, 12:54 Uhr

    Was die verschiedenen Geschwindigkeiten der Vorgänge im neuronalen Netz betrifft, sehe ich es wie Sie.

    Zu „Empfindungen“, die ganz wesentlich zum „Bewusstsein“ gehören, gibt es eine Sicht, die ehemals in der Nazi Forschung arbeitende Wissenschaftler vertraten. Die haben sie uns unter dem “Siegel der Verschwiegenheit” verraten. Allerdings wären diese Herren jetzt rund 120 Jahre alt….

    Kurz gesagt, sie vermuteten in der Dynamik von Materie Teilchen „Muster“, die mit jeweils bestimmten Empfindungen korrelieren sollten. Allerdings gäbe es gewaltige Probleme, natürlich auch Messprobleme, um Beweise führen zu können.

    Sind aus Ihrer Sicht derartige Möglichkeiten auszuschließen, oder eben nur nicht beweisbar?

  16. @ Stephan Schleim 11.05.2024, 11:39 Uhr

    Zitat: „Insofern sollte man nicht nur Technologie und das Gehirn erforschen, sondern primär “die Psyche”. Das haben übrigens schon im 20. Jh. verschiedene Gelehrte unterschiedlicher Disziplinen immer wieder gesagt, dass scheinbar unsere technologische Entwicklung schneller geht als unsere psychologische.“

    Das haben uns vor über 60 Jahren auch unsere Geschichtslehrer versichert. Die „psychischen Aspekte“ dürften hauptsächlich bei der Motivation des „Kanonenfutters“ eine Rolle spielen. Diese Motivationen werden offenbar von „anderen Interessen“, z.B. Macht, Geld, Geopolitik,… „überlagert und ausgenutzt“.

    Letztlich schaukelt sich alles zum Massenwahn auf, die Geschichte nimmt ihren Lauf….

    Es ist die Frage ob derartiges aus „Auslesegründen“ (Darwin) unvermeidbar ist, oder einfach menschliche Unzulänglichkeit, die allenfalls „behoben“ werden könnte….

    Man sollte es jedenfalls versuchen.

  17. Hallo Elektroniker.
    Lebewesen existieren nur deshalb, weil sie
    eine erhöhte Überlebenswahrscheinlichkeit haben.
    Kurzfristig als Individuen, und langfristig als Art.
    Zur Steuerung der beweglichen tierischen Mehrzeller
    hat sich das Gehirn entwickelt.
    Das Gehirn wird durch Instinkte, Triebe, Wünsche, Empfindungen,
    oder Gefühle gesteuert, die die DNA vorher eingebaut hat.
    Wenn jemand zum Beispiel Wasser trinken will, dann macht
    er das nicht aus einer logischen Überlegung heraus,
    sondern wegen seines eingebauten Steuerprogrammes.
    Aus dem selben Grund beißt sich niemand gerne selbst
    in die Finger.
    Es gibt also Empfindungen von einem selbst, und auch
    von der näheren Umgebung.
    Warum das nicht nur Automatismen sind, sondern warum
    das auch subjektiv erlebt wird, das ist unbekannt.

  18. @ Karl Bednarik 12.05.2024, 06:24 Uhr

    Bis auf die unbekannten Aspekte (Empfindungsphänomen) sehe ich alles genau wie Sie.

    Sogar die Lehrer die uns das ehemals vermittelt haben, die ehemaligen Nazi Forscher, tauchten nach dem Krieg im Schuldienst auf, die Mathematiker, Physiker, Chemiker etwas früher, die Biologen etwas später, sie mussten noch ihre Strafen wegen der unethischen Experimente absitzen, die sahen es genau so.

    Allerdings haben manche von denen, sozusagen unter vorgehaltener Hand, unter dem Siegel der Verschwiegenheit, auch weil Menschen grundsätzlich für verrückt gehalten werden die mit einer derart “frivolen” Sicht herumlaufen, auf die „Musterthese von dynamischen Teilchen“ verwiesen. Sie haben auch gemeint, dass dies praktisch eine Tautologie wäre, weil sowohl in der Physik als auch Chemie „Teilchendynamiken“ bedeutsam sind, selbst in toter Materie gäbe es derartiges. Die Sensorwissenschaftler haben vermutlich noch keine Auswertemöglichkeiten für Empfindungen gefunden.

    Philosophische Zombies in dem Sinne, dass Menschen z.B. eine heiße Herdplatte nicht als „heiß“ empfinden können, gibt es und die haben arge Probleme weil sie sich die Hände verbrennen können und sie merken es nicht einmal. Sie müssen z.B. aus der Form und anderen Merkmalen erkennen, dass es sich um eine Herdplatte handelt und die womöglich heiß ist, die sie nicht berühren sollten….

    In der Technik könnte man Sensoriken einsetzen die messen die Temperatur und gewisse Temperaturen gelten als angenehm, andere als unangenehm bis lebensgefährlich. Vieles an Empfindungen ist mathematisch abbildbar. Beim guten Geschmack oder beim Orgasmus hätte ein Roboter Schwierigkeiten….

    Vielleicht erkennen Biologen einmal Zelltypen, die „sensorisch“ für bestimmte Empfindungen sind, die direkt Empfindungen und neuronale Signale generieren können. (Vielleicht haben sie derartige Zellen bereits einmal erkannt und gezüchtet?) Nur wären wir dann wieder bei den ethischen Problemen. Thomas Metzinger meinte, dass das Leid in der Welt zunehmen würde, wenn Schmerz sensible Zellen gezüchtet würden.

    Die Entstehung von empfindungsfähigen Lebewesen dürfte die Evolution stark vorangebracht haben. Die „Bewertungsmöglichkeiten“ wurden stark erweitert.

  19. @Bednarik 12.05. 06:48

    „Das führt zu der Idee des philosophischen Zombies“

    Offenbar funktionieren wir inclusive Bewusstsein und innerer Erlebniswelt. Die Evolution ist diesen Weg gegangen, Alternativen wären vielleicht möglich, sind aber höchstwahrscheinlich nicht verwirklicht worden.

    Entsprechend kann KI ohne Bewusstsein und innere Erlebniswelt gebaut werden, und dennoch brauchbare Ergebnisse liefern. Spannend wäre es trotzdem, auch einer KI Bewusstsein und innerer Erlebniswelt einzubauen. Und wenn nur, um zu sehen, wie es bei uns funktionieren kann.

    Jetzt weiß allerdings wohl wirklich gar keiner, wie Bewusstsein und innere Erlebniswelt wirklich funktionieren. Welche Gehirnschaltkreise wie genau aussehen müssen, um eben Bewusstsein und innerer Erlebniswelt hervor zu bringen. Möglicherweise kann man das mit der genauen Untersuchung von Gehirnen wie mit diesem Scan hinbekommen.

    Oder die Informatik ist schneller, und jemand findet einen konkreten Weg, einer KI Bewusstsein und innere Erlebniswelt einzubauen, ganz unabhängig vom biologischem Vorbild.

    Auf jeden Fall ist eine Biologie mit Bewusstsein und innerer Erlebniswelt als grundsätzlich sinnvoll zu bewerten. Hier ist dann definitiv Spielraum für Vergnügen mit gelebter Existenz. Ohne dem wäre das Universum vollkommen sinnlos. Und eine KI mit Bewusstsein und innerer Erlebniswelt wäre gleich auch für sich selber sinnvoll, so wie wir das sind.

    Der Schmerz gehört dann aber auch dazu.

  20. „Das führt zu der Idee des philosophischen Zombies“

    Du meine Güte, sollte die Kultur-Geschichte der Menscheit an David Chalmers spurlos vorbeigegangen sein ?

    Ich würde sie eher naturwissenschaftliche Zombies nennen.

  21. Man sagt ja, je mehr man weiß, je mehr weiß man auch, daß man kaum etwas weiß – man hört es bei Ihnen zwischen den Zeilen heraus😉
    Letztlich stellt sich dann etwas unwissenschaftlich, aber rein aus der Begrenzung unserer kognitiven Fähigkeiten und unserer begrenzten Lebenszeit die Frage, welches Wissen, sogar welche Wissenschaft, ein Studium zur Vertiefung lohnt.
    Aus dem Kontext Ihres Artikels und den darin explizit/implizit aufgeworfenen Fragen kristallisiere ich für mich in diesem unwissenschaftliche Sinne heraus:
    – als moderne Analogie im Sinne von Leibniz: Kann man eine KI verstehen, wenn man den Prozessor, auf der sie als Software abläuft, bis ins Kleinste durchleuchtet?
    – vielleicht kann sie andererseits irgendwann, wie wir Menschen, Bewusstsein und Introspektion (was mE zwingend zusammenhängt) entwickeln, und uns sagen, wie sie “tickt”? Oder doch nur über den beschränkten Umfang, den Ihre Bewusstseinsfunktion (wie auch unsere) überhaupt “über sich” erfasst, während die ungleich größeren nicht erfassten Funktionen (das Unterbewusste) unsichtbar bleiben?
    – und doch ist es dieser unsichtbare Teil, der maßgeblich unser Verhalten und Handeln steuert – in einer Art, die unfassbar erweiterbar ist – ohne, daß wir uns dessen bewusst werden – im Zusammenwirken aller Menschen und Nutzung kultureller Artefakte wie niedergeschriebenem Wissen.
    – hier sind wir bei der “zweiten Natur” – die doch, gerade dieser Tage besonders offensichtlich, unser Leben und unser aller Lebensaussichten steuert – auch, was wir aus der unendlich komplexen Wechselwirkungen in dieser zweiten Natur zu verstehen und ergründen suchen – wenig korreliert mit den eben genannten absehbaren Katastrophen.
    P.S. ICYMI: Ich fand diesen Artikel zu Modellen des Bewusstseins sehr interessant.

  22. Martin A.
    “– als moderne Analogie im Sinne von Leibniz: Kann man eine KI verstehen, wenn man den Prozessor, auf der sie als Software abläuft, bis ins Kleinste durchleuchtet?”

    Jeder Informatiker/Kybernetiker weiß die Antwort. Man kann den Quellcode einer Software nicht herausfinden, weder wenn man die Hardware kennt noch wenn man das Programm kennt, das gerade abläuft.

    Und das ist doch eine anschauliche Erklärung von und über uns Menschen.
    Wir werden von einem Programm gesteuert, wir kennen unseren Körper, aber wir kennen unseren eigenen Quellcode nicht, dass was den “philosophischen Zombie” zum Menschen macht.

  23. @N
    Diese Analogien zwischen IT und unserem kognitiven System haben mE viel Potenzial – sei es nur als Unterhaltung – vor allem auch, um unsere eigenen Grenzen – und die Grenzen der Erforschung unserer Kognition einzuordnen. Ein paar Beispiele (über das genannte hinaus, daß ich genauso intendierte, wie Sie es beschrieben haben):
    – unser Bewußtsein ist so etwas wie ein Monitor oder Debugger – der bestimmte Prozesse abstrahiert erfasst, einschl. dessen, daß nur auf EINES der laufenden Prozesse fokussiert wird, mutmaßlich mit bestimmten Steuerungsfunktionen, wie den Prozeß zu beenden (z.B. auf was anderes zu “achten”) oder ein anderes Programm zu starten (anderer “Blickwinkel” oder “Kochrezept”) – von einer unbekannten Instanz (Operator/Supervisor) bedient.
    – das Bewusstsein (und der Operator) hat dabei genau wie die Forschung mit den Abstraktionsebenen (sinngemäß von CPU-Gattern über Maschinenbefehlen und “disassemblierten” Hochsprachenkonstrukten bis UI) und dem Gesamtsystem (z.bB Rückwirkung mit verborgenen Prozessen und Sensorinformationen aller Art) zu kämpfen.
    – dessen ungeachtet laufen die meisten Programme selbsttätig, ohne, daß unser Bewusstsein (oder die Erforschung dessen) etwas beiträgt – oder etwas davon merkt – bis ein Interrupt oder Signal die Aufmerksamkeit des Bewusstseins einholt.

  24. @Martin Anantharanam 13.05. 19:14

    „und doch ist es dieser unsichtbare Teil, der maßgeblich unser Verhalten und Handeln steuert – in einer Art, die unfassbar erweiterbar ist – ohne, daß wir uns dessen bewusst werden – im Zusammenwirken aller Menschen und Nutzung kultureller Artefakte wie niedergeschriebenem Wissen.“

    Kulturwesen sind wir durch und durch. Und brauchen deswegen auch 20 Jahre und manchmal noch viel mehr, bis wir ausgewachsen sind. Die Sozialisation und Individuation des Einzelnen und die Weiterentwicklung der Kultur ist dabei ein überwiegend selbstorganisierter Prozess. Auch wenn Pädagogen und Medien versuchen, hier zu strukturieren.

    Auch da steckt menschliches Bewusstsein und innere Erlebniswelt mitten drin. Sonst könnten wir uns auch gar nicht so gut verständigen, und uns in Dialogen weiter bilden.

    Interessant dazu ist es, dass die aktuelle KI viel mehr eine Kulturzusammenfassung ist, als dass sie wie ein persönlicher menschlicher Verstand funktionieren würde. Und gerade hier könnte sich ein großes Potential für eine Zusammenarbeit zwischen Mensch und KI bieten.

    Mit wiederum weitreichenden persönlichen und kulturellen Folgen, die noch gar nicht so recht klar sind. Wobei die ganz aktuelle KI zunächst ihren Schwerpunkt in der Kultur hat.

    Irgendwie unklar scheint es uns zu sein, wie wir überhaupt selber funktionieren. Hauptsächlich tun wir es einfach und haben uns an uns selbst gewöhnt. Und wir kommen dennoch persönlich und kulturell prinzipiell vorwärts, wenn auch nicht ohne Suchbewegungen.

  25. @Tobias Jeckenburger
    Wie wir funktionieren, Sigmund Freud hat ein anschauliches Modell vorgeschlagen, dass aus ES, ICH und ÜBERICH besteht. Darin finden unsere tierischen Vorfahren Platz, genauso wie unsere Wertvorstellungen und wir selbst. Ob das jetzt genau stimmt ist zweitrangig, erstrangig bleibt , ob so ein Denkmodell uns weiterführt.

  26. @ Schleim

    “Ich werfe darum wieder einmal die Frage auf, ob mit solchen Projekten die richtigen Prioritäten für die Forschung gestellt werden. Während die Gesellschaft auseinanderdriftet, die Polarisierung zunimmt, es zu mehr Extremismus und Krieg kommt, können viele Wissenschaftler nur mit den Achseln zucken.”

    Mehrere Jahrzehnte z.B. sozialpsychologischer Forschung haben aber offensichtlich die genannten Probleme auch nicht gelöst.

  27. @Tobias Jeckenburger
    14.05.2024, 00:54 Uhr
    “Interessant dazu ist es, dass die aktuelle KI viel mehr eine Kulturzusammenfassung ist, als dass sie wie ein persönlicher menschlicher Verstand funktionieren würde.”
    Ich sehe darin einen nicht wahrgenommenen und gefährlichen Aspekt – nämlich, daß der “menschliche Verstand” (evolutionär bedingt) grundsätzlich zu viel mehr fähig ist als jener “Kulturzusammenfassung”, etwa auch dazu, die Sinnlosigkeit und selbstzerstörerische Tendenz der heutigen Kultur zu begreifen und alternative Visionen zu entwickeln – und sei es durch Rückgriff auf alte vergessene Visionen. Nur, diese Fähigkeit des Verstands ist kulturell größtenteils ausgeschaltet, und so sind wir Menschen als Gemeinschaft inzwischen zu weniger fähig als KI.

  28. @Martin A
    “und so sind wir Menschen als Gemeinschaft inzwischen zu weniger fähig als KI.”

    KI sind wir Menschen als Gemeinschaft. KI kann nur wiedergeben was Menschen gedacht und aufgeschrieben haben.

    Nur mal zum überdenken : Kann KI sich selbst verleugnen? Kann KI Opfer bringen ? Ist KI tolerant gegenüber Unsinn ?

    Menschen als Gemeinschaft ist etwas anderes als ein einzelner Mensch. Das hat der Philosoph Ortega y Gasset schon vor fast einhundert Jahren in seinem Werk “Der Mensch und die Leute” behauptet.

  29. @N 14.05. 10:11

    „Wie wir funktionieren, Sigmund Freud hat ein anschauliches Modell vorgeschlagen, dass aus ES, ICH und ÜBERICH besteht….Ob das jetzt genau stimmt ist zweitrangig, erstrangig bleibt, ob so ein Denkmodell uns weiterführt.“

    Wo führt das denn weiter? Einfach Sein wie man eben funktioniert und sich auf die Logik konkreter Aufgaben konzentrieren scheint mir deutlich brauchbarer zu sein. Wir müssen ja in der Regel nicht nachweisen, wo unsere Ideen und Gedanken herkommen. Entsprechend hilft es hinreichend weiter, wenn wir unsere konkreten Vorschläge eben im Dialog testen, ausfeilen und bei vielversprechendem Ergebnis in die Tat umsetzen.

    @Martin Anantharanam 14.05. 11:23

    „..etwa auch dazu, die Sinnlosigkeit und selbstzerstörerische Tendenz der heutigen Kultur zu begreifen und alternative Visionen zu entwickeln…“

    Wenn uns die KI Fakten aus umfangreicher Übersicht heraussucht, dann können wir uns mehr um die daraus möglichen Visionen kümmern? Auch kann KI ja auch unsere kommunizierten Visionen zusammenfassen. Sie muss keine Eigenen liefern.

    Und wenn sie das doch auch noch hinbekommt, dann können wir wiederum die konkreten Vorschläge prüfen, wir müssen dem ja nicht blindlings folgen.

    @N 14.05. 12:55

    „Menschen als Gemeinschaft ist etwas anderes als ein einzelner Mensch.“

    Keine Frage. Was dabei herauskommt, kann auch mal chaotisch werden. Oder auch vielversprechend. Oder beides zugleich.

  30. @ N 13.05.2024, 20:43 Uhr

    Zitat: „Jeder Informatiker/Kybernetiker weiß die Antwort. Man kann den Quellcode einer Software nicht herausfinden, weder wenn man die Hardware kennt noch wenn man das Programm kennt, das gerade abläuft.“

    Genau so lernen es alle die in die Informatik eingeführt werden.

    Allerdings ist das nicht „prinzipiell“ so. In der „Computersteinzeit“, als noch „Wildwestmethoden“ geherrscht haben, kam es öfter vor, dass ein Programmierer samt der Quellcodes seiner Programme plötzlich (z.B. nach Ablehnung seiner „Gehaltsvorstellungen“) „verschwunden“ war. (Letztlich hat er irgendwo im Ausland bei der Konkurrenz gearbeitet.)

    Dann „lief“ zwar die Software weiter, aber man konnte sie nicht mehr verändern, weil der Quellcode „futsch“ war. Ein teures Fiasko bei den Betroffenen. Dann fanden sich „Spezialisten“ die den „Maschinencode“ und möglichst auch die „Compilerumgebung“ analysiert haben und einen passenden „Quellcode“ so weit rekonstruiert haben, dass man Veränderungen realisieren konnte.

    In der Biologie hat man praktisch nur den DNA (Maschinencode) und auch noch das Problem das man vieles noch nicht versteht. Aber immerhin haben die Biologen grundlegendes herausgefunden.

    Allerdings haben viele Tausende Programmierer weltweit so allerhand an „technischen“ Algorithmen und Quellcode entwickelt und man kann zumindest erahnen wie das auch die Evolution geschafft hat.

    Die KI Leute haben verstanden, wie die Sache mit der „Musterverarbeitung“ so läuft. Sie haben z.B. in Prozessen (auch sehr abstrakte) Muster erkannt und versuchen, diese „Muster“ in einer Art Synthese neuen Prozessen „aufzuprägen“. Wenn die KI derartiges nicht selbst bewirken kann, könnte sie Wissenschaftler „anregen“, derartiges in manchen Fällen zu versuchen.

    Z.B. soll Gutenberg als Kind erkannt haben, dass im Trester von Weintrauben “Muster” eingeprägt werden und dieser Mechanismus für den Buchdruck zweckmäßig wäre….

    Vermutlich machen Empfindungen “philosophische Zombies” zum Menschen. Wenn man herausbekommt welche „Sensorik“ welche „Empfindungen“ generiert, wäre man bei der Suche nach dem passenden DNA Code für die Sensorik einer Problemlösung nahe….

  31. @Anantharaman: Danke für den interessanten Hinweis auf den Artikel “Consciousness explained or described?“, den ich gerne mit meinen Studierenden teile; nächste Woche darf ich wieder eine Vorlesung übers Bewusstsein halten.

    Mir ist nie klar geworden, was man übers Phänomen “Bewusstsein” erklärt haben will, wenn man einmal (minimal hinreichendes) neuronales Korrelat des Bewusstseins gefunden haben sollte (was mir heute nicht realistischer erscheint als in den 1990ern?, als dieser Begriff aufkam).

    Die Analogie, dass man eine Software nicht wirklich versteht, indem man den Prozessor untersucht, finde ich schon überzeugend.

    Bewusstsein ist da, um es zu erleben; was sollen wissenschaftliche Beschreibungen und Erklärungen hinzufügen, wenn man noch nicht einmal sagen kann, was “erklären” hier bedeuten würde?

  32. @Tobias Jeckenburger,
    Sigmund Freud war Psychiater.
    Der braucht einen Erklärungsmodus für seine Patienten.
    Und wenn jetzt ein Triebtäter erklärt bekommt dass sein “ES” die Ursache seiner Taten ist, dann ist der Patient zufrieden.

  33. @Hirsch: psychische Störungen

    Aus sozialwissenschaftlicher Sicht würde man psychischen Störungen erst einmal vorbeugen (z.B. durch Reduktion von Armut, sozialer Ausgrenzung, Stress usw.). Aber daran verdient in einem kapitalistischen Modell natürlich niemand. Die Gelder fließen am stärksten, wenn Ärzte/Therapeuten Störungen diagnostizieren und dann langfristige Therapien verordnen, die die Probleme eher verstetigen als sie zu beheben (allgemein gesprochen).

    Auch die Multiplikation der Diagnosen geschah nicht in der Zeit, in der die Sozialpsychiatrie einen höheren Stellenwert genoss: Aus sozialpsychiatrischer Sicht würde man die Patienten auch nicht in eine permanente Abhängigkeitsposition bringen (z.B. als passive Medikamentenempfänger), sondern in eine soziale Umgebung, in der sie möglichst selbstständig leben.

    🤷🏻‍♂️

  34. @Stephan Schleim,14.05.2024, 16:38 Uhr
    Meinerseits vielen Dank für den Artikel – den ich schon in meiner Sammlung hatte aber auch nur flüchtig gelesen hatte😉
    In jener Meta-Denkweise “worüber will ich denken und wie” stellt sich i.d.T die Frage, was will ich bzgl. Bewusstsein (allgemeiner: Kognition) erklären, und was ist überhaupt erklären, damit es (warum) einen Nutzen hat:
    – Wenn es einem darum geht, das menschliche Wesen zu verstehen, ist das Verständnis dessen, was der viel mächtigere unterbewusste Teil unseres kognitiven Systems macht, viel interessanter – und dem kann man sich empirisch/experimentell/introspektiv durchaus nähern, sich sogar funktionale Modelle vorstellen (ich habe eins von mir)
    – Dies umso mehr, als gerade der von mir genannte Artikel mir klarmachte, daß das Bewusstsein von unbestimmten Nutzen, wenn nicht gar eine Randerscheinung, ist – wiewohl nichts weniger als unsere Erlebniswelt, aber, “muss man bewusst erleben, um zu leben?”.
    Möglicherweise beinhaltet bzw. ermöglicht sie aber (wie in meiner Antwort an N in IT-Analogie skizziert) eine übergeordnete Steuerungsfunktion, die unsere Aufmerksamkeit (als Fokus unserer Wahrnehmung) auf anderes lenken kann – einschl. der wesentlicheren, damit verbundenen unterbewussten Prozesse – die letztlich aber auch unterbewusst ist (also die Steuerungsfunktion) – aber lernfähig, im Sinne höherer Flexibilität bei der Interpretation/Problemlösung.
    Beispiel: Ich spüre (bewusst) Verwirrung/Angst und schalte (intuitiv) auf Entspannung (wozu ich meine Aufmerksamkeit anderswo hin lenke) und starte danach (“aus gelernter Gewohnheit” = intuitiv) eine geduldige schrittweise Erkundung (andere Lösungsmethode) – was teils bewusst, aber teils eben auch unbewusst (=intuitiv) ist – also, so, wie ich dies unterscheide😄

  35. @Tobias Jeckenburger, 14.05.2024, 15:19 Uhr
    “Wenn uns die KI Fakten aus umfangreicher Übersicht heraussucht, dann können wir uns mehr um die daraus möglichen Visionen kümmern? Auch kann KI ja auch unsere kommunizierten Visionen zusammenfassen. Sie muss keine Eigenen liefern.”
    Ich gehe davon aus, daß KI (da “kulturzusamenfassend”) alle bekannte Fakten heraussuchen kann – aber welche sollen es denn sein? Ich gehe sogar davon aus, daß sie auf eine gestellte Frage bzw. Problem, sogar ein beliebig großes systemisches, eine Antwort bzw. Lösung (“Vision”) vorschlagen kann – aber wer stellt das Problem – und beinhaltet das angesammelte Wissen eine Lösung, vor allem, eine richtige Lösung? Wenn Letzteres negativ ist, ist das andererseits nicht damit gleichbedeutend, daß es nicht eine gibt – sogar einen recht einfachen “out-of-the-box” Ansatz, das ein intelligenter und kreativer Mensch finden könnte – aber weder für uns in unserer momentanen geistigen Verfassung noch KI sichtbar ist.

  36. @N 14.05. 16:43

    „Und wenn jetzt ein Triebtäter erklärt bekommt dass sein “ES” die Ursache seiner Taten ist, dann ist der Patient zufrieden.“

    Das ist zu ungenau, um wirklich hilfreich zu sein. Für den Patienten nicht und für den Psychiater auch nicht.

    @Stephan 14.05. 16:38 / 16:46

    „Bewusstsein ist da, um es zu erleben; was sollen wissenschaftliche Beschreibungen und Erklärungen hinzufügen, wenn man noch nicht einmal sagen kann, was “erklären” hier bedeuten würde?“

    Ja zunächst mal könnte eine hinreichend genaue Untersuchung der Schlüssel dazu sein, wie man es der KI beibringen kann. Und auch könnte es für das eigene Selbstverständnis interessant sein, wenn man wüsste, ob man sowas wie kosmische Geisteswelten braucht, wenn diese hier definitiv mitspielen müssen. Ich halte dieses für wahrscheinlich, und fände es sehr interessant, wenn man herausfinden könnte, wie und wieviel Geisteswelten beim Bewusstsein mitspielen.

    Ich fände es einfach höchst interessant, was man als Bewusstsein eben wirklich ist. Ob die Verbindungen mit kosmischen Geisteswelten nicht nur ein Eindruck sind, sondern tatsächlich existieren.

    „Aus sozialpsychiatrischer Sicht würde man die Patienten auch nicht in eine permanente Abhängigkeitsposition bringen (z.B. als passive Medikamentenempfänger), sondern in eine soziale Umgebung, in der sie möglichst selbstständig leben.“

    Klare Sache. Leben muss man können, ohne die soziale Dimension geht das nicht.

  37. @Stephan Schleim, 14.05.2024, 18:04 Uhr
    Ich gebe Ihnen völlig recht – die “Kunst des Verstehens” ist es eben auch, den Begriffen eine geeignete Bedeutung zu geben – die sinnvolle und fassbare Vorstellungen (die man sich erst mal machen muss) ausdrücken – die dann zu einem Modell (System) zusammengefügt werden können, die ein tieferes Verständnis ermöglichen, das doch auch von Nutzen sein sollte. Und dazu muss man auch (oft genug) Sachgassen erkennen und verlassen können.

  38. Zu St. Schleim
    Massenvernichtungswaffen sind materielle Dinge-Und wer programmiert die ?
    Die, die diese Waffen programmieren sind doch selbst “programmiert”. Jahrelange ideologische Gehirnwäsche haben in diesen Individuen Feindbilder aufgebaut die ihnen -angeblich- das moralische Recht geben andere Menschen töten zu dürfen. Ihnen wird suggeriert das man für eine Idee sterben kann weil nur diese Idee die Wahrheit ,Freiheit verkörpert. Psychologisch gesehen ist das ein WAHN denn keine Idee verdient es dass man dafür freiwillig stirbt. Letztlich stirbt man dann für die Interessen der Mächtigen die -mit Hilfe ihrer Leitmedien- die Masse gleichschalten .Diese neuen Gehirnbilder sind meiner Sicht nach wertlos da sie diesen WAHN nicht erkennen können , nicht unterscheiden könne n zwischen den Gehirnen der Kriegslobby bzw. der Gehirne derer die an der Front als Kanonenfutter verheizt werden. Ein Aktionär kann nach dem Fall seiner Aktie voller Verzweiflung aus dem Fenster springen, einer Ratte ist das egal. Es entscheidet hier wohl die Programmierung und die kommt aus dem jeweiligen System.

  39. @Skeptiker: Ja, das wäre ja mal ‘was – anstatt ewig nach nichtssagenden “neuronalen Korrelaten” zu suchen, einmal verstehen zu wollen, was das Denken tatsächlicher Menschen “programmiert”.

    Ein paar Gedanken dazu formulierte ich übrigens im Schlusskapitel meines Buchs über Willensfreiheit.

  40. @Tobias Jeckenburger.
    Sigmund Freund ist seit 85 Jahren tot und seine Theorie gilt als überholt.
    Aber, er hat den Versuch gemacht, den Menschen als Ganzes psychologisch zu “deuten”.
    Ich selbst bin kein Psychater noch Psychologe, mir gefällt die Dreiteilung trotzdem. Und mir gefällt auch die Einteilung der Menschen in die vier Temperamente gut, Choleriker, Phlegmatiker, Sanguiniker und Melancholiker.
    Und wenn nun ein Mensch von Grund auf immer cholerisch ist, dann wird der moderne Arzt ihm Medikamente zur Beruhigung verschreiben oder eine Therapie anraten. Ein Arzt , der nur eine Diagnose stellt, der bleibt arm, erst die Therapie bringt Geld ein. Dabei ist der Mensch halt nur ein Choleriker.
    Im übrigen, wenn man Menschen in die Augen schaut, verrät ihr Blick wen man vor sich hat. Dann braucht man auch das Gehirnbild nicht.

  41. @N
    Sigmund Freud´s Dreiteilung lässt sich konkreten Gedächtnisinhalten zuordnen:

    ES = episodisches Gedächtnis ab dem 5. Schwangerschaftsmonat
    ICH = Autobiographisches Gedächtnis ab dem 2. Lebensjahr bis zum aktuellen Alter
    ÜBER-ICH = früheste Kindheitserlebnisse

    Interessant in diesem Zusammenhang ist auch, dass nach Einnahme psychedelischer Drogen oft Erlebnisse berichtet werden, welche sehr gut dem ÜBER-ICH-Bereich zugeordnet werden können. D.h. diese Drogen wirken selektiv auf das Reaktivieren von Gedächtnisinhalten.

  42. @KRichard
    Deine Ansicht zum Gedächtnis, deckt sich mit Erfahrungen der Kriegsgeneration.
    Wenn die Frauen im Luftschutzbunker saßen zogen sie bei Heulen der Sirene immer den Kopf ein.

    Auch Kinder, die kurz nach dem 2. Weltkrieg geboren worden waren zeigten das gleiche Verhalten .beim Aufheulen der Luftschutzsirene. Sie hatten es also schon im Mutterleib erlernt.

  43. @Joker
    Die Generation mit solchen Erfahrungen stirbt langsam weg.
    Wer also Doktorand ist und noch kein Thema gefunden hat, muss sich beeilen.

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