Wissenschaftskommunikation: Akademie-Stellungnahme mit Schieflage

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… aber nicht einfacher
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Titelblatt der Stellungnahme
Gerade erschienen: Die WÖM-Stellungnahme zur Sozialen Medien und digitaler Wissenschaftskommunikation

Wer sich für Wissenschaftskommunikation in Deutschland interessiert, kommt derzeit nicht an der Stellungnahme der Arbeitsgruppe der deutschen Wissenschaftsakademien zum Thema Soziale Medien vorbei. Zur Erinnerung: 2014 hatte die Akademie-Arbeitsgruppe WÖM, in Langform “Wissenschaft, Öffentlichkeit und Medien”, bereits eine erste Stellungnahme “Zur Gestaltung der Kommunikation zwischen Wissenschaft, Öffentlichkeit und den Medien” veröffentlicht, die vor allem auch durch ihre Defizite für Gesprächsstoff sorgte.

Insbesondere das berühmte Neuland der Internet-gestützten Kommunikation war dabei nämlich fast komplett vernachlässigt worden. Das war selbst im Jahre 2014 nicht so ganz zeitgemäß. Außerdem war der Wissenschaftskommunikationsbegriff sehr eng gefasst, nämlich auf die institutionelle Kommunikation eingeschränkt. Dass auch einzelne Wissenschaftler Sachbücher schreiben, bloggen, Vorträge halten, eben Wissenschaft kommunizieren, war bei jener Scheuklappen-Version von Wissenschaftskommunikation komplett ausgeblendet worden. Ich habe mich damals sehr über Schieflage und blinde Flecke der Stellungnahme geärgert (siehe Akademien geben Empfehlungen für Wissenschaftskommunikation, 17. Juni 2014), und ich war bei weitem nicht der einzige, der auf diese und weitere Schwächen hingewiesen hat (zur Diskussion allgemein siehe diese schöne Liste mit Diskussionsbeiträgen, zusammengestellt von Marcus Anhäuser).

WÖM ganz neu, jetzt auch mit Internet

Von der Arbeitsgruppe kam damals nachträglich als Antwort, die Sache mit Internet und sozialen Medien sei eben noch einmal komplizierter, die habe man bewusst ausgeklammert, wolle dieses Thema aber in einer zweiten Stellungnahme gesondert behandeln. Diese zweite Stellungnahme ist jetzt, ziemlich genau drei Jahre später, erschienen. Sie trägt den Titel “Social Media und digitale Wissenschaftskommunikation. Analyse und Empfehlungen zum Umgang mit Chancen und Risiken in der Demokratie”, abgekürzt “WÖM2”.

Es gibt bereits eine ganze Reihe interessanter Kommentare zu der Stellungnahme, die man in dem entsprechenden Ergänzungsteil der Linkliste von Marcus Anhäuser finden kann.

Endlich ein erweiterter Begriff von Wissenschaftskommunikation!

Zunächst ist positiv festzuhalten, dass den neuen Empfehlungen ein deutlich breiterer Begriff von Wissenschaftskommunikation zugrundeliegt als der Stellungnahme von 2014. In diesem neuen Text “umfasst Wissenschaftskommunikation alle Kommunikationsformen von und über Wissenschaft sowohl innerhalb der Wissenschaft (Fachöffentlichkeit) als auch in außerwissenschaftlichen Öffentlichkeiten”.

Direkte Kommunikation von Wissenschaftlern, in der ersten Stellungnahme noch unter den Teppich gekehrt, kommt im Laufe des Texts dann auch mit mehreren entsprechenden Beispielen vor. Das ist ein nicht zu unterschätzender Fortschritt. Auf dieser Grundlage können wir weiterdiskutieren. Es bleibt zu hoffen, dass zukünftige Darstellungen diesen Fortschritt weitertragen und nicht in ein verengtes Konzept von Wissenschaftskommunikation zurückfallen.

Rückmeldungen auch vorab erwünscht

Positiv ist außerdem, dass es bei dieser zweiten Arbeitsgruppe eine transparente Rückmeldungs- und Diskussionsmöglichkeit gab. Traditionell sind Arbeitsgruppen dieser Art ja eher intransparent; ich z.B. habe keine
rechten Informationen dazu gefunden, wie die Teilnehmer ausgewählt wurden, und auch diese und die vorige Stellungnahme wurde ja z.B. nicht in Entwurfsform zur öffentlichen Diskussion gestellt. Aber diese zweite Arbeitsgruppe hatte löblicherweise ein Blog, Wissenschaftskommunikation hoch drei hier auf den SciLogs,
in dem bestimmte Fragen zur Diskussion gestellt und auch auf die Kommentare eingegangen wurde.

An zwei Beispielen kann ich direkt bestätigen, dass Inhalte aus den Diskussionen auf dem betreffenden Blog Eingang in die Stellungnahme gefunden haben: Die Kurator-Funktion im Zeitalter der Social Media (S. 12) spielte in einer dortigen Diskussion eine Rolle, an der ich auch teilgenommen habe, und das BICEP2-Beispiel für die Rolle von Facebook in wissenschaftlichen Diskussionen (S. 66) stammt direkt aus einem Kommentar von mir. Insofern: In der Tat, auf diese Weise sind in die Stellungnahme Perspektiven der weiteren Community eingeflossen. Sehr erfreulich.

Stellungnahme mit Schieflage

In anderer Hinsicht weist die Stellungnahme allerdings doch eine deutliche Schieflage auf, und zwar in der Art und Weise, wie der Wissenschaftsjournalismus im Vergleich zu institutioneller oder individueller Wissenschaftskommunikation aus der Wissenschaft selbst behandelt wird.

Ein Bereich, in dem das besonders deutlich wird, ist die Frage von Interessenskonflikten. Die werden für Wissenschaftler und wissenschaftliche Institutionen sorgfältig und in durchaus nachvollziehbarer Weise aufgezeigt und es werden entsprechende Empfehlungen z.B. dafür ausgesprochen, faktenbasierte Wissenschaftskommunikation und Marketing der Wissenschafts-Institutionen zu trennen. Ob und wie das praktikabel ist, sei dahingestellt. Das Problem anzusprechen, ist aber sicher richtig.

Nur auf dem anderen Auge ist die Stellungnahme dann leider so gut wie blind. Auch beim Wissenschaftsjournalismus bringen Geschäftsmodell und Praxis ja durchaus Einschränkungen mit sich. Ein Beispiel: Darstellungen, die zu sehr in die Tiefe gehen, sind nicht für hinreichend viele Leser interessant; die kann der herkömmliche Wissenschaftsjournalismus also rein schon von seinem Geschäftsmodell her nicht liefern. Gerade hier sehe ich den Vorteil z.B. von bloggenden Wissenschaftlern. Oft finde ich bei denen weiter- und tiefergehende Informationen, als ich in der Presse erwarten kann.

Nicht nur, dass dieses Problem nicht angesprochen wird; nicht nur, dass dieser Vorteil breiterer Niveau-Streuung nicht explizit genannt wird – an einer Stelle (S. 51) wird sogar explizit behauptet, von der Direktkommunikation sei “[e]ine Befreiung von der ‘Medienlogik’, also den Zwängen journalistischer Selektion und Präsentation” nicht zu
erwarten.

Sorry, aber stimmt doch nun wirklich nicht. Das zeigen doch gerade die bloggenden Wissenschaftler! Ich habe den Eindruck, hier haben die Autoren dann doch ihren erweiterten Begriff von Wissenschaftskommunikation vergessen und wieder vor allem an die PR-Abteilungen und deren Hochglanz-Magazine gedacht (um die es an dieser Stelle des Textes auch tatsächlich direkt vorher und nachher geht).

Ein zweites Beispiel für einen potenziellen Interessenskonflikt: Wie verträgt sich die Kurator-Rolle mit einem Journalismus, der seine Anzeigenkunden möglichst lange auf den eigenen Webseiten halten will? In dem zwischenzeitlich zumindest in einigen Fällen (erzählte vor ein paar Jahren ein Online-Chef einer größeren Zeitung) Links nach außen, auf externe Inhalte vor diesem Hintergrund regelrecht verboten waren? Im Hinblick auf die Kurator-Rolle, die in der Stellungnahme ja durchaus eine Rolle spielt, ein wichtiger Aspekt. Behandelt wird er in der Stellungnahme nicht.

An der Praxis vorbei

Sowohl in diesem Zusammenhang als auch an einer Reihe anderer Stellen hatte ich den Eindruck, dass die Autoren da eine Praxis bewerten, insbesondere im Hinblick auf die Direktkommunikation von Wissenschaftlern, mit der sie selbst nicht allzu vertraut sind.

Wenn ich mit meinen Kollegen spreche, warum sie Outreach für wichtig halten, kommt als eine der häufigsten Antworten: Wir wollen junge Leute, insbesondere Schülerinnen und Schüler, für Wissenschaft begeistern, damit auch in Zukunft für guten wissenschaftlichen Nachwuchs gesorgt ist – für die Doktoranden, Postdocs, Professoren von übermorgen.

Die Stellungnahme reduziert dagegen die “Funktionen (Motive)” auf ganze drei: Bildung/Aufklärung, Legitimierung (der Wissenschaft gegenüber der Gesellschaft und der Institutionen) und Aufmerksamkeitsbeschaffung. Und wieder fällt ein wichtiger Teil der Outreach-Praxis einfach so weg.

Kontrolle für die Wissenschaft, Geld für Journalisten

Am deutlichsten zeigt sich die Schieflage bei den Empfehlungen. Die Empfehlungen an die Politik lauten verkürzt:
Plattformen/Suchmaschinen regulieren (Empfehlung 1), Wissenschaftsjournalismus öffentlich stärker finanzieren (Empfehlungen 2 bis 4). Die Empfehlungen an die Wissenschaft sind fast durchweg Ermahnungen: Vermeidet falsche Anreize (Empfehlung 5), müsst ihr wirklich den Journalisten Konkurrenz machen (6), trennt Marketing und
Bildung/Outreach (7), macht euch einen Online-Verhaltenskodex (8), erforscht Technikfolgen der digitalen Medien (9).

Die einzige Ermutigung an die Wissenschaft, “Bringt eure Expertise ein!” wird gleich durch die Ermahnung gedämpft, dass aber bitte redlich kommuniziert werden müsse, die Wissenschaftler ihre Zeit mit solcher Kommunikation nicht verschwenden sollen, und ihre jeweilige Rolle transparent machen sollten. (Textlänge in der Zusammenfassung: rund 1/3 Ermutigung gefolgt von 2/3 Ermahnung.) Und dass die Ermutigung als sechste Empfehlung an die Wissenschaft ganz hintenan steht, dürfte auch kein Zufall sein.

Innerhalb der Wissenschaft gibt es ja durchaus auch Diskussionen darüber, wie wichtig oder eben nicht es ist, mit der Öffentlichkeit zu kommunizieren. Ob und wie man solches Engagement ermutigen sollte. Wie sich entsprechendes Engagement evt. auch in wissenschaftlichen Karrieren niederschlagen sollte. Inwieweit die Kommunikation mit der Öffentlichkeit beispielsweise neben Lehre und Forschung zu den Aufgaben einer Universität gehören sollte. Dazu die Stellungnahme, zugespitzt: macht bloß den Wissenschaftsjournalisten keine Konkurrenz, das könnt ihr eh nicht besser. Da kann man sich gerade als junger Wissenschaftler oder junge Wissenschaftlerin durchaus allein gelassen fühlen. Und das letztlich von den Akademien, also von Institutionen, die ja durchaus auch die Interessen der Wissenschaftler vertreten sollten.

Fazit

So bleibt am Ende dann leider doch ein schaler Nachgeschmack übrig. Von einer Arbeitsgruppe, der direkte Kommunikation aus der Wissenschaft in die Öffentlichkeit doch irgendwie eher unbequem zu sein scheint. Die, wenn sie einen engagiert kommunizierenden Wissenschaftler sieht nicht denkt “Toll, was für ein Engagement!” sondern “Mannomann, nimmt der einem Wissenschaftsjournalisten den Job weg? Und ist das überhaupt gut genutzte Zeit für dessen Institut? Kann und sollte man das nicht irgendwie regulieren?”

Die daher ausführlich Kontrolle und Einstärkung fordert, aber die positiven Seiten direkter Kommunikation weitgehend weglässt. Die den Wissenschaftsjournalismus als wichtiges Korrektiv sieht (sehe ich ja auch so!), aber die entsprechenden Probleme und Interessenskonflikten ausblendet. Und deren Empfehlungen diesen schlagseitigen Blick auf die Akteure der Wissenschaftskommunikation leider nur allzu deutlich widerspiegelt: Geld für den Journalismus, Ermahnungen für die Wissenschaft.

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Markus Pössel hatte bereits während des Physikstudiums an der Universität Hamburg gemerkt: Die Herausforderung, physikalische Themen so aufzuarbeiten und darzustellen, dass sie auch für Nichtphysiker verständlich werden, war für ihn mindestens ebenso interessant wie die eigentliche Forschungsarbeit. Nach seiner Promotion am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam blieb er dem Institut als "Outreach scientist" erhalten, war während des Einsteinjahres 2005 an verschiedenen Ausstellungsprojekten beteiligt und schuf das Webportal Einstein Online. Ende 2007 wechselte er für ein Jahr zum World Science Festival in New York. Seit Anfang 2009 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, wo er das Haus der Astronomie leitet, ein Zentrum für astronomische Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, seit 2010 zudem Leiter der Öffentlichkeitsarbeit am Max-Planck-Institut für Astronomie und seit 2019 Direktor des am Haus der Astronomie ansässigen Office of Astronomy for Education der Internationalen Astronomischen Union. Jenseits seines "Day jobs" ist Pössel als Wissenschaftsautor sowie wissenschaftsjournalistisch unterwegs: hier auf den SciLogs, als Autor/Koautor mehrerer Bücher und vereinzelter Zeitungsartikel (zuletzt FAZ, Tagesspiegel) sowie mit Beiträgen für die Zeitschrift Sterne und Weltraum.

2 Kommentare

  1. Nur mal interessehalber: was ist mit dem ersten Satz gemeint? Warum kommt man an dieser Stellungnahme nicht vorbei?

    • Nur das hier: So ziemlich jeder, der in Deutschland häufiger und prominenter über Wissenschaftskommunikation schreibt, hat zu WÖM2 schon einen Kommentar, Blogartikel, Tweet etc. veröffentlicht. Und wer sich in Deutschland für Wissenschaftskommunikation interessiert, kann damit nicht umhin, WÖM2 in der einen oder anderen Form zu begegnen.