Drogen: Europäische Bürgermeister schlagen Alarm

Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) warnt vor niederländischem Vorbild. Was ist dran?

Die Bürgermeister der wichtigen Hafenstädte Antwerpen, Rotterdam und Hamburg, Bart De Wever, Ahmed Aboutaleb und Peter Tschentscher, reisten vor Kurzem nach Südamerika. Dort machten sie sich ein persönliches Bild von der Drogenproblematik – und den Versuchen, dagegen vorzugehen.

Besonders Ecuador ist ein erschreckendes Beispiel: Seit 2020 eskaliert dort die Gewalt von Drogenbanden. 2023 hatte das Land mit 45 pro 100.000 die höchste Mordrate Lateinamerikas. Viele dieser schweren Verbrechen werden nicht aufgeklärt. Zum Vergleich: In Deutschland betrug sie nur 0,8 pro 100.000. Ecuador hat also rund 56-mal mehr Morde pro Jahr.

Europäische Beispiele

Doch man muss nicht über den Ozean reisen, um Negativbeispiele zu finden. Die Städte mit den größten Häfen, Antwerpen und Rotterdam, sind regelmäßig mit schlechten Nachrichten in den Schlagzeilen.

Einerseits werden dort Jugendliche aus Problembezirken rekrutiert, um Drogen aus den Containern zu bergen. Andererseits führen Sprengsätze in Wohngebieten und explodierende illegale Drogenküchen zu großem Sach- und Personenschaden.

Laut einem niederländischen Medienbericht vom letzten Freitag will Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) von diesen schlechten Erfahrungen lernen. In Hamburg wurden demnach niederländische Jugendliche festgenommen, die sich auf dem Hafengebiet illegal Zugang zu Containern verschafften. Danach wurden dort die Sicherheitsvorkehrungen verschärft.

Jetzt neu: Das E-Book “Die Cannabis-Protokolle” informiert nicht nur über das Entstehen des Cannabisgesetzes, sondern auch grundlegende Themen des Drogenkonsums und der Drogenpolitik. Für nur 9,90 Euro im Amazon-Shop.

Katz- und Mausspiel

An den grundlegenden Problemen ändert man damit aber nichts: Erstens ist die Nachfrage nach psychoaktiven Substanzen unter den Bürgerinnen und Bürgern hoch. Cannabisprodukte, Kokain und Amphetamine wie Ecstasy, Speed oder Crystal Meth werden von vielen Menschen konsumiert.

Zweitens hat die vernachlässigte soziale Frage die Unterschiede zwischen Besitzenden und Besitzlosen immer weiter verschärft. Die Coronapandemie und Inflation haben diesen Prozess in jüngerer Zeit noch einmal beschleunigt.

Wer aber in einer verwahrlosten Gegend aufwächst und keine realistische Perspektive auf eine ehrliche Karriere hat, für den erscheinen kriminelle Aktivitäten als attraktive Alternative. Für Jugendliche können schon ein paar Hundert Euro viel Geld sein, mit denen sie sich endlich teure Markenprodukte leisten können, die in ihrer Umgebung als Statussymbole gelten.

Wer sich nicht nur mit Geld überzeugen lässt, der wird zusätzlich eingeschüchtert. Frei nach dem Motto: “Wenn du den Sprengsatz nicht zu Adresse XY bringst, legen wir ihn halt vor euer Haus.”

Im Drogenhandel steckt sehr viel Geld. Europol schätzte diesen Markt erst kürzlich auf 31 Milliarden. Daran ändert es auch nichts, beispielsweise höhere und festere Zäune um die Hafengebiete zu bauen.

Reaktionen

Die Amsterdamer Bürgermeisterin Femke Halsema erwägt nun, inspiriert durch Schweizer Modellprojekte, die Regulierung sogenannter “harter Drogen” wie Kokain. Das neu gewählte rechte Parlament in Den Haag hält aber nichts von Lockerungen.

Der Hamburger Innensenator Grote fällt jedoch nicht gerade mit Kompetenz auf, wo er Gesetzeslockerungen abwiegelt: “Auch weil wir aus anderen niederländischen Quellen erfahren haben, dass ihr Elend erst mit der Legalisierung von Cannabis begann.”

Cannabis wurde in den Niederlanden nie legalisiert! Es steht nach wie vor auf der Verbotsliste des “Opiumgesetzes”. Es wird seit den 1970ern lediglich toleriert – weil man damals einsah, dass man die Verbote sowieso nicht durchsetzen kann.

Das führte zur ambivalenten Situation, dass Konsumierende zwar ohne Strafverfolgung kleine Mengen in den bekannten Coffeeshops kaufen konnten. Für die Händler gab es aber keine legale Bezugsquelle zum Einkauf im Großhandel.

Den Markt mussten zwangsweise “Kriminelle” beliefern, die damit über die Jahrzehnte hinweg viel Geld verdienten. Gemeinhin wird angenommen, dass die heutige Eskalation der Drogenprobleme eine Folge der nur halbherzigen Lösung war.

Die wenigen Modellprojekte für 100% legales Cannabis, die sich gegen konservativen Widerstand und administrative Verschleppung endlich durchsetzen konnten, werden jetzt von rechts-konservativen Politikern schon wieder infrage gestellt.

Lösungen

Man wird das Drogenproblem nicht lösen können, ohne sich endlich ehrlich zu machen: Es muss erstens anerkannt werden, warum so viele Menschen die Mittel überhaupt konsumieren. Diejenigen mit problematischem Konsum tun das oft aufgrund psychosozialer Härten. Hier ist Sozialarbeit und, wenn das auch nicht mehr hilft, Suchtmedizin nötig – und nicht Polizei und Justiz.

Zweitens muss die Gesellschaft genügend ehrliche Karrierewege bieten. Perspektivenlose Jugendliche sind gefundenes Fressen für die Handlangerarbeit der Drogenkriminalität. Nach und nach rücken die skrupellosesten von ihnen dann in wichtigere Positionen vor. Um das zu verhindern, sind Sozialarbeit und ein gutes Schulsystem wichtig.

Drittens sollten Politiker und Mediziner endlich mit dem Verbreiten von Falschinformationen über psychoaktive Mittel aufhören. Die Diskussion um das neue deutsche Cannabisgesetz hat wieder denselben Unsinn zutage geführt, wie wir ihn seit gut 50 Jahren immer wieder hören: Gesundheitsrisiken wurden maßlos übertrieben, der Nutzen des Substanzkonsums unterschlagen und Mythen wie die von den Einstiegsdrogen endlos kolportiert.

Der heutige Zustand ist nicht die Folge eines “Drogenschlaraffenlands”, sondern von 50 Jahren “Krieg den Drogen” zusammen mit sozialer Verwahrlosung. Die Politiker, die die Drogen hierfür verantwortlich machen, lenken von ihrem eigenen Versagen ab. Sie sind Teil des Problems, nicht der Lösung.

In meinem neuen E-Book “Die Cannabis-Protokolle” informiere ich für nur 9,90 Euro über Cannabis und einige grundlegende Aspekte von Drogenkonsum und Drogenpolitik (hier im Amazon-Shop).

Folgen Sie Stephan Schleim auf Twitter/X oder LinkedIn. Titelgrafik: Ri_Ya auf Pixabay.

Avatar-Foto

Die Diskussionen hier sind frei und werden grundsätzlich nicht moderiert. Gehen Sie respektvoll miteinander um, orientieren Sie sich am Thema der Blogbeiträge und vermeiden Sie Wiederholungen oder Monologe. Bei Zuwiderhandlung können Kommentare gekürzt, gelöscht und/oder die Diskussion gesperrt werden. Nähere Details finden Sie in "Über das Blog". Stephan Schleim ist studierter Philosoph und promovierter Kognitionswissenschaftler. Seit 2009 ist er an der Universität Groningen in den Niederlanden tätig, zurzeit als Assoziierter Professor für Theorie und Geschichte der Psychologie.

18 Kommentare

  1. Zum Vergleich: In Deutschland betrug sie nur 0,8 pro 100.000. Ecuador hat also rund 56-mal mehr Morde pro Jahr.

    Nur? Würde er gerne noch mehr Tote hier haben wollen?

    Ich meine, wir wissen ja das die Menschheit zur Überbevölkerung neigt, aber diese auf dem Weg reduziert sehen zu wollen, na ja ich weiß nicht…

  2. @Drogenjunkie: Natürlich ist jeder Mord einer zu viel!

    Aber wenn der Vergleich 45 pro 100.000 Morde sind, dann erscheint mir 0,8 pro 100.000 wenig, ja.

    Gemäß dieser Übersicht ist Deutschland (zusammen mit den Niederlanden) übrigens auf Platz 41 von 207 (wobei höher = besser).

  3. Eine Momentaufnahme
    Die Niederlande sind ein von der Natur benachteiligtes Land.
    Wenn Menschen dort Depressionen bekommen ist das kein Wunder.

    In Amsterdam regnet es seit Oktober hat mir eine Frau gesagt. Dann , man schaue sich die Altstadt von Amsterdam an, Ein Likörladen neben dem Anderen.
    Lebensmittelläden , ganz wenige, dafür viele Läden mit Quatschartikel für Touristen.

    Sogar am Sonntagmorgen tragen die Leute keine Sonntagskleidung. Fröhliche Gesichter, Fehlanzeige.
    Wer in diesem Slum noch wohnt, hat wenig Geld.

    Das ist der Eindruck eines deutschen Touristen, der zum zweiten Male in Amsterdam war.

  4. @Nicker: Einmal wieder wundere ich mich über ihre weitreichenden Verallgemeinerungen.

    Ich würde selbst in Amsterdam nicht wohnen wollen: wegen der Touristen, der hohen Preise.

    Aber dass die Preise so hoch sind (= hohe Nachfrage) und die Stadt so von Touristen überlaufen ist, spricht ja wohl eher gegen Ihre Verallgemeinerungen. Mit anderen Worten: Viele finden die Stadt ziemlich ansprechend.

    P.S. Meines Wissens sind Depressionen in den Niederlanden nicht wesentlich höher als in Deutschland.

  5. Stephan Schleim
    Sie haben die größere Erfahrung bezüglich der Niederlande.
    Was mir aufgefallen war, zwischen den beiden Besuchen von Amsterdam waren 10 Jahre vergangen. Und, ……das Bahnhofsviertel war noch mehr verkommen.

    Es gibt auch schöne Orte in den Niederlanden, Hoorn z.B oder Nijmegen, dort hatte ich den Eindruck, hier ist die Welt noch in Ordnung.

    Eine Sonderstellung nimmt Rotterdam ein. Wenn man die Ausmaße des Hafengebietes anschaut wird klar, eine Kontrolle dieses Hafens ist nur partiell möglich. Was die Architektur betrifft, außergewöhlich phantasievoll, geschmackvoll, mutig.

    Um beim Thema zu bleiben, dass es in Rotterdam nicht zugeht wie in Chikago, das ist schon mal ein Lichtblick. Für den größten Hafen der Welt ist Rotterdam ein Vorzeigeobjekt.

    Wundern Sie sich nicht über meinen Bild-Zeitung-Stil, das mache ich immer so, damit es wackelt im Karton. Man muss die Leser provozieren, dann antworten sie auch.

  6. Der heutige Zustand ist nicht die Folge eines “Drogenschlaraffenlands”, sondern von 50 Jahren “Krieg den Drogen” zusammen mit sozialer Verwahrlosung. Die Politiker, die die Drogen hierfür verantwortlich machen, lenken von ihrem eigenen Versagen ab. Sie sind Teil des Problems, nicht der Lösung.

    Meine Sympathie und mein Wunschdenken für dieses Statement würden Ihnen gerne zustimmen! Dennoch bin ich im Zweifel, ob nicht doch eine leichtere Verfügbarkeit dieser Drogen (wegen Legalisierung) zu einem häufigeren Missbrauch führen könnte … selbst in einer (utopischen) Gesellschaft, in der ein soziales Gefälle nicht mehr existieren würde.

  7. @Jürgen: Drogenmissbrauch

    Was ist denn bitte Ihre Definition von Missbrauch?

    Fast alle Bürger*innen können sich z.B. ein Brotmesser kaufen und damit Brot schneiden.

    In sehr seltenen Einzelfällen kommt es vor, dass jemand damit sich selbst oder einen anderen Menschen schneidet.

    Woher kommen immer diese unterschiedlichen moralischen Standards, sobald es um das Thema Substanzkonsum geht?

  8. aus der Sicht der Polizei.
    Für die Polizei ist es eine Erleichterung, wenn sie nicht wegen einem Joint eingreifen muss. (mal bildhaft formuliert)

    Was die Polizei fürchtet, sie fürchtet den organisierten Handel mit Cannabis.
    Den gibt es schon, man befürchtet dass die Teillegalisierung zu einer Ausweitung des Handels führt.
    Bleibt abzuwarten, ob diese Vorhersage eintritt.

    Angesichts des anwachsenden Kokainkonsums und Handels sind das nur kleine Sorgen.

  9. Meine Defintion von Missbrauch ist denkbar einfach: Wenn dadurch eine Sucht entsteht, die den Lebensalltag und die Gesundheit des Konsumenten beschädigen kann. Nicht jeder Drogenanwender ist gegen die Entstehung einer Sucht gefeit. Psychoaktive Substanzen sprechen nun mal auf gewisse suchterzeugende Strukturen in unserem Gehirn an; die einen mehr, die anderen weniger.

  10. @Jürgen: Sucht & Abhängigkeit

    “Sucht” ist auch so ein Gespenst – wenn Sie hier im Blog oder mehr auf den Punkt gebracht dazu in meinem neuen Buch lesen, dann wissen Sie, dass es den Medizinern in über 100 Jahren nicht gelang, “Sucht” genau zu definieren.

    Der präzisere Begriff wäre der der Abhängigkeit. Und wie viele der Cannabis-Konsumenten trifft das? Und liegt das wirklich an der Substanz? Oder an Persönlichkeitseigenschaften? Und was ist mit problematischen Verhaltensweisen wie “Arbeits-” oder “Spielsucht”? Sollen wir das auch alles verbieten? Und greifen die Betroffenen dann zu einem mehr oder weniger gefährlichen “Suchtmittel”?

  11. Miserable Politik ist sowohl ein Grund, Drogen zu nehmen, wie auch der Grund, warum man dazu kriminell werden muss. Ein unsicheres Milieu steigert das Bedürfnis, ihm zu entkommen, die Mittel, ihm zu entkommen, werden von den Unsicherheitsfaktoren geboten, denn wenn sie nicht die Macht hätten, würde ja nicht die Unsicherheit herrschen. Also muss man ihnen dienen und so das stärken, was einen zerstört, um sein eigenes Tun zu ertragen. Und so eskaliert es. Wie in der Weltwirtschaft, so im Slum. Wie im Parlament, so im Drogenhandel.

    Verbote haben oft den Grund, ein Problem auszusperren, damit man es ungestört wuchern lassen kann. Wenn Sie sich ein Bein brechen und es mit Schmerzmitteln betäuben, kann es sich entzünden, abfaulen, die Fäulnis Sie auffressen, und Sie sind trotzdem glücklich. Die Symptome betäuben, damit die Krankheit Sie ungestört töten kann – Drogen und Drogenverbote leisten da das Gleiche.

    Sie können nicht alle Probleme lösen, deswegen brauchen Sie Drogen. Und auch ein Verbot kann ein Aspirin sein – es löst ein Problem nicht, es entmutigt die Leute nur, sodass es sich in Grenzen hält und nicht gelöst werden muss. Ein Verbotsschild wirkt aber nur, wenn Sie die Leute daran hindern wollen, auf ein leeres Baugrundstück zu laufen, damit sie sich nicht die Beine brechen – diejenigen, die wissen, dass darauf zehn Goldbarren versteckt sind, wird es nicht aufhalten. Und bei Drogen wissen wir das alle.

    Oft bestrafen wir nicht das Problem, sondern sein Sichtbarwerden – ob Prostitution, Drogen, politische Korruption: An der allgemeinen Lügen-Orgie sehen Sie, dass der Trump-Effekt durchaus eine reale Gefahr ist, wenn man nicht mal so tun muss, als würde man die Wahrheit sagen, wenn man auf das, wofür man sich gestern geschämt hat, heute stolz sein darf und alle darin übertreffen will, sind alle Dämme gebrochen. Oft fällt man aus einem Extrem ins andere, auf den Dammbruch folgt ein Backlash, ein Rückfall in die moralinsaure Verbotitis, die oft den Fehler macht, totalitär zu werden – statt die Heuchler Heuchler sein zu lassen, packt sie tatsächlich das Problem an der Wurzel. Wenn Sie Ehebrecher nur lynchen, wenn Sie sie fangen, haben Sie ein gelegentliches Exempel, wenn Sie ihnen tatsächlich nachjagen, haben Sie, was wir in der puritanisch geprägten Drogen-Hexenjagd haben – ein Massaker.

    Vielleicht sollten wir da ehrlicher sein, wie mit Nacktheit in der Öffentlichkeit – da verbietet Ihnen auch keiner das Nacktduschen zuhause. Die Welt verändert sich, die Gesellschaft wird flexibler, vieles, was früher nur unter dem Radar fliegen durfte, darf heute ans Tageslicht. Das bedeutet aber auch, dass wir einen neuen Kompromiss zwischen den Extremen finden müssen. Die einen werden töten, um die Welt zu erhalten, wie sie ist, die anderen werden die Welt töten, um ihrem Ego die Bahn frei zu machen, aber wir wollen sie ja nur so weit verändern, dass keiner allzu sehr bluten muss, um die Zeche des Anderen zu zahlen. Homo homini cannabis est.

  12. @Paul S: kritisch Denken

    Ein Problem ist schon, dass viele einfach das glauben, was man ihnen erzählt, ohne es jemals kritisch zu hinterfragen.

    Dass Alkohol bei uns ein Genussmittel ist und andere Mittel eine “Droge”, ist schlicht eine Frage der Definition. Perfide wird das, wenn einzig aus dem Grund dann Cannabis & Co. als “Einstiegsdroge” gesehen werden, nicht aber Alkohol und Zigaretten.

    Drogenpolitik ist ein Beispiel dafür, wie die Gesellschaft ihre Vorurteile reproduziert.

  13. Ja, Abhängigkeit ist da vielleicht genauer. Ich sehe das aus der Perspektive der Hirnforschung, und zwar was den Zustand der “Kohärenz” betrifft – ein Hirn versucht diesen “glücksseligen” Zustand zu erreichen; ohne (chemische) Hilfsmittel von außen geschieht dies ja durch Probleme lösen und anschließende Erfolgserlebnisse (endogene Belohnungsbahnen/ Endorphine, Serotonine z.B.), auch im Zustand des “flow” geschieht dies – Vorbedingung ist aber immer eine Anstrengung und ein Problem, das es zu lösen gilt. Fällt das alles weg, weil man sich schon mit den Wirksubstanzen vollpumpt, wird hier ja auch eine Hirnentwicklung unterdrückt. Ich sehe auch die “Spielesucht” sehr kritisch. Man stelle sich mal vor, John, Paul, George und Ringo hätte damals schon Zugang zu all den modernen elektronischen Freizeitangeboten gehabt wie heutige Jugendliche … hätte sie das Mühsame erlernen von Instrumenten in Betracht gezogen?

  14. @Jürgen: Abhängigkeit & Kontext

    “Das Gehirn will…” ist schon einmal eine interessante Formulierung, wie wir sie hier in den letzten 17 Jahren in diesem Blog häufiger diskutierten (siehe auch diese populäre Zusammenstellung).

    Viele Wege führen zum Glück. Manche davon als besser als andere anzusehen, ist eine Frage der Moral – und nicht des Strafrechts. Das ist im Prinzip mein Punkt. Wie ich hier immer wieder anmerkte, bin ich selbst eher zurückhaltend beim Konsum psychoaktiver Substanzen (einschließlich Schmerzmitteln).

    Menschen mit psychosozialen Problemen neigen stärker zu problematischem Substanzkonsum. Dann den Substanzkonsum zu problematisieren, kriminalisieren und therapieren verfehlt eben das Ziel. Können wir uns darauf einigen?

  15. -drogen werden hauptsächlich konsumiert, weil sie Spaß machen. Der Durchschnitt geht ja auch nicht krank in eine Bar oder zum Sport

    -so wie es im Sport zu Verletzungen kommt, so kann es auch bei Substanzmittelgebrauch zu klinischen Nebenwirkungen führen. Das ist aber natürlich nicht das Ziel, ich mache ja auch keinen Sport, weil ich mich verletzen will. Das nicht behandeln einer Verletzung, z.b. weil Fußballspielen verboten ist und man Repressalien entgehen will, wird es verschlimmern.

    – Traumataerkrankungen können extrem heftig sein und schwere Abhängigkeiten nach sich ziehen, aber das ist sehr weit vom Standard entfernt. Ich nehme ja auch nicht 90iger Micheal Jordan als Durchschnitt für die Sportlichkeit von Menschen.

    Der ganze Diskurs ist so verdreht und so voller Stigmatisierung und Stereotypen… Menschen werden nicht zu Aliens nur weil sie Drogen konsumieren…

  16. Viele Wege führen zum Glück.

    Glück ist ja vielleicht nur ein (unwesentliches) Nebenprodukt von “erkannter Sinnhaftigkeit”;-) Ohne groß philosophisch werden zu wollen, und um Ihnen an dieser Stelle zuzustimmen: Therapeutisch gesehen bin ich überhaupt nicht gegen den Substanzkonsum, auch eine Kriminalisierung finde ich falsch; wer in eine Abhängigkeit gerät braucht Hilfe und keine Kriminalisierung (die das noch verschlimmert). Ich glaube aber – auch aufgrund meiner eigenen Erfahrungen – dass es sich nicht im mindesten lohnt, sich in irgend einer Form per Drogen in einen inneren, abgeschlossenen “Belohnungskosmos” zu verabschieden – man vergibt sich selbst sehr viel, und vor allem den anderen! Aber natürlich sollte jeder das Recht dazu haben (wie z.B. beim Suizid).

    Glücklich der, der mit diesen Problemen nie konfrontiert wurde, glücklich auch der, der zu Drogen keinen Zugang hatte – und da würde meine Kritik ansetzen: Eine Legalisierung von irgendwas erzeugt auch immer einen Markt (gut, den gab es vorher unter der Ladentheke auch;-)

  17. @Jürgen: Freiheit, Autonomie, Verantwortlichkeit

    Danke für die vernünftige Antwort. Mir fehlt in dieser Diskussion, auch in der Cannabisdebatte, die wir gerade hatten, die Verteidigung von: Freiheit, Autonomie, Verantwortlichkeit.

    Viele Menschen haben keine Probleme mit Substanzkonsum; und manche Menschen haben zwar Probleme, nicht aber unbedingt durch den Substanzkonsum. Diese werden infantilisiert, z.B. über den Suchtbegriff. Sie sind dann keine autonomen Subjekte mehr, sondern kranke Entitäten, in die man eingreifen muss (im Extremfall mit Medikamenten, Zwangsbehandlung, Gehirnoperationen).

    Eine Legalisierung von irgendwas erzeugt auch immer einen Markt (gut, den gab es vorher unter der Ladentheke auch;-)

    Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Durch die Prohibition wird der Markt erst richtig lukrativ für die Organisierte Kriminalität.

    Ganz aktuelles Beispiel aus den Niederlanden: Vor dem Verbot von 3-MMC, ich glaube 2021, hatten es rund 10% der Jugendlichen, die feiern gehen, schon einmal genommen. 2023 waren es schon 30%! Auch mehr Minderjährige nehmen es. 3-MMC hat jetzt Kokain von Platz 3 der illegalen Substanzen verdrängt.

    Das Lachgasverbot seit 1. Januar 2023 führt auch zu neuen Problemen.

  18. @Stephan 02.05. 10:37

    „Diese werden infantilisiert, z.B. über den Suchtbegriff. Sie sind dann keine autonomen Subjekte mehr, sondern kranke Entitäten, in die man eingreifen muss…“

    Wobei dann mit schwereren psychischen Krankheiten nicht viel anders verfahren wird. Ist der eigene Zustand desolat genug, dass man nicht mehr ohne einen klinischen Rahmen klar kommen kann, dann wird der öfter auch gegen den eigenen Willen verordnet.

    Was für den Betroffenen nicht selten deutlich günstiger ist als eine eventuell sonst drohende Obdachlosigkeit. Oft genug sehen die Betroffenen auch die Einweisung, wenn es ihnen wieder besser geht, dann auch sein, und sind froh, dass sie die Krise irgendwie überstanden haben.

    „…die Verteidigung von: Freiheit, Autonomie, Verantwortlichkeit.“

    Hier kommt es eben drauf an, in welchem Zustand man sich befindet. Es kann Sinn machen, jemanden Zwangsbehandlung zukommen zu lassen. Man bräuchte sowas wie Genesungsbegleiter mit Ex-In-Ausbildung, die direkt beim Gericht angestellt sind, und als eine Art Anwalt mit dabei sind, wenn von einem Richter eine Zwangsmaßnahme zu prüfen ist. Sind hier die Experten unter sich, dann kann das in manchen Fällen zu unguten Ergebnissen führen.

    Allerdings ist gerade Drogengebrauch natürlich gar nicht immer eine behandlungsbedürftige Sucht, und kann auch wirklich individuell verantwortet werden. Da gibt es oft überhaupt keinen Handlungsbedarf, auch macht ein generelles Substanzverbot selten wirklich Sinn.

    Niemand sollte darauf verpflichtet werden, stets nach dem gesundheitlichem Optimum zu leben. Der Arzt darf und soll da gerne zu raten, aber ein Eingreifen gegen den eigenen Willen kann hier nur die absolute Ausnahme sein.

Schreibe einen Kommentar