Wissenschaftliches Wissen in der Öffentlichkeit

Die Coronapandemie wirft die Frage auf, für wie glaubwürdig wir wissenschaftliches Wissen halten und wie wir damit umgehen sollen.

In der Pandemie trafen verschiedene Bedürfnisse aufeinander: Einerseits wollten die Politik und nicht zuletzt die Bürgerinnen und Bürger schnelle Antworten aus der Wissenschaft. Andererseits gilt auch in der Forschung: “Gut Ding will Weile haben.”

In der Wissenschaft hat sich hierfür das Vier-Augen-Prinzip bewährt. Forscherinnen und Forscher entscheiden nicht selbstständig über die Veröffentlichung ihrer Daten in Fachzeitschriften (engl. journal), die auch für ihre Karrieren von entscheidender Bedeutung sind. Stattdessen müssen Redakteure (engl. editors) und Gutachter (engl. peer reviewers) grünes Licht geben.

Langsamer und steiniger Weg

Das ist in aller Regel ein steiniger – und langsamer – Weg. Der Editor schaut sich eine eingereichte Arbeit erst einmal oberflächlich an und beurteilt, ob sie überhaupt relevant ist und in das Journal passt. Wenn ja, sucht er oder sie Peer Reviewer, um die Arbeit inhaltlich zu beurteilen. Das sind meistens mindestens zwei Personen, also schon einmal mindestens sechs zusätzliche Augen.

Dann passiert lange Zeit erst einmal – nichts. Die Peer Reviewer sind oftmals selbst gestresste Forscher, die die Arbeit schon einmal an ihre Untergebenen (z.B. Doktorandinnen und Doktoranden) weitergeben. Ob das im Sinne des Journals und der wissenschaftlichen Qualität ist, sei dahingestellt.

So kommt ein Urteil zustande, das Gutachten, das meist mehrere Wochen aber auch schon einmal Monate dauern kann. Das Votum fällt mal mehr, mal weniger konstruktiv aus. In der Regel werden eine Reihe kleinerer und größerer Mängel formuliert und eine Überarbeitung (engl. revision) angemahnt.

Wenn das Gutachten nicht so negativ ausfällt, dass der Editor die Reißleine zieht und die Veröffentlichung rundheraus ablehnt, liegt der Ball wieder bei den ursprünglichen Wissenschaftlern. Sie müssen auf die Kritik reagieren, ihre Arbeit anpassen, in Teilen vielleicht sogar neu ausführen oder mit zusätzlichen Kontrollen versehen. Dann wird die neue Fassung eingereicht und das Spiel geht in die nächste Runde.

Man kann sich leicht vorstellen, dass der gesamte Vorgang Monate, mitunter sogar Jahre dauert. Eine Erfolgsgarantie gibt es dabei nicht. Lässt sich ein Konflikt nicht lösen, kann der Editor weitere Peer Reviewer einschalten.

Wird eine Arbeit endlich akzeptiert, landet sie in der Warteschlange der Produktionsabteilung. Seit der Zeit des Internets erscheint dann früher oder später eine Online-Version vorab. Früher musste man wirklich noch auf den Druck der Zeitschrift auf Papier warten. Manche Forschungsgebiete entwickeln sich aber so schnell, dass die Ergebnisse dann vielleicht gar nicht mehr aktuell sind.

Um herauszufinden, woran die Wissenschaftler gerade arbeiten, muss man darum auf Konferenzen fahren. Immer öfter berichten auch Journalisten direkt von dort, was nicht immer unproblematisch ist: Denn die Daten können in einem Vortrag mit einer Slideshow natürlich nur sehr oberflächlich dargestellt werden und sind dann auch noch nicht begutachtet.

Alternative: Online-Archiv

Da die Forscherinnen und Forscher in vielen Bereichen nicht ewig warten Wollen oder vielleicht auch nicht können, haben sich bestimmte Online-Archive eingebürgert. Auf diesen können die Wissenschaftler ihre Arbeit vorab veröffentlichen. Und in Zeiten des Internets sind sie oft nicht nur der Fachwelt, sondern gleich auch den Medien und der interessierten Öffentlichkeit zugänglich.

So haben wir in der Coronapandemie dann regelmäßig miterlebt, dass über solche vorveröffentlichten Daten – beispielsweise über das Pandemiegeschehen, die Gefährlichkeit des Virus oder die Effektivität der Impfstoffe – in der Presse berichtet wurde. Meist wurde das von dem Hinweis begleitet, die wissenschaftliche Arbeit befinde sich noch in der Begutachtung und sei darum mit besonderer Vorsicht zu genießen.

Für die Wissenschaftler bringt das den Vorteil der Geschwindigkeit. Die Kolleginnen und Kollegen anderswo können dann ebenfalls schnell auf die berichteten Daten und Ergebnisse zugreifen und diese fachliche einordnen. (Das muss übrigens nicht heißen, dass die wirklichen Rohdaten einsehbar sind, die die meisten Gruppen nach wie vor wie ein Geschäftsgeheimnis hüten.) Journalisten und der interessierten Öffentlichkeit fehlt dafür aber oft das nötige Fachwissen.

Der Gewinn an Geschwindigkeit geht also mit einem Verlust an Vertrauenswürdigkeit einher. Wer sich mit so einer Vorveröffentlichung in die große weitere Welt wagt, geht aber auch ein Risiko ein. Denn wenn man Fehler gemacht hat, sehen das im Prinzip auch alle, wo das sonst nur die Peer Reviewer herausgefiltert hätten. Man haftet also mit seinem Namen.

Sozialpsychologen ermitteln

So weit so gut. Kölner Sozialpsychologen haben nun genauer untersucht, für wie glaubwürdig Laien Ergebnisse aus Vorveröffentlichungen halten. Und – wer hätte das gedacht! – kommt dabei heraus, dass die Glaubwürdigkeit vom Wissen über den Veröffentlichungsprozess abhängt.

Mit anderen Worten: Wenn man Laien den Unterschied erklärt, dann ordnen sie wissenschaftliche Arbeiten auch unterschiedlich ein. Vollständig begutachtete Arbeiten werden im Ergebnis für glaubwürdiger gehalten als die vorveröffentlichten Studien. (Wer es genauer wissen will, findet hier eine deutschsprachige Zusammenfassung.)

Ist damit alles gesagt? Ich denke nicht. Denn das Peer Review ist meist nicht nur langsam, sondern auch aus anderen Gründen oft nicht perfekt. In einem früheren Artikel führte ich beispielsweise schon einmal aus, dass die Journals und die bei ihnen angestellten Editors nicht nur hehre Interessen haben.

Oft genug sind die Zeitschriften selbst oder ihre größeren Mutterverlage (z.B. Elsevier, SpringerNature) gewinnorientierte Unternehmen. Das macht die dort angestellten Editors, die meist das letzte Wort in Sachen Publikation oder keine Publikation haben, weisungsgebunden. Mitunter werden aber ehrenamtliche Editors aus der Wissenschaftswelt hinzugezogen, die etwas unabhängiger entscheiden.

Interessenkonflikte

Doch auch bei den Peer Reviewers kann es Interessenkonflikte geben. In einer hochspezialisierten Wissenschaftswelt braucht man natürlich einerseits hochqualifizierte Fachleute, die nicht nur die nötige Zeit, sondern auch das nötige Wissen mitbringen. In einer kleinen Welt kennt man einander aber.

Zwar haben viele Journals hierfür Kontrollmechanismen eingeführt. Beispielsweise muss die Forschungsarbeit von den Autorinnen und Autoren anonymisiert werden und müssen die Peer Reviewer Interessenkonflikte ausschließen. Wenn ein Gutachter dieselben Daten gerade auf einer Konferenz gesehen hat oder grob weiß, wer in welchem Labor was macht, kann er die Identität aber leicht herleiten. Und “Interessenkonflikt” ist ein weiter Begriff.

So stehen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bekanntermaßen in einem Hyperwettbewerb um Forschungsmittel und Stellen. Die Publikationen in den führenden Journals sind hierfür meist die Eintrittskarte. Und diese Zeitschriften begründen ihren Führungsanspruch oft damit, wie viel Prozent der eingereichten Arbeiten abgelehnt werden. Frei nach dem Motto: Je weniger wir publizieren, desto höher ist die Qualität.

Als Peer Reviewer beurteilt man also möglicherweise die Arbeit derjenigen, mit denen (oder besser: gegen die) man sich demnächst vielleicht auf eine angesehene Professur oder um ein großes Forschungsprojekt bewirbt. Nun muss man schon sehr idealistisch über den Menschen im Allgemeinen oder die Wissenschaftler im Speziellen denken, um hier keine Probleme zu vermuten.

Damit behaupte ich wohlgemerkt nicht, dass wissenschaftliche Veröffentlichungen in ihrer Allgemeinheit unglaubwürdig wären! Das liefe darauf hinaus, das sprichwörtliche Kind mit dem Bade auszuschütten. Vielmehr halte ich systematisches, transparentes wissenschaftliches Wissen nach wie vor für eine entscheidende Wissensquelle überhaupt.

Fehlanreize

Aber in diesem System gibt es eben auch Anreize, die der Wahrheitsfindung nicht wirklich förderlich sind. Und an der Transparenz mangelt es oft genug. So werden beispielsweise die Identitäten der Peer Reviewer in der Regel geheim gehalten, damit auf sie kein Einfluss (bis hin zur Vergeltung, wenn sich die Rollen von Gutachter und Begutachtetem in der Zukunft einmal umdrehen) ausgeübt werden kann.

Die wesentlichen Entscheidungen der Editors werden aber meist hinter verschlossenen Türen getroffen. Eine unabhängige Kontrolle, wie wir sie beim Rechtsstaat für entscheidend halten, gibt es eher nicht. Als Autor bleibt einem meist nichts Anderes übrig, als die Arbeit bei einer anderen Zeitschrift neu einzureichen, wo das Spiel dann wieder von vorne beginnt – ohne Erfolgsgarantie.

Diese Begründungen könnte man – ebenso wie Gerichtsurteile – besser veröffentlichen. Nur so würde der Fortgang der Wissenschaft prinzipiell nachvollziehbar. Dazu könnte man dann auch – nach näherer Abwägung anonymisiert oder nicht – die Gutachten der Peer Reviewer veröffentlichen. Das ist wichtiges Kontextwissen zu den Qualitätsmaßstäben in einem bestimmten Forschungsgebiet oder in einem bestimmten Medium.

Die Peer Reviewer nutzen den Schutz der Anonymität nämlich nicht immer nur im Interesse der Wahrheit. Neben der inhaltlich unbegründeten Ablehnung einer Forschungsarbeit, die ihnen nicht passt, können sie nämlich auf vielfache Weise Einfluss auf die Veröffentlichung nehmen.

Eine Wissenschaftlerin flog beispielsweise einmal dabei auf, von Autoren Zitate ihrer eigenen Arbeiten zu erzwingen. Warum sollte das jemand tun? Um nicht nur das eigene Ego zu beweihräuchern, sondern seinen Zitationsindex zu erhöhen. Denn je häufiger die eigenen Veröffentlichungen zitiert werden, desto besser müssen sie – gemäß quantitativer Logik – natürlich sein.

Im Vortrag eines Pharmakologen, der den medizinischen Nutzen psychedelischer Substanzen erforscht (dazu ein anderes Mal mehr), hörte ich erst kürzlich eine Klage über die Peer Reviewer: Diese würden zu orthodox denken und alternative Ansätze mit übertriebener Kritik überziehen. Sind diese Leute einfach nur überkritisch – oder haben sie vielleicht sogar finanzielle Interessen an klassischen Psychopharmaka, die bei entsprechenden Forschungsergebnissen Marktanteile verlieren würden?

Das ist natürlich nur Spekulation. Aufgrund fehlender Transparenz wissen wir es nicht sicher. Ich habe aber vor einigen Jahren einmal selbst einen wissenschaftlichen Konflikt bis zum Ende ausgetragen – und in allen Instanzen Recht bekommen (Von einem, der sich wehrte).

Im Zweifel vor Gericht

Da ging es zwar nicht um eine Veröffentlichung in einem Journal. Diese finden in einem komplexen privatrechtlichen Kontext statt, in dem man als Autor meist nur auf Gutgläubigkeit setzen kann. Es ging aber, viel wichtiger, um einen Forschungsantrag für junge Wissenschaftler.

Dieser war bei der Niederländischen Forschungsorganisation (NWO) eingereicht, also in einem öffentlich-rechtlichen Kontext. Dass es hier einmal zu einem Rechtsstreit kommen würde, hätte ich mir früher nicht im Traum gedacht. Die Ablehnung von dem wissenschaftlichen Gremium (sozusagen den Editors) nach extrem positiven Peer Reviews mit jeweils der Bestnote hielt ich aber für dermaßen daneben, dass ich mich dagegen wehrte.

Die offizielle Begründung der immerhin zwölf(!) erfahrenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler war nämlich nicht nur inhaltlich und formal falsch, sondern enthielt sogar offensichtliche Unwahrheiten. Dazu kamen zahlreiche Fehler und Rechtsbrüche der Verwaltungsbeamten.

Schon im Beschwerdeverfahren wurden die Fehler der Gegenseite unmissverständlich hervorgehoben. Das Verwaltungsorgan (mit seinen Juristen) hielt aber bis zum bitteren Ende – es dauerte insgesamt rund zehn Jahre – an seiner “alternativen Wahrheit” fest. Im Ergebnis verlor es fünfmal vor Gericht, in einem fairen und transparenten rechtsstaatlichen Verfahren.

Weil sich die Verwaltungsbeamten partout weigerten, ihre Fehler zu korrigieren, taten das am Ende die Richterinnen und Richter für sie. Das passiert nur in Ausnahmefällen. Rechtsstaatlich war aber schlicht keine andere Lösung mehr möglich. Etwas später mussten sie mir sogar einen ordentlichen Schadensersatz bezahlen. Aber der Gegenseite stehen ja Jahr für Jahre hundert Millionen Euro an Steuermitteln zur Verfügung.

Nur Einzelfälle?

Wie gesagt, solche Mängel widerlegen nicht das Wissenschaftssystem als Ganzes. Verteidiger des Status quo tun das gerne als “bedauerliche Einzelfälle” ab. Meine eigenen Recherchen deuten aber darauf hin, dass Probleme gar nicht so selten sind, wie man das wünschen würde.

Und damit, um auf die Arbeit der Kölner Sozialpsychologen zurückzukommen, ist mit dem schlichten Hinweis auf das Gutachtersystem eine Chance vertan. Korrekt ist, dass wissenschaftliche Arbeiten weder vor noch nach dem Peer Review die Wahrheit für sich gepachtet haben. Das System basiert letztlich auf der einerseits oft profitorientierten (nämlich auf Seite der Editors) und andererseits meist ehrenamtlichen (bei den Gutachtern) Tätigkeit vieler Menschen.

Dass auch das Vier-Augen-Prinzip die großen Forschungsskandale der jüngeren Zeit nicht verhindern konnte, sollte uns vorsichtig stimmen. Praktisch haben die Peer Reviewer oft gar nicht Sicht auf die Originaldaten. Und wenn sie sie hätten, würde ihnen meist schlicht die Zeit fehlen, die vorliegende Arbeit wirklich von A bis Z nachzuvollziehen.

Ein Andachtspunkt ist auch das Thema “Replikation”. Wissenschaftliche Daten sollen sich prinzipiell bei Wiederholung derselben Verfahrensschritte mehr oder weniger identisch bestätigen lassen. Wirklich gemacht wird das in der Praxis aber selten – vor allem darum, weil die Journals immer nur Neues wollen. Wird es doch einmal probiert, dann ist die Ernüchterung oft groß; oder findet man heraus, dass für eine vollständige Wiederholung wichtige Angaben fehlen.

Wissenschaft für Demokratie

Wissenschaft ist eine kulturelle Errungenschaft. Immer wieder werfen Bürgerinnen und Bürger – die mit ihren Steuern immerhin dafür bezahlen – die Frage auf, was ihr Nutzen sein soll. In einem demokratischen Rechtsstaat leisten wir uns eine ganze Reihe von Institutionen, man denke auch an Polizei und Justiz oder das Gesundheitswesen, für die diese Frage wahrscheinlich leichter zu beantworten ist.

Kurz gesagt lässt sich aber zumindest aufzeigen, dass Gesellschaften, in denen es keine freie Wissenschaft mehr gibt, meist ein jähes Ende nehmen: Sie werden autoritär, autokratisch, am Ende vielleicht gar totalitär und vernachlässigen andere wichtige Bereiche einer gesunden Gesellschaft (wie Bildung und Sozialwesen) zum Erreichen eines einzigen, allem Anderen übergeordneten Ziels (mit militärischen und geheimpolizeilichen Mitteln).

Besonders gerne wirft man Sozial-, Geisteswissenschaftlern und Philosophen vor, unnütze “Schwurbelei” zu betreiben. Interessanterweise sind aber bis heute Karl Marx (als Historiker und Philosoph) und Sigmund Freud (als Psychologe, obwohl eigentlich Arzt) die meistzitierten Wissenschaftler aller Zeiten. Und gemäß dem allseits fetischisierten quantitativen System ist das doch der schlagende Beweis für ihre Exzellenz! (An einer genaueren und besseren Antwort versucht sich Literaturprofessor Nuccio Ordine.)

Keine Wahrheitsgarantie

Der demokratische Rechtsstaat kann, soll und muss sich eine freie Wissenschaft leisten. In diesem Essay haben wir gesehen, dass der Verweis auf das Gutachtersystem aber keine Garantie für die Wahrheit ist. Die Vorveröffentlichungen haben zwar Nachteile – aber sicher auch Vorteile. Das gilt insbesondere dann, wenn die Gesellschaft und ihre Institutionen nicht jahrelang auf Antworten warten kann.

Kürzlich verwies ich auf eine wiederkehrende Befragung des Rathenau Instituts in Den Haag zum Vertrauen in die Wissenschaft (neben anderen Institutionen). Dieses stieg während der Coronapandemie – jedenfalls hier in den Niederlanden – sogar leicht. Allerdings beklagten Bürgerinnen und Bürger die Vielstimmigkeit aus der Forschungswelt. Widersprüchliche Antworten konnten sie schwerer einordnen.

Das ist dann eine Frage, die wir uns alle stellen sollten: Wollen wir lieber einfache “Wahrheiten”, die sich schnell als falsch herausstellen können? Oder sehen wir der Komplexität der Welt ins Auge und erkennen wir an, dass die Wissenschaft eine wesentliche Wissensquelle ist – aber sich auch einmal irren kann?

Hinweis: Dieser Beitrag erscheint auch auf Telepolis. Titelgrafik: harishs auf Pixabay.

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46 Kommentare

  1. Wissen und Werte im Konflikt
    Wissenschaftler selber haben oft ein recht einfach gestricktes Welt- und Wertebild. Häufig etwa nehmen sie an, jede wissenschaftlich/technische Erkenntnis, die Leben schützt oder mindestens einige Todesfälle verhindert, sei es wert umgesetzt, ja durchgesetzt zu werden.“Jedes gerettete Leben ist es wert. Ist es wert, alles zu unternehmen“. So etwas hört man oft als Spruch selbst im breiten Volk. Doch das ist viel zu einfach. Hier ein Beispiel dazu: Heute im Jahr 2022 sterben zwar immer noch jedes Jahr in Deutschland hunderte im Verkehr und noch mehr verunfallen. Doch im Freizeitsport gibt es mehr ernsthaft Verletzte (in D 1.25 Millionen) als im Verkehr (in D 350‘000) und noch etwas Verblüffendes: Autofahren ist um vieles sicherer als Radfahren. Wenn es also nur um das Verhindern von Unfällen und Toten ginge, dann müsste man Radfahren und Freizeitsport massiv einschränken. Doch damit würde man etwas Sinnvolles, Gesundes und das Leben Bereicherndes einschränken. Die richtige Sichtweise scheint mir eher, dass man bei der Beurteilung von Massnahmen vergleichend und statistisch denken muss. Dann kann man etwa zum Schluss kommen, dass in Deutschland heute schon 10 Mal weniger im Verkehr sterben als 1970 und dass weitere Reduktionen angemessen sein müssen. Das heisst letztlich: Nicht jede Massnahme, selbst wenn sie einige Leben rettet, ist angemessen. Nicht angemessen ist eine Massnahme, wenn sie in der Gesamtbetrachtung das Leben schlechter macht. Leider (oder zum Glück?) gibt es aber keine einfache Kriterien für das, was das Leben besser oder schlechter macht.

  2. Die meisten Wissenschaftler bemühen sich wirklich, korrekt zu arbeiten und nicht zu betrügen.

    Aber leider ist es so, dass gerade die Struktur von wissenschaftlichen Veröffentlichungen so für den systematischen Betrug aufgebaut ist, dass man nichts dagegen machen kann.

    z.B. gibt es keine Stelle an die man sich über wissenschaftliches Fehlverhalten beschweren kann.

    Denn die Ombuds-Stellen beschäftigen sich nur damit, ob eine wissenschaftliche Arbeit strukturell korrekt ausgeführt wurde. Betrügerische Falschinformationen im Inhalt interessieren diese Ombuds-Stellen nicht.

    Will man sich über falsche Inhalte einer Arbeit beschweren – gibt es dazu keine neutralen Anlaufstellen. Denn die scientific-community oder das ´vier Augen Prinzip´ ist so ähnlich wie eine kriminelle Bande aufgebaut – wo Außenstehende keinen Zugang haben.
    D.h. mit einer Beschwerde landet man immer bei einem Bandenmitglied – welches dafür sorgt, dass diese Beschwerde ignoriert wird.

  3. Martin Holzherr: “Wissenschaftler selber haben oft ein recht einfach gestricktes Welt- und Wertebild.”

    Kühne, um nicht zu sagen tollkühne These. Von Ihrem Beispiel wird sie nicht gestützt.
    Wissenschaftler sind sehr unterschiedlich. Aber man kann doch davon ausgehen, dass die meisten von Ihnen relativ komplex Probleme überdenken können und deswegen eher kein einfach gestricktes Weltbild haben.

  4. @Paul Stefan: Fast alle Wissenschaftler sind Spezialisten. Das heisst: sie wenden viel Zeit auf um auf einem recht begrenzten Gebiet weiter zu kommen – weiter als die anderen schon sind. Deshalb wohl sind Wissenschaftler nur selten Zeitdiagnostiker, Philosophen oder grosse Kenner von Kultur, Geschichte und dem grossen Ganzen. Wobei: das gleiche gilt für Durchschnittsbürger erst recht. Aber es gilt eben auch für Leute, die neues Wissen und neue Technologien schaffen. Es gibt zwar auch eine Gegenbewegung selbst innerhalb der Naturwissenschaften, die Interdisziplinarität nämlich. Für die Karriere aber scheint Interdisziplinarität nicht besonders förderlich. Dazu hat hier früher Dr. rer. nat. Markus Dahlem mehrmals geschrieben.

  5. “Deshalb wohl sind Wissenschaftler nur selten Zeitdiagnostiker, Philosophen oder grosse Kenner von Kultur, Geschichte und dem grossen Ganzen.”

    Wie viele Wissenschaftler kennen Sie denn? Das sind doch alles nur an den Haaren herbeigezogene Spekulationen. Wissenschaftler haben auch größere intellektuelle Kapazitäten als Durchschnittsbürger.

  6. @Paul Stefan (Zitat): „ Wie viele Wissenschaftler kennen Sie denn? Das sind doch alles nur an den Haaren herbeigezogene Spekulationen. Wissenschaftler haben auch größere intellektuelle Kapazitäten als Durchschnittsbürger.„
    Antwort: Ich hab mal mit einem Biologen zusammengewohnt, der die Elektronenmikroskopie mit Markierungsmethoden weitergebracht hat, ich habe auch einen Eindruck gewonnen von den Wissenschaftlern, die hier auf scilogs auftreten. Das führt mich zu folgendem Schluss: Heute gibt es sehr viele Wissenschaftler. Mindestens wenn man mit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vergleicht. Und die meisten dieser Wissenschaftler haben über das Fachgebiet hinaus auf dem sie tätig sind, nicht mehr zu sagen, als andere Berufstätige. Wenn sie schreiben: „ Wissenschaftler haben auch größere intellektuelle Kapazitäten als Durchschnittsbürger.„, so sprechen sie kaum vom durchschnittlichen Wissenschaftler, sondern von Leuten, die sehr erfolgreich waren (wie etwa die Laureaten) und die sich inzwischen zu den grossen Menschheitsproblemen äussern. Jedenfalls, denke ich, kann man dem durchschnittlichen heutigen Wissenschaftler genau so wenig die Welt anvertrauen wie man die Welt mir oder ihnen anvertrauen könnte.

    Fazit: Heute leben wir in einer Welt der Spezialisierung und selbst Leute, die sich ums grosse Ganze kümmern, sind in gewissem Sinne Spezialisten.
    Wenn die Welt mehr auf die Wissenschaft hören sollte, dann sollte sie wenn schon auf den Konsensus in den einzelnen Wissenschaften hören und weniger auf die Stimme einzelner Wissenschaftler.

  7. In einigen Journal ist mittlerweile open peer review Pflicht, wenn auch nicht die Namen veröffentlich werden, zumindest aber die Kommunikation. Das ist manchmal interessanter als der eigentliche Artikel. Diese Textgattung wird zukünftig hoffentlich auch mal ein eigenes Forschungsinteresse begründen.

    „Eine Wissenschaftlerin flog beispielsweise einmal dabei auf, von Autoren Zitate ihrer eigenen Arbeiten zu erzwingen.“
    Nur eine? Die muss sich aber außerordentlich ziemlich unclever angestellt haben. Das war zu meiner Zeit in einem Teilgebiet der Physik quasi die Regel. Genauso, dass das Ergebnis nochmal unter Berücksichtigung der ganz wichtigen eigenen Forschung des Reviewers diskutiert wird. Daran konnte man auch die Namen erraten. Und hat das Paper in keinster Weise verbessert oder dem Leser irgendeinen Mehrwert geboten.

    „Wird es doch einmal probiert, dann ist die Ernüchterung oft groß; oder findet man heraus, dass für eine vollständige Wiederholung wichtige Angaben fehlen.“
    Das ist meiner Erfahrung und Beobachtung in meinem ehemaligen Feld nach immer so; in den fehlenden Angaben steckt das Know-How der Gruppe um sich vor eventuell besser ausgestatteter Konkurrenz seinen eigenen kleinen Vorsprung zu schützen.
    Obendrein, als ich noch in Laboren tätig war (ca. 2008 – 2016), waren chinesische Studenten bzw. Gastwissenschaftler mit übertriebenem Hang zur Fotodoku ein Problem, nicht zuletzt deshalb, weil die Informationen in jeglichen Publikationen doch nie ausreichten, um zur Weltspitze aufzuschließen.

    Auch nett:
    Wenn man über Fehlern bzw. Grenzen der Gültigkeit von Methoden in aktuellen text books von Nachbargebieten stößt weil man die dort beschriebene Methode nutzt und feststellt, dass es jenseits der Grenzen angewendet wird und die Lösung (ein Korrekturterm) publiziert, ist das bei den Reviewern aus dem Feld gar nicht gern gesehen und dann wird das Paper zurechtgeschnitten. Weil Methoden nie interessant sind, in einem hinterletzten Journal mit nur einem Reviewer.

    Alles nur anekdotische Evidenz, die per design niemals öffentlich werden kann/darf/soll. Jeder hat solche Erfahrungen, jeder ist frustriert, aber öffentliche(!) Diskussion ist ein Tabu und kann immer mit „anekdotisch“ und der Anonymität bestritten werden.

    Mittlerweile (bei weitem nicht nur deshalb) bin ich nicht mehr in der Forschung, aber das ist eine längere Geschichte.

  8. @T.P.R.: offene Wissenschaft

    Danke für Ihre offenen Worte.

    Ja – vereinzelt tut sich etwas… und langsam: Open Peer Review, preregistrierte Studiendesigns, Open Data, Open Access, vereinzelte Replikationsprojekte… In der Masse sind es leider oft noch die Ausnahmen aber verglichen mit früher ist es doch schon ein Unterschied.

    In diesem Sinne gibt es Grund zur Hoffnung – aber andererseits keinen Anlass zu Naivität.

  9. @schleim
    Ich weiss nicht,was Sie wollen?
    In D gibt es ca. 50 tsd Profs ( incl.em.) und ca.900 tsd Dr. .
    Das entspricht ca. der Normalverteilung der Intelligenz am äußersten Rand.
    Wie wollen Sie die Schere schließen,
    Sie scheitern doch selbst an Aufklärung.

  10. Ich habe mir das System geschwänzt,weil Religionwissenschaften gegen die Physik strebt,weil Naturwissenschaften gegen Geisteswissenschaften konkurriert und die Lebenswissenschaften gegen Aussichstsolosigkeit streben.
    Es ist dumm.

  11. Mir scheint: das grösste Problem des heutigen Wissenschaftsbetriebs ist es mit der Masse zurecht zu kommen – mit der Masse an Wissenschaftlern (und ihrem Output), die es erst seit 30 Jahren oder so gibt. Ich erinnere mich an die Aussage eines jetzt schon recht alten Physik-Nobelpreisträgers (dessen Name mir gerade nicht einfällt), in seiner Jugend habe er noch jede Arbeit lesen können, die in den weiteren Bereich seines Interesses als Physiker gefallen sei. Doch heute sei das aussichtslos. Weil jeden Tag so viele Papiere erschienen. Heute sei es nötig, schon zu selektionieren, was man überhaupt lese, womit man sich überhaupt beschäftige.

  12. Künstliche Intelligenz im Review Prozess
    Im Nature-Artikel AI-assisted peer review liest man zum KI-assistierten Review-Prozess:

    Der Arbeitsablauf des Peer-Reviews wissenschaftlicher Literatur ist durch das ständig wachsende Einreichungsvolumen unter Druck geraten. Eine Antwort darauf besteht darin, die anfängliche Sichtung der Einreichungen weniger zeitintensiv zu gestalten. Eine Verkürzung der Screening- und Überprüfungszeit würde Millionen von Arbeitsstunden einsparen und möglicherweise die akademische Produktivität steigern. Viele Plattformen haben bereits damit begonnen, automatisierte Screening-Tools zu verwenden, um Plagiate und die Nichteinhaltung von Formatanforderungen zu verhindern. Einige Tools versuchen sogar, die Qualität einer Studie zu kennzeichnen oder ihren Inhalt zusammenzufassen, um die Belastung der Gutachter zu verringern. Die jüngsten Fortschritte in der künstlichen Intelligenz (KI) schaffen das Potenzial für (halb-)automatisierte Peer-Review-Systeme, bei denen potenziell minderwertige oder kontroverse Studien gekennzeichnet und der Abgleich zwischen Gutachter und Dokument automatisiert durchgeführt werden könnte.

    Meine Einschätzung: Eine automatische Vorprüfung von eingereichten Arbeiten wird schon in 10 Jahren selbstverständlich sein, denn der Review-Prozess ist heute zu zeit- und arbeitsaufwendig und zu stark von den gewählten Mitarbeitern und später den Reviewern abhängig. Heute schon kann Software formelle Richtigkeit und Plagiarismus untersuchen und neueste Tools können sogar konzise Zusammenfassungen einer Arbeit erstellen. In Zukunft ist sogar zu erwarten, dass Software eine Art Verwandtschaftsdiagramm erstellen kann, also einen Hinweis auf alle anderen Arbeiten, die eine Beziehung zur aktuell zu beurteilenden Arbeit haben – und das unabhängig von den Zitaten und den Referenzen, die die Autorn selbst angegeben hat. Des weiteren wird zukünftige Software im Vor-Review Prozess sogar automatisch die Reviewer auswählen bezugsweise empfehlen.

    Natürlich ist auch die Verwendung von KI im Review-Prozess nicht ohne Probleme. Dazu kommt noch, dass auch Forscher, die Papiere einreichen, bald schon Zugang zu KI-Programmen haben werden, welche ihre Papiere ganz bewusst so aufbereiten, dass ein AI-Review-Programm getäuscht wird und dass das eingereichte Papier unabhängig vom Inhalt durchgewunken wird. Es ist also mit gegenseitiger Aufrüstung zu rechnen. Dennoch denke ich, das wird kommen, die automatische Prüfung von eingereichten Papieren durch eine spezialisierte Software zusätzlich zur Prüfung durch die Mitarbeiter der Zeitschrift, in der die Arbeit veröffentlicht werden soll. Wobei natürlich gilt: je besser die Software, desto stärker werden die menschlichen Prüfer sich auf die Software abstützen.

  13. Wenn man sich mit der Glaubwürdigkeit wissenschaftlichen Wissens beschäftigt – dann muss man die Erwartungshaltung vieler Menschen berücksichtigen: die Menschen glauben, was sie glauben wollen.

    Viele Wissenschaftler haben es mit ihrer Arbeit geschafft, dass man viele Phänomene der Natur verstehen kann und haben damit die Grundlagen für bewundernswerte technische Erfindungen geliefert.

    Mit diesen Erfolgen haben Wissenschaftler bei vielen Menschen den religiösen Gottesglauben abgelöst und Aussagen von Wissenschaftlern/Experten wurden zur Grundlage von einem Ersatz-Glauben – der so stark ist, dass er bis hin zur Realitätsverweigerung geht.

    Ein schönes Beispiel dafür kann man erkennen, wenn man ZWECK und FUNKTION von Uhren betrachtet:
    Uhren sind Maschinen, die zu dem Zweck gebaut wurden, dass man damit Kalenderdaten zuverlässig darstellen kann: Was man von Uhren als ´Uhrzeit´ ablesen kann – sind daher auch nur Kalenderdaten.

    Um die Funktion von Uhren zu verstehen, muss man sich damit beschäftigen WARUM die Uhrzeiger bewegt werden. Der Grund dafür ist leicht erkennbar: Uhren sind Maschinen, die sich nur bewegen, wenn darin ein einseitig gerichteter Fluss von Energie erfolgt
    Wenn man diesen Fluss von Energie als das Vergehen von ´Zeit´ betrachtet, dann kann man sagen: Zeit vergeht nur, wenn es einen einseitig gerichteten Fluss von Energie gibt – oder einfacher: ´Zeit ist Energie´.

    Dieser Fluss von Energie wird aber NICHT gemessen – d.h. mit Uhren wird keine ´Zeit´ gemessen; da es meist ausreicht, wenn man Kalenderdaten ablesen kann.

    Dieses einfache Beispiel zeigt den klaren Unterschied zwischen ablesbarer Uhrzeit (= Kalenderdaten) und dem Vergehen von Zeit (= Energiefluss).

    Und damit kommen wir zur Realitätsverweigerung von Menschen, die wissenschaftliche Aussagen als Ersatzreligion betrachten: Obwohl die Wissenschaft bisher keine Definition für ´Zeit´ vorgelegt hat – glauben viele Menschen an die Existenz einer 4D-Raumzeit.

    Menschen glauben, was sie glauben wollen.

  14. “Wollen wir lieber einfache “Wahrheiten”, die sich schnell als falsch herausstellen können? Oder sehen wir der Komplexität der Welt ins Auge und erkennen wir an, dass die Wissenschaft eine wesentliche Wissensquelle ist – aber sich auch einmal irren kann?”

    Politik und Medien hierzulande wollen offensichtlich ersteres. “Die Wissenschaft” hat die Religion aus frühren Zeiten abgelöst und steht für die “einzige Wahrheit”. Jegliche Kritik daran wird als “Unwissenschaftlichkeit” oder sogar “Wissenschaftsfeindlichkeit” gedeutet analog zum Vorwurf der “Ketzerei” in früheren Zeiten. Das sich “die Wissenschaft” auch mal verrennen kann, wie z.B. bei der Eugenik, wird völlig ignoriert.

  15. Vom Ge-Reviewten zum Reviewer
    Ich wohnte während des Studiums mit einem Biologen zusammen, der ein damals völlig neues Verfahren der Elektronenmikroskopie einführte, bei dem metallische Nanopartikel die Anwesenheit von bestimmten Biomolekülen aufzeigten. Zuerst wurden seine damals völlig neuen Arbeiten von alten Hasen gereviewt und die hatten nicht selten alles mögliche auszusetzen und der betreffende Biologe sah in einigen der Kritiken viel Neid und Missgunst über seine eigenen Erfolge. Doch irgendwann drehte sich der Wind und er wurde selber zum Reviewer. Und zwar zum Reviewer von mehr oder weniger guten/schlechten Kopisten seiner eigenen Arbeiten. Oft hatten diese Nachahmerarbeiten (deren Bilder er mir zeigte) eine sehr viel schlechtere Auflösung als seine eigenen oder gar grundlegende Fehler und Schwächen und er als Reviewer war dann gezwungen (vielleicht aber sogar froh) diese Nachahmerarbeiten abzulehnen.

    Im übrigen zeigt diese Anekdote auch, dass sehr viele Arbeiten in den Naturwissenschaften von Vorgängerarbeiten inspiriert werden und inspiriert sind. Wirklich neues gibt es nicht allzu häufig. Jedenfalls nicht in einer bestimmten Disziplin wie etwa der Elektronenmikroskopie.

  16. Es sollte eigentlich beim Peer-review ausformulierte Vorgaben oder Leitlinien für die Reviewer geben, auf was sie im Besonderen zu achten haben, wobei dann diese Punkte in der Antwort entsprechend reflektiert werden müssten, damit der Reviewte dies nachvollziehen kann.
    Solche Vorgaben könnten sein: Vollständigkeit, Verständlichkeit, keine Plagiate, richtige Zitierungen, keine offensichtlichen Fehler, Einhaltung der wissenschaftlichen Methodik des Fachgebiets, Angabe und Diskussion von Fehlerbereichen und Ungenauigkeiten, formale Fehler sowie im Falle einer Ablehnung eine nachvollziehbare Begründung.
    Damit könnten dann sowohl der Reviewte als auch der auftraggebende Verleger sehen, ob das Review “ordentlich” gemacht wurde.
    Wie schlecht es um solche Peer-Reviews stehen kann ist an dem erschreckenden Beispiel der Studie zu einem angeblichen Krebsmedikament zu sehen, die der Journalist John Bohannon im Jahr 2013 an 304 Journale verschickte: siehe hier bei Wikipedia unter “Vortäuschen von Peer-Review”.

    Ich selbst habe rund 20 Jahre Erfahrung mit Reviews von Prüfberichten im technischen Bereich und Akkreditierungsverfahren, wo es genau formulierte Kriterien für die Qualtitässicherung von Prüfergebnissen und zum Review-Verfahren gibt.

  17. @Richter: Kriterien & Folgen

    Die Forderung nach Kriterien ist verständlich – doch wer hat schon die Zeit, die durchzulesen? Dass man sich an die Methoden des Fachs hält, sollte selbstverständlich sein. Doch wissen Sie, weil ich mich an echten Problemen der Welt interessiere, passen meine Ideen oft nicht innerhalb die disziplinären Grenzen. (“Disziplin” hat hier durchaus mehrere Bedeutungen.) Das führt regelmäßig zu Problemen beim Peer Review. Aber wenn sich manche Reviewer nicht einmal an die Regeln des Artikelformats halten, ist das schon etwas peinlich; doch selbst dagegen kann man nicht so viel machen.

    Mir gefällt Ihr Hinweis auf die Prüfberichte. Ich gehe aber einmal davon aus, dass die Prüfer auch dafür verantwortlich sind, was sie in ihre Berichte schreiben. So ein “Prinzip Verantwortlichkeit” wünsche ich mir auch für die Wissenschaft. Doch seien wir realistisch: Oft geht es da um die Ideenwelt bestimmter Forschungskreise, die mit der Wirklichkeit wenig zu tun haben. Der Vorwurf des Elfenbeinturms kommt nicht von ungefähr.

  18. @Wolfgang Richter (Zitat):

    Es sollte eigentlich beim Peer-review ausformulierte Vorgaben oder Leitlinien für die Reviewer geben, auf was sie im Besonderen zu achten haben, wobei dann diese Punkte in der Antwort entsprechend reflektiert werden müssten, damit der Reviewte dies nachvollziehen kann.

    Die google-Anfrage „ peer review rules“ listet solche Vorgaben und Leitlinien.
    Ein Beispiel dazu ist etwa
    Peer review golden rules and good practice checklist

  19. Zitat Stephan Schleim:

    Oft geht es da um die Ideenwelt bestimmter Forschungskreise, die mit der Wirklichkeit wenig zu tun haben. Der Vorwurf des Elfenbeinturms kommt nicht von ungefähr.

    Peer-Reviewer-Kandidaten sind die momentanen Experten des Fachbereichs in den die Arbeit fällt.

    Das heisst konkret:

    Eine Arbeit über dunkle Materie wird idealerweise von einem Dunkle-Materie Experten gereviewt.

    Eine Arbeit mit homöopathischem Thema wird von Homöopathen gereviewt. Und

    Eine Arbeit über die medizinische Relevanz von Homöopathie wird von Experten der evidenzbasierten Medizin gereviewt.

    Experten haben in der Regel bereits selber Artikel eingereicht, die gereviewt wurden und die auf hohe Resonanz gestossen sind und oft zitiert wurden.

  20. @Holzherr

    Es gibt auch die Qualitätsregeln ´Gute wissenschaftliche Praxis´:
    z.B. sollten Wissenschaftler Hinweisen auf wissenschaftliches Fehlverhalten oder auf Fehler nachgehen, wenn sie davon erfahren.

    z.B. Es gibt die Lehrmeinung ´infantile Amnesie´ welche besagt, dass Erlebnisse aus der frühen Kindheit dem bewussten Erinnern nicht mehr zugänglich sind.

    Im Rahmen von NTEs sind Erlebnisse ab dem 5. Schwangerschaftsmonat LEBENSLANG dem bewussten Erinnern zugänglich – wobei man sogar die Reihenfolge deutlich erkennen kann, wie sich die physikalischen Sinne beim Fötus entwickeln: Tastsinn > Gehör > Sehsinn > …

    Obwohl eine Lehrmeinung nachweisbar und nachprüfbar fragwürdig ist und deshalb diskutiert werden müsste – hat bisher kein Wissenschaftler (m,w,d) reagiert, wenn ich auf dieses Problem aufmerksam machte. Ich habe bisher mehrere Tausend Kognitionswissenschaftler kontaktiert.

    Das ist wissenschaftliches Totalversagen und hat nichts damit zu tun, dass man durch spezielles Fachwissen überfordert ist. (Denn wenn etwas unverständlich sein sollte, könne man nachfragen.)

    Dieses Beispiel zeigt, wie wenig Qualitätsregeln in der Wissenschaft gelten.

  21. @Martin Holzherr
    Das von Ihnen verlinkte Dokument spiegelt ziemlich das wider, was ich in meinem ersten Kommentar “gewünscht” habe.
    Aber offensichtlich ist das Problem, wie es hier im Blog und auch immer mal wieder anderswo geschildert wird, dass der review-Prozess sich nicht an solche Vorgaben oder Regeln hält und dadurch in Mißkredit kommt.

    Der IPCC hat sich ja auch mal vor 12 Jahren auf seine Arbeitsqualität von der IAC reviewen lassen und hat dabei eine ganze Reihe von Punkten “angekreidet” bekommen, darunter auch den Review-Prozess, der laut IAC verbesserungsbedürftig sei. Da werden genau solche Punkte, wie Sie in dem von Ihnen verlinkten Dokument als wichtig genannt werden, angesprochen.

  22. @Stephan Schleim
    Zum Thema Review von Prüfberichten:
    Bevor das von mir geleitete Labor akkreditiert wurde, waren ich, die Labormitarbeiter und die Kunden alle der Meinung, dass wird gute Arbeit leisteten und die Prüfergebnisse in guter Darstellung schriftlich niederlegten.
    Als wir dann aber die Vorgaben zur Akkreditierung, bezogen nicht nur auf die Prüfberichte, sondern auch auf das Prüfequipment, die Prüfumgebung usw. nach und nach umzusetzen begannen, lernten wir alle, dass es auch sehr gute Prüfarbeiten gibt, die korrekt und wiederholbar durchgeführt werden, die die Meßungenauigkeiten viel besser berücksichtigen. Seitdem will keiner der Beteiligten mehr diese Art der Qualitätssicherung missen und die Kunden sind gerne bereit den erhöhten Aufwand zu bezahlen, denn knapp 10% der Arbeitszeit im Jahr geht auf Kosten dieser Qualitätssicherung.
    Wenn man zu (fast) allem eine Checkliste und Qualitätskriterien hat, die man immer verifizieren kann und muss, dann sind die Ergebnisse der Arbeit viel sicherer und besser abzugrenzen.
    Soweit Meßtechnik und Berechnungen in der Wissenschaft zum Einsatz kommen, lassen sich solche Vorgaben auch hier umsetzen – wenn sie denn erstmal als Vorgaben existieren und die Methodik regelmäßig von einer unabhängigen Stelle überprüft wird.
    Auch andere Inhalte von Studien, also Textdarstellungen, können Qualitätskriterien unterworfen werden, wie das von Martin Holzherr verlinkte Dokument zeigt.

  23. @Richter: Qualitätssicherung

    Sehr gut – und schauen Sie: Beim wissenschaftlichen Publizieren haben die Forscherinnen und Forscher die Arbeit… und bekommen die Verlage das ganze Geld.

  24. @Stephan Schleim
    Ja, das mit dem Geld und der Arbeit ist natürlich ein Dilemma.
    Wenn der Reviewer für seine Arbeit Geld vom Verlag bekäme und er außerdem vom Verlag mindestens eine einmalige Schulung zu den Review-Kriterien bekäme wäre das doch wohl schon hilfreich.
    Wenn es allerdings so liefe, wie hier beschrieben, das die Autoren auch noch für ein schnelleres Review oder überhaupt für die Veröffentlichung selbst zahlen müssen, dann läuft es falsch herum. Es mpsste doch eigentlich im Sinne des Verlags sein, schnelle und qualitativ gute Reviews zu bekommen.
    Aber auch, dass Wissenschaftler in bestimmten Journalen sowieso selbst für die Veröffentlichung zahlen müssen, wie im verlinkten Artikel beschrieben, ist “kontraproduktiv” und fördert nicht gerade das wissenschaftliche Arbeiten.

    Nachdem ich nun gestern und heute im Internet nach peer-review allein und im Zusammenhang mit verschiedenen Stichworten in deutsch und englisch gesucht habe, halte ich das Thema peer-review nun nicht mehr für ein Qualitätskriterium bei wissenschaftlichen Publikationen. Mein “Glaube” an die Wissenschaft hat gelitten.

  25. @Wolfgang Richter

    Es gibt einen Begriff dafür,der nicht nur gerade weltpolitisch nicht unbedeutend ist: Gutgläubigkeit!
    Meines Erachtens einer der wesentlichsten aber nicht ausdifferenzierteste Begriff für Wahrnehmung und Verhalten.
    Ausnutzen steht damit in Zusammenhang.

  26. @Mussi
    Was meinen Sie denn mit dem Begriff “Gutgläubigkeit” im Zusammenhang mit meinem Kommentar zum Peer-Review?
    Ich habe keineswegs alles “geglaubt”, war keineswegs “gutgläubig” zu dem was ich bisher in wissenschaftlichen Veröffentlichungen gelesen habe. Nicht selten war ich skeptisch zur Aussage des oder der Autoren. Aber ich habe bisher peer-reviewte Veröffentlichungen für “besser” als nicht so behandelte Publikationen angesehen. Dieser “Glaube” ist nun sehr stark beschädigt worden.
    Folgen Sie mal dem Link zum Review der Arbeit des IPCC: da finden Sie einiges aus erster Hand bestätigt, was Skeptiker dem IPCC damals vorwarfen bezüglich seiner Arbeitsweise und der daraus resultierenden Ergebnisse.

  27. @Wolfgang Richter
    Haben Sie meinen ersten Kommentar zur Gleizeitigkeit von Eindeutigkeit und Uneindeutigkeit verstanden?

  28. @Richter

    Ich habe gestern zufällig das Buch von Prof. Norman Sieroka ´Philosophie der Zeit´ (ISBN: 978-3-406-72787-0) in die Hand bekommen und gelesen.
    Es war grausam, ich habe noch nie so etwas schlechtes gelesen.

    Der Text auf der Rückseite beginnt “Die Zeit fließt oder steht, sie ist, was die Uhren messen, … ”
    Im ganzen Buch findet man keine einzige Überlegung dazu – was der Zweck von Uhren ist; wozu sie entwickelt wurden. Und auch kein einziger Satz wo überlegt wird, warum sich Uhrzeiger bewegen.

    Wir finden heute bei vielen Menschen eine Haltung, die man als ´querdenken´ bezeichnet – und zwar sowohl bei Wissenschaftlern wie auch bei wissenschaftlichen Laien. Fakten sind das, was man dafür hält. Deshalb war Donald Trump so erfolgreich: als Paradebeispiel für diese Denkweise.

  29. @ KRichard 24.03.2022, 05:30 Uhr

    Ich meine, was Sie im Zusammenhang mit der Lehrmeinung über ´infantile Amnesie´ äußern ist komplexer und nicht eindeutig zu beantworten.

    Außerdem dürfte sie stark von einer ideologischen Komponente (Stichwort: Schwangerschaftsabbruch) überlagert sein. Der “Mainstream” möchte heutzutage einfach „Beweisen“, dass ein Mensch eben erst dann „ein richtiger Mensch ist“ wenn er „denken“ kann, vorher eben nur ein „dummer Zellhaufen“ ist.

    Meine persönliche 1. Erinnerung geht auf einen Bombenangriff in der Nachbarschaft und der damit verbundenen Aufregung in der Umgebung zurück. Der begann einige Monate vor der Geburt und endete rund 2 Monate nach der Geburt. Kann aber nicht ausschließen, dass es keine Bomben sondern ein später von einem Blitzschlag getroffener Bauernhof war, der die Aufregung verursacht hat.

    Ich vermute aber, dass man eine generelle Aussage über den Beginn der „Erinnerungen“ und die Entwicklung nicht so einfach machen kann, da die Organentwicklungen etwas unterschiedlich verlaufen könnte. Der Entwicklung der Jugendlichen verläuft nun einmal recht unterschiedlich und gleichaltrige Mädchen sind z.B. den Jungen normalerweise voraus.

    Ich habe an sich keinen Zweifel, dass man auch aus, ich verwende das Wort nicht, …. Erlebnissen psychologische Schlüsse ziehen kann, zumal die Psychologen z.B. sehr viele Erkenntnisse aus Beobachtungen von Kriegs Chirurgen an Patienten mit „Kopfschuss“ gewonnen haben, wobei man wegen der objektiven „Schussbahn“ recht gute Rückschlüsse auf die beteiligten Strukturen ziehen konnte.

    Dass sich Wissenschaftler mitunter auch wie die Lemminge verhalten (müssen), gehört eben auch zur Realität.

  30. @Elektroniker
    Bei diesem Blogbeitrag geht es u.a. um die Glaubwürdigkeit von Wissenschaft.

    Meine Beispiele zeigen Gründe auf, warum manche Wissenschaftsbereiche mit ihren Aussagen nur mehr im Bereich esoterischer Glaubenslehren anzusiedeln sind.

    A) Am Beispiel von Zweck und Funktion von Uhren kann man den Unterschied zwischen ´Uhrzeit´(= Kalenderdaten) und ´Zeit´(=Energie) definieren.
    ABER – die Wissenschaft hat bisher noch überhaupt keine nachvollziehbare Definition für ´Zeit´ vorgelegt. D.h. hier haben bisher sämtliche Qualitätsmechanismen komplett versagt – wenn Aussagen/Behauptungen ohne nachvollziehbare Definitionen veröffentlicht werden.
    Es geht hierbei allein beim Thema ´Raumzeit´ um Tausende von ´wissenschaftlichen´ Arbeiten und um Forschungsgelder im Bereich mehrerer Milliarden Euro/Dollar.

    [Gekürzt. Sie verbreiten hier seit gut zehn Jahren, wahrscheinlich sogar noch länger, immer wieder Ihre Gedanken über Nahtoderfahrungen. Die gehören hier nicht hin (Off Topic). Wenn Sie sich nicht daran halten, fliegen Sie halt heraus. S. Schleim]

    Meine beiden Beispiele sind Hinweise auf problematisches wissenschaftliches Verhalten und die Verletzung von Qualitätsstandards. Damit wird die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft beschädigt.

  31. @ KRichard 25.03.2022, 14:59 Uhr

    Zitat: „Im Rahmen von NTEs ist deutlich erkennbar, dass Erlebnisse LEBENSLANG in genau der gleichen Reihenfolge reaktiviert/erinnert werden – wie sich die physikalischen Sinne beim Fötus entwickeln (Korrelation = 1) Dies deutet darauf hin, dass die dafür notwendigen neuronalen Strukturen ebenfalls LEBENSLANG existieren müssen – und dass die Lehrmeinung ´infantile Amnesie´ diskutiert und die gesamte Fachliteratur umgeschrieben werden muss.“

    Ihre Formulierung, „deutet darauf hin, dass die dafür notwendigen neuronalen Strukturen ebenfalls LEBENSLANG existieren müssen“, besonders Ihre Schlussfolgerung, scheint mir nicht zwingend.

    Jedenfalls müssen es nicht genau die gleichen Strukturen sein. Allenfalls könnten es die gleichen Strukturen sein.

    Das Gehirn entwickelt sich sehr stark immer weiter und es dürfte sich auch „regenerieren“. In dem Sinne dass neue, mitunter etwas veränderte Strukturen entstehen und die „alten Strukturen“ müssen nicht mehr zwingend, zumindest nicht mehr „vollständig“ in des Geschehen eingebunden sein.

    Damit wäre das Phänomen „Vergessen“ zu erklären.

    Ähnliches gibt es auch in der Informatik, wenn Softwarepakete immer weiter entwickelt werden und sozusagen „unnützer Ballast“ entsteht. Vermutlich hat man Methoden entwickelt um derartige Probleme zu minimieren.

    Aber umgekehrt kommt es auch dazu, dass stark gefestigte „Grundstrukturen“ im hohen Alter vorhanden sind (z.B. Erinnerungen an die Kindheit) aber neue „Erkenntnisse“ völlig instabil sind, oder verschwinden.

    Ich vermute, diese unterschiedlichen Verhaltensweisen, die besonders bei älteren Leuten auffallen, hängen, abgesehen von den „ehemaligen Lernvorgängen“ bei den unterschiedlichen Entwicklungsstadien, von unterschiedlichen Zelltypen und der Chemie im Gehirn zusammen.

  32. @Elektroniker
    Im Blogbeitrag geht es um die Glaubwürdigkeit von Wissenschaft und um wissenschaftliche Qualitätsstandards und deren Bedeutung bzw. Einhaltung.

    [Gekürzt. Sie verbreiten hier seit gut zehn Jahren, wahrscheinlich sogar noch länger, immer wieder Ihre Gedanken über Nahtoderfahrungen. Die gehören hier nicht hin (Off Topic). Wenn Sie sich nicht daran halten, fliegen Sie halt heraus. S. Schleim]

    Wenn meinen Hinweisen/Beschwerden aber nicht nachgegangen wird, dann ist dies ein Zeichen dafür, dass wissenschaftliche Qualitätsstandards entweder nicht bekannt sind oder absichtlich nicht eingehalten werden.
    Kurz gesagt: Wissenschaft wird damit unglaubwürdig.

  33. @KRichard: Wissenschaftsfreiheit…

    …bedeutet auch, dass jeder für sich selbst entscheiden darf, welche Fragen er (oder sie) untersucht. Aus der Tatsache, dass 99,9% der Forscher andere Entscheidungen treffen als Sie, können Sie nicht ableiten, dass die Wissenschaft nicht funktioniert.

    Sie haben Ihre Gedanken doch oft genug hier bei den SciLogs verbreitet – und soweit ich weiß auch ein einem Buch, auf das Sie hier schon mehrmals hingewiesen haben.

    Akzeptieren Sie endlich einmal, dass es hier bei MENSCHEN-BILDER nicht um Nahtoderfahrungen geht – oder lassen Sie es. Im letzteren Fall halten Sie sich aber besser aus der Diskussion heraus.

  34. Ich habe gerade (als “Senior Scientist”) an einem Workshop für junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler teilgenommen.

    Es betrübt mich schon, dass bereits die Doktoranden so strategisch darüber nachdenken (oder nachdenken müssen?), was sie in ihre Artikel schreiben und was nicht, um keine Probleme mit ihren Betreuern oder den Peer Reviewern zu kriegen.

  35. @all
    Wenn man Hinweise auf wissenschaftliches Fehlverhalten löscht, dann steigert dies die Glaubwürdigkeit von Wissenschaft enorm.

    [Stellen Sie sich hier nicht so als Opfer dar. Sie können sich an die Regeln halten, wie die allermeisten anderen Nutzerinnen und Nutzer auch. Und wenn nicht, dann verlassen Sie MENSCHEN-BILDER eben. S. Schleim]

  36. @ KRichard 26.03.2022, 05:09 Uhr

    Es gibt nicht nur keine wirklich „elegante“ und nachvollziehbare Definition für „Zeit“, auch für die „Schwerkraft“, das „Bewusstsein“, …. gibt es keine wirklich eindeutige und zwingende Definition oder ein genaues „Verständnis“.

    Dennoch hat hauptsächlich die Physik sehr sinnvolle Forschungsergebnisse „geliefert“, um die Zeit, die Schwerkraft, aber letztlich sogar das Bewusstsein, zum Teil bestens und auch höchst erfolgreich in andere wissenschaftliche (technische) Konzepte einzubinden. Je mehr man wissen will, desto mehr explodieren die Kosten, wegen der teuren Experimente.

    Die Schwerkraft ist perfekt berechenbar und kann z.B. mit Flugzeugen oder Raketen überwunden werden. Falls die Muster beim „Tanz der Valenzelektronen“ (theatralisch formuliert) wie ehemalige Physiker vermuteten, beim „Empfindungsphänomen“ eine Rolle spielen, würde man sogar dem Bewusstsein näherkommen.

    Selbst in der Hirnforschung, im Zusammenhang mit dem „Bindungsproblem“ spielen z.B. auch „Zeitschlitze“, eine banale Form der „Raum – Zeit“ eine Rolle. Wenn sich „zusammengehörige Informationen“, oder „Prozesse“, die zwar örtlich getrennt sind, sich aber im gleichen (zumindest aber in einem definierten) „Zeitschlitz“ befinden (frei nach W. Singer, C.v.d. Malsburg). Die beiden Wissenschaftler dürften zwar Akzeptanzprobleme haben, das Konzept ist aber in der digitalen Elektronik (Kommunikationstechnik) total akzeptiert und milliardenfach realisiert.

    Die Physiker trugen wesentlich dazu bei, das Wissen über die „Welt“ zu mehren und haben massiv die technische Entwicklung gefördert, das hat seinen Preis.

  37. @Schleim
    Sie haben vollkommen recht – es macht wenig Sinn, eine sehr große Mehrheit mit anderer Sichtweise zu kritisieren.

    Wenn sich z.B. eine Einzelperson (welche der Überzeugung ist dass die Erde kugelförmig ist) – sich in einem Saal mit 1000 anderen Personen befindet (welche die Meinung vertreten, dass die Erde eine Scheibe ist); dann hat diese Person zwei Möglichkeiten
    a) sich der Mehrheitsmeinung (> 99,9%) anzuschließen
    b) sich ein anderes intellektuelles Umfeld zu suchen

    [Und es gibt den Witz mit dem Geisterfahrer, der im Radio hört: “Achtung, ein Geisterfahrer ist auf der Autobahn!” Und der denkt: “Ein Geisterfahrer? Hunderte!” Aber jetzt zum letzten Mal: Halten Sie sich ans Thema oder Sie fliegen hier raus. S. Schleim]

  38. @Schleim: Doktoranden & Strategie:

    Mein Betreuer wollte, dass ich seine Habil-Schrift zitiere in meiner Dissertation. Ohne Mehrwert, vermutlich nur für einen extra-count bei google scholar. Wie er auch in ein eines meiner beiden Erstautorenpaper eine so offensichtliche und damit peinliche Häufung von Selbstzitatationen reingeschrieben hat, dass es weh tat. Wäre es klug gewesen, mich darüber zu beschweren? Sicher nicht. War übrigens in dem schon oben erwähnten Paper.
    Da diese Diss aber nie eingereicht wurde, war es eh hinfällig.

    Es ist schon irgendwie schade, soviel kluge Leute in der Wissenschaft – und trotzdem oder gerade deshalb auch soviele Soziopathen*.

    Es gab vor einigen Jahren eine Welle von Publikationen, Kommentaren und Erfahrungsberichten zu mental health in science. Für mich war das ein harter Treppenwitz am Rand der Menschenverachtung: Auswirkungen von strukturelle Problemen der Forschung werden zum Forschungsgegenstand unter genau denselben strukturellen Problemen und entsprechenden Auswirkungen. Oder polemischer: Nachwuchswissenschaftler mit Depressionen untersuchen Depressionen bei Nachwuchswissenschaftlern.

    Übrigens zum Thema peer-review: Wenn man alt genug ist und als Einzelner ein Paper schreibt was eh keiner liest, weil der Boom eines Themas schon lange durch ist und selbst der Reviewer keine Lust hat, schreibt man am Ende des Papers noch eine süffisante Bemerkung in Klammern: „Length of manuscript reviewing: seven weeks; suggested changes: three words“ [http://dx.doi.org/10.1016/j.nimb.2016.04.057]

    *salopper Sprachgebrauch meinerseits, vermutlich nicht korrekt im wissenschaftlichen Sinne

  39. @T. P. R.: Forschung & Alternativen

    Ja – das Prinzip Zitier mich oder vergiss es! gibt es schon länger. Leider.

    Da diese Diss aber nie eingereicht wurde…

    Das klingt hart. Das System ist auf Zweckoptimisten ausgelegt, um nicht zu sagen: Opportunisten. Zu viel Idealismus oder zu viele Skrupel stehen da nur im Weg.

    Wissen Sie, einer meiner “Doktorväter” hat anno 2009 den ersten Termin meiner Verteidigung platzen lassen. “Keine Zeit.” Ich verstand das als Disziplinierungsmaßnahme. Im Endeffekt lag es nur noch an einem Tag, dass ich mein Promotionsgesuch wegen Beschädigung des Vertrauensverhältnisses nicht zurückgezogen habe. Den Text für das Fax hatte ich schon formuliert.

    Man weiß nicht, wie das Leben dann ausgesehen hätte. Ich hoffe, dass Sie für sich eine gute Alternative gefunden haben.

  40. P.S. Als Hauptgrund für den Abbruch einer Promotion wird gemeinhin “schlechte Betreuung” genannt. Dahinter kann sich natürlich sehr viel verbergen.

  41. @Schleim

    Ich hatte mir tatsächlich ein PostDoc-Projekt überlegt, was bei vorsichtigem Vorfühlen sogar Zuspruch und Ermutigung von einem der big-shots der Community bekommen hat. Das wäre bei Anfangserfolgen karrierefüllend mindestens für eine Habil. auswalzbar gewesen.
    Das war meine erste (und letzte) nennenswerte kreative Idee in der Wissenschaft, die möglicherweise echten „Impact“ versprochen hätte.
    Die Frage ist natürlich zu welchem Preis, insbesondere im privaten Umfeld. Wenn ich mir die Karrieren von Freunden anschaue, zu einem sehr Hohen. Gleichzeitig ist das prinzipielle Interesse an dem Feld ist bei mir ungebrochen, das war auch die Motivation überhaupt damit zu beginnen. Aber ein Zurück wird es nicht geben.

    Wenn Sie meine Geschichte wirklich interessiert, würde ich mir in den nächsten Tagen mal die Zeit nehmen, die zusammenschreiben und Ihnen via Ihrer bei schleim.info angegebener Mail-Adresse schicken. Dann muss ich keine Rücksicht hinsichtlich der hier doch vorhandenen Öffentlichkeit nehmen und kann ausreichend konkret sein.

  42. @T.P.R. Preis

    Vielen Dank auf jeden Fall für Ihre Beteiligung. Diesen Eindruck kann ich leider bestätigen, auch aus meinem eigenen Leben:

    Die Frage ist natürlich zu welchem Preis, insbesondere im privaten Umfeld. Wenn ich mir die Karrieren von Freunden anschaue, zu einem sehr Hohen.

    Wie ich einem Leser hier vor einer Weile schrieb, ist MENSCHEN-BILDER kein Kummerkasten. Wenn Sie mir aber ein paar Ihrer Eindrücke per E-Mail mitteilen wollen und mir diese ohne große Erwartungen schicken können, dann freue ich mich auf Ihre Nachricht.

  43. Das Problem am heutigen Reviewverfahren ist manchmal (oder auch häufiger, ich kann nur für meinen Bereich sprechen) dass das Reviewverfahren von Qualität spricht, aber eigentlich auch die Adaption an soziale Machtgefüge in der Wissenschaft, d.h. beispielsweise an den Mainstream, meint.

    Dieser Mainstream stellt oftmals die Reviewer auf. Nun hängt der Erfolg eines Wissenschaftlers insbesondere von dem eigenen Zitationsgrad ab. Dieser wiederum hängt von der Masse ab. Aber gerade die Masse hat oftmals Probleme die Qualität von Arbeiten, jene die eigene Qualität übersteigt, als solche überhaupt zu erkennen.

    Originelle Außenseiter haben es daher besonders schwer. Von diesen gibt es in der Wissenschaft genügend Beispiele. Ich nenne nur einmal Jerome Lettvin, der für seine Arbeit von damaligen Kollegen ausgelacht wurde. Lettvins Pionierarbeiten über retinale Rezeptoren zur Gestaltswahrnemung wurde später von Hubel und Wiesel übernommen, die dann dafür den Nobelpreis einholten.

    Das Reviewverfahren spricht also von Qualität, prüft aber zu häufig ob man die “richtigen” Leute zitiert, die “richtigen” Methoden verwendet und die “richtigen” Themen behandelt die beispielsweise gerade im Trend liegen. Selbst in meinem Masterstudiengang der Neurowissenschaften wurde uns mehr oder weniger direkt (teilweise auch durch die Blume) beigebracht Studien und Reviews politisch korrekt aufzubauen und zu schreiben.

    Wie schlimm so etwas ausarten kann sieht man wenn Schulen die Macht über eine ganze Wissenschaft ergreifen. Da Sie Herr Schleim ja ebenfalls u.a. Psychologie studiert haben (ich hatte im ersten Studium Psychologie studiert), kennen Sie dies am Beispiel des US-Amerikanischen Behaviorismus nur zu gut. Und heute herrscht der Kognitivismus. 😉

    Das Reviewverfahren ist natürlich auch wichtig damit qualitativ wirklich schlechte Arbeiten nicht laufend publiziert werden. Aber es wäre auch naiv zu glauben dass Wissenschaft früher wie heute nicht auch “politisch” durchsetzt ist und das gilt auch für den gesamten Reviewprozess. Sie haben das in Ihrem Blogeintrag ja gut beschrieben.

  44. @Philipp: Communities

    Danke für die wichtige Ergänzung.

    Wissenschaftliche Gemeinschaften sind eben in erster Linie auch menschliche Gemeinschaften. Ich erinnere auch noch einmal an den Befund, dass sich im Fall Professor Birbaumers kein Wissenschaftler traute, namentlich in den Medien zu erscheinen. Manche Medien mussten jemanden aus der Wirtschaftswelt für einen Kommentar einschalten.

    Zur Lösung würde es meiner Meinung nach schon beitragen, Reviews und Entscheidungen der Editors zu veröffentlichen, meinetwegen auch anonym. Dann hätte man zumindest ein Mindestmaß an Transparenz und Verantwortlichkeit.

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