Willensfreiheit – Nachtrag: Schicksal, Götter, Wissenschaft.
BLOG: Landschaft & Oekologie
In meinem vorigen Blogartikel ging es um ein Gedankenexperiment („Hirne im Tank“), das von Hilary Putnam stammt und von Olaf Müller interpretiert wurde im Hinblick auf die heute in den Medien breitgetretene Behauptung, die Hirnforschung habe die Auffassung widerlegt, unser Wille sei frei. Vor aller bewußten „Entscheidung“ stehe schon fest, wie diese ausfallen wird, das wüßten wir heute. Dagegen argumentiert Müller – und zwar ohne die naturalistischen Voraussetzungen (d. h. die Verabsolutierung der Naturwissenschaften) zu verlassen, von denen die Freiheitsleugner ausgehen –, daß selbst ein naturwissenschaftlicher Nachweis der Vorwegbestimmtheit von allem in der Welt, auch der „Entscheidungen“, der weit über das hinausgeht, was die Hirnforschung tatsächlich zeigen kann und je zeigen können wird, für die Frage der Willensfreiheit unerheblich ist. Er werde „zeigen, dass die deterministische Neurowissenschaft in dieser gedachten Situation gar nichts für oder gegen die Entscheidungsfreiheit des Subjekts austrägt, weil sich die Entscheidungen des hypothetischen Subjekts nicht dort abspielen, wo seine Naturwissenschaft hinzielt.“
Der Artikel hatte eine lebhafte und nicht enden wollende Diskussion zur Folge. Sie löste sich, nicht unerwartet, bald von der Frage, ob denn das Gedankenexperiment wirklich hergebe, was es beansprucht, und drehte sich um die Willensfreiheit überhaupt. Ich habe meine Meinung dazu auf Diskussionsbeiträge zu sehr verschiedenen Fragen verteilt. Vermutlich wird diese Beiträge niemand lesen außer den Kommentatoren, denen ich jeweils geantwortet habe. Darum will ich auf den Punkt, der mir besonders wichtig ist, hier noch einmal eingehen. Ein Kommentator hat ihn so formuliert: „Die deterministische Position ist dermaßen absurd in ihren Folgen, dass man sich fragt, warum sie eigentlich so ausdauernd diskutiert wird.“ (@fegalo)
In der Tat: Wenn es stimmt, daß schon vorher feststeht, wie ich mich entscheiden werde – soll ich mir dann überhaupt noch die Mühe machen herauszubekommen, wie ich mich am besten entscheiden sollte? Ich gebe mir also keine Mühe. Aber wenn nun feststehen sollte, daß ich mir Mühe geben werde? Dann stehe ich dumm da, ich tue etwas, von dem vorher schon feststand, daß es sich nicht ereignen wird. Geht das denn? Darf ich denn das? Aber Dürfen ist ja ein genauso sinnloser Begriff wie Wollen, wird uns erzählt. Da schwirrt einem der Kopf.
Nicht alle jedoch wollen den neuen Propheten glauben. Es wird immer gesagt, die einen glauben an die Willensfreiheit, die anderen nicht (siehe z. B. hier). Die nicht an sie glauben, sondern es besser zu wissen meinen, nennen sie einen Glauben, oder auch ein Gefühl, vielleicht eine Intuition – im heute vor allem in der Umgangssprache üblichen Sinne bloßen Scheines unmittelbarer Erkenntnis –, auf jeden Fall eine Illusion. Die anderen sprechen ebenfalls von ihrem Glauben, eben dem Glauben an die Willensfreiheit. Aber es scheint ein Glaube ganz anderer Art zu sein als etwa der Glaube eines Naturwissenschaftlers an eine gerade allgemein für richtig gehaltene Theorie. Ein typischer Naturwissenschaftler wird sagen: Ich glaube so lange an sie, d. h. ich halte sie so lange für wahr, bis sie widerlegt wird. Daß das geschehen könnte, kann ich nicht ausschließen. Dann werde ich nicht mehr an sie glauben. Wer aber an die Willensfreiheit glaubt, der ist von ihr so überzeugt wie der glaubensstarke Christ von der Existenz Gottes: Es ist gar nicht möglich, daß neue Erkenntnisse auftauchen, die diesen Glauben zu erschüttern imstande wären. Und doch sei es ein Glaube, eine bloß subjektive Überzeugung. Zu wissen gebe es da nichts.
Ich werde so argumentieren: Wir – wir alle – wissen um unsere Willensfreiheit. Es handelt sich nicht um einen Glauben. Und auch wer nicht an sie zu glauben behauptet, weiß von ihr, überredet sich nur zu seinem Glauben, glaubt also in Wirklichkeit gar nicht, daß sie nur eine Illusion ist; etwa so, wie jemand, der einen Unfall verschuldet hat, sich so lange einredet, daß die Ampel ausgeschaltet war, bis er es selber glaubt, obwohl er in wachen Minuten doch ganz deutlich vor Augen hat, daß sie rot war.
Was nun folgt, ist kein wissenschaftlicher Artikel, sondern ich werde eine Geschichte erzählen, eine Geschichte von den Nöten, den Irrungen und Wirrungen, in die dieses Wissen die Menschen gestürzt hat. – Mit den Begriffen Willensfreiheit, Entscheidungsfreiheit, Handlungsfreiheit und überhaupt Freiheit werde ich nicht so sorgfältig umgehen, wie es angebracht wäre; doch ich hoffe, daß der Kontext einigermaßen klar macht, worum es jeweils geht und daß mir nicht allzu viele Fehler unterlaufen. Zitieren werde ich nicht, obwohl die meisten Gedanken selbstverständlich nicht von mir sind; wer sich auskennt, sieht sicher gleich, wo sie herkommen. – Wie diese Geschichte abgelaufen ist, stelle ich mir so vor:
Vor 20.000 oder 30.000 Jahren wußten die Menschen schon allerlei, z. B. wie man Feuer macht oder warum es donnert. Das wußte man seit Menschengedenken, seit Zehntausenden oder Hunderttausenden von Jahren. So ganz sicher war man sich da allerdings nicht. Das Wissen, daß Feuer entsteht, wenn man Holz und Stein aneinanderreibt, half manchmal nicht, vielleicht, weil es Irrtümer enthielt, also gar kein wirkliches Wissen war. Das Wissen, daß es deshalb donnert, weil ein Berggeist dicke Steine den Hang hinunterrollen läßt, wurde von der Nachbarhorde bestritten. Die wußte, daß es in Wirklichkeit deshalb donnert, weil ein Wolkengeist mit einem Knüppel irgendwo draufhaut. Und man wußte, daß die Nachbarhorde zu wissen meinte, es sei so. An dieser Art von Wissen – Wissen über die Dinge und Ereignisse in der Welt, Wissen über das, was außer mir ist – nagte darum immer der Zweifel. Und dies sehr oft zu recht, wie man bei mancherlei vermeintlichem Wissen schon wußte und es sich bei anderem später herausstellte.
Man hatte aber auch Wissen, das unzweifelhaft Wissen war, nicht nur vermeintliches, nicht nur Meinung oder Glaube. Dazu gehörte, daß daß es an mir liegt, ob ich mich entschließe, über die Felsspalte zu springen, wenn die Feinde hinter mir her sind. Ob mich das retten wird, darüber habe ich kein sicheres Wissen, allenfalls ein praktisch hinreichendes: Die sind alle so dick, von denen kommt keiner rüber. Aber vielleicht wartet drüben ja ein Höhlenbär auf mich und der Sprung rettet mich nicht. Ja, ich weiß nicht einmal sicher, ob ich die Tat ausführen kann, zu der ich mich entscheide. Vielleicht bekomme ich im Moment des Absprungs einen Wadenkrampf. Vielleicht überschätze ich mich auch, und es liegt außerhalb meiner Fähigkeiten, was ich da will; vielleicht lassen ja, wie die Wissenschaftler später sagen werden, meine Physiologie und meine Anatomie einen so weiten Sprung gar nicht zu. Doch daß es an mir liegt, ob ich mich entscheide zu springen, das weiß ich mit absoluter Sicherheit.
Unser Höhlenmensch habe nun eine Entscheidung getroffen, die der Horde Unglück brachte. Er weiß, er glaubt nicht nur, daß es seine Entscheidung war, daß es an ihm lag, sie zu treffen und daß die Tat, die dann folgte, nicht stattgefunden hätte, wenn er sich anders entschieden hätte. Die anderen wissen es auch und manchen ihm darum Vorwürfe. So entsteht der Wunsch in ihm, es nicht gewesen zu sein, nicht schuld zu sein. Es wäre schön, denkt er, wenn es ein anderer gewesen wäre. Er findet ihn nicht unter den Menschen. Ich wollte schon, sagt er dann in seiner Verzweiflung, aber ein Geist hat mir die Beine gelähmt. Oder gar: Ich wollte in der Tat das Falsche, aber daß ich das Falsche wollte, daran bin nicht ich schuld. Es lag daran, daß ein böser Geist von mir Besitz ergriffen hat, daß ich „besessen“ war. Er hat meinen Willen gelenkt.
Vielleicht beruft er sich aber nicht auf Geister, sondern sagt: Es liegt in der Natur unserer Familie, sich so zu verhalten. Das war schon bei meinem Vater und bei meinem Großvater so, und gegen seine Natur kann man nichts machen. Ich habe von Natur aus einen verkrüppelten Fuß; man kann mir nicht vorwerfen, daß ich nicht schnell gerannt bin. Meine Natur läßt das nicht zu, ich kann nicht anders, ich bin da nicht frei. Und so ist es bei meiner Willensbildung auch.[1] (So denke ich mir das wenigstens; ich weiß nicht, ob es für die Altsteinzeitmenschen schon irgend etwas gab, das dem ähnlich war, was wir uns unter „Natur“ vorstellen, in welcher der vielen Bedeutungen auch immer, die „Natur“ heute für uns hat.)
Damit kommt einiges in Gang. Religion entsteht und Wissenschaft, beides aus dem Wunsch, es nicht gewesen zu sein. Deren Entstehung hatte auch noch andere Ursachen, doch nicht zuletzt diese. Jahrzehntausende lang hat man sich Gedanken gemacht, wie man denn von dem Wunsch, es nicht gewesen zu sein, zu der festen Überzeugung gelangen könnte, daß man es tatsächlich nicht war. Mehr noch, nicht nur zu einer Überzeugung, sondern zu einem Wissen; denn dem können sich dann, eben weil es ein Wissen ist und nicht nur eine subjektive Überzeugung, eine Meinung oder ein Glaube, auch die anderen, die einem Vorwürfe machen, nicht verschließen. Besondere Kasten entstanden – Priester, Philosophen und andere Weise –, die hauptsächlich damit beschäftigt waren, diese Aufgabe zu bewältigen. Das war eine allseits für höchst wichtig erachtete Aufgabe, denn es gab nicht einen, der sich nicht Vorwürfen ausgesetzt sah, in Fällen, in denen es an ihm lag, sich falsch entschieden zu haben. Entsprechend hoch geachtet waren denn auch die Mitglieder dieser besonderen Kasten.
Und sie leisteten viel. Von dem Gedanken, daß es in der Natur, etwa der Natur der Familie, festgelegt sei, so und nicht anders handeln zu können, kam man zur großen Idee des Schicksals, zumindest einer Schicksalsidee unter mehreren. Nichts und niemand kann anders, als es seiner Natur gemäß ist, nicht an mir liegt es, sondern an meiner Natur, sie ist mein Schicksal. Und von dem Gedanken, Geister hätten die Macht über einen ergriffen, einem die Handlungsfreiheit oder gar die Willensfreiheit genommen, kam man zur Idee des einen allmächtigen Gottes, der wegen seiner Allmacht alles lenken kann und dies auch tut.
Diesen Gott gab es in zwei Hauptvarianten. In der einen kümmert sich Gott um alles im Einzelnen. Kein Haar fällt vom Kopfe, ohne daß er eigens den Befehl dazu gegeben hätte. Er hätte das auch lassen können, wollte aber nicht. Das wesentliche an diesem Gott ist nicht seine Allwissenheit oder seine Güte oder Strenge, sondern sein allmächtiger Wille, der an nichts gebunden ist. Die Welt kann ein Chaos sein oder aber eine Ordnung haben. In beiden Fällen liegt das an Gottes Willen. Es ist sinnlos, mehr wissen zu wollen als die Tatsachen der Schöpfung, wie sie nun einmal ist. Was dahintersteht, Gottes Wille, ein Plan, dem er folgt – dies zu ergründen ist uns ohnehin unmöglich. – Auf diese Variante werden ich im folgenden nicht näher eingehen.
Der Gott der anderen Hauptvariante kümmert sich nicht um alles im Einzelnen. Er errichtet am Anfang der Zeiten eine ewige Ordnung. Er richtet sich in dieser seiner Tat entweder nach etwas, das in gewisser Weise ihm vorausgeht: nach der Vernunft. Oder ihm geht diese gar nicht voraus, sondern er ist mit ihr identisch, er ist die höchste Vernunft. Auf jeden Fall weiß er – nur er – wirklich, was vernünftig ist, denn er und nur er ist allwissend. Allmächtig ist er auch und er könnte gewiß in seiner Allmacht auch anders, als gemäß der Vernunft zu handeln. Aber das würde Gott, der ja vollkommen ist, nie tun. Die von ihm erschaffene Welt hat eine vernünftige Ordnung – wie könnte man es wagen, Gott zuzutrauen, eine unvernünftige Ordnung errichten zu wollen?
Die Welt ist darum nicht chaotisch, denn wo bliebe dann die ordnende Vernunft? Die Welt mag uns chaotisch scheinen, aber in Wahrheit verkörpert sie eine vollkommene Ordnung. Nichts gibt es, was nicht an dem Ort ist, an dem es sein muß, nichts verhält sich anders, als es muß. Und wie es sein muß, das zeigt die Mathematik. Erfahrungswissen zeigt allenfalls, wie es ist, nicht, wie es notwendigerweise ist, und es kann trügerisch sein. Die Mathematik hingegen liefert sicheres Wissen. Mathematik, das sind die Gedanken Gottes. In seiner Gnade erlaubt er uns, diese Gedanken in den Grenzen, die unserem schwachen Geist gesetzt sind, nachzuvollziehen. Wir erkennen, wenn wir den Himmel beobachten, daß alles nach mathematischen Gesetzen zugeht. Gott hat die Welt nach seinen Gedanken, den mathematischen, eingerichtet und erlaubt uns, das hier und da zu erkennen. Alles, was geschieht, geschieht nach diesen mathematischen Gesetzen, die er erlassen hat oder – diese Möglichkeit gab es auch – nach denen er sich selber richtet und richten kann, weil er vollständige Einsicht in sie hat.
Etwa da war man in der frühen Neuzeit angekommen. Die Freiheit tat sich in dieser Vorstellungswelt schwer, fürs Erste wenigstens. Was man sicher weiß, nämlich daß die Entscheidung meine ist und ich sie nicht hätte treffen müssen, war jetzt unwahr geworden vor einem Wissen höherer Art, dem Wissen um die Existenz des Schöpfers und Weltenlenkers – diese war unbestreitbar – und dem Wissen darum, wie man sich diesen notwendig denken muß: allmächtig, allwissend. Was man sich nur wünschte gegen sein Wissen – ich bin’s nicht gewesen –, das war jetzt wahr. In welcher Variante man Gott auch dachte: Immer ist es er, der das Geschehen bestimmt, nicht ich. Ich bin nur sein Werkzeug.
Nun handelte man sich damit aber einige Probleme ein. Wenn Gott allmächtig ist und all meine Schritte lenkt – jeweils im Einzelnen oder durch die Erschaffung einer unentrinnbaren gesetzmäßigen Ordnung –, dann ist er, und nicht ich, für das Böse verantwortlich, von dem ich zu wissen meinte, ich hätte es getan. Aber kann denn Gott Böses wollen und tun? Er ist doch vollkommen. Das wäre er nicht, wenn er nicht gut wäre. Darum ist er gut. Und er will, daß wir auch gut sind. Er will, heißt das, daß wir ihm gehorchen. Wenn er schon all unsere Schritte lenkt, wenn wir also keine Handlungsfreiheit haben, dann könnten wir ja zumindest anders wollen, als wir gehorsam wollen sollen, nur können könnten wir nicht, was wir wollen. Wenn er aber auch unseren Willen regiert, dann wird der Begriff des Gehorchens sinnlos. Gehorchen aber sollen wir. Das wissen wir, seit wir wissen, daß es Gott gibt.
Etwas Willenloses kann nicht gehorchen. Wenn Gott Gehorsam will, dann muß er uns Freiheit lassen, wenigstens in unserem Wollen. Wir können vielleicht nicht, wie wir wollen, aber was wir wollen – sei es das Gute, sei es das Böse –, das muß bei uns liegen. Selbst wenn wir es uns darum nicht zuschreiben können, wenn wir Gutes taten, weil Gott unsere Schritte gelenkt hat und nicht wir selbst, so können wir doch trotzig Böses wollen, also nur äußerlich gehorsam, innerlich aber ungehorsam sein. Wie gehorchen in unseren Taten dem Gebot, verfolgen damit aber insgeheim ein verbotenes, nämlich ein eigennütziges Ziel: uns das Wohlwollen Gottes zu erschleichen. Innerlich ungehorsam sein, im Wollen und natürlich auch im Wünschen: Das müssen wir können, sonst erfüllen wir nicht die Bedingungen, die es braucht, um das Gebot des Gehorsams erfüllen zu können. Ein wenig frei, wenn schon nicht im Tun, so doch im Wollen, müssen wir also bleiben. Ich bin nun zwar ohne Schuld in den Augen der Menschen, denn meine Schritte lenke ich nicht selbst. Aber vor dem Einen, der nicht nur alle meine Schritte sieht, sondern auch ins Herz schauen kann, habe ich mich doch schuldig gemacht, indem ich frei Böses wollte.
Allerdings konnte auch eine Idee der Freiheit in einem viel stärkeren Sinn aufkommen gegen die Denksysteme, in denen nur diese minimale Freiheit gewährt werden mußte, die Freiheit, gehorsam oder ungehorsam in seiner Willensbestimmung sein zu können. Die stärkere Idee konnte sich etablieren über den schwer abzuweisenden Gedanken, daß Gott, da er ja allmächtig ist, es auch unterlassen kann, über alles zu entscheiden; er kann einigen seiner Geschöpfe die Freiheit geben. Manche Gottesbegriffe, insbesondere der christliche, waren so beschaffen, daß gar keine andere Möglichkeit bestand. Nicht zuletzt aus dem Grund, daß man andernfalls Gott die Vollkommenheit absprechen müßte: Ein vollkommenes Wesen kann gar nicht als ein nicht-liebendes gedacht werden, und was jemand liebt, das kann er nicht in Zwangsverhältnissen halten.
Nun wurde Gott im Verlaufe der Neuzeit abgeschafft. Seine Abschaffung war durch den Willen zur Freiheit motiviert. Auch wenn Gott, zumindest in seiner christlichen Form, Freiheit gewährt hatte durch den Akt der Erlösung, so blieb doch das Gebot des Gehorsams bestehen; die christliche Freiheit ist keine bedingungslose Freiheit. Im real existierenden Christentum war zudem der Gehorsam der Hauptinhalt dessen, was man „Glauben“ nannte, und leicht durchschaubar war, daß der Gehorsam gegen Gott in Wirklichkeit doch nur der Gehorsam gegen seine irdischen Stellvertreter war, vom König bis zum Familienpatriarchen.
Die neue Wissenschaft war in diesem Kampf um Freiheit eine wichtige Waffe. Sie brauchte Gott zwar, um entstehen zu können (jedenfalls in einer der beiden Hauptvarianten[2]). Denn woher sollte die naturgesetzliche Ordnung der Welt kommen, die man zu erkunden sich aufgemacht hatte, wenn Gott keine allgemeinen Gesetze erlassen hätte? Doch nun waren sie einmal da, und Gott änderte sie nicht ständig. Wozu aber brauchte man ihn dann noch? Er war nur noch von historischem Interesse. Ja, wozu brauchte es überhaupt einen, der diese Gesetze erlassen hatte? Denn man merkte nach einiger Zeit, daß sie eigentlich gar keine Gesetze sind: Sie schreiben nicht vor, was zu geschehen hat, sie beschreiben nur, was geschieht. Noch Newton glaubte, die Naturgesetze seien von Gott erlassene Gesetze, denen die Dinge gehorchen, weil sie gehorchen sollen, so wie die Menschen gehorchen sollen, es nur anders als die Dinge nicht immer tun.
Doch der Zusammenhang zwischen Gehorsam und Naturgesetzen war nun zerrissen, weil diese Gesetze in Wahrheit gar keine Gesetze sind. Wer die Naturgesetze kennt, muß keinem Gesetzgeber mehr gehorsam sein – gerade er nicht. Aus dem Wissen darum, daß es diese Gesetze gibt, folgt in keiner Weise mehr die Pflicht zum Gehorsam. Das Wissen um diese Gesetze macht vielmehr frei vom Gehorsam. Mittels der Kenntnis der Gesetze, die nichts vorschreiben, sondern den Lauf der Welt beschreiben und die man kennenlernt, indem man die Welt erforscht, nicht indem man über den Willen Gottes nachdenkt, kann der Mensch diese Welt nach seinem Willen verändern. – Doch was heißt nun „nach seinem Willen“?
Die Naturgesetze beschreiben nur, was geschieht, und anderes kann nicht geschehen. Mit dem Überflüssigwerden der Idee Gottes war im naturwissenschaftlichen Denken (jedenfalls zunächst) jede Möglichkeit des Auch-anders-sein-Könnens abgeschnitten. Die Dinge können den Naturgesetzen nicht ungehorsam sein, die Menschen auch nicht, denn diese Gesetze sind in Wahrheit keine Gesetze, kein Machthaber hat sie erlassen und sie schreiben nichts vor. Die Menschen hatten die Freiheit errungen, zu tun, was sie wollten.
Aber mit dem Wollen wurde es schwierig. War nicht der Grund dafür, daß wir uns trotz allem einen freien Willen zuschreiben müssen (wenn auch vielleicht keine Handlungsfreiheit), daß wir andernfalls nicht gehorsam sein können, aber sicher wissen, daß wir das sollen? Wozu war der freie Wille nötig, wenn er dazu nicht mehr nötig war? Man brauchte ihn bisher, weil der Begriff des Gehorsams gegenüber höheren Mächten ohne den Begriff des freien Willens keinen Sinn hat. Wo aber bleibt die Notwendigkeit des freien Willens, wenn die Naturgesetze nur beschreiben, was geschieht, und wenn sie, weil es Gott und Jenseits nicht mehr gibt, alles beschreiben, was geschieht und geschehen kann, auch in uns selbst und durch uns selbst? Wie kann unter diesen neuen Voraussetzungen der Wille etwas anderes sein als das, was sich aus dem naturgesetzlichen Verlauf der Dinge in unserem Inneren ergibt? Man hat es nicht mehr in der Hand, dies oder jenes zu wollen. Mit der Erringung der Freiheit dadurch, daß man die Instanz abgeschafft hatte, der man sich zu unterwerfen hatte, und dadurch, daß man den Begriff des Gesetzes nicht mehr im Sinne von Anordnungen verstand, hatte man die erste Bedingung der Freiheit abgeschafft: den geforderten Gehorsam, der impliziert, daß man auch etwas anderes wollen kann als das, was man soll.
Damit, daß man auf diese Weise Freiheit errungen hatte, war man weiter von der Freiheit weggekommen als jene alten Despotien, in denen oft Gott und König identisch waren. Da war der Mensch ein Nichts vor dem allmächtigen Herrscher, welcher ein unbedingter Herrscher war, insofern er unbedingten Gehorsam verlangte. Nun ist man weniger als dieses relative Nichts (relativ, denn man kann immerhin noch anders, als man soll), weil man gar nicht ungehorsam sein kann. Man ist ein absolutes Nichts, ein bloßes Ding.
Einige Jahrhunderte lang zogen diese letzte Konsequenz nur wenige. Das lag nicht nur daran, daß die alten Lehren von Gott als dem, der Gehorsam verlangt und damit ungehorsam handeln könnende Untertanen braucht oder gar als dem, der durch seine Erlösungstat den Menschen die volle, wenn auch nicht die unbedingte Freiheit gegeben hatte, in den Köpfen der allermeisten Menschen noch vorherrschten. Es lag vor allem daran, daß die Grundsituation, in der unser Altsteinzeitmensch stand, sich nicht geändert hatte, ja nicht ändern kann, so lange es eine Menschheit gibt. Jeder Mensch steht in ihr. Er weiß, daß es an ihm liegt, sich dieses oder jenes zum Ziel zu setzen. Das Kleinkind stampft auch heute noch mit dem Fuß auf und schreit „ich will aber nicht“, und es kennt den Unterschied zu dem, was die Leugner der Willensfreiheit von ihm behaupten. Dann würde es nämlich schreien „ich kann aber nicht“. Dieser Unterschied ist Grundvoraussetzung dafür, daß wir jemanden als zurechnungsfähig bezeichnen. Der Mensch, der so ist, wie die Leugner der Willensfreiheit behaupten, ist ein unzurechnungsfähiger Mensch. Von einem solchen, einem Besessenen, verlangten auch die alten Despoten und Gott-Stellvertreter keinen Gehorsam. Frei war er aber ganz und gar nicht: Er wurde wie ein Ding behandelt. Und so wollen ihn unsere modernen Freiheitsleugner auch behandelt wissen, wenn auch als ein empfindungsfähiges Ding, und dieses soll – man ist ja kein Unmensch – so behandelt werden, daß es nicht leidet, sondern glücklich ist.
Die Absurdität besteht darin, daß der, der dieses Ding so behandelt, selbst doch handelt und also einen freien Willen haben muß und ein Bewußtsein seines freien Willens – daß der Hirnforscher, der Vorschläge für die Reform des Rechtswesens macht, die die wissenschaftliche Erkenntnis berücksichtigen, daß die Menschen unzurechnungsfähig sind, sich selbst für zurechnungsfähig halten muß. Er muß, weil er ja will, daß diese Vorschläge sich durchsetzen und er sie nicht zu machen bräuchte, wenn es ohnehin keine Alternativen des Verlaufs der Zukunft gibt, für sich in Anspruch nehmen, wovon er seit seiner frühen Kindheit ein sicheres Wissen hat: daß es an ihm liegt, sich zu entscheiden, solche Vorschläge zu machen, daß er verantwortlich dafür ist, sie gemacht zu haben, daß es das auch hätte unterlassen können.
Diese Absurdität stört ihn aber nicht sonderlich, denn er hat, wenigstens solange er in seiner Wissenschaft tätig ist und isoliert ist vom Leben, vergessen, wovon er ein sicheres Wissen hat. Sicheres Wissen gibt es für ihn nur über den Gegenstandsbereich der oder besser seiner Wissenschaft, nicht übers Leben. Hat er doch in seiner Wissenschaftlertätigkeit erfahren, wie die Wissenschaft ständig irriges oder unsicheres lebensweltliches Wissen berichtigt und verbessert, in zuverlässigeres oder ziemlich sicheres Wissen verwandelt.
Sicheres Wissen ist damit für ihn grundsätzlich Wissen von einer Art, das, wie man seit Menschengedenken weiß, kein sicheres Wissen sein kann. Es ist von der gleichen Art wie das Wissen um die Ursachen des Donners. So ungeheuer viel zuverlässiger als das der Altsteinzeitmenschen unsere wissenschaftliches Wissen darüber ist, in einem unterscheidet es sich doch nicht: Es ist immer mit dem Wissen verbunden, daß daran Zweifel möglich sind. Aber allein solches Wissen gilt nun als sicher. In den wichtigen Angelegenheiten des Lebens – wofür man Begriffe hat wie Liebe, Haß, Schuld, Vergebung, Verzweiflung, Hoffnung, Pflicht, Sorge, Freiheit, Zwang usw. – hingegen gibt es kein Wissen. Da gibt es nur Glauben, Meinung, Gefühl, Konvention, Illusion. Unser von den gewaltigen Erfolgen der Naturwissenschaft auf einem begrenzten Gebiet beeindruckter Naturalist weiß selbstverständlich, daß er sich frei entscheidet, aber er kann sich das nicht erklären, denn in seiner Wissenschaft kann Freiheit nicht vorkommen. (Da, wo so geredet wird, etwa in der Quantenphysik, ist leicht erkennbar, daß das mit dem, was immer Freiheit hieß, nichts zu tun hat, daß es nur eine metaphorische Redeweise ist.) Und es ist nun einmal die oder richtiger seine Wissenschaft, die darüber entscheidet, ob etwas als Wissen gelten darf oder nicht, und als Wissen kann für unseren Wissenschaftler nur gelten, was man oder besser: einer der Seinen erklären kann.
Also kann er nicht zugeben, daß er weiß, was er doch sicher weiß: daß er frei ist, dies oder jenes zu wollen. Die Aufgabe der Wissenschaft – bzw. dessen, was der Naturalist davon kennt oder gelten läßt – besteht vielmehr darin, alles, was geschieht, aus Ursachen herzuleiten als notwendige, wenigstens mehr oder weniger wahrscheinliche Folge, und was diese Wissenschaft nicht herleiten kann, kann nicht als Wissen gelten. Aber wenn er mit seiner Wissenschaft ins Leben tritt – etwa wenn er Vorschläge zur Reform des Rechtswesens macht – kann er nicht anders als davon auszugehen, daß sein eigener Entschluß tatsächlich sein Entschluß ist und kein Kausalgeschehen im neuronalen System ihn dazu zwingt. Er darf es sich aber nicht eingestehen: Er kann es sich ja nicht erklären, also kann es nicht sein. Freiheit muß darum eine Täuschung sein, so wie ein Gespenst eine (Sinnes-)Täuschung ist, auch wenn man meint, es ganz deutlich gesehen zu haben.
Naheliegend wäre statt dessen, die Sache so zu sehen: Das Wissen um die Willensfreiheit ist in der Tat intuitives Wissen, doch nicht in dem Sinn, daß man wegen der Unklarheit hinsichtlich seines Zustandekommens – man kann nicht wie beim diskursiven Wissen jeden Schritt von einem gesicherten Grund aus nachvollziehen – besser mißtrauisch bleiben sollte. Sondern dieses Wissen zählt zu dem, was selbst gesicherter Grund allen diskursiven Wissens ist. Es handelt sich auch nicht um „Annahmen“ wie bei den Axiomen, die man so oder so setzen kann, sondern eben den um festen Grund. – Man bleibt also besser beim Unbestreitbaren. Dann könnte der strikte Determinismus, der ja nicht unbestreitbar ist, falsch sein, und wir könnten vielleicht eine Erklärung dafür finden, wie unter nicht-deterministischen Voraussetzungen der freie Wille in der Natur wirken kann. Oder der Determinismus könnte wahr sein, obwohl der Wille frei ist – denn das steht fest –, doch die freien Entscheidungen könnten sich „nicht dort abspielen, wo [die] Naturwissenschaft hinzielt“ (O. Müller), und es könnte uns vielleicht auf ewig unbegreiflich sein, wie das beides zugleich möglich ist. Es könnte auch an beidem etwas dran sein: Der Determinismus ist falsch, aber auch in einer nicht-deterministischen Natur könnte die Beeinflussung des Naturgeschehens durch den freien Willen unbegreiflich sein.
Die kulturelle Macht der Naturwissenschaften nimmt immer mehr zu, die Macht der angloamerikanischen Kultur, in deren Philosophien der szientifische Naturalismus angesiedelt ist, ebenfalls. Und das Motiv hinter der Freiheitsleugnung ist wirksam wie zu allen Zeiten: Man will es nicht gewesen sein. Der Rettungsweg, daß man, obwohl man frei gewollt und getan hat, was man nicht hätte wollen und tun sollen, doch Gnade finden kann, ist verschlossen, wenn es die entsprechenden religiösen Denkwege nicht mehr gibt. Und in der Tat verlieren die massenwirksamen Denksysteme, die die Freiheit nicht oder nicht ganz leugnen können, d. h. die religiösen, immer mehr an Einfluß, trotz allen medialen Getöses über die „Wiederkehr des Religiösen“. (Nebenbei: Die religiösen Denksysteme stellen das sichere Wissen um unsere Freiheit immerhin in Rechnung und sind darum bei allen Mängeln dem, was zu recht den Titel Wissenschaft führen darf, näher als der szientifische Naturalismus.)
Nichts scheint diese Entwicklungen aufhalten zu können. Muß man folglich damit rechnen, daß die skizzierte naturalistische Haltung bald einen endgültigen Sieg erringen wird, daß also das eintritt, was die Freiheitsleugner ständig ankündigen: Es gibt keine Gegenrede gegen die Behauptung mehr, die Wissenschaft habe den Glauben an die Willensfreiheit widerlegt? Ich glaube nicht, daß das je eintreten wird. Daß jeder von Kindesbeinen an weiß, daß es anders ist, mag sich vielleicht noch verdrängen lassen, weil jene Absurditäten, zu denen die Verneinung der Willensfreiheit führt, normalerweise nicht weiter stören. Denn sie dringen meist gar nicht ins Bewußtsein. Zu immunisiert ist der szientifische Naturalismus, als daß er sie bemerken könnte, zu sehr hat er sich von allem abgeschottet, was man das Leben nennt.
Aber zum Glück hat die Natur in ihrer Weisheit, also nicht die Natur der Naturwissenschaften, Vorkehrungen getroffen (oder meinetwegen der Schöpfer der Natur; oder nichts und niemand hat das getan, es ist einfach so, darauf kommt es hier nicht an). Die Natur in ihrer Weisheit hat nämlich die menschliche Natur mit etwas ausgestattet, das mit Sicherheit verhindert, daß sich die naturalistische Freiheitsleugnung je völlig durchsetzen kann: mit einem Gewissen. Es verhindert zuverlässig, daß die Selbstüberredung, man könne doch gar nichts dafür, auch dann funktioniert, wenn es ernst wird.
„Jeder Mensch hat Gewissen, und findet sich durch einen inneren Richter beobachtet, bedroht und überhaupt im Respekt (mit Furcht verbundener Achtung) gehalten, und diese über die Gesetze in ihm wachende Gewalt ist nicht etwas, was er sich selbst (willkürlich) macht, sondern es ist seinem Wesen einverleibt. Es folgt ihm wie sein Schatten, wenn er zu entfliehen gedenkt. Er kann sich zwar durch Lüste und Zerstreuungen betäuben, oder in Schlaf bringen, aber nicht vermeiden, dann und wann zu sich selbst zu kommen, oder zu erwachen, wo er alsbald die furchtbare Stimme desselben vernimmt.“ (Kant, MS, Tugendlehre, § 13)
Die naturalistischen Freiheitsleugner mögen sich bitte ernsthaft überlegen: ob sie auch dann bei ihrer Meinung bleiben würden, für ihre eigene Entscheidung nichts zu können, weil diese vor dem Zeitpunkt, zu dem sie sie zu treffen glaubten, bereits auf neurologischer Ebene feststand, wenn die Tat, zu der sie sich entschieden hatten, eine furchtbare Tat war.
[1] Vor allem seit dem 19. Jahrhundert zieht man daraus, daß alles eine „Natur“ oder ein „Wesen“ hat, in einer mächtigen gegenaufklärerischen Strömung eine entgegengesetzte Konsequenz. Diese „Natur“ (im Sinne von „Wesen“) ist die Grundlage der Freiheit. Frei ist man, wenn man ihr gemäß handeln kann, weder durch äußere Ursachen noch innere (falsche Gedanken z. B.) dazu gezwungen oder verlockt wird, zu tun, was nicht der eigenen Natur entspricht. Wer seiner Natur nach ein Bauer ist, aber gezwungen oder verlockt wird, ein Leben zu führen wie ein großstädtischer Bürger, handelt seiner Natur zuwider und ist damit unfrei. – Derartige Verkehrungen und Komplizierungen gibt es auch bei den anderen Denkfiguren, die ich hier vorstelle, ich gehe aus Platzgründen nicht darauf ein.
[2] Wer sich etwas auskennt, wird einwenden, daß es doch um einiges komplizierter war. Denn für den Empirismus war die Frage nach einer gottgegebenen naturgesetzlichen Ordnung der Welt sinnlos; was ich hier skizziert habe, sei eher der „nomothetische Rationalismus“ von Descartes. Doch der heutige Naturalismus habe seine bei weitem stärkeren Wurzeln im Empirismus, nicht in diesem Rationalismus. – Um das alles zu entwirren, wäre viel mehr Platz nötig, als ich mir hier gönnen kann.
Von Ludwig Trepl, @ Balanus.
„’Monistische Ansätze unter dem Konzept der evolutiven Natur als geschlossener Welt des Prozessierens …stehen generell unter der Begründungshypothek, wie das Verhältnis desjenigen Geistes, der diese Prozesse modelliert, als Moment eben des derart Modellierten erfasst werden kann“ (Christoph Hubig).’ Einem wie mir, der in philosophischen Fragen nicht geschult ist, fällt es schwer, solch eine Frage überhaupt zu verstehen.“
Einfacher wird es, wenn man diese Frage stellt: Die Aussagen der empirischen Wissenschaften sollen Erkenntnisse sein. Warum aber? Es läßt sich nicht wiederum empirisch begründen. Denn es steht ja gerade in Frage, ob das, was die empirischen Wissenschaften herausfinden, überhaupt Erkenntnisse sind. An die empirische (evolutionsbiologische) Erklärung dafür, daß wir auf diese oder jene Frage mit „wahr“ antworten, läßt sich wieder die gleiche Frage stellen: Es ist eine empirische Erklärung – wieso soll die denn eine Erkenntnis darstellen? Und so ad infinitum.
In dem Zitat geht es nicht um monistische Ansätze im allgemeinen, sondern um „Monistische Ansätze unter dem Konzept der evolutiven Natur als geschlossener Welt des Prozessierens“. Deshalb geht Ihre Frage „Und der Ausweg aus diesem (sprachlichen?) Dilemma ist ein dualistischer Ansatz?“ ins Leere. (Ein in sprachliches Dilemma ist es sowieso nicht, sondern ein logisches.) Kant war auf Gebiet der theoretischen Philosophie und der Erkenntnistheorie Monist. Es gibt die eine Vernunft, sie konstituiert die phänomenale Welt. In gewisser Hinsicht dualistisch wird es erst, wenn die Moral hinzukommt. Und Kant hatte das Problem, auf das Hubig hinweist, nicht.
Sein und Gelten / @Ludwig Trepl
Mich beschäftigt nun mal die Frage, welchen Einfluss das Sein auf die Beantwortung von Geltungsfragen hat. Für Aussagen wie etwa 2 + 3 = 5 erscheint mir die Sache klar, da liegt die Gültigkeit der Aussage buchstäblich auf der Hand.
In anderen, etwa moralisch-sittlichen Fragen, scheint die Sache aber wesentlich weniger klar zu sein.
» Natürlich erschiene „ein Gebot wie: ‚Du sollst nicht töten’“ dann als „ziemlich absurd und moralisch fragwürdig.“ Die Frage aber, ob das Gebot „absurd und moralisch fragwürdig“ ist, ist eine völlig andere.«
Ich frage mich aber, aufgrund welcher Kriterien die Geltung eines Gebotes entschieden wird, bzw. wie wir überhaupt erkennen können, ob ein Gebot Geltung oder Gültigkeit besitzt, wenn unserer Denken von unserem Sein bestimmt wird.
Wenn noch nicht einmal, wie an anderer Stelle behauptet, die Wertschätzung von so etwas profanem wie die Biodiversität einfach so aus Vernunftgründen möglich sein soll, sondern dass hierfür das Sein in Gestalt der christlichen Prägung die entscheidende Rolle spielt, dann muss man doch auch annehmen, dass das Sein in Geltungsfragen der alles entscheidende Faktor ist.
Ich meine, wir können doch nur aus dem Fundus schöpfen, den wir kennen. Wenn uns z .B. „wahre Freundschaft“ unbekannt wäre, wie könnten wir dann auf den Gedanken kommen, dass „wahre Freundschaft“ sein soll?
Meine Vermutung ist, dass auch in Geltungsfragen das Sein das Bewusstsein, also die Antwort, zumindest mitbestimmt. Geltungsfragen werden demnach so beantwortet, wie es uns Menschen mit unserem beschränkten Geist möglich ist und gefällt, anthropozentrisch eben. Das Gebot: „Du sollst keine Tiere töten“, hat vermutlich niemals eine Chance, als gültig erkannt zu werden.
Sein und Gelten.
Von Ludwig Trepl, @ Balanus.
„…wie wir überhaupt erkennen können, ob ein Gebot Geltung oder Gültigkeit besitzt, wenn unserer Denken von unserem Sein bestimmt wird.“
„wie wir überhaupt erkennen können“ – wie sonst auch: indem wir denken. In das Denken gehen selbstverständlich empirische Erkenntnisse ein, wenn es sich auf etwas Empirisches bezieht, und das ist ja im Bereich der Moral der Fall. In welchem Sinne diese nicht über das Sollen bestimmen, habe ich im vorigen Kommentar geschrieben. – Konkret hat das Denken in unserem Fall den Charakter der Argumentation in einem Gespräch; das ist das Paradigma, nicht etwa das Ausrechnen von etwas. Im Gewissen stehen zwei Argumentierende (in die teilt man sich da sozusagen) gegeneinander: ein Ankläger und ein Verteidiger. Argumentieren führt manchmal zu völlig unbestreitbaren Ergebnissen, manchmal nur zu einem Überwiegen der Argumente der einen Seite und zur Entscheidung unter dem Vorbehalt der Unsicherheit.
Bei der „Wertschätzung von so etwas profanem wie der Biodiversität“ verwechseln Sie wieder die Seins- mit der Sollensfrage. Sein: In verschiedenen politisch-ideologischen Lagern kommt man zu unterschiedlichen Antworten. Das ist einfach ein Faktum. Die Frage, ob man sie wertschätzen soll und wenn ja, warum, bleibt davon völlig unberührt. Da könnte sich herausstellen, ob die eine oder die andere oder keine von beiden Seiten Recht hat. Aber diese Frage habe ich gar nicht gestellt.
„dass das Sein in Geltungsfragen der alles entscheidende Faktor ist.“
Das Sollen muß möglich sein, das ist die Rolle des Seins. Was naturgesetzlich unmöglich ist, kann nicht moralisch verlangt werden. Auch vom besten Schwimmer ist nicht zu verlangen, daß er bis in die Mitte der tosenden Nordsee schwimmt, um einen Ertrinkenden zu retten. Aber das Sein ist völlig irrelevant zweierlei Hinsicht: (1) welche moralischen Ansichten die real existierenden Menschen haben und (2), ob das verlangte Verhalten tatsächlich irgendwo vorkommt. – Kant hat nicht den Anspruch gehabt, eine neue Ethik zu begründen, sondern nur den, das zu Papier zu bringen und zu explizieren, was jeder, auch der mit dem schlichtesten Verstand, ohnehin denkt. Versuchen Sie es doch mal. Denken Sie so schlicht wie möglich und denken Sie an moralisch relevante Situationen. Ihnen ist doch völlig klar, daß über das, was Sie sollen, nicht die einhellige oder Mehrheitsmeinung der Nachbarschaft zu bestimmen hat, und daß es vollkommen egal ist, ob Sie ein Beispiel kennen, in denen schon mal einer sich so entschieden hat, wie Sie meinen, daß Sie sich entscheiden sollen.
„Wenn uns z .B. „wahre Freundschaft“ unbekannt wäre, wie könnten wir dann auf den Gedanken kommen, dass „wahre Freundschaft“ sein soll?“
Ist uns denn wahre Freundschaft bekannt? Wir wissen doch in keinem einzigen Fall, der danach aussieht, ob sich nicht in Wirklichkeit doch irgendwo der Eigennutz versteckt. – Wie wahre Freiheit aussieht, wissen wir nicht. Das ist aber für die Frage, ob wir sie anstreben sollen, ganz irrelevant. Freiheit ist eine Idee, nichts in der Welt entspricht ihr ganz, das ist das Wesen von Ideen. Man kommt auf sie nicht durch Beobachtung, sondern indem man über das Beobachtbare hinaus Vernunftschlüsse zieht – wie bei den metaphysischen Gottesbeweisen, nur mit dem Unterschied, daß bei diesen herauskommt, daß Gott „ist“, ohne daß wir das doch durch Erfahrung bestätigen könnten, während bei Ideen wie Freiheit (und Freundschaft) herauskommt, daß wir sie uns als Leitlinien nehmen sollen, auch wenn wir sie nie völlig verwirklichen können.
„Das Gebot: ‚Du sollst keine Tiere töten’, hat vermutlich niemals eine Chance, als gültig erkannt zu werden.“
Doch, das halten doch viele für gültig. Vielleicht sind die eines Tages die Mehrheit. Nur: Ob sie damit recht haben, ist eine ganz andere Frage, eine Sollensfrage.
„Geltungsfragen werden demnach so beantwortet, wie es uns Menschen mit unserem beschränkten Geist möglich ist und gefällt …“.
Dafür spricht einiges, auch wenn es viele Fälle gibt, in denen sie nicht so beantwortet werden, wie es uns Menschen möglich ist und wo der beschränkte Menschengeist durchaus in der Lage ist, die richtige Antwort zu geben, und wo uns das Ergebnis nicht gefällt. Nur: Auch wenn einiges dafür spricht, daß es oft/meist so gemacht wird, wie Sie sagen, ist es für die Frage, wie Geltungsfragen beantwortet werden sollen, vollkommen irrelevant, wie sie beantwortet werden.
@Chrys
in Antwort auf diesen und diesen Kommentar.
“Die Frage ist ohne jeden praktischen Erkenntniswert, hat keinerlei Aussicht auf schlüssige Beantwortung,…”
sie ist genauso “schlüssig” anzugehen und zu beantworten wie alle übrigen Fragen, nämlich immer ergebnisoffen für neue Erkenntnis.
“und interessiert eigentlich kein Schwein.”
…na, das dürfte aber eine beachtliche Suggestion sein.
“Ist schon bemerkenswert, mit welcher Passion dennoch seit Menschengedenken allerorten immer wieder darum gerungen wird.”
Ja warum wohl? Die Tatsache dass dieses Außen des großen Ganzen uns im Inneren berührt, dürfte naturgemäß jeden interessieren, außer er verdrängt es. Aber dann kommt es hinten herum wieder rein.
“Wenn versucht wird, die Welt als etwas Allumfassendes zu begreifen, dann kommt man, wie ich meine, tatsächlich in gewisse Schwierigkeiten, die logisch-empirisch unauflösbar sind. “
Diese Problematik, die Sie bezüglich des allumfassenden Ganzen der Welt aufzuzeigen versuchen, hat unser Kommentatorenfreund Dr.Webbaer hier so ausgedrückt:
“Das Erkenntnissubjekt kann als Systemteilnehmer (…) nicht über umfängliches System- oder Weltwissen verfügen, es kann deshalb nie einen Welt-Determinismus feststellen; insofern bleibt für das Erkenntnissubjekt nur die Spekulation über einen Willen, der (vorher-)bestimmt sei.”
….was mich zu meinem ‘Debut’ hier auf Scilogs angestubst hat.
“Das heisst, wenn ich die Welt als allumfassendes Ganzes anschaue, dann habe ich keine Methode mehr zur Hand, nach der ich entscheiden könnte, welche Aussagen über die Welt wahr sind und welche nicht. (…) Oder einfacher gesagt, die allumfassende Welt ist schlicht zu gross für meinen Verstand. “
Bislang hat man doch für alles und jedes Methoden gesucht und gefunden. Warum nicht auch für diese existentielle Perspektive. Methoden kann man ändern, wenn ihr Horizont zu eng wird.
“Dass die Frage nach der Beschaffenheit der Welt im Ganzen irgendwie ein Scheinproblem darstellt, dem könnte ich beipflichten. Die Frage ist ohne jeden praktischen Erkenntniswert, hat keinerlei Aussicht auf schlüssige Beantwortung, und interessiert eigentlich kein Schwein.”
So kann man Probleme natürlich auch ‘bewältigen’, indem man sie zum Scheinproblem erklärt….. bis sie unterm Teppich wieder vorkommen.
…oder anders herum wie @Balanus das hier macht:
“Die genannte Schwierigkeit bleibt zwar, aber sie stört nicht bei der Arbeit im Teilbereich. Wenn nirgendwo, in keinem der „Diskursdomänen“ logisch-empirisch unauflösbare Schwierigkeiten auftauchen, dann könnte man das doch als Hinweis darauf nehmen, dass auch das Ganze insgesamt möglicherweise erklärbar ist, und dass die logisch-empirisch unauflösbaren Schwierigkeiten, die bei der Betrachtung des allumfassenden Ganzen auftreten, wie bei Escher im Grunde nur Scheinprobleme sind, hervorgerufen durch unserer Beschränktheit (Objektsprache, Metasprache, Metametasprache, …), oder dadurch, dass wir als Teil des Systems nicht das ganze System adäquat beschreiben können ( …).”
Eine ziemlich unrealistische Hypothese, denn dann können auf emergenten höheren Ebenen ganz neue Schwierigkeiten auftauchen. Und das können sie nicht nur, das tun sie.
@Grenzgängerin
»Bislang hat man doch für alles und jedes Methoden gesucht und gefunden. Warum nicht auch für diese existentielle Perspektive. Methoden kann man ändern, wenn ihr Horizont zu eng wird.«
Die Besonderheit mit der allumfassenden Welt ist dabei, dass sie schon alles umfasst, was man durch eine Erweiterung des Horizonts vielleicht noch hinzuzugewinnen hofft. So etwas lässt sich nicht mehr als ein logisches Gebilde mit wohldefinierten Eigenschaften vorstellen, und von der allumfassenden Welt als Ganzes kann insofern nicht geredet werden, als man dabei immer nur an die Grenze der Sprache anrennt. Das steht nun irgendwie im Gegensatz zu der Unbefangenheit, mit der gemeinhin über die Welt geredet wird. Und das tut schliesslich auch der Naturalist, wenn er etwa überempirische Agenten kategorisch aus der Welt verbannen will.
Aus der Logik heraus lässt sich auch nicht begründen, dass der logisch-empirische Weg der einzig wahre Zugang zur Welt sein müsse, denn die Logik selbst weist auf die Unvollständigkeit des so erhaltenen Bildes. Die Naturalismus-Debatte kann also weitergehen. Aber vielleicht sollte man nochmals festhalten, dass auch der Naturalist offenbar nicht gegen das Überempirische argumentieren kann, ohne dabei auf überempirische Mittel zurückzugreifen. Und immerhin räumt ja sogar @Balanus ein, dass der Naturalismus nicht ohne metaphysische Annahmen auskommt.
@Chrys
haben Sie meinen verlinkten, allerersten Scilogskommentar dazu gelesen?
Davon, dass außerhalb unserer Raumzeit nichts ist, kann wahrlich nicht die Rede sein. Wer sich heute noch leistet so zu denken, ist entweder nicht ausreichend informiert oder verdrängt derlei Dinge und macht sich was vor. Denn es ist klar, die Auseinandersetzung mit diesem Außen ist kein Kinderspiel. Es gibt jedenfalls genügend Grenzereignisse, die das belegen und die nicht auf neuronale Hirnfunktionen, oder Rauschgift etc. zurück zu führen sind.
Man kann sich ja von mir aus – und ist ja in vielerlei Hinsicht auch notwendig – in Philosophien ergehen, die bewusst innerhalb unserer Raumzeit bleiben, (..wie z.B. der Konstruktivismus von unserem Webbaer 😉 ) aber dabei wäre es unverzichtbar das Außerhalb nicht zu vernachlässigen. So etwas kommt im realen Leben immer als ein Bumerang zurück.
Statt zu verdrängen, oder diese Tatsache nach allen Regeln der Kunst, bis zum geht nicht mehr wegzudiskutieren, ist es an der Zeit wirklich zu lernen, mit dieser Tatsache vernünftig umzugehen. Dei Naturwissenschaften sind jetzt soweit, dass wir das auch können. Die strickte Vernachlässigung des Außen hatte eine wichtige Aufgabe und Berechtigung, aber sie darf nicht absolut gesetzt werden.
@Grenzgängerin
Ja, ich habe Ihren Einstiegskommentar gelesen und inzwischen auch [diesen] an Sie gerichteten Kommentar von Dietmar Hilsebein sowie Ihre Entgegnung gesehen. Mir ist schon klar, worauf Sie da hinauswollen. (»Davon, dass außerhalb unserer Raumzeit nichts ist, kann wahrlich nicht die Rede sein.«)
Ihnen erscheint eine das logisch-empirisch Erkennbare transzendierende “Aussenwelt” als eine Art von Notwendigkeit, was Sie offenbar mit Herrn Trepl teilen, wenn auch aufgrund ganz anderer Überzeugungen. Auf die Grenzen des uns so Erkennbaren hat Herr Trepl mit Hilary Putnam und dessen “Hirn im Tank”-Gedankenexperiment hingewiesen. In Putnams eigener Interpretation (nicht der von Olaf Müller, soweit ich sagen kann) folgt aber aus der Möglichkeit, sich als ein “Hirn im Tank” vorzustellen, gleichzeitig auch die Unmöglichkeit, dies als eine Wahrheit zu behaupten. Denn die Aussage, “Ich bin ein Hirn im Tank,” kann Putnam zufolge immer nur falsch sein, sofern die Begriffe “Hirn” und “Tank” im Sinne des semantischen Externalismus auf Gegenstände bezogen sind, die nicht nur als reine Imagination des Sprechers gegeben sind.
Ein “Hirn im Tank” kann folglich auch dann, wenn ihm die Existenz einer seine “Tankwelt” transzendierende “Aussenwelt” als eine absolute Gewissheit erscheint, nicht ohne immanente Widersprüche über diese “Aussenwelt” reden. In einer vergleichbaren Situation wären aber auch Sie, wenn Sie Herrn Hilsebein davon überzeugen wollten, dass für uns eine entspechende “Aussenwelt” vorhanden sein müsse. Er hätte immer ein Argument, hier agnostisch zu sein.
N.B. Natürlich liesse sich noch einwenden, dass Putnams semantischer Externalismus eine hinterfragbare Annahme darstellt. Das würde aber nichts helfen, denn eine direktere Beziehung zwischen bezichnendem Wortsymbol und bezeichnetem Referenzobjekt als bei Putnam ist gar nicht vorstellbar, damit hält er konstruktivistische Elemente weitestgehend heraus.
Ludwig Trepl, @ Chrys (@Grenzgängerin).
„Ihnen erscheint eine das logisch-empirisch Erkennbare transzendierende ‚Aussenwelt’ als eine Art von Notwendigkeit, was Sie offenbar mit Herrn Trepl teilen“.
Da komme ich mir nicht richtig verstanden vor. Ich denke nicht wie Putnam und verstehe auch nicht, was er eigentlich meint. Die Müller’sche Verwendung seines Gedankenexperiments schien mir nur zu einem begrenzten Zweck brauchbar. In dem Bild zumindest ist das Jenseits ein Etwas von einer bestimmten Beschaffenheit, die zwar das Gehirn nicht erkennen kann, die aber doch als dem logisch-empirisch Erkennbaren gleichgeartet gedacht wird.
„Eine das logisch-empirisch Erkennbare transzendierende “Aussenwelt”“ – zu deutsch: das Ding an sich – ist aus einem einfachen Grund anzunehmen: Wenn das, was wir logisch-empirisch erkennen, „Erscheinung“ ist, nämlich uns nur so erkennbar ist, wie es unsere Formen der Anschauung und des Denkens ermöglichen, dann muß da etwas sein, was „erscheint“ und von dem wir in keiner Weise etwas wissen können; es ist nichts als ein völlig unbestimmter Grenzbegriff. Schon davon als einer „Welt“ zu reden ist ziemlich gewagt. Ich kann mir keinen anderen Weg vorstellen, diese Konsequenz zu vermeiden als die des absoluten Idealismus. Da verschwindet das Ding an sich in der Tat, alles wird zu „Geist“. – Man muß allerdings bedenken, daß das alles nur für die theoretische Philosophie gilt, für die praktische ist es anders.
@Chrys
…im Moment habe ich nicht die Zeit, näher darauf einzugehen, aber bitte nicht das “Hirn im Tank” Gedankenexperiment für das, was ich meine, anführen. Das hat nichts miteinander zu tun. Auch nichts mit so was wie ‘Matrix’.
Herr Trepl hat das auch, wie er schon klarstellt, “nur zu einem begrenzten Zweck “ verwendet und sagt richtig:“In dem Bild zumindest ist das Jenseits ein Etwas von einer bestimmten Beschaffenheit, die zwar das Gehirn nicht erkennen kann, die aber doch als dem logisch-empirisch Erkennbaren gleichgeartet gedacht wird.”
@Ludwig Trepl
»Wenn das, was wir logisch-empirisch erkennen, „Erscheinung“ ist, nämlich uns nur so erkennbar ist, wie es unsere Formen der Anschauung und des Denkens ermöglichen, dann muß da etwas sein, was „erscheint“ und von dem wir in keiner Weise etwas wissen können; es ist nichts als ein völlig unbestimmter Grenzbegriff.«
Hinter den “Erscheinungen” wird man eines ganz gewiss finden, nämlich sich selbst als Beteiligten bei der Hervorbringung dessen, was da “erscheint”. Ob darüber hinaus noch etwas anderes “da sein muss”, lässt sich nicht ohne weiteres feststellen. Wenn ich folglich das Ding an sich nur als eine façon der parler verstehe, die es mir erlaubt, Erscheinungen quasi als phänomenale Wirkungen noumenaler Ursachen zu deuten, weil mir das so eine bequeme Betrachtungsweise ist, dann transzendiere ich den Rahmen des logisch-empirisch Erkennbaren noch nicht.
Dass sich, recht verstanden, hier durchaus noch widerspruchs- und metaphysikfrei vom Ding an sich reden lässt, hat Moritz Schlick in seiner Allgemeinen Erkenntnislehre gewiss schlüssiger formuliert, als ich es je könnte. Unter anderem schreibt er da:
Der Aspekt einer Transzendierung des logisch-empirisch Erkennbaren zeigt sich meines Erachtens eigentlich erst da, wo die Wahrheit synthetischer Urteile a priori zur Diskussion steht. Aber das transzendiert dann nicht nur das Thema hier, sondern betrifft auch nicht den Naturalismus und dessen Widersprüchlichkeiten.
Sein und Gelten
Von Ludwig Trepl, @Balanus.
„Und erkenntnistheoretisch nähert man sich der Antwort [auf eine Frage des – absoluten – Sollens, Beispiel: Du sollst nicht töten] ohne Seins-Bezug? Dass es z. B. real Situationen geben könnte, in denen Töten moralische Pflicht ist, spielt überhaupt keine Rolle?“ (irgendwo weit oben)
Nein, natürlich nicht, so ist das doch nicht gemeint. Jede moralische Behauptung bezieht sich, so gesehen, auf das „Sein“. Töten, Stehlen, Ehebrechen setzen die Existenz von Handlungen in der phänomenalen Welt voraus. Gemeint ist, daß es für die Frage des Geltens einer Behauptung, dies oder jenes sei ein moralisches Gesetz, egal ist, ob es beachtet wird oder nicht, und auch ob es für ein Gesetz gehalten wird oder nicht, ist bedeutungslos. Kant sinngemäß: Wahre Freundschaft soll auch sein, wenn es nie ein Beispiel wahrer Freundschaft in der Welt gegeben hätte. Daß die Situation beachtet werden muß, ist selbstredend so, und zwar bei Gesetzen jeder Art. Das Dekalog-Gebot „Du sollst nicht töten“ ist nicht situationsunabhängig gültig. Manchmal scheint es nur nicht so, weil die Gesetze schon hinreichend auf die spezifische Situation, in der sie gelten zuformuliert sind.
„Wenn das Töten fremder Stammesmitglieder in der gesamten Menschheit zum angeborenen Verhaltensrepertoire gehören würde und hoch angesehen wäre, dann erschiene ein Gebot wie: „Du sollst nicht töten“, vermutlich ziemlich absurd und moralisch fragwürdig.“
Da sieht man es wieder: „Im Handumdrehen haben Sie [eine Geltungsfrage] in eine objektwissenschaftliche verwandelt, damit aber zum Verschwinden gebracht.“ Es wäre für die Geltung eines Gebotes vollkommen unerheblich, wenn das Töten „in der gesamten Menschheit zum angeborenen Verhaltensrepertoire gehören würde und hoch angesehen wäre“. Natürlich erschiene „ein Gebot wie: ‚Du sollst nicht töten’“ dann als „ziemlich absurd und moralisch fragwürdig.“ Aber das ist eine Behauptung über ein Faktum. Die Frage aber, ob das Gebot „absurd und moralisch fragwürdig“ ist, ist eine völlig andere.
Wenn die gesamte Menschheit aufgrund irgendeiner Hirn-Fehlschaltung oder eines Ausbildungsfehlers im Schulbetrieb der Meinung wäre, 97 x 46 sei 4463, so wäre das dennoch falsch. Den Unterschied zwischen Seinsfragen und Geltungsfragen kann der Naturalismus grundsätzlich nicht begreifen, sonst könnte er kein Naturalismus sein. Ein Mensch mit normalem Verstand begreift das nicht. Er sagt sich: Auch wenn die ganze Menschheit glaubt – wie sie ja glaubte – daß die Erde eine Scheibe ist, so muß das doch deshalb nicht wahr sein. Wie kann das jemand, sagt er sich, nicht verstehen? Hat der denn noch nie vom Sein-Sollens-Fehlschluß gehört? – Aber dem Naturalismus ist ein solcher Gedanke schlechterdings unzugänglich. Er muß ihm unzugänglich sein, sonst könnte der Glaubenssatz „Die naturwissenschaftlichen Methoden sind der Königsweg zur Wahrheit, sie können überall angewandt werden und verschaffen Wissen über alles, worüber es überhaupt etwas zu wissen gibt“ nicht aufrechterhalten werden.
@Ludwig Trepl /22. Januar 2014 10:20
»Und das „physiologische Substrat“ ist etwas, von dem wir erst mal nur wissen, daß es in unserem Geist existiert.«
Sagte ich ja, Erkenntnis ist etwas, was im Geiste stattfindet (und darum nur dort existiert). Dazu gehört selbstredend auch die Erkenntnis, dass Geist an das physiologische Substrat gebunden ist.
»Wir haben keinen direkten Zugang zu dem, was außer uns ist, außer daß wir „davon“ (wie wir glauben) Vorstellungen in unserem Geist haben; reflexiv kommen wir dann dahinter, daß es sinnvoll ist anzunehmen, daß dem etwas außer uns entspricht.«
Bevor wir Geist besaßen, also vor rund 10 oder 20 Millionen Jahren, da hatten wir, denke ich, noch so etwas wie einen „direkten“ Zugang zur Außenwelt. Damals war Außenwelt alles das, was durch die Sinne erfahren wurde. Aber das war uns seinerzeit, ohne Geist, natürlich nicht bewusst. Jetzt besitzen wir Geist, und der bemerkt, hoppla, ich bin ja total von der Außenwelt isoliert, ich habe Null Zugang zu der Welt da draußen (wer zu spät kommt, den bestraft das Leben, könnte man da sagen). Aber dann merkt der Geist (durch Reflexion), dass er darauf vertrauen darf, dass die Physis die Sache im Griff hat. Das heißt, den lebensdienlichen Teil der „Welt an sich“.
»Ein Kantianer würde wohl antworten: Das Sittengesetz verdankt sich nicht einer subjektiven Wertung, sondern ist „eine Tatsache der Vernunft“ (Kant). Es gilt objektiv.«
Ein Naturalist könnte hinzufügen: Es gilt deshalb objektiv, weil dem Menschen die Moral in die Wiege gelegt ist (nicht im Detail, und (leider) nicht jedem, aber dem Grunde nach).
»Naturalisten sind im allgemeinen Realisten. Die phänomenale Welt fällt für sie mit der Welt an sich zusammen.«
Wirklich? Vielleicht scheint das nur so, weil Naturalisten sich mit einer „Welt an sich“ nicht beschäftigen, weil es zu viel an Metaphysik wäre. Und es ist ja nicht von der Hand zu weisen, dass dem Menschen die phänomenale Welt wie die „Welt an sich“ erscheint. Realisten hingegen negieren eine „Welt an sich“ (vermute ich jetzt mal, ohne das nachzuschlagen).
An dem von Ihnen genannten Rahmen, der die „Vorstellungen von der Begrenztheit der menschlichen Erkenntnisfähigkeit“ absteckt, ändert das aber wohl kaum etwas. Die Erkenntnisfähigkeit wird begrenzt durch die entwicklungsbedingte Architektur des Erkenntnisapparates, wobei das genetische Programm für die Selbstorganisation des Gehirns im Laufe der Evolution entstanden ist.
Wenn ein Naturalist das vor Augen hat, kann er unmöglich glauben, die Welt (an sich) wäre so, wie er sie sieht.
»Kuhn löst das [Problem der unterlegenen Positionen] durch eine radikal andere Vorstellung von wissenschaftlichem Fortschritt: Nicht „auf ein Ziel zu“, sondern „von primitiven Anfängen weg“.«
Ja, das ist in der Tat radikal. Wo bleibt denn da der planende Forscher, sein „Aim of the Study“?
»Sondern – er sagt das explizit in dieser Metapher – man muß sich den Fortschritt denken wie man im Darwinismus die Evolution denkt.«
Eine interessante Vorstellung. Darwinismus bedeutet hier wohl, dass Variation und Selektion die Entstehung der Arten vorantreiben. Einen Fortschritt gibt es da nicht, bloß Wandel.
»Es geht immer von primitiven Anfängen weg, ohne daß man einem Idealzustand näher käme. «
Für Forschungsprozesse und den technischen oder wissenschaftlichen Fortschritt kann man das gelten lassen, für Evolutionsprozesse eher nicht. Trotzdem hat der Vergleich des evolutionären Stammbaums mit dem wissenschaftlichen Baum und den sich immer weiter und feiner verzweigenden Erkenntnissen was. Das Bild verdeutlicht, dass neue Erkenntnisse aus vorhergehenden hervorgehen, dass manche Forschungszweige erfolgreich sind, während andere absterben, und, last but not least, dass nicht alle Verzweigungsmöglichkeiten realisiert wurden und werden.
Man kann diesem Bild aber auch entnehmen, dass die verpassten „Wahrheiten“ den Baum der Erkenntnis lediglich um weitere Zweige bereichern würde, etablierte und bewährte „Wahrheiten“ würden sich kaum als grandiose Irrtümer herausstellen (Flugzeuge fliegen ungeachtet neuer umwälzender naturwissenschaftlicher Erkenntnisse).
Dennoch würde ich das Bild eines Puzzles bevorzugen. Forscher versuchen, das wissenschaftliche Bild der Welt zu vervollständigen. Zwar besitzt das Puzzle eine endliche Größe, aber der Mensch wird es dennoch nie fertigstellen können.
@Balanus
🙂 ..klar, der zweite Satz musste kommen: 😉
“Sagte ich ja, Erkenntnis ist etwas, was im Geiste stattfindet (und darum nur dort existiert). Dazu gehört selbstredend auch die Erkenntnis, dass Geist an das physiologische Substrat gebunden ist.”
Stimmt zwar, das ist das für unsere Sinne erkennbare Phänomen. Das sagt aber doch überhaupt nichts darüber aus, wer hier was von welcher Seite aus anbindet: das physiologische Substrat den Geist oder der Geist das physiologische Substrat. Oder können Sie das gesichert sagen? Das Gehirn sagt darüber jedenfalls nichts. Es gibt nur die Impulse wieder. Woher sie kommen? Eindeutig nicht nur von der materiellen Außenwelt, unseren Leib einbegriffen.
Vielleicht haben Sie meinen Einwand schon geahnt, denn dann erzählen Sie eine mini Evolutionsgeschichte Ihrer Fasson, um damit zu begründen, dass zuerst die Außenwelt, also die Materie da war. Vielleicht habe sogar ich selber Sie mit meinen Überlegungen zur Sterblichkeit dazu angeregt. Aber das war unvollständige Überlegung, um meinerseits zu verstehen, worauf Sie hinaus wollten. Meine Sicht ist da inzwischen eine ganz andere. Das war wieder so ein Punkt, an dem ich einfach passen und auf meine fertige Arbeit warten muss, um mich verständlich machen zu können.
“Bevor wir Geist besaßen, also vor rund 10 oder 20 Millionen Jahren, da hatten wir, denke ich, noch so etwas wie einen „direkten“ Zugang zur Außenwelt. Damals war Außenwelt alles das, was durch die Sinne erfahren wurde. Aber das war uns seinerzeit, ohne Geist, natürlich nicht bewusst. “
Es ist ja doch noch längst nicht erwiesen, WO und WANN unser Anfang wirklich anzusiedeln ist, um es mal so weit gefasst zu sagen. Das Weltbild, das bei mir entsteht, eröffnet diesbezüglich erstaunliche Perspektiven in Kohärenz zu den aktuellen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen.
Jetzt besitzen wir Geist, und der bemerkt, hoppla, ich bin ja total von der Außenwelt isoliert, ich habe Null Zugang zu der Welt da draußen (..). Aber dann merkt der Geist (durch Reflexion), dass er darauf vertrauen darf, dass die Physis die Sache im Griff hat. Das heißt, den lebensdienlichen Teil der „Welt an sich“.”
Den zweiten Satz meinen Sie hoffentlich nicht im Ernst. Hat die Physis die Sache im Griff???
“Die Erkenntnisfähigkeit wird begrenzt durch die entwicklungsbedingte Architektur des Erkenntnisapparates, wobei das genetische Programm für die Selbstorganisation des Gehirns im Laufe der Evolution entstanden ist.”
Stimmt. Aber was sagt das? Mir sagt das: da hat Gott – nicht als einsam autoritärer Individualherrscher gesehen, sondern als den bewegenden Dreieien – uns (…und möglichen anderen Menschheiten mit ähnlichem Problem irgendwo da draußen) mit Hilfe eines riesigen Universums und darin mit einer Jahrmilionen Evolution auf göttlich geniale, liebende Weise einen Leib und Lebensraum bereitet, damit wir trotz eines hausgemachten universalen Disasters ihm gegenüber dennoch in Freiheit überleben und zurück finden können, egal wieviel Zeit wir dazu brauchen.
Ludwig Trepl, @ Balanus.
„Bevor wir Geist besaßen, also vor rund 10 oder 20 Millionen Jahren, da hatten wir, denke ich, noch so etwas wie einen „direkten“ Zugang zur Außenwelt. Damals war Außenwelt alles das, was durch die Sinne erfahren wurde.“
Waren das denn damals „wir“? Nein, da standen Phänomene mit anderen Phänomenen in irgendwelchen Beziehungen. Es gab keine „Außenwelt“ in dem Sinne, wie wir diesen Begriff jetzt gebrauchen, weil es keine „Innenwelt“ (im gleichen Sinne) gab. Denn er setzt Denken voraus. Ob das nun in einem Augenblick vom Himmel gefallen ist oder sich stufenweise entwickelt hat, ist eine Frage, die hier offen bleiben kann. Auf jeden Fall ist mit dem Denken etwas entstanden, das es in der phänomenalen Welt nicht gibt: Intentionalität, Gegenstandsbezogenheit.
„Ein Naturalist könnte hinzufügen: Es [das Sittengesetz] gilt deshalb objektiv, weil dem Menschen die Moral in die Wiege gelegt ist“
Damit meint er: Es ist ihm angeboren wie irgendeine andere biologische Eigenschaft. Nur: Damit gilt es nicht objektiv, es ist nur ein objektiver Sachverhalt; es gilt nur die Behauptung, daß es diesen Sachverhalt gibt, nicht aber die Behauptung, daß das Gesetz gilt. Das sind zwei von Grund auf verschiedene Dinge.
Das Gesetz im Sinne des Naturalisten verdankt sich den Zufällen der Evolution. Diese hätte auch einen anderen Verlauf nehmen können, dann gäbe es das Sittengesetz als eine angeborene Denknotwendigkeit oder zumindest als einen bei vielen vorhandener Denkinhalt nicht, sondern vielleicht ein anderes. Das ist aber nicht die Behauptung von „die moralischen Gesetze (natürlich nicht die faktischen, kulturabhängigen) gelten“. Da ist vielmehr impliziert: Egal wie die Evolution verlaufen ist: sie gelten. Wenn sich in Ihrer Abstammungslinie im Laufe der letzten fünf Generationen biologisch eine Moral herausgebildet hätte (und Ihnen „in die Wiege gelegt“ worden wäre), die das Gebot enthält „Du sollst jedem, der rote Haare hat, den Schädel einschlagen“, so würde dieses Gebot zwar sein, aber deswegen nicht bereits gelten.
„Die Erkenntnisfähigkeit wird begrenzt durch die entwicklungsbedingte Architektur des Erkenntnisapparates, wobei das genetische Programm für die Selbstorganisation des Gehirns im Laufe der Evolution entstanden ist. Wenn ein Naturalist das vor Augen hat, kann er unmöglich glauben, die Welt (an sich) wäre so, wie er sie sieht.“
Ja, aber das ist für ihn eine empirische Frage, und er will der „Welt (an sich)“ durch empirische Forschung näherkommen. Vielleicht meint er, da könne man bis zum Ende kommen, vielleicht meint er, das bleibt eine immer unerreichbare, aber unabweisbare Aufgabe, darauf kommt es hier nicht an. Der Glaube, daß die Welt (an sich) so wäre, wie er sie sieht, ist für ihn dadurch widerlegt, daß es Lebewesen gibt, die keine Farben wahrnehmen können, aber sie lägen falsch, wenn sie daraus schlössen, in der Welt an sich wäre alles farblos. Manche Tiere haben, argumentiert er, Sinnesleistungen, die wir nicht haben, ihre Welt ist uns verschlossen, aber wir können uns ihre Welt doch irgendwie erschließen, wir können erklären, wie ein magnetischer Sinn funktioniert, wie es bei der Wahrnehmung von Elektrizität zugeht usw. Damit kommt man aber nicht einmal in die Nähe dessen, was mit dem Unterschied zwischen phänomenaler Welt und Welt an sich gemeint ist.
Fortschritt nach Kuhn.
Von Ludwig Trepl, @ Balanus.
„Ja, das [Kuhns Theorie des wissenschaftlichen Fortschritts] ist in der Tat radikal. Wo bleibt denn da der planende Forscher, sein „Aim of the Study“?
Den gibt es da in der Tat nicht, der wissenschaftliche Fortschritt ist so ziel- und planlos wie die Darwin’sche Evolution oder der liberalistisch gedachte gesellschaftliche Fortschritt (Darwins Vorbild). Es werden jeweils anstehende Probleme gelöst; so geht es zwar immer weiter, aber nicht auf ein schon feststehendes Ziel zu. Der Forscher ist kein Baumeister, der ein auf dem Plan schon existierendes Haus baut, die Evolution geht nicht auf ein ideales, in Gottes Gedanken präexistentes Lebe(wese)n zu, der gesellschaftliche Fortschritt nicht, wie der Kommunist und der Konservative glauben, auf eine in Gedanken (der Menschen oder Gottes) schon existierende Idealgesellschaft zu.
„Einen Fortschritt gibt es da nicht, bloß Wandel.“
Gerade das ist ein Fort-Schritt im Wortsinne: Man schreitet vom bestehenden Zustand (und allen vorausgehenden Zuständen) fort, nicht auf etwas zu. Die gegenteilige Metapher ist „Ent-Wicklung“ im Wortsinne. Etwas, das potentiell (im Sinne eines Seinsollens, nicht einer bloßen Möglichkeit) schon vorhanden ist (in einem Geist, einem Programm, einer Anlage), wird „ausgewickelt“ und so realisiert. So denken der Kommunist und der Konservative den gesellschaftlichen Wandel: als Entwicklung auf etwas schon (in der Idee) existierendes zu. Irritierend ist vielleicht, daß der (Kuhn’sche, Darwin’sche, liberale) Fort-Schritt doch nicht einfach ein beliebiger Wandel sein soll, sondern doch „aufwärts“ geht. Empirisch ist das einleuchtend: Die Wissenschaften insgesamt sind heute „weiter“ als vor 100 Jahren, nicht nur anders. Die heutigen Lebewesen sind insgesamt irgendwie „besser“ als die im Präkambrium. Die nach liberalem Muster funktionierende Gesellschaft bringt Dinge hervor, die nicht einfach anders sind als die der früheren Gesellschaften, sondern unleugbar besser.
Aber wie ist das zu denken? Wie ist dieser empirische Endruck möglich? Bei Kuhn wird in den Revolutionen, die eigentlich keine Verbesserung kennen (man konvertiert nicht zu einem anderen Paradigma, weil dies an sich oder überwiegend überlegen wäre), doch immer ein Teil des bisherigen Wissens übernommen und häuft sich so an. Unter den Darwinisten ist es umstritten, ob es überhaupt so etwas wie eine der Evolution innewohnende Tendenz zu immer mehr Komplexität oder so etwas gibt. Im Liberalismus vertraut man wohl vor allem auf die ungeheure Dynamik, die da entfesselt wird und die das, was da im Zuge des Fortschritts verlorengeht, auf jeden Fall mehr als ausgleicht.
@ Ludwig Trepl [25. Januar 2014 14:26]
»Waren das denn damals [vor 20 Mio Jahren] „wir“? Nein, …«
Den Einwand habe ich erwartet. Nein, „wir“ waren das nicht, und es gab zu jener Zeit auch noch kein bewusstes „wir“. Doch das ist für mein Argument unerheblich, finde ich. Denn zwar gibt es im Tierreich kaum eine bewusst erlebte „Außen-„ bzw. „Innenwelt“, aber alle Organismen trennen Außen von Innen. Ein Tier „weiß“, wo es selbst endet, und wo die Außenwelt beginnt. Das ist mit dem direkten Zugang zur Außenwelt, den jeder tierlische Organismus notwendigerweise haben muss, in etwa gemeint.
»Es [das Sittengesetz] ist ihm angeboren wie irgendeine andere biologische Eigenschaft. Nur: Damit gilt es nicht objektiv, es ist nur ein objektiver Sachverhalt; …«
Meine Vermutung ist, dass wir nur solche Gesetze als objektiv „gültig“ erkennen können, die (a priori) in uns angelegt sind. Wir können eine Regel nicht als „gültig“ anerkennen (und schon gar nicht erkennen), wenn sie nicht mit unserem Gewissen vereinbar ist. Oder kennen Sie ein moralisches Gesetz, das dem allgemeinen Gerechtigkeitsempfinden zuwiderläuft, aber als „objektiv gültig“ angesehen wird?
»Das Gesetz im Sinne des Naturalisten verdankt sich den Zufällen der Evolution. Diese hätte auch einen anderen Verlauf nehmen können, dann gäbe es das Sittengesetz […] nicht, sondern vielleicht ein anderes. Das ist aber nicht die Behauptung von „die moralischen Gesetze (natürlich nicht die faktischen, kulturabhängigen) gelten“. Da ist vielmehr impliziert: Egal wie die Evolution verlaufen ist: sie gelten.«
Ich meine: Welche moralischen Gesetze als „für alle Zeiten“ gültig erkannt werden können, hängt ab von der evolutionären Entwicklung der Lebensgemeinschaft. Hätte die Evolution dazu geführt, dass der Mensch nur in kleinen Gruppen lebt und regelmäßig Jagd auf andere Menschengruppen macht, dann sähen die ewig gültigen moralischen Gesetze (wenn es unter solchen Bedingungen überhaupt so etwas gäbe) mit Sicherheit anders aus.
»…er [der Naturalist] will der „Welt (an sich)“ durch empirische Forschung näherkommen. «
Ich würde es so sagen: Der Naturalist will die phänomenale Welt möglichst vollständig erfassen, also auch jene Teile, zu denen er weder sensorischen noch geistigen Zugang hat (wie etwa die Krümmung des Raumes oder Quantenphänomene). Die Welt an sich interessiert ihn nicht, weil die ja per Definition jenseits aller möglichen Erkenntnis liegt. Es ist (für uns), als ob es sie überhaupt nicht gäbe.
Fortschritt / Entwicklung /@Ludwig Trepl
»Gerade das ist ein Fort-Schritt im Wortsinne: Man schreitet vom bestehenden Zustand (und allen vorausgehenden Zuständen) fort, nicht auf etwas zu. Die gegenteilige Metapher ist „Ent-Wicklung“ im Wortsinne.«
Wenn diese beiden Begriffe gegenüber gestellt werden, dann bedeutet Fortschritt in der Tat nicht mehr als Wandel oder Veränderung, da stimme ich zu.
Es gibt zu „Fortschritt“ aber auch den Gegenbegriff „Rückschritt“. Fortschritt wäre demnach schon eine Änderung in eine bestimmte Richtung (aus unserer Perspektive). Wie Sie ja auch schreiben:
»Irritierend ist vielleicht, daß der (Kuhn’sche, Darwin’sche, liberale) Fort-Schritt doch nicht einfach ein beliebiger Wandel sein soll, sondern doch „aufwärts“ geht.«
Empirisch einleuchtend scheint mir das aber vor allem bei kulturellen Fortschritten zu sein. Bei Lebewesen ergibt sich ein sehr gemischtes Bild. Bis zufällige, richtungslose Veränderungen zu den heutigen komplizierten Augen geführt haben, musste sehr viel Zeit verstreichen. Aber wenn nun plötzlich im Sonnenspektrum eine Lücke aufträte zwischen UV und Infrarot, stünden wir auch tagsüber im Dunkeln, unsere Augen wären nutzlos, wenn es keine künstlichen Lichtquellen gäbe. Und die häufigsten und dauerhaftesten Lebensformen überhaupt haben sich im Laufe der Evolution vergleichsweise wenig verändert.
Ich denke mir das so:
Im Evolutionsprozess besitzen die Akteure kein Ziel außer zu überleben und sich fortzupflanzen. Der evolutionäre Wandel vollzieht sich demzufolge insgesamt ziellos. Es gibt insgesamt keinen Fortschritt im Sinne von „höher, besser, weiter“ (für einzelne Abstammungslinien mag das vor deren Ende zwischenzeitlich anders aussehen).
Im Wissenschaftsprozess haben die Akteure das Ziel, Wissen zu vermehren. Der wissenschaftliche Wandel vollzieht sich demzufolge auch insgesamt in Richtung Wissensvermehrung.
Ich finde es generell sehr problematisch, wenn biologische Prozesse als Modell für kulturelle Prozesse dienen sollen. Wobei aber schon klar ist, dass die Träger der Kultur biologische Einheiten sind und dass demzufolge jeglichem kulturellen Wandel auch eine biologische Komponente innewohnt.
Verbesserung in der Evolution.
Von Ludwig Trepl, @ Balanus.
„… sondern doch „aufwärts“ geht.’ [Zitat von mir] Empirisch einleuchtend scheint mir das aber vor allem bei kulturellen Fortschritten zu sein. Bei Lebewesen ergibt sich ein sehr gemischtes Bild.“
Gemischtes Bild, das stimmt. Ich habe das Problem in dem Kapitel „Anpassung und das Problem evolutionärer Höherentwicklung“ Im 2. Band meines Lehrbuchs „Allgemeine Ökologie“ sehr ausführlich diskutiert. Überwiegend läuft es darauf hinaus, daß es nicht Höherentwicklung gibt, sondern Anpassung an Umweltbedingungen, und das kann ebenso Zurückentwicklung für Fähigkeiten bedeuteten. Aber nicht immer. Hier ein Zitat aus dem Buch:
„Dennoch hat die Auffassung von einer Höherentwicklung, einem Fortschritt in der Geschichte des Lebens eine gewisse Berechtigung. … Wir haben gesehen, dass es ein historischer Zufall ist, dass die Anzahl der intelligenten (usw.) Arten und ihr Anteil an der Gesamtartenzahl heute größer ist als vor einigen Hundert Millionen Jahren. Nicht zufällig scheint hingegen zu sein, dass es überhaupt intelligentere, schneller fliegende, effektiver photosynthetisierende usw. Formen gibt als zu Beginn der jeweiligen Entwicklungen. Denn anfangs, zu Beginn des Lebens ebenso wie am Beginn einer jeden besonderen Entwicklung – z. B. der Fähigkeit zur Fortbewegung, der Fähigkeit zu fliegen usw. –, ist die jeweilige Eigenschaft noch nicht so gut ausgebildet, wie es von den Konstruktionsbedingungen des Organismus einerseits, den Umweltbedingungen andererseits her möglich wäre. Solange nur einige der Abstammungslinien im Falle einer „Degeneration“ nicht unter das alte Niveau fallen, werden zumindest einige der späteren Formen im Allgemeinen die Ausgangsformen übertreffen. […] Angenommen, eine adaptive Zone wäre eröffnet worden, in der die Degeneration der Intelligenz der Normalfall gewesen wäre. Zudem wäre es in dieser Zone zu einer alles übertreffenden, explosionsartigen Entwicklung der Artenzahl gekommen: so wären wahrscheinlich doch in einigen, wenn auch vielleicht wenigen, Linien außerhalb dieser Zone die nun einmal vorhandenen Möglichkeiten genutzt worden. Das heißt, die Entwicklung zu höherer Intelligenz wäre weitergegangen, auch wenn die durchschnittliche Intelligenz der Lebewesen der Erde zurückgegangen wäre.“
@ Ludwig Trepl @ Balanus
Ich setz die Antwort auf den obigen Kommentar wieder ganz an den Anfang. Man muss sonst so fürchterlich weit nach oben scrollen, um mit dem Antwortbutton richtig zu landen. 😉 …und mein Mausrad funktioniert im Moment nicht so richtig für schnelles scrollen…
Ist schon bemerkenswert wie Sie beide in Sachen Geist und Materie immer wieder genau gegensätzlich formulieren, aber den Eindruck erwecken, als sagten Sie dasselbe. Hier z.B. durch die von mir hervorgehobenen Worte:
“Balanus:„Erkenntnis ist eben etwas, was im Geiste stattfindet. Und Geist ist etwas, was im oder am physiologischen Substrat des Gehirns stattfindet.“ Ludwig Trepl: Und das „physiologische Substrat“ ist etwas, von dem wir erst mal nur wissen, daß es in unserem Geist existiert. Wir haben keinen direkten Zugang zu dem, was außer uns ist, außer daß wir „davon“ (wie wir glauben) Vorstellungen in unserem Geist haben; reflexiv kommen wir dann dahinter, daß es sinnvoll ist anzunehmen, daß dem etwas außer uns entspricht.”
Sie Herr Trepl sagen:“Wir haben keinen direkten Zugang zu dem, was außer uns ist” als sei es eine Bestätiguing dessen, was Balanus sagt. Aber er sagt das Gegenteil nämlich:“Und Geist ist etwas, was im oder am physiologischen Substrat des Gehirns stattfindet.” Für ihn ist es eben nicht so, dass, wie Sie Herr Trepl sagen:“reflexiv kommen wir dann dahinter, daß es sinnvoll ist anzunehmen, daß dem etwas außer uns entspricht” Er würde das vermutlich genau anders herum sagen, eben dass wir reflexiv dahinter kommen, daß es sinnvoll ist anzunehmen, daß dem Materiellen – also nach Ihnen dem Außen – etwas Geistiges in uns, und er meint damit wahrscheinlich sogar in unserem Gehirn, entspricht.
Gut, man könnte sagen, den Geist sieht man ohnehin nicht, also ist es letztlich unerheblich, wie herum man die Reihenfolge im Verhältnis der beiden sieht. Ich meine aber, dass das überhaupt nicht unerheblich ist.
Sind Sie meiner Einladung schon gefolgt und haben Sie meinen Artikel zum Thema Geist und Materie schon gelesen? Darin geht es um das Verhältnis Geist – Materie und einen möglichen uralten Irrtum unter demTitel: “ein evolutionsbedingter Irrtum?”.
Über eine mögliche Lösung direkt in Bezug auf Ihre Formulierungen habe ich noch nicht nachgedacht, meine aber, dass der geschilderte Irrtum dafür von Bedeutung ist.
Von Ludwig Trepl, @Grenzgängerin.
Sie Herr Trepl sagen:”Wir haben keinen direkten Zugang zu dem, was außer uns ist” als sei es eine Bestätigung dessen, was Balanus sagt.“
Nein, gar nicht. Ich sage das als eine Selbstverständlichkeit, so wie @Balanus das Gegenteil als Selbstverständlichkeit (die ich doch endlich akzeptieren möge) sagt, damit er merkt, daß man den vermeintlich endlich hinzunehmenden unabweisbaren Einsichten der Naturalisten ebenso vermeintlich hinzunehmende unabweisbare Einsichten entgegensetzen kann. Daß man so also nur zum Problem kommt, nicht zur Lösung.
„Er würde das vermutlich genau anders herum sagen, eben dass wir reflexiv dahinter kommen, daß es sinnvoll ist anzunehmen, daß dem Materiellen – also nach Ihnen dem Außen – etwas Geistiges in uns, und er meint damit wahrscheinlich sogar in unserem Gehirn, entspricht.“
Das meint er bestimmt nicht, er ist ja Naturalist. Da hält man nichts von Reflexion, andernfalls wäre man definitionsgemäß kein Naturalist. Daß dem „Materiellen“ etwas „Geistiges“ „entspricht“, gilt hier vielmehr als ein (sicheres oder wahrscheinliches) Ergebnis empirischer Wissenschaft. Man beobachtet, daß bestimmten Gedanken oder Gefühlen bestimmte physiologische Vorgänge vorausgehen oder beide parallel auftreten (und übersieht gern, daß den Gedanken oder Gefühlen bestimmte physiologische Vorgänge folgen, da muß dann wiederum ein die Gedanken oder Gefühle „erzeugender“ physiologischer Vorgang vorausgegangen sein), man beobachtet, daß diese Gedanken oder Gefühle einen Ort im Gehirn haben usw., und verallgemeinert das dann. Reflektieren muß man dabei gar nicht.
@Ludwig Trepl
…alsooo ich weiß nicht…, meinen Sie wirklich, dass @Balanus ein so verbohrter Naturalist ist?
Ich stolpere ja schon etwas länger über Ihre ‘peniblen’ – wie sagt man(?) “beruflichen”, disziplinären, fachspezifischen etc. Zuständigkeitenaufdröseleien. Für die größere fachliche Genauigkeit ist das sicher wichtig und richtig oder gar unerlässlich, aber dass ein Naturalist auch als Mensch partout nicht reflektieren will…, auf den Gedanken einer solchen Möglichkeit muss man erst mal kommen. Ich bin ganz und gar nicht drauf gekommen. Wir sind doch andauernd am reflektieren, oder etwa nicht… und müssen es.
Dass man aus dem Nichtreflektieren einen Lebensstil machen könnte ?, …also wirklich, so werden aber doch nicht alle Naturalisten in die Welt schauen. Denke ich mal. Das werden doch sicher eher Exoten unter denen sein.
Hm…während ich darüber nachdenke,… das würde ich eventuell den super mechanistisch denkenden Scientologen zutrauen, die ja ihr mechanistiches Denken seltsamerweise zur Religion erklären. Das hat sowas. So wie Sie den Naturalisten beschreiben, ist das ja nah da dran,… ich meine, wenn man das Reflektieren so ganz und gar glaubt ausschalten zu können.
…aber das hätte ich dann ja doch gerne mal von @Balanus bestätigt. Ich kann mir das gar nicht vorstellen. Weiß allerdings auch, wie sehr man zunächst immer erst mal aus der eigenen Position/Wahrnehmungsgewohnheit heraus, den anderen sieht, ihn sozusagen mit den eigenen ‘Mitteln’ zu erfassen versucht, womit man dann im Grunde schon sofort immer erst mal den persönlichen Horizont projiziert und eben auch inklusive des Guten darin. Ich bin damit schon sehr vorsichtig geworden und schnell offen auch für die Wahrnehmung all dessen, was für mich unmöglich wäre. Aber was man sich so gar nicht vorstellen kann, einem auch im Traum nicht in den Sinn kommt, hat dann natürlich dennoch schlechte Karten, ins Bewusstsein zu gelangen.
???
Grenzgängerin@Balanus @Ludwig Trepl @all
Hier ein erster kleiner Startversuch wie im Kommentar an @Ludwig Trepl und @Balanus versprochen für eine eventuelle Diskussion zu dem obigen Kommentar von @Ludwig Trepl
Eli Schalom
@Grenzgängerin
»…..doch, Hinweise gibt es. Das Problem könnte die Nachprüfbarkeit in vivo sein. «
Das ist tatsächlich ein Problem. Alle bisherigen Versuche dazu konnten die Hypothese mental verursachter Hirnaktivitäten nicht stützen. Und offenbar gibt es bislang keine Idee, wie man die Sache anders angehen könnte. Wenn man den mentalen Zustand eines Menschen in Erfahrung bringen will, muss man ihn fragen, zu messen gibt es da nichts.
Bezüglich Eccles‘ Thesen von der mentalen Beeinflussung von Quantenzuständen, fragen Sie:
»Was macht Ihnen just damit Probleme? «
Nun, Quantenphänomene werden gerne dann ins Spiel gebracht, wenn alle sonstigen Möglichkeiten erschöpft sind. Das ist aber schon allein wegen der fehlenden Spezifität extrem unwahrscheinlich. Da braucht man dann Überlegungen, wie und wodurch denn lokale mentale „Felder“ (oder was auch immer) aufgebaut werden könnten, gar nicht erst anzustellen.
@Balanus
»Was macht Ihnen just damit Probleme? «
….das bezog sich nicht auf Eccles, nur auf den ersten Teil des Abschnittes: dem “extrem hypothetisch”
Es ist für mich nicht so leicht, die Hinweise, die ich von naturwissenschaftlicher Seite kenne, zu erläutern. Solche Texte zu lesen und für sich ausreichend zu verstehen, ist Eines, ein Anderes das Verstandene und in meinem Fall darauf Weiterentwickelte, Dritten zu vermitteln. Aber wir werden sehen. Falls Sie es deshalb erwähnt haben, Eccles Überlegungen kommen darin nicht vor.
@Grenzgängerin
»…das bezog sich nicht auf Eccles,… «
Ja, das war mir zu spät aufgefallen, dass ich Ihren Punkt nicht richtig treffe. Aber Sie können Eccles als pars pro toto nehmen (aus meiner Sicht). Aber wenn es stimmt, dass es naturgesetzliche Zusammenhänge nur in unserem (kausalen) Denken gibt, dann ist ja vieles möglich.
@Balanus
“….dass der Umstand, dass Willensäußerungen Teil eines mechanischen Systems sind, keineswegs impliziere, dass die Materie die „Herrschaft“ über den Geist habe. Es könne gut sein, dass das System, das empfänglich ist für materiale Determinanten, ebenfalls empfänglich ist für mentale Determinanten.
Ich halte das für extrem hypothetisch, Hinweise auf einen derartigen Mechanismus (sic!) gibt es praktisch nicht.”
…..doch, Hinweise gibt es. Das Problem könnte die Nachprüfbarkeit in vivo sein. Es geht schließlich um Etwas, das nur in vivo möglich ist. Analoge Methoden wie die, mit der man die schwarzen Löcher im Weltall entdeckt hat, wären vielleicht angebracht. Und wahrscheinlich ist die ganze hypothetische Fragestellung diesbezüglich bisher falsch herum. Schließlich fängt alles Forschen mit den richtigen Fragen an.
Trotzdem wundert mich, dass Sie als Mensch, der Sie ja doch sind, von “extrem hypothetisch” sprechen. Aber auch als Naturwissenschaftler, schließlich beginnen nicht wenige Forschungen extrem hypothetisch. Was macht Ihnen just damit Probleme?
@ Ludwig Trepl, 5. Januar 2014 15:05
(Gut Ding will Weile haben …)
»Ich zitiere mal wieder Hans Wagner: „Nun gehört zwar freilich innerhalb gewisser Grenzen eine objektive Orientierungsmöglichkeit in Welt und Umwelt zu dem, was für ein Lebewesen … lebensdienlich … ist. Keineswegs aber gehört in diesen Bereich des biologisch Dienlichen oder ganz Unerläßlichen das Interesse an einer uneingeschränkten Erforschung der Wirklichkeit .. an schlechthin objektiver Einsicht und Erkenntnis.“ Kurz: die Naturwissenschaft kann (als Naturwissenschaft) sich selbst nicht verstehen. Das sollte die Naturalisten doch irritieren, sollte man denken. Tut es aber nicht. «
Vielleicht erkennen die Naturalisten mal wieder das Problem nicht. Es gibt doch viele Dinge, die nicht in den Bereich des „biologisch Dienlichen“ fallen. Rote Haare, zum Beispiel, oder Leberflecke. Das kognitive System des Menschen hat sich evolutionär ziemlich rasant entwickelt. Das spricht für einen relativ starken Selektionsdruck. Dass dabei all diese Fähigkeiten entstanden sind, die das Gehirn nun einmal, mehr oder weniger, hat, kann einen Naturalisten wohl kaum irritieren. Zumal „das Interesse an einer uneingeschränkten Erforschung der Wirklichkeit .. an schlechthin objektiver Einsicht und Erkenntnis“ auch nur bei einem Teil der Menschheit zu finden ist. Oft interessiert nur die Frage, wo es was zu essen gibt.
»Der Gedanke mit den durchlaufenden Kausalketten hat was, aber es bleibt doch ungeklärt (oder ich hab’ Keil nicht richtig verstanden), was an dem Punkt des Durchlaufens geschieht. Das bleibt geheimnisvoll. Denn das „Ich“, durch das die Kausalketten durchlaufen, bestimmt ja doch, wie sie weiterlaufen, entscheidet zwischen Alternativen und kann das, weil es – so die Voraussetzung der Libertarier – keine durchgehende Determiniertheit gibt.«
Ich denke, Ihr spezielles Verständnis vom „Ich“ gestattet es nicht, zu sagen, dass die Kausalketten durch das „Ich“ hindurchlaufen.
Bei mir ist das anders, ich darf das, weil aus meiner Sicht „Ich“ und „Person“ durch bestimmte funktionale Gehirnzustände konstituiert werden: Das Gehirn als biologische Voraussetzung von allem Denken und Räsonieren, aller möglichen Erkenntnis und allen Wissens.
Es muss, finde ich, heißen: Die Kausalketten durchlaufen das materielle Substrat des „Ich“. So wird ein Schuh draus, und das Geheimnisvolle wird zu einem Gegenstand der Neurobiologie.
»Aber wie es zugeht, daß eine nicht der phänomenalen Welt angehörende „Instanz“ hier eingreifen kann, das bleibt so geheimnisvoll wie eh und je.«
Hier stößt unser Erkenntnisapparat eben an seine Grenzen. Denn er hat sich vor allem in Bezug auf die phänomenale, empirisch erfahrbare (soziale) Welt entwickelt. Für das Erkenntnisvermögen bestand offenbar kein großer Selektionsdruck, es blieb also relativ schwach entwickelt.
»Der Hinweis, daß diese „Instanz“ ja auch der phänomenalen Welt angehört, hilft da gar nicht, bezeichnet nur das Problem, denn in dieser Eigenschaft entscheidet sie ja nicht; …«
Es ist mMn ein selbst geschaffenes Problem, das entsteht, wenn man darauf beharrt, dass Entscheidungen nur dann Entscheidungen genannt werden dürfen, wenn sie nicht auf materialen Prozessen beruhen, sondern in einer geistigen Sphäre (oder wo auch immer).
»…und daß so etwas wie „Ich“ oder „Person“ der phänomenalen Welt angehört, mir den begrifflichen Mitteln, die auf die Erkenntnis dieser Welt gerichtet sind, reformulierbar ist, kann niemand ernsthaft behaupten (nur Naturalisten, weil sie den Unterschied einfach nicht verstehen). Wir sind so klug als wie zuvor.«
Wenn man plausibel machen will, wie derlei Ideen und Konstrukte wie „Ich“ oder „Person“ Handlungen real bewirken können, kommt man um eine gewisse Reformulierung wohl nicht herum.
Russell schreibt übrigens in dem von @Chrys verlinkten Essay, dass der Umstand, dass Willensäußerungen Teil eines mechanischen Systems sind, keineswegs impliziere, dass die Materie die „Herrschaft“ über den Geist habe. Es könne gut sein, dass das System, das empfänglich ist für materiale Determinanten, ebenfalls empfänglich ist für mentale Determinanten.
Ich halte das für extrem hypothetisch, Hinweise auf einen derartigen Mechanismus (sic!) gibt es praktisch nicht. John Eccles, habe ich jüngst gelesen, dachte anscheinend an eine mentale Beeinflussung von Quantenzuständen in bestimmten Biomolekülen. Das stochastische Öffnen und Schließen der Ionenkanäle bietet sich für solche Ideen wohl an. Leider lässt sich diese Idee nicht empirisch überprüfen. Oder, wie man auch sagen könnte, Neurophysiologen besitzen gar nicht das Equipment, um so etwas aufspüren zu können.
Von Ludwig Trepl,@ Balanus.
„Es gibt doch viele Dinge, die nicht in den Bereich des „biologisch Dienlichen“ fallen. Rote Haare, ….“
Ja, so weit kann die Biologie hier wohl kommen: Es gibt Luxusbildungen, Zufallsbildungen (Drift) und allerlei Mitgeschlepptes, was für sich keinen Nutzen hat, aber der Selektion nicht zum Opfer fällt, weil es mit selektiv Vorteilhaftem verbunden ist. Aber das bewegt sich alles im Bereich des Empirischen. Die Geltungsfrage und das damit verbundene Normative fällt aber nicht darunter. – Ich schreibe demnächst mal einen Blog-Artikel dazu.
„Zumal ‚das Interesse an einer uneingeschränkten Erforschung der Wirklichkeit .. an schlechthin objektiver Einsicht und Erkenntnis’ auch nur bei einem Teil der Menschheit zu finden ist.“
Das ist ein empirischer Sachverhalt. Man muß wohl annehmen, daß dieses Interesse in allen geweckt werden kann, aber es ist auch vorstellbar, daß es Situationen gibt, in denen es in allen gänzlich erlischt. Darum geht es aber nicht. Das Interesse könnte man als Luxusbildung betrachten oder als etwas, was meist lebensdienlich ist und sich deshalb entwickelt hat (wobei man sich aber fragen muß, wieso sich dann nicht gleich ein Interesse am Lebensdienlichen entwickelt hat und die mit den Genen für nutzloses Interesse an schlechthin objektiver Einsicht ausselektiert wurden). Es geht aber um die dem Denken als Prinzip immanente Norm. 2 x 2 = 4 heißt, daß auf die Frage, was 2 x 2 sei, 4 geantwortet werden soll, ganz unabhängig davon, ob das lebensdienlich ist oder ob der Antwortende ein Interesse an schlechthin objektiver Einsicht oder der Wahrheit hat. Gäbe es keinerlei derartiges Interesse, bestünde die Norm trotzdem. Sie ist keine Eigenschaft von Organismen oder Personen, sondern, sozusagen, des mathematischen Systems, das ein normatives ist.
„weil aus meiner Sicht „Ich“ und „Person“ durch bestimmte funktionale Gehirnzustände konstituiert werden“
Nein. Die empirischen Gedanken „Ich“ und „Person“ werden durch Gehirnzustände „produziert“, so könnte man vielleicht sagen. Konstituiert werden Gehirnzustände als Gegenstände u.a. durch das transzendentale Ich, das eine Voraussetzung dafür ist, daß Dinge an sich (ein völlig unbestimmter Grenzbegriff) überhaupt zu Phänomenen und damit zu Gegenständen objektiver Wissenschaft werden können.
„Es muss, finde ich, heißen: Die Kausalketten durchlaufen das materielle Substrat des „Ich“.“
Ja. Aber damit wird nicht „das Geheimnisvolle … zu einem Gegenstand der Neurobiologie.“ Deren Gegenstand ist das materielle Substrat. Das Geheimnis liegt zwischen diesem Substrat und dem, was das Ich tut: Es bestimmt seinen Willen ganz von sich aus, soll ihn (im Bereich des Moralischen) völlig unabhängig von allen Trieben und Neigungen, von aller „Natur“ bestimmen und kann das also auch, es ist voll und ganz verantwortlich für die Folgen und kann die Verantwortung nicht auf Kausalketten abwälzen, unter deren Einfluß es stand. Und doch beginnen mit der Entscheidung, die die Willensbildung abschließt, Kausalketten in der physischen Welt, die ohne dies nicht begonnen hätten. Das kann unmöglich Gegenstand der Neurobiologie sein; sie kann die einschlägigen Begriffe gar nicht haben.
„Hier stößt unser Erkenntnisapparat eben an seine Grenzen. Denn er hat sich vor allem in Bezug auf die phänomenale, empirisch erfahrbare (soziale) Welt entwickelt. Für das Erkenntnisvermögen bestand offenbar kein großer Selektionsdruck, es blieb also relativ schwach entwickelt.“
Das meinen Sie als Naturwissenschaftler, weil es in Ihrem Schneckenhaus so zugeht: Da geht es um die „phänomenale, empirisch erfahrbare (soziale) Welt“. Möglicherweise hat aber die Menschheit die längere Zeit ihres Daseins vor allem mit dem Nachdenken über das, was Sie hier „Erkenntnisvermögen“ nennen, beschäftigt. Nur so als Beispiel: Es gibt ja die These, daß man in der sog. neolithischen Revolution kurze Zeit sehr heftig über die phänomenale, empirisch erfahrbare (soziale) Welt nachdachte und eine Unzahl von Erfindungen machte. Dann aber stellte man das Denken darüber ein und lebte jahrtausendelang in den vorgefertigten Bahnen. Aber gedacht wurde weiterhin und immer besser, nämlich vor allem darüber, was die „Seele“, was „Gott“ und ähnliches ist, ob wir Menschen in der Lage sind, die göttliche Wahrheit zu erkennen usw. – Und wer sagt denn, daß das Erkenntnisvermögen (Sie meinen, vermute ich, das Wissen darüber, wie es bei Erkennen zugeht usw.) relativ schwach entwickelt blieb? Das kann man genauso gut andersherum sehen. Und: das Wissen über die „phänomenale, empirisch erfahrbare (soziale) Welt“ hat sich aufgrund sehr spezieller Vorgänge in den Wissenschaften in den letzten ca. 500 Jahren explosionsartig entwickelt, vorher fast gar nicht. Dies mit dem Gedanken an einen biologischen „Selektionsdruck“ zu verbinden, der doch ganz andere Zeiträume benötigt, ist schon sehr abenteuerlich.
„Es ist mMn ein selbst geschaffenes Problem, das entsteht, wenn man darauf beharrt, dass Entscheidungen nur dann Entscheidungen genannt werden dürfen, wenn sie nicht auf materialen Prozessen beruhen, sondern in einer geistigen Sphäre“
Ich kann nichts dafür, ich habe den Begriff der Entscheidung nicht erfunden und könnte allenfalls dem Wort Entscheidung eine andere Bedeutung geben, was etwa so wäre, wie wenn man das, was bisher „Kuh“ hieß, „Pferd“ nennen würde, das darf man ja. Im Übrigen: Die Entscheidungen „beruhen“ natürlich auf materialen Prozessen, denn sie geschehen ja in lebenden Organismen, die aus chemischen Stoffen bestehen usw., und können unabhängig davon nicht stattfinden. „Beruhen“ ist so vage, daß es auf jeden Fall richtig ist. Aber wenn man „Entscheidung“ sagt, dann ist damit eben angesprochen, daß da etwas geschieht, das man beim Betrachten der materialen Prozesse allein nicht finden wird, das aber real ist. Ist das denn so schwierig? Wenn ich sage, dieses Bild ist ein großes Kunstwerk, so spreche ich damit etwas an, das man beim Betrachten seiner chemischen Zusammensetzung allein nie finden wird. Es ist nun nicht so, daß „das Bild“ real nichts ist als ein Haufen chemischer Substanzen und „Kunstwerk“ etwas „Konstruiertes“, Ausgedachtes, von den Menschen dem realen Bild nur Zugeschriebenes ist. Das erscheint nur durch die verzerrende Berufsbrille der Naturwissenschaftler so. Sondern die Naturwissenschaftler abstrahieren von der Schönheit, dem Symbolgehalt usw. des Bildes und konstruieren so einen Gegenstand, den es real nicht gibt, der nur in ihrer Theorie existiert: das Bild als nichts als ein Haufen chemischer Substanzen. – Das heißt nicht, daß das Kunstwerk unabhängig von Konstitutionsleistungen der Subjekte existieren würde, aber wenn es schon einen Sinn haben soll, in einem eingeschränkten Sinn von Realität und Abstraktum zu reden, dann ist das Kunstwerk die Realität.
@Ludwig Trepl
Offenbar ist es mir nicht gegeben, mich Ihnen in bestimmten Punkten verständlich zu machen.
Wenn Ihre Vorstellungen zu Willensfreiheit und Entscheidungen kompatibel sind mit Ihrem Wissen über naturgesetzliche Zusammenhänge, dann okay, dann brauchen wir über andere Möglichkeiten der Erklärung nicht nachzudenken.
Bloß war mein Eindruck bislang ein anderer, nämlich dass es da noch etwas „Geheimnisvolles“ gebe, etwas, wo Natur und „Geist“ sich reiben und nicht so recht zusammenpassen wollen (in unserem Verständnis von Kausalzusammenhängen).
»Die Geltungsfrage und das damit verbundene Normative fällt aber nicht darunter. – Ich schreibe demnächst mal einen Blog-Artikel dazu. «
Da freue ich mich schon drauf. Auch Geltungsfragen und das Normative kann man, meine ich, auf unterschiedlichen Betrachtungsebenen abhandeln (empirisch: wie sind Normen in die Welt gekommen, ethisch: was ist ein sittlich gutes Leben) (wobei man wohl wieder herrlich aneinander vorbei argumentieren kann).
»Und wer sagt denn, daß das Erkenntnisvermögen (Sie meinen, vermute ich, das Wissen darüber, wie es bei Erkennen zugeht usw.) relativ schwach entwickelt blieb? «
Na, das sehen Sie doch schon an den Naturalisten…
Nein, ich meinte nicht, wie Erkennen auf der empirisch zugänglichen Ebene vonstatten geht, sondern ich meinte das „geistige“ Vermögen, Zusammenhänge oder „Wahrheiten“ über Gegenstände zu erkennen, die keine empirische Basis haben (falls es so etwas überhaupt gibt).
Nehmen wir z. B. die Erkenntnis der eigenen Sterblichkeit. Ist es möglich, dass der Mensch allein durch Reflexion, also ohne von der Sterblichkeit anderer Lebewesen zu wissen, drauf kommen kann, dass sein Geist, sein „Ich“, irgendwann vergehen könnte? (Viele denken ja, ihre Seele sei unsterblich.)
Die Willensfreiheit ist Ihrer Ansicht nach etwas, was der Mensch bzw. die Person definitiv nicht bei anderen Lebewesen beobachten kann, weshalb er oder sie nur durch Reflexion davon wissen kann.
Ich finde es bemerkenswert, dass etwas so existentiell Wichtiges wie das Wissen um die Vergänglichkeit (oder Persistenz) des eigenen Geistes vom menschlichen Geist nicht ebenso reflexiv erkannt werden kann, wie zum Beispiel das Wissen um die Willensfreiheit.
»Und: das Wissen über die „phänomenale, empirisch erfahrbare (soziale) Welt“ hat sich aufgrund sehr spezieller Vorgänge in den Wissenschaften in den letzten ca. 500 Jahren explosionsartig entwickelt, vorher fast gar nicht. Dies mit dem Gedanken an einen biologischen „Selektionsdruck“ zu verbinden, der doch ganz andere Zeiträume benötigt, ist schon sehr abenteuerlich.«
Da heben Sie mich offensichtlich missverstanden. Ich sprach von der evolutionären Entwicklung des „Erkenntnisapparates“, also jenen Strukturen des Gehirns, die bewusstes Erkennen überhaupt erst ermöglichen. Erworbenes Wissen ist eine ganz andere Baustelle. Kant z. B. hat seine Erkenntnisse mit ins Grab genommen. Inwieweit wir Nachgeborenen anhand von Kants Texten zu ähnlichen Erkenntnissen gelangen (können), ist die Frage. Vielleicht hatte mancher neolithische Denker Dinge erkannt, von denen wir Heutigen nicht einmal träumen können.
»Ich kann nichts dafür, ich habe den Begriff der Entscheidung nicht erfunden und könnte allenfalls dem Wort Entscheidung eine andere Bedeutung geben, …«
Nicht eine „andere“, eine zweite Bedeutung. Gerade in der Philosophie gibt es doch eine unüberschaubare Menge an zwei- und mehrdeutigen (Fach-)Begriffen.
Mir zum Beispiel fällt es schwer, mich daran zu gewöhnen, dass in manchen Kulturwissenschaften der Begriff Evolution in Anlehnung an den Evolutionsbegriff der Biologen gebraucht wird. Das tut richtig weh, wenn man von der Evolution bestimmter kultureller Errungenschaften liest.
Zum Erkennen eines Kunstwerks:
Die bloße Wahrnehmung liefert nur irgendein Muster. Dass es sich bei diesem Muster um ein Kunstwerk handelt, muss vom Betrachter erst mal erkannt werden. Dazu bedarf es gewisser kognitiver Fähigkeiten.
Wenn Sie schreiben:
»Sondern die Naturwissenschaftler abstrahieren von der Schönheit, dem Symbolgehalt usw. des Bildes und konstruieren so einen Gegenstand, den es real nicht gibt, der nur in ihrer Theorie existiert: das Bild als nichts als ein Haufen chemischer Substanzen.«
…dann setzen Sie voraus, dass der Naturwissenschaftler das Muster bereits als Kunstwerk erkannt hat.
Von Ludwig Trepl, @ Balanus.
„Bloß war mein Eindruck bislang ein anderer, nämlich dass es da noch etwas „Geheimnisvolles“ gebe, etwas, wo Natur und „Geist“ sich reiben und nicht so recht zusammenpassen wollen“
Das Geheimnisvolle liegt einfach darin, daß es in der Wissenschaft von naturgesetzlichen Zusammenhängen nicht möglich ist, Freiheit zu erklären (wie sollte es auch anders sein; sie ist ja Wissenschaft von naturgesetzlichen Zusammenhängen). Es liegt nicht darin, daß es dem Handeln unter Freiheitsgesetzen möglich wäre, etwas naturgesetzlich nicht Mögliches zu vollbringen; etwa nach dem Muster: Ich soll nach Freiheitsgesetzen (moralischen Gesetzen) übers Wasser laufen, also kann ich es. – In der „Natur“ erklärt sich nichts nach Freiheitsgesetzen. Das Wasser fließt nicht deshalb zum Meer, weil das Gottes Wille ist, also gut, und das Wasser gehorsam, also gut ist; das ist keine Erklärung. Im „Reich der Freiheit“ erklärt sich aber umgekehrt auch nichts aus Naturgesetzen; aus der Tatsache, daß einer eine schwierige Kindheit hatte und deshalb – naturwissenschaftlich-psychologisch erklärbar – zum Dieb wurde, folgt nicht, daß er hätte stehlen sollen. Da ist nichts drin, was nicht zusammenpaßt, kein Naturgesetz wird außer Kraft gesetzt, kein Freiheitsgesetz verliert seine Gültigkeit, aber doch ein „Geheimnis“: wie es sein kann, daß das, was aus Freiheit geschieht, in der Welt, in der die Naturgesetze gelten, zur Wirkung kommt.
„Auch Geltungsfragen und das Normative kann man, meine ich, auf unterschiedlichen Betrachtungsebenen abhandeln (empirisch: wie sind Normen in die Welt gekommen, ethisch: was ist ein sittlich gutes Leben)“.
Empirisch kann man ermitteln, wie faktische Normen zustande kamen. Das ist aber keine andere Betrachtungsebene von Geltungsfragen und des Normativen. Wenn Fritzchen sagt, daß 6 x 7 gleich 81 ist, dann kann man empirisch ermitteln, wie das zustandekam (er hat z. B. nicht tüchtig gelernt oder er hat ADS), aber das ist keine andere Betrachtungsebene von Mathematik, sondern (beispielsweise) Psychologie.
„…sondern ich meinte das „geistige“ Vermögen, Zusammenhänge oder „Wahrheiten“ über Gegenstände zu erkennen, die keine empirische Basis haben“.
Wenn „Gegenstand“ nur „Gegenstand der Rede“ bedeutet, dann gibt es dieses Vermögen schon: Logische, mathematische, erkenntnistheoretische „Zusammenhänge und Wahrheiten“ können Gegenstände der Rede sein, und die erkennt man ohne Empirie; diese setzt sie vielmehr voraus. Wenn sich „Gegenstand“ aber auf die Dinge in der „Welt“ bezieht, dann haben Sie Recht. Kant würde wohl sagen: Erkenntnis braucht immer „Sinnlichkeit und Verstand“. Der Verstand allein, der z. B. logische und mathematische Gesetze erkennt, erkennt damit noch nichts über die Welt, ist überhaupt keine Erkenntnis, sondern bezieht sich nur auf Formen, denen Erkenntnisse über die Welt genügen müssen, wenn sie wahr sein, also überhaupt Erkenntnisse sein sollen.
„Ist es möglich, dass der Mensch allein durch Reflexion, also ohne von der Sterblichkeit anderer Lebewesen zu wissen, drauf kommen kann, dass sein Geist, sein „Ich“, irgendwann vergehen könnte?“
Jahrtausendelang ist man ja durch Reflexion darauf gekommen, daß die Seele unsterblich ist. Dann meinte man, durch Reflexion dahintergekommen zu sein, daß die Seele kein Gegenstand ist, von dem man überhaupt sinnvoll Aussagen dieser Art machen kann. Wie es mit dem Wissen um die Sterblichkeit des Leibes ist, scheint mir nicht so einfach. Das empirische Ich, so könnte man vielleicht allein durch Denken herausbekommen, ist wie alles Empirische endlich. Aber ob ein Begriff vom Empirischen möglich ist, ohne je eine Erfahrung gemacht zu haben? Das transzendentale Ich ist demgegenüber nichts, worauf Begriffe wie Sterblichkeit, und Zeit überhaupt, anwendbar sind.
„Kant z. B. hat seine Erkenntnisse mit ins Grab genommen.“
Wieso denn das? Der hat sie doch aufgeschrieben.
„ ‚könnte allenfalls dem Wort Entscheidung eine andere Bedeutung geben, …’ Nicht eine „andere“, eine zweite Bedeutung.
Eine zweite Bedeutung ist doch auch eine andere. – Die mehreren Bedeutungen von Begriffen in der Philosophie kommen durch Differenzierung dessen zustande, was in einem Begriff drinsteckt. Aber man kann nicht einfach einen Sachverhalt mit einem schon bestehenden Begriff belegen, der etwas völlig anderes bedeutet. – Wenn man an dem Begriff Freiheit herausarbeitet, daß darin verschiedene Begriffe stecken, daß er im Liberalismus etwas anderes bedeutet als im Konservativismus usw., dann bemerkt man dabei, daß diese Unterschiede innerhalb eines Begriffs bestehen. Wenn man dahinterkommt, daß manche Biologen das Wort Entscheidung benutzen, dann bemerkt man dabei, daß keinerlei Gemeinsamkeit besteht mit dem, was bisher Entscheidung hieß, insbesondere im entscheidenden Punkt geradezu das Entgegengesetzte gemeint ist. Nun kann es auch bezüglich des Begriffs Freiheit zu einer Bedeutung kommen, die von dem Freiheitsbegriff nicht mehr gedeckt wird; Romane wie „1984“ führen das vor. Dann besteht zwar ein genetischer Zusammenhang zum Freiheitsbegriff, ein sachlicher aber nicht. Ähnlich ist’s auch mit dem naturwissenschaftlichen „Entscheidungsbegriff“. – „… dass in manchen Kulturwissenschaften der Begriff Evolution in Anlehnung an den Evolutionsbegriff der Biologen gebraucht wird. Das tut richtig weh, wenn man von der Evolution bestimmter kultureller Errungenschaften liest“. Ich weiß jetzt nicht, worauf Sie anspielen, könnte mir aber denken, daß die mittels Mutation-Selektion erklären. Das wäre aber eine normale Anwendung eines Begriffs auf einen anderen Gegenstand, der keine wesentliche Änderung verlangt.
„Die bloße Wahrnehmung liefert nur irgendein Muster. Dass es sich bei diesem Muster um ein Kunstwerk handelt, muss vom Betrachter erst mal erkannt werden. Dazu bedarf es gewisser kognitiver Fähigkeiten.“
Da weiß ich nicht, worauf Sie hinauswollen.
„…dann setzen Sie voraus, dass der Naturwissenschaftler das Muster bereits als Kunstwerk erkannt hat.“
Zumindest als etwas, was andere als Kunstwerk bezeichnen. Es gäbe sonst keine Möglichkeit, das Bild aus unendlich vielen anderen durch Anordnung von Chemikalien auf einer Fläche zustande gekommenen Mustern auszuwählen. Aber wofür/wogegen ist das ein Argument?
@Ludwig Trepl
» „Kant z. B. hat seine Erkenntnisse mit ins Grab genommen.“
Wieso denn das? Der hat sie doch aufgeschrieben.«
Nun, erstens wissen wir nicht, ob er alle seine Erkenntnisse in Worte fassen konnte, und zweitens springen Kants Erkenntnisse nicht via bedrucktes Papier einfach auf andere über. Wenn wir lesen, was Kant über seine Erkenntnisse berichtet, werden diese nicht automatisch zu unseren.
Das ist doch das große Dilemma der Philosophen, dass deren Erkenntnisfortschritte nicht einfach Allgemeingut werden können, so wie es etwa beim technischen Fortschritt der Fall ist.
Zum Kunstwerk: Ich habe mir den Abschnitt, wo Sie das zur Sprache brachten, noch einmal durchgelesen, und ich denke, jetzt habe ich verstanden, worauf Sie abzielten, als Sie fragten, ob das denn so schwierig zu verstehen sei, dass, „wenn man „Entscheidung“ sagt, dann damit eben angesprochen [ist], daß da etwas geschieht, das man beim Betrachten der materialen Prozesse allein nicht finden wird, das aber real ist“.
Ich kann mich da auch nur wiederholen: Die Realität des geistigen Lebens wird keineswegs bestritten. Bestritten wird nur das Primat der geistigen Zustände über die materialen. Da hilft auch nicht der Hinweis darauf, dass ohne den Geist* gar nicht von einem Primat gesprochen werden könnte, dass es der Geist ist, der zu solchen Erkenntnissen und Einsichten gelangt. Derartige Einwände führen nur zu einer argumentativen Karussellfahrt.
—
*Geist als Metapher für die Gegenstände der Philosophie
Von Ludwig Trepl, @ Balanus.
„Nun, erstens wissen wir nicht, ob er [Kant] alle seine Erkenntnisse in Worte fassen konnte, und zweitens springen Kants Erkenntnisse nicht via bedrucktes Papier einfach auf andere über.“
Das ist kein besonderes Problem der Philosophie (für die ja „Kant“ hier steht). Es trifft auf Kommunikation jeder Art zu, ob das nun ein Gespräch am Gartenzaun ist oder die Kommunikation von Naturwissenschaftlern untereinander. Nie äußert einer alles, was er in sich hat. Und die Verständigung ist manchmal problemlos, manchmal nur unter großen Schwierigkeiten möglich. Dann bedarf es dann der Kunst der Hermeneutik. Zwischen Anhängern verschiedener naturwissenschaftlicher Paradigmen soll das Verstehen sogar überhaupt unmöglich sein, aber das halte ich für überzogen. Im allgemeinen verstehen sich in der Philosophie wie in der Naturwissenschaft Anhänger einer Richtung ganz leicht, zwischen den verschiedenen Richtungen aber nur schwer. – Und dann scheinen Sie mir hier dieses Thema des Verstehens mit dem Thema der Schwierigkeit bestimmter Fragen durcheinanderzubringen. Die von Kant behandelten Fragen sind halt recht schwierig, und deshalb können sie nicht so leicht zu Allgemeingut werden. Das ist aber die Relativitätstheorie auch nicht geworden. Wieso da „das große Dilemma der Philosophen“ – speziell der Philosophen – liegen soll, verstehe ich nicht.
„Die Realität des geistigen Lebens wird keineswegs bestritten. Bestritten wird nur das Primat der geistigen Zustände über die materialen.“
Wie meinen Sie das?
Moralisch sicher nicht, da sind Sie sicher mit mir einer Meinung, daß „geistige Zustände“ (z. B. die Bewahrung der Würde, das Prinzip der Gerechtigkeit, der Treue …) das Primat über materielle haben sollen – auch wenn wir von uns persönlich glauben, dies im Ernstfall nicht durchhalten zu können.
Meinen Sie es erkenntnistheoretisch? Dann versuchen Sie doch mal, Hegel zu widerlegen. Ich halte es ja, wie Sie wissen, eher mit Kant, und da wird das „Materielle“, erkenntnistheoretisch die Sinnlichkeit, gegenüber dem Hauptstrom des Denkens der 2000 Jahre davor, erheblich aufgewertet. Sinnlichkeit ist nicht mehr ein defizitärer Modus des Erkennens (ein trügerischer, einer, der nur zu verschwommenen Erkenntnissen führt …), sondern ein unverzichtbarer Teil, ohne den es gar keine Erkenntnis gibt. Nur gibt es halt auch keine Erkenntnis allein durch die Sinne, sondern schon in das, was wir „sinnliche Wahrnehmung“ nennen, gehen „geistige“ Leistungen auf der Seite des Subjekts ein, ohne die es gar keine sinnliche Wahrnehmung geben kann. Es ist etwas „Geistiges“, das aus dem unüberschaubaren Chaos dessen, was an – nennen wir es mal – gänzlich unverarbeiteten „Eindrücken“ auf die Sinne trifft, auswählt, so daß überhaupt etwas „sinnlich erfahren“ wird.
Oder meinen Sie es historisch? Meinen Sie, daß es „Materielles“ gab schon zu einer Zeit, als es noch keinerlei Gedanken, in welch reduziertem Sinn auch immer, über dieses Materielle gab, etwa zur Zeit vor der Entstehung des Lebens? Aber das bestreitet doch keiner. Man kann die Geschichte der empirischen Welt erzählen auf eine abstrakte Weise, nämlich abstrahierend von der Frage, ob ich denn überhaupt über diese Geschichte eine Erkenntnis haben kann, und was die Bedingungen dafür sind, daß ich eine Erkenntnis haben kann. Aber das ist, wie gesagt, eben abstrakt, da habe ich von etwas abgesehen: daß ich über etwas spreche, von dem ich erst mal nur weiß, daß es in meinem Denken existiert und daß es eine Frage ist, ob es auch unabhängig davon, also objektiv existiert.
Sie sagen, da begibt man sich auf eine „Karussellfahrt“. Das ist wohl so gemeint: Die Bedingungen dafür, daß es eine empirische Welt gibt, liegen darin, daß Lebewesen entstanden sind, die empirisch (Neurophysiologie usw.) eine solche empirische Welt wahrnehmen und denken konnten. Klar, da geht es im Kreis herum. Aber doch nur, weil man empiristisch-naturalistisch meint, die Bedingungen von Empirie wiederum in etwas Empirischen suchen zu müssen.
@Ludwig Trepl
»Und dann scheinen Sie mir hier dieses Thema des Verstehens mit dem Thema der Schwierigkeit bestimmter Fragen durcheinanderzubringen.«
Ich denke nicht, dass ich das tue. Sofern mit „Verstehen“ nicht etwas anderes gemeint ist, als eben ein schwieriges Thema so zu „verstehen“, dass man alle verwickelten Gedankengänge nachvollziehen kann. Hegel z. B. hat u. a. über das gleiche Schwierige nachgedacht wie Kant, kam aber zu anderen Ergebnissen. Welchen soll man nun trauen?
Wenn ich sage, dass philosophische Erkenntnisfortschritte nicht einfach Allgemeingut werden können, dann liegt das zum einen an diesen thematischen Schwierigkeiten, zum anderen aber auch daran, dass es zu allgemein interessierenden Fragen oft keine klare und eindeutige Antwort gibt (siehe Willensfreiheit). Hinzu kommt, dass etliche philosophische Erkenntnisse sehr stark an die Erkennenden gebunden sind. Dass Einstein die Relativitätstheorie entwickelt hat, ist heute nur noch von historischem Interesse. Der Name Kant hingegen steht für eine ganze philosophische Richtung oder Denkweise, wenn ich nicht irre (es gibt Kantianer, aber keine Einsteinianer).
»……Bestritten wird nur das Primat der geistigen Zustände über die materialen.“
Wie meinen Sie das? «
Sie vermuten richtig, ich meinte es nicht moralisch.
An die Erkenntnistheorie habe ich auch nicht gedacht. Aber da scheint mir die Rede vom Primat des Geistes (oder der Materie) keinen Sinn zu machen, weil Erkenntnisse nur dann möglich sind, wenn beides vorhanden ist (wenn also Materie Geist besitzt). Ein Naturalist würde Hegel wohl nur dort „widerlegen“ wollen, wo seine Aussagen empirisch überprüf- und somit widerlegbar sind. Kamen solche Aussagen bei Hegel überhaupt vor?
Ich meinte es zwar nicht historisch, aber es passt, wenn auch nicht ganz so, wie Sie das formuliert haben:
»Meinen Sie, daß es „Materielles“ gab schon zu einer Zeit, als es noch keinerlei Gedanken, in welch reduziertem Sinn auch immer, über dieses Materielle gab, etwa zur Zeit vor der Entstehung des Lebens? Aber das bestreitet doch keiner.«
Ich meine, dass erst bestimmte Strukturen und Prozesse entstehen mussten bzw. müssen (ontogenetisch), bevor diese „Geist“ hervorbringen konnten bzw. können. Ob dies (es gibt Materie ohne Geist, aber kein Geist ohne Materie) nun auch keiner bestreitet oder zumindest mit Fragezeichen versieht, weiß ich nicht.
»Man kann die Geschichte der empirischen Welt erzählen auf eine abstrakte Weise, nämlich abstrahierend von der Frage, ob ich denn überhaupt über diese Geschichte eine Erkenntnis haben kann, und was die Bedingungen dafür sind, daß ich eine Erkenntnis haben kann. «
Ich stelle mir das vor wie bei der Aufklärung eines Verbrechens. Man sammelt Indizien und zieht Schlüsse.
»Aber das ist, wie gesagt, eben abstrakt, da habe ich von etwas abgesehen: daß ich über etwas spreche, von dem ich erst mal nur weiß, daß es in meinem Denken existiert und daß es eine Frage ist, ob es auch unabhängig davon, also objektiv existiert.«
Das klingt zwar richtig und schlüssig, aber ich denke, so denkt der einfache Mann in der Regel nicht. Das scheinen mir philosophische Verschlingungen zu sein, die entstehen, wenn man nicht geradeaus, sondern rückbezüglich denkt. Im wahren, praktischen Leben ist die Tat objektiv geschehen und verlangt Aufklärung.
»[Meine Rede von der] „Karussellfahrt“. Das ist wohl so gemeint: Die Bedingungen dafür, daß es eine empirische Welt gibt, liegen darin, daß Lebewesen entstanden sind, die empirisch (Neurophysiologie usw.) eine solche empirische Welt wahrnehmen und denken konnten. Klar, da geht es im Kreis herum. «
Auch hier würde ich vermuten, dass der Naturalist eher geradeaus denkt, den Blick allein nach vorne richtet. Seine Untersuchungsgegenstände liegen außerhalb seiner selbst.
Ich meine, die Bedingung dafür, dass der Mensch forschen und philosophieren kann, ist seine intellektuelle Ausstattung. Diese kann ein Naturalist als gegeben hinnehmen. Was aber nicht ausschließt, bis ins Letzte zu untersuchen, was alles zur „intellektuellen Ausstattung“ eines (anderen) Menschen gehört und wie das alles zusammenhängt.
So, ich denke, damit sollte es genug sein, falls noch eine Replik kommt, werde ich sie selbstverständlich lesen, aber wohl mehr darauf reagieren—versprechen kann ich da aber nichts.
Naivität der Naturwissenschaftler.
Von Ludwig Trepl, @ Balanus.
Erinnern Sie sich, daß ich Ihnen mal dringend geraten habe, Thomas Kuhn zu lesen? Sie antworteten damals, es gäbe so vieles zu lesen und warum gerade den, sei nicht einzusehen. Einen Grund sieht man hier:
„Hegel z. B. hat u. a. über das gleiche Schwierige nachgedacht wie Kant, kam aber zu anderen Ergebnissen. Welchen soll man nun trauen?“
Sie sind Naturwissenschaftler. Sie stellen automatisch die Frage „Welchen soll man nun trauen?“ Naturwissenschaftler, soweit ihr Gebiet paradigmatisiert, d. h. normal science ist, fragen typischerweise so. In den Naturwissenschaften gibt es Lehrbücher, in denen steht der „Stand der Wissenschaft“. In diesen ist ein Unmenge, was problematisch ist, als unproblematisch, einfach als geltendes Wissen dargestellt. Das ermöglicht es dem Naturwissenschaftler, an dem durch das Lehrbuch festgezurrten Stand zu beginnen, nicht bei jeder Detailfrage immer wieder bis zu den Grundlagen, wo es noch viele offene Fragen gibt, zurückkehren zu müssen, und erklärt zum Teil das enorme Tempo des Fortschritts in diesen Wissenschaften. Der Preis ist eine große Naivität. Typische Naturwissenschaftler sind Gläubige. Sie glauben an das, was sie (über Lehrbücher) gelernt haben, das stellen sie nicht in Frage. Und Lehrbücher sind grundsätzlich so beschaffen, daß sie den jeweiligen Erkenntnisstand als sicheren Boden, als selbstverständlich anzunehmendes Wissen darstellen, was er aber nicht ist. So etwa steht es bei Kuhn.
In anderen Wissenschaften pflegt es Lehrbücher nicht zu geben. Man ist hier weniger naiv, und diese Wissenschaften sind in diesem Sinne weitaus anspruchsvoller als die typischen Naturwissenschaften. In solchen anspruchsvolleren Wissenschaften käme man nie auf den Gedanken, „welchen soll man nun trauen?“ zu fragen. Damit, so weiß man, würde man ja seinen wissenschaftlichen Anspruch völlig aufgeben, würde sich verhalten wie ein Schriftgläubiger. Texte wie die von Hegel und Kant handeln von Fragen, über die zu diskutieren ist und über die man selber mitdiskutiert, wenn man sie liest. So werden diese Texte dann auch gelesen: nicht wie ein Lehrbuch, sondern wie ein Diskussionsbeitrag.
(Nebenbei: So, als Diskussionsbeiträge, sollten, nach den Klassikern der Universitätsrevolution um 1800, auch Vorlesungen genommen werden. Aber so ist es in den Naturwissenschaften natürlich nicht: Sie werden genommen wie Lehrbücher, die Wissen vermitteln, nicht etwa Gedanken zu bestimmten Fragen, die strittig sind, diskutieren. Man ist da wieder zu den vor-aufklärerischen Gebräuchen zurückgekehrt, denn da hatten Vorlesungen auch diese Funktion: es wurden zu glaubende Texte vorgelesen. Jetzt, mit den Bologna-Reformen, geht es in allen Fächern tendenziell so zu.)
In Wirklichkeit ist es in den Naturwissenschaften, wie gesagt, ja auch nicht so, daß man mit dem derzeitigen Stand sicheren Boden unter den Füßen hat. Nur dieser Schein ist mit der letzten wissenschaftlichen Revolution entstanden, und mit der nächsten Revolution verschwindet er wieder – bis diese Phase vorbei ist. In der Revolution wird offenkundig, daß das, was man für sicheren Grund hielt, in Wirklichkeit doch von zu diskutierenden Fragen wimmelt. (In komplexeren Naturwissenschaften, insbesondere der Biologie, auf die Kuhn fast gar nicht eingeht, ist es komplizierter. Das Phasen-Schema gilt für Teile, in anderen gibt es wie außerhalb der Naturwissenschaften üblich einen Dauerzustand der Diskussion um Grundfragen, Beispiele wären etwa der Artbegriff oder die Selektionstheorie. Biologiestudenten bekommen davon allerdings kaum etwas mit.)
Also, noch mal die Empfehlung: Kuhn lesen. Das ist nicht irgendein Buch. Es wirft das vorherige Selbstverständnis der Naturwissenschaftler völlig um. Das allermeiste, was in den letzten 50 Jahren zur Wissenschaftstheorie gesagt wurde, bezieht sich positiv oder negativ darauf. Man kann einfach nicht mitreden, wenn man das nicht kennt.
@Ludwig Trepl
Ad Kuhn:
»Sie antworteten damals, es gäbe so vieles zu lesen und warum gerade den, sei nicht einzusehen.«
Nach meiner Erinnerung stammt das „warum gerade den, sei nicht einzusehen“, nicht von mir, sondern von Ihnen, das haben Sie interpretierend hinzugefügt. Aber so ganz falsch ist Ihre Ergänzung ja nicht. Dass dieses Buch zu denen gehört, die man (auch als Naturwissenschaftler) gelesen haben sollte, glaube ich gerne. Doch mittlerweile hat man schon so oft auf Kuhn basierende Argumente zu lesen bekommen, dass man befürchten muss, nichts wesentlich Neues mehr zu erfahren, wenn man das Original liest. Dem einen wird man zustimmen, das andere ablehnen. Weil man inzwischen in seinen Vorstellungen festgefahren ist (man ist ja kein Erstsemester mehr).
»Sie sind Naturwissenschaftler. Sie stellen automatisch die Frage „Welchen [Ergebnissen] soll man nun trauen?“«
Der Grund der Frage war die Behauptung, es gäbe Wege zu verlässlichem Wissen über physische Gegenstände allein durch Reflexion. Statt „Ergebnisse“ hätte es vielleicht besser „Erkenntnisse“ geheißen. Ich habe also einfach mal unterstellt, Kants und Hegels Diskussionsbeiträge seien bereits Erkenntnisse oder Wissen gewesen.
Als Naturwissenschaftler ist man ja gewohnt, dass sich das naturwissenschaftliche Wissen fortlaufend ändert. Kein Erstsemester wird sich ein 20 Jahre altes Biologie-Lehrbuch kaufen. Und natürlich stellt man nicht mehr die Relativitätstheorie oder die Doppelhelix-Struktur der DNA in Frage.
In richtig guten Lehrbüchern werden auch Probleme angesprochen, wenn es z. B. unterschiedliche Theorien oder Erklärungsmöglichkeiten zu einem bestimmten Sachverhalt gibt. Aber insgesamt, da haben Sie bzw. hat Kuhn Recht, vertraut der angehende Naturwissenschaftler im Großen und Ganzen darauf („sind Gläubige“), dass die bisherige naturwissenschaftliche Arbeit gut gesichert ist und man an das anknüpfen kann, was andere vorgemacht haben. So hat es schon unser Höhlenmensch gehalten. Einer sagt, wie’s geht, und andere machen es nach. Man braucht das Rad nicht immer wieder neu zu erfinden. Mit „Naivität“ hat das rein gar nichts zu tun.
Aber gut, im nächsten Urlaub ist der Kuhn dran, wir werden sehen, ob’s hilft…
—
Nachtrag: Sie schreiben: „Sie [die Naturwissenschaftler] stellen automatisch die Frage „Welchen soll man nun trauen?“ Naturwissenschaftler, soweit ihr Gebiet paradigmatisiert, d. h. normal science ist, fragen typischerweise so.“
Ich finde, hier zeigt sich eine gesunde skeptische Grundhaltung sämtlichen Erkenntnissen gegenüber. Auch das erscheint mir alles andere als „naiv“.
@ Balanus
“Aber gut, im nächsten Urlaub ist der Kuhn dran”
Tipp von mir: Nimm gleich den Ludwik Fleck mit, “Entstehung einer wissenschaftlichen Tatsache” (und eventuell, weil ausführlicher und mit geschichtlichem Hintergrund versehen, falls es ein langer Urlaub wird, “Denkstile und Tatsachen”). Fleck hat Beispiele, die mir für einen Biologen besser geeignet erscheinen als die von Kuhn.
Viel Neues, Überraschendes wirst Du vermutlich in den Büchern nicht finden. Das ein oder andere ist dort aber sehr prägnant formuliert worden. Schon das lohnt die Lektüre. Im übrigen ist dein Denkstil meinem sehr ähnlich. (Was, wie wir alle wissen, diesen nicht unbedingt zum richtigen macht.)
Noch ein Tipp: Mach mal Urlaub.
“wir werden sehen, ob’s hilft… “
@Joker
»“wir werden sehen, ob’s hilft… “«
Hilft garantiert nicht.
Balanus geht nun einmal davon aus, dass alles im Prinzip natürlich erklärbar ist, das ist so der Grundsatz aller Varianten von Naturalismus.
Mein Vorschlag wäre eher, im Urlaub im Kloster zu verbringen und über die Frage zu meditieren, ob es natürlich erklärbar ist, dass alles natürlich erklärbar ist.
@Joker
Danke, ist notiert!
@Chrys
Ich gehe davon aus, dass alles Beobachtbare im Prinzip natürlich erklärbar ist. Natürlich nur bis zum Beweis des Gegenteils, bin ja kein Dogmatiker. Ins Kloster zum Meditieren? Dazu sag‘ ich mal… nix.
Von Ludwig Trepl, @ Balanus.
„…dass es zu allgemein interessierenden Fragen oft keine klare und eindeutige Antwort gibt (siehe Willensfreiheit).“
Das betrifft die naturwissenschaftlichen Fragen an der „Forschungsfront“ in aller Regel ganz genauso (dazu siehe Ludwik Fleck).
„es gibt Kantianer, aber keine Einsteinianer“
Es gab aber Einsteinianer, solange zwischen Einstein’scher und Newton’scher Physik gestritten wurde. Und es gibt Darwinisten. – Es stimmt schon, „dass etliche philosophische Erkenntnisse sehr stark an die Erkennenden gebunden sind.“ Das ist aber (2) eine andere Frage; nicht, weil Aristoteles eine bestimmte Person mit bestimmten Eigenheiten war, gibt es Aristoteliker; und viele dieser Richtungen nennt man ja auch nicht nach einer Person, u.a. weil es oft mehrere wichtige gab, sondern man spricht von einem –ismus. (2) Das mit der Bindung an den Erkennenden gilt eher da, wo Philosophie weniger Wissenschaft ist und näher an der Kunst ist (Kirkegaard, Nietzsche, ein wenig auch Adorno; nicht Kant, nicht Habermas).
„An die Erkenntnistheorie habe ich auch nicht gedacht. Aber da scheint mir die Rede vom Primat des Geistes (oder der Materie) keinen Sinn zu machen, weil Erkenntnisse nur dann möglich sind, wenn beides vorhanden ist (wenn also Materie Geist besitzt).“
Oder: wenn unter den Vorstellungen, die der „Geist“ sich macht, auch solche sind, die als „Materie“ vorgestellt werden. Objektwissenschaftlich ist es wahr, daß die Materie vor dem Geist war. Erkenntnistheoretisch aber ist es wahr, daß wir „die Materie“ nicht kennen, sondern immer nur Vorstellungen von ihr kennen, die sich der „Geist“ „macht“. Erkenntnistheoretisch ist es eine Frage, wie der „Geist“ von da aus (also ganz von sich aus, von dem, was in ihm ist und wovon er allein weiß) auf den Gedanken kommen kann, daß es überhaupt eine Materie unabhängig von ihm geben kann. Man kann eben nicht nur schreiben, daß „Materie Geist besitzt“, sondern auch fragen, wie denn, wo wir doch nichts kennen als das, was als Vorstellung im Geist ist, etwas überhaupt außerhalb und vor dem Geist sein kann.
„Ich stelle mir das [‚Geschichte erzählen’] vor wie bei der Aufklärung eines Verbrechens. Man sammelt Indizien und zieht Schlüsse.“
In unserem Diskussionskontext – wenn der Chemiker das Bild untersucht, geht er abstrakt vor, abstrahiert davon, daß es ein Kunstwerk ist, habe ich behauptet – ist aber der entscheidende Unterschied: Der Naturwissenschaftler, der als Gutachter auftritt, abstrahiert von der ganzen Wirklichkeit um die es hier geht, nämlich vom Verbrechen, und untersucht allein die physiologische Frage, ob der Schlag mit der Flasche die Todesursache war. Wer das Verbrechen aufzuklären hat, muß sich aber auch damit befassen, ob ein schuldhaftes Verhalten vorlag, ob es Notwehr, Totschlag oder Mord war, muß sehen, ob es, obwohl Mord, mildernde Umstände gab usw. Es bleibt dabei: Der Naturwissenschaftler befaßt sich mit abstrakten Gegenständen, befaßt sich nicht mit der Wirklichkeit.
„Das klingt zwar richtig und schlüssig, aber ich denke, so denkt der einfache Mann in der Regel nicht. …. Auch hier würde ich vermuten, dass der Naturalist eher geradeaus denkt, den Blick allein nach vorne richtet.“
Eben. Der Naturalist ist der einfache Mann. Er sieht, was er sieht und nicht, was er nicht sieht. Er sieht auch nicht, daß er sieht, sondern glaubt, es wäre an sich so, wie er es sieht. Er ist, in den Begriffen der Systemtheoretiker, Beobachter erster Ordnung. Er beobachtet sich beim Beobachten nicht selbst. Und wenn er darauf gestoßen wird, daß es Bedingungen seines Sehens gibt, dann kann er diese sich nicht anders denken als das, was er zu sehen gewohnt ist, in diesem Fall als empirische, etwa evolutionsbiologische Bedingungen.
Darum ist der Naturalismus eine grundsätzlich defizitäre Position. Im Streit zwischen den Naturalisten und ihren Gegnern reden nicht zwei Gleichrangige aufeinander ein oder aneinander vorbei, sondern der eine versteht den anderen, aber nicht umgekehrt, weil die Dimension, die den einen auszeichnet, im Denken des anderen grundsätzlich keinen Ort hat, was umgekehrt nicht der Fall ist.
Von Ludwig Trepl, @ Balanus.
Zu Ludwik Fleck würde ich auch raten; nach Kuhn zu lesen, obwohl Fleck das Original ist. Und dann Lakatos, der rückt einiges an Kuhn zurecht. Das sind übrigens alles gelernte Naturwissenschaftler gewesen. – Daß für Sie da „nichts wesentlich Neues mehr zu erfahren“ ist, kann man ausschließen angesichts bestimmter Argumentationen, die Sie immer wieder bringen.
„Der Grund der Frage war die Behauptung, es gäbe Wege zu verlässlichem Wissen über physische Gegenstände allein durch Reflexion.“
Wer behauptet das? Es gibt verläßliches Wissen über die Form, die Wissen über physische Gegenstände haben muß. Z. B. Beispiel unterliegt solches Wissen immer der Anschauungsform Raum, oder den modalen Denkformen (es hat immer entweder die Form „es ist so“ oder „es ist notwendig so“ oder „es kann so sein“) usw. Wissen über diese Form ist etwas anderes als Wissen über die Gegenstände, als ihre Erkenntnis. Die gibt es nicht ohne Empirie, weder allein durch Denken noch allein durch Anschauung oder Empfindung. Auch die Reflexion, die auf jene aller Erfahrung zugrundeliegenden im Subjekt liegenden Formen führt, setzt Erfahrung voraus – nicht die Erfahrung von diesem und jenem, sondern Erfahrung überhaupt: auf deren transzendentale Grundlagen wird ja reflektiert. – Wenn Sie aber auf den absoluten Idealismus (Hegel) anspielen, wo die Natur Entäußerung der absoluten Idee ist, so ist diese Konstruktion derart anders als die, um die wir hier bisher diskutiert haben, daß es gar keinen Sinn hat, ohne vorherige Klärung einer Menge von Begriffen darüber zu reden. „Wege zu verlässlichem Wissen über physische Gegenstände allein durch Reflexion“ trifft’s jedenfalls nicht.
„Ich habe also einfach mal unterstellt, Kants und Hegels Diskussionsbeiträge seien bereits Erkenntnisse oder Wissen gewesen.“
Natürlich sind sie Erkenntnisse, und in mancher Hinsicht wirklich Erkenntnisse (Wissen) im strengsten Sinn, was man von empirisch gewonnenem Wissen grundsätzlich nie sagen kann. Eben das ist z. B. so eine sichere Erkenntnis – und zwar eine, die zum notwendigen Selbstbewußtsein der Naturwissenschaften selbst gehört: Alles je vorhandene empirische Wissen ist vielleicht falsch, das vollständige Wissen über unseren Gegenstand ist uns nie, bei keinem Stand der Forschung, gegeben, sondern immer nur aufgegeben. Denn nie kann man wissen, was die nächste Erfahrung bringt. Um zu dieser Erkenntnis zu kommen und sie zu sichern, bedarf es aber der Reflexion auf die Naturwissenschaft, also der Philosophie, die Naturwissenschaft selbst kann nie darauf kommen. Das, worum es da geht, gehört ja nicht in ihren Gegenstandsbereich. – Und: Diese Erkenntnisse (oder dieses Wissen) der Philosophen sind in keinem Punkt naturwissenschaftliche Erkenntnisse. Die kann nur die Naturwissenschaft (empirisch) gewinnen. Aber um zu dieser Erkenntnis von deren Alleinzuständigkeit für solche Erkenntnisse zu kommen, bedarf es wiederum der Philosophie (Reflexion). Lange hat man geglaubt, es ginge auch ohne, nämlich allein durch Denken. Die Naturwissenschaft aber kann dazu gar nichts sagen, die Philosophie kann dagegen herausbekommen, daß das nicht möglich ist.
Sie wollten aber, vermute ich, gar nicht darauf, sondern darauf hinaus: Diskussionsbeiträge zu offenen Fragen (so, wie sich philosophische Texte verstehen) sind noch nicht Erkenntnisse.
Das gilt aber gerade für die Naturwissenschaften grundsätzlich: Nichts ist da wirklich sicher, jeder Stand des Wissens kann überholt werden. Daß die Naturwissenschaftler über die Grundfragen normalerweise nicht streiten und überhaupt in der Regel sich nur Probleme suchen, bei denen es nichts zu streiten gibt, sondern es nur „voranzuschreiten“ gilt, liegt nicht daran, daß es nichts zu streiten gibt (in der Revolution merken sie das dann), sondern an sehr speziellen Mechanismen des Fortschritts in paradigmatisierten Wissenschaften.
Aber für die Philosophie ist das anders. So sehr da über Grundfragen ewig – so ist jedenfalls zu vermuten – gestritten werden wird, so richtig ist auch, daß es völlig sichere Erkenntnis gibt. Daß das Wissen der Naturwissenschaften immer überholt werden kann, daß ihr Ziel, die vollständige Erkenntnis ihres Gegenstands, nie gegeben, wohl aber immer aufgegeben ist, gehört zu diesen sicheren Erkenntnissen. Das werden Sie nicht akzeptieren wollen, Sie werden radikal skeptisch oder relativistisch argumentieren, aber nur, weil Sie sich den fundamentalen Unterschied nicht klarmachen: Wenn das Denken das Denken untersucht, begegnet es nie der Schwierigkeit, daß etwas von außen Kommendes, völlig Zufälliges aus der Perspektive des erkennenden Subjekts, nämlich die Erfahrung, immer alles vorhandene Wissen umstoßen kann. Es ist ein ähnlicher Unterschied wie dieser den Naturwissenschaftlern doch recht geläufige: Über ein Modell (ein reines Denk-Produkt) kann man vollständiges Wissen haben, über die Wirklichkeit, von der das Modell ein Modell sein soll, nie.
„Als Naturwissenschaftler ist man ja gewohnt, dass sich das naturwissenschaftliche Wissen fortlaufend ändert. Kein Erstsemester wird sich ein 20 Jahre altes Biologie-Lehrbuch kaufen. Und natürlich stellt man nicht mehr die Relativitätstheorie oder die Doppelhelix-Struktur der DNA in Frage.“
Nein, nicht „fortlaufend ändert“, das ist auch außerhalb der Naturwissenschaften so; sondern „fortlaufend verbessert“, und zwar so, daß man das frühere Wissen vergessen kann, es ist nur noch „historisch interessant“. Das glaubt der typische Naturwissenschaftler. Und das rührt – nach Kuhn – daher, daß die Lehrbücher, die nach einer Revolution (die es im Großen – siehe Relativitätstheorie – ebenso gibt wie im ganz Kleinen) neu geschrieben werden, die mögliche Wahrheit der unterlegenen Position zum Verschwinden bringen. Die unterlegene alte Position verschwindet nicht deshalb, weil sie widerlegt worden wäre, sondern weil sich die Wissenschaftler der neuen Generation von ihr abkehren (oder, nach Max Planck, weil die Anhänger der alten Position einfach unbekehrt aussterben), obwohl es noch gute Gründe für sie gibt. U. a. wenden sie sich deshalb der neuen Position zu, weil diese viel verspricht, auch wenn sie es nicht einlösen kann – noch nicht, wie man glaubt, vielleicht aber nie.
„In richtig guten Lehrbüchern werden auch Probleme angesprochen, wenn es z. B. unterschiedliche Theorien oder Erklärungsmöglichkeiten zu einem bestimmten Sachverhalt gibt.“
Tatsächlich? Ich kenne nur ein Lehrbuch, in dem das so ist: ein von mir selbst geschriebenes. Und das liest keiner, was nicht überraschend ist. Es ist das Wesen des Lehrbuchs, dergleichen nicht anzusprechen. Wo das doch geschieht, handelt es sich im allgemeinen nicht um das, was man unter Lehrbüchern versteht, sondern um „textbooks“ zu gerade in rascher Entwicklung befindlichen Gebieten, Bücher, die noch mehr Diskussions- als Lehrcharakter haben. Davon gibt es in dem Gebiet, das ich überschaue, so einiges.
„…und man an das anknüpfen kann, was andere vorgemacht haben. So hat es schon unser Höhlenmensch gehalten. Einer sagt, wie’s geht, und andere machen es nach. Man braucht das Rad nicht immer wieder neu zu erfinden. Mit „Naivität“ hat das rein gar nichts zu tun.“
Praktisch ist das gewiß kein schlechter Rat, und die Hermeneutik (bzw. Gadamer) hat es zum Prinzip der richtigen Haltung gegenüber Autoritäten erklärt, in expliziter Absetzung vom Denken der Aufklärung. Aber für die Wissenschaft taugt es nicht so recht. – Nach Popper fing das mit dem Nachmachen, dem Vertrauen aufs Überkommene nicht erst beim Höhlenmenschen an, sondern bei der Amöbe (die steht bei ihm für den Anfang des Lebens). Erst bei den alten Griechen gab es einen Bruch: Man führte die Tradition nicht einfach mehr fort, sondern hinterfragte sie systematisch. Damit begann Wissenschaft – auf dem Gebiet des Denkens begann eine neue Welt. Die alte Welt, die von der „Amöbe“ bis zu den Griechen dauerte, war zu Ende; die Zeit der Naivität dem eigenen Wissen gegenüber war zu Ende. Wenn nun aber Kuhn (explizit gegen Popper) recht hat, dann begann mit der ersten normal science die Zeit der Naivität wieder, aber nur für den normalen Naturwissenschaftler, nicht für das Unternehmen Naturwissenschaft im ganzen, denn diese besteht nicht nur aus den naiven Normalwissenschaften, sondern auch aus den Phasen der Krise und der Revolution, in denen es anders, nämlich kritisch zugeht.
„Ich finde, hier [„welchen soll man nun trauen“] zeigt sich eine gesunde skeptische Grundhaltung sämtlichen Erkenntnissen gegenüber.“
Das ist aber nicht die skeptische Grundhaltung des Wissenschaftlers, sondern die des Religiösen, der auf Bibel und Koran gleichzeitig trifft. Der Wissenschaftler traut weder dem einen noch dem anderen.
@Ludwig Trepl
[20. Januar 2014 12:13]
»Erkenntnistheoretisch aber ist es wahr, daß wir „die Materie“ nicht kennen, sondern immer nur Vorstellungen von ihr kennen, die sich der „Geist“ „macht“. «
Erkenntnis ist eben etwas, was im Geiste stattfindet. Und Geist ist etwas, was im oder am physiologischen Substrat des Gehirns stattfindet.
»Man kann eben nicht nur schreiben, daß „Materie Geist besitzt“, sondern auch fragen, wie denn, wo wir doch nichts kennen als das, was als Vorstellung im Geist ist, etwas überhaupt außerhalb und vor dem Geist sein kann. «
Sicher kann man das. Ob solche selbstbezügliche Fragen sinnvoll sind und zu allseits befriedigenden Antworten führen können, wäre auch etwas, was man fragen könnte.
»Wer das Verbrechen aufzuklären hat, muß sich aber auch damit befassen, ob ein schuldhaftes Verhalten vorlag, ob es Notwehr, Totschlag oder Mord war, muß sehen, ob es, obwohl Mord, mildernde Umstände gab usw. Es bleibt dabei: Der Naturwissenschaftler befaßt sich mit abstrakten Gegenständen, befaßt sich nicht mit der Wirklichkeit. «
Ich finde, die Arbeit der Polizei entspricht in etwa der eines Naturwissenschaftlers. Es geht nur um das faktische Geschehen, den zeitlichen Ablauf der Tatsachen. Wenn diese Fakten dann bekannt sind, hat der Richter eine sichere Grundlage zur Klärung der Schuldfrage. Die Justiz entspräche in diesem Bild also der Philosophie.
Zum vollständigen Bild des Tatgeschehens gehört folglich auch der moralische Aspekt. Also etwas, was die Naturwissenschaft ausblenden muss. Auch wenn sie sie unter Umständen wieder mit ins Spiel kommt, wenn nach der Schuldfähigkeit gefragt wird. Insofern könnte man schon sagen, dass sich die Naturwissenschaft mit „abstrakten Gegenständen“ befasst, eben weil sie sich auf das objektive Geschehen konzentriert und die subjektive Wertung, die ja ebenfalls zur Wirklichkeit der Menschen gehört, anderen Disziplinen überlässt.
»……“…..Auch hier würde ich vermuten, dass der Naturalist eher geradeaus denkt, den Blick allein nach vorne richtet.“
»Eben. Der Naturalist ist der einfache Mann. Er sieht, was er sieht und nicht, was er nicht sieht. Er sieht auch nicht, daß er sieht, sondern glaubt, es wäre an sich so, wie er es sieht.«
Ist das wirklich so, dass der Naturalist das glaubt? Dem Naturalismus nahe steht doch die „Evolutionäre Erkenntnistheorie“, und gemäß dieser ist die menschliche Erkenntnisfähigkeit arg begrenzt. Was der Naturalist aber glaubt, so zumindest habe ich das immer verstanden, ist, dass es keine praktische Rolle spielt, wie die Welt an sich ist, relevant ist nur, wie sie sich uns „zeigt“ (siehe die Felsspalte, vor der unser Höhlenmensch steht). Und dank gewisser technischer Hilfsmittel zeigt sie uns mehr, als wir über unsere Sinne direkt wahrnehmen können. Und mithilfe der Mathematik können sogar Dinge beschrieben werden, bei denen unsere Anschauung total versagt.
»Er [der Naturalist] ist, in den Begriffen der Systemtheoretiker, Beobachter erster Ordnung. Er beobachtet sich beim Beobachten nicht selbst.«
Richtig, weil Selbstbeobachtung nicht zielführend wäre. Wenn er wissen will, was die „Bedingungen seines Sehens“ sind, dann beobachtet er nicht sich, sondern andere. Und dann landen wir, da haben Sie völlig Recht, bei naturwissenschaftlichen und kognitionspsychologischen Dingen, denn nur danach fragt er.
»Darum ist der Naturalismus eine grundsätzlich defizitäre Position. Im Streit zwischen den Naturalisten und ihren Gegnern reden nicht zwei Gleichrangige aufeinander ein oder aneinander vorbei, sondern der eine versteht den anderen, aber nicht umgekehrt, weil die Dimension, die den einen auszeichnet, im Denken des anderen grundsätzlich keinen Ort hat, was umgekehrt nicht der Fall ist.«
Das haben Sie schön gesagt. So wie ich das verstanden habe, ist im Naturalismus das Einfache („Defizitäre“) Programm, der Naturalismus wäre keiner, wenn es anders wäre, wenn er also noch diese Dimension besäße, die die Gegner bei ihm vermissen.
[20. Januar 2014 12:31]
»… … „Der Grund der Frage war die Behauptung, es gäbe Wege zu verlässlichem Wissen über physische Gegenstände allein durch Reflexion.“
Wer behauptet das? «
Hier habe ich wohl irreführend formuliert. Gedacht habe ich dabei an unsere Diskussion darüber, dass wir (angeblich) sicher wissen, dass wir frei sind, wobei ich so frei war, „frei“ als eine Eigenschaft physischer Objekte zu verstehen.
Solange „das Denken das Denken untersucht“, wie Sie schreiben, sehe ich überhaupt keine Probleme. Diese tauchen für mich erst auf, wenn sich das Denken ohne empirische Fundierung auf physische Gegenstände oder Prozesse richtet. Das schien mir im Falle der Willensfreiheitsdiskussion bei manchen Aussagen der Fall zu sein (aber wir gehen jetzt nicht zurück auf ‚Los‘).
»Und das rührt – nach Kuhn – daher, daß die Lehrbücher, die nach einer Revolution (die es im Großen – siehe Relativitätstheorie – ebenso gibt wie im ganz Kleinen) neu geschrieben werden, die mögliche Wahrheit der unterlegenen Position zum Verschwinden bringen. «
Wäre das die Regel, also dass die „unterlegenen Positionen“ doch die „Wahrheit“ sind, hätten die Naturwissenschaften inzwischen ein massives Problem.
»Es ist das Wesen des Lehrbuchs, dergleichen [Probleme] nicht anzusprechen. «
Als ich schrieb: „In richtig guten Lehrbüchern werden auch Probleme angesprochen,…“, bezog sich das auf Ihre Wiedergabe Kuhn‘scher Ideen: „Und Lehrbücher sind grundsätzlich so beschaffen, daß sie den jeweiligen Erkenntnisstand als sicheren Boden, als selbstverständlich anzunehmendes Wissen darstellen, was er aber nicht ist.“
Meine Wertung „richtig gut“ richtete sich also gegen den von Kuhn festgestellten „Mangel“. Aber in Wahrheit ist es wohl so, dass man Lehrbücher nicht über einen Kamm scheren kann, manche wollen nicht mehr sein als eine Art Betriebsanleitung, während andere das Wissensgebiet tiefgehender darstellen wollen. Beides hat wohl seine Berechtigung.
Von Ludwig Trepl, @Balanus.
„Erkenntnis ist eben etwas, was im Geiste stattfindet. Und Geist ist etwas, was im oder am physiologischen Substrat des Gehirns stattfindet.“ Und das „physiologische Substrat“ ist etwas, von dem wir erst mal nur wissen, daß es in unserem Geist existiert. Wir haben keinen direkten Zugang zu dem, was außer uns ist, außer daß wir „davon“ (wie wir glauben) Vorstellungen in unserem Geist haben; reflexiv kommen wir dann dahinter, daß es sinnvoll ist anzunehmen, daß dem etwas außer uns entspricht.
„Ob solche selbstbezügliche Fragen sinnvoll sind und zu allseits befriedigenden Antworten führen können, wäre auch etwas, was man fragen könnte“, was man selbstverständlich in der Erkenntnistheorie fragt. Die Antwort ist, daß diese Fragen zu allseits befriedigenden Erkenntnissen führen können und daß man die teils hat, teils sucht; und daß diese Fragen schon deshalb sinnvoll sind, weil man ohne sie bzw. die Antwort gar nicht wissen könnte, ob die Antworten auf die nicht-selbstbezüglichen, sondern auf Gegenstände gerichteten Fragen überhaupt Erkenntnisse sein können, nicht nur Meinung (bzw. Wissen, objektiv statt nur subjektiv).
„Ich finde, die Arbeit der Polizei entspricht in etwa der eines Naturwissenschaftlers. Es geht nur um das faktische Geschehen, den zeitlichen Ablauf der Tatsachen.“
Nicht ganz. Es geht um den Ablauf des Verbrechens als Verbrechen, nicht als physischen Vorgang. Die Polizei muß dem Gericht auch Erkenntnisse über die Motive liefern, Hinweise, die auf Reue hindeuten, oder sie muß Hinweise bringen, die für die Beurteilung der Schuldfähigkeit von Bedeutung sind (z. B. ob der Täter betrunken war).
„…könnte man schon sagen, dass sich die Naturwissenschaft mit „abstrakten Gegenständen“ befasst, eben weil sie sich auf das objektive Geschehen konzentriert und die subjektive Wertung, die ja ebenfalls zur Wirklichkeit der Menschen gehört, anderen Disziplinen überlässt.
Ein Kantianer würde wohl antworten: Das Sittengesetz verdankt sich nicht einer subjektiven Wertung, sondern ist „eine Tatsache der Vernunft“ (Kant). Es gilt objektiv.
„’Er sieht auch nicht, daß er sieht, sondern glaubt, es wäre an sich so, wie er es sieht.’ [Zitat von mir] Ist das wirklich so, dass der Naturalist das glaubt? Dem Naturalismus nahe steht doch die „Evolutionäre Erkenntnistheorie“, und gemäß dieser ist die menschliche Erkenntnisfähigkeit arg begrenzt.“
Naturalisten sind im allgemeinen Realisten. Die phänomenale Welt fällt für sie mit der Welt an sich zusammen. In diesem Rahmen haben sie dann Vorstellungen von der Begrenztheit der menschlichen Erkenntnisfähigkeit. Die Sinnesorgane der verschiedenen Arten z. B. erlauben nur einen Teil des Lichtspektrums wahrzunehmen. Insofern ist das, was diese Arten (durch Wahrnehmung) erkennen können, begrenzt. Aber es gilt doch das physikalische Lichtspektrum sozusagen als Ding an sich, an ihm wird die Begrenztheit der je subjektiven Wahrnehmungsmöglichkeiten gemessen. Das die Möglichkeiten der Erfahrung Begrenzende ist wiederum etwas Erfahrbares, alle Vorstellungen von Begrenztheit bewegen sich im Rahmen des als Ding an sich sozusagen von einer idealen Physik Erfahrbaren, Erkennbaren. Transzendentalphilosophisch ist aber auch einer idealen Physik das Ding an sich grundsätzlich unzugänglich.
„’Er [der Naturalist] ist …Beobachter erster Ordnung’ |Zitat von mir] Richtig, weil Selbstbeobachtung nicht zielführend wäre.“
Für den Naturwissenschaftler ist sie „nicht zielführend“, d. h. unnötig (außer in Zeiten der Revolution; Heisenberg und Einstein haben sich solche Fragen schon stellen müssen). Aber der Naturalist ist ja nicht Naturwissenschaftler, sondern Philosoph. – „Selbstbeobachtung“ ist schief, so reden halt Systemtheoretiker, die Naturalisten sind. Es geht nicht darum, sich selbst zu beobachten (d. h. sich als Objekt zu nehmen). Das tun Psychologen. Es geht um Reflexion des Denkens auf sich, das ist etwas anderes.
„Gedacht habe ich dabei an unsere Diskussion darüber, dass wir (angeblich) sicher wissen, dass wir frei sind, wobei ich so frei war, „frei“ als eine Eigenschaft physischer Objekte zu verstehen.“
Physische Objekte können die Eigenschaft, frei zu sein, nicht haben. Wenn wir ein Etwas, nämlich einen Menschen, als ein physisches Objekt betrachten, wenn wir also naturwissenschaftlich abstrahieren von allerlei, was für den Menschen wesentlich ist, dann ist an diesem abstrakten Objekt die Eigenschaft der Freiheit wegabstrahiert worden. Gemeint ist sinnvollerweise etwas ganz anderes: Die Folgen der Freiheit (d. h. die Handlungen) sollen (meist) in der physischen Welt stattfinden und tun es auch. – Wenn wir wissen (durch Reflexion des Subjekts auf sich als praktisches, nicht nur erkennendes Subjekt), daß wir frei sind, dann kommen wir dadurch zu schlechterdings gar keinem Wissen „über physische Gegenstände“ – außer daß die physische Welt so beschaffen sein muß, daß sie die physische Realisierung von (manchen) Handlungen nicht unmöglich macht.
„Wäre das die Regel, also dass die „unterlegenen Positionen“ doch die „Wahrheit“ sind, hätten die Naturwissenschaften inzwischen ein massives Problem.“
Kuhn löst das durch eine radikal andere Vorstellung von wissenschaftlichem Fortschritt: Nicht „auf ein Ziel zu“, sondern „von primitiven Anfängen weg“. Wir dürften nicht die Vorstellung haben, daß die anzustrebende Wahrheit als Ziel – egal ob erreichbar oder nie erreichbar, also ideal – am Ende des Forschungsprozesses liegt. Dann wäre in der Tat eine Unmenge von Teil-Wahrheiten im Zuge der Revolutionen vergessen worden und das Ziel, das ja in vollständigem Wissen besteht, wäre nicht erreicht. Sondern – er sagt das explizit in dieser Metapher – man muß sich den Fortschritt denken wie man im Darwinismus die Evolution denkt. Es geht immer von primitiven Anfängen weg, ohne daß man einem Idealzustand näher käme. Jeder Zustand hat Probleme, wer diese Probleme löst, wird zum Ausgangspunkt einer neuen Linie. So verzweigt sich der Baum immer weiter und wird immer höher (weil ab und zu auch Großprobleme gelöst werden, weil alles in allem die Komplexität steigt), ohne daß es doch auf ein Ziel zuginge. Daß unendlich viel an Möglichkeiten unterwegs liegenbleibt – was hätte aus einer ausgestorbenen Art unter anderen Bedingungen alles hervorgehen können! –, ist dann kein „massives Problem“ mehr, denn etwas anderes ist ja nicht zu erwarten. Der endgültigen Wahrheit fehlen nicht Teile, sondern es ist trivialerweise unendlich viel an Möglichkeiten, die einst bestanden, nicht realisiert worden. (Sie können sich vorstellen, daß mich diese Antwort nicht so recht befriedigt – aber vielleicht Sie?)
„Aber in Wahrheit ist es wohl so, dass man Lehrbücher nicht über einen Kamm scheren kann, manche wollen nicht mehr sein als eine Art Betriebsanleitung, während andere das Wissensgebiet tiefgehender darstellen wollen.“
Klar gibt es verschiedene. Manche sind allein unter didaktischen Gesichtspunkten verfaßt (viel merken mit wenig Aufwand oder so was), andere wollen am Puls der Forschung sein (da hat dann meist jedes Kapitel einen anderen Spezialisten als Autor), andere konzentrieren sich auf „Grundlagen“ usw. Aber das Lehrbuch als Literaturgattung hat die Eigenschaften und die Funktion, die Kuhn beschreibt. Es ist eben kein Diskussionsbeitrag zu offenen Fragen.
@ Ludwig Trepl @ Balanus
Man muss so fürchterlich weit nach oben gehen, um mit dem Antwortbutton richtig zu landen. 😉 ..mal sehen, ob ich richtig lande. Der Kommentar ist eventuell doppelt, weil ich was testen wollte.
Ist schon bemerkenswert wie Sie beide in Sachen Geist und Materie immer wieder genau gegensätzlich formulieren, aber den Eindruck erwecken, als sagten Sie dasselbe. Hier z.B. die von mir hervorgehobenen Worte:
“Balanus:„Erkenntnis ist eben etwas, was im Geiste stattfindet. Und Geist ist etwas, was im oder am physiologischen Substrat des Gehirns stattfindet.“ Ludwig Trepl: Und das „physiologische Substrat“ ist etwas, von dem wir erst mal nur wissen, daß es in unserem Geist existiert. Wir haben keinen direkten Zugang zu dem, was außer uns ist, außer daß wir „davon“ (wie wir glauben) Vorstellungen in unserem Geist haben; reflexiv kommen wir dann dahinter, daß es sinnvoll ist anzunehmen, daß dem etwas außer uns entspricht.”
Sie Herr Trepl sagen:“Wir haben keinen direkten Zugang zu dem, was außer uns ist” als sei es eine Bestätiguing dessen, was Balanus sagt. Aber er sagt das Gegenteil nämlich:“Und Geist ist etwas, was im oder am physiologischen Substrat des Gehirns stattfindet.” Für ihn ist es eben nicht so, dass, wie Sie Herr Trepl sagen:“reflexiv kommen wir dann dahinter, daß es sinnvoll ist anzunehmen, daß dem etwas außer uns entspricht” Er würde das vermutlich genau anders herum sagen, eben dass wir reflexiv dahinter kommen, daß es sinnvoll ist anzunehmen, daß dem Materiellen – also nach Ihnen dem Außen – etwas Geistiges in uns entspricht.
Gut, man könnte sagen, den Geist sieht man ohnehin nicht, also ist es letztlich unerheblich, wie herum man die Reihenfolge im Verhältnis der beiden sieht. Ich meine aber, dass das überhaupt nicht unerheblich ist.
Sind Sie meiner Einladung schon gefolgt und haben Sie meinen Artikel zum Thema Geist und Materie schon gelesen? Darin geht es um das Verhältnis Geist – Materie und einen möglichen uralten Irrtum unter demTitel: “ein evolutionsbedingter Irrtum?”.
Über eine Lösung in Bezug auf Ihre widersprüchlichen Formulierungen habeichnochnicht nachgedacht, aber der Artikel könnte dafür von Bedeutung sein.
@Balanus
»Solange „das Denken das Denken untersucht“, […] sehe ich überhaupt keine Probleme. Diese tauchen für mich erst auf, wenn sich das Denken ohne empirische Fundierung auf physische Gegenstände oder Prozesse richtet.«
Von einer “empirischen Fundierung” empirischen Wissens kann eigentlich keine Rede sein, denn empirisches Wissen hat eine gedankliche Reflexion der Prozedur, mit der man dieses Wissen erlangen kann, zur methodischen Voraussetzung. Empirische Wahrheit ist nicht ausschliesslich empirisch begründbar.
Der phänomenale Gegenstand gedanklicher Reflexion manifestiert sich erst durch den Akt der Reflexion, während andererseits diese Reflexion einen phänomenalen Gegenstand erfordert, auf den sie sich beziehen kann. Das eine bedingt das andere und umgekehrt — wir haben keine Sprache, mit der sich der empirische Erkenntnisprozess ohne Rekursion beschreiben liesse. Dies führt unausweichlich zu Paradoxa, wenn sich der Betrachter mit dem Gegenstand seiner Betrachtung oder eines konstituierenden Betandteils davon identifiziert (siehe Schopenhauer, Hofstadter).
Will man diesem vermeintlichen Teufelskreis entkommen und stattdessen eine hierarchischen Ordnung etablieren, dann handelt man sich nur Widersprüche ein. Schön zu sehen etwa bei Bunge, der die Materie zuunterst haben will, dieses aber nur mittels Berufung auf Ontologie erreichen kann, wobei er geflissentlich ignoriert, dass all seine Ontologie wiederum seinem Denken entspringt. Oder auch bei Gerhard Roth mit seiner Hierarchie von Realität und Wirklichkeit, der dann konzedieren muss, dass er nur Hirne erforscht, die gar nicht denken können, womit er gleich die ganze Hirnforschung ad absurdum geführt hat.
@Chrys
»Empirische Wahrheit ist nicht ausschliesslich empirisch begründbar.«
Mir ging es um die Überprüfbarkeit empirischer Fakten (was natürlich auch nicht ohne Denken vonstatten gehen kann). Die Reflexion über die Beobachtung, dass die Sonne von Ost nach West über den Himmel wandert, kann zu einer bestimmten Theorie oder Aussage über bestimmte Eigenschaften der Welt führen. Diese dann zu verabsolutieren, halte ich für problematisch. Will man Beobachtungen erklären, sollte man empirische Methoden heranziehen.
»Der phänomenale Gegenstand gedanklicher Reflexion manifestiert sich erst durch den Akt der Reflexion, während andererseits diese Reflexion einen phänomenalen Gegenstand erfordert, auf den sie sich beziehen kann. Das eine bedingt das andere und umgekehrt — wir haben keine Sprache, mit der sich der empirische Erkenntnisprozess ohne Rekursion beschreiben liesse.«
So sehe ich das im Grunde auch. Allerdings denke ich, dass Gegenstände auch dann existieren, wenn sie nicht als phänomenaler Gegenstand Gegenstand gedanklicher Reflexionen sind.
Und der „Teufelskreis“ ist in der Tat ein „Vermeintlicher“: Phänomenale Gegenstände werden durch Hirn- bzw. Denkprozesse vom tierlichen Organismus sinnlich wahrgenommen und manifestieren sich dadurch in seiner Vorstellungswelt. Fertig.
Dass diese soeben geäußerte Vorstellung dem Denken entspringt, ist klar. Unser Denken ist eben der Start- und Ausgangspunkt von allem, was uns gedanklich überhaupt beschäftigen kann. Nur wenn wir gedanklich zu diesem Ausganspunkt zurückkehren, fangen wir an, uns gedanklich im Kreis zu bewegen.
@ Balanus
Stellen Sie die Aussage von Chrys im Grunde nicht auch wieder auf den Kopf? Er sagt:
“Das eine bedingt das andere und umgekehrt — wir haben keine Sprache, mit der sich der empirische Erkenntnisprozess ohne Rekursion beschreiben liesse.”
und
“Will man diesem vermeintlichen Teufelskreis entkommen und stattdessen eine hierarchischen Ordnung etablieren, dann handelt man sich nur Widersprüche ein.”
Das genau (Letzteres) wollen/tun Sie doch immer. Chrys meint aber dagegen, und darin stimme ich ihm zu, dass wir die beiden separat als Pole stehen lassen sollten/müssen. Das sagt ebenso Ludwig Trepl mit der Überschrift seines Kommentars, den ich auf meinem Blog noch einmal aufgegriffen habe:
“Nicht Wissen steht gegen Meinung und Glauben, sondern Wissen zweierlei Art steht gegeneinander.”
Und @Chrys sagt ergänzend:“Dies führt unausweichlich zu Paradoxa, wenn sich der Betrachter mit dem Gegenstand seiner Betrachtung oder eines konstituierenden Betandteils davon identifiziert (…).Will man diesem vermeintlichen Teufelskreis entkommen und stattdessen eine hierarchischen Ordnung etablieren, dann handelt man sich nur Widersprüche ein.”
Ich denke, er will mit dem “vermeintlichen” Teufelskreis gerade nicht sagen, dass es gar kein Teufelskreis ist, sondern dass es einen Teufelskreis auslöst, wenn “sich der Betrachter mit dem Gegenstand seiner Betrachtung (…) identifiziert “ und dadurch eine hierarchische Ordnung etabliert. Denn dann muss man ja ein vorher und nachher oder drüber und drunter bestimmen. Wir haben es hier jedoch mit den *zwei* ‘Beinen’ ein und derselben ‘Person’ zu tun, und eben zwei Beine,(womit ich auch in meinem Artikel vergleiche). Jedenfalls wenn man die beiden nebeneinander stehen lässt, ist das Problem gelöst. Alles andere, so sagt @Chrys im Grunde, (…wenn ich ihn richtig verstehe) löst Paradoxa aus.
Das aber heißt doch:
wenn das ständige Bemühen, die beiden unter einen Hut zu bekommen ( Hierarchiebildung/Identifizierung zwischen Subjekt-Objekt) nur Paradoxa auslöst, dass dann das Gegenteil richtig sein muss, eben dass unsere Realität nicht von nur einer Realität bestimmt wird, sondern von diesen zwei, die es unbedingt getrennt zu halten gilt. Man kann sie so wenig in einen Topf werfen, wie Mann und Frau, aber wenn sie ein Paar sind, bringen sie gemeinsam neues Leben hervor. 😉 🙂
Ich denke, die ‘Zweibeinigkeit’ ist ein fundamentales Prinzip des Lebens, weil sie Bewegung garantiert. Und – das wissen wir heute auch – alles Leben ist Bewegung.
Vielleicht einfach mal aufhören zu hinken. 😉
@Grenzgängerin [ 24. Januar 2014 15:50 ]
»Stellen Sie die Aussage von Chrys im Grunde nicht auch wieder auf den Kopf?«
Vielleicht, als Naturalist fällt mir das Denken in den von @Chrys angesprochenen Kategorien nicht leicht, da kann ich mich schon mal vergaloppieren (@Chrys kennt das inzwischen von mir und nimmt’s entsprechend locker).
Ich bin mir auch nicht sicher, ob ich wirklich eine (ontologische) „Hierarchie“ etabliere, wenn ich „Geist“ als eine funktionale Systemeigenschaft sehe. Wohl aber finde ich es sinnvoll, Geist und Gehirn auf unterschiedlichen Beschreibungsebenen anzusiedeln. Geist entzieht sich nun mal der direkten Beobachtung, wir können nur den motorischen oder sonstigen Output des Gehirns erfassen.
»Ich denke, er [@Chrys] will mit dem “vermeintlichen” Teufelskreis gerade nicht sagen, dass es gar kein Teufelskreis ist, sondern dass es einen Teufelskreis auslöst, wenn “sich der Betrachter mit dem Gegenstand seiner Betrachtung (…) identifiziert ” und dadurch eine hierarchische Ordnung etabliert.«
Ja, schon, deshalb identifiziert sich der Betrachter ja auch nicht mit dem Gegenstand seiner Betrachtung, sondern er betrachtet logischerweise die Außenwelt. Auch Gerhard Roth hat, als er (im Gedankenexperiment) sein eigenes Gehirn im geöffneten Schädel sah, bloß die Außenwelt betrachtet. Gedanklich kam er dann allerdings ins Schleudern, weil er das nicht so recht gecheckt hatte.
»Ich denke, die ‘Zweibeinigkeit’ ist ein fundamentales Prinzip des Lebens,.. «
Noch fundamentaler erscheint mir die ‚Vierbeinigkeit‘… 😉
@Grenzgängerin / @Balanus
Vielleicht noch eine Anmerkung zu den vorausgegangenen Überlegungen, in hoffentlich halbwegs verständlichen Worten, was gar nicht so leicht fällt.
Wenn versucht wird, die Welt als etwas Allumfassendes zu begreifen, dann kommt man, wie ich meine, tatsächlich in gewisse Schwierigkeiten, die logisch-empirisch unauflösbar sind. Denn einerseits soll die Welt dabei als ein Ganzes, als ein konstruiertes Objekt der Vorstellung quasi “von aussen” betrachtet werden, während sich zugleich gegenüber diesem Objekt keine Perspektive finden lässt, aus der heraus es sich anders als “von innen” darbietet, da die es ja als allumfassend angenommen ist. Dies ist eigentlich nur eine Umformulierung dessen, was bereits in Schopenhauers Gehirnparadoxon enthalten ist, eben das schwierige Verhältnis eines Weltbetrachters zum allumfassenden Gegenstand seiner Betrachtung.
Nun betont @Balanus gelegentlich, das sei nicht sonderlich tragisch, da sich dem Naturforscher (der nicht zwingend ein Naturalist ist!) dieses Problem in der Praxis nicht stellt. Doch studiert der Naturforscher dabei nie die Welt global als Ganzes, sondern immer nur einen lokalen Ausschnitt derselben, eine für seine Fragestellung relevante Diskursdomäne. Lässt sich dann die genannte Schwierigkeit dadurch umgehen, indem man sich die Welt als ein Patchwork aus Diskursdomänen zusammengesetzt denkt, von denen jede einzelne unproblematisch aussieht?
Meiner Ansicht nach nein, denn es könnte doch sein wie bei [Eschers Wasserfall], dessen Paradoxalität erst bei einer globalen Betrachtung ersichtlich wird, jedoch bei einer lokalen Inspektion an jedem Punkt seines Verlaufs völlig unverdächtig wirkt. Man kann i.a. nicht von lokal an jedem Punkt erfüllten Bedingungen auf globale Eigenschaften schliessen.
Kann ich ein Objekt meiner Vorstellung “von aussen” betrachten, so lässt sich unterscheiden zwischen einer Objektsprache zu dessen Beschreibung und einer davon unabhängigen Metasprache zur Festlegung semantischer Regeln für diese Objektsprache, wobei insbsondere gesagt wird, was es bedeuten soll, dass eine objektsprachliche Aussage wahr sei. Wird das Objekt nun als allumfassend vorausgesetzt, dann wären auch metasprachliche Konstatierungen wieder Aussagen über das Objekt, sodass ich hier zwischen Objekt- und Metasprache nicht mehr trennen kann. Die beiden fallen zu einer Sprache zusammen, und ich habe das Problem, dass diese Sprache ihren eigenen Wahrheitsbegriff festlegen soll. Logisch geht das aber nicht (zumindest unter gewissen formalen Annahmen an die Reichhaltigkeit der sprchlichen Ausdrucksmittel, was man bei einer zur Weltbeschreibung ausersehenen Sprache einmal als gegeben annehmen darf).
Das heisst, wenn ich die Welt als allumfassendes Ganzes anschaue, dann habe ich keine Methode mehr zur Hand, nach der ich entscheiden könnte, welche Aussagen über die Welt wahr sind und welche nicht. Der Begriff allumfassend ist ebenso problematisch wie jener der “Allmenge” (der “Menge aller Mengen”) in der naiven Mengentheorie. Eine allumfassende Welt ist mir, mengentheoretisch gesprochen, nicht mehr als Menge, sondern nur noch als echte Klasse denkbar, und von einer solchen kann ich nicht erwarten oder fordern, dass sie frei von Antinonmien zu sein hat. Oder einfacher gesagt, die allumfassende Welt ist schlicht zu gross für meinen Verstand.
Wenn nun ein Naturalist sagt, alles in der Welt gehe mit rechten Dingen zu, dann kann darauf letztlich kein Anspruch als eine logisch-empirische Wahrheit erhoben werden. Das wäre wohl vielmehr ein synthetisches Urteil a priori. Wie sich der Naturalist dann damit arrangiert, ob er das besser verkraftet als die Logischen Empiristen, soll aber nicht meine Sorge sein.
Von Ludwig Trepl, @ Balanus.
Sie sehen also „’Geist’ als eine funktionale Systemeigenschaft“ Das kann man so machen. Man kann ihn auch als eine sehr verdünnte Materie sehen oder als eine Substanz, der bestimmte Eigenschaften (wie Undurchdringlichkeit) fehlen, das wirkt nur ein bißchen veraltet. Aber alles bewegt sich im Rahmen von Objektwissenschaft, und Sie kommen damit an die Fragen der Erkenntnistheorie nicht heran. Sie reden grundsätzlich über etwas anderes. Welche erkenntnistheoretische Frage auch immer angeschnitten wird: Im Handumdrehen haben Sie sie in eine objektwissenschaftliche verwandelt, damit aber zum Verschwinden gebracht. Eine Analogie: Naturalisten pflegen Fragen des Sollens in Fragen des Seins zu verwandeln. Auf „du sollst nicht töten“ kommt: „Aber im Stamme X gilt das Töten als höchste Mannestugend.“ Man redet, wie man sieht, einfach über etwas vollkommen anderes als darüber, worauf die Frage zielte, oder auch: Man hat die Frage einfach nicht verstanden. Das naturalistische Credo hindert daran, sie zu verstehen, sie kann unter diesen Voraussetzungen nie verstanden werden.
„Geist entzieht sich nun mal der direkten Beobachtung“
Eher andersrum. Wenn ich denke, daß ich denke (das gehört doch in die Schublade, auf die Sie „Geist“ schreiben, oder?), dann sage ich das, weil ich direkt beobachte, daß ich denke (die Frage der Mitteilbarkeit dieses Wissens ist ein ganz anderes Thema, damit müssen Sie nicht kommen). Was man aber von der Außenwelt durch Beobachtung erfährt, setzt Denken voraus. Keine „Sinneswahrnehmung“ ist ohne Denken, also allein als physiologischer Prozeß betrachtet, eine Wahrnehmung.
Und gar Beobachtung, d. h. etwas, das man explizit macht, setzt nach Popper (um mal einen zu zitieren, der Ihnen sicher näher ist als Kant) immer „etwas Theoretisches“ voraus. Einen Organismus, der nicht von allem Anfang an eine „Erwartungshaltung“ – also „etwas Theoretisches“ – hat, gibt es nicht, einen, der nie einen Sinneseindruck hat (die dann z. B. die Erwartungshaltung bestätigt oder zerstört), könnte es zumindest geben. Es sieht aus, sagt er, wie ein Henne-und-Ei-Problem, ist aber lösbar: Zuerst kommt das Theoretische.
Alles Physische entzieht sich also der „direkten“ Beobachtung. Nur unter der Voraussetzung, daß das Beobachtungsresultat etwas ist, das ohne „Geist“ nicht möglich ist (ohne Sinneseindrücke natürlich auch nicht, das steckt in „Beobachtung“), gibt es überhaupt Beobachtung. „Direkt“ ist da gar nichts. Eine Bestätigung oder Widerlegung durch den optischen Sinn ist ohne die Vorauszusetzung, daß eine bestimmte Theorie über den Strahlenverlauf im Auge und im optischen Gerät richtig ist, gar nicht möglich. Nebenbei: Ich glaube, daß das für die innere Erfahrung (ich beobachte, daß ich denke) auch gilt (ich widerrufe also den Eingangssatz zumindest zum Teil). Nur apriorisches Wissen ist „direkt“, doch das bezieht sich nur auf die Form. – Nicht anwendbar ist das alles auf den Bereich des Moralischen. Aber das würde hier zu weit führen.
Von Ludwig Trepl, @ Balanus (@Chrys).
„Allerdings denke ich, dass Gegenstände auch dann existieren, wenn sie nicht als phänomenaler Gegenstand Gegenstand gedanklicher Reflexionen sind.“
„Reflexion“ ist schief. Sie meinen wohl einfach: wenn man sie nicht denkt. Das ist aber kein Ergebnis naturwissenschaftlicher Forschung, sondern der Reflexion des Denkens auf sich. Wenn es wahr ist, was Sie im Zitat behaupten, dann ist dieser Glaubenssatz des Naturalismus „Die naturwissenschaftlichen Methoden sind der Königsweg zur Wahrheit, sie können überall angewandt werden und verschaffen Wissen über alles, worüber es überhaupt etwas zu wissen gibt“ (Keil) falsch. Denn mit diesen Methoden können wir nicht zu der Erkenntnis kommen, „dass Gegenstände auch dann existieren …usw.“ Zu ihr kommt das Denken durch Reflexion auf sich selbst. Es analysiert, was darin alles impliziert ist, wenn man „denken“ denkt. Dazu gehört, daß Denken immer Denken von Gegenständen ist und daß Gegenstand immer die Doppelbedeutung hat, etwas vom Denken Gesetztes zu sein (also im Gedanken zu sein und vom Denken in bestimmter Weise konstituiert zu sein) und doch auch etwas zu meinen, das „an sich“ existiert, sofern es sich nicht um reine Phantasiegebilde (falls es das gibt) handelt. Das ist eine Implikation von „Denken“ (und es läßt sich, falls Sie meiner kurzen Bemerkung nicht glauben wollen, streng herausarbeiten). Dieses Wissen haben wir vor aller Empirie, wir setzen es bei aller Empirie vielmehr voraus.
„Unser Denken ist eben der Start- und Ausgangspunkt von allem, was uns gedanklich überhaupt beschäftigen kann. Nur wenn wir gedanklich zu diesem Ausganspunkt zurückkehren, fangen wir an, uns gedanklich im Kreis zu bewegen.“
Ja, wenn man Naturalist ist, sonst nicht. Wenn man Naturalist ist, denkt man: Das Denken ist etwas Empirisches, im Zuge empirisch erklärbarer Vorgänge entstanden. Das aber, denkt dann der Naturalist, denke ich doch; was ich für empirisch gesichert halte, hat doch mein Denken zu Voraussetzung, und dieses Denken ist Ergebnis eben der empirischen Vorgänge, die ich eben denke. „Monistische Ansätze unter dem Konzept der evolutiven Natur als geschlossener Welt des Prozessierens …stehen generell unter der Begründungshypothek, wie das Verhältnis desjenigen Geistes, der diese Prozesse modelliert, als Moment eben des derart Modellierten erfasst werden kann“ (Christoph Hubig). Und da kommt unser Naturalist völlig ins Trudeln.
@Chrys [25. Januar 2014 12:37]
Eine Anmerkung zu der recht verständlichen Anmerkung:
»Lässt sich dann die genannte Schwierigkeit dadurch umgehen, indem man sich die Welt als ein Patchwork aus Diskursdomänen zusammengesetzt denkt, von denen jede einzelne unproblematisch aussieht?
Meiner Ansicht nach nein, …«
Die genannte Schwierigkeit bleibt zwar, aber sie stört nicht bei der Arbeit im Teilbereich. Wenn nirgendwo, in keinem der „Diskursdomänen“ logisch-empirisch unauflösbare Schwierigkeiten auftauchen, dann könnte man das doch als Hinweis darauf nehmen, dass auch das Ganze insgesamt möglicherweise erklärbar ist, und dass die logisch-empirisch unauflösbaren Schwierigkeiten, die bei der Betrachtung des allumfassenden Ganzen auftreten, wie bei Escher im Grunde nur Scheinprobleme sind, hervorgerufen durch unserer Beschränktheit (Objektsprache, Metasprache, Metametasprache, …), oder dadurch, dass wir als Teil des Systems nicht das ganze System adäquat beschreiben können (ich hoffe, es wird ungefähr klar, was ich meine).
»Wenn nun ein Naturalist sagt, alles in der Welt gehe mit rechten Dingen zu, dann kann darauf letztlich kein Anspruch als eine logisch-empirische Wahrheit erhoben werden.«
Ich glaube, dieser Wahrheits-Anspruch wird auch nicht erhoben. Auch der Naturalismus kommt ja nicht ohne metaphysische Annahmen aus, und die Möglichkeit des Irrtums ist glaube ich auch Teil des naturalistischen Programms. Dass es überall in der Welt mit rechten Dingen zugeht, ist eine gut begründete Annahme, mehr nicht. Sobald man einen Ort findet, wo es nachweislich nicht mit rechten Dingen zugeht, ist es aus mit diesem Naturalismus.
Aber wer wäre ich, dass ich hier den Naturalismus verteidigen könnte…
@Ludwig Trepl [25. Januar 2014 13:03]
»Welche erkenntnistheoretische Frage auch immer angeschnitten wird: Im Handumdrehen haben Sie sie in eine objektwissenschaftliche verwandelt, damit aber zum Verschwinden gebracht.«
Was wäre denn eine vergleichbar knappe Antwort der Erkenntnistheoretiker auf die Frage, was „Geist“ ist?
»Eine Analogie: Naturalisten pflegen Fragen des Sollens in Fragen des Seins zu verwandeln. Auf „du sollst nicht töten“ kommt: „Aber im Stamme X gilt das Töten als höchste Mannestugend.“«
Und erkenntnistheoretisch nähert man sich der Antwort ohne Seins-Bezug? Dass es z. B. real Situationen geben könnte, in denen Töten moralische Pflicht ist, spielt überhaupt keine Rolle? Wenn das Töten fremder Stammesmitglieder in der gesamten Menschheit zum angeborenen Verhaltensrepertoire gehören würde und hoch angesehen wäre, dann erschiene ein Gebot wie: „Du sollst nicht töten“, vermutlich ziemlich absurd und moralisch fragwürdig.
»Keine „Sinneswahrnehmung“ ist ohne Denken, also allein als physiologischer Prozeß betrachtet, eine Wahrnehmung. «
Weil Sie „Wahrnehmung“ so definieren, dass es mit „Denken“ einhergehen muss. Aber in meiner Theorie ist „Denken“ zuallererst ein physiologischer Prozess (auch wenn das jetzt weniger interessiert). Darüber hinaus gibt es doch auch unbewusste „Wahrnehmungen“. Auch wenn Sie das vielleicht als einen Widerspruch in sich bezeichnen würden, weil für Sie Wahrnehmung nur in Verbindung mit Bewusstsein gedacht werden kann (alles andere sind bloße Reiz-Reaktion-Ketten).
»Einen Organismus, der nicht von allem Anfang an eine „Erwartungshaltung“ – also „etwas Theoretisches“ – hat, gibt es nicht,…«
Nun, „von allem Anfang an“ lässt sich diese „Erwartungshaltung“ aber rein physiologisch beschreiben, finde ich. Obwohl man schon (metaphorisch) sagen kann, dass die Lichtsinneszelle so etwas wie eine „Theorie“ des Lichtes hat. Wenn also das mit dem „Theoretischen“ gemeint wäre, dann hätte Popper Recht (ich weiß, Popper ging es um etwas völlig anderes).
Im Übrigen: Wie ist es denn mit der Gesichtserkennung? Da gibt es offenbar bestimmte Neuronenverbände, die immer beteiligt sind, wenn es um Gesichtserkennung geht, egal, ob es um visuelle oder, bei von Geburt an Blinden, um auditive Reize geht. Welche „Erwartungshaltung“ oder „Theorie“ haben Neugeborene, bevor sie zum ersten Mal ein Gesicht erblicken, eben außer einer genetisch verankerten?
Oder wie verhält es sich bei einem Geruchserlebnis? Braucht man wirklich vorab eine Theorie, um den Gestank fauler Eier wahrnehmen zu können?
»Alles Physische entzieht sich also der „direkten“ Beobachtung «
Wie aus dem Kontext meiner Ausführungen ersichtlich, bezog sich die „direkte Beobachtung“ auf die messtechnische Erfassung mentaler Zustände. Die Frage, was zuerst da war, der Duftstoff oder der Chemorezeptor oder das Nervensystem oder das Gehirn oder die Theorie, stellt sich da nicht.
@Ludwig Trepl — 25. Januar 2014 14:08
»Wenn man Naturalist ist, denkt man: Das Denken ist etwas Empirisches, im Zuge empirisch erklärbarer Vorgänge entstanden. Das aber, denkt dann der Naturalist, denke ich doch; … «
Warum sollte der Naturalist so etwas denken? Er denkt ja nicht so sehr über sich nach, sondern über die Welt außerhalb seines Ichs. Er selbst (sein Geist) steht im Zentrum seines Universums (so wie jeder Organismus, jeder Mensch im Mittelpunkt seines Universums steht). Von diesem Zentrum aus wird die (phänomenale) Welt erforscht, das (geistige) Zentrum selbst kann nicht gleichzeitig Gegenstand dieser Erforschung sein.
Davon unberührt ist wohl, dass es auch für den Naturalisten erkenntnis- und handlungsleitende Annahmen und Maximen gibt.
» „Monistische Ansätze unter dem Konzept der evolutiven Natur als geschlossener Welt des Prozessierens …stehen generell unter der Begründungshypothek, wie das Verhältnis desjenigen Geistes, der diese Prozesse modelliert, als Moment eben des derart Modellierten erfasst werden kann“ (Christoph Hubig). «
Einem wie mir, der in philosophischen Fragen nicht geschult ist, fällt es schwer, solch eine Frage überhaupt zu verstehen, aber ich denke, ich ahne, worauf das abzielt.
Und der Ausweg aus diesem (sprachlichen?) Dilemma ist ein dualistischer Ansatz? Wenn im dualistischen Denken und Sprechen solche Probleme nicht auftreten, heißt das ja noch lange nicht, dass dualistische Ansätze der Wahrheit näher kommen.
Mich erinnert diese Frage an Eschers „Drawing Hands“.
@Balanus / Scheinprobleme
Dass die Frage nach der Beschaffenheit der Welt im Ganzen irgendwie ein Scheinproblem darstellt, dem könnte ich beipflichten. Die Frage ist ohne jeden praktischen Erkenntniswert, hat keinerlei Aussicht auf schlüssige Beantwortung, und interessiert eigentlich kein Schwein.
Ist schon bemerkenswert, mit welcher Passion dennoch seit Menschengedenken allerorten immer wieder darum gerungen wird.
@Balanus
“Nehmen wir z. B. die Erkenntnis der eigenen Sterblichkeit. Ist es möglich, dass der Mensch allein durch Reflexion, also ohne von der Sterblichkeit anderer Lebewesen zu wissen, drauf kommen kann, dass sein Geist, sein „Ich“, irgendwann vergehen könnte? (Viele denken ja, ihre Seele sei unsterblich.)”
ich wundere mich, dass Sie so fragen. Dieses “…ohne von der Sterblichkeit anderer Lebewesen zu wissen” hat es doch offenkundig nie und nie gegeben, zumindest nicht in dieser Welt. Also hatten Menschen *immer* die Erfahrung.
Oder meinten Sie, – merke ich gerade erst – nicht Erkenntis der eigenen Sterblichkeit im leiblichen Sinn, sondern nur die mögliche Sterblichkeit – Auslöschung – seines Geistes? Die Beobachtung der Sterblichkeit anderer Lebewesen ist ja eine leibliche. Ob der Geist ausgelöscht wird, kann man ja nicht beobachten.
Wenn Sie im ersten Fall fragen würden, warum dem Menschen von Anfang an diese Erfahrung gegeben war und ist, dann von mir aus OK, aber so? Selbst wenn es einen einsamen Ersten gegeben hätte, (….der ja doch gleich als Erwachsener sein Dasein hätte beginnen müssen) er hätte gesehen wie um ihn herum die Tiere geboren werden und sterben.
Denkbar ist vielleicht noch, dass ein in einer menschenähnlichen, also humanoiden Affenfamilie Aufgewachsener im Erwachsenenalter diese typisch menschliche Reflexionsfähigkeit entwickelt hat ( oder ihm eben von Gott in einer solchen Situation diese Fähigkeit ganz neu gegeben wurde, eben wie dem Adam in der Gensis) und er erst da anfing, das Sterben als Sterben zu registrieren.
“Die Willensfreiheit ist Ihrer Ansicht nach etwas, was der Mensch bzw. die Person definitiv nicht bei anderen Lebewesen beobachten kann, weshalb er oder sie nur durch Reflexion davon wissen kann.”
Das kann man dann ja nicht damit vergleichen, er konnte das Sterben im sich herum ja beobachten.
…Na ja, gut, wenn er als erwachsener Humanoid die Sterblichkeit plötzlich wahrgenommen hat, dann mag das tatsächlich evolvierende erste Reflexionstätigkeit gewesen sein. Da er vorher nicht reflektieren konnte, hat er vorher also auch nichts erfahren. Denn Erfahren setzt ja das Bewusstsein voraus. Hm… das wäre aber eine verdammt einsame Situation für den gewesen. Nee, also das erscheint mir zu abwegig.
Sicher wäre er dann “allein durch Reflexion” darauf gekommen, dass auch sein Geist, sein „Ich“, irgendwann vergehen könnte? Aber bezüglich der Leiblichkeit nur dieses eine Mal und dieser eine Mensch. Alles weitere hätte wieder auf Erfahrung beruht.
Ob der Geist mit dem leiblichen Tod auch ausgelöscht wird, darüber wird ja heute noch diskutiert.
@Grenzgängerin
Schön, dass Sie meine Gedanken zur Erkenntnis der eigenen Sterblichkeit aufgreifen. Sie wundern sich über meine Frage, ob wir auch dann von unserer Sterblichkeit wüssten, wenn wir dies nicht aus Erfahrung wüssten (ob Geist oder Körper, ist dabei eigentlich zweitrangig; wir erleben uns ja als Geist in einem Körper).
Meine Überlegungen hierzu sollten an das anknüpfen, was im vorherigen Blog-Beitrag angesprochen wurde:
Die nicht-naturalistische These ist, dass es neben diesem Königsweg noch andere Wege zu verlässlichem Wissen gibt. Ein Beispiel dafür könnte das Wissen um die Willensfreiheit sein. Dieses Wissen muss allein aus der Reflexion (und dem inneren Gefühl) kommen, denn empirisch lässt sich da überhaupt nichts feststellen.
Nun frage ich aber, wie es um die Verlässlichkeit eines Wissens bestellt ist, das ohne jegliche Empirie gewonnen wurde. Wann darf man der Reflexion (und dem Gefühl) trauen, und wann nicht?
Von daher kam der Gedanke mit dem Wissen um die eigene Sterblichkeit. Das ist, meine ich, Erfahrungswissen pur. Würden wir nicht von klein auf hören: „…und wenn sie nicht gestorben sind…“, und würden wir das Sterben nicht erleben, woher sollten wir wissen, was wir selbst sterblich sind?
Es ist, finde ich, doch erstaunlich, dass etwas so elementares und absolut sicheres wie der eigene Tod nicht gewusst werden kann, wenn das Sterben (oder fast Sterben) und der Tod nicht auf irgendeine Weise erfahren wird.
Ich deute das als Hinweis darauf, dass einem Wissen, das allein durch Reflexion gewonnenen wurde und sich auf physische Gegenstände bezieht, nicht zu trauen ist.
(Bin mal gespannt, ob ich die richtige Gliederungsebene getroffen habe…)
Von Ludwig Trepl, @ Balanus @ Grenzgängerin.
Darf ich an diesen Blogartikel von mir erinnern? Da bin ich auf die Frage des Wissens um unsere eigene Sterblichkeit ausführlich eingegangen.
Da ist eben mit dem Verknüpfen etwas schiefgegangen. Das ist der Artikel, auf den ich verwiesen habe:
https://scilogs.spektrum.de/landschaft-oekologie/der-tod-verhindert-da-es-mit-dem-leben-zu-ende-geht-anmerkungen-zu-einer-prognose-des-szientifischen-naturalismus/
Grenzgängerin@Ludwig Trepl
danke fürden Link. Ich kann heute noch nicht lesen, aber der Titel hört sich in meinen Ohren ja schon sehr richtig an 🙂
“Der Tod verhindert, daß es mit dem Leben zu Ende geht. “
Nichts in unserem Universum ist beständiger, also ewiger, als das Werden und Vergehen. Es ist das einzige Beständigkeit, die auch etwas über die Ewigkeitsfähigkeit unseres Lebens aussagt. Ja, das Werden und Vergehen rettet unser Leben.
……aber muss erst mal lesen.
@Balanus
“(….. wir erleben uns ja als Geist in einem Körper).”
….was das, das höre ich ja zum ersten Mal von Ihnen.
Wir haben hier nun schon über 300 Kommentare, man sollte allmählich aufhören. Um das Aufhören etwas zu beschleunigen, stelle ich jetzt einen neuen Artikel ein. Er wird, so hoffe ich, keine Gelegenheit bieten, wieder über Naturalismus, Willensfreiheit usw. zu diskutieren, dafür endlich mal wieder über etwas anderes.
Vorsicht bei der Vermenung der juristisch “vorbelasteten” Begriffe Eigentum (= Befugnis, alle anderen von der Benutzung der Sache auszuschließen) und Besitz (= Sachherrschaft). Durch Diebstahl oder Nichtrückgabe von Büchern erwirbt der Täter kein Eigentum. (Es könnte passieren, dass durch Pfändung beim Dieb mit anschließender Zwangsversteigerung ein anderer tatsächlich Eigentümer des Buches wird, aber das geht vom Thema doch zu weit ab).
Unter dieser Prämisse möchte Ihr Nicht-Zurückgeber also bestenfalls etwas rechtlich Unmögliches. Ich würde auch schon bestreiten – jedenfalls in den allermeisten Fällen nicht zurückgegebener Bücher –, dass beim Entleiher eine Zueignungsabsicht [1] überhaupt besteht. Betrug im juristischen Sinne liegt ebenfalls nicht vor: Es fehlt an der für die Vermögensverfügung (Hergabe des Buches) kausalen Täuschungshandlung. Wird die Zueignungsabsicht bejaht, könnte eine Unterschlagung (§ 246 Abs. 2 StGB) vorliegen.
Nach Geissler und Kohl [2] könne ein verfassungsmäßiges Verfahren “niemals unmoralisch” sein, das heißt: Jedes verfassungsmäßige Verfahren sei moralisch. Daraus folgt, dass jedes verfassungsmäßig zustandegekommene Gesetz moralisch ist, also (auch) ein Gesetz der Moral ist. Das ist natürlich totaler Quatsch, weil aus der Einhaltung der Form (Verfassungsmäßigkeit) nicht der Inhalt (Vernünftigkeit) folgt, aber es zeigt doch mit welchem Selbstverständnis Politik gemacht wird.
Dennoch ist nicht ausgeschlossen, dass im vorliegenden Gesetz tatsächlich nichts anderes als das Ergebnis als eine vernünftige Regelung der Leihe niedergeschrieben, also tatsächlich Moral (im Sinne von Vernunft) “positiv” kodifiziert wurde. Und wenn ich es mir so durchlese, dann ist doch genau das Gesetzestext geworden, was wir hier schon als vernünftig erkannt haben.
(Man könnte nun vielleicht noch die Frage anschließen, ob wir es vielleicht nur deshalb als vernünftig erkennen, weil wir hier einfach in einer Leihpraxis sozialisiert wurden, die nicht erst seit dem Entstehungsjahr des BGB, also 1900, so ist, wie wir sie heute im Gesetz nachlesen können.)
Es kann natürlich auch sein, dass es das soziale und rechtliche Institut der Leihe in Frankreich nicht in der Form gibt, wie es hier existiert. Es kann auch sein, dass das Verhältnis “des Franzosen” zum materiellen Ding anders emotional geprägt ist, etwa so, dass er sich fragt, worüber wir hier diskutieren oder ob es nicht Überschwang ist, die Nicht-Rückgabe eines Buches auf eine Stufe mit Raub, Mord oder Betrug zu stellen.
[1] http://www.rechtswoerterbuch.de/recht/z/zueignung/ “Zueignung liegt vor, wenn der Täter die Sache selbst oder den in ihr bestimmungsgemäß verkörperten Sachwert seinem eigenen oder dem Vermögen eines Dritten einverleibt.”
[2] http://de.wikipedia.org/wiki/Misstrauensvotum
»In einer persönlichen Erklärung zur Abstimmung erklärte die FDP-Abgeordnete Hildegard Hamm-Brücher, mit dem konstruktiven Misstrauensvotum werde die „moralisch-sittliche Integrität“ von Machtwechseln beschädigt, woraufhin der CDU-Generalsekretär Heiner Geißler scharf protestierte und ausrief, dass ein verfassungsmäßiges Verfahren „niemals unmoralisch“ sein könne. Zum Schluss ergriff Helmut Kohl noch einmal das Wort und unterstützte Geißler in dieser Hinsicht.«
@Ludwig Trepl.
Ganz am Ende schreiben Sie selbst das, warum ich nach dem Nutzen frage:
Wie bereits zuvor in „… und man durch das Nicht-Zurückgeben nur die Schusseligkeit des Verleihers fies ausnutzt.“ behaupten Sie hier einen Nutzen. Wenn das ein Themenwechsel ist, so stammt er von Ihnen.
Dass durch bloße Untätigkeit Erklärungen als abgegeben gelten bzw. dass durch bloße Erklärungen ein Eigentümerwechsel bewirkt wird, das gibt es nur im Märchen und in Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Wenn ich die Rückgabe vergesse, also nichts tue, dann gebe ich insbesondere keine solche Erklärung ab. Ich habe auch noch einmal nachgeschaut, was das bürgerliche Recht dazu bestimmt: Es kommt zu keiner Ersitzung [1], und wenn ich § 604 Abs. 5 BGB richtig verstehe, verjährt sogar der Rückforderungsanspruch bei einer unbefristeten Ausleihe nicht.
So hatte ich den Hinweis auf das Verstaubenlassen gar nicht gemeint, also als ein Argument für den Entleiher, sondern er bezog sich ausschließlich auf den vermeintlichen Nutzen (“fies ausgenutzt”) durch den Entleiher für den Fall, dass das Buch gerade nicht genutzt wird.
Diese Frage stellt sich ja nicht mehr, weil der Gesetzgeber bereits entschieden hat, die Rückgabe zu regeln. § 604 Abs. 2 BGB legt fest: Ist eine Zeit nicht bestimmt, so ist die Sache zurückzugeben, nachdem der Entleiher den sich aus dem Zweck der Leihe ergebenden Gebrauch gemacht hat. Der Verleiher kann die Sache schon vorher zurückfordern, wenn so viel Zeit verstrichen ist, dass der Entleiher den Gebrauch hätte machen können.
Man darf dem nachlässigen Entleiher also neben der Nichtrückgabe auch noch den Rechtsbruch vorwerfen. So ein Schuft! Aber die passende Verteidigungsstrategie zeichnet sich ab: “Ich bin noch nicht dazu gekommen, es zu (Ende zu) lesen.” – um die Rückgabe kommt er so zwar nicht herum, aber sein Verhalten ist rechtlich wie moralisch endwandfrei.
Ein weiter Anwendungsfall der beziehungserhaltenden Notlüge. 😉
[1] http://de.wikipedia.org/wiki/Ersitzung#Bewegliche_Sachen_.28.C2.A7.C2.A7_937.E2.80.93945_BGB.29
Von Ludwig Trepl, @ Ano Nym.
„Ganz am Ende schreiben Sie selbst das, warum ich nach dem Nutzen frage: Die Ähnlichkeit besteht nur in dem Punkt, daß man die Vergeßlichkeit anderer ausnutzt.“
Da habe ich Ihr Argument ganz falsch verstanden, nämlich „als ein Argument für den Entleiher“; so wie es halt im Leben sehr häufig vorkommt: Ich kann ihm sein Eigentum wegnehmen, er benutzt es ja doch nicht, bei mir hat es wenigstens einen Nutzen.
„Dass durch bloße Untätigkeit Erklärungen als abgegeben gelten bzw. dass durch bloße Erklärungen ein Eigentümerwechsel bewirkt wird, das gibt es nur im Märchen und …“
Da haben Sie mein Argument ganz falsch verstanden. Natürlich wird das nicht zurückgegebene Buch nicht im rechtlichen Sinne Eigentum des Entleihers, nur weil der Verleiher sich nicht darum kümmert. Aber der Nicht-Zurückgeber möchte es zu seinem Eigentum machen, indem er es nicht zurückgibt (und in unserem konstruierten Fall, in dem ja nie herauskommen kann, daß es eigentlich nicht seines ist, wird er sogar juristisch Eigentümer – aber durch einen unerkannten-unerkennbaren Betrug). Das Argument bezieht sich also auf den ganz normalen Fall der Eigentumsbildung durch moralisch unerlaubte Mittel, ob das nun Diebstahl ist oder Steuerhinterziehung oder Raubmord oder der Enkel-Trick. Man kommt um die rechtliche Verfolgung sicher herum, aber das ist in unserem Kontext nicht entscheidend, weil es ja nur um Moral geht. Eigentum heißt nur: Ich hab das jetzt, nicht mehr er, und das wird, weil die Umstände nun mal so sind (vergessen, keine Zeugen …), auch gesellschaftlich anerkannt.
(Klassiker: Loge zu Wotan im Rheingold: „Was ein Dieb stahl, das stiehlst du dem Dieb. Ward je leichter ein Eigen erlangt?“)
„’Es stellt sich die Frage, ob diese Maximen gesetzestauglich sind in dem Sinne, daß man anderen einen Vorwurf machen kann, wenn sie sie nicht teilen.’ Diese Frage stellt sich ja nicht mehr, weil der Gesetzgeber bereits entschieden hat …“
Auch das haben Sie falsch verstanden, diesmal habe ich daran aber keine Schuld. Ich habe ausdrücklich geschrieben, daß „Gesetz“ sich auf moralische Gesetze bezieht, nicht auf juristische, gar auf bloß positives Recht. Im ethischen Kontext („moralische Gesetze“) steht dem Begriff des Gesetzes nicht das gesetzlich Ungeregelte oder das dem geltenden Gesetz widersprechende gegenüber, sondern die Maxime, die sich jeder nach Belieben machen kann. Diese wird der Vernunftprüfung unterzogen, und wenn sie die besteht, ist sie moralisches Gesetz und nicht mehr bloß Maxime. Das ist nur eine Tautologie: Vernunftprüfung bestehen heißt halt, für jeden gültig sein. Wenn man dagegenhalten will, muß man sich dem Historismus anschließen, wie er im 19. Jahrhundert aufkam: Es gibt die Vernunft nicht, jede Kultur, jede Nation hat historisch bedingt ihre eigene; unsere deutsche Vernunft verstehen die Franzosen mit ihrer französischen Vernunft sowieso nicht, also können sie uns auch nicht kritisieren …
@Ludwig Trepl
Danke, jetzt habe ich es wieder. Ich würde das – und das habe ich beim letzten Mal wohl auch schon geschrieben – aber nicht ein Gesetz nennen, sondern eher eine persönliche Maxime, die ich in der genannten Form übrigens auch teile. Und zwar eine, die ich im Bereich der Umgangsformen einordne. Ich will aber nicht ausschließen, dass es Kulturkreise gibt, in denen es üblich ist, dass Sachen erst auf Anforderung des Verleihers zurückgegeben werden.
Universell ist das also keineswegs, sondern die Praxis (Verkehrssitte) der Gemeinschaft legt hier fest, wie eine zweiseitiges Geschäft (Leihe) gemeint ist und wen welche Pflichten treffen.
Kann es andererseits auch sein, dass es sich bei dem Nicheinsehenwollen um eine Schutzbehauptung des Entleihers gegenüber einem zutreffenden und gerade deshalb als ehrverletzend empfundenen Vorwurf, das Buch nicht zurückgegeben zu haben, handelt?
Liegt hier womöglich der Auslöser für die Schutzbehauptung in der Desavouierung des Entleihers? Kann es sein, dass dies sogar abstrakt möglich ist, also der Geltungsleugner – ohne konkret die Rückgabe eines Buches schuldig zu sein – die Geltung deshalb leugnet, weil er feststellt, dass er vernünftigerweise ebenfalls zur Geltung der Maxime neigt, sich bisher solcherlei Gedanken über die Rückgabeverpflichtungen einfach nur noch nie gemacht hat?
Will also der, der die Geltung nicht einsehen ‘will’, in Wirklichkeit nur seine intellektuelle Satisfaktionsfähigkeit wiederherstellen? (Ich gebe zu: Das ist ziemlich psychologisierend, aber immerhin ein zweiter Erklärungsversuch.)
Von Ludwig Trepl, @ Ano Nym.
„Ich würde das … aber nicht ein Gesetz nennen, sondern eher eine persönliche Maxime“.
Ich würde sagen: Es ist eine persönliche Maxime, die zugleich ein Gesetz ist, also eine Maxime der Art, wie man sie haben sollte- ganz unabhängig von irgendwelchen gesellschaftlichen Üblichkeiten. Ob es sich um eine Maxime handelt, die man haben sollte oder eine, die man ablegen sollte, ergibt sich (wenn man nicht meint, entscheidend sei Gottes Befehl) durch Vernunftprüfung der Maxime. Und die müßte doch ergeben: Wenn „es üblich ist, dass Sachen erst auf Anforderung des Verleihers zurückgegeben werden“ und dabei nicht unterschieden wird, ob der Verleiher die Nicht-Zurückgabe auch will (er sozusagen unausgesprochen ein Geschenk macht), oder ob er das Verleihen bloß vergessen hat und man durch das Nicht-Zurückgeben nur die Schusseligkeit des Verleihers fies ausnutzt – dann müßte dieser Kulturkreis seine moralische Maxime ändern, sie ist nicht „gesetzesfähig“, weil argumentativ nicht durchzuhalten. Es ist so ähnlich wie mit dem Enkel-Trick: Man gib sich bei uralten Leuten als der in Amerika lebende Enkel aus. Ab und zu trifft man auf jemand, der einem das abnimmt, weil er sich nicht mehr so recht erinnern kann, mag er auch sonst noch ganz zurechnungsfähig sein. Man muß hier sozusagen einen unterstellten wirklichen Willen des Betrogenen ins Feld führen.
Das mit der Wiederherstellung der „intellektuellen Satisfaktionsfähigkeit“ scheint mir richtig. So dürfte sich eine Menge von Fällen, in denen jemand etwas bestreitet, was doch zweifellos einsichtig ist, erklären lassen.
Mir könnten Sie bedenkenlos eines Ihrer Bücher leihen. Dennoch kann ich Ihnen nicht unter allen Umstädnden garantieren, dass Sie Ihr Buch unaufgefordert zurückerhalten, etwa dann, wenn ich es auf meinem Schreibtisch “vergraben” habe und ich deshalb den Umstand des Zurückgebenmüssens (ebenfalls) verschussele. Aber: In einem solchen Fall wäre mir das ausgesprochen unangenehm, weil es gegen meine eigene Maxime verstößt. Man nennt das wohl “ein schlechtes Gewissen haben”. Ich gehöre allerdings nicht zu denen, die das dann mit fadenscheinigen Ausflüchten unter den Teppich zu kehren versuchen oder – wie es insbesondere unter dem demokratischem Führungspersonal üblich ist – mit (vermeintlichen) Verfehlungen der anderen Seite aufrechnen.
Aber in der Ausleihe steckt doch schon eine ganze Menge gesellschaftliche Üblichkeit als Voraussetzung drin, z.B. die verinnertlichte Eigentumsordnung. Auch haben viele Medieninhaber zum Medium (Buch, Schallplatte, CD usw.; aber auch etwa zu ihrem Auto) ein fetischisierendes Verhältnis, d.h. für sie ist der Gegenstand mehr als nur ein technisches Produkt mit einem Zweck. Man kann solche Gegenstände erkennen. Z. B. deuten bei Büchern trotz Lektüre noch vorhandene Schutzumschläge untrüglich auf einen transzendenten Zusatznutzen. Hier kann es auch bei rechtzeitiger und unaufgeforderter Rückgabe zu Ärgernissen kommen, wenn das Buch durch Gebrauchsspuren entweiht ist. Solche aufgeladenen Gegenstände würde ich nicht entleihen wollen.
Wenn das Buch in meinem statt in Ihrem Bücherregal verstaubt, wo ist da mein Nutzen?
Ich bitte Sie! Da liegt der Fall genau anders herum: Beim Enkel-Trick erregt der Betrüger beim vermeintlichen Opa den Irrtum, der Betrüger sei der Enkel. Durch diesen Irrtum wird eine Vermögensverfügung zu Lasten des Opas bewirkt.
Beim vergessenen Buch erfolgt erst die Vermögensverfügung (Besitzverschaffung am Buch, Eigentum bleibt beim Verleiher) und später wird das Verleihen vergessen. In der Regel kommt auch noch ein Vegessen auf der Entleiher-Seite hinzu. Doppeltes Verschusseln hier vorsätzliche Täuschung da.
Maximen und Gesetze .
Von Ludwig Trepl, @ Ano Nym.
Wir sind zwar ziemlich weit vom Thema dieses Blogs, aber es macht Vergnügen, mit Ihnen zu diskutieren, weil’s da doch um einiges genauer zugeht als meist.
„Dennoch kann ich Ihnen nicht unter allen Umständen garantieren, dass Sie Ihr Buch unaufgefordert zurückerhalten, etwa dann, wenn ich es auf meinem Schreibtisch “vergraben” habe und ich deshalb den Umstand des Zurückgebenmüssens (ebenfalls) verschussele.“
Ja, aber wofür ist das ein Argument? Es geht doch darum, ob die Buchzurückgeben-Maxime nur eine beliebige persönliche Maxime ist oder eine „gesetzesfähige“. – In Ihrem Beispiel wäre Ihnen dann nicht vorsätzlicher Betrug vorzuwerfen, sondern nur, daß Sie nicht durch Notizen usw. hinreichende Vorsorge gegen Ihre Ihnen doch bekannte Schusseligkeit getroffen haben. Dem Verleiher dagegen ist sein Schusseligkeit gar nicht vorzuwerfen.
In einem solchen Fall wäre mir das ausgesprochen unangenehm, weil es gegen meine eigene Maxime verstößt. Man nennt das wohl “ein schlechtes Gewissen haben”.
Da muß man scharf trennen: Wer gegen seine eigene Maxime verstößt und von dieser weiß, daß es nur seine eigene Maxime ist, die er sich halt gegeben hat, was er auch hätte lassen können (z. B. nie mehr eine bestimmte Art von Kleidung zu tragen), dann sind die Vorwürfe, die er sich macht, nicht von der Art eines schlechten Gewissens, sondern er ärgert sich nur über seine eigene Schwäche, die Absicht nicht durchgehalten zu haben. Nur wer seine eigene Maxime für ein Gesetz hält, d. h. für eine Maxime, die jeder haben sollte und wegen deren Fehlen er meint, anderen Vorwürfe machen zu können, dem schlägt das Gewissen. Es kann natürlich irrtümlich schlagen, weil die Prüfung seiner eigenen Maxime auf Vernünftigkeit fehlerhaft war.
„Wenn das Buch in meinem statt in Ihrem Bücherregal verstaubt, wo ist da mein Nutzen?“
Da nehmen Sie einen Themenwechsel vor, bzw. Sie schließen Nutzen mit Moral kurz. Aber der Eigentümer darf sein Buch verstauben lassen, der das Buch Ausleihende darf es nicht zu seinem Eigentum erklären. Man könnte dem Eigentümer, der sein Buch verstauben läßt, allenfalls den moralischen Vorwurf machen, daß es es doch verleihen oder verschenken sollte, aber der Entleiher kann daraus kein Argument gewinnen, das Buch nicht zurückzugeben.
Dagegen haben Sie nun ein Argument: „Aber in der Ausleihe steckt doch schon eine ganze Menge gesellschaftliche Üblichkeit als Voraussetzung drin, z.B. die verinnerlichte Eigentumsordnung.“
Das Argument (abgesehen von der psychologisierenden Form, die Sie ihm geben) soll von Hegel stammen. Die Antwort (ich hab’ sie von B. Grünewald) ist einfach: Die Frage, ob es Bücher und Eigentümer von Büchern und die Praxis des Verleihens überhaupt geben sollte, ist in der Tat „mit der Prüfung der besagten Maximen nicht auszumachen“, sondern „dazu müssten wir etwa die Maxime prüfen, wonach wir alles Eigentum abschaffen wollten“. Man müßte auch etwa mit Karl Kraus die These prüfen: Bücher soll es geben, Zeitungen dagegen nicht, und dann könnte man die weitere These auf ihre Eignung für eine gesetzestaugliche Maxime prüfen: Eine geliehene Zeitung ist nicht zurückzugeben, sondern zu vernichten. Mal sehen, wie die Prüfung ausgeht.
Was das Eigentum angeht, dürfte die Prüfung differenziert ausfallen. Man müßte sicher unterscheiden zwischen (a) Eigentum wie dem typischen Adelseigentum, das durch Raub (Verteilen des Landes der Besiegten an verdiente Krieger) entstanden ist, (b) Kapitalisteneigentum (das dadurch zustande kommt, daß der Kapitalist den diesen Reichtum Erarbeitenden insgesamt weniger zahlt, als er wert ist und den Überschuß einstreicht (jetzt meldet sich sicher gleich unser @Webbärchen und verteidigt den Liberalismus), und (c) Eigentum, das man sich durch eigene Arbeit oder gleichen („gerechten“) Tausch erworben hat. Vielleicht gibt es noch einiges mehr.
Aber das ändert alles nichts im Hinblick auf unsere Frage: Man gibt sich Maximen und kann sich letztlich beliebige Maximen geben. Es stellt sich die Frage, ob diese Maximen gesetzestauglich sind in dem Sinne, daß man anderen einen Vorwurf machen kann, wenn sie sie nicht teilen. Vernünftigerweise gibt es dafür nur eine Möglichkeit: Prüfung durch die Vernunft – wie auch immer das aussehen mag, wie immer man dann die jeweiligen in der Maxime enthaltenen normativ geladenen Begriffe wiederum prüft usw. Die Alternative besteht darin, die Autonomie (Selbstgesetzgebung) aufzugeben und zur Heteronomie zurückzukehren: Nachschlagen in heiligen Büchern, den Priester fragen, den Herrscher fragen, auf die öffentliche Meinung hören, allein positives Recht gelten zu lassen und was es da an Varianten mehr gibt.
„’Es ist so ähnlich wie mit dem Enkel-Trick:’ Ich bitte Sie! Da liegt der Fall genau anders herum“
Deshalb habe ich ja auch nur „ähnlich“ geschrieben und nicht „gleich“. Die Ähnlichkeit besteht nur in dem Punkt, daß man die Vergeßlichkeit anderer ausnutzt.
Naturbegriff und Reflexion /@Ludwig Trepl
»Na, da wäre ich etwas vorsichtiger. …Vielleicht sagt man schon nächstes Jahr, daß alles vor 234 Milliarden Jahren … begonnen hat…«
Ja, das ist selbstverständlich einkalkuliert.
»Es ist halt alles etwas komplizierter, wenn man nicht nur, wie ein Naturwissenschaftler legitimerweise und ein Naturalist illegitimerweise, „die Welt“ (als Inbegriff der Gegenstände des Denkens) vor Augen hat, …«
Absolut! Solange unser Höhlenmensch sein Denken auf die zu überspringende Felspalte richtet, scheinen die Dinge recht unkompliziert. Wenn er aber anfängt, sein Denken auf sein Denken zu richten, läuft er Gefahr, den vielleicht rettenden Sprung zu versäumen. Da kommt einem der Tausendfüßler in den Sinn, der ins Stolpern gerät, als er über die Bewegungen seiner vielen Beinchen nachdenkt.
Es scheint, als sei bei der Evolution des Menschenhirns die Reflexionsfähigkeit etwas zu kurz gekommen. Sprechen und Laufen lernen schaffen alle Gesunde mühelos, aber mit dem Reflektieren über die Dinge jenseits des naturwissenschaftlichen Beobachtungshorizonts tun sich die meisten ziemlich schwer.
»Beim Betreiben von Wissenschaften wie Mathematik und Logik oder von Erkenntnistheorie und anderer „Reflexionswissenschaften“ beobachtet man nicht Gedanken, sondern man konstruiert und analysiert mittels des Denkens.«
Aber „mittels des Denkens“ ist das, um was es mir ging in meinem Kommentar, nämlich darum, den Begriff „Beobachtung“ nicht bloß auf das visuell Sichtbare zu beschränken. Gemeint war, dass nur die Gedanken und Ideen, die im Bewusstsein aufscheinen, für Konstruktion und Analyse zur Verfügung stehen und mitgeteilt werden können. Dieses „ins Bewusstsein dringen“ sehe ich als eine Art „Beobachtung“ oder „Wahrnehmung“. Das Bewusstsein, als funktioneller Teil des kognitiven Apparates (also nicht das phänomenal erlebte Bewusstsein), „beobachtet“ gewissermaßen, was ihm von anderen Teilen des Gesamtsystems zugespielt wird. So in etwa…
Natur und Person /@Ludwig Trepl
»Mit dem Wahrnehmen als Personen nehmen wir die Menschen als etwas wahr, das nicht nur Natur ist. Wie aber soll das gehen, wenn „alles“ Natur und es also nichts als Natur gibt? Entweder ist unsere Wahrnehmung der Menschen als Personen falsch, illusionär (wie Roth usw. meinen),…«
„Falsch“ oder „illusionär“ würde ich nicht sagen, es ist einfach die Art und Weise, wie wir unsere Artgenossen in der Regel wahrnehmen, als was wir sie eben wahrnehmen, ohne dass sie das auch real sein müssten.
Es gibt sozusagen zwei Arten von Realitäten, die meiner Wahrnehmung, meiner Sicht auf die Dinge der Welt, und die der Dinge als solche. Das Himmelsblau z. B. ist für mich real, ich nehme den Himmel als blau wahr. Aber er ist es nicht wirklich, es gibt für diese Wahrnehmung keine zwingende physikalische Entsprechung.
»Ich behaupte, daß jeder zurechnungsfähige Mensch das Wissen um die Willensfreiheit hat; er könnte sonst gar nicht als Mensch leben, auch Wissenschaft wäre dann unmöglich.«
Ich bleibe dabei: Wir wissen lediglich, das wir tun können, was wir wollen. Das genügt vollauf.
»Die Existenz anderer Meinungen spricht also überhaupt nicht dagegen, daß das Wissen um die Willensfreiheit zwingend ist. Es gibt eine Menge zwingenden Wissens, dem nicht alle zustimmen.«
Ich dachte, „Intuition“ würde bedeuten, dass man sich dem nicht entziehen kann. Wie Sie ja weiter oben zur (philosophischen) Intuition schrieben: „…es ist notwendig so, und alle anderen sehen das auch und sehen, daß das notwendig so ist.“
»Er will dieses Wissen aber nicht haben. Dies zum einen, weil es „es nicht gewesen sein will“ (…). Und zum anderen, weil er es sich naturwissenschaftlich nicht erklären kann und meint, daß nicht sein kann, was nicht sein darf.«
Wenn ich (mit Schopenhauer) behaupte, dass ich tun kann, was ich will, dann bin ich’s logischerweise auch gewesen, der’s getan hat.
In der Tat ist es ein intellektuelles Problem, etwas, für das es keine natürliche Erklärung gibt oder geben kann, zu akzeptieren. Deshalb ja auch die Flucht ins Transzendentale…
»…Kant’sche Herleitung aus dem Sittengesetz als einer „Tatsache der Vernunft“…apriorische Wissen das um das Sittengesetz…«
Ich denke ja auch, dass es so etwas wie ein „Sittengesetz“ gibt. Individuen in sozialen Lebensgemeinschaften folgen bestimmten „Regeln“. Manche sind genetisch vorprogrammiert, andere werden erlernt. Inwiefern das, auf den Menschen bezogen, „Freiheit“ implizieren soll, ist mir allerdings nicht ganz klar. Diese „Regeln“ erkannt und als Sittengesetz formuliert zu haben, wirkt sich auf die Natur oder die Fähigkeiten des Menschen ja nicht aus. Er konnte schon vor dem Sittengesetz tun, was er wollte, und kann es in Kenntnis des Sittengesetzes ganz genauso. Aber tun können, was man will, ist noch keine Willensfreiheit. Höchstens im transzendentalen Sinne.
»Wenn wir wissen (und das wissen wir), daß wir sollen, dann wissen wir auch, daß wir können (unseren Willen dahin zu bestimmen, daß wir das Gesollte in Angriff nehmen, …«
Wenn ich das richtig verstehe, dann soll ich mein Wollen bzw. meinen Willen nach Belieben bestimmen können. Zumindest dem Prinzip nach.
Welche Mittel stehen mir denn zur Verfügung, um meinen Willen so zu bestimmen, dass ich genau das will, was ich laut Sittengesetz soll? Ist der Wille nicht etwas, was in enger Beziehung steht zu den Bedürfnissen, Vorlieben und Neigungen einer Person? Also zu Merkmalen, die einem vorgegeben sind und die man kaum kontrollieren kann?
Der Begriff „Willensbildung“ impliziert doch, dass etwas gebildet, also (auf der Ebene des Denkens) aktiv gemacht oder getan wird. Also müsste es etwas geben, das für die Willensbildung zuständig ist. Sie schrieben mal, es gäbe keine spezielle Instanz zur Willensbildung, sondern das sei Sache der Person selbst (wobei die Person aber nicht mit einem Homunkulus verwechselt werden darf).
Ich muss zugeben, dass es mir praktisch unmöglich ist, mir das Ganze irgendwie vorzustellen:
»Aber nicht weniger zwingend als die Frage, wie die Welt ist, ist uns Menschen (unserer Vernunft) die Frage, was wir in ihr sollen, nicht weniger „real“ ist das, was sich daraus ergibt.«
Damit habe ich kein Problem. Was bei den Menschen im Kopf vorgeht, ist höchst real, und wenn es die absurdesten Wahnvorstellungen sind.
Von Ludwig Trepl, @ Balanus.
„’Falsch’ oder ‚illusionär’ würde ich nicht sagen, es [„Wahrnehmen als Personen“] ist einfach die Art und Weise, wie wir unsere Artgenossen in der Regel wahrnehmen, als was wir sie eben wahrnehmen, ohne dass sie das auch real sein müssten.“
Wenn Sie das so meinten, wie man es früher so schön gesagt hat: „Herr, vor Dir ist all unsere Weisheit Torheit“, d. h. daß alles, was wir denken, vor der göttlichen Wahrheit falsch sein könnte, daß es, wie die Nominalisten (die ersten, die ungefähr so dachten wie Sie) meinten, für uns nur die „untere Wahrheit“ gibt und gerade das, was die Naturwissenschaften liefern, untere Wahrheit ist, hätte ich damit wenig Probleme, bzw. man müßte da halt anfangen, auf ganz anderer Ebene zu diskutieren. Aber Sie meinen das ja nicht so. Sie schreiben dann ja „ich nehme den Himmel als blau wahr. Aber er ist es nicht wirklich, es gibt für diese Wahrnehmung keine zwingende physikalische Entsprechung“. D. h. „real“ ist für Sie das, was sich physikalisch ergibt, aber gerade das ist es, was „vor Gott“ nichtig sein könnte. – Doch ist das ein anderer Fall. Das Wissen um die phänomenale Welt ist aus bekannten Gründen halt nur Wissen über das, was uns erscheint. Dagegen ist das Wissen um uns als Person (z. B. das Wissen um unsere Verantwortlichkeit – nicht für dies oder jenes, da kann man sich täuschen, sondern darum, daß uns überhaupt Verantwortlichkeit zukommt) kein Wissen um die phänomenale Welt. Da „erscheint“ uns nichts.
„Ich bleibe dabei: Wir wissen lediglich, das wir tun können, was wir wollen. Das genügt vollauf.“
Wir können keineswegs immer tun, was wir wollen. Wir können es nur, wenn wir frei sind (die Hume’sche Definition von Freiheit war etwa so: tun können, was man will). D. h. frei sind wir, wenn es keine Hindernisse gibt, die die Ausführung des Gewollten unmöglich machen. Daß der Wille frei ist, ist dabei als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt. Aber die Diskussion geht ja heute gerade darum, ob der Wille frei ist. Nicht erst äußere Umstände hindern mich, zu tun, was ich will, sondern bereits die Bildung des Willens habe ich nicht in der Hand, ist die These. Wenn ich Böses will, liegt das nicht an mir, sondern irgend etwas, worauf ich keinen Einfluß habe, hat meinen Willen in diese Richtung gezwungen. Das, was man immer schon wußte über die Möglichkeit unfreier Willensbildung (Drogen, Gehirnwäsche …), wird zu einem Sachverhalt erklärt, von dem es keine Ausnahme gibt.
„»Die Existenz anderer Meinungen spricht also überhaupt nicht dagegen, daß das Wissen um die Willensfreiheit zwingend ist. Es gibt eine Menge zwingenden Wissens, dem nicht alle zustimmen.« [Zitat von mir] Ich dachte, „Intuition“ würde bedeuten, dass man sich dem nicht entziehen kann.“
Ich habe mich an dieser Stelle nicht auf die Intuition in dem Verständnis bezogen, das impliziert ist, wenn man sagt, an einer bestimmten Stelle des Beweisgangs ist allen intuitiv klar (sie „sehen“ es), daß der Satz des Pythagoras stimmt. Es gibt auch Erkenntnisse, die erst durch oft langwierige Argumentationen zu Tage kommen, aber doch zwingend sind. „Es gibt eine Menge zwingenden Wissens, dem nicht alle zustimmen“ – dazu gehört z. B. ein Großteil des naturwissenschaftlichen Wissens. Daß das Lungenkrebsrisiko durch Rauchen steigt, weisen sehr viele mit dem Argument ab „aber mein kettenrauchender Großvater ist 90 Jahre alt geworden“. Es ist aber wahr, daß das Risiko durch Rauchen steigt, und das Großvater-Argument ist falsch. Aber auch das habe ich nicht gemeint, sondern Erkenntnisse von der Art mancher moralischer Gesetze: Jedem leuchten sie sofort ein, aber nicht jeder will, daß sie gelten und darum überredet er sich dazu zu „glauben“, daß sie nicht gelten, obwohl er das in Wirklichkeit nicht glaubt.
„In der Tat ist es ein intellektuelles Problem, etwas, für das es keine natürliche Erklärung gibt oder geben kann, zu akzeptieren. Deshalb ja auch die Flucht ins Transzendentale…“
Trotz Ihrer Beteuerung neulich verwechseln Sie transzendent und transzendental. Sie meinen hier „Flucht ins Transzendente“. Ins Transzendentale kann man nicht fliehen, wenn man keine natürliche Erklärung hat. Denn das Transzendentale ist Bedingung der Möglichkeit der „natürlichen Erklärung“. Transzendental ist das, was man bei der „natürlichen Erklärung“ nicht durch Erfahrung findet, sondern voraussetzen muß, weil es sonst gar keine Erfahrung geben kann: Apriorisches, Formen der Anschauung und des Denkens. Daß wir Personen sind, d. h. daß wir zurechnungsfähig und also verantwortlich sind, ist nun freilich keine transzendentale Bedingung der Erkenntnis der phänomenalen Welt (allenfalls auf irgendwelchen Umwegen), wohl aber eine der Praxis. Wir sind eben nun mal nicht nur erkennende, sondern auch handelnde Wesen.
„»Aber nicht weniger zwingend als die Frage, wie die Welt ist, ist uns Menschen (unserer Vernunft) die Frage, was wir in ihr sollen, nicht weniger „real“ ist das, was sich daraus ergibt.« [Zitat von mir] Damit habe ich kein Problem. Was bei den Menschen im Kopf vorgeht, ist höchst real, und wenn es die absurdesten Wahnvorstellungen sind.“
Ich glaube, Sie haben das anders verstanden, als ich es gemeint habe. Natürlich sind falsche Gedanken und Wahnvorstellungen nicht weniger Realitäten (raumzeitliche Ereignisse in Gehirnen) als wahre. Ich meinte aber die Praxis im Unterschied zur Erkenntnis, das Sollen im Unterschied zum Sein. Ein bloß erkennender Mensch ist kein realer Mensch, sondern eine Abstraktion. Und natürlich: Was sich aus dem Sollen ergibt, ob man ihm nun folgt oder sich widersetzt, hat wiederum reale Folgen auf der Erkenntnisebene; die erkennbare, phänomenale Welt ist eine andere je nach dem, ob man sich in der Praxis an das Gebot „du sollte nicht töten“ hält oder nicht.
Können Sie zur Auffrischung vielleicht einmal ein oder zwei von diesen Gesetzen zum Besten geben. Je länger ich an diesen Diskussionen hier teilnehme, desto öfter habe ich das Gefühl, diese Gesetze – sofern sie von Ihnen überhaupt bereits genannt und von mir als solche anerkannt wurden – immerzu und immerfort zu vergessen.
Normalerweise ist Vergesslichkeit bei mir ein Zeichen dafür, dass das, was ich da vergesse, nur schwach bedeutsam ist.
Von Ludwig Trepl, @ Ano Nym.
„Können Sie zur Auffrischung vielleicht einmal ein oder zwei von diesen Gesetzen zum Besten geben.“
Es ist nicht möglich, einen einzelnen ethischen Wert (ein moralisches Gesetz) unabhängig von dem Gesamtsystem dieser Werte und unabhängig vom Kontext zu nennen. Eine „Gesetzestafel“ ist also nicht möglich, zumindest nimmt sie einem das eigene Denken nicht ab. Mein fünfjähriger Enkel hatte nicht so ganz Unrecht: Auf die Frage, was das denn für ein Film im Kika ist, antwortete er: Da geht es um Moses, der hat den Menschen zehn Angebote gebracht.
Aber vorstellen kann man sich’s doch leicht. Ich soll, heißt in meinem Fall das Gesetz, das geliehene Buch auch dann zurückgeben, wenn der Besitzer die Sache völlig vergessen hat. Es gibt keinen, der das nicht einsieht, allerdings etliche, die es nicht einsehen wollen.
@ Ludwig Trep
“Aber vorstellen kann man sich’s doch leicht. Ich soll, heißt in meinem Fall das Gesetz, das geliehene Buch auch dann zurückgeben, wenn der Besitzer die Sache völlig vergessen hat. Es gibt keinen, der das nicht einsieht, allerdings etliche, die es nicht einsehen wollen.”
Hm…, da bin ich mir nicht mehr so ganz sicher, ob es inzwischen nicht doch derer gibt, die “nicht einsehen”.
Wer etwa in einer Weltanschauungsgemeinschaft groß wird, bei der es eine Maxime ist, dass nur all das als Wahrheit gilt, was den eigenen Zielen dient, ungeachtet der Mittel und wenn ein ganzes Denksystem und Lebensumfeld darauf aufgebaut ist und derjenige bislang mit nichts anderem in Berührung kam, wie soll der einsehen und sich leicht vorstellen können, dass er das Buch zurückgeben soll, das er dringend braucht oder vielleicht einfach nur haben will?
Von Ludwig Trepl, @Grenzgängerin.
Die Sache mit dem geliehenen Buch:
„Hm…, da bin ich mir nicht mehr so ganz sicher, ob es inzwischen nicht doch derer gibt, die “nicht einsehen”.“
Mal davon abgesehen, ob es nicht statt „inzwischen“ besser „immer noch“ heißen sollte: Irgendwie haben Sie schon recht, aber nur irgendwie, denn irgendwie hab’ ich auch recht. Ich habe unglücklich formuliert, habe versucht, in einen Satz zu pressen, was doch längere Ausführungen braucht.
Es sind ja nicht nur Weltanschauungsgemeinschaften, sondern ziemlich beliebige soziale Gruppen, denen etwas Falsches als wahr gilt, und zwar reinen Herzens. Ein Beispiel, das gerade in den Medien ist: Zigeuner sind sehr moralische Leute, aber sie stehlen, und zwar seit Jahrhunderten, doch nicht bei jedem, wohl aber bei Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft. Auf der anderen Seite galt es bei den Angehörigen der christlichen Mehrheitsgesellschaft nicht als verwerflich, Zigeuner zu mißhandeln und zu ermorden, das war über Jahrhunderte völlig selbstverständlich, nicht erst in der NS-Zeit. (Es galt so wenig als verwerflich wie im christlichen Argentinien des 19. Jahrhunderts das Ermorden von Indianern, da gab es sogar Kopfprämien dafür; die wurden mit gutem Gewissen einkassiert.) Auf eine etwas abgemilderte Form dieser Volksmoral spekuliert die derzeitige CSU-Kampagne.
Dennoch ist es verwerflich. So wahr es ist, daß 8 x 4 nicht 37 ist, auch wenn Klein-Fritzchen das ganz ehrlich glaubt, so wahr ist es, daß Stehlen, Morden und geliehene Bücher nicht zurückzugeben moralisch verwerflich ist. Nun war meine Behauptung aber, daß jeder das weiß, und eben habe ich Beispiele gebracht, in denen klar wird, daß es nicht jeder weiß. Habe ich vielleicht gemeint, daß jeder das insgeheim weiß, etwa in der Art von etwas Verdrängtem? Davon weiß man sozusagen an der Oberfläche auch nichts mehr, aber darunter ist das Wissen noch da und kann jederzeit wieder an die Oberfläche kommen. Nun habe ich aber behauptet, daß die genannten Verbrechen/Vergehen „reinen Herzens“ oder „reinen Gewissens“ begangen werden. Das paßt mit der Verdrängungs-These nicht so recht zusammen. Bei der Gewissensprüfung pflegt das Verdrängte sich zu melden.
Nun habe ich das Buch-Beispiel genommen, weil „unter uns“ es jeder sofort einsieht – trotz aller Bemühungen des Neoliberalismus, allein den Erfolg zählen zu lassen und außer dem positiven Recht (mit dem man in dem Beispiel nicht in Konflikt gerät: es wird keine Anzeige geben) keine Begrenzungen der individuellen Freiheit, sich etwas anzueignen, gelten zu lassen. „Unter uns“ kann in dem Buch-Beispiel allenfalls die Verdrängungs-These zutreffen, doch im allgemeinen trifft nicht einmal die; wenn einer behauptet, er würde es nicht einsehen, daß er in dem genannten Fall das Buch zurückgeben muß, so ist das nichts als affektiertes Getue. Ja, das Beispiel würde wohl nicht nur “unter uns”, sondern sogar in allen Gesellschaften sofort eingesehen werden, wenigstens wenn der Verleiher der Gruppe derer angehört, die da als vollwertige Menschen gelten. Es gehört zu den Fällen, die völlig kulturübergreifend jeder „anständige Mensch“ kapiert.
Mit vielen moralischen Ge-/Verboten steht es aber nicht so einfach. Abgesehen davon, daß, daß sie immer im Rahmen des gesamten Wertesystems und in Abhängigkeit von der Situation beurteilt werden müssen: Es waren oft Lernprozesse nötig, die sich über Jahrtausende hinzogen, bis die Wahrheit klar wurde. Dazu gehörte auch, daß „Mensch“ nicht in Voll- und Halbmensch usw. unterteilt werden darf. Wir können sicher sein, daß wir selbst nicht am Ende solcher Lernprozesse stehen. Wichtig ist dabei, daß es sich um Lernen handelt, d. h. daß man der Wahrheit näher kommt, nicht, daß sich nur Werte kulturell ändern, ohne daß dabei etwas richtiger würde, wie es der relativistische Zeitgeist gern hätte (obwohl es das natürlich auch gibt).
Wie urteilt nun unter diesen Bedingungen ein idealer Richter – angenommen, er kann sich nicht auf Paragraphen stützen, sondern schafft mit seinem Urteil erst eine Rechtslage? Er wird sagen, daß der Täter hätte wissen können, was richtig ist; es sei ihm zuzumuten, den Menschheits-Lernprozeß nachzuvollziehen, der z. B. zu der Einsicht geführt hat, daß man Geliehenes zurückgeben muß oder daß man Menschen bestimmter ethnischer Zugehörigkeit nicht einfach totschlagen darf. Der Täter mag die Einsicht haben oder nicht: Er hätte sie haben können, sie ist von ihm zu fordern, er ist schuldig. Allenfalls wird unser Idealrichter als mildernden Umstand gelten lassen, daß der Täter von Kindheit an in seinem Umkreis nie mit einer anderen als seiner falschen Meinung konfrontiert wurde; schuldig bleibt er trotzdem.
@Ludwig Trepl
»Trotz Ihrer Beteuerung neulich verwechseln Sie transzendent und transzendental. Sie meinen hier „Flucht ins Transzendente“. «
Gedacht hatte ich an die Kant’sche transzendentale Freiheit. Wenn angesichts der Unmöglichkeit eines freien Willens im Physischen die Freiheit des Willens transzendental gedacht wird, dann kommt mir das wie ein Versuch vor, die Idee der Freiheit zu retten (vielleicht sollte ich generell auf den Gebrauch bestimmter Fachbegriffe, die ohnehin nichts Wesentliches zur Klärung beitragen, sondern eher die Sache verschleiern, verzichten).
»Aber mit dem nächsten Satz sagen [S]ie implizit schon, worum es geht: „Am Ende muss immer ein Bedürfnis, ein Motiv, ein Grund oder ein Reiz die Oberhand gewinnen, damit er/sie/es handlungsbestimmend werden kann.“ Es kann also auch ein Grund die Oberhand gewinnen über die physischen Ursachen,… «
Der Begriff „Grund“ ist nicht versehentlich in meine Aufzählung geraten. Für mich ist das, was gemeinhin und in der Philosophie abstrakt „Grund“ genannt wird, selbstverständlich auf der physischen Ebene realisiert. Denn sonst könnte er m. E. nicht handlungswirksam werden. Es müsste also gezeigt werden, dass „Gründe“ keine physische Basierung haben, damit der Satz: „Ein Grund kann Oberhand gewinnen über die physischen Ursachen“, einen Sinn ergibt.
Angenommen, ein Mensch gibt ein entliehenes Buch zurück aus Gründen der Moral. Weiter angenommen, die Technik würde uns erlauben, sämtliche physischen Prozesse dieses Vorgangs zu erfassen, bis in die letzte Synapse. Der Beobachter, der nichts von dem tieferen (subjektiven) Grund der Buchrückgabe weiß, würde also lückenlos das kausale Geschehen dieses Vorganges erfassen, er könnte im Prinzip die Sache ursächlich zurückverfolgen bis zur Befruchtung der Eizelle, aus der der Mensch hervorgegangen ist. Er würde sehen, wann die Entscheidung, das Buch zurückzugeben, faktisch getroffen wurde, und wann sie dem Menschen als solche bewusst geworden ist (in dieser Reihenfolge, nach dem derzeitigen Stand der Kenntnisse).
Was folgt daraus?
Der Naturalist könnte schließen, dass die Rede von der Willens- und Entscheidungsfreiheit eben bloß eine Rede ist. Die Annahme einer „Willensfreiheit“ fügt der natürlichen Erklärung des Geschehens rein gar nichts hinzu, sie erklärt absolut nichts am beobachtbaren Teil des Vorgangs der Buchrückgabe aus moralischen Gründen.
Wenn der Beobachter sämtliche neurophysiologischen Vorgänge nicht nur aufzeichnen, sondern auch dem psychischen Erleben des Menschen zuordnen könnte, dann würde er sogar rekonstruieren können, dass das Buch aus moralischen Gründen zurückgegeben wurde. Dass dies aus praktischen Gründen kaum möglich ist, steht auf einem anderen Blatt.
Für den Naturalisten wäre die Sache damit erledigt, alles fügt sich widerspruchsfrei aneinander, die Willensfreiheitsdebatte kann den Philosophen und Theologen überlassen werden—vorausgesetzt, diese machen im Zusammenhang mit der Willensfreiheit keine Aussagen, die der Empirie widersprechen (wie etwa die buchstäblich gemeinte mentale Verursachung).
Entscheidungen /@Ludwig Trepl
»Wenn ein Mensch oder ein Tier mechanisch dem stärkeren Bedürfnis oder dem stärkeren Reiz folgt, dann würden wir nicht von einer Entscheidung sprechen.«
Damit legen Sie die Messlatte aber sehr hoch, so hoch, dass praktisch überhaupt nicht mehr von „Entscheidung“ gesprochen werden kann.
Wenn z. B. das Bedürfnis, Wein zu trinken, geringer ins Gewicht fällt als das Bestreben, fahrtüchtig zu bleiben, dann wird eben kein Wein bestellt. Eine Stunde später kann sich die Sache umkehren, dann wird doch Wein geordert, und das Risiko einer Trunkenheitsfahrt in Kauf genommen. Am Ende muss immer ein Bedürfnis, ein Motiv, ein Grund oder ein Reiz die Oberhand gewinnen, damit er/sie/es handlungsbestimmend werden kann. Das alles funktioniert rein mechanisch auf der neurophysiologischen Ebene, auch wenn es auf einer anderen Beschreibungsebene „Willensbildung“ oder „willentliche Entscheidung“ genannt wird.
Wenn es dann am nächsten Tag heißt: Es war seine freie Entscheidung, sein eigener Wille, niemand hat ihn gezwungen, so viel Wein zu trinken, er ist selber schuld, dass er seine Fahrerlaubnis verloren hat, dann stimmt auch das. Schließlich war er ja (zumindest anfangs) bei klarem Verstand, als er (unbewusst) dem jeweils stärksten Handlungsmotiv gefolgt ist (auch wenn einem schwächeren Motiv gar nicht gefolgt werden konnte, weil eine schwächere Motivation per Definition nicht zu einer Handlung führen kann — vermutlich, weil es am Aufbau des nötigen Bereitschaftspotentials fehlt).
Der Spruch aus der Bibel: Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach, deutet schon auf die richtigen Kräfteverhältnisse hin: Handlungsentscheidend ist am Ende die Physis.
@Balanus
Darin sollte ich, weil es grundlegend ist, doch schon vorab widersprechen, auch wenn ich es im Moment nur erst oberflächlich begründen kann.
Der Spruch aus der Bibel: Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach, deutet schon auf die richtigen Kräfteverhältnisse hin: Handlungsentscheidend ist am Ende die Physis.”
Es liegt m.E. anders herum. Was in dem Spruch mit Geist gemeint ist, würde ich in diesem Fall mit Verstand übersetzen. Zur Zeit Jesu umfasste Geist vermutlich alles, was irgendwie damit zu tun hat, Verstand, Bewusstsein etc. Das muss man heute aber unterscheiden. (…zumindest tue ich es schon so).
Ich würde deshalb so deuten: der Verstand ist willig, das Fleisch ist deshalb schwach, weil der Geist, der sich unbewusst im Willen kundtut, nicht oder anders will. Was der Verstand als richtig erkannt hat, wird allzuoft vom Willen, hinter dem unser Geist agiert, konterkariert. Er ist es, der nicht oder anders will und naturgegeben stärkeren Einfluss auf Leib und Seele hat, als unser Verstand. Schließlich ist er der ursprüngliche ‘Chef im Hause’, obwohl er eben, ich schrieb es schon, ein blinder, ‘havarierter’ Chef ist und sich deshalb nur in unserem Unbewussten bewegen kann. (… letzterer Umstand ist übrigens die wahre Ursache für die ewige Willensfreiheitsdiskussion) Unser Verstand muss also im Verbund mit der Seele, die sich nur im Leib artikulieren kann, als Lotse (..und Maulkorb) des Geistes fungieren. Wenn wir dem Verstand auf Dauer und im Einklang mit der Seele gegenüber dem Geist führende Oberhand ermöglichen wollen, bedarf es einiger bewusster, gezielter Anstrengungen.
Soweit vorab…
@Balanus
in Ergänzung dazu vielleicht aus obigem Kommentar von mir:
Handlungen naturgesteuert?
Von Ludwig Trepl, @ Balanus.
„»Wenn ein Mensch oder ein Tier mechanisch dem stärkeren Bedürfnis oder dem stärkeren Reiz folgt, dann würden wir nicht von einer Entscheidung sprechen.« [Zitat von mir] Damit legen Sie die Messlatte aber sehr hoch, so hoch, dass praktisch überhaupt nicht mehr von „Entscheidung“ gesprochen werden kann.“
„überhaupt nicht mehr von „Entscheidung“ gesprochen werden kann“ stimmt bei Menschen nicht. Es ist eher (wenn auch nicht ganz) umgekehrt. Wieder mal ein Zitat von einem meiner unbekannten Lieblingsphilosophen: „So mag Handeln durch … harten Winterbeginn … bestimmt zu sein scheinen, also durch ein Naturereignis. Aber das ist nur Schein. Denn es gibt keine natural-kausale Verknüpfung zwischen dem Naturereignis als solchem und der Subjektleistung, welche Handeln heißt.“ (Hans Wagner, Reflexion, 396) Das heißt, daß Handeln nur dann Handeln ist, wenn es eine „Subjektleistung“ ist und das heißt in diesem Falle, wenn es aufgrund einer Entscheidung erfolgte. Andernfalls ist es nicht Handeln, sondern nur Verhalten. Sie müßten also sagen, dass praktisch überhaupt nicht mehr von Handlung gesprochen werden kann.
Der Handelnde kann den harten Winterbeginn auch ignorieren; wenn dieser die natural-kausale Verursachung seines Handelns zu sein scheint, dann deshalb, weil er das Wissen um diese Naturtatsache zu einem Grund seiner Willensbestimmung/Entscheidung gemacht hat. Handelt es sich nur um Verhalten, so kommen Entscheidungen nicht vor, beispielsweise wenn der sich Verhaltende „reflexartig“ die Kapuze über den Kopf zieht. – Es gibt noch ein „mechanisches“ Verhalten anderer Art, z. B. wenn der Beamte „automatisch“ immer dann, wenn der Bittsteller eintritt, „nicht zuständig“ sagt: da hat der Beamte früher eine Entscheidung getroffen, sich in Zukunft nicht mehr zu entscheiden, sondern mechanisch zu reagieren.
Davon abgesehen: Wenn wir die Sache naturwissenschaftlich betrachten, finden wir (das haben wir uns ja gegenseitig schon mehrmals bestätigt) keine Freiheit, also keine Entscheidung. Naturwissenschaftlich stimmt es also: „Das alles funktioniert rein mechanisch auf der neurophysiologischen Ebene “ D. h. Die Naturwissenschaft findet immer etwas „Mechanisches“ als Ursache oder sie findet eben gar nichts (und sucht weiter).
Aber mit dem nächsten Satz sagen sie implizit schon, worum es geht: „Am Ende muss immer ein Bedürfnis, ein Motiv, ein Grund oder ein Reiz die Oberhand gewinnen, damit er/sie/es handlungsbestimmend werden kann.“ Es kann also auch ein Grund die Oberhand gewinnen über die physischen Ursachen, und das kann einer sein, der nicht natürlicher Art ist und der alle natürlichen (oder kulturell bedingten) Bedürfnisse oder Reize aussticht, und „Moralität“ verlangt eben dies: Die natürlichen (oder durch Kultur entstandenen) Bedürfnisse sind vor der Handlung zu prüfen, ob sie von dem moralischen Gesetz erlaubt werden. Das wissen wir mit völliger Sicherheit.
Das natürliche oder anerzogene Bedürfnis, jemanden umzubringen, mag noch so stark sein: Das moralische Gesetz erlaubt es nicht, diesem Bedürfnis gemäß zu handeln. Wir sollen diesem Gesetz gehorchen, also können wir es auch. Ob wir das im realen Fall auch schaffen, ist eine andere Frage. Vielleicht schafft es in manchen Fällen von moralisch Ge-/Verbotenem kein einziger: Wir sollen es trotzdem, können es also. Und umgekehrt, wenn wir es schaffen, können wir nie absolut sicher sein, ob wir wirklich nur dem Gesetz gehorcht haben (also nicht irgendwelchen vorhandenen Bedürfnissen oder Neigungen folgten; vielleicht gibt es ja ein uns selbst verborgenes Motiv in uns, z. B. in den Himmel kommen zu wollen oder vor den Nachbarn gut dastehen zu wollen). Praktisch freilich gibt es Fälle, wo es eher abwegig wäre, die aufrichtige moralische Motivation in Frage zu stellen. Manfred Krug als Tatort-Kommissar zu einem schwulen Sexualstraftäter, der jammerte „aber ich bin nun mal von Natur aus so, ich kann nicht anders“: „Doch, Sie können anders. Ich hab’ auch manchmal Lust, eine 16jährige zu vögeln, aber ich tu’s nicht“.
Doch auf viel oder wenig oder real überhaupt nicht kommt es gar nicht an; vielleicht ist die Mehrzahl, vielleicht nur ein winziger Teil, in manchen Fällen vielleicht gar nichts von den moralisch erlaubten/gebotenen Handlungen auch moralisch motiviert: Sie sollen und können moralisch motiviert sein und nicht vom natürlichen Kampf der Neigungen entschieden werden.
Es ist also so: Der „Spruch aus der Bibel“ ist verkürzt zitiert: „Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach“, und das „deutet schon auf die richtigen Kräfteverhältnisse hin: Handlungsentscheidend ist am Ende die Physis.“ Denn der Kontext zeigt, was gemeint ist: Obwohl das meist so ist (vielleicht sogar in manchen Fällen bisher immer so gewesen ist), so soll es doch nicht so sein und muß folglich auch nicht so sein (u. a. dafür steht das Ideal „Jesus“; ihm nachzufolgen bedeutet, daß der Geist willig und stärker als das Fleisch ist).
@Ludwig Trepl: Wissenschaftliche Psychologie u.a.
Was genau heißt “von sich aus”? Entscheidet ein Computer nicht auch “von sich aus”, ein Update auszuführen, wenn er sieht, dass eine neue Version der Software vorhanden ist und er genügend freien Speicherplatz hat? Es ist jedenfalls nicht der Softwareanbieter und auch nicht der Benutzer, der das entscheidet. (“Entscheiden” und “sehen” bitte in Anführungszeichen lesen, weil der Computer kein Bewusstsein hat).
Klares ja. Vielleicht nicht bei Pflanzen, aber wohl im dem Bereich der Datenverarbeitung [1].
[1] The Next Generation of Neural Networks
http://www.youtube.com/watch?v=AyzOUbkUf3M&t=1270
Computer-Entscheidungen.
Von Ludwig Trepl, @Ano Nym.
„Was genau heißt ‚von sich aus’? Entscheidet ein Computer nicht auch ‚von sich aus’, ein Update auszuführen, wenn er sieht, dass eine neue Version der Software vorhanden ist und er genügend freien Speicherplatz hat?“
Der entscheidet nicht von sich aus, der „entscheidet“ nicht einmal. Er „sieht“, daß freier Speicherplatz vorhanden ist, und dann „führt“ er ein Update „aus“. Es liegt nicht an ihm, sich zu entscheiden, trotz freien Speicherplatzes die Sache doch zu lassen. Das wäre aber eine Implikation des Entscheidungsbegriffs, und zwar die entscheidende. Der Computer verhält sich vielmehr ganz mechanisch. Was da in Anführungszeichen steht, ist metaphorisch. Wenn man es wörtlich meint, dann hat man in seinem Denken über den Computer einen Homunkulus versteckt.
Die einzige Entscheidung, die hier stattfindet, ist die des Konstrukteurs. Er hat entschieden, daß der Computer immer dann, wenn er genügend freien Speicherplatz hat, ein Update „ausführt“. Er hätte – Implikation des Entscheidungsbegriffs – sich auch anders entscheiden können, der Computer nicht. Und wenn man bei dessen Konstruktion noch so viele zusätzliche Bedingungen einbaut, die ihn „veranlassen“, das Update „auszuführen“: Es sind immer mechanische „Entscheidungen“, also keine Entscheidungen. Und selbst wenn man den Determinismus läßt und dem Computer „aufträgt“, unter bestimmten Bedingungen zu würfeln, wird keine Entscheidung daraus.
„Klares ja. Vielleicht nicht bei Pflanzen, aber wohl im dem Bereich der Datenverarbeitung“.
Bei Pflanzen: vorläufig Jain. Datenverarbeitung: Die Maxime hat sich der „Rechner“ nicht selbst gegeben, sondern der wirkliche Rechner, der den „Rechner“ gebaut hat, um sich das Rechnen zu erleichtern, hat sie dem Rechner eingegeben.
Auch einfache Tiere entscheiden sich nicht frei. Einfache Tiere sind also auf der gleichen Stufe wie heutige Computer/Roboter. Menschen entscheiden sich nach dem Dafürhalten der meisten frei, doch es gibt keine klare Trennlinie zwischen Mensch und Tier was freie Entscheidungen angeht und freier Wille ist insoweit keine Eigenschaft, die entweder vorhanden oder gar nicht vorhanden ist, sondern es gibt eine Graduierung. Höhere Tiere entscheiden schon viel freier als niedrigere und gewisse Menschenaffen können viele Situationen in denen es um Entscheidungen geht ähnlich angehen wie Menschen.
Mit andern Worten: “Höhere” Computer/Roboter könnten ebenfalls menschenähnliches Verhalten in Entscheidungssituationen an den Tag legen.
(Anführungszeichen bitte dort lesen, wo erforderlich)
Der Konstrukteur (Programmierer) hat hier aber nicht konkret sondern abstrakt entschieden, unter einer bestimmten Bedingung eine bestimmte Aktion auszuführen. Solche abstrakten Entscheidungen, die später (auch oder nur) von konkreten Anderen lokal und autonom getroffen werden sollen, nennt man Normen, Maxime, Vorschrift usw. Speziell im Bereich der Informatik nennt man sie ein Programm.
Der Konstrukteur (Progammierer) hat möglicherweise als Problem erkannt, dass seine Software zu fehleranfällig ist, als dass er das Ob und Wann eines Updates allein dem Softwarebenutzer überlassen darf. Er hat sich dann für das Einprogrammieren eines Update-Programms entschieden.
Der Fall liegt also völlig analog etwa zu einem Gesetzgeber, der es für problematisch hält, dass in Ortschaften Menschen von schnell fahrenden Kraftfahrzeugen überrollt werden und sich daher entscheidet, den Fahrzeugführern aufzugeben, dort nicht schneller als 50 km/h zu fahren.
Sowohldie Entscheidung des Gesetzgebers als auch die der Fahrer in den Ortschaften sind als anders ausfallend denkbar. Ein Letzterer könnte etwa mit 70 durch die Stadt fahren, doch wird ihm diese Entscheidung gerade als Normverstoß angekreidet statt ihm für seine abweichende Willensbetätigung (?) Respekt zu zollen. (um das jetzt einmal polemisch zu formulieren).
Wenn Sie sich den Vortrag über die Mustererkennung anschauen, sehen Sie dort Prozesse, die den Namen Entscheidung (z.B. die zwischen 4 und 8) verdienen. Diese sind nicht einprogrammiert, sondern haben sich selbstständig im Rahmen des Lernprozesses mit Daten herausgebildet. Und das ganze in einem determinstischen (mechanischen) Computersystem. Das System reproduziert exakt die Unsicherheiten, die auch ein menschlicher Leser hätte, dem diese unsauber geschriebenen Zahlzeichen vorgesetzt würden.
Dass das nur auf den Bereich der optischen Mustererkennung beschränkt bleiben wird, halte ich für ausgeschlossen.
“Entscheidungen“ von Maschinen.
Von Ludwig Trepl, @ Ano Nym.
„Der Konstrukteur (Programmierer) hat hier aber nicht konkret sondern abstrakt entschieden, unter einer bestimmten Bedingung eine bestimmte Aktion auszuführen. Solche abstrakten Entscheidungen, die später (auch oder nur) von konkreten Anderen lokal und autonom getroffen werden sollen, nennt man Normen, Maxime, Vorschrift usw. Speziell im Bereich der Informatik nennt man sie ein Programm.“
Der Programmierer hat nichts anderes getan als der Konstrukteur einer mechanischen Maschine, wie es sie schon vor 1000 Jahren gab, bei der immer dann, wenn es zu heiß, kalt, naß … wird, eine Klappe aufgeht. „Unter einer bestimmten Bedingung“ wird von einem „konkreten Anderen“ eine „bestimmte Aktion“ „ausgeführt“. Nur: Die Maschine ist ebensowenig wie der Computer ein „konkreter Anderer“. „Autonom“ impliziert, daß der „Andere“ ein Subjekt ist. Und es impliziert, daß er sich die Normen, Maximen, Vorschriften selbst gibt und sich dann nach ihnen richtet, wenn er tut, was er soll, aber nicht naturnotwendig richten muß.
„Der Fall liegt also völlig analog etwa zu einem Gesetzgeber, der es für problematisch hält, dass in Ortschaften Menschen von schnell fahrenden Kraftfahrzeugen überrollt werden und sich daher entscheidet, den Fahrzeugführern aufzugeben, dort nicht schneller als 50 km/h zu fahren.“
Nein, das ist überhaupt nicht analog. Er wäre analog zum Fall eines „Gesetzgebers“, der keine juristischen (oder moralischen) Gesetze erläßt, sondern Naturgesetze, also solche, denen nicht zuwidergehandelt werden kann, Gesetze, die beschreiben, was geschieht, nicht Gesetze, die vorschreiben, was geschehen soll, denen aber zuwidergehandelt werden kann. – Der Gesetzgeber im Falle einer Person ist diese selbst und der den Gesetzen gehorchen Sollende ist ebenfalls diese Person, das ist der Sinn des Begriffs Autonomie, d. h. von Selbstgesetzgebung.
Ein Computer gibt sich selbst keine Gesetze, er macht sich nicht das Programm selbst und er kann auch nicht programmwidrig „agieren“. Tut er das, ist er kaputt. Auch bei einem Computer, der lernen kann, ist das nicht anders. Er kann lernen, unter bestimmten Bedingungen nicht mehr das zu tun, was er bisher getan hat, sondern etwas anderes, z. B. für die von ihm erwartete Funktion Vorteilhafteres oder sogar für seine eigene Erhaltung Vorteilhafteres: Das geht alles ganz mechanisch zu, die Maschine wird dadurch nicht autonom, wird kein Subjekt.
Wenn Sie nun schreiben: „Das System reproduziert exakt die Unsicherheiten, die auch ein menschlicher Leser hätte, dem diese unsauber geschriebenen Zahlzeichen vorgesetzt würden“, so besagt das gar nichts. Auch ein Mensch kann mechanisch lernen. Die Frage der Entscheidung (und ihres Zusammenhangs mit den Fragen des Willens, der Freiheit usw.) liegt einfach auf einer ganz anderen Ebene als die des Lernens, einer Ebene, nach der mit den Mitteln der Naturwissenschaften nicht einmal gefragt werden kann.
Man darf dazu nicht (nur) fragen, wie „die Welt“ (die phänomenale Welt) ist, sondern muß auch reflexiv fragen, wie das Verhältnis dieser Welt zu dem Subjekt ist, dessen Welt sie ist, wie das Subjekt gedacht werden muß, damit diese Welt für es überhaupt „entstehen“ kann. Und ein Subjekt kann nun mal in der phänomenalen Welt, der gegenständlichen Welt nicht vorkommen (liegt also außerhalb des Gesichtskreises der Wissenschaften, die sich auf diese Welt richten), sondern ist Bedingung der Möglichkeit dieser Welt. – Nun wird man bei einer reflexionswissenschaftlichen Untersuchung nie einen wirklichen Stein, nie ein wirkliches Tier aus Fleisch und Blut finden. Aber ebenso ist es völlig ausgeschlossen, bei einer naturwissenschaftlichen (objektwissenschaftlichen) Untersuchung, sei es von Tieren oder Menschen oder Computern, eine Entscheidung zu finden. Da mag man noch so oft „Entscheidung“ metaphorisch benutzen oder auch nicht-metaphorisch meinen, d. h. einen Homunkulus in sein System einbauen.
Was ich spannend finde: Warum abstrahieren Sie eigentlich von sich selbst und schreiben von “Subjekt” und nicht von sich selbst? Setzen Sie damit nicht implizit voraus, dass es schon andere Subjekte gibt, die von dem Ihrigen verschieden sind und damit implizit auch, dass es diese Objekte impirisch also phänomenal gibt?
(Das folgt natürlich auchg schon daraus, dass Sie mir anderen so kommunizieren, dass Sie davon ausgehen, diese überzeugen zu können – das unterstelle ich jedenfalls).
Von Ludwig Trepl, @ Ano Nym.
„Warum abstrahieren Sie eigentlich von sich selbst und schreiben von ‚Subjekt’ und nicht von sich selbst? Setzen Sie damit nicht implizit voraus, dass es schon andere Subjekte gibt, die von dem Ihrigen verschieden sind und damit implizit auch, dass es diese Objekte empirisch also phänomenal gibt?“
Weil ich an dieser Stelle nicht mich selbst meine, sondern allgemein „Subjekt“. Auch wenn ich allein auf der Welt wäre, weil alle anderen den Atomkrieg nicht überlebt haben, könnte ich das machen. (In dem Moment, in dem es das erste Lebewesen gab, hätte man nicht nur über dieses eine konkrete Lebewesen sprechen können, sondern auch über Lebewesen im allgemeinen; auch wenn niemand außer mir den Gedanken „was ist die Quadratwurzel von 207645219“ je hatte und haben wird, könnte ich doch diese Frage als mathematische, d. h. allgemeine, sozusagen prinzipientheoretische behandeln und nicht als Frage über das, was in meinem Kopf empirisch vorgeht). Daß ich implizit voraussetze, daß es andere Subjekte gibt, ist richtig; ich halte die Solipsismuskritik für richtig. Aber das tut hier nichts zur Sache.
Daß es andere „Subjekte“ empirisch, also als Phänomene gibt, ist so eine Redeweise, die man besser lassen sollte, weil sie verwirrt. Es gibt halt andere Leute. „Subjekt“ ist ein Begriff, der sich auf die Geltungsebene bezieht, nicht auf die Ebene empirischen Seins, obwohl man natürlich immer sagen kann: Ein geltender Satz wird zu bestimmter Zeit an bestimmtem Ort ausgesprochen. Aber darum geht es ja bei der Reflexion auf „das Subjekt“ nicht. Es geht beispielsweise darum, ob 2 x 2 = 4 wahr ist (und was das heißen könnte), nicht um die empirische Frage, ob Klein Fritzchen auf „was ist 2 x 2“ auch tatsächlich „4“ antwortet. Oder es geht darum, wie das Verhältnis ist von Gegenständen des Denkens und den Dingen, wie sie unabhängig vom Denken sind (und im Denken ja gemeint sind), also nicht darum, wie ich das mir gerade denke (das ist eine empirische Frage), sondern wie es ist, und was dergleichen Fragen mehr sind.
Gedanken, Realität und Möglichkeit.
Von Ludwig Trepl, @ Webbaer.
„’obwohl, zweifellos, „2 x 2 = 4“ auch bereits wahr war, als noch kein Kopf diesen Gedanken gedacht hat’ [Zitat von mir]. Als Möglichkeit?“
Hmm, scheint mir sehr schwierig. Die Welt der platonischen Ideen (und in dieser Tradition stehen ja all jene Dritte-Welt-Theoretiker wie Frege und Popper) besteht aus Möglichkeiten. Sie werden real, sind aber dann immer unvollkommen und vergänglich. Und Frege etc. (so spekuliere ich) würden wohl etwa sagen: Alles, was in der Natur existent sein soll, muß (wahren) mathematischen Ideen oder Gesetzen „entsprechen“, muß sich „nach ihnen richten“, sonst ist es nicht möglich. Insofern ist die Ideenwelt sozusagen die härtere Realität, obwohl sie nicht die Realität ist.
Aber wie muß das jetzt ein Naturalist sehen? Einerseits muß er sagen: Wirklich sind nur die wirklichen Gedanken, wie sie zu bestimmten Zeiten an bestimmten Orten in den Köpfen sind. Bevor 2 x 2 = 4 gedacht wurde, war es einige Milliarden Jahre nur ein möglicher Gedanke, er hatte keine Wirklichkeit, existierte i keinem Kopf. 2 x 2 = 5, ein falscher Gedanke, war aber auch ein möglicher Gedanke: Er kann ja gedacht werden und wurde später auch gedacht. Andererseits müßte er wohl sagen: 2 Triceratopse und zwei Brontosaurier waren zusammen damals schon 4 Dinosaurier, auch wenn es keinen gab, der das gedacht hat (und wenn mit den Dinosauriern die Welt untergegangen wäre und es folglich nie wirklich den Gedanken 2 x 2 = 4 gegeben hätte, wären es doch 4 Dinosaurier gewesen). Die Wahrheit von 2 x 2 = 4 scheint mir für den Naturalisten in der Struktur der Natur zu liegen, die Realität aber im Gedanken, der in einem realen Gehirn ist, doch hier ist die Realität des Gedankens etwas Untergeordnetes.
Irgendwie dreht sich da die normative Dimension um: Für den Platoniker/Dritte-Welt-Theoretiker bedeutet „Möglichkeit“ nicht nur das, was sein kann, sondern auch das, was sein soll. Alles soll ja so sein, daß es der Idee, d. h. seinen „Möglichkeiten“ möglichst nahe kommt. (Im Lateinischen macht man da eine Unterscheidung; potestas und potentia? Ich war in diesem Fach sehr schlecht.) Für den Naturalisten dagegen gibt die außergedankliche Realität dem Gedanken über die Realität die Norm vor: 2 x 2 = 4 ist deshalb ein wahrer, ein seinsollender Gedanke, weil ganz unabhängig vom Denken zwei Triceratopse und zwei Brontosaurier zusammen wirklich 4 Dinos waren.
Dr. W an Dr. T:
Wäre “2×2=4” nur eine Möglichkeit, liegt ein metaphischer Gedanke vor: wird er auf Grund von Erfahrung angenommen, gar als ‘wahr’, ist es ein naturalistischer.
—
Hier scheiden sich die Geister, Ihr Kommentatorenfreund, der Webbaer, würde hier ganz zwanglos, vielleicht am Rande noch das bekannte Höhlengleichnis bemühend, die Sache anders sehen, und zwar so, dass sich in der dem Primaten gegebenen Natur zwar die diesbezügliche Mathematik aufdrängt, aber keinesfalls zwingend, gar ‘wahr’ ist.
Sie kommen übrigens in Teufels Küche, wenn Sie weitergehend Operanden und Operatoren, gar die gesamte Humanmathematik in der Natur verankert sehen möchten.
MFG
Dr. W
* ein metaphysischer Gedanke
BTW, hier liegt natürlich ein Knackpunkt zwischen Opa T und Opa W, der denn auch den einen oder anderem Disput erklärt.
Von der Abneigung zum Individualismus mal abgesehen, die ist politischer Art…
Natur und Person /@Ludwig Trepl
»Der Zuschreibung „Person“ können wir auf keine Weise entkommen (der Zuschreibung „Bürger“ oder „Christ“ schon).«
Das stimmt sicherlich. In diese Richtung ging ja auch meine Aussage, dass wir „naturbedingt“ Menschen ab einem gewissen Reifegrad als Personen wahrnehmen (müssen). „Naturbedingt“ bedeutet hier nur, dass es zum Wesen, zur Natur des Menschen gehört, ganz bestimmte Fähigkeiten und Fertigkeiten entwickeln zu können.
Dass an dieser ebenso fundamentalen wie unausweichlichen Zuschreibung praktisch alles andere hängt, scheint mir Teil des Problems zu sein.
» „Natur“ ist in diesem Zusammenhang nur ein anderes Wort für Gott. Wenn Sie allerdings mit „naturbedingt“ meinen (und das vermute ich), daß es sich im Prinzip naturwissenschaftlich erklären lassen müßte, dann handeln Sie sich einige Schwierigkeiten ein. «
Vermutlich verstehe ich unter „im Prinzip naturwissenschaftlich erklären“ ein bisschen was anderes als Sie. Ich denke, dass wir nichts finden und erkennen können, was außerhalb und völlig unabhängig von empirischen Entitäten existiert. Insofern ist alles, was wir überhaupt je erkennen können, „naturbedingt“, im Sinne von „natürlichen Ursprungs“. In diesem Denken hat auch die Existenz Gottes ihren festen Platz. Ebenso die Mathematik und die Logik.
Ich denke allerdings nicht, dass wir die Gültigkeit des Satzes von Pythagoras biochemisch oder biophysikalisch beweisen könnten. Ungeachtet der Tatsache, dass es biologische Systeme sind, die sich mit der Frage der Gültigkeit von Sätzen beschäftigen.
»…dann sind Sie wieder bei jener vormodernen Naturphilosophie, in der „Natur“ etwa synonym mit „Alles“ […] ist…«
Ja, ich denke, das trifft es, „Natur“ ist für mich all das, was vor rund 13,8 Milliarden Jahren begonnen hat (was nicht ausschließt, denn Begriff „Natur“ auch enger zu fassen, um ihm einen bestimmten Inhalt zu geben).
Das ist, wenn man so will, der metaphysische Hintergrund, vor dem ich differenziere, was nun speziell Sache der Naturwissenschaften ist. Der menschliche „Geist“ ist zwar zur Gänze ein „Produkt“ der Natur, aber geistige „Produkte“ (wie etwa die „Person“) sind nicht Gegenstand der Naturwissenschaften. Weil aber die Kultur zur Natur des Menschen gehört, können auch bestimmte Aspekte der Kultur durch die Brille der Naturwissenschaften gesehen werden. Wobei selbstredend auch diese Brille nur eine Brille des Menschen sein kann. Aber was heißt hier „nur“, eine andere steht uns nun mal nicht zur Verfügung—naturbedingt.
Ich halte die Naturwissenschaft für ein Projekt zur Erklärung der Welt. Nachdem uns die Erkenntnisfähigkeit zugefallen ist (Eva sei Dank!), wollen wir wissen, wie die Dinge real zusammenhängen, wohl wissend, dass es kein absolutes Wissen über die Welt da draußen geben kann. Wenn in dieser beobachtbaren Welt nichts beobachtet werden kann, was durch die Annahme von „Freiheit“ erklärt werden könnte, dann können wir vernünftigerweise annehmen, dass es auf der physischen Ebene so etwas wie „Willensfreiheit“ nicht gibt. Damit bleibt für die Rede von der „Willensfreiheit“ nur das Transzendentale.
Die Beobachtung, dass das Eichhörnchen an genau diesem Platz eine Nuss versteckt und nicht an einem anderem, dass es sich sozusagen für diesen Platz „entschieden“ hat, ist natürlich nicht die Erklärung für sein Verhalten (niemand hier behauptet so etwas), sondern ein möglicher Ausgangspunkt für eine wissenschaftliche Untersuchung. So ist es im Grunde doch immer, wir beobachten als erkenntnisfähige Menschen bestimmte Vorgänge, beschreiben sie mit den uns zur Verfügung stehenden Begriffen und suchen nach einer wissenschaftlichen, sprich „natürlichen“ Erklärung für diese Vorgänge. Das schließt auch Vorgänge mit ein, die in uns stattfinden, die wir nur an uns selbst „beobachten“ können. Reflexion, um das auch noch zu erwähnen, ist für mich so etwas wie das Beobachten eigener Gedanken.
Grenzgängerin@ Balanus
“Der menschliche „Geist“ ist zwar zur Gänze ein „Produkt“ der Natur, aber …..”.
Wenn für Sie im Begriff “Natur” der Geist als eine völlig andere Realität gegenüber der der Materie einbegriffen ist, dann ja. Anders würde ich das verneinen, also wenn der Geist für Sie ein Produkt des Teils der Natur wäre, den wir Materie nennen.
Natur und Person.
Von Ludwig Trepl, @ Balanus
„dass wir ‚naturbedingt’ Menschen … als Personen wahrnehmen (müssen). ‚Naturbedingt’ bedeutet hier nur, dass es zum Wesen, zur Natur des Menschen gehört, ganz bestimmte Fähigkeiten und Fertigkeiten entwickeln zu können.“
Da kann ich schon zustimmen. Das Problem ist nur: Mit dem Wahrnehmen als Personen nehmen wir die Menschen als etwas wahr, das nicht nur Natur ist. Wie aber soll das gehen, wenn „alles“ Natur und es also nichts als Natur gibt? Entweder ist unsere Wahrnehmung der Menschen als Personen falsch, illusionär (wie Roth usw. meinen), oder „Natur“ ist eben doch nicht „alles“; das, was im Leben zu den allerhärtesten Realitäten gehört (z. B. Schuld auf sich zu laden), ist eben doch real, weil die Realität der Naturwissenschaften (Objektwissenschaften) nicht die Realität, sondern nur ein Moment der Realität ist, das ohne das andere Moment gar nicht sein kann.
„Und ich denke, die Prüfung müsste ergeben, dass das Wissen um die Willensfreiheit nicht zwingend ist. Wie sonst könnte es eine andere Meinung dazu geben?“
Ich behaupte, daß jeder zurechnungsfähige Mensch das Wissen um die Willensfreiheit hat; er könnte sonst gar nicht als Mensch leben, auch Wissenschaft wäre dann unmöglich. Er will dieses Wissen aber nicht haben. Dies zum einen, weil es „es nicht gewesen sein will“ (das habe ich oben im Artikel geschrieben, auf den hier seltsamerweise keiner eingeht). Und zum anderen, weil er es sich naturwissenschaftlich nicht erklären kann und meint, daß nicht sein kann, was nicht sein darf. Die Existenz anderer Meinungen spricht also überhaupt nicht dagegen, daß das Wissen um die Willensfreiheit zwingend ist. Es gibt eine Menge zwingenden Wissens, dem nicht alle zustimmen.
„Ich finde es bezeichnend, dass es kein plausibles Szenario gibt, aus dem zweifelsfrei hervorginge, dass ein Wille bzw. ein Wollen in einem bedeutsamen Sinne „frei“ gebildet wurde oder sich „frei“ bilden konnte.“
Doch, dieses „Szenario“ gibt es, es ist die Kant’sche Herleitung aus dem Sittengesetz als einer „Tatsache der Vernunft“, für die wir weiter keinen Grund angeben können, die aber unbezweifelbar ist. Das Szenario ist nur in der Naturwissenschaft oder überhaupt in der „theoretischen Philosophie“ nicht möglich, wohl aber moralphilosophisch, und da ist es zwingend. Wenn wir wissen (und das wissen wir), daß wir sollen, dann wissen wir auch, daß wir können (unseren Willen dahin zu bestimmen, daß wir das Gesollte in Angriff nehmen, ob das dann gelingt, hängt natürlich von allerlei ab, auf das wir keinen Einfluß haben), völlig unabhängig davon, ob die Natur uns dabei günstig ist oder uns hinderlich im Weg steht (sofern es nur nicht – naturgesetzlich – ausgeschlossen ist; dann sollen wir es aber auch nicht). Gibt es einen „bedeutsameren“ Sinn? – Die Wirklichkeit der (Willens-) Freiheit gehört ins Gebiet der praktischen Philosophie, nicht in das der theoretischen. Das ist hier der entscheidende Gegensatz, nicht der Gegensatz konkrete-abstrakte Gegenstände. Die Frage ist in jener Philosophie nicht, wie etwas ist, sondern wie es sein soll bzw. wie wir unseren Willen bestimmen sollen. Unter der Frage, wie etwas ist in der Welt, kommen wir nie auf die Willensfreiheit, da kann man gern sagen, das sei eine Illusion. Aber nicht weniger zwingend als die Frage, wie die Welt ist, ist uns Menschen (unserer Vernunft) die Frage, was wir in ihr sollen, nicht weniger „real“ ist das, was sich daraus ergibt.
@ Ludwig Trepl
“Dies zum einen, weil er „es nicht gewesen sein will“ (das habe ich oben im Artikel geschrieben, auf den hier seltsamerweise keiner eingeht)”
..doch, ich bin drauf eingegangen, zwar kurz, aber immerhin: hier
Von Ludwig Trepl, @ Balanus.
„Ja, ich denke, das trifft es, „Natur“ ist für mich all das, was vor rund 13,8 Milliarden Jahren begonnen hat“
Na, da wäre ich etwas vorsichtiger. So stabil auch naturwissenschaftliche Ergebnisse geringeren Umfangs sind, so stabil, daß wir geneigt sind, sie für völlig sicher zu halten – wenn Zahnrad A sich mit der Geschwindigkeit a bewegt, dann bewegt sich Zahnrad B mit Geschwindigkeit b –, so unsicher sind doch solche kosmologischen Spekulationen. Erfahrungsgemäß werden sie alle paar Jahrzehnte durch andere ersetzt. Vielleicht sagt man schon nächstes Jahr, daß alles vor 234 Milliarden Jahren mit der Verschmelzung von Teilchen X mit Teilchen Y begonnen hat und redet nicht mehr von Urknall, sondern von Urzeugung. Da aber die Naturwissenschaft nicht anders kann als zu jeder Ursache wieder eine Ursache zu denken, wird sie die Frage nicht los, was denn vor den 234 Milliarden Jahren war. – Es handelt sich hier halt nicht um Naturwissenschaft, sondern um Metaphysik. Empirische Erkenntnisse über „Alles“ sind nun mal nicht möglich, und Erkenntnisse a priori über den Anfang der Welt haben wir nicht.
„Wenn in dieser beobachtbaren Welt nichts beobachtet werden kann, was durch die Annahme von „Freiheit“ erklärt werden könnte, dann können wir vernünftigerweise annehmen, dass es auf der physischen Ebene so etwas wie „Willensfreiheit“ nicht gibt. Damit bleibt für die Rede von der „Willensfreiheit“ nur das Transzendentale.“
Ja, auf jeden Fall, tertium non datur. Es ist apriorisches Wissen; wobei das eigentliche apriorische Wissen das um das Sittengesetz ist, Freiheit folgt dann, ist eine Implikation. – Das betrifft die Kant’sche transzendentale Freiheit, die erst im moralischen Urteil erkennbar wird. Mit der „empirischen Freiheit“ in dem Sinn, daß ich eine „innere Erfahrung“ davon habe, daß es „an mir liegt“, ob ich vom Stuhl aufstehen will oder nicht, mag es anders sein; da schwimme ich noch (siehe dazu diesen Aufsatz von Geismann).
„Die Beobachtung, dass das Eichhörnchen an genau diesem Platz eine Nuss versteckt und nicht an einem anderem, dass es sich sozusagen für diesen Platz „entschieden“ hat, ist natürlich nicht die Erklärung für sein Verhalten (niemand hier behauptet so etwas), sondern ein möglicher Ausgangspunkt für eine wissenschaftliche Untersuchung.“
Doch, @Chrys behauptet, daß das eine naturwissenschaftliche Erklärung ist; Modelle, die genuin naturwissenschaftlich sind, erlauben uns angeblich, „Entscheidungen“ zu erfassen. Es ist aber so, wie Sie sagen: Es ist „ein möglicher Ausgangspunkt für eine wissenschaftliche Untersuchung“, und zwar der die Biologie konstituierende Ausgangspunkt. Da, wo wir in Analogie zu unserem eigenen Handeln nach Zwecken uns etwas verständlich machen müssen (und das auch nach der „mechanischen“ Erklärung von Teilen des Phänomens nicht weggeht), haben wir ein biologisches Problem vor uns (in der Biologie sagt man dann: wo es um „Funktionen für“ geht).
„Reflexion, um das auch noch zu erwähnen, ist für mich so etwas wie das Beobachten eigener Gedanken.“
Da widerspreche ich. Das Beobachten eigener Gedanken gehört in die Psychologie: Gestern um 14 Uhr beobachte ich den Gedanken X in mir. Beim Betreiben von Wissenschaften wie Mathematik und Logik oder von Erkenntnistheorie und anderer „Reflexionswissenschaften“ beobachtet man nicht Gedanken, sondern man konstruiert und analysiert mittels des Denkens. – Wenn z. B. ein Erkenntnistheoretiker sagt: Den Gedanken, der gestern um 14 Uhr in mir war, ja sogar den Gedanken, den ich eben jetzt habe, kann ich gar nicht beobachten, denn der ist immer schon vorbei, wenn ich mich ans Beobachten mache. Deshalb ist eine Bedingung der Möglichkeit des Beobachtens von Gedanken das Erinnerungsvermögen – hier als etwas nicht Empirisches verstanden, sondern als transzendentale Bedingung der Möglichkeit dafür, daß überhaupt Empirie bezüglich eigener Gedanken möglich ist. Wenn der Erkenntnistheoretiker also das sagt, dann ist das nicht Beobachtung eigener Gedanken, sondern Analyse des Denkens. (Das Nachvollziehen des Rechenvorgangs in einem bestimmten Kopf mag man „Beobachtung von Gedanken“ nennen, nicht aber das Betreiben von Mathematik.) Bei der Analyse des Denkens kommt er dann darauf, daß der Gedanke „2 x 2 = 4“ nicht nur eine sozusagen von Raum und Zeit unabhängige Existenz hat als wahrer Gedanke (wenn man so will: in einer Frege’schen oder Popper’schen „3. Welt“), sondern immer auch in konkreten Köpfen als beobachtbarer Gedanke existiert und nur da „wirklich“ existiert und jene Wahrheit ohne die konkreten Köpfe mit ihren als beobachtbaren Gedanken gar nicht „zur Existenz“ gekommen wäre, d. h. nicht in der Welt wäre (obwohl, zweifellos, „2 x 2 = 4“ auch bereits wahr war, als noch kein Kopf diesen Gedanken gedacht hat).
Es ist halt alles etwas komplizierter, wenn man nicht nur, wie ein Naturwissenschaftler legitimerweise und ein Naturalist illegitimerweise, „die Welt“ (als Inbegriff der Gegenstände des Denkens) vor Augen hat, sondern das Erkennntnisgeschehen, in dem „die Welt“ das eine Moment ist, das Subjekt, für das die Welt seine Welt ist, das andere. Man kann das eine wie das andere Moment zum Verschwinden bringen; die Naturalisten lassen das Subjekt (den „Geist“, „das Denken“ …) verschwinden, die (absoluten) Idealisten das andere. Das ergibt jeweils wunderbare schlüssige Systeme. Sie wollen nur nicht so recht mit der Erfahrung (jetzt nicht im Sinne von naturwissenschaftlicher Empirie verstanden, sondern eher von „Lebenserfahrung“) zusammenpassen. Wenn man das Zusammenpassen will, muß man beiden Seiten ihr Recht lassen, wie es Kant gemacht hat. Aber, wie gesagt, dann wird’s halt komplizierter.
Als Möglichkeit?
MFG
Dr. W
Begriffe “Natur” und “Naturwissenschaft”
@ Ludwig Trepl
“Es ist halt alles etwas komplizierter, wenn man nicht nur, (…), „die Welt“ (…) vor Augen hat, sondern das Erkennntnisgeschehen, in dem „die Welt“ das eine Moment ist, das Subjekt, für das die Welt seine Welt ist, das andere. Man kann das eine wie das andere Moment zum Verschwinden bringen; die Naturalisten lassen das Subjekt (den „Geist“, „das Denken“ …) verschwinden, die (absoluten) Idealisten das andere. Das ergibt jeweils wunderbare schlüssige Systeme. Sie wollen nur nicht so recht mit der Erfahrung (…) zusammenpassen. Wenn man das Zusammenpassen will, muß man beiden Seiten ihr Recht lassen, wie es Kant gemacht hat. Aber, wie gesagt, dann wird’s halt komplizierter.”
…und wenn sie mitunter dieses Komplizierte aufdröseln, dann geht es mir ab und an auf den Geist, ist in der Tat zu kompliziert, irgendwie gegen den Strich. Wer denkt im Alltag denn schon so kompliziert? Aber schon klar, diese Unterscheidungen sind notwendig.
Ich glaube aber inzwischen,- mich durch Ihre Erläuterungen hindurch arbeitend -, dass es für dieses Problem einen einfachen Grund gibt. Balanus hat das mal angesprochen und mich drauf gebracht. Ottonormalbürger versteht unter Natur wesentlich mehr als in dem Wort “Natur” im Verbund mit dem Begriff “Wissenschaften”, also in “Naturwissenschaften” erlaubt ist. Das schafft in solchen Diskussionen Verwirrung, weshalb Sie auch wiederholt beklagen, dass man Ihr Anliegen nicht versteht.
Wäre natürlich ein schwieriges Unterfangen, wollte man den Begriff Naturwissenschaften ändern. Aber ich meine das stünde an, um zugunsten wissenschaftlicher Diskussionen auch mit Ottonormalbürger solcher Verwirrung ein Ende zu bereiten. Ich fände es außerdem hilfreich, dem Begriff Natur wieder ganz und gar das zuschreiben zu können, was man ihm intuitiv ohnehin zuschreibt, weil man dadurch dem falsch verstandenen Dualismus ein Ende bereiten kann. Eine Sackgase, in die wesentlich die Gnosis geführt hat.
Denn in der Tat gehören Geist und Materie trotz ihrer völligen Andersartigkeit, ja gerade deswegen, stets als Pärchen so zusammen, dass man sie in der Tat unter dem Begriff “Natur” vereinen könnte, wie es von Ottonormalbürger vermutlich sowieso gesehen wird. Wer sich selber als Mensch als geistbegabtes Wesen erfährt, wird Materie und Geist nicht auseinanderreißen wollen. Er wird das Eine aber auch nicht vom Anderen subsumieren lassen wollen. Und diese ganze Diskussion zeigt ja auch, dass das gar nicht geht. Der Begriff “Natur” kann Geist und Materie gut als Pärchen unter einen Hut bringen.
Aber eben dann ist “Natur” im Verbund mit dem Begriff “Wissenschaften” nicht mehr korrekt, es sei denn man würde unter “Naturwissenschaften” beides verstehen Natur- und Geisteswissenschaften, was im bisherigen Sinn von Naturwissenschaften nicht möglich wäre.
Wie wär’s mit Materiewissenschaften?
Es gibt meinerseits noch wichtige andere Überlegungen zu dem Verhältnis von Geist und Materie, die hier aber zu weit führen. Demnächst mehr.
Von Ludwig Trepl, @Grenzgängerin.
„…und wenn sie mitunter dieses Komplizierte aufdröseln, dann geht es mir ab und an auf den Geist, ist in der Tat zu kompliziert, irgendwie gegen den Strich. Wer denkt im Alltag denn schon so kompliziert?“
Wenn Sie ein Mathematik- oder Physikbuch lesen: Geht Ihnen das auch auf den Geist? Sagen Sie da auch „Wer denkt im Alltag denn schon so kompliziert?“ – Zudem: Verglichen damit, wie die Fachdiskussion zu den hier diskutierten Fragen aussieht, sind meine Blog-Kommentare geradezu verboten einfach; viele, die sich auskennen, werden sich darüber aufregen, daß man die Popularisierung derart weit treibt.
„Ich fände es außerdem hilfreich, dem Begriff Natur wieder ganz und gar das zuschreiben zu können, was man ihm intuitiv ohnehin zuschreibt, …“
Das klingt, als hätten wir als Menschen eine intuitive Vorstellung von „Natur“. Das ist aber nicht richtig. „Natur“ ist ein in bestimmten Kulturen vorkommender Begriff, andere Kulturen kennen ihn nicht. Und der Begriff von Natur, den Sie, wie mir scheint, rehabilitieren möchten – etwa der aristotelische – ist eben auch der Begriff einer bestimmten Kultur, und in späteren Zeiten kam in dieser Kultur ein anderer auf, der methodologische, der im Begriff der „modernen Naturwissenschaften“ impliziert ist. Den können wir nicht ablegen. Dennoch gebrauchen wir ja den aristotelischen daneben weiter, und wir gebrauchen auch eine ganze Reihe weiterer Naturbegriffe, und zwar völlig andere. (Lesen Sie mal den bekannten Aufsatz des katholischen Philosophen Spaemann dazu: Das Natürliche und das Vernünftige, in: Oswald Schwemmer (Hg.): Über Natur, Frankfurt am Main: Klostermann, S. 149–169.)
Wenn Sie aber den modernen, methodologischen Naturbegriff benutzen – und das tun Sie unweigerlich, wenn Sie sich z. B. auf irgendwelche physikalischen oder biologischen Forschungsergebnisse beziehen – dann können Sie nicht mehr sagen: „Der Begriff ‚Natur’ kann Geist und Materie gut als Pärchen unter einen Hut bringen.“ Der Naturbegriff, den sie nun zugrundegelegt haben – wenn ich richtig verstehe, was Sie mit „Geist“ meinen – kann das nämlich nicht. Was immer durch „Geist“ verursacht wird – sei es durch einen Schöpfergott, den Willen eines Menschen, einen Geist, der in einem Baum sitzt oder ein Schloßgespenst –, gehört nun nicht zur Natur. Das ist gar nichts Geheimnisvolles: Natur ist einfach so definiert, daß das nicht dazugehört. Man spricht im Hinblick darauf dann ja auch von „übernatürlichen Ursachen“, und etwas als Natur zu betrachten bedeutet dann, solche Ursachen auszuklammern; ob man meint, sie seien ohnehin Hirngespinste oder ob man sie nur methodologisch ausblendet und meint, in Wirklichkeit gäbe es dergleichen durchaus, tut hier nichts zur Sache.
@Ludwig Trepl
Jetzt kommen Sie leider doch meinem PS: zuvor. Ich poste mal nur den Anfang. Für den längeren Rest sollte ich dann erst mal Ihre Antwort lesen.
PS: zu obigem Post:
dieser Satz war nicht negativ gegen Sie gerichtet. Sie haben das hoffentlich nicht missverstanden: “…und wenn sie mitunter dieses Komplizierte aufdröseln, dann geht es mir ab und an auf den Geist,… .”
Ich finde es vielmehr großartig, wie Sie, als ob oder tatsächlich mit Links, diese komplizierten Zusammenhänge verständlich aufdröseln und immer gleich ein Beispiel parat haben. Manchmal sind mir zwar die Passagen in Klammern zu lang und zu viele, aber das mag an meiner geringeren Vertrautheit mit der Materie liegen.
Ich schrieb weiter:“….ist in der Tat zu kompliziert, irgendwie gegen den Strich. Wer denkt im Alltag denn schon so kompliziert? Aber schon klar, diese Unterscheidungen sind notwendig.”
Je länger ich mich allerdings mit Ihrer ‘Aufdrösele’ befasse, mit der sie ja dem heutigen wissenschaftlich philosophischen Konsens entsprechen, wie er auch in anderen Blogartikeln zum Ausdruck kommt, umso mehr scheint mir etwas daran, – also an dem Konsens, nicht an Ihrer Fachkenntnis innerhalb des Konsenses – grundlegend falsch. Als Laie wagt man dann ja kaum zu widesprechen, aber ich halte gegenüber diesem Konsens einen Widerspruch für dringend erforderlich.
Intuition /@Ludwig Trepl
»Man könnte, meine ich, aber durchaus die Behauptung prüfen, ob das Wissen um die Willensfreiheit nicht eine Intuition (im Sinne jener „geometrischen“, im Sinne „vager Ahnung“ sowieso nicht) ist.«
Ich meine auch, dass man das könnte. Schließlich kann die „Existenz“ der Willensfreiheit nicht empirisch erkannt werden, sondern nur durch „geistige Anschauung“ (Wiki—so falsch war das dort Geschriebene ja nun doch nicht).
Und ich denke, die Prüfung müsste ergeben, dass das Wissen um die Willensfreiheit nicht zwingend ist. Wie sonst könnte es eine andere Meinung dazu geben?
Ich finde es bezeichnend, dass es kein plausibles Szenario gibt, aus dem zweifelsfrei hervorginge, dass ein Wille bzw. ein Wollen in einem bedeutsamen Sinne „frei“ gebildet wurde oder sich „frei“ bilden konnte. Immer läuft es darauf hinaus, dass das Individuum ungehindert aus sich selbst heraus etwas gewollt oder getan hat. Und dass das Individuum eben weiß oder wusste, was es will oder gewollt hat. Eine solche Betrachtungsweise der Willensfreiheit stand wohl nie in Abrede. Es ist vermutlich auch das einzige, was wir selbst über unsere Willensentscheidungen wissen können, nämlich dass sie nicht durch irgendwelche Zwänge bestimmt wurden und darum „frei“ waren.
Witziger Weise ging es in den Experimenten vom Typ Libet ja genau darum, dass die Probanden wussten, dass sie frei darüber entscheiden konnten, ob sie z. B. den linken oder rechten Knopf drücken wollten. Es wird in solchen Experimenten also vorausgesetzt, dass der Proband „frei“ zwischen rechts und links wählen kann. Kein Hirnforscher, der bei Sinnen ist, würde nun aus den Ergebnissen dieser Untersuchungen schließen, dass diese Entscheidung doch nicht „frei“ gewesen seien, dass nicht der Proband selbst, sondern etwas Unbekanntes in ihm die Entscheidung an seiner Stelle getroffen hätte. Denn damit würde man ja unterstellen, bestimmte unbewusste Hirnprozesse würden nicht vom Individuum selbst erzeugt.
@Ludwig Trepl
“Fähigkeit” klingt so positiv. Gäste mit dieser “Fähigkeit” sind doch in allen Zweigen der Gastronomie gefürchtet. Chefs ernennen Mitarbeiter mit dieser “Fähigkeit” zu Bedenkenträgern. Und auch Katzenhalter wissen um die “Fähigkeit”, dass sich der Wille umbildet nachdem die bestehenden Antriebe schon unüberhör- und -sehbar geäußert wurden.
Eine Fähigkeit, die – jedenfalls im werktätigen Teil des Volkes – als Untugend gilt und die zudem auch noch nicht exklusiv dem Menschen zukommt, soll den Begriffskern des Freien Willen konstituieren? Wenn ich bei Geert Keil so um Seite 58 herum schmökere, lese ich, dass Locke das Suspensionsvermögen für einen empirischen Fakt gehalten hat.
Und wovon hängt das ab, ob sie es tut?
Hallo @Ano Nym!
Dazu brauche ich jetzt aber mal eine genauere Erläuterung. Was genau meinen Sie denn damit???:
“Fähigkeit” klingt so positiv. Gäste mit dieser “Fähigkeit” sind doch in allen Zweigen der Gastronomie gefürchtet. Chefs ernennen Mitarbeiter mit dieser “Fähigkeit” zu Bedenkenträgern. Und auch Katzenhalter wissen um die “Fähigkeit”, dass sich der Wille umbildet nachdem die bestehenden Antriebe schon unüberhör- und -sehbar geäußert wurden.”
und damit:
“Eine Fähigkeit, die – jedenfalls im werktätigen Teil des Volkes – als Untugend gilt und die zudem auch noch nicht exklusiv dem Menschen zukommt, soll den Begriffskern des Freien Willen konstituieren?”
Und es tut einem ja in der Seele weh, wenn bei den oft unvermeidlich einseitig aufdröselnden philosophischen Diskussionen solche Missverständnisse oder Vorurteile herauskommen, wie Sie mit diesem Satz im vorherigen Kommentar eines äußern:
” Eine solche Formulierung hat m.E. gar keinen Inhalt(, aber einen Zweck, nämlich den, Verhalten vorwerfbar zu machen).” [Hervorhebung durch mich]
Sie stellen die Fakten ja total auf den Kopf. Das Bewusstsein von Schuld gibt es seit Menschengedenken. Das ist keine Neuerfindung von Herrschsüchtigen oder der Philosophie, oder der Religionen. Letztere werden dahingehend eher missbraucht.
Und dass wir uns gegenseitig unser Fehlverhalten vorwerfen, dafür Kriege anzetteln etc. sitzt uns doch seit Menschengedenken in den Knochen. Es geht doch genau darum, dass uns das bewusst wird und wir solches Verhalten überwinden. Das ist z.b. eine Kernforderung der Botschaft Jesu. 77 mal 7 mal verzeihen….. Und hätten nicht schon so viele Menschen dies konkret umgesetzt, sähe es in der Welt wohl noch immer ziemlich schlimm und barbarisch aus, insofern es die Menschheit überhaupt noch gäbe.
Nicht einmal kann man generell Herrschsüchtigen zuschreiben, Schuldbewusstsein als Mittel der Unterdrückung erfunden zu haben, wenngleich sie die Erzeugung von Angst stets für ihre Herrschaft auszunutzen wussten.
Ich sehe schon auch, dass die mitunter einseitige Betonung von Herrn Trepl zwecks Klärung solche Interpretation auslösen kann, aber man muss m.E. schon arg kurzsichtig oder kopflastig da heran gehen, um solche Fehldeutung hinzubekommen und sie nicht von selber zu verwerfen.
Nichts für ungut, aber das ist doch arg konstuiert.
Schuld.
Von Ludwig Trepl, @ Grenzgängerin (@ Ano Nym).
„Das Bewusstsein von Schuld gibt es seit Menschengedenken. Das ist keine Neuerfindung von Herrschsüchtigen oder der Philosophie, oder der Religionen.“
Damit antworten Sie auf diesen Satz von @ Ano Nym: „Eine solche Formulierung hat m.E. gar keinen Inhalt(, aber einen Zweck, nämlich den, Verhalten vorwerfbar zu machen).“
Sie haben sicher recht (abgesehen davon, daß die Formulierung, die @ Ano Nym meint, tatsächlich „keinen Inhalt“ hat, aber, wie ich im vorigen Kommentar mit einem Keil-Zitat geschrieben habe, gar keine wirkliche Position in der Willensfreiheits-Diskussion ist, sondern „eine gängige Karikatur von ‚Willensfreiheit’“). Aber man muß an einem Punkt deutlicher werden:
Daß es das Bewußtsein von Schuld seit Menschengedenken gibt, verträgt sich durchaus mit der Behauptung, daß Schuld eine Illusion sei. Es nimmt der nietzscheanisierenden These, die @ Ano Nym da vorbringt (wirklich meint? Oder nur um des Arguments willen damit spielt?) nichts, wenn man sagt, daß diese Illusion „seit Menschengedenken“ da ist. Sie ist, würde Nietzsche vielleicht sagen, schon immer da, und zwar bei den Zukurzgekommenen. Die schaffen es dann über ihre Priester, diese Illusion zum allgemein Geglaubten zu machen – gegen die Herrenmoral, die so etwas wie Schuld nicht kennt. Nicht daß es das Bewußtsein von Schuld seit eh und je gibt ist wichtig, sondern daß dieses Bewußtsein wahr ist. Und daß demgegenüber das Denken der Herren unwahr ist, die meinen, sie würden sich nicht schuldig machen, wenn sie ihre Opfer zum Vergnügen quälen und schlachten, weil Schuld nur eine Illusion ist (eine, die einen bestimmten Zweck, nämlich den der Opfer und ihrer Repräsentanten, die bei Nietzsche „Priester“ heißen, erfüllt, und die darum gefördert wird).
Es ist der Vernunft möglich zu erkennen, daß die Rede von „Schuld“ als etwas Wirklichem, und zwar für das, was menschliches Leben ausmacht, Konstitutivem, die Wahrheit auf ihrer Seite hat (warum, haben –zig Philosophen vor und nach Nietzsche gezeigt). Es ist ihr auch möglich zu erkennen, daß dem Nietzsche’schen Gedanken ein schlichter Denkfehler zugrunde liegt: Wenn man die ideologische Funktion eines Gedankens aufgedeckt hat, ist damit noch nicht gezeigt, daß er unwahr ist; er könnte trotzdem wahr sein.
Sie finden dort die Darstellung von drei idealisierten Alltagssituationen, mit denen ich den Begriff des Suspensionsvermögens in ein anderes Licht rücke. Zum Ausdruck bringen möchte ich damit, dass es genügend Situationen gibt, in denen diese Fähigkeit von der Umwelt nicht erwünscht ist und seine Betätigung nachteilig wirkt.
Einseitigkeit halte ich nicht für ein Problem, entscheidend ist, dass Aussagen nicht falsch sind.
Die Formulierung ist: “Ich halte aber die Formulierung, dass ich unter den selben inneren und äußeren Umständen und insbesondere zum gleichen Zeitpunkt Wein statt Bier wollen (gekonnt haben) könnte, entweder für sinnlos oder für falsch.”. Sie ist bereits nicht mehr Gegenstand der Diskussion. Siehe L. Trepl 27. Dezember 2013 12:35 Keil zitierend: ‚„Gemeint ist nicht die Fähigkeit, etwas anderes zu wollen, als man aktuell will – dies kann niemand –, sondern die Fähigkeit, bestehende Antriebe zu prüfen und so seinen Willen umzubilden.“‘
Habe ich irgendwo auch nur den Hauch eines Gegenteils davon behauptet?
Auch dazu habe ich bisher nichts Gegenteiliges behauptet, (obwohl man sich schon fragen kann, ob es nicht eine „Neuerfindung“ ist, wenn sich Verkehrsteilnehmer beim Polizeibeamten für die 65 bei erlaubten 50 regelrecht ‘entschudligen’, weil sie vermutlich ein echtes Schuldgefühl plagt. Oder wenn Menschen Schuld empfinden [sollen], nur weil sie Mensch sind.)
Letztere = Religionen. Sie erwarten von mir nicht wirklich, dass ich Partei für irgendwelche Religionen ergreife?!
Ich weiß nicht, wie es um Ihre Knochen steht, aber in meinen Knochen steckt Kriegeanzetteln nicht drin. Und in Ihren ja augenscheinlich auch nicht, sonst würden sie ja nicht so distanzierend drüber schreiben.
Literaturkritik war nie meine Sache.
Wenn Sie mir noch sagen könnten, was genau konstruiert ist in dem, was ich auch wirklich schrieb, dann wäre ich Ihnen dankbar.
Hallo @Ano Nym
mir ging es um die zweite Hälfte des Satzes, den in Klammern, weshalb ich ihn hervorgehoben hatte:
“…aber einen Zweck, nämlich den, Verhalten vorwerfbar zu machen.”
Das Verhalten quasi künstlich vorwerfbar machen, ist insofern konstruiert, als es gar nicht möglich ist, weil Schuldverhalten grundsätzlich da ist. Ihr Klammersatz bezog sich m.E. ja auf unsere Schuldfähigkeit auf Grund des freien Willens. Ich verstehe ihn jedenfalls so, dass Sie meinen – oder diese Meinung zur Zeit favorisieren – , Schuld gäbe es nur deshalb, weil seit eh und je Menschen, Machtmenschen, Herrschende etc., Verhalten unbegründet vorwerfbar machen wollen und machen, nur um andere Menschen unterdrückbar machen zu können. Mag sein, dass ich Ihren Satz überinterpretiere. Und so verstanden behauptet er deshalb nach wie vor das Gegenteil von dem , was ich mit “Schuldbewusstsein bestehe seit Menschengedenken” meinte. Denn mit “Schuldbewusstsein” meinte ich, (war in der Eile allerdings missverständlich formuliert) dass die Möglichkeit der Schuld + deshalb des Schuldbewusstseins seit Menschengedenken bestehen (und dass dies wahr ist @Ludwig Trepl).
Und wenn er also so gemeint war, stellen Sie “die Fakten total auf den Kopf”, indem sie damit behaupten macht- und herrschsüchtige Menschen würden Schuldfähigkeit überhaupt erst erzeugen, indem die sie den Menschen zwecks Unterdrückung andichten, weshalb es Schuld an sich ohen dieses Andichten eigentlich gar nicht gäbe.
Die Formulierung”…Verhalten vorwerfbar zu machen” macht m.E. diese Ihre Vorstellung doch sehr deutlich. Und ich halte sie für arg konstruiert, eben auf den Kopf gestellt, weil unsere Realität schlicht eine andere ist. Nun kenne ich Sie viel zu wenig, vielleicht sehen Sie dieses künstliche Erzeugen von Schuldgefühlen nicht so exklusiv als die einzige Ursache dafür, dass es Schuld überhaupt gibt. Bei mir kam es – im Kontext anderer Kommentare von Ihnen – so an.
Es kommt z.B. auch vor, dass starke Charaktertypen ganze Philosophien oder Sekten in die Welt setzen, nur weil sie eine ganz persönliche Schuld verdrängen, rechtfertigen und los werden wollen. (..womit jetzt aber nicht gemutmaßt wird, dass das Ihre Motivlage sei.)
Wenn Sie aber tatsächlich zu denen gehören, die menschliche Schuldfähigkeit bestreiten, leben sie ganz einfach mit all denen auf dem Mond oder sonstwo, aber nicht in dieser Welt.
Dass Sie sich mit der Schuldfähigkeit des Menschen möglicherweise persönlich – und auf Ihrer Suche nach der Wahrheit vielleicht gerade zur Zeit – schwer tun, sie möglicherweise speziell jetzt ablehnen, entnehme ich auch Ihrer folgenden Äußerung:
“Sie finden dort die Darstellung von drei idealisierten Alltagssituationen, mit denen ich den Begriff des Suspensionsvermögens in ein anderes Licht rücke.
Das mag Sie erstaunen, aber mit diesen Worten“… in ein anderes Licht rücke”, umschiffen Sie doch im Grunde nur ausgesprochen ‘vornehm’ die Tatsache, dass der Mensch in allen Lagen, mit all seinen Charakterveranlagungen bei allen Entscheidungen immer die Wahl zwischen Gut und Böse hat und je nach Wahl sich folglich schuldig machen kann. Das scheinen Sie nicht auf dem Radar zu haben, da Sie immer nur die eine Seite, das Negative anführen.
Klar ist aber doch auch, dass der Mensch, je nach Bemühen um gute Gewohnheiten, sich selber seinen Geist bzw. Willen so prägen kann (buchstäblich prägen, nämlich auf der DNA), dass ihm die Entscheidungen zum Guten hin immer nachhaltiger und müheloser möglich werden. Er ist nie grundsätzlich auf Gedeih und Verderb zum Bösen verurteilt, sodass er dadurch schuldunfähig wäre. Dann hätte die Menschheit sich außerdem längst zugrunde gerichtet.
Wenn Sie dann weiter schreiben: “Zum Ausdruck bringen möchte ich damit, dass es genügend Situationen gibt, in denen diese Fähigkeit von der Umwelt nicht erwünscht ist und seine Betätigung nachteilig wirkt.”
Ja schön, aber damit betonen Sie eben auch wieder nur die eine, die negative Seite, zu der hin man das Suspensionsvermögen (übrigens ein dolles Wort!) einsetzen kann. Wie wär’s denn mit der Schilderung eines Einsatzes zum Guten hin? Und wem solcher Einsatz zum Guten unerwünscht ist oder wer gar darin einen Nachteil sieht, für den ist es schon zu viel der Aufmerksamkeit und Ehre, ihn überhaupt als Beispiel und Möglichkeit zu erwähnen. Das verstärkt nur allseits den Einsatz unseres Suspensionsvermögen zum Bösen hin.
“Letztere = Religionen. Sie erwarten von mir nicht wirklich, dass ich Partei für irgendwelche Religionen ergreife?!”
Ja, doch! 🙂 Aber ich will es etwas anders fomulieren, damit es auch für Sie akzeptabel sein kann. Ich erwarte, dass Sie Partei ergreifen für einen Gebrauch des Suspensionsvermögens zum Guten hin und für ein Einüben und eine gegenseitige Hilfe dieses Gebrauchs hin zu unterstützenden, hilfreichen Gewohnheiten. ( Das Wie dazu ist natürlich ein großes Kapitel und führt hier zu weit.) Denn die sind es, die uns im Krisenfall, wenn z.B. keine Zeit zum Nachdenklen bleibt, gute Entscheidungen und Beharrlichkeit im Guten ermöglichen. Die Liebe, die man dann eingeübt hat, quasi drin hat, wird einem in dem Stress einer Grenzsituation helfen. Was nicht schon drin ist, kommt dann zu spät.
Das Schwierige an dieser Wahlsituation und der Grund weshalb die Menschheit als Ganze sich damit immer noch so schwer tut, ist ja die Tatsache, dass, wenn wir das Suspensionsvermögens als Individuum zum Guten hin anwenden und einüben, wir immer damit rechen müssen, dass andere Individuen es nicht tun und dass dies dann mitunter für uns Leid und Schmerz und scheinbaren Nachteil bedeuten kann. Da schlagen viele doch lieber zurück, anstatt auch die rechte Wange hinzuhalten etc.
Wenn wir aber wollen, dass auf der Welt immer mehr Individuen einer Generation im Einsatz zum Guten hin stark werden, auf dass dann nach und nach auch die Weltgemeinschaft als ganze stark wird zum Guten hin, müssen wir uns zuvor zuallererst als Individuen abgewöhnen, uns wegen des Leids und des vermeintlichen Nachteils unser eigenes schlummerndes Böses vom Bösen im Anderen wieder hervorlocken zu lassen und somit das Erlittene auch wieder negativ zu erwidern.
“Ich weiß nicht, wie es um Ihre Knochen steht, aber in meinen Knochen steckt Kriegeanzetteln nicht drin.”
…das “unsere” bei den Knochen war in der Eile nicht präzise. Wir haben es aber tatsächlich alle insoweit in unseren ‘Knochen’, als wir, wie oben gesagt, die Wahl haben zu Gut und Böse _und_ so manches Ungute/Böse im Laufe des Lebens schon in unseren Knochen, sprich der DNA, gespeichert haben, etwa in einer Gewohnheit ziemlich fest verankert. Mal abgesehen von dem, was von vorn herein gespeichert vorliegt, uns aber noch nicht bewusst ist. Das können wir ja erst im Laufe des Lebens in der Selbstbeobachtung unseres Handelns und Kritikannahme von Anderen etc. wahrnehmen und korrigieren.
“Und in Ihren ja augenscheinlich auch nicht, sonst würden sie ja nicht so distanzierend drüber schreiben.”
Schon, aber die grundsätzliche Möglichkeit zum Bösen ist bei mir und bei Ihnen und uns allen nach wie vor “in den Knochen”, auch wenn ich z.B. dank des durch die christliche Erziehung in mir geweckten Glaubens und der Hilfe etlicher Menschen schon seit jungen Jahren einige gute Gewohnheiten habe speichern können. Die Wahl haben wir aber dennoch ein leben Lang, jeden Augenblick. Auf dem Erworbenen ausruhen können wir nicht. Die mit der Zeit eingeprägte gute Gewohnheit hilft aber gewaltig. Wenn wir daran nichts getan haben, haben wir ein Problem.
Insbesondere aber hilft uns ‘vom anderen Ufer’ her eine persönliche Beziehung mit Gott. Die ist die beste Hilfe, aber wir müssen sie wollen, um sie in den Blick zu bekommen
.
“Literaturkritik war nie meine Sache.”
Das antworten Sie auf meine Sätze:
“Es geht doch genau darum, dass uns das bewusst wird und wir solches Verhalten überwinden. Das ist z.b. eine Kernforderung der Botschaft Jesu.”
Jesus hat kein einziges Wort und folglich auch kein Buch geschrieben, auf dass Sie seine Aussagen literaturkritisch ins Visier nehmen könnten. Er hat wesentliche Dinge unseres menschlichen Lebens durch Vorleben und Verkünden grundlegend zurecht gerückt und seinen Jüngern gleichsam ins Herz geschrieben. Das ist weit mehr als Literatur.
Wenn ich Sie so reden ‘höre’, können sie all das Kostbare seiner Lehre gar nicht kennen, um darüber etwas aussagen, geschweige denn Kritik üben zu können, jedenfalls nicht als Jemand der schon irgendwann mal für seine Botschaft ernsthaft offen war, um sie erfassen zu können und sich erfassen zu lassen. Oder ist das der Fall?
Das fehlende Wissen ist sehr schade, weil die Fragen nach den grundlegenden Dingen des Lebens Sie ja offenkundig beschäftigen. Die christlichen Antworten sind hierfür sehr lebensnah realistisch und erfolgversprechend realisierbar. 🙂
Wünsche schon mal ein glückliches Neues Jahr.
Willensfreiheit und das Vermögen, innezuhalten.
Von Ludwig Trepl, @ Ano Nym.
„‚Fähigkeit’ klingt so positiv. Gäste mit dieser ‚Fähigkeit’ sind doch in allen Zweigen der Gastronomie gefürchtet.“
Und weil diese Gäste in der Gastronomie gefürchtet sind, ist diese Fähigkeit keine Fähigkeit, sondern eine „Fähigkeit“? Die Fähigkeit, anderen Versicherungsverträge aufzuschwatzen, ist allgemein gefürchtet, aber sie ist doch eine Fähigkeit.
„… und die zudem auch noch nicht exklusiv dem Menschen zukommt, soll den Begriffskern des Freien Willen konstituieren?“
Die kommt exklusiv den Menschen zu. Die Katze wird durch einen neuen Reiz dazu kausal determiniert, etwas anderes anzustreben als sie bisher anstrebte. Etwas anderes akzeptiert die Biologie nicht. Ich kann sie natürlich als Subjekt ansehen, wie es auch der Biologe heuristisch erst mal tut; dann hat sie aber auch einen Willen und handelt also frei. Nur erklärt uns das das Verhalten der Katze nicht (der Biologe wird Sie verwundert angucken, wenn Sie als Erklärung dafür, daß die Katze nun nicht mehr dem Wollknäuel nachrennt, sondern auf die Kittekat-Dose zu, anführen, daß sie sich nun umentschieden hat und etwas anderes will als vorher), und wir wissen nicht, ob das bei der Katze wirklich so ist. Alles, was wir wissen, ist, daß wir dann, wenn wir sie so (nämlich teleologisch) beurteilen, einen Analogieschluß von unserem Wissen um uns selbst aus vornehmen und daß uns so das Verhalten der Katze „verständlich“ wird.
Ich habe, nebenbei, mit der Richtung, der Keil in der Willensfreiheitsdiskussion angehört (Libertarismus), meine Schwierigkeiten. Aber daß der Begriffskern des Freien Willens im Zukunftsbezug liegt und in der Fähigkeit, den momentanen Stand der Willensbildung nicht unmittelbar handlungswirksam machen zu müssen, sondern innehalten zu können, das leuchtet mir ein.
„…lese ich, dass Locke das Suspensionsvermögen für einen empirischen Fakt gehalten hat.“
Erstens, Locke war Empirist und für ihn gab es nichts anderes als empirische Fakten. Apriorität kann da nicht vorkommen. Zweitens, das Suspensionsvermögen ist ja auch ein empirischer Fakt. Wir erfahren es immerzu, wir können sagen: gestern um halb Zwei habe ich es ausgeübt. Aber es ist nicht nur dies (würde ich sagen, wohl auch Keil, Locke natürlich nicht), es ist auch konstitutiv für Erfahrung überhaupt. (Es ist also ähnlich wie beim „Ich“ – und muß wie dieses in zwei kategorial verschiedenen Bedeutungen verstanden werden).
„’die Person … hat stets die Fähigkeit, weiterzuüberlegen und sich umzuentscheiden.’ [Keil-Zitat] Und wovon hängt das ab, ob sie es tut?“
Von ihr selbst, der Person, andernfalls könnte man nicht von Wille und Freiheit sprechen. Die Person ist da Ur-Heberin, nichts anderes gibt es, dem man das zuschreiben könnte, was sie da tut. In objektwissenschaftlicher Perspektive hängt es freilich von allerlei ab, z. B. ob einen gerade jemand ablenkt, ob gerade die Sonne durch die Wolken kommt, ob bestimmte Neuronen durch bestimmte Botenstoffe erregt werden oder ob man zu einem grüblerischen Menschen erzogen worden ist.
Hier liegt vielleicht noch ein kleiner Mops:
Das Verhalten einer stimulierten Katze ist von der Natur konditioniert keineswegs ‘kausal determiniert’, sondern sie handelt sozusagen vektoriell. Es bietet sich hier an dieses Verhalten in Ablaufdiagrammen oder Grafiken mit Konfidenzintervallen darzustellen.
D.h. die Katze handelt einmal so und einmal so, sie darf aus Gründen des umgebenden Biotops nicht umfänglich berechenbar sein; sie handelt spieltheoretischen Maßgaben folgend.
Zumindest scheint es angemessen dies anzunehmen.
MFG
Dr. W (der nicht glaubt, dass die Biologie anders einstuft, aber auch nicht weiter auf diesem kleinen Mops herumreiten möchte; Katzenhalter seit Langem btw)
Es geht darum, was Naturwissenschaft kann, nicht darum, wie die Natur wirklich ist.
Von Ludwig Trepl, @ Webbaer.
Ich schreib’ mir die Finger wund, aber keiner kapiert auch nur im Ansatz, was ich da schreibe. Dabei ist es – jedenfalls für einen, der schon mal etwas davon gehört hat, was moderne Naturwissenschaft (also etwa seit Galilei-Newton) ist – so einfach.
Ob das Verhalten der Katze „von der Natur“ „’kausal determiniert’“ ist oder nur „konditioniert“, wissen wir nicht und können wir nicht wissen. Wir können nur das Verhalten prognostizieren, erfolgreich, aber nie genau (so wie wir auch, wenn wir nur die Genauigkeitsanforderungen entsprechend hochschrauben, in der Astronomie nichts genau prognostizieren können).
Was innerhalb des Spielraums geschieht – da „handelt“ (ein Begriff, der in der Naturwissenschaft nicht möglich ist) die Katze „einmal so und einmal so“ –, das verstehen wir, indem wir sagen, die Katze „entscheidet“ sich mal so, mal so. Aber das ist keine naturwissenschaftliche Erklärung. Wo immer wir nur Wahrscheinlichkeiten feststellen oder „vektorielles“ Verhalten, ist das für die Naturwissenschaft ein Noch-nicht-Wissen, sie unterstellt (sie weiß es nicht, das wäre Metaphysik), daß man, wenn man die Sache genauer betrachtet, mehr Faktoren einbezieht usw., auch die Genauigkeit der Prognose verbessern kann (es ist eine Grunderfahrung der experimentellen Naturwissenschaft, daß das so ist).
Die regulative Idee, unter der die Naturwissenschaft steht, nämlich endlos nach Kausalursachen zu suchen zu sollen, wird nicht außer Kraft gesetzt dadurch, daß man gerade keine gefunden hat. Die teleologische Formulierung (die Katze „entscheidet“ sich halt) ist keine Erklärung, sie ist für die Biologie immer nur vorläufig (zu heuristischen Zwecken erlaubt). Sie werden auf der Welt keinen Biologen finden, der mit der „Erklärung“, es liege an der „Entscheidung“ der Katze, ob sie so oder so sich verhält, zufrieden ist, er wird nach einer Kausalursache fragen. Daß man mit Modellen arbeitet, die nur Wahrscheinlichkeiten ansetzen, oder daß man, wie in der Spieltheorie, teleologisches Verhalten „ökonomisch“ formalisiert, ändert nicht das Geringste daran, daß man für den Einzelfall immer der regulativen Idee immer genauerer Kausalerklärung folgt, daß man damit unterstellt, sie sei möglich.
„Die Katze … darf aus Gründen des umgebenden Biotops nicht umfänglich berechenbar sein.“
Wo haben Sie denn diese Küchenökologie her?
Dr. B an Dr. T. :
Ja, gut. Danke für die Erläuterung. – Wird man so glücklich, wenn es um wegrennende Hasen geht oder Schwarmverhalten oder jagende Katzen oder Nagetiere in Röhren, die um Käse oder Stromschlag kämpfen, manchmal auch gegeneinander? A: Man muss es versuchen.
MFG
Dr. W (der hoffentlich nun folgen konnte)
Bei (tier)psychologischen Fragen dürfen Sie keinen Biologen fragen. Sie konsultieren ja bei einem Problem mit der Motorsteuerung auch keinen Atomphysiker.
Ich weiß nicht, wo das Problem liegen soll, diese oder jene Motive und Bedürfnislagen als Grund (also Ursache) für ein bestimmtes Verhalten anzusehen. Und ich weiß auch nicht, wo ein Problem liegen soll, diesen Prozess, der in einem selbst (Mensch und eben möglicherweise auch Katze) aufläuft, dann eine “Entscheidung” zu nennen, wenn er bewusst ist.
(Tier-)Psychologie, Natur- und Geisteswissenschaft.
Von Ludwig Trepl, @ Ano Nym.
„Bei (tier)psychologischen Fragen dürfen Sie keinen Biologen fragen.“
Das ist komplizierter. Die Psychologie ist in der üblichen, auf der Methodologie beruhenden Einteilung der Wissenschaft etwas völlig Heterogenes. Teile – nicht nur der Behaviorismus, auch, wenigstens dem Anspruch nach, z. B. Freud – sind Naturwissenschaft. Die verschiedenen Varianten der „verstehenden Psychologie“ dagegen sind Geisteswissenschaft. Ihre Methodik ist hermeneutisch und man findet sie im Prinzip schon bei den großen Theoretikern der Geisteswissenschaften, etwa bei Dilthey (Ausdrucksverstehen) und Schleiermacher, beschrieben.
„Ich weiß nicht, wo das Problem liegen soll, diese oder jene Motive und Bedürfnislagen als Grund (also Ursache) für ein bestimmtes Verhalten anzusehen.“
Ich persönlich finde, Bedürfnislagen sind kein Problem für die Naturwissenschaft, da macht nur der extreme Behaviorismus eines draus. Ein Bedürfnis ist eine Naturursache; nicht nur Außenfaktoren, sondern u. a. auch Dispositionen des Organismus sind Größen, die der Naturwissenschaft zu berücksichtigen möglich sind. Daß das Tier aber zwischen verschiedenen Bedürfnissen von sich aus wählen kann, also nicht einfach dem stärkeren folgt, ist dagegen schon ein Problem für sie.
Ich bin der Meinung, daß eine Psychologie, die das tut, was sich die Naturwissenschaft verbieten muß, nämlich sich nicht auf Beobachtbares zu beschränken, sondern die sozusagen das Wissen um das eigene Innenleben als Untersuchungsinstrument einsetzt, einer sich auf Beobachtbares beschränkenden Psychologie (typisch: Skinner-Behaviorismus) überlegen ist. Man bemerkt ungeheuer viel mehr, wenn man aus seinem an sich selbst gewonnenen Wissen darüber, was Liebe ist, in welchen Nuancen sie vorkommt usw., an die Untersuchung geht, als wenn man sich, wie der Behaviorist, mit der Herzfrequenz und der Wangenröte begnügen muß, weil die das einzige Beobachtbare an der Liebe sind.
Aber das ändert nichts daran, daß das alles für die Naturwissenschaft (und damit auch für eine sich als Teil der Biologie verstehende Psychologie) im Bereich der Heuristik abspielt, daß es etwas Vorläufiges (als solches vielleicht Nützliches, weil Fragen Aufdeckendes, Probleme Ordnendes) ist, dem die Erklärung zu folgen hat. Die praktizierenden Naturwissenschaftler haben heutzutage zu all den Modellen, die letztlich nichts sind als Formalisierungen teleologischer „Erklärungen“, gewöhnlich die folgende Ansicht: Erst wenn wir „mechanistic models“ von der Sache haben, haben wir unsere Aufgabe erfüllt.
Eine Frage ist naheliegend: Ob „verstehende Psychologie“ auch als Tierpsychologie möglich ist. Ich meine: schon, aber die Erfolge dürften sehr begrenzt sein. Unser verstehender Zugang zu Tieren macht nicht viel verständlich. Wir verstehen, daß (höhere) Tiere Angst haben oder Wut, allzu viel mehr ist das ja nicht. Verstehen heißt hier: Wir wissen, wie das „von innen“ ist. Wenn so eine verstehende Tierpsychologie sich nicht als Naturwissenschaft versteht (so daß sie dann dergleichen nur als Heuristik gelten lassen könnte), sondern als Geisteswissenschaft, dann würde die Angst der Tiere als ein objektiver Sachverhalt aufgefaßt. Ich vermute, das müßte sich begründen lassen. Die absolute Grenze zwischen Mensch und Tier liegt nicht auf der Ebene, auf der das Ausdrucksgeschehen und damit die Möglichkeit eines „verstehenden“ Zugangs angesiedelt ist.
„Und ich weiß auch nicht, wo ein Problem liegen soll, diesen Prozess, der in einem selbst (Mensch und eben möglicherweise auch Katze) aufläuft, dann eine “Entscheidung” zu nennen, wenn er bewusst ist.“
Nicht daß sich der Mensch oder das Tier bei Bedürfnislage A so verhält und bei Bedürfnislage B so, macht den Begriff der Entscheidung aus. Wenn ein Mensch oder ein Tier mechanisch dem stärkeren Bedürfnis oder dem stärkeren Reiz folgt, dann würden wir nicht von einer Entscheidung sprechen. Das zukünftige Verhalten muß als offen gedacht werden, es muß Alternativen geben und es muß ganz von dem als Subjekt („Ur-Heber“) gedachten Entscheider abhängen, welche davon „gewählt“ wird. Ich bin mir unsicher, ob überhaupt Bewußtheit dafür entscheidend ist. Vielleicht fällt ja Ihnen etwas dazu ein. Kann man sich denken, daß ein Wesen ohne Bewußtsein (sagen wir mal, eine Pflanze) verschiedene mögliche zukünftige Zustände antizipiert und dann „entscheidet“, also nicht mechanisch auf einen davon „reagiert“, sondern aufgrund irgendeiner Art von „Maxime“, die es „sich selbst“ gegeben hat, ohne sich doch dessen bewußt zu sein, zwischen ihnen abwägt? Scheint schwierig.
Person als Abstraktum /@Ludwig Trepl
»Dann sollten die Naturwissenschaftler und Naturalisten in dieser [Willensfreiheits-]Diskussion aber endlich still sein.«
Nun, würde unter „Willensfreiheit“ etwas Ähnliches verstanden wie unter Meinungs- oder Glaubensfreiheit, dann sähen Naturwissenschaftler wohl keinen Anlass, sich an der Diskussion zu beteiligen.
Die Einwände der Naturwissenschaftler richten sich fast immer gegen Vorstellungen, die sich schlecht mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen vereinbaren lassen. Solche Vorstellungen, die dem Menschen physikalisch unmögliche Fähigkeiten zusprechen, werden gottlob ja immer seltener.
»„Person“ ist keine leere Idee, wie jeder Mensch weiß.«
Ich meine, „Person“ ist praktisch so real wie etwa Bürger, Deutscher oder Christ. Das sind mehr oder weniger sinnvolle Zuschreibungen, die wir uns geben. Auf der begrifflichen Ebene der Person finden wird dann ja auch die Willens- und Entscheidungs- und Handlungsfreiheit. Alle diese Begriffe bedingen einander und bilden ein in sich geschlossenes Erklärungs- und Denksystem.
Ihr Eindruck, dass ich denke, „Person“ sei etwas, was nur im Denken der Menschen existiert, trifft es also. Es ist, denke ich, gewissermaßen die Art und Weise, wie Menschen (naturbedingt) andere Menschen in aller Regel wahrnehmen—eben als Personen.
Davon ausgehend pflichte ich Ihnen bei:
»Der als natürlicher Mechanismus oder als reizgesteuertes Tier betrachtete Mensch ist eine hochgradige Abstraktion.«
Es widerspricht unserem natürlichen Empfinden, Menschen als bloße Säugetiere zu sehen.
Hallo @Balanus, bin gerade hier in der ‘Gegend’…. möchte anlässlich dieses obigen Posts nur noch einmal meine wiederholte Frage an Sie bezüglich der Intuition auf ein Neues wiederholen . Hier oben taucht auch wieder der Satz auf: “Dem Augenschein (bzw. der Intuition) ist bekanntlich nicht zu trauen.”
Demnach setzen Sie Intuition mit Augenschein gleich? Was genau ist für Sie Intuition?
Hi, @Grenzgängerin
Das hier aus Wikipedia trifft’s ganz gut, was ich mit Intuition meinte:
Oder auch so (psychologisch):
Wobei das hier natürlich auch gilt:
Bedeutung von „Intuition“.
Von Ludwig Trepl, @ Balanus.
„Während diskursives Erkennen auf Sinneswahrnehmungen und aufeinander aufbauenden Schlussfolgerungen beruht, ist intuitives Erkennen eine geistige Anschauung … Sie wird meist als instinktives Erfassen oder als gefühlsmäßige Ahnung wahrgenommen.“ (Ihre Zitate aus Wikipedia)
Wikipedia gilt nicht ganz zu Unrecht als nicht zitierfähig.
„Intuition“ wird vor allem in zwei verschiedenen Bedeutungen gebraucht. Die eine ist eher, aber nicht nur, umgangssprachlich (bzw. Bildungsbürger-Jargon): Die Tatort-Kommissarin wird gefragt, woher sie denn wüßte, daß da der Täter sei, und sie antwortet „weibliche Intuition“. Da hat Intuition etwa die Bedeutung von „Ahnung“. Die andere gehört zu dem Begriffspaar diskursiv-intuitiv. Und da hat Intuition keineswegs die Bedeutung von vager Ahnung, sondern im Gegenteil von letzter Klarheit. Man formt etwa eine geometrische Aufgabe so lange um, bis man „sieht“, wie es ist; es ist notwendig so, und alle anderen sehen das auch und sehen, daß das notwendig so ist.
Wie ist es denn nun mit der Freiheit (des Willens)? Kant würde wohl sagen: Diese Erkenntnis ist diskursiv: Ich weiß um das Sittengesetz, daraus folgt logisch, daß ich frei bin. Das moralische Gesetz ist die ratio cognoscendi der Freiheit (während umgekehrt die Freiheit die ratio essendi des moralischen Gesetzes ist). Man könnte, meine ich, aber durchaus die Behauptung prüfen, ob das Wissen um die Willensfreiheit nicht eine Intuition (im Sinne jener „geometrischen“, im Sinne „vager Ahnung“ sowieso nicht) ist. Ich weiß, daß ich Bier will und nicht Wein (das weiß ich, das ahne ich nicht), und ich weiß zugleich, daß ich auch Wein wollen könnte und daß es an mir liegt, meinen Willen derart zu ändern (auch das weiß ich, ich ahne es nicht). Daß man auf naturwissenschaftliche Weise zu diesem Wissen nicht kommen kann, berührt die ganze Sache überhaupt nicht, so wie umgekehrt die Tatsache, daß man reflexiv nicht auf das Ohm’sche Gesetz kommen kann, etwas darüber aussagt, ob dieses Gesetz gilt oder nicht..
„Andererseits deuten neue Forschungsergebnisse darauf hin, dass man mit der Intuition manchmal − und nicht zuletzt in komplexen Situationen − zu besseren Entscheidungen kommt als mit dem bewussten Verstand.“ (Wiki)
Ach, diese Kleinwissenschaftler, die sich wichtig machen müssen. „Neue Forschungsergebnisse“ deuten auf etwas hin, was jeder schon immer wußte. Man wußte sogar schon immer, warum das so ist. Die „Ahnung“ kommt dadurch zustande, daß man eine Vielzahl von Erfahrungen und Schlußfolgerungen verbindet, ohne sich klar zu machen, wie das im Einzelnen zugeht. Natürlich kann da öfter mal etwas Besseres herauskommen als dann, wenn einer mit „bewußtem Verstand“ irgendwelchen auswendiggelernten Gedankengängen folgt.
Das liegt in der Begriffsbestmmung des Wollens. Ein unbewusstes gibt es nicht (man nennt es “Verlangen” oder ähnlich, nachdem es einem dann doch ins Bewusstsein getreten ist).
1. Das Wissen um ein Wollen ist vom Wissen um ein Können zu unterscheiden. Das sind kategorial verschiedene Dinge. Das Können referenziert eine Handlung, die keine bestimmte Zeit hat, also eine abstrakte Handlung.
2. Ich weiß, dass ich unter anderen (inneren/äußeren) Umständen (etwa wenn mir nach Wein und nicht nach Bier ist/es nur Wein aber kein Bier gibt), ich Wein statt Bier wollen kann. Ich halte aber die Formulierung, dass ich unter den selben inneren und äußeren Umständen und insbesondere zum gleichen Zeitpunkt Wein statt Bier wollen (gekonnt haben) könnte, entweder für sinnlos oder für falsch. Eine solche Formulierung hat m.E. gar keinen Inhalt(, aber eine Zweck, nämlich den, Verhalten vorwerfbar zu machen).
3. Zufall habe ich bei meinen Überlegungen ausgeblendet.
Für Ihren weite Teile der herkömmlichen Philosophie anlehnenden Kommentatorenfreund bleibt die Intuition die Einschätzung einer Sache, eines Sachverhalts oder einer Anforderungslage, die sich nicht mehr klar in Sachen und Verhalte ausdrücken lässt, auf Grund von Regeln oder Maßgaben, die sich nicht mehr stringent beschreiben lassen.
Was nicht heißt, dass hier die Grenzen des Geistes durchbrochen werden oder Metaphisches sozusagen im Übermaß geleistet wird, sondern nur dass Regeln und Maßgaben in ihrem Zusammenspiel nicht mehr klar formuliert werden können. In hoch komplexen Systemen handelt der Einzelne denn auch intuitiv.
Etymologisch dürfte diese Beschreibung in Ordnung gehen.
MFG
Dr. W (der Philosophie insbesondere dann ablehnt, wenn sie übermäßig rekursiv wird)
* ablehnenden Kommentatorenfreund
Wollen, Wollenkönnen, Anderskönnen.
Von Ludwig Trepl, @ Ano Nym.
„Das [‘Ich weiß, daß ich Bier will und nicht Wein’] liegt in der Begriffsbestimmung des Wollens.“
Ja, aber nicht nur. Begriffliche Wahrheiten sind noch keine „materialen“ Wahrheiten (analytische keine synthetischen). Dazu muß dem Begriff etwas Reales entsprechen. Woher weiß man, daß es „Wollen“ wirklich „gibt“? Weiß man es nicht, ist es nur eine Meinung? Ist es eine empirische Erkenntnis? Oder eine apriorische? Oder beides in verschiedener Hinsicht? Mir scheint im Moment: Letzteres.
„Das Wissen um ein Wollen ist vom Wissen um ein Können zu unterscheiden. Das sind kategorial verschiedene Dinge. Das Können referenziert eine Handlung, die keine bestimmte Zeit hat, also eine abstrakte Handlung.“
Das stimmt, aber das habe ich nicht bestritten. Ich habe nur behauptet, daß, daß das Wissen um das Wollen notwendig mit dem Wissen um das Wollenkönnen verbunden ist. Zu wissen, daß man etwas will, ist nicht möglich ohne zu wissen, daß man auch etwas anderes wollen könnte. Das „Wollen“ von etwas, ohne daß es als möglich gedacht werden muß, auch etwas anderes wollen zu können, würde man nicht ein Wollen nennen. („Können“ bezieht sich übrigens hier – vielleicht haben Sie das mißverstanden – nicht auf das Ausübenkönnen des Gewollten, sondern auf das Bestimmenkönnen des Willens.)
„Ich halte aber die Formulierung, dass ich unter den selben inneren und äußeren Umständen und insbesondere zum gleichen Zeitpunkt Wein statt Bier wollen (gekonnt haben) könnte, entweder für sinnlos oder für falsch.“
Richtig. Aber ich muß nicht Bier wollen (wie ich es im Augenblick will), d. h. den Willenbildungsprozeß an dieser Stelle abbrechen und die Entscheidung treffen, sondern kann innehalten, „Moment“ sagen und dann „ich nehme doch lieber Wein“. Geert Keil befaßt sich in seinem Willensfreiheit-Buch, ungefähr S. 75-95., ausführlich damit. Ich zitiere ein paar Sätze daraus:
„Gemeint ist nicht die Fähigkeit, etwas anderes zu wollen, als man aktuell will – dies kann niemand –, sondern die Fähigkeit, bestehende Antriebe zu prüfen und so seinen Willen umzubilden.“
„Erst der Zukunftsbezug verdeutlicht, was gemeint ist. Es ist nicht die Fähigkeit gemeint, einen anderen Willen zu haben als man aktuell hat. Dies wäre absurd, wiewohl eine gängige Karikatur von ‚Willensfreiheit’. Gemeint ist die Fähigkeit, eine gegebene Motivlage nicht unmittelbar handlungswirksam werden zu lassen. Eine zentrale Komponente ist somit … das von Locke beschriebene Suspensionsvermögen. Vorhandene Wünsche oder Antriebe setzt die Person nicht natur- oder vernunftnotwendig in die Tat um, sondern sie bleibt weiteren vernünftigen Gründen zugänglich und hat stets die Fähigkeit, weiterzuüberlegen und sich umzuentscheiden.“
Person ist Abstraktum?.
von Ludwig Trepl, @ Balanus.
„Ich meine, „Person“ ist praktisch so real wie etwa Bürger, Deutscher oder Christ. Das sind mehr oder weniger sinnvolle Zuschreibungen, die wir uns geben.“
Primat, Säugetier, Ansammlung bestimmter chemischer Verbindungen: Das sind mehr oder weniger sinnvolle Zuschreibungen, die wir uns geben. – Der Zuschreibung „Person“ können wir auf keine Weise entkommen (der Zuschreibung „Bürger“ oder „Christ“ schon). Sie ist Voraussetzung für all die anderen Zuschreibungen, auch die naturwissenschaftlichen, denn die setzen ja die Naturwissenschaft voraus und die kann nicht von Nicht-Personen (Menschen als bloßen Tieren) betrieben werden. Voraussetzung ist auch, daß die Person ein Lebewesen ist und zwar ein Primat und nicht ein Nematode usw. – Voraussetzung hier im Sinne von „ratio essendi“. „Person“ ist Voraussetzung im Sinne von „ratio cognescendi“, denn es gäbe sonst keine Erkenntnisgegenstände wie „Primaten“ oder „Nematoden“ oder „Bürger“. „Person“ ist aber nicht nur ein Begriff im Zusammenhang der Erkenntnistheorie, sondern Personen entscheiden, sind verantwortlich, handeln und können so oder so handeln. Insofern ist „Person“ nicht nur „ratio cognescendi“.
„Es ist, denke ich, gewissermaßen die Art und Weise, wie Menschen (naturbedingt) andere Menschen in aller Regel wahrnehmen—eben als Personen.“
Es ist vor allem nicht möglich, sich selbst anders denn als Person wahrzunehmen. Ob Sie das nun naturbedingt oder gottgewollt nennen, ist ziemlich egal. „Natur“ ist in diesem Zusammenhang nur ein anderes Wort für Gott. Wenn Sie allerdings mit „naturbedingt“ meinen (und das vermute ich), daß es sich im Prinzip naturwissenschaftlich erklären lassen müßte, dann handeln Sie sich einige Schwierigkeiten ein. Sie müßten erklären, wie die Natur in diesem Verständnis etwas hervorbringen kann, was gänzlich jenseits aller Natur in diesem Verständnis liegt. Wenn Sie nun antworten, daß das eben nicht stimmt, sondern daß eben alles, auch „Person“, Natur ist, dann sind Sie wieder bei jener vormodernen Naturphilosophie, in der „Natur“ etwa synonym mit „Alles“ und in bestimmter Ausformung insbesondere mit „Gott“ ist. In antiken Theorien war mit „Natur“ „die ‚ganze Natur’ gemeint, die allem von Natur Seienden zugrunde liegt“ (J. Ritter). Theorie der Natur „hat die Bedeutung, dass sich in ihr der Geist dem alles umgreifenden ‚Ganzen’ und ‚Göttlichen’ zuwendet“ (ebd.). Damit machen Sie die Differenzierung, die mit dem modernen Begriff von Naturwissenschaft vorgenommen wurde, rückgängig.
Das Bewusstsein des Menschen arbeitet mit Worten und Zahlen, das Unterbewusstsein mit Bildern und Metaphern. Das Unterbewusstsein lässt sich programmieren und damit der Kulturmensch durch selektive geistige Blindheit an eine noch fehlerhafte Makroökonomie anpassen, indem elementare makroökonomische Zusammenhänge mit archetypischen Bildern und Metaphern exakt umschrieben und diese dann mit falschen Assoziationen und Begriffen verknüpft werden, an die der Untertan glaubt. Der Glaube an die falschen Begriffe erzeugt eine geistige Verwirrung, die es dem Programmierten so gut wie unmöglich macht, die makroökonomische Grundordnung, in der er arbeitet, zu verstehen; noch weniger kann er über die Makroökonomie, die in den Grundzügen seine Existenz bestimmt, hinausdenken. Diese Technik, die in früheren Zeiten – etwa bis zum 6. vorchristlichen Jahrhundert – noch eine exakte Wissenschaft war und die nur von eingeweihten Oberpriestern betrieben werden durfte, nennt sich “geistige Beschneidung von Untertanen”, bzw. Religion = Rückbindung auf künstliche Archetypen im kollektiv Unbewussten. Auch das, was heute “moderne Zivilisation” genannt wird, entstand aus der Religion:
http://opium-des-volkes.blogspot.de/2013/11/macht-oder-konkurrenz.html
Geht’ s vielleicht auch anders Herr Wehmeier?
Ihr Vorgehen ist eine bekannte unschöne Methode, um es höflich zu sagen: den Anderen mit Unkenntnis, Vorurteil, Falschurteil, Tatsachenverdrehung etc. heruntermachen, um sich dann darauf selber aufbauen zu können. Muss doch nicht sein.
Man sollte den Historikern, Forschern etc. früherer Generationen doch erst einmal genauso wie uns selber heute gute Absichten unterstellen, ehe man aus ihren Fehlern Geschosse gegen sie macht. Und ob das, was wir heute als Fehler einschätzen. tatsächlich Fehler sind und nicht von wieder späteren Generationen als Falschurteil gesehen werden wird, muss man ja doch auch erst mal offen lassen. Bei vielem wird sich rerst noch zeigen, dass es für die jeweilige Zeit so falsch gar nicht war, vorausgesetzt wir sind überhaupt einfühlsam genug für die Situation früherer Generationen. Wer historische Forschung betreibt, um sie zur Bestätigung eigener Vorstellungen zurecht zu biegen, der sollte die Finger davon lassen.
Es ist doch eigentlich klar, dass wir mit der Meßlatte unserer fortgeschrittenen wissenschaftlichen Methoden nicht einfach auch an die früherer Generationen heran gehen können. Und natürlich fördern die diversen Forscher und Disziplinen heute einiges Fragwürdiges zutage und kommen mit ihren Funden und Erkenntnissen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Da heraus die Wahrheit zu destillieren, braucht Zeit, Geduld aber vor allem einfühlsames Vorgehen, Hochachtung gegenüber den Absichten früherer Generationen.
Es ist Unrecht und einfach Unsinn, die Religionen so pauschal schlecht zu machen, von wegen z.b. “fünfhundert Seiten dummes Geschwätz…“. das fällt letztlich auf Sie selber zurück, wenn Sie’ s nicht konstruktiver können. An der Stelle habe ich mit dem Überfliegen des Textes aufgehört. Das muss man sich nicht antun.
PS:
“Das Bewusstsein des Menschen arbeitet mit Worten und Zahlen, das Unterbewusstsein mit Bildern und Metaphern. Das Unterbewusstsein lässt sich programmieren und damit der Kulturmensch durch selektive geistige Blindheit an eine noch fehlerhafte Makroökonomie anpassen, indem elementare makroökonomische Zusammenhänge mit archetypischen Bildern und Metaphern exakt umschrieben und diese dann mit falschen Assoziationen und Begriffen verknüpft werden, an die der Untertan glaubt.”
Dass Herrschende oder Machthabende – als Einzelne über so viele – heute solchen Missbrauch betreiben, halte ich für möglich, weil auch die technischen Möglichkeiten dazu gegeben sind. Aber doch nicht vor 1000,2000 und mehr Jahren.
Heute ist diebezüglich Wachsamkeit angesagt, ohne Zweifel. Aber sie unterschätzen doch arg, die Möglichkeiten und Fähigkeiten der vielen Nichtmachhabenden. Denn eigenständige Kraft haben sie dennoch. Der freie Wille läßt grüßen… 😉
So ist das also.
MFG
Dr. W (der hier ganz primär testet, ob seine Nachrichten noch durchdringen, es gab ja einige Probleme technischer Art – demnächst und im Erfolgsfall aber wieder umfänglich zV stehend)
@ Ludwig Trepl, Balanus
Hier ist noch ein Minireview zum neuronalen Entscheiden (open access):
Kristan, W. B. (2008). Neuronal decision-making circuits. Current Biology, 18(19), R928-R932. DOI: 10.1016/j.cub.2008.07.081
Wenn ein Mensch seine eigene Entscheidungsfindung einschätzt und beurteilt, dann kann er naturgemäss nichts darüber konstatieren, was bei diesem Vorgang unterhalb des Bewusstseins abläuft. Man könnte spekulieren, dass eine wechselseitige Beeinflussung zwischen Prozessen, die mit dem Bewusstsein einhergehen, und den eigentlichen neuronalen Entscheidungsprozessen stattfinden kann, was der Mensch dann womöglich als vermeintlich bewusste Entscheidung erlebt. Dabei dürfte vermutlich überhaupt nur ein verschwindend geringer Bruchteil der praktischen Entscheidungen eines Menschen über die Schwelle zu dessen Bewusstsein gelangen.
Von Ludwig Trepl, @ Chrys.
„…was der Mensch dann womöglich als vermeintlich bewusste Entscheidung erlebt.“
Sie setzen einfach voraus, wofür Sie doch argumentieren müßten: daß das, was die Naturwissenschaften uns erkennen lassen, als wahr erkannt ist und daß es auf andere Weise nichts zu erkennen gibt. Da gibt es dann nur noch „Erlebtes“ und „Vermeintliches“.
Dabei sollte den Naturalisten doch zumindest irritieren, daß das, worauf er sich als letzte Instanz beruft, die Empirie, auch nur „Erlebtes“ und „Vermeintliches“ ist. Wenn man etwas nachweist dadurch, daß man sagt, unter dem Mikroskop habe man etwas Gelbes, Längliches gesehen, also „erlebt“, dann kann das ja täuschen. Die Prüfung geschieht durch Denken, dadurch, daß man die sinnliche Erfahrung zusammen mit anderen sinnlichen Erfahrungen in den Rahmen von theoretischen Systemen stellt, die man auf logische Konsistenz usw. prüft.
Wenn es sich nun nicht um Empirisches handelt, wie es im Falle der freien Entscheidung ist (sie ist in keiner Weise beobachtbar, und keine Neurobiologie kann sie je finden), dann kann man die Wahrheit (ein Wort, das hier natürlich etwas anderes bedeutet als im Falle empirischer Erkenntnis) entsprechender Sätze ebenso prüfen. Was zur logischen Richtigkeit sonst hinzukommen muß, nämlich die „materiale Wahrheit“, die der empirischen Prüfung bedarf, ist hier nicht möglich und nicht nötig, weil es sich nicht um Empirisches handelt. Es handelt sich aber doch nicht um „verbotene“ Metaphysik. Es geht vielmehr um die nur durch Reflexion mögliche Analyse dessen, was man „Subjektivität“ nennt, welche die Bedingung aller Erkenntnis ist, auch der empirischen, naturwissenschaftlichen.
“…überhaupt nur ein verschwindend geringer Bruchteil der praktischen Entscheidungen eines Menschen über die Schwelle zu dessen Bewusstsein gelangen.“
Das wird wohl stimmen. Aber selbst wenn der Bruchteil noch viel, viel kleiner wäre als er es tatsächlich ist, wäre das für die Frage nach der Freiheit von Entscheidungen von keinerlei Bedeutung. Entweder es gibt sie oder es gibt sie nicht (wobei „gibt“ sich nicht auf ein empirisch zugängliches Existieren bezieht). Entscheidungen sind frei, das ist ein analytischer Satz. Die Frage ist nur, ob es sinnvoll ist, von Entscheidungen überhaupt zu sprechen. Wenn der Naturalismus recht hat, dann ist es nicht sinnvoll.
@Ludwig Trepl
“Was ist der Unterschied zwischen einem Eichhörnchen und einem Klavier?”
Insbesondere mit Hinblick auf das Verhalten von Automatenklavieren stellt sich diese ursprünglich von Opa Hoppenstedt aufgeworfene Frage für die Biologie doch einigermassen berechtigt, ganz unabhängig von allen philosophischen -ismen. Und speziell die im Aufsatz von Kristan genannten attractor states deuten auf einen im wahrsten Sinne des Wortes entscheidenden Unterschied. Denn Erkenntnisse aus der Theorie dynamischer Systeme lassen unmittelbar erwarten, dass ein auf solche Weise hervorgebrachtes und gesteuertes Verhalten das Merkmal informationstheoret. Entropie zeigt. Ein Eichhörnchen würde in diesem Sinne also durch sein Verhalten beim Vergraben von Früchten Information generieren, die auf keine andere Weise in die “Welt” kommen kann. Somit müssen wir ihm zugestehen, dass es dabei genuine Entscheidungen trifft. Das ist nun ganz und gar verschieden von den Aktionen eines Automatenklaviers oder eines Robovacs, die lediglich ein ihnen vorgegebenes Programm abspulen und dabei zu keinerlei Kreativität befähigt sind.
Die empirischen Einsichten sprechen folglich dafür, dass Tiere echte Entscheidungen treffen können, ohne dass dazu eine Beteiligung von Bewusstsein als Voraussetzung angenommen werden muss. Die Philosophie darf aber empirische Erkenntnise nicht einfach ignorieren, wenn sie noch weiterhin ernstgenommen werden will.
Mit der Debatte um freien Willen hat das alles nach meinem Verständnis eigentlich nichts zu tun. In der Biologie wird der Begriff ja auch in keiner Weise fachsprachlich verwendet. Man sollte zwischen Entscheidungsverhalten und Willensbildung sorgfältig unterscheiden, das sind wohl zwei völlig verschiedene Begriffswelten.
Tier-Entscheidungen.
Von Ludwig Trepl, @Chrys.
Ich habe große Mühe zu verstehen, was Sie meinen. Ist es so richtig:
(1) Tiere treffen „genuine Entscheidungen“.
Das bestreite ich nicht.
(2)Daß Tiere „genuine Entscheidungen“ treffen, läßt sich empirisch feststellen.
Das bestreite ich. Man muß „Entscheidung“ so definieren, daß nicht Entscheidung gemeint ist, um so etwas sagen zu können. „Feststellen“, daß ein Eichhörnchen Entscheidungen trifft, könnten wir nur, wenn wir mit ihm sprechen könnten (denn nur daher wissen wir es auch von anderen Menschen, nicht durch deren Beobachtung).
(3) Daß Tiere „echte Entscheidungen“ treffen, zeigt sich darin (oder ist dadurch zu beweisen), daß ihr Verhalten zu Erhöhung von im informationstheoretischem Sinne verstandener Information (d. h. Negentropie, Shannon-Diversität) führt.
Das verstehe ich überhaupt nicht. Man kann sich doch jede Menge Situationen ausdenken/herstellen/in der Natur finden, in denen Informationserhöhung in diesem Sinne vorhersehbar ist. Das ist das Alltagsgeschäft der Ökologie. Eine vegetationsfreie Fläche entsteht, die Shannon-Diversität (Information, Negentropie) auf der Fläche erhöht sich dann vorhersehbar, weil der Wind Samen herbeiweht. Hat da der Wind genuine Entscheidungen getroffen? Umgekehrt: Ein Mensch, der echte Entscheidungen trifft, kann sich entscheiden, die Information (usw.) von irgend etwas zu erniedrigen. Spricht das dagegen, daß er echte Entscheidungen trifft? – Könnten Sie bitte erklären, wie Sie das meinen?
„Man sollte zwischen Entscheidungsverhalten und Willensbildung sorgfältig unterscheiden, das sind wohl zwei völlig verschiedene Begriffswelten.“
Der Normalbegriff von Entscheidung ist jedenfalls, daß sie je nach dem, welcher Wille gebildet wird, so oder so ausfällt. Unterscheiden muß man also schon, aber das eine impliziert das andere. Wenn Sie nun sagen wollen, daß Entscheidung etwas vollkommen anderes ist, einer anderen (nämlich der naturwissenschaftlichen) Begriffswelt angehört, dann müßten Sie einmal erläutern, was denn eine Entscheidung ist. Und herauskommen müßte, daß es sich nicht um etwas Determiniertes und auch nicht um etwas Zufälliges handelt, sondern eben um eine „genuine“ Entscheidung, d. h. daß ein Subjekt „ganz von sich aus“ bestimmt, was es denn nun zu tun beabsichtigt. Den Begriff Subjekt müßten Sie aber vermeiden (der Sache nach, nicht dem Wort nach), denn der gehört ja auch in eine von der naturwissenschaftlichen völlig verschiedene Begriffswelt.
@ Dr. Trepl:
Offensichtlich wird im zuerst Zitierten die Entscheidungsfindung an ein Gehirn gebunden, die Entscheidungsfindung ist ohnehin ein Konstrukt, würde es Sinn machen mit dem Wind-Samen-Argument die Entscheidungsfindung der Primaten anzugreifen?
Für Sie anscheinend schon, denn Sie wollen ja mit dem möglichen Entscheidungsträger erst sprechen, damit Sie bedarfsweise dessen Entscheidungsfähigkeit feststellen können.
MFG
Dr. W
Da das System einen Kommentar vorhin kommentarlos verschlungen hatte, entschliesse ich mich zu einem neuen Versuch, wobei ich vorsichtshalber die beiden DOIs nicht mehr verlinke.
—
@Ludwig Trepl
Die “attractor states” und ihre Rolle bei “neuronaler Entscheidungsfindung” betreffend, hier noch ein paar ergänzende Verweise auf Open Access Publikationen. Ein ausführlicherer Übersichtsartikel ist dieser:
Wang, X. J. (2008). Decision making in recurrent neuronal circuits. Neuron, 60(2), 215-234. DOI: 10.1016/j.neuron.2008.09.034
Wang verwendet dabei den Begriff Information allerdings eher heuristisch. Eine Möglichkeit, dies mit einem rigorosen Konzept von info.theoret. Entropie in Verbindung zu bringen, wird beispielsweise hier aufgezeigt:
Balduzzi, D., & Tononi, G. (2008). Integrated information in discrete dynamical systems: motivation and theoretical framework. PLoS computational biology, 4(6), e1000091. DOI: 10.1371/journal.pcbi.1000091
Den hierfür zentralen Begriff von integrated information umschreibt Tononi andernorts kurzerhand so [Tononi (2008)]:
Inwieweit die Hoffnung gerechtfertigt ist, dass sich auf diese Weise das Entstehen von Bewusstsein klären lassen könnte, sei mal dahingestellt. Plausibel scheint aber einstweilen, dass man hier einem Mechanismus in neuralen Netzen auf die Spur gekommen ist, für den eine Korrelation mit dem observablen Entscheidungverhalten von Tieren (u.a. Nematoden, Eichhörnchen, diverse Primaten) prinzipiell feststellbar sein sollte.
Umgekehrt darf freilich nicht geschlossen werden, dass jedes formale Auftreten von “integrated information” sinnvoll als Entscheidungsvorgang gedeutet werden kann. Mit Berufung auf Informationstheorie lassen sich bestenfalls notwendige, jedoch nicht hinreichende Kriterien dafür gewinnen, wie etwa im Garten zwischen den mutmasslichen “Entscheidungen” eines Eichhörnchens und jenen eines Rasenmäh-Robots qualitativ unterschieden werden kann. Der Robot kann durch seinen Betriebsmodus keinerlei Information erzeugen, er reagiert auf jede Situation mit automatenhafter Sturheit so, wie es seine Programmierung vorsieht. Er entscheidet nichts, und überraschen kann er wohl nur, indem er unvorhergesehen kaputt geht, aber nicht einmal das würde er dann aus einem eigenem Bestreben heraus tun.
Das mag formal so sein, wird aber schnell praktisch unentscheidbar. Es gibt mittlerweile Bots, die Spiele bedienen, die die “Schnittstelle Physik” nutzen, um spieltheoretisch angemessen erscheinende Entscheidungen zu treffen.
‘Spieltheoretisch angemessen’ heißt die Variabilität einzelne Spielzüge betreffend zu verwalten.
Was vom Thema ein wenig weggeht, sich mit Erkenntnissubjekten ‘unterhalten’ zu wollen, um deren Subjekttauglichkeit festzustellen, geht jedenfalls nicht immer.
MFG
Dr. W
PS: Also auf dieser Schiene – http://newsfeed.time.com/2013/12/10/meet-the-robot-telemarketer-who-denies-shes-a-robot/ – lol.
Zum Verständnis: Bedeutet, dass bei gleicher Datenlage anders entschieden wird.
MFG
Dr. W (der die CAPTCHA-Logik empfiehlt zu bearbeiten, ‘fünfzig sechs’ ist schon recht “trocken” für 56)
Von Ludwig Trepl, @Chrys.
Vielleicht könnten Sie doch noch mal versuchen, mit eigenen Worten und direkt zu meinen Einwänden zu antworten. Die von Ihnen angegebenen Texte habe ich (bisher) nicht gelesen, aber ich bin mir doch sicher, daß ich sie wegen fehlender Voraussetzungen nicht oder kaum verstehen werde. Das ist so ähnlich wie mit den Verweisen auf insbesondere transzendentalphilosophische Texte, die ich manchmal mache. Das könnte ich auch lassen, denn da kann man nicht einfach mal nachlesen. Man muß einige Jahre drangeben, um das einigermaßen zu verstehen.
Mein Hauptproblem ist dabei (ich hab’ das schon angedeutet), daß „Entscheidung“ Begriffe wie „Urheberschaft“ und „Zurechnungsfähigkeit“ impliziert. Das aber sind Begriffe, die im Begriffsuniversum der Naturwissenschaft nicht möglich sind. Sie beziehen sich auf einen „letzten“ oder „ersten“ „Grund“, die Naturwissenschaft hat es aber, sonst wäre sie keine, mit Ursachen zu tun, die wiederum Folgen anderer Ursachen sind und neben denen andere wirken. Entweder man verwendet „Entscheidung“ in naturwissenschaftlicher Fachsprache metaphorisch, dann sollte man das aber kenntlich machen, soweit es sich nicht von selbst versteht. Oder man schmuggelt Homunkuli in die Naturwissenschaft, um vermeintlich auch noch das naturwissenschaftlich erklären zu können, was man mit der Entscheidung, naturwissenschaftlich zu erklären, definitiv ausgeschlossen hat.
@Ludwig Trepl
»Mein Hauptproblem ist dabei (ich hab’ das schon angedeutet), daß „Entscheidung“ Begriffe wie „Urheberschaft“ und „Zurechnungsfähigkeit“ impliziert.«
Ich versuche es mal unter der Prämisse, dass den Biologen zugestanden werden kann, für Tiere und deren Nervensysteme einen konsistenten Begriff von “integrated information” erarbeitet zu haben, der im wesentlichen charakterisiert ist durch die im bereits angeführten Zitat von Tononi genannte Eigenschaft:
Damit ist nun die Vorstellung verbunden, dass es eine solche Information ist, die u.a. ein Eichhörnchen dazu befähigt, die Auswahl eines Ortes zu treffen, wo es eine Haselnuss vergräbt. Wohlgemerkt, es handelt sich dabei um eine komplexe Information, die zwar vom Nervensystem des Tieres erzeugt wird, jedoch per definitionem nicht reduzierbar ist auf das, was aus dessen konstituierenden Elementen erschlossen werden kann.
Woher stammt dann diese Information? Das wäre doch die Frage nach einer Urheberschaft. Ausser dem Eichhörnchen selbst kommt offenbar sonst niemand als Urheber in Betracht.
Das mit der Zurechnungsfähigkeit scheint mir etwas heikel. Menschen reden ja oft auch davon, dass sie Entscheidungen sprichwörtlich “aus dem Bauch heraus” getroffen hätten. Wie sieht es da aus mit der Zurechnungsfähigkeit? Die lokalisiert man gemeinhin nicht im Bauch, der ist normalerweise nicht zuständig für die höhere Vernunft. Aber auch diese “Bauchentscheidungen” sind schliesslich Entscheidungen.
Eichhörnchen als Ur-Heber.
von Ludwig Trepl, @ Chrys.
„Woher stammt dann diese Information? Das wäre doch die Frage nach einer Urheberschaft. Ausser dem Eichhörnchen selbst kommt offenbar sonst niemand als Urheber in Betracht.“
Damit haben wir wieder das alte Problem: Die Information hat einen „Ur-Heber“. Einen solchen kann es aber im naturwissenschaftlichen Begriffsuniversum nicht geben. Subjekte, Gründe in beiderlei Verständnis (Gründe, nach denen man entscheidet; Gründe im Sinne von Letztursache, „der Grund aller Dinge“), Ideen und all so was ist da per definitionem ausgeschlossen. Die Frage nach einem Urheber kann in diesem Begriffsuniversum weder beantwortet noch auch nur gestellt werden. Es gibt immer nur Ursachen, die wieder Ursachen haben, und jede Ursache ist nur eine Teilursache.
Ein Biologe wird und kann sich mit der Auskunft „das Eichhörnchen ist der Urheber“ nicht zufriedengeben, das kann für ihn nur Heuristik sein. Er wird nach Kausalursachen fragen, und wenn er sie nicht findet, dann bleibt für ihn doch diese Frage als regulative Idee, der er folgen muß, bestehen. Vielleicht hat er sie noch nicht gefunden, vielleicht kann er sie nie finden, weil die Idee, von der er sich notwendig leiten läßt (die Rückführung von Lebendem auf einen Kausalzusammenhang) objektiv unmöglich ist (so wie Kant mit seinem „Newton des Grashalms“ meinte). Dann müßte er aber sagen: Hier ist die Naturwissenschaft an ihre Grenzen gekommen, und nicht: Die teleologische Formulierung („Urheberschaft“ ist eine) nehmen wir jetzt als legitimen Teil der Naturwissenschaft. Denn damit hebt sich die Naturwissenschaft auf. – Was ich aber immer noch nicht weiß, ist, ob diese Eichhörnchenentscheidungstheoretiker wirklich das Eichhörnchen zum Urheber machen oder doch naturwissenschaftlich bleiben und „Urheber“ und „Entscheidung“ nur einen metaphorischen Sinn hat.
Es wird wohl schon richtig sein: Das Eichhörnchen als „Ganzheit“ erzeugt „integrierte Information“, ist deren „Urheber“. Das ist etwa das Gleiche wie: Es bildet Gestalten; die setzen sich nicht mechanisch aus den Informationspartikeln zusammen, die über die Sinne in das Nervensystem gelangen. Aber das ist eine Aussage von der Art: Dieses Organ dient jenem Organ, dieses Organ dient zur Erhaltung des Ganzen: Es gehört zur (für die Biologie essentiellen) teleologischen Heuristik. Es hat nicht den Status objektiven Wissens und ist keine Erklärung der Art, wie sie die Naturwissenschaft liefern muß, um Naturwissenschaft zu sein und um überhaupt das liefern zu können, was die theoretische Vernunft von einer Erklärung fordert. – Übrigens: „Ausser dem Eichhörnchen selbst kommt offenbar sonst niemand als Urheber in Betracht“. Da würden wohl etliche Biologie-Theoretiker sagen: abgesehen vom Beobachter.
„Menschen reden ja oft auch davon, dass sie Entscheidungen sprichwörtlich “aus dem Bauch heraus” getroffen hätten. Wie sieht es da aus mit der Zurechnungsfähigkeit?“
Da würde der Richter sagen: Wenn es in der Hand der Person gelegen hätte, diese Bauch-Entscheidung nicht zu treffen, wenn sie also aus Vernunftgründen eine andere Entscheidung hätte treffen können und sollen, dann kann ich sie verurteilen. Das heißt: Die Bauchentscheidung ist insofern eine Entscheidung, als zu ihrer Ausführung ein Überlegensprozeß dahingehend nötig ist, daß man sich an dessen Ende sagt: jetzt mache ich’s. Fällt dieser sehr kurz aus, d. h. ohne „angemessene“ Überlegung, ja, ohne daß die Überlegung so richtig bewußt wird, dann sagt man Bauchentscheidung. Wenn die Bauch-Entscheidung aber nicht von dieser Art ist, z. B. wenn der „Bauch“ „entscheidet“, sich zu übergeben, dann ist die Person dafür nicht zur Verantwortung zu ziehen, das Verhalten ist ihr nicht zuzurechnen – und es ist auch gar keine Entscheidung gewesen. Kommt das Übergeben aber daher, daß die Person sich zuvor betrunken hat, dann würde der Richter sagen: Daran ist sie schuld, sie hat eine Entscheidung getroffen, die sie nicht hätte treffen sollen; ich kann ihr die Reinigungskosten aufbrummen. (Versicherungsrechtlich mag’s anders sein, das weiß ich nicht, aber moralisch urteilen wir so, daß der Richter so urteilen sollte.)
– Sie sehen: Ich argumentiere epistemologisch, rede über Möglichkeiten und Grenzen von Naturwissenschaft, nicht metaphysisch oder ontologisch, rede nicht über „die Natur“, sondern über die Wissenschaft von ihr. Die Naturwissenschaft ist nicht in der Lage, einen Ur-Heber zu finden, ob es nun einen gibt oder nicht, und ob es sich nun um ein Tier oder einen Menschen handelt, weil sie es sich selber versagt hat (mit gutem Grund) bzw. weil sie es konstitutiv nicht kann. Bei Menschen wissen wir (objektiv), daß es einen gibt, weil wir es von uns selbst wissen und weil wir mit anderen Menschen reden können und die es uns sagen. Bei Tieren (und Pflanzen, und Bakterien) scheint es uns ebenso zu sein. Darum gibt es überhaupt eine besondere Wissenschaft namens Biologie und nicht nur eine Physik, die man gleichermaßen auf Planetenbewegungen und auf Organbildungsprozesse anwenden kann. Darum reden wir auch von den Eichhörnchen als Urheber ihrer Gestaltbildungen und auch ihres sonstigen Verhaltens (soweit wir es nicht „mechanisch“ erklären können, und auch dann, wenn wir das können, können wir „umschalten“, halten die Rede dann aber gern für metaphorisch). Aber wir wissen es nicht, die Lebewesen sagen es uns nicht.
Auch die Menschen sagen es Ihnen nicht oder nur scheinbar. Die Soziologie oder Politik ist denn auch eine “Näherungswissenschaft”, die sich wohl auch nicht als epistemologisch unterwegs kennzeichnet, sondern als empirisch, theoretisierend & ontologisch.
MFG
Dr. W (dem diese feinsinnigen Unterscheidungen nicht gefallen)
@Ludwig Trepl
»Ein Biologe wird und kann sich mit der Auskunft „das Eichhörnchen ist der Urheber“ nicht zufriedengeben, das kann für ihn nur Heuristik sein. Er wird nach Kausalursachen fragen, und wenn er sie nicht findet, dann bleibt für ihn doch diese Frage als regulative Idee, der er folgen muß, bestehen.«
Sicherlich kann sich ein Biologe damit nicht zufriedengeben, doch Kausalursachen können ihm auch nur Heuristik sein. Kausale Erklärungen sind Eselsbrücken, die Menschen sich ausdenken, um das von ihnen wahrgenommene Geschehen im Verstande sortieren und sich auf diese Weise begreiflich machen zu können. Der Grad an Ausprägung, zu der jemand in seinem Denken auf kausale Erklärungen angewiesen ist, variiert individuell allerdings beträchtlich.
Bei einer Popularisierung wissenschaftl. Sachverhalte können kausale Erklärungen schwerlich überhaupt umgangen werden. Das hat damit zu tun, dass sowohl kausales wie auch teleologisches Deuten der lebensweltlichen Erfahrung entlehnt ist, und auch ist unsere Gemeinsprache so sehr davon durchdrungen, dass wir den unterschwelligen Gebrauch kausaler wie teleologischer Wendungen praktisch nicht vermeiden können, selbst wenn wir es wollten.
Als physikal. Fachbegriff wird das Wort “kausal” meines Wissens nur in der Relativitätstheorie bzw. der Geometrie der Raumzeit gebraucht, wo es aber auch nicht dasselbe bedeutet wie in der Umgangssprache. Kausale Erklärungen sind halt eine Folklore, die dem “gesunden Menschenverstand” geboten wird, weil der danach verlangt.
»Bei Menschen wissen wir (objektiv), daß es einen [Urheber] gibt, weil wir es von uns selbst wissen und weil wir mit anderen Menschen reden können und die es uns sagen.«
Das weiss ich objektiv eigentlich weder bei mir noch bei anderen. Über mich selbst kann ich letztlich nur subjektive Gewissheiten, aber kein objektives Wissen haben, denn meine subjektive Selbstbetrachtung könnte mich trügen. Und über andere Menschen kann ich letztlich auch nicht mehr an Wissen haben als, nun ja, eben über Eichhörnchen. Man kann sich als Mensch in einen Artgenossen wohl besser hineinfühlen als etwa in ein Eichhörnchen, aber ein objektives Wissen ist das dann nicht.
Kausalität.
Von Ludwig Trepl, @ Chrys.
„doch Kausalursachen können ihm auch nur Heuristik sein. Kausale Erklärungen sind Eselsbrücken, die Menschen sich ausdenken, um das von ihnen wahrgenommene Geschehen im Verstande sortieren und sich auf diese Weise begreiflich machen zu können.“
Das ist die empiristische Auffassung, sie stammt im wesentlichen von Hume. Ihr ist bald widersprochen worden, und, wie ich – mit sehr vielen anderen – meine, mit Recht. Das Wissen um Kausalursachen ist apriorisch. Sie werden der Natur von uns „zugedacht“, aber nicht so, daß wir das lassen könnten, vielmehr notwendig. Ohne sie gäbe es keine Natur als etwas Objektives für uns. Sie sind Denkformen, die konstitutiv für Natur sind.
Für den Biologen sind die Kausalursachen keineswegs nur heuristisch. Hat er eine Kausalerklärung gefunden, ist seine Aufgabe vielmehr abgeschlossen, er sucht nicht weiter (es sei denn, nach Kausalursachen für die gefundenen Kausalursachen und nach weiteren Kausalursachen, die es ja immer gibt). Das ist bei den Finalursachen völlig anders. Sie sind für ihn grundsätzlich keine Erklärungen. Wenn Sie diesen Unterschied (mit dem Hume’schen Argument, dam man allenfalls metaphysische Gültigkeit zuschreiben könnte – für das Ding an sich, aber nicht für die Dinge der phänomenalen Welt, also die Gegenstände der Naturwissenschaft) einschmelzen wollen, fallen Sie in die Zeiten vor der modernen Biologie (die es etwa seit 1800 gibt) zurück. Für Linné war es noch ganz selbstverständlich eine Erklärung der Tatsache, daß sich Möwen über dem Meer versammeln, daß sie damit den Fischern zeigen, wo der Fisch steht. Die radikale Trennung der zwei „Arten von Gründen“, die das nicht mehr als Erklärung gelten läßt, macht im wesentlichen die moderne Biologie aus.
„Als physikal. Fachbegriff wird das Wort “kausal” meines Wissens nur in der Relativitätstheorie bzw. der Geometrie der Raumzeit gebraucht, wo es aber auch nicht dasselbe bedeutet wie in der Umgangssprache. Kausale Erklärungen sind halt eine Folklore …“
In der Umgangssprache wird das Wort kausal meines Wissens überhaupt nicht gebraucht. Es ist ein Fachterminus der philosophischen Fachsprache, und allein die ist hier relevant, nicht die Fachsprache der Physik. Die Physik operiert mit dem Begriff der Kausalursachen (oder sie läßt das), sie macht sich aber definitionsgemäß keine Gedanken darüber, was dieser Begriff bedeutet und was insbesondere die erkenntnistheoretischen Implikationen sind. Wenn einzelne Physiker das tun, dann tun sie es nicht als Physiker, sondern als Philosophen. Es ist vollkommen egal, ob Physiker über diese Frage empiristisch denken (wie es heute die Mehrheit tut, was aus fachideologischen Gründen naheliegt), oder ob sie, wie z. B. K. F. von Weizsäcker, darüber kantianisch denken: Es ist nicht „die Physik“, die da redet, sondern es sind philosophierende Physiker; was sie sagen, ist also Philosophie.
„‚Bei Menschen wissen wir (objektiv), daß es einen [Urheber] gibt, weil wir es von uns selbst wissen und weil wir mit anderen Menschen reden können und die es uns sagen.’ [Zitat von mir] Das weiss ich objektiv eigentlich weder bei mir noch bei anderen. Über mich selbst kann ich letztlich nur subjektive Gewissheiten, aber kein objektives Wissen haben, denn meine subjektive Selbstbetrachtung könnte mich trügen.“
Insofern es sich um etwas handelt, das uns die „Sinne“ vermitteln (in diesem Fall der „innere Sinn“, mit dem ich z. B. bestimmte Gefühlszustände an mir wahrnehme), kann es trügen wie alles, was an vermeintlichem Wissen über die Sinne an uns kommt, d. h. wie alle Rezeptivität. Erst im Kontext von Theorien kann es zu Wissen (Erfahrungswissen) werden. Da ist kein Unterschied zwischen dem, was innen und was außen geschieht. Aber das Wissen um mich selbst als Urheber ist zwar auch Erfahrungswissen (zu bestimmter Zeit an bestimmtem Ort war ich Urheber einer bestimmten Entscheidung, das weiß ich durch Erfahrung: ich war zu dieser Zeit an diesem Ort und habe mich beobachtet), aber auch apriorisches (vermute ich): Es ist gar nicht möglich, mich selbst (eine Bedingung der Möglichkeit aller Erfahrung, die je gemacht werden kann, ist, daß sie jemand macht) zu denken, ohne daß ich mich als Urheber meiner Entscheidungen denke.
„Und über andere Menschen kann ich letztlich auch nicht mehr an Wissen haben als, nun ja, eben über Eichhörnchen.“
Da verkennen Sie, was „Sprache“ bedeutet. Sie sprechen den mit Schleiermacher in die Welt gekommenen Gedanken der isolierenden Implikationen der Individuierung an. Aber das ist ja nur die eine Seite; es folgte eine 200-jährige Diskussion darüber, wie unter diesen Bedingungen (trotz und wegen der Individuierung) „Verstehen“ und damit Objektivität möglich ist, und ohne diese Diskussion zur Kenntnis zu nehmen braucht man gar nicht über diese Dinge zu reden. Das ist, als wollte man über Fragen der Quantenphysik mit dem physikalischen Wissen des 18. Jahrhunderts mitreden.
Für den Naturalismus ist das allerdings überhaupt nicht zu verstehen. Naturwissenschaftlich ist ja in der Tat kein Unterschied zwischen dem kommunikativ gewonnenen Wissen über andere Menschen (vom reflexiv gewonnenen Wissen über Subjektivität und über das Denken gar nicht zu reden, was etwas vollkommen anderes ist als die „subjektive Selbstbetrachtung“, die Sie ansprechen) und dem Wissen über das Innenleben von Eichhörnchen zu erkennen. Und wenn man, wie der Naturalismus, die naturwissenschaftlichen Methoden für die einzig möglichen hält, wenn es darum geht, zu Wissen (Objektivität) zu gelangen, dann kann man eben nicht merken, daß es außerhalb des durch diese Methodik gezogenen Horizonts noch ganz andere Welten gibt.
@Ludwig Trepl
Die Fähigkeit, zwischen gewissen Ereignissen eine Beziehung als Ursachen und Wirkungen zu konstruieren, erwerben kleine Kinder durch assoziatives Lernen ebenso wie die Kenntnis, dass sich erstrebenswerte Ziele bisweilen dadurch erreichen lassen, indem hierfür geeignete kausale Bedingungen geschaffen werden. Ursächlichkeit und Zweckhaftigkeit erscheinen in unserer Erlebniswelt als ubiquitär und werden gemeinhin als derart selbstverständlich hingenommen, dass so mancher meint, dies sei ein Prinzip, das allem Weltgeschehen irgendwie zugrundeliegen müsse. Schliesslich hat sich der Mensch sogar Urheber und Sinnstifter dort ersonnen, wo er tatsächlich gar keine erblicken kann.
Wie sehr wir diesem Wahrnehmungs- und Denkmuster unterworfen sind, zeigt sich auch daran, wie insbesondere die klassische Mechanik immer wieder geradezu reflexhaft mit einem Kausalitätsprinzip gedanklich verknüpft wird. Dabei ist es seit Jahrhunderten weder gelungen, ein solches Prinzip schlüssig zu formulieren, noch genügt die Mechanik überhaupt dem, was üblicherweise dafür gefordert wird. Denn formal zeigt die klassische Mechanik keine zeitliche Asymmetrie zwischen angenommenen Ursachen und Wirkungen, zudem gestattet sie unverursachte Wirkungen und garantiert im allgemeinen keine gleichen Wirkungen unter gleichen Gegebenheiten. Angesichts dessen kann man mit kausalen Erklärungen über Heuristik und Plausibilisierung gar nicht hinauskommen.
Hume mag sich womöglich geirrt haben, falls er kausale Zusammenhänge als empirisch erhaltene Einsicht verstanden wissen wollte. Unser Verlangen nach kausalen Erklärungen liegt im Lichte der Wissenschaft eher an unserer eigenen neuralen Architektur zur generischen Mustererkennung. Unter diesem Aspekt wäre uns dies a priori gegeben und nicht durch Erfahrung erworben. Das lässt sich nun wiederum begreifen durch die operative Dynamik des Nervensystems, also durch unsere evolutionsbedingt biologische Beschaffenheit. Zumindest diejenigen Biologen, die mit Rekursivität umzugehen gelernt haben, sollten sich mit dieser kausalen Erklärung für die restringierte Rolle kausaler Erklärungen beim Erkenntnisprozess zu arrangieren wissen.
Von Ludwig Trepl, @ Chrys.
„Hume mag sich womöglich geirrt haben, falls er kausale Zusammenhänge als empirisch erhaltene Einsicht verstanden wissen wollte.“
Nein, das hat Hume gerade nicht gesagt. Sondern er hat herausgefunden, daß sich Kausalität überhaupt nicht erfahren läßt. Empirisch erkennen wir nichts als mehr oder weniger regelmäßiges zeitliches Aufeinanderfolgen. Er hat daraus den Schluß gezogen, daß unser Reden über Verursachung nur „Gewohnheit“ bzw. Konvention ist. Kant, der historische Hauptkontrahent, hat dagegen gemeint, daß das Wissen um Kausalität apriorisch ist. D. h. z. B., daß es vergleichbar damit ist, daß was immer wir denken u. a. unter der Denkform „Substanz und Eigenschaft“ steht, oder daß alles, was „außer uns“ erfahren werden kann, immer „im Raum“ ist (wovon übrigens die Frage gar nicht berührt ist, ob dieser Raum nun gekrümmt ist oder nicht oder …); das ist kein Wissen, das durch Erfahrung gewonnen wird, sondern es ist Bedingung der Möglichkeit von Erfahrung (ein im empiristischen Rahmen unmöglicher Gedanke).
Wir denken Kausalität der Natur zu, wir finden sie nicht empirisch in ihr, aber wir denken sie nicht nach Belieben der Natur zu, sondern notwendig, also apriorisch. Wir sind es, die denknotwendig einen Unterschied machen zwischen der hundertprozentig sicheren zeitlichen Aufeinanderfolge von Hahnenschrei und Sonnenaufgang einerseits, Regen und Naßwerden andererseits, obwohl wir durch Beobachtung in beiden Fällen nur wissen, daß da bisher immer erst das eine, dann das andere gekommen ist: Der Hahnenschrei verursacht nicht den Sonnenaufgang, wohl aber der Regen das Naßwerden. Oder (ganz anders gelagerter Fall) wenn ich erst das Dach ansehe und dann die Wand, folgt in meiner Vorstellung Wand auf Dach. Aber das Dach verursacht nicht die Wand. Mit Physik, klassischer Mechanik usw. hat das gar nichts zu tun. Es ist z. B. egal, ob die klassische Mechanik zeitliche Asymmetrie zwischen angenommenen Ursachen und Wirkungen zeigen kann oder nicht: Wir müssen sie denken. Wenn wir Verursachung denken, kann nicht erst die Straße naß werden und es dann regnen; das ist ein Implikation des Verursachungsbegriffs, und sollte er apriorisch sein, dann ist es so in d Welt, wie sie uns erscheint. Auf die ganze sicher nicht einfache Diskussion um die Notwendigkeit der Kausalität (als Kategorie des Denkens) für die Möglichkeit einer objektiven Welt überhaupt kann ich hier nicht eingehen, da müßten Sie nachlesen, was aber, das kann ich garantieren, einige Zeit beanspruchen würde. So lang wie für ein ganzes Physikstudium braucht man da auch. – Das alles heißt nicht, daß nicht vielleicht doch die empiristische Position die richtige sein könnte, aber man kann die transzendentalphilosophische nicht einfach durch einen Verweis auf das, was die Physiker so denken, aushebeln. Da graben Sie am falschen Ort.
Was Sie schreiben über die Entwicklung kausalen Denkens bei Kindern mag richtig oder falsch sein: Es hat mit der philosophischen Frage nichts zu tun, es ist empirische Wissenschaft. Das psychologische Wissen darum, wie Kinder lernen, was 7 x 82 ist, beantwortet ja auch nicht die Frage, was 7 x 82 ist. Es ist eine reflexionswissenschaftliche, keine empirische, objektwissenschaftliche (z. B. psychologische oder physikalische) Frage, was mit „Kausalität“ impliziert ist und was deren Rolle ist für die Konstitution der Gegenstände des Denkens.
»…das ist ein Implikation des Verursachungsbegriffs, und sollte er apriorisch sein, dann ist es so in d Welt, wie sie uns erscheint. «
Es spricht, finde ich, sehr viel dafür, dass uns das Denken in und Suchen nach Kausalzusammenhängen in die Wiege gelegt ist. Deshalb fällt es ja auch so schwer, das Konzept der Willensfreiheit zu begreifen (außer eben als bloße Idee).
Wie könnte die Willensbildung, also die Entscheidung zwischen alternativen Handlungsmöglichkeiten, unverursacht zustande kommen? Ergibt die Rede von der Erstursache bei willentlichen Handlungen wirklich Sinn? Ist es vernünftig, zu behaupten, dass es keine vorgängigen Ereignisse oder Prozesse gibt, die die Entscheidung zwingend in eine bestimmte Richtung lenken?
@Balanus
“Ist es vernünftig, zu behaupten, dass es keine vorgängigen Ereignisse oder Prozesse gibt, die die Entscheidung zwingend in eine bestimmte Richtung lenken?”
…..warum wollen Sie’s den unbedingt zwingend haben???
Genügt es Ihnen nicht, dass Ihr ureigener Geist die Ursache ist und sich zwischen den phänomenalen Zwängen entscheiden darf oder auch laufen lassen, über sich entscheiden und verfügen lassen kann,…ist dann aber immer noch seine Entscheidung ?
@Grenzgängerin
» …warum wollen Sie’s den unbedingt zwingend haben???
Genügt es Ihnen nicht, dass Ihr ureigener Geist die Ursache ist und sich zwischen den phänomenalen Zwängen entscheiden darf…«
Mein „ureigener Geist“ wird (in naturalistischer Sicht) von meinem ureigenen Gehirn erzeugt. Daraus ergibt sich, dass Freiheit nur darin bestehen kann, dass alle für eine freie Willensentscheidung notwendigen Hirnprozesse ungehindert ablaufen können.
Wenn Sie Hammer und Meißel ansetzen, dann wollen Sie doch auch, dass der Schlag genau so ausgeführt wird, wie Sie das geplant haben. Sie haben eine Vorstellung vom Ergebnis Ihrer Arbeit im Kopf (in Ihrem Geist, sprich Gehirn), und die „determiniert“, wie Sie beim Bildhauen vorgehen. Ohne dass es im Hirn unterm Strich „zwingend“ zugeht, wären wir wohl kaum in der Lage, irgendetwas Vernünftiges zustande zu bringen.
@ Balanus
…immerhin, das ist schon mal klar, Sie haben unverkennbar registriert, dass ich u.a. Bildhauerin bin.. 😉
“Sie haben eine Vorstellung vom Ergebnis Ihrer Arbeit im Kopf (in Ihrem Geist, sprich Gehirn), und die „determiniert“, wie Sie beim Bildhauen vorgehen.”
nein, eben nicht “in Ihrem Geist, sprich Gehirn”
Das, was von Ihnen und allgemein unter Gehirn verstanden wird, ist nicht das Organ, in dem Ihr “ureigener Geist” agiert. Es gibt aber ein Organ, über das er absolut frei agiert. Mit dem Gehirn, das Sie meinen und man allgemein meint, agiert unser Verstand, allerdings in enger Verbindung mit dem Geist. Für den ist es ja nicht von Nachteil sich der Vorstellungen, die in meinem Verstand durch Erfahrung, Studium etc. bereit liegen zu bedienen. Er muss es aber nicht. Die Vorstellungen determinieren mich nicht, sondern mein Geist bedient sich ihrer und determiniert somit, was geschehen soll. (..aber jetzt nicht wegen des Organs fragen, wie schon oft gesagt, kommt noch.) Ich meine aber, selbst wenn man noch nicht um dieses Organ weiß, so kann man seiner doch intuitiv bewusst werden. Die Menschheit gäbe es nicht, täte sie es nicht. Das ganze Bemühen von Herrn Trepl und aller bisherigen Philosophie dreht sich um diese Tatsache.
Mir hat meine bisherige Scilogsdiskussion vor allem eines plastisch vor Augen geführt:
Wie sehr wir Menschen unsere Sensibilität für den Geist – und zwar unseren ureigenen – verdrängen und abtöten können, wenn wir z.B., wie Herr Trepl treffend schreibt: “Nur wer das Labor gedanklich nie verläßt, kann leugnen,…..” und da gibt es noch etliche andere Methoden, mit denen wir die harte Realität des Geistes verdrängen können. Aber wenn unsere Sensibilität futsch ist, ist dadurch nicht auch der Geist aus der Welt. Im Gegenteil, wir sind dann umso stärker seinem Guten und seinem Bösen. ausgeliefert. Und das kann dann, je nach ürsprünglicher Veranlagung dramatisch werden. Wir haben dann nämlich das eigene Potential zum Bösen nicht mehr unter Kontrolle. Die kann dann nur noch schicksalsmäßig oder durch alltägliche Sachzwänge und andere Menschen von außen kommen. Mangels Sensibilität werden wir unsere geregelte Not haben, böse Eruptionen des Geistes zu verhindern. Klar, dass sich unser Verstand dann alles mögliche einfallen lässt, um das Böse zu kaschieren oder rechtfertigen. Denn dass es böse ist, wissen wir. Dann sagen wir z.B.: es gibt keinen freien Willen……
Von Ludwig Trepl, @ Balanus.
„Es spricht, finde ich, sehr viel dafür, dass uns das Denken in und Suchen nach Kausalzusammenhängen in die Wiege gelegt ist. Deshalb fällt es ja auch so schwer, das Konzept der Willensfreiheit zu begreifen“
Die Naturkausalität gibt es aber nur in der Natur, und nur für sie ist uns die „Suchen nach [solchen] Kausalzusammenhängen in die Wiege gelegt“. Was die „Kausalzusammenhänge“ nicht in der Natur, sondern im Subjekt angeht, so sind das andere „Ursachen“, die da in Frage kommen: „Ich“ (ein in der Naturwissenschaft nicht möglicher Begriff“) bin die Ur-Sache meiner Entscheidung. Daß z. B. ein bestimmtes soziales Milieu (naturgesetzlich) ursächlich ist dafür, daß ich kriminell geworden bin, also in dieser Sicht nicht ich ursächlich bin, sondern äußere Ursachen, ändert nichts daran, daß ich die Entscheidung getroffen habe, sie nicht hätte treffen müssen und sie nicht hätte treffen sollen. – Wenn Sie schreiben, daß es schwerfällt, das Konzept der Willensfreiheit zu begreifen, dann sollten Sie hinzufügen, daß das nur für Leute gilt, die sich ihr Denken in der abstrakten Welt der Naturwissenschaften eingerichtet haben. Für einen Menschen, der nicht derart zu abstrahieren gewohnt ist und das Abstraktionsprodukt mit „der Welt“ verwechselt, fällt es umgekehrt schwer zu begreifen, daß der Wille nicht frei sein soll.
„Wie könnte die Willensbildung, also die Entscheidung zwischen alternativen Handlungsmöglichkeiten, unverursacht zustande kommen?“
Nicht nur das Wissen (ein sozusagen von uns der Natur vorgeschriebenes Wissen) um die Verursachung ist „uns in die Wiege gelegt“, sondern damit auch ein metaphysisches Problem: Geht das in alle Ewigkeit in der Zeit zurück oder hat es einmal angefangen – angefangen mit einer unverursachten Ursache. Die nannte man Gott. Daß sich eine unverursachten Ursache denken läßt, wußte man von sich selbst her: Man weiß sich ja in jedem Augenblick als solche Erstursache seiner Willensbildung. Daß man damit kein Problem hat, liegt daran, daß man hier nicht über die phänomenale Welt spricht (von der man weiß, weil es einem „in die Wiege gelegt“ ist, daß man immer nach naturgesetzlichen Ursachen zu suchen hat), sondern über sich selbst; „Ursache“ hat da eine kategorial andere Bedeutung als im Hinblick auf die phänomenale Welt, und daß man das gewöhnlich terminologisch nicht unterscheidet, hat viel Verwirrung gestiftet.
Das Problem entsteht erst da, wo aus der willentlichen Entscheidung ein Ereignis in der phänomenalen Welt werden soll. Dieses Problem (sagte ich ja schon oft) dürfte unlösbar sein – so unlösbar wie die Frage „bis in alle Ewigkeit zurückreichende Ursachenkette oder hat die Welt einen Anfang und gibt es einen, der unverursacht den Anfang verursacht hat“.
„Ist es vernünftig, zu behaupten, dass es keine vorgängigen Ereignisse oder Prozesse gibt, die die Entscheidung zwingend in eine bestimmte Richtung lenken?“
Lassen wir mal das „keine“ weg. Zu behaupten, daß es vorgängige Ereignisse oder Prozesse gibt, die die Entscheidung zwingend in eine bestimmte Richtung lenken (wie es in der abstrakten Betrachtungsweise der Objektwissenschaften erscheint – wenigstens wenn wir eine determinierte Welt als objektive annehmen, d. h. die Determination nicht nur eine regulative Idee für den Forscher sein soll, sondern eine metaphysische Wahrheit), und daß es nicht außerdem eine Verursachung ganz anderer Art gibt, würde uns dazu zwingen, unser soziales Leben auf der Stelle einzustellen. Das käme mir nicht sehr vernünftig vor.
Da werden Sie vielleicht sagen, „vernünftig“ ist hier in einem anderen Sinn gebraucht als in Ihrem Satz, etwa im Sinne von „praktikabel“ (während bei Ihnen eher so etwas gemeint ist wie „der Realität entsprechendes Denken“). Es sei unvernünftig = nicht praktikabel, sich die Illusion vom freien Willen nicht zu machen, aber wir wissen doch, daß es eine Illusion ist. Es ist also ähnlich wie die Argumentation mancher konservativer Theoretiker im 20. Jahrhundert: Wir wissen ja auch, daß es Gott nicht gibt, aber ohne diese Illusion funktioniert die Gesellschaft nicht so, wie sie soll, also behalten wir die Illusion bei. Aber so einfach ist es nicht. Die Tatsachen des sozialen Lebens sind harte Tatsachen. Nur wer das Labor gedanklich nie verläßt, kann leugnen, daß Begriffe wie „Verantwortung“, „Schuld“ oder auch „Idee der Gerechtigkeit“ sich auf eine nicht weniger harte Realität beziehen als z. B. die Begriffe „Atom“ oder „Gravitation“.
Grenzgängerin @ Ludwig Trepl
“Das [vermutlich unlösbare] Problem entsteht erst da, wo aus der willentlichen Entscheidung ein Ereignis in der phänomenalen Welt werden soll.”
Diese Vorstellung des “[vermutlich unlösbar]” und ähnliche andere negative Festlegungen in Bezug auf das Verhältnis von Geist und Materie sollten die Theoretiker m.E. dringend ad Acta legen. Das ist nicht förderlich und nicht notwendig.
Wenn Jesus sagt: “seid vollkommen, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist” dann werden wir zu den dafür erforderlichen Erkenntnissen gelangen werden.
@Ludwig Trepl
»Was die „Kausalzusammenhänge“ nicht in der Natur, sondern im Subjekt angeht, so sind das andere „Ursachen“, die da in Frage kommen: „Ich“ (ein in der Naturwissenschaft nicht möglicher Begriff“) bin die Ur-Sache meiner Entscheidung.«
Die unmittelbare Ursache für eine bestimmte Handlung oder Verhaltensweise ist wohl immer im ausführenden Individuum zu sehen. Diese Vorstellung scheint mir absolut vereinbar zu sein mit der Auffassung, dass die Kausalketten durch das Individuum hindurchlaufen (so ähnlich hat es Geert Keil mal formuliert). Aus vielen einlaufenden Kettensträngen entsteht im Zuge des Entscheidungsprozesses (im ‚Feuerwerk der Neuronen‘ , wo sonst) eine neue Kausalkette. Dadurch wird das Individuum (das „Ich“) in der Tat zur Ursache seiner Entscheidung (das ist in etwa das, was ich mit ‚Selbstbestimmung‘ verbinde).
»Wenn Sie schreiben, daß es schwerfällt, das Konzept der Willensfreiheit zu begreifen, dann sollten Sie hinzufügen, daß das nur für Leute gilt, die sich ihr Denken in der abstrakten Welt der Naturwissenschaften eingerichtet haben. Für einen Menschen, der nicht derart zu abstrahieren gewohnt ist und das Abstraktionsprodukt mit „der Welt“ verwechselt, fällt es umgekehrt schwer zu begreifen, daß der Wille nicht frei sein soll. «
Die meisten dieser Menschen dürften mit dem „freien Willen“ ohnehin etwas völlig Triviales verbinden, nämlich dass ihnen beim Willen keiner dreinreden kann, dass sie tun und lassen können, was sie wollen (sofern es keine Hinderungsgründe gibt). Als Naturwissenschaftler möchte man aber gerne genauer wissen, wie die Sache sich verhält. Die Transzendentalphilosophen bearbeiten dieses Gebiet auf einer anderen Ebene ja schon seit längerem, ohne durchschlagenden Erfolg.
»Das [vermutlich unlösbare] Problem entsteht erst da, wo aus der willentlichen Entscheidung ein Ereignis in der phänomenalen Welt werden soll.«
Tja, es hat schon seinen Grund, warum ich streng auf der einmal gewählten kategorialen Ebene bleibe. Wenn man behauptet, dass Willensbildung nicht durch Hirnprozesse realisiert wird, sondern durch etwas kategorial anderes, handelt man sich ein massives Problem ein.
»Zu behaupten, daß es vorgängige Ereignisse oder Prozesse gibt, die die Entscheidung zwingend in eine bestimmte Richtung lenken (…– wenigstens wenn wir eine determinierte Welt als objektive annehmen,…), und daß es nicht außerdem eine Verursachung ganz anderer Art gibt, würde uns dazu zwingen, unser soziales Leben auf der Stelle einzustellen. Das käme mir nicht sehr vernünftig vor. «
Das sehe ich, wen wundert‘s, völlig anders.
Mit dieser Sichtweise unterstellen Sie, finde ich, dass das menschliche Gehirn, so wie es als physisches Objekt in uns vorhanden ist, nicht hinreichend ausgestattet ist, um ein soziales Leben zu ermöglichen. Viele sagen ja, das menschliche Gehirn sei das komplexeste Ding im bekannten Universum. Aber manchen Propagandisten der Willensfreiheit (im buchstäblichen Sinne, nicht als metaphorische Redeweise, und nicht bloß transzendental gedacht) ist dieses Organ offenbar noch nicht komplex genug, denn sie meinen, dass noch etwas anderes hinzukommen müsse.
Die naturgesetzlichen physiologischen Prozesse, von denen ich rede, haben nichts, aber auch rein gar nichts mit einer determinierten Welt zu tun, in der alles schon von Anfang an festgelegt und vorherbestimmt ist (eine solche Welt stünde mMn ohnehin im Widerspruch zu dem, was Naturwissenschaftler als gegeben voraussetzen).
»Die Tatsachen des sozialen Lebens sind harte Tatsachen. Nur wer das Labor gedanklich nie verläßt, kann leugnen, daß Begriffe wie „Verantwortung“, „Schuld“ oder auch „Idee der Gerechtigkeit“ sich auf eine nicht weniger harte Realität beziehen als z. B. die Begriffe „Atom“ oder „Gravitation“.«
So sehr mir die Wendung „wer das Labor gedanklich nie verläßt“, gefällt, sie trifft nicht, um was es mir geht und was ich meine. Ich sagte ja schon, dass ich Vorstellungen und Ideen, Gesetze, moralische Regeln, usw., für höchst real halte. Eben weil sie im Gehirn, im Denken, realisiert sind. Und ich denke, auch Gegenstände wie die „Praxis“ („im Unterschied zur Erkenntnis“) und das „Sollen“ („im Unterschied zum Sein“) sind nur deshalb real, weil sie im Denken existieren.
In einem Bienenvolk gibt sicherlich kein Sollen wie im Menschenvolk. Dennoch halten sich die Bienen an bestimmte, erblich erworbene „Regeln“ (wie man so sagt, aus unserer Perspektive heraus). Die Biene verhält sich so, als ob es für sie „Praxis“ und „Sollen“ gäbe. Die genetische Fixierung der Regeln des Soziallebens bei der Biene sorgt dafür, dass es im Bienenvolk sehr viel weniger Abweichler gibt als im Menschenvolk, wo das meiste durch Lernen erwerben muss. Und zu transzendentalphilosophischen Betrachtungen dürften Bienen auch nicht in der Lage sein. Ob es Auswirkungen auf deren Sozialgefüge hätte, wenn sie ein Bewusstsein für Schuld und Verantwortung entwickelt hätten? Ein unsinniger Gedanke, ich weiß. Ein Bewusstsein für Schuld und Verantwortung haben wir ja gerade deshalb entwickelt, weil wir frei sind. Frei von vollständiger genetischer Determinierung auf ein bestimmtes sozialverträgliches Verhalten. Deshalb haben wir uns das Sollen gegeben. Oder haben wir es gefunden?
Grenzgängerin @Balanus
“Mit dieser Sichtweise unterstellen Sie, finde ich, dass das menschliche Gehirn, so wie es als physisches Objekt in uns vorhanden ist, nicht hinreichend ausgestattet ist, um ein soziales Leben zu ermöglichen. Viele sagen ja, das menschliche Gehirn sei das komplexeste Ding im bekannten Universum……”
Das sagen aber eben Menschen, die gewiss nicht dieses grandiose Universum selber konstruiert haben, sondern abhängig von ihm leben. Und die sagen deshalb damit keineswegs, dass sie schon die letzte Komplexität des Universums entdeckt und enträtselt haben. Wir sind froh oder begeistert von dem, was wir schon wissen, klar. Aber wir wissen auch: bisher lief es gerade in den Naturwissenschaften immer so, dass der wissenschaftliche Durchblick sich von grob nach fein entwickelte und so Schritt für Schritt die Geheimnisse lüftete. Sie können mithin gut und gerne davon ausgehen, dass es noch viel feiner wird und wir vor allem auch unseren Leib noch lange nicht in seiner ganzen, wahren Komplexität erfasst haben.
“Tja, es hat schon seinen Grund, warum ich streng auf der einmal gewählten kategorialen Ebene bleibe. Wenn man behauptet, dass Willensbildung nicht durch Hirnprozesse realisiert wird, sondern durch etwas kategorial anderes, handelt man sich ein massives Problem ein.”
Sie bleiben eben nicht “streng auf der einmal gewählten kategorialen Ebene” Denn Wille und Willensbildung sind ja selber auch schon aus zwei verschiedenen Kategorien. Der Wille, Ihr Geist, Ihr Ich, ist der Gegenstand, der der Willensbildung unterzogen wird und Letztere geschieht natürlich am Ende der Kette konkret durch Hirnprozesse. Aber diese Hirnprozesse sind das zusammenfassende Ende einer ganzen Reihe von leibseelischen Prozessen die für diese Willensbildung notwendig sind. Das ganze leibhaftige Leben gehört dazu.
Ich z.B. behaupte nicht “dass Willensbildung nicht durch Hirnprozesse realisiert wird” und Herr Trepl vermutlich auch nicht.
“Ein Bewusstsein für Schuld und Verantwortung haben wir ja gerade deshalb entwickelt, weil wir frei sind.”
Nein, sicher nicht “weil wir frei sind”. Davon kann man nicht ausgehen. Freiheit verursacht kein Schuldgefühl. Der harte Überlebenskampf und die große Existenznot der Urzeitmenschen, die ewigen zwischenmenschlichen Probleme und des Menschen Fähigkeit zum Bösen werden Schuldbewusstsein ausgelöst haben und tun es noch immer. Und da ist noch mehr, was sich in uns bemerkbar macht.
Von Ludwig Trepl, @ Balanus
„Die unmittelbare Ursache für eine bestimmte Handlung oder Verhaltensweise ist wohl immer im ausführenden Individuum zu sehen. Diese Vorstellung scheint mir absolut vereinbar zu sein mit der Auffassung, dass die Kausalketten durch das Individuum hindurchlaufen“
Ich habe „Ich“ geschrieben, nicht „ausführendes Individuum“. Letzteres könnte man aber doch stehen lassen – unter der Voraussetzung, daß zugegeben wird, daß „Individuum“ (so wie hier verwendet) kein in den Naturwissenschaften möglicher Begriff ist (ich habe in dem Allgemeine-Ökologie-Lehrbuch einige Seiten dazu geschrieben). – Der Gedanke mit den durchlaufenden Kausalketten hat was, aber es bleibt doch ungeklärt (oder ich hab’ Keil nicht richtig verstanden), was an dem Punkt des Durchlaufens geschieht. Das bleibt geheimnisvoll. Denn das „Ich“, durch das die Kausalketten durchlaufen, bestimmt ja doch, wie sie weiterlaufen, entscheidet zwischen Alternativen und kann das, weil es – so die Voraussetzung der Libertarier – keine durchgehende Determiniertheit gibt. Aber wie es zugeht, daß eine nicht der phänomenalen Welt angehörende „Instanz“ hier eingreifen kann, das bleibt so geheimnisvoll wie eh und je. Der Hinweis, daß diese „Instanz“ ja auch der phänomenalen Welt angehört, hilft da gar nicht, bezeichnet nur das Problem, denn in dieser Eigenschaft entscheidet sie ja nicht; und daß so etwas wie „Ich“ oder „Person“ der phänomenalen Welt angehört, mir den begrifflichen Mitteln, die auf die Erkenntnis dieser Welt gerichtet sind, reformulierbar ist, kann niemand ernsthaft behaupten (nur Naturalisten, weil sie den Unterschied einfach nicht verstehen). Wir sind so klug als wie zuvor.
„Aus vielen einlaufenden Kettensträngen entsteht im Zuge des Entscheidungsprozesses (im ‚Feuerwerk der Neuronen‘ , wo sonst) eine neue Kausalkette: Ja, natürlich: wo sonst? Nicht im Knie, sondern im Hirn bzw. im Nervensystem. Aber davon abgesehen sagt das gar nichts. Auf ein Haus prasselt ein Steinschlag. Danach sieht das Haus ganz anders aus als zuvor. Es mögen noch so unüberschaubar viele Steine sein, die auf es niedergehen: Da wird nirgends eine Entscheidung für diese oder jene Gestalt des Resultats dieser Katastrophe getroffen, das ist nur eine Anhäufung mechanischer Prozesse – so vieler, daß wir das Resultat nicht prognostizieren können. Im Begriff der Entscheidung aber ist vorausgesetzt, daß etwas geschieht, was in der Natur der Naturwissenschaften nicht geschehen kann, auch in einer nicht-deterministisch gedachten Natur nicht. Da kann vielleicht gewürfelt werden, aber nicht entschieden.
Daraus folgt: Wenn Sie den Gedanken nicht aufgeben wollen, daß der Mensch entscheidet und handelt, dann bleibt Ihnen nichts anderes übrig als einzuräumen: Auch wenn alles nach Naturgesetzen zugeht, so geht es doch nicht ausschließlich nach ihnen zu. Die Naturwissenschaften befassen sich mit Abstrakta, mit Konstruktionen, die sie selbst erstellt haben, zu welchem Zweck sie unendlich viel weglassen müssen von dem Gegenstand, den sie zunächst einmal vor sich haben (und der immer noch nicht das „Ding an sich“ ist, denn von dem können wir nichts wissen). Diese Konstruktionen erlauben uns, viel von dem zu begreifen, was wir „die Welt“ nennen, aber sie mit „der Welt“ zu verwechseln, ist ein schwerer Denkfehler.
„Mit dieser Sichtweise unterstellen Sie, finde ich, dass das menschliche Gehirn, so wie es als physisches Objekt in uns vorhanden ist, nicht hinreichend ausgestattet ist, um ein soziales Leben zu ermöglichen.“
Oh doch. Nur was die Naturwissenschaft über das, was im Gehirn vorgeht, herausfinden kann, reicht nicht, um soziales Leben zu ermöglichen. Z. B. ist soziales Leben ohne die Begriffe wahr und falsch nicht möglich (nicht einmal Naturwissenschaft ist ohne sie möglich). Nun entstehen im Gehirn Gedanken. Die können wahr sein oder falsch. Für die Naturwissenschaft aber sind sie gleichermaßen existierende Gedanken, weiter nichts. Im Gehirn entstehen Ideen, z. B. die Idee der Wahrheit, die Idee der Gerechtigkeit, die der Freiheit. Aber die Naturwissenschaft beschäftigt sich mit empirischen Gegenständen, Gegenstände wie Ideen, die definitionsgemäß keine volle empirische Entsprechung haben können, sind keine Gegenstände für die Naturwissenschaft; sie kann über sie einfach „nicht mitreden“. Sie kann nur das Faktum feststellen, daß in einem bestimmten Gehirn die Idee X als Gedanke (oder als bestimmte neuronale Konstellation) vorhanden ist, nicht mehr.
„Ich sagte ja schon, dass ich Vorstellungen und Ideen, Gesetze, moralische Regeln, usw., für höchst real halte. Eben weil sie im Gehirn, im Denken, realisiert sind.“ – Genau, das ist es. Die Naturwissenschaft kann feststellen, daß diese Vorstellungen usw. real sind in dem Sinne, wie in den Naturwissenschaften „real“ gebraucht wird: Sie sind raumzeitliche Ereignisse oder Zustände. (Eben diese Realität meinte ich nicht.) Die Naturwissenschaft kann aber nichts dazu sagen, ob die Ideen usw. wahr sind, ihr ist grundsätzlich die Geltungsdimension verschlossen, obwohl sie natürlich Geltung für ihre eigenen Aussagen in Anspruch nimmt. Die Naturwissenschaft kann nichts dazu sagen, ob die (politische) Idee der Freiheit wahr ist und nicht statt dessen die Idee des Glücks unter despotischen Verhältnissen. Sie kann nur sagen, daß beide Ideen real sind in dem Sinne, daß sie in Gehirnen vorkommen; vielleicht irgendwann auch einmal, was diesen Gedanken auf physikalischer Ebene entspricht. Die Naturwissenschaft kann auch nichts dazu sagen, ob die Maxime, unter der sie selbst steht und ohne die sie definitionsgemäß nicht möglich ist (Erforschung der Wirklichkeit) eine gültige, sein sollende ist oder nur eine wilkürliche ist, die man auch lassen könnte.
Die Naturalisten reagieren auf solche Einwände gern mit Verweis auf die Evolution: Die Ideen haben sich in Gehirnen (bzw. in den Genomen, in denen die Bildung der Gehirne angelegt ist) gebildet, weil das von selektivem Vorteil war. Ich zitiere mal wieder Hans Wagner: „Nun gehört zwar freilich innerhalb gewisser Grenzen eine objektive Orientierungsmöglichkeit in Welt und Umwelt zu dem, was für ein Lebewesen … lebensdienlich … ist. Keineswegs aber gehört in diesen Bereich des biologisch Dienlichen oder ganz Unerläßlichen das Interesse an einer uneingeschränkten Erforschung der Wirklichkeit .. an schlechthin objektiver Einsicht und Erkenntnis.“ Kurz: die Naturwissenschaft kann (als Naturwissenschaft) sich selbst nicht verstehen. Das sollte die Naturalisten doch irritieren, sollte man denken. Tut es aber nicht.
@Grenzgängerin
»Sie bleiben eben nicht “streng auf der einmal gewählten kategorialen Ebene” Denn Wille und Willensbildung sind ja selber auch schon aus zwei verschiedenen Kategorien. Der Wille, Ihr Geist, Ihr Ich, ist der Gegenstand, der der Willensbildung unterzogen wird und Letztere geschieht natürlich am Ende der Kette konkret durch Hirnprozesse. «
Auch wenn die Begriffe „Wille“ und „Willensbildung“ keine genuin (natur)wissenschaftlichen Begriffe sind, soll ja das, was mit diesen Begriffen verbunden wird, sich irgendwie im Leben bemerkbar machen. Und was sich bemerkbar macht, kann im Prinzip Gegenstand der Naturwissenschaften werden. Nicht im Leben bemerkbar wäre zum Beispiel, dass »Shakespeare ein größerer Dichter war als Goethe« (frei nach LT, 6. Januar 2014 12:33).
Das ist das eine. Das andere ist: Wille, Geist und Ich „existieren“ ja nur solange in einem Menschen, wie er lebt. Zumindest lässt sich nach dem Erlöschen der Hirnprozesse nichts mehr feststellen, was mit Wille, Geist und Ich in Verbindung gebracht werden könnte.
Die sparsamste und plausibelste (Kausal-)Erklärung für dieses Phänomen ist, dass Wille, Geist und Ich vom Gehirn irgendwie „erzeugt“ werden. Das meine ich, wenn ich sage, dass Willensbildung durch Hirnprozesse realisiert wird. Das Hirn steht demnach nicht am Ende des Vorgangs einer Willensbildung, sondern die Willensbildung, also das, was wir als Willensbestimmung erleben und betrachten, ist—aus meiner Sicht—von Anfang bis Ende ein rein neurophysiologisches Geschehen. Eigentlich sollte man den physiologischen Teil des Vorgangs der Willensbildung vollständig auf der neuronalen Ebene beschreiben können.
Deshalb meine ich behaupten zu dürfen, dass ich in diesem Falle nicht zwischen den Kategorien hin und her springe (ansonsten kann mir das schon mal passieren, nobody is perfect).
Und ein Problem ist dabei sicherlich, dass Begriffe wie Entscheidung, Willensfreiheit oder Handlung zwar auf einer „höheren“ kategorialen (geistigen) Ebene geprägt wurden, sich aber schon immer auch auf die kategoriale Ebene der materialen Dinge, d. h. auf Menschen aus Fleisch und Blut, bezogen haben.
Ein gelernter Philosoph könnte das alles natürlich sehr viel genauer, differenzierter und auch komplizierter sagen, aber unterm Strich käme das wohl aufs Gleiche raus (hoffe ich).
Ich halte es da mit Wittgenstein:
“Was sich überhaupt sagen lässt, das kann man klar sagen; und wovon man nicht reden kann, darüber muss man schweigen.” (aus: Tractatus Logico-Philosophicus)
» “Ein Bewusstsein für Schuld und Verantwortung haben wir ja gerade deshalb entwickelt, weil wir frei sind.”
“Nein, sicher nicht “weil wir frei sind”. Davon kann man nicht ausgehen. Freiheit verursacht kein Schuldgefühl.«
Ich sprach nicht von einem „Gefühl der“ Schuld, sondern von einem „Bewusstsein für“ Schuld, also im Sinne des Wissens um die Schuldfähigkeit: Das moralische Gesetz impliziert Freiheit, Freiheit impliziert Schuldvermögen, Schuld impliziert, dass es ein moralisches Gesetz gibt, und so fort (sorry, das war jetzt sehr frei und verkürzt aus dem Gedächtnis).
@Ludwig Trepl
Ein kausaler Zusammenhang wird dort assoziiert, wo sich robust feststellen lässt, dass ein B nicht ohne ein vorhergehendes A auftritt und umgekehrt diesem A regelmässig das B nachfolgt. Es steht grundsätzlich ausser Frage, dass Nervensyteme von Tieren die funktionale Voraussetzung bieten, derartige Muster effektiv zu identifizieren. Zudem liegt es auf der Hand, dass für Tiere, die aus einer Wahrnehmung von A das Nachfolgen von B zu antizipieren imstande sind, diese Fähigkeit einen strategischen Überlebensvorteil bedeuten kann. Verhaltensweisen werden vielfach überhaupt erst plausibel, wo in Betracht gezogen wird, dass Tiere aufgrund ihrer Wahrnehmungen kausale Abhängigkeiten konstruieren und darauf reagieren. Und der Mensch ist in dieser Hinsicht keinesfalls eine Ausnahme.
Diese Betrachtung macht mir nicht nur plausibel, wie die Bedingungen menschlichen Denkens sowie die Bedeutung von Kausalität durch die biologische Natur des Menschen geprägt wurden, sondern auch, dass einem ohne Kenntnis oder Einbezug der neuronalen Voraussetzungen praktisch nur bleibt, diese Bedingungen als a priori gegeben zu erachten. Ich sehe dabei eigentlich keinen Konflikt, wohl aber einen durch empirische Wissenschaft getragenen Fortschritt, durchaus im Sinne der Aufklärung.
Man könnte nun etwas den Eindruck gewinnen, Sie wollten die “Kausalität” — mitsamt der “Entscheidungen” — auf eine metaphysische Fluchtburg retten und die Zugbrücke hochfahren, sodass die Empiriker jenseits des Burggrabens bleiben, von wo sie nur hilflos und harmlos mit Metaphern werfen.
Transzendentales, Empirisches, Metaphysisches.
Von Ludwig Trepl, @ Chrys.
„Verhaltensweisen werden vielfach überhaupt erst plausibel, wo in Betracht gezogen wird, dass Tiere aufgrund ihrer Wahrnehmungen kausale Abhängigkeiten konstruieren und darauf reagieren.“
Konstruieren die Tiere wirklich kausale Abhängigkeiten? Sie nehmen häufiges oder ausnahmsloses Aufeinanderfolgen wahr (wie Menschen, die ja auch keine Kausalität wahrnehmen, sondern, in ihren Worten, „konstruieren“). Aber der Schluß davon auf Kausalität, auf ein „nicht nur bisher B immer nach A“, sondern „B durch A“ ist ein Schritt, den man gesondert betrachten muß.
Tier C nimmt wahr, daß 30 Minuten nach dem Singen von Vogel V immer die Sonne aufgeht. Tier C trifft darum gewisse Vorkehrungen für dieses Ereignis, putzt sich das Fell usw. Dazu ist es nicht nötig, daß es eine kausale Abhängigkeit konstruiert, also „Vogel V läßt mit seinem Gesang die Sonne aufgehen“ oder „die Sonne geht wegen des Gesangs von Vogel V auf“ (Sie kennen das von dem klassischen Beispiel vom Hahnenschrei her). Es reicht, daß eine gewisse Wahrscheinlichkeit der Aufeinanderfolge besteht, um ein gewisses Verhalten des Tieres C „biologisch sinnvoll“, „funktional“ werden zu lassen. Ob da eine Kausalität besteht oder nur eine Korrelation, ist egal. – Mit einer Raubvogelattrappe kann man bestimmte Tiere mit 100-prozentiger Sicherheit dazu bringen, sich zu verstecken. Wenn das bei den betreffenden Tieren kein genetisch fixiertes, sondern erlerntes Verhalten ist, hört das Verstecken auf, wenn hinreichend oft dem Tier nur eine Attrappe und nicht ein echter Raubvogel gezeigt wird. Ein wie auch immer unbewußte Vorstellung von Kausalität braucht es dafür nicht.
„dass einem ohne Kenntnis oder Einbezug der neuronalen Voraussetzungen praktisch nur bleibt, diese Bedingungen als a priori gegeben zu erachten.“
Ob ich nun die neuronalen Voraussetzungen einbeziehe oder nicht: Kausalität ist nicht beobachtbar, läßt sich empirisch nicht finden – und doch besteht empirische Wissenschaft vor allem darin, Kausalitäten zu suchen. Empirisch finde ich nur ein wiederkehrendes Aufeinanderfolgen. Das hat Hume (immerhin einer der Haupt-Päpste der Richtung, die Sie hier vertreten) herausgefunden und es ist nicht widerlegt worden. Wenn sich Kausalität aber nicht empirisch finden läßt, bleiben nicht viele andere Möglichkeiten: (1) Es handelt sich nur um eine Redegewohnheit, wir könnten es auch lassen, von Kausalität zu reden, wissen können wir darüber ohnehin nichts (Hume); wir „konstruieren“ also Kausalität nach der Wahrnehmung von Regelmäßigkeiten. (2) Es ist ein metaphysischer Sachverhalt; beispielsweise hat halt Gott die Welt oder die Natur sich selbst so eingerichtet; so etwas setzt einen transzendenten Standpunkt voraus; wer, wie wir, im Diesseits lebt, kann es weder beweisen noch widerlegen. (3) Kausalität ist ein apriorischer, bezogen auf die empirische Wissenschaft transzendentaler Begriff; wir „konstruieren“ (ganz dicke Anführungszeichen!) Kausalität vor der Wahrnehmung von Regelmäßigkeiten (und wenden diese Konstruktion, die wir vor aller Erfahrung immer schon machen, im Einzelfall auf die empirisch gefundenen Regelmäßigkeiten an oder nicht; im Falle des Hahnenschreis nicht).
(1) und (2) können Sie sich vorstellen, (3), typisch für Empiristen, nicht. Sie sehen den Unterschied zwischen (2) und (3) nicht. Ich zitiere zum wiederholten Male eine Stelle aus dem Willensfreiheit-Buch von Geert Keil, weil ich es nicht besser sagen kann und weil daran alles hängt:
„Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß dem Mißtrauen, das der anti-foundationalism dem ‚Apriorismus’ und dem Transzendentalismus der traditionellen Erkenntnistheorie entgegenbringt, immer noch ein falsches Verständnis des Verhältnisses von ‚empirisch’ und ‚transzendental’ zugrunde liegt, nämlich die Vorstellung, der Transzendentalist habe es mit einer besonderen Art von Wissen zu tun, das man nur von einem Standpunkt außerhalb der empirischen Welt, also überhaupt nicht, beanspruchen kann. … Aber das ist kein Einwand gegen ein … transzendentales Programm im Sinne Kants. Im Gegenteil, der tranzendente Standpunkt im kosmischen Exil, jenseits aller möglichen Erfahrung, ist ja gerade das, was Kant der dogmatischen und der skeptischen Gegenposition vorwirft … Die transzendentale Reflexion ist … eine Thematisierungsweise, die nicht die Wissenschaft vor aller Erfahrung zu ‚begründen’ beansprucht, sondern expliziert, was in ihr liegt: ihre konstitutiven Bedingungen. Und dies ‚von innen’, d. h. ohne zu vergessen, daß sie selbst dieser Bedingungen nicht enthoben ist.“ (S. 66)
Zu den konstitutiven Bedingungen empirischer Wissenschaft gehört z. B. „Räumlichkeit“ im weitesten Sinn, denn ohne die Möglichkeit der Lokalisierung von Ereignissen kann es keine empirische Wissenschaft von diesen Ereignissen geben. Es ist gar nicht möglich, die Objekte der empirischen Wissenschaft zu denken ohne die apriorische, vom Erkenntnissubjekt an sie herangetragene Anschauungsform „Räumlichkeit“. Zu den konstitutiven Bedingungen empirischer Wissenschaft gehört z. B. auch, daß „die Welt“ nicht ein völliges Chaos ist; es muß Notwendigkeiten des Neben- und Nacheinanders geben. Zu letzterem sagen wir „Kausalität“, wenn es sich nicht um zufällige Korrelationen handelt. In einer Welt ohne diese Bedingungen, die wir nicht empirisch finden, sondern der Welt zudenken, wäre empirische Wissenschaft nicht möglich (siehe dazu hier). Das hat mit Metaphysik („auf eine metaphysische Fluchtburg retten“) überhaupt nichts zu tun. Ich sehe, Sie sind stolz auf die empirische Wissenschaft („…durch empirische Wissenschaft getragenen Fortschritt …“), aber dann sollten Sie die ganze empirische Wissenschaft gelten lassen, zu der nun einmal ihre apriorischen (transzendentalen) Bedingungen gehören – nicht aber die Metaphysik.
Kausalität als apriorischer Begriff /@Ludwig Trepl @Chrys
Herr Trepl, Sie schreiben:
»(3) Kausalität ist ein apriorischer, bezogen auf die empirische Wissenschaft transzendentaler Begriff; wir „konstruieren“ (ganz dicke Anführungszeichen!) Kausalität vor der Wahrnehmung von Regelmäßigkeiten (und wenden diese Konstruktion, die wir vor aller Erfahrung immer schon machen, im Einzelfall auf die empirisch gefundenen Regelmäßigkeiten an oder nicht; im Falle des Hahnenschreis nicht).«
@Chrys schrieb:
»(Es steht grundsätzlich ausser Frage, dass Nervensyteme von Tieren die funktionale Voraussetzung bieten, derartige Muster [B immer nach A; wenn A, dann B] effektiv zu identifizieren. […] Verhaltensweisen werden vielfach überhaupt erst plausibel, wo in Betracht gezogen wird, dass Tiere aufgrund ihrer Wahrnehmungen kausale Abhängigkeiten konstruieren und darauf reagieren.«
Mir ist nicht klar, worin der substanzielle Unterschied zwischen beiden Aussagen bestehen soll. Mir scheint, als würde ein und derselbe Sachverhalt lediglich aus zwei unterschiedlichen Perspektiven beschrieben.
Die Frage, ob Tiere wirklich kausale Abhängigkeiten konstruieren (können), würde ich bejahen. Offenbar spielt der zeitliche Abstand zwischen den Ereignissen A und B eine wesentliche Rolle bei dieser „Konstruktion“. Und es müssen natürlich Ereignisse sein, die überhaupt entsprechend wahrgenommen werden können von der jeweiligen Spezies, die also eine Bedeutung für die Tiere haben. Das klassische Beispiel sind wohl Skinners „abergläubischen“ Tauben. Problemlösung kann doch nur funktionieren, wenn Ursache-Wirkungs-Beziehungen irgendwie „erkannt“ werden können.
Sie schreiben:
»Es reicht, daß eine gewisse Wahrscheinlichkeit der Aufeinanderfolge besteht, um ein gewisses Verhalten des Tieres C „biologisch sinnvoll“, „funktional“ werden zu lassen. […] Eine wie auch immer unbewußte Vorstellung von Kausalität braucht es dafür nicht.«
Das stimmt wohl. @Chrys hat aber auch nichts anderes behauptet, soweit ich das sehe. Für die unbewusste Konstruktion eines kausalen Zusammenhangs braucht es keine irgendwie geartete „Vorstellung“, wohl aber einen neuronalen Schaltkreis, der diesen Zusammenhang herstellen kann (grob gesprochen, das ist nicht mein Fachgebiet).
Und noch zu etwas anderem:
»Zu den konstitutiven Bedingungen empirischer Wissenschaft gehört z. B. …«
Ich habe den Eindruck, dass zu diesen konstitutiven Bedingungen all das gehört, was ganz allgemein zu den Bedingungen des Schauens, der Beobachtung und des Wissenserwerbs gehört, dass wir uns ohne diese Bedingungen gar nicht in der phänomenalen Welt orientieren könnten. „Empirische“ Wissenschaft ist doch nur eine Sonderform oder Spezialfall des ganz alltäglichen Umgangs mit den physischen Dingen des Lebens, dem Auskundschaften, wie diese Dinge zusammenhängen. Was ich also nicht so recht verstehe, ist, warum diese „konstitutiven Bedingungen“ so heraushoben werden, so als seien sie etwas besonders Erwähnenswertes und nicht Alltägliches. Aber vielleicht habe ich da auch nur eine falsche Wahrnehmung.
Von Ludwig Trepl, @ Balanus
„Mir ist nicht klar, worin der substanzielle Unterschied zwischen beiden Aussagen bestehen soll. Mir scheint, als würde ein und derselbe Sachverhalt lediglich aus zwei unterschiedlichen Perspektiven beschrieben.“
Das Tier muß in meinen Beispielen keine „unbewußte Vorstellung“ von Kausalität „konstruieren“, um sich „angemessen“ verhalten zu können. Es reicht, wenn es sich ans Beobachtete und Beobachtbare hält: Auf A folgt regelmäßig B. Es ist für das Tier egal, ob der von ihm gehörte Vogelgesang, der regelmäßig dem Sonnenaufgang vorausgeht, die Sonne aufgehen läßt (Kausalität) oder nicht (bloße zeitliche Aufeinanderfolge). Letzteres reicht für das Tier, um den Gesang als Indikator des bevorstehenden Sonnenaufgangs zu benutzen.
„Die Frage, ob Tiere wirklich kausale Abhängigkeiten konstruieren (können), würde ich bejahen. Offenbar spielt der zeitliche Abstand zwischen den Ereignissen A und B eine wesentliche Rolle bei dieser „Konstruktion“.“
Zeitlicher Abstand: Ob der Hahn eine Stunde vor Sonnenaufgang kräht oder 1 Sekunde, oder ob ein bestimmter Sonnenstand 1 Monat vor dem Kälteeinbruch einzutreten pflegt, ist egal: In allen Fällen kommt es nur auf die hinreichende Regelmäßigkeit an, um dem Verhalten, das diese Aufeinanderfolge in Rechnung stellt (es als Indikator benutzt), mit einem Selektionsvorteil zu versehen. „Problemlösung kann doch nur funktionieren, wenn Ursache-Wirkungs-Beziehungen irgendwie „erkannt“ werden können“ stimmt hier nicht.
Ob die Tiere kausale Abhängigkeiten konstruieren (also „glauben“, daß der Hahnenschrei die Sonne aufgehen läßt) – wie sollen wir das wissen können? Ich bin mir da nicht sicher. Kann es ein Experiment geben, das da unterscheidet? Skinners abergläubischen Tauben kenne ich nicht. Aber wenn es sich nur um so etwas handelt wie daß Tiere vor Raubtierattrappen, also geglaubten Raubtieren, und nicht nur vor echten Raumtieren fliehen, dann besagt das gar nichts. Wir können nicht wissen, ob die „glauben“, die Attrappe sei ein Raubtier, oder ob sie einfach auf bestimmte Muster mechanisch reagieren, ohne sich etwas dabei zu denken.
Man müßte einen Fall haben, in dem die regelmäßige Aufeinanderfolge nicht reicht, sondern B durch A hervorgebracht wird. So etwas wie: Durch das Hacken des Spechts entsteht ein Loch; es besteht also eine Ursache-Wirkungs-Beziehung, nicht nur zeitliche Aufeinanderfolge. Der Specht hat von dieser Kausalität irgendwie eine unbewußte Vorstellung, er „konstruiert“ sie (beobachten kann er sie so wenig wie wir), und deshalb hackt er. Aber es reicht ihm ja zu „wissen“, daß regelmäßig kurz nach dem Hacken ein Loch im Baum ist, um „sinnvollerweise“ mit dem Hacken beginnen zu können, er braucht dazu die „Konstruktion“ der Kausalität nicht. Wenn es aber eine Situation gäbe, in der das Tier den Unterschied zum Fall Vogelgesang (zwar kommt regelmäßig eine bestimmte Zeit nach meiner Aktion ein bestimmtes Ereignis, aber das kommt auch, wenn ich die Aktion unterlasse) kennen müßte, dann könnte man vielleicht Situationen identifizieren, in denen es für Tiere Kausalität gibt.
„Ich habe den Eindruck, dass zu diesen konstitutiven Bedingungen all das gehört, was ganz allgemein zu den Bedingungen des Schauens, der Beobachtung und des Wissenserwerbs gehört, dass wir uns ohne diese Bedingungen gar nicht in der phänomenalen Welt orientieren könnten. „Empirische“ Wissenschaft ist doch nur eine Sonderform …“
Ja, richtig. Es geht nicht nur um konstitutive Bedingungen der empirischen Wissenschaft, sondern von empirischer Gewinnung von Wissen überhaupt. Von Wissenschaft ist hier immer nur die Rede, weil die Behauptung aufgekommen ist, die empirischen Wissenschaften könnten allein durch Anhäufung von Wahrnehmungen, also empirisch, zu Wissen kommen („Kübeltheorie des Wissens“ nennt das Popper). Da erinnert man halt die Wissenschaften an ihre eigenen nichtempirischen Voraussetzungen.
Ursache-Wirkung /@Ludwig Trepl
»Zeitlicher Abstand: Ob der Hahn eine Stunde vor Sonnenaufgang kräht oder 1 Sekunde, oder ob ein bestimmter Sonnenstand 1 Monat vor dem Kälteeinbruch einzutreten pflegt, ist egal: …«
Nicht bei dem, was ich im Sinn hatte, da ist der zeitliche Abstand wohl nicht egal. Nämlich dann, wenn ein Tier etwas macht (ein Verhalten zeigt), und es passiert etwas, was dem Tier etwas bedeutet. In diesem Falle kann das Tier lernen, dass es durch sein Verhalten etwas bewirken kann. In der Verhaltensbiologie nennt man so etwas, wenn ich nicht irre, „operantes Verhalten“, also Lernen am Erfolg. So etwas kann wohl auch ohne jegliches Bewusstsein und ohne irgendeine „Vorstellung“ von „Kausalität“ erfolgen. Aber dass es eine Beziehung zwischen Verhalten (Ursache) und Erfolg (Wirkung) gibt, das muss das Tier irgendwie „erkennen“ können.
Ich denke, auf diesem biologischen Erbe beruht unsere zwanghafte (intuitive?) Verknüpfung von zeitlich eng aufeinanderfolgenden Ereignissen zu einem Kausalgeschehen (wenn ich einen Schalter betätige, und das Licht geht an, dann meine ich unweigerlich, dass das an mir gelegen hat, ob es nun stimmt oder nicht).
Schlussendlich bin ich der Meinung, dass Ursache-Wirkungs-Beziehungen nicht vollends „konstruiert“, sondern in der Hauptsache entdeckt werden. Das Konstruktive beschränkt sich m. E. dabei auf die Festlegung der betrachteten Ereignisse, also darauf, welche Glieder einer Ereigniskette man wählt.
Deshalb meine ich auch, dass der von @Chrys zitierte Philosoph Norton irrt, wenn er meint, es gäbe im Bereich des alltäglichen Lebens Ereignisse, zu denen es keine vorgängigen Ereignisse gäbe.
@Ludwig Trepl
Ein Versuch der dramatischen Verkürzung von Kausalität in drei Zeilen.
Dramatis personae
Geert Keil. ein Philosoph
John D. Norton, ein Wissenschaftsphilosoph
Daniel von Wachter, noch ein Philosoph
Keil: Wir Philosophen haben erfunden philosphische Kausalität, die tut gut für Geist und Denken.
Norton: Ich hab’ ein Gegenbeispiel …
Wachter: Für den richtigen Ausweg halte ich die Verabschiedung von dem heute für selbstverständlich gehaltenen Dogma, daß jedes Ereignis das Ergebnis eines Kausalvorgangs ist und vorangehende Ursachen hat (vgl. Wachter 2003; 2007).
Den Part für von Wachter habe ich nicht frei erfunden, das stammt tatsächlich aus einer Kritik an Keil [PDF]. Was von Wachter in seiner Habil.schrift, Die kausale Struktur der Welt (Wachter 2007), vertritt, nennt er “eine nicht-Humesche Theorie” von Kausalität. Er dürfte schwerlich der unbedarften Anhängerschaft von Hume verdächtig sein. Anscheinend sind es nicht nur “Humeaner”, die mit dem rechten Verständnis von Kausalität so ihre Schwierigkeiten haben.
Mit Kausalität mag man auch weiterhin heuristisch argumentieren können, also dort, wo auf formale Strenge verzichtet wird. So etwa bei der Vermittlung von physikal. Inhalten für ein Laienauditorium, das von math. Formeln nur verschreckt würde. Doch wenn das für die eigentliche Physik und ihre mathematisch formulierten Gesetzmässigkeiten überhaupt keine Rolle spielt, dann gehört Kausalität wohl kaum zu den konstituierenden Bedingungen für die Physik, auch wenn Physiker sich gelegentlich ihrer als Hilfskonstruktion bedienen.
N.B. Mir ist leider der Überblick inzwischen etwas abhanden gekommen, sodass ich nicht mehr weiss, welches Buch von Keil da gemeint war.
@Chrys
Die Kritik von Wachter bezieht sich auf einen Artikel von Keil, dem Hauptartikel in Erwägen – Wissen – Ethik, Heft 1 (2009). Wachters Kritik ist im selben Heft veröffentlicht worden.
Geert Keils Anmerkung zu seinem Text:
“Der Hauptartikel ist ein für EWE verfasstes Précis meines Buches „Willensfreiheit“, welches 2007 im Walter de Gruyter Verlag Berlin erschienen ist.”
Die komplette Inhaltsangabe des EWE-Heftes, mit der Liste aller Kritiker:
http://groups.uni-paderborn.de/ewe/index.php?id=52
Hoffe, das hilft.
@Joker
Danke für den Hinweis auf das Buch und den Link. Der Aufsatz, auf den sich Wachter bezieht, ist jedenfalls als PDF im Web zu haben, den hatte ich dann noch gefunden.
@Chrys
Schade, dass Wachter in seiner Gegenrede zu Keil nicht näher erläutert, inwiefern das „Entscheidungsereignis“ von den Umständen, die die Entscheidung evozierten, abgekoppelt ist.
Irgendwann wird ein Philosoph noch darlegen, dass ein Perpetuum mobile doch möglich ist („Für den richtigen Ausweg halte ich die Verabschiedung von dem heute für selbstverständlich gehaltenen Dogma, daß ein PE unmöglich ist!“
Damit nicht lange gerätselt werden muss: PE = Perpetuum mobile
Von Ludwig Trepl, @ Balnus.
„Irgendwann wird ein Philosoph noch darlegen, dass ein Perpetuum mobile doch möglich ist“
Daß Philosophen sich in die Angelegenheiten der Naturwissenschaften einmischen, kommt praktisch nicht vor; mir ist jedenfalls kein Beispiel bekannt. Das Umgekehrte ist heute fast schon der Normalfall. Kein Wunder: Philosophen pflegen zu wissen, daß sie dafür nicht zuständig sind, es gehört ja zu ihrem Fach, über solche Fragen von Zuständigkeiten nachzudenken. Zu den Fragen, mit denen sich die Physik befaßt, gehört dergleichen aber nicht. Zudem kommen von Philosophen kaum derart kühne Gedanken. Auch die gegensätzlichsten Philosophien wirken selbst für ihre extremen Gegner meist gar nicht so unplausibel.
Also: Daß so etwas von einem Philosophen kommen könnte, damit ist nicht zu rechnen. Von einem Physiker dagegen kann man schon eher erwarten, daß er ein Perpetuum mobile für möglich erklärt; das ist nicht einmal so abwegig, immerhin fällt das Thema ja in ihr Fach.
Und man hat seine Erfahrungen: Sind doch die Physiker sogar auf die Idee gekommen, daß die Welt mit einem „Urknall“ angefangen hat, daß man sich also „von dem heute für selbstverständlich gehaltenen Dogma“, daß vor dem Knall auch etwas gewesen sein muß, verabschieden müsse.
Nicht Wissen steht gegen Meinung und Glauben, sondern Wissen zweierlei Art steht gegeneinander.
von Ludwig Trepl, @ Balanus (@ Chrys).
„Schade, dass Wachter in seiner Gegenrede zu Keil nicht näher erläutert, inwiefern das „Entscheidungsereignis“ von den Umständen, die die Entscheidung evozierten, abgekoppelt ist.“
Ja, schade; da wird man wohl die Habilschrift lesen müssen. Aber Ihr Problem, die Sackgasse, in der Sie festsitzen, besteht darin, daß Ihnen die umgekehrte Frage nicht einfällt: Inwiefern jene Umstände, die die Entscheidung evozierten und die doch, wie wir wissen, von dem Entscheidungsereignis, „abgekoppelt“ sind, trotz dieses Ereignisses überhaupt sein können.
Sie sehen immer nur die eine Seite: Wir wissen von jenen Umständen. (Wie) kann es dann überhaupt sein, daß Entscheidungen stattfinden? Also etwas, das für sich beansprucht, von den Umständen abgekoppelt zu sein. Sie versuchen dann, „Entscheidung“ so zu denken, daß es ein naturwissenschaftlich faßbarer Vorgang wird. Sie reden von „Neuronenfeuerwerk“, von „hoher Komplexität“ usw.; so soll sich das irgendwie denken lassen. Aber das läßt sich immer leicht vom Tisch wischen: Der Sinn des Begriffs Entscheidung ist dann verschwunden. (Daß Sie oder auch @Chrys das nicht bemerken, wundert mich: Ihnen ist doch auch klar, daß beispielsweise in dem Satz „Verantwortlich für den Niedergang der Firma ist Direktor Müller“ mit „verantwortlich“ etwas kategorial Anderes gemeint ist als in dem aus der Tagesschau bekannten Satz „Verantwortlich für die milden Temperaturen ist das Tief über Schottland“. )
All diese Bemühungen unterscheiden sich nicht grundsätzlich von denen antiker oder mittelalterlicher Philosophen, die sich unter „Geist“ so etwas wie eine extrem verdünnte Materie vorstellten. Aber wie auch immer man die Materie verdünnt, wie auch immer man die Komplexität steigert: man verläßt dadurch die kategoriale Welt der Naturwissenschaft nicht, ist der es so etwas wie Entscheidungen, Handlungen, Willensfreiheit, Verantwortung oder auch „Ich“ nicht geben kann.
Drehen Sie doch die Sache mal um: Wir wissen, daß wir Entscheidungen treffen, also unseren Willen frei bestimmen können. Wie können dann die naturwissenschaftlichen Beschreibungen richtig sein? Wie können gar die metaphysischen Erweiterungen richtig sein, etwa der Determinismus? Muß man nicht die ganze Naturwissenschaft für eine Illusion halten? Das könnte man mit mindestens eben so viel Recht sagen. Mindestens, denn es gibt zwar gute Gründe, die Ergebnisse der Naturwissenschaft nicht für eine Illusion zu halten, während es völlig sicher ist, daß Ich Entscheidungen treffe; denn letzteres spielt sich ja nicht in der empirischen Welt ab, im Hinblick auf die all unsere Erkenntnisse unter dem Vorbehalt stehen, daß die nächste Erfahrung sie umstoßen könnte und daß es sich ohnehin nur um die Welt der Erscheinungen für uns handelt.
Sie ignorieren das Wissen, das das Denken über sich hat, mit unglaublicher Sturheit (wie alle Naturalisten) – als ob Sie noch nie eine Entscheidung getroffen, eine Handlung ausgeführt (z. B. einen naturwissenschaftlichen Gedanken niedergeschrieben), Ihrem Willen eine bestimmte Richtung gegeben hätten, kurz: als ob Sie kein Mensch wären. Als ob Sie in Fällen, wie sie täglich Tausend mal vorkommen, nicht wüßten: Ich bin’s gewesen. Ich bin es gewesen – nicht diese oder jene Ereigniskette, die einem Ereignis vorausgegangen ist, dem Sie gewohnheitsmäßig den Namen „Entscheidung“ geben, unter dem Sie sich aber etwas vorstellen, das definitionsgemäß keine Entscheidung ist, weil keiner entscheidet. Sondern „Ich“ bin es gewesen, ein in den Naturwissenschaften nicht möglicher Begriff, ein Un-Ding.
Die doch so naheliegende Lösung sehen Sie nicht: daß man dieses Wissen mit den Methoden der Naturwissenschaft nicht gewinnen kann, weil diese von ihm definitionsgemäß abstrahieren müssen. Zu diesen Methoden haben Sie aber ein Verhältnis, das dem des Katholiken zum Papst noch eins draufsetzt: Es gilt nicht etwa nur das Dogma der Unfehlbarkeit (ich habe den Eindruck, daß sie das sogar anzweifeln), sondern das der Allzuständigkeit, weil es außerhalb des Zuständigkeitsbereichs der Naturwissenschaften nichts gibt. Da mögen Sie noch so oft beteuern, daß Sie nicht der Meinung sind, daß Physiker oder Biologen nicht alle Fragen anderer Wissenschaften beantworten können: Sie fallen immer wieder darauf zurück.
Die Art von Wissen, um die es hier (bei Fragen der Willensfreiheit usw.) geht, gewinnt man in der Perspektive der praktischen Philosophie, da, wo man nach dem Sollen fragt (wonach die Naturwissenschaft nicht fragen kann, wie Sie sicher zugeben – wenigsten dürfte Ihnen aufgefallen sein, daß diese Frage in keinem einzigen Physikbuch auftaucht –, was aber doch ein wenig am Glauben an die Allzuständigkeit rütteln müßte).
In dieser Perspektive werden die Umstände, die die Entscheidung evozierten, „abgekoppelt“ – nicht daß man sie nicht sehen könnte, man sieht sie schon, sie stehen einem geradezu ständig vor Augen, wenn man etwas soll, aber vielleicht aufgrund bestimmter Umstände im bisherigen Leben, die einen geprägt haben, nicht will. Aber man hat das absolut sichere Wissen, daß die Entscheidung von ihnen unabhängig zu sein hat und also auch sein kann. (Sie werden einwenden: Wieso soll denn dieses Wissen absolut sicher sein? Ich frage zurück: Wie kommen Sie denn auf den Gedanken, daß es das nicht ist?)
„Unabhängig“ hat hier nicht die Bedeutung, daß es jene Kausalursachen (vorangehende, auf die Willensbestimmung wirkende Ereignisse) nicht gibt – selbstverständlich gibt es sie. Aber sie sind hinsichtlich der Frage der praktischen Philosophie, der Frage nach dem Sollen, schlechterdings irrelevant, und dies in zweierlei Hinsicht:
(1) Ob die Natur dem entgegen kommt, was Sie sollen, oder hinderlich im Wege steht – Sie sollen es trotzdem. Es ist absolut gleichgültig für die Frage des Sollens, ob sich in Ihnen der Naturtrieb des Mitleids regt, wenn Sie einen Ertrinkenden sehen, oder ob Freude aufkommt, weil sie ihn hassen: Sie sollen ihn trotzdem retten. (Daß das leichter geht, wenn sich Mitleid regt, ist eine andere Frage, die muß man strikt abtrennen, sonst entsteht nur Kuddelmuddel.)
(2) Das, was Sie tun und getan haben, ist Ihnen zuzurechen und Sie sind in einem absoluten Sinne dafür verantwortlich, egal ob es Umstände gibt/gab, die Ihnen die Tat erleichterten oder erschwerten. Das interessiert einfach nicht, wenn die Frage nach Verantwortlichkeit gestellt wird.
Die Moderne Naturwissenschaft folgt oder ist eine(r) Methode; es ist nicht sicher, dass Sie (oder wer auch immer) Entscheidungen (“völlig sicher”, tss, tss) trifft oder treffen.
Sie müssen sich da mal locker machen.
Wenn Sie die Welt des oder Ihres Geistes meinen, müssen Sie dies klar kennzeichnen und entsprechend unterscheiden.
MFG
Dr. W
@ Webbaer
“Sie müssen sich da mal locker machen.”
Bin ich. Ich treffe nur eine Unterscheidung, die man seit eh und je in der Wissenschaft ganz selbstverständlich trifft, und die in dem Kommentar auch klar genug gekennzeichnet ist. Die Naturwissenschaft macht diese Unterscheidung nicht, muß sie auch nicht machen, weil sie von vornherein, einfach definitionsgemäß, allein auf der einen Seite dieser Unterscheidung arbeitet.
Dr. W an Dr. T:
Kann jeder sagen. Ihr Kommentatorenfreund kennt Sie aber mittlerweile recht gut als stringenter Denker, der der Rechtwinkligkeit nicht abgeneigt ist, beim Denken.
Ihr Festhalten an der Folgerichtigkeit, was auch die Determiniertheit oder Kausalität erforderlich macht, ist jedenfalls, unter Opas, nicht unbedingt erforderlich.
Es ist auch möglich die moderne Wssenschaftlichkeit im konstruktivistischen Sinne zu pflegen; die dbzgl. Pflege deckt sich perfekt mit dem aufklärerischen Anspruch. Irgendwo hat Joachim Schulz mal was dazu geschrieben.
MFG
Dr. W (der sich nun wieder bis auf Weiteres ausklinkt)
Kausalitäten und Zuständigkeiten.
Von Ludwig Trepl, @ Chrys.
Viele Dank für den Text von Wachter, ich kannte ihn nicht. Er paßt mir aber gut in den Kram, denn wie Sie meinen Diskussionen hier vor allem mit @Balanus entnehmen können, liegt meine Unzufriedenheit mit der Keil’schen Theorie ziemlich genau in dem Punkt, den Wachter anspricht.
Nur: Mit unserer Diskussion über den Status der Kausalität hat das nichts zu tun, von Wachter behandelt eine ganz andere Frage, die der sog. Akteurskausalität.
„Mit Kausalität mag man auch weiterhin heuristisch argumentieren können, also dort, wo auf formale Strenge verzichtet wird.“
Da verstehen Sie etwas falsch. Es geht nicht um formale Strenge oder nicht (da dürften sich Physiker und Philosophen kaum unterscheiden), sondern darum, ob die Physik der zuständige Ort für die Fragen um die Kausalität ist. Sie ist halt nicht für alles zuständig. Für die Frage, ob Shakespeare ein größerer Dichter war als Goethe, ist sie nicht zuständig, ebenso nicht für die Frage, wie richtig zwischen Mord und Totschlag zu unterscheiden ist, da mag sie formal so streng sein wie sie will. Ich verstehe nicht, wieso das für Sie so unverständlich ist. – Drehen Sie es doch mal um: Ob Kunsttheoretiker, Ökonomen oder Linguisten den Begriff des Atoms oft, selten oder nie benutzen, ist für die Frage, wie Atome beschaffen sind, völlig egal, denn das ist eine Frage, für die die Physik zuständig ist, nicht Kunsttheorie, Ökonomie oder Linguistik.
Wäre Kausalität etwas empirisch Feststellbares, dann wäre die Physik zuständig. Nun ist Kausalität das aber nicht. Zuständig sind darum andere Wissenschaften:
Für die Empiristen (Hume-Tradition) sind empirische Wissenschaften zuständig, aber nicht Naturwissenschaften wie die Physik oder die Chemie, sondern z. B. die Psychologie. Das Operieren mit dem Begriff Kausalität erfüllt irgendwelche Funktionen im Denken (als ein empirisches Geschehen betrachtet), erleichtert dies und jenes, leuchtet vielen aus irgendwelchen praktischen Gründen ein usw.; Sie selbst argumentieren ja im Prinzip so. Für solche Fragen ist nicht die Physik, auch nicht die Philosophie, sondern die Psychologie zuständig, z. B. eine in die Wissenschaftssoziologie eingeordnete Sozialpsychologie, wenn es darum geht, warum in bestimmten Wissenschaften man gern von Kausalität redet, in anderen nicht.
Wenn Kausalität aber etwas Apriorisches ist (Kant-Tradition und irgendwie auch verschiedene rationalistische Traditionen), dann gehört sie auf die Seite des Denkens (nicht als ein empirisches Geschehen verstanden), so wie z. B. die formale Logik, nur daß es sich eben nicht um formale Logik handelt. Dann ist das Thema der Kausalität eine Sache der Philosophie, speziell der Erkenntnistheorie (oder der Gegenstandslogik, der materialen Logik oder wie man das auch immer genannt hat).
Die Physik ist eine Wissenschaft von Gegenständen in der Außenwelt, nicht, wie die Mathematik, die Logik und die Erkenntnistheorie, eine Wissenschaft davon, was auf der Seite nicht der gedachten Gegenstände, sondern des Denkens über diese geschieht, geschehen kann und soll. Die Physik kann den Begriff der Kausalität benutzen, so wie die Biologie den Begriff des Lebens benutzt (wo man inzwischen auch weitgehend vergessen hat, daß Biologie etwas mit Leben zu tun hat und diesen Begriff gar nicht mehr benutzt), aber sie ist nicht zuständig für diesen Begriff, er liegt außerhalb der Grenzen, die ihren Forschungen gezogen sind.
Die Physik benutzt auch die Mathematik, aber Mathematik als Wissenschaft zu betreiben ist etwas anderes als Physik zu betreiben. Die Physik ist nicht dazu da, herauszubekommen, ob der Satz des Pythagoras richtig ist. Derartige Gegenstände gibt es nicht in ihrem Gegenstandsbereich. Ihre Gegenstände kann man mit Begriffen wie Energie, Materie, Dichte, Leitfähigkeit usw. beschreiben. Denk-Dinge wie das Kausalprinzip oder irgend etwas Mathematisches kann man mit solchen Begriffen nicht beschreiben, da braucht man andere, die in der Physik ausgeschlossen sind.
@Ludwig Trepl
Wenn Menschen mit empirischen Methoden die Arbeitsweise des menschlichen Nervensystems untersuchen, dann lassen sich aus den erhaltenen Einsichten wiederum Schlüsse ziehen über die neuronalen Vorbedingungen, unter denen eben jene Methoden erdacht wurden, mit denen man zu den besagten Einsichten gelangt ist. Zumindest dann, wenn man akzeptiert, dass Denken und Wahrnehmung mit der neuronalen Dynamik korrespondiert, indem diese als unterschiedliche Beschreibungsweisen desselben Geschehens betrachtet werden. Dies folgt eigentlich aus der grundsätzlichen Annahme, dass die von meinem Geist/Hirn erstellte Vorstellung von “Welt” identifizierbar ist mit jener mich anscheinend umgebenden “Welt”, aus der mir meine Sinne gewisse Eindrücke vermitteln.
Diese letztgenannte Annahme werden Sie sicherlich nicht uneingeschränkt teilen, Kant hätte das auch nicht getan. Die Annahme vermeidet u.a. die Unannehmlichkeit, sich als “Bürger zweier Welten” fühlen zu müssen, von denen eine so beschaffen ist, dass ich über sie nichts wissen kann, aber doch etwas über sie sagen soll. Der Preis, der dafür zu zahlen ist, besteht darin, dass man sich unausweichlich in der Situation von Schopenhauers Gehirnparadoxon wiederfindet. Oder anders gesagt, man erkennt sich als seltsame Schleife, die rekursiv und unauflöslich mit dieser einen “Welt” so verflochten ist, dass jegliches Erkennen dieser “Welt” ebenfalls als ein rekursiver, selbstorganisierender Prozess erscheint, welcher die eigenen konstitutiven Bedingungen erst durch seinen Verlauf selbst erschafft.
Ich zweifle, dass ich mit wenigen Worten auch nur näherungsweise begreiflich machen kann, warum mir das zusagt, ich will das auch nicht weiter auswalzen. Mir verhilft es aber zur Einsicht, wie es dazu kommt, dass mir der Gebrauch kausaler wie auch teleologischer Redeweisen augenscheinlich a priori “in die Wiege gelegt” war, ohne dass dies fatale Konflikte für meine Erkenntnisse über die phänomenale Welt mit sich bringt. Denn es wäre in der Tat ein Problem, wenn ich einerseits die Kausalität als Denknotwendigkeit hinnehmen sollte, während ich andererseits die klass. Mechanik etc. doch ganz ohne Kausalität denken und beschreiben kann, indem ich einfach die dafür einzig adäquate Sprache verwende, nämlich die mathematische. Kausalität in der Physik ist mithin nur ein sprachbedingtes Artefakt, und insofern ist es unbedingt eine Frage von formaler Strenge, ob dabei von Kausalität zu reden ist.
Von Ludwig Trepl, @ Chrys.
Ich ermüde allmählich. Ich argumentiere und argumentiere, erwarte, daß sie meine Argumente zurückweisen, aber Sie gehen mit keinem Wort auf sie ein. Ich vermute, Sie lesen sie nicht einmal. Ich sage, daß die Ökonomie formal so streng sein mag wie sie will, sie wird doch nie die Frage, wie ein Atom beschaffen ist, behandeln, gar beantworten können, weil Atom kein Gegenstand ist, der in der Ökonomie vorkommen kann; es ist vielmehr ein physikalischer Gegenstand. Und ich sage, daß Kausalität so wenig wie der Satz des Pythagoras ein Gegenstand der Physik ist, ein Gegenstand, über dessen Existenz bzw. über die Wahrheit von Aussagen über ihn die Physik etwas herausfinden kann. Der eine ist ein Gegenstand der Erkenntnistheorie (oder der Psychologie, wenn man Hume folgt), der andere ein Gegenstand der Mathematik, aber keiner ist ein Gegenstand der Physik. Sie antworten mir, daß man innerhalb der Physik ohne den Begriff der Kausalität zu verwenden auskommen kann, und zwar, weil sie formal streng vorgeht. Was hat denn beides miteinander zu tun? Ich hab doch nicht behauptet, daß die Ökonomie über Fragen der Ökonomie trotz formaler Strenge nichts herausfinden kann und daß formale Strenge überhaupt egal ist; für Fragen der Ökonomie mag formale Strenge der Ökonomie wichtig sein. Sondern ich habe behauptet, daß einer Wissenschaft die formale Strenge nichts nützt, wenn es um Gegenstände geht, über die sie schlechterdings nichts herausfinden kann, weil sie nicht die Bedingungen erfüllen, die ein Gegenstand erfüllen muß, um Gegenstand dieser Wissenschaft sein zu können. Moleküle erfüllen die Bedingungen, ein Gegenstand der Chemie sein zu können, aber nicht die Bedingungen, ein Gegenstand der Linguistik sein zu können. Um ein Gegenstand der Physik sein zu können, muß der Gegenstand gewisse Eigenschaften haben, die Kausalität nun einmal nicht hat.
@Ludwig Trepl
Wer sagt denn, dass Kausalität ein empirischer Untersuchungsgegenstand sei? Bertrand Russell doch jedenfalls nicht, wenn er in seinem Aufsatz [On the notion of cause] von “philosophical vocabulary” spricht und dem, was Philosophen unter “law of causality” verstehen.
Und es sind auch Philosophen oder ins Philosophische abschweifende Naturforscher, die bevorzugt die Physik als Bestätigung vermeintlich kausaler Gesetzmässigkeiten präsentieren. Typischerweise solche von der naturalistischen Fraktion, denen ein Kausalprinzip als Garantie dafür gilt, dass es in der Welt mit rechten Dingen zugeht. Wie auch in den Diskussionen hier von @Balanus immer wieder unterstrichen wird.
Eine Bedeutung kann der Kausalitätsbegriff für das Denken in den empirischen Wissenschaften höchstens dadurch haben, dass ihr in deren begrifflichem Unter- oder Überbau eine entsprechende Rolle zuerkannt wird. Und wer, wenn nicht Leute wie Russell, wäre denn zuständig. dies zu beurteilen?
Von Ludwig Trepl, @ Chrys.
“Wer sagt denn, dass Kausalität ein empirischer Untersuchungsgegenstand sei?“
Eben, das sagt „keiner“ (siehe aber unten). Vor Hume war es üblich, Kausalursachen für empirische, beobachtbare Gegenstände zu halten, seitdem aber kommt das „kaum“ (siehe aber unten) mehr vor. Kausalität wird vom Subjekt in die Natur „hineingedacht“.
Es gibt dann den Streit darum, ob „Hineindenken“ nur heuristisch ist; das sagt die empiristische Tradition, zu der Sie gehören und im weiteren Sinn auch Russel. Heuristisch impliziert hier vor allem: Der Begriff ist nicht notwendig, entspringt nur Konventionen, wir erkennen damit nichts, aber er hilft uns beim Erkennen, erleichtert manches, hilft uns bei der Orientierung usw. In der anderen Tradition (von Kant ausgehend) sagt man dagegen: Der Begriff ist notwendig, er ist konstitutiv für die Natur, wir erkennen mit ihm etwas (aber nicht auf empirische Weise, sondern weil wir ihn vor der Erfahrung und diese ermöglichend sozusagen dem Gegenstand zudenken).
Aber, und das ist mein Punkt: Nur wenn Kausalität ein empirischer Gegenstand wäre, könnte die Physik für ihn zuständig sein, wäre es von Bedeutung, ob man ihn in der Physik häufig oder nur selten benutzt usw. Die Physik befaßt sich nun einmal mit physischen Gegenständen, wie sie uns in der Erfahrung gegeben sind, nicht mit Gegenständen, die nur im Denken existieren, wenngleich sie außerhalb des Denkens – in der „Praxis“ – höchst relevant sein können (Paradebeispiel: die moralischen Gegenstände wie „Gerechtigkeit“ und andere „Ideen“).
Die Physik bringt dabei Begriffe hervor (z. B. Elektrizität, Druck). Sie benutzt aber auch Begriffe, die sie nicht selbst hervorbringen kann und die sie woanders her nehmen muß und an denen sie als Physik gar nichts ändern, nts korrigieren kann, z. B. die mathematischen und die der formalen Logik und eben auch synthetisch-apriorische („gegenstandslogische“) wie „Raum“ oder eben „Kausalität“, wobei aber eine philosophische Traditionslinie, die empiristische, bestreitet, daß es synthetisch-apriorische überhaupt gibt (sie wären dann nur Gedanken, die man auch lassen kann). In der anderen Traditionslinie kann man sie nicht lassen. Läßt man sie versuchsweise weg, merkt man, daß man sie bereits vorausgesetzt hat (so das Verfahren der „transzendentalen Argumentation“ von Strawson und Nachfolgern).
Aber egal wer ist diesem Streit recht hat: Die Physik wird für die Frage der Kausalität nicht zuständig, denn zu einem empirischen, beobachtbaren Gegenstand erklärt keine der beiden Richtungen die Ursache-Wirkungs-Beziehungen.
Nun gibt es aber Richtungen, die das doch tun, und die sind heute sogar enorm einflußreich. Sie selbst weisen darauf hin: „Typischerweise solche von der naturalistischen Fraktion, denen ein Kausalprinzip als Garantie dafür gilt, dass es in der Welt mit rechten Dingen zugeht.“ Da sieht man eine Merkwürdigkeit: Diese Leute stehen in der empiristischen Tradition, tun aber etwas, was diese Richtung verbietet und gerade die Gegenrichtung (Kant-Tradition) vertritt: Das Kausalprinzip gilt als Garantie dafür, daß es in der Welt mit rechten Dingen zugeht (statt nur etwas zu sein, das wir gewohnheitsmäßig annehmen und mit dem wir uns bestenfalls in der Welt vorläufig orientieren). Nur: die Gegenrichtung bezog sich auf die phänomenale Welt, und das Kausalprinzip gilt, weil wir es in diese Welt – die phänomenale Welt, die Welt, wie sie uns erscheint aufgrund der Anschauungs- und Denkformen, mit der wir an sie herantreten, die Welt, die durch diese Anschauungs- und Denkformen konstituiert wird – hineindenken, und „Garantie“ kann man nur deshalb sagen, weil wir es notwendig hineindenken. Die Naturalisten aber glauben, über die Welt an sich zu reden (auf diese richtet sich in ihren Augen die empirische Wissenschaft), das Kausalprinzip findet die empirische Wissenschaft in der Welt an sich, und durch die empirische Wissenschaft wissen wir, daß es gilt und darum, daß alles mit rechten Dingen zugeht.
@Ludwig Trepl
Es wäre abschliessend ein gewisser Erfolg, wenn jetzt noch @Balanus zum Nachdenken darüber motiviert wäre, dass so etwas wie “mentale Verursachung” gar nicht im Widerspruch zu empirischem Wissen stehen kann. Das steht allenfalls im Widerspruch zu einer gängigen naturalistischen Doktrin.
Ungeachtet dessen, was zur Begriffsbildung im wissenschaftl. Kontext im einzelnen anzumerken ist, sollte jedenfalls doch einsichtig sein, dass diese Begriffe nicht unbedingt ihre Bedeutung und Gültigkeit behalten müssen, wenn sie in andere Sinnzusammenhänge übertragen werden. Zum Beispiel einmal der folgende Satz:
“Das Gericht hält es für erwiesen, dass der Beklagte böswillig einen Schaden am Gartenzaun des Klägers verursacht hat.”
Die hierbei auftretenden Bezüge zu Willen und Verursachung sind nicht auf Naturwiss. reduzierbar. Denn Verursachung wird dabei verknüpft mit Verantwortung, und das ist kein Naturbegriff. Und der Ausdruck eines Willen, der unter moralischen Gesuchtspunkten beurteilt werden kann, muss mehr meinen als nur einen schlichten Entscheidungsakt. Auch ein Eichhörnchen könnte vielleicht einen Gartenzaun beschädigen, aber es wäre dann grotesk, die für Menschen geltenden Massstäbe von Moral und Verantwortung auf das Tier anwenden zu wollen.
Vom Naturalismus kommen keine brauchbaren Antworten, wenn es um Fragen von Moral und Verantwortung geht. Da diese Fragen aber durchaus bestimmend sind für menschliche Lebensgemeinschaften, lassen die sich nicht einfach zur “Illusion” erklären, wie man das ja ganz gerne macht mit Dingen, die nicht recht ins vorgefasste Weltbild passen wollen.
Über Kausales /@Chrys
»Es wäre abschliessend ein gewisser Erfolg, wenn jetzt noch @Balanus zum Nachdenken darüber motiviert wäre, dass so etwas wie “mentale Verursachung” gar nicht im Widerspruch zu empirischem Wissen stehen kann. Das steht allenfalls im Widerspruch zu einer gängigen naturalistischen Doktrin «
Ich glaube, das war doch schon von Anfang an allen hier klar, dass metaphysische Behauptungen niemals im Widerspruch zu empirischem Wissen stehen können. Sonst wär’s ja keine Metaphysik.
Weiter oben:
» Und es sind auch Philosophen oder ins Philosophische abschweifende Naturforscher, die bevorzugt die Physik als Bestätigung vermeintlich kausaler Gesetzmässigkeiten präsentieren. Typischerweise solche von der naturalistischen Fraktion, denen ein Kausalprinzip als Garantie dafür gilt, dass es in der Welt mit rechten Dingen zugeht. Wie auch in den Diskussionen hier von @Balanus immer wieder unterstrichen wird.«
Ich glaube, ganz so ist es nicht. Ist es nicht vielmehr so, dass sich das Kausalprinzip, bzw. die Idee des Kausalprinzips, erst aus der Überzeugung ergibt, dass alles mit rechten Dingen zugeht? Soweit ich weiß, ist kein validiertes Ereignis bekannt, für das es keine natürliche Erklärung gäbe (oder zumindest geben könnte). Auch für Wachters „Entscheidungsereignis“ (verursacht durch die „Person“) lässt sich ja leicht eine natürliche Erklärung finden. Wenn also alles naturgesetzlichen Regeln folgt, können wir mit einer gewissen Berechtigung von einem „Kausalprinzip“ reden: Zu jedem aktuellen Ereignis oder aktuellen Zustand eines Objektes lässt sich im Prinzip ein vorheriges Ereignis oder einen vorherigen Zustand finden. Diese Annahme ist bis zum Beweis des Gegenteils gültig.
Die Rede vom „Kausalprinzip“ entspricht, finde ich, der Rede von den „Naturgesetzen“. Keiner behauptet, es gebe Gesetze, nach denen sich die Objekte in ihrem „Verhalten“ zu richten hätten. Und die Physik sucht auch nicht nach solchen Gesetzen. Sie setzt ein naturgesetzmäßiges „Verhalten“ einfach voraus.
Nachtrag /@Chrys
Wenn “mentale Verursachung” transzendentalphilosophisch gemeint war, gilt das Gleiche.
Nachtrag II /@Chrys
Und dann gibt es ja auch noch die “mentale Verursachung”, wie sie z. B. auch von Daniel von Wachter vertreten wird, in Berufung auf John W. Eccles, nämlich als physikalisches Ereignis: Wir können neurophysiologische Ereignisse beobachten, für die es keine vorgängigen Ereignisse gibt, ergo werden sie mental verursacht.
Damit rückt das Perpetuum mobile doch noch in den Bereich des Möglichen. „Mental Power“ könnte vielleicht auch einmal unsere Energieprobleme lösen (im übertragenen Sinne erscheint das ja nicht mal abwegig).
Von Ludwig Trepl, @ Chrys.
Ich vermute, daß das Hauptproblem von @Balanus weniger darin besteht, einen Widerspruch zu empirischem Wissen und “mentaler Verursachung” zu sehen, sondern darin, daß keine Brücke zwischen beiden zu sehen ist, die es aber doch geben muß, denn die Willensbildung, die Scheibe zu zerbrechen, führt oft dazu, daß sie zerbricht, und das naturgesetzliche Funktionieren führt in manchen Fällen von Organismen, nämlich bei Menschen, dazu, daß Freiheit entsteht. Die Antwort von Kant war einfach, daß das „unbegreiflich“ ist, und das leuchtet mir ein. Aber Naturalisten wollen das nicht akzeptieren und mit naturwissenschaftlichen Mitteln erklären, was Freiheit, Moral, Verantwortung usw. ist. Soweit ich sehe, ist da nie etwas grundsätzlich anderes herausgekommen als die Descartes’sche Zirbeldrüsentheorie.
„Auch ein Eichhörnchen könnte vielleicht einen Gartenzaun beschädigen, aber es wäre dann grotesk, die für Menschen geltenden Massstäbe von Moral und Verantwortung auf das Tier anwenden zu wollen.“
Die klassische Begründung dafür war, daß das Eichhörnchen naturgesetzlich funktioniert, also als „Subjekt“ gar keinen Einfluß hat auf sein Verhalten. Nun hatten wir hier immer das Problem, ob man nicht doch beim Eichhörnchen in irgendeiner Weise von Entscheidung sprechen könnte – so, daß es zwar nicht zur Verantwortung gezogen werden kann, aber doch nicht einfach ein deterministisches Geschehen in ihm abläuft, so daß alles schon vorher feststand (prinzipiell prognostizierbar war), was da geschieht, oder einfach Zufall ist. Nun scheint es uns aber „intuitiv“ sehr unplausibel, daß ein Eichhörnchen so ein mechanisches Ding ist. Tiere sind für uns unabweisbar „Subjekte in nuce“, so unterscheiden wir sie von nicht-lebenden Dingen.
Ich habe nun hier immer argumentiert, daß die Auffassung als Subjekt in den Naturwissenschaften nur heuristischen Charakter hat und eine objektive Erklärung, mit der der Naturwissenschaftler dann zufrieden ist, eine kausale Erklärung des zunächst teleologisch (als Handlung) aufgefaßten Verhaltens ist. Aber das ist eine epistemologische Argumentation, sie befriedigt uns nicht ganz. Sie sagt eigentlich nur, daß die Naturwissenschaft hier nicht anders kann, man möchte aber doch wissen, wie es wirklich ist: „Will“ der Hund nicht wirklich aus dem Zimmer, wenn er jault?
Das zur bloßen Heuristik zu erklären ist sinnvoll im Hinblick auf das, wozu die Biologie als Wissenschaft gezwungen ist, aber wir „wissen“ doch, daß das die „Wirklichkeit“ des Hundes nicht wirklich trifft: Der will raus. Wir denken, daß unser „verstehender“ Zugang zu den Tieren sie in ihrer Wirklichkeit trifft, während der naturwissenschaftliche, der uns dazu zwingt, dieses Wollen des Hundes zur bloßen Heuristik zu erklären, sich nur auf die Konstruktionen bezieht, die der Wissenschaftler vornimmt, und die sind nützlich für Erklärung, Prognose und technische Beherrschung, treffen aber eben doch nicht den „wirklichen“ Hund. „Wirklich“ ist der Hund als ein „Wesen“, d. h. als etwas, das im Unterschied zu einem bloßen „Ding“ ein Inneres hat, das man „verstehen“ kann aufgrund seiner Äußerungen wie bei einem Menschen auch. Die Descartes’sche Auskunft, daß es sich, wenn ein getretener Hund jault, um nichts anderes handelt als bei einem Klavier, das einen Ton abgibt, wenn man auf die Taste drückt, akzeptieren wir doch nicht: Wir meinen, da verwechselt Descartes den wirklichen Hund mit dem von ihm im Gedanken konstruierten Hund.
Nun könnte man natürlich sich damit zufrieden geben: Das sind halt die beiden, vielleicht sprachdualistisch zu begreifenden, „Welten“. In dem einen Fall sind wir in einem Begriffsuniversum, in dem Begriffe wie „Wille“ möglich sind, in dem anderen sind sie nicht möglich. Aber für den Fall der Tiere ist das unbefriedigend. Man kommt nicht umhin wissen zu wollen, wie es mit dem Hund „wirklich“ steht. Man kann sozusagen bei einem Tier die Frage nach dem Ding an sich nicht einfach als ohnehin unbegreiflich beiseite schieben – wie man das ja bei einem Menschen auch nicht kann: Wenn wir von einem Menschen als moralisches Wesen sprechen, sprechen wir von ihm auch nicht nur als Phänomen, sondern als „Ding an sich“.
Das ist der Grund, warum wir bei Tieren immer nach etwas suchen, was „wirklich“ so ist wie bei uns Menschen, das wir nicht nur zu heuristischen Zwecken in sie hineindenken und das sich in nichts auflöst, wenn wir das Tier als ein mechanisches System „rekonstruiert“ haben. Darum z. B. müht man sich mit der Entscheidung ab. Das Tier als ein Subjekt in nuce entscheidet zwischen Alternativen, nicht ein Bündel von Ereignisketten führt zu einem sei es determinierten, sei es irgendwie objektiv-zufälligen Ergebnis. Ich habe die Vorstellung von einer solchen Entscheidung bisher immer zurückgewiesen, aber so ganz abwegig scheint sie mir nicht.
Vielleicht hilft folgender Gedanke weiter: Was geschieht eigentlich bei einer unbewußten „Entscheidung“? Ein naturwissenschaftlich orientierter Psychologe wird wohl sagen: Das ist gar keine Entscheidung, da laufen determinierte Prozesse ab, da entscheidet kein Subjekt (was notwendig ist für den Begriff der Entscheidung), sowenig wie bei einer reflexhaften Bewegung. Aber muß man das so denken? Könnte es nicht sein, daß das Subjekt, hier also der Mensch, in dessen Unterbewußtsein sich das abspielt, tatsächlich entscheidet, nur eben unbewußt, d. h. nichts davon ins Bewußtsein dringt? Und das könnte bei Tieren auch so sein. Vielleicht sind unbewußte Entscheidungen möglich. So ganz abwegig scheint mir das nicht. Der Einwand ist natürlich, daß es unsinnig ist, von Entscheidung zu sprechen, wenn das nicht bewußt geschieht. Aber immerhin sind es ja auch Gedanken, die im Unterbewußtsein ihr (Un-)Wesen treiben. – Ich vermute, dazu haben kluge Leute schon viel geschrieben, aber ich kenne es nicht.
„die Descartes’sche Zirbeldrüsentheorie“ /@Ludwig Trepl
Man kann Descartes nicht vorwerfen, dass er von den Hirnfunktionen nicht allzu viel wusste. Aber im Kern haben Sie schon Recht, die natürliche Erklärung, was Freiheit, Moral, Verantwortung usw. ist, also eine Erklärung mit naturwissenschaftlichen Mitteln, verortet den Ursprung und „Sitz“ dieser Ideen in den funktionalen Zuständen bestimmter neuronaler Netze im Hirn (insofern wissen wir heute nicht sehr viel mehr als Descartes). Mit dem Verhältnis dieser Vorstellungen und Ideen untereinander und deren Bedeutung für die Lebenspraxis dürfen sich dann aber andere Disziplinen beschäftigen, das ist nicht mehr Sache der Naturwissenschaften.
Soweit fürs Erste, ich habe da noch was in petto…
(Nebenbei: Es gab früher bei der „ZEIT“ mal ein Debattenforum, da ging die Zahl der Wortmeldungen bei manchen Themen im Laufe der Jahre in die Tausende…)
Von Ludwig Trepl, @Balanus.
„Man kann Descartes nicht vorwerfen, dass er von den Hirnfunktionen nicht allzu viel wusste.“
Das wirft ihm ja niemand vor. Sondern der Vorwurf ist, daß er hätte wissen können, daß es keine physiologische Erklärung dessen geben kann, was in der res cogitans geschieht, und keine „geistige“ dessen, was in der res extensa geschieht. Diese Einsicht hätte er durch keine noch so fortgeschrittene Kenntnis von den Hirnfunktionen bekommen können. Wohl aber hätte es ihm schon die eigene substanzdualistische Theorie sagen müssen.
„die natürliche Erklärung, was Freiheit, Moral, Verantwortung usw. ist, also eine Erklärung mit naturwissenschaftlichen Mitteln, verortet den Ursprung und „Sitz“ dieser Ideen in den funktionalen Zuständen bestimmter neuronaler Netze im Hirn“
Daß der „Sitz“ im Hirn ist (und nicht z. B. in den Haarspitzen) und daß dieses funktionieren muß, z. B. durchblutet sein muß, und daß, damit bestimmte Gedanken empirisch auftreten, bestimmte physiologische (neuronale) Vorgänge auch auftreten müssen (vorher, gleichzeitig?), das kann man schon naturwissenschaftlich wissen. Denn kann wissen, wo der Sitz usw. des Denkens ist, also auch des Denkens über Freiheit usw. Aber das ergibt keine Erklärung dessen, was Freiheit, Moral, Verantwortung usw. ist. Nicht nur das „Verhältnis dieser Vorstellungen und Ideen untereinander“, sondern eben schon diese Vorstellungen selbst entziehen sich einer naturwissenschaftlichen Erklärung. Der Naturwissenschaft fehlen die Begriffe, um so etwas überhaupt zu formulieren, ja um danach überhaupt fragen zu können. Hätte sie diese Begriffe, wäre sie keine Naturwissenschaft.
Ihre Hauptschwierigkeit (und die aller Naturalisten) mit Auffassungen, wie ich sie hier vertrete, ist die folgende: Sie fragen immer nach der Genese des Denkens, und dann kommt Ihnen unhintergehbar vor, daß es phylo- und ontogenetisch eine Entwicklung von Zuständen aus, in denen es kein Denken gab, gegeben hat, und daß im Moment des Denkens oder vorher etwas auf physischer Ebene geschieht, ohne das es das Denken nicht geben könnte. Das ist unbestritten, auch und gerade Kant hätte seine Freude am biologischen Fortschritt gehabt. Das Denken ist für ihn nicht vom Himmel gefallen, auch wenn er manches (Freiheit …) für prinzipiell unerklärlich hielt und man darum sagen könnte, für die Naturwissenschaft ist es „wie vom Himmel gefallen“.
Aber die Kritik bzw. die Kant’schen Kritiken befassen sich überhaupt nicht mit der Genesis, sondern mit der Geltung, und das ist etwas Normatives. Was sind die Bedingungen dafür, daß die Aussagen der Naturwissenschaften objektiv genannt werden können? Das können logischerweise nicht wieder naturwissenschaftlich zu erfassende Bedingungen sein. Oder was sind die Bedingungen dafür, daß moralische Aussagen gültig sein können? Nicht warum ein Gedanke wie „Du sollst Vater und Mutter ehren“ aufkam – das läßt sich sicher zumindest prinzipiell zwar nicht evolutionsbiologisch, aber doch als Faktum einer kulturellen Evolution objektwissenschaftlich erklären. Sondern ob dieser Gedanke wahr, gültig, richtig ist, ob man ihm folgen soll, ist die Frage.
Diese Dimension entgeht der Naturwissenschaft grundsätzlich, sie setzt sie vielmehr für sich voraus, denn sie folgt selbst einer Norm: wahre („gültige“) Ergebnisse hervorzubringen. Das wiederum in Begriffen fassen zu wollen, die der Naturwissenschaft möglich sind, also insbesondere in Begriffen der Nützlichkeit – „wahr“ wird genannt, was funktioniert, was technisch Brauchbares liefert, lebensdienlich ist, selektiv vorteilhaft ist –, beruht auf einem Denkfehler. Man erkennt ihn daran leicht: Die in die Naturwissenschaft sozusagen eingebaute Norm, immer weiter nach wahren Ergebnissen zu suchen, kann auch da nicht ad acta gelegt werden, wo diese Ergebnisse keineswegs mehr nützlich sind. Das ist selbstredend nicht „pragmatisch“ gemeint. Gewiß könnte die Menschheit beschließen, bestimmte Forschungen, die absehbar zu Ergebnissen führen, die größtes Unglück bringen, einzustellen. Aber die Frage, die die Naturwissenschaft an dieser Stelle hat, bleibt doch unbeantwortet, die Naturwissenschaft hat diese Frage weiterhin, ihre interne Norm verlangt, sie zu beantworten.
(Nebenbei: Es gab früher bei der „ZEIT“ mal ein Debattenforum, da ging die Zahl der Wortmeldungen bei manchen Themen im Laufe der Jahre in die Tausende…)
Dagegen hätte ich nichts, auch wenn es illusorisch ist, die Leserzahl ist bei der Zeit eine ganz andere als bei Scilogs. Aber man kann ja auch Artikel, die auf der Startseite nicht mehr zu sehen sind, weiterdiskutieren. Nur möchte ich ab und zu mal ein neues Thema anschneiden (für den jetzt neuen Blogartikel scheint es aber keinen Diskussionsbedarf zu geben).
@Ludwig Trepl – 10. Januar 2014 12:46
»Diese Dimension entgeht der Naturwissenschaft grundsätzlich, sie setzt sie vielmehr für sich voraus, denn sie folgt selbst einer Norm: wahre („gültige“) Ergebnisse hervorzubringen.«
Das sehe ich ein. Dennoch wird mir nicht richtig klar, was daraus folgen soll. Eigentlich hat doch alles irgendwelche Voraussetzungen. Das erinnert an die kausalen (!) Zirkularitäten, die für Organismen so typisch sind.
»Die in die Naturwissenschaft sozusagen eingebaute Norm, immer weiter nach wahren Ergebnissen zu suchen, kann auch da nicht ad acta gelegt werden, wo diese Ergebnisse keineswegs mehr nützlich sind.«
Sicher, zumal die Naturwissenschaften ja ohnehin nur das systematische Befriedigen des naturgegebenen menschlichen Wissensdrangs sind. Man ahnt, wie es zum „Einbau“ dieser Norm gekommen ist. Ja, ich falle immer wieder darauf zurück, im Organischen das Primäre zu sehen. Erst muss sich ein erkenntnisfähiges Organ gebildet haben, dann folgt alles Weitere (Erkenntnisgrenzen und -möglichkeiten). Das Geistige wäre somit das Sekundäre, — und doch zugleich die Voraussetzung dafür, dass ich im Organischen das Primäre überhaupt sehen kann. Naja, so in diese Richtung geht mein diesbezügliches Denken… (das muss jetzt nicht weiter diskutiert werden)
—
»Dagegen [tausende Wortmeldungen] hätte ich nichts, auch wenn es illusorisch ist, die Leserzahl ist bei der Zeit eine ganz andere als bei Scilogs. «
Die aktive Debatten-Community auf ZEITonline war sicherlich nicht viel größer als die SciLogs-Leserschaft. Aber die damalige Plattform war völlig anders strukturiert als die heutige und die von SciLogs.
Von Ludwig Trepl @ Balanus
„»Die in die Naturwissenschaft sozusagen eingebaute Norm, immer weiter nach wahren Ergebnissen zu suchen, kann auch da nicht ad acta gelegt werden, wo diese Ergebnisse keineswegs mehr nützlich sind.« [Zitat von mir] Sicher, zumal die Naturwissenschaften ja ohnehin nur das systematische Befriedigen des naturgegebenen menschlichen Wissensdrangs sind.“
Eben das ist falsch, und darin zeigt sich das ganze Unverständnis des Naturalismus. Ein Naturwissenschaftler, beispielsweise ein Verhaltensforscher, kann natürlich hier nie etwas anderes sehen, weil er alles ausblenden muß, was nicht in sein Fach fällt. – Die Aussage von der „sozusagen eingebauten Norm, immer weiter nach wahren Ergebnissen zu suchen“ bezieht sich auf eine völlig andere Ebene als die, auf der der Verhaltensforscher sich nur aufhalten kann, nämlich die Geltungsebene. Selbst wenn es überhaupt keinen Wissensdrang gäbe (es gibt ja Menschen, in denen ist er völlig erloschen, er könnte in der ganzen Menschheit erlöschen), würde das nichts an dieser Norm ändern, sie ist den Begriffen des Geltens und der Gültigkeit immanent. Nehmen wir mal die alte Definition von Wahrheit: Ein Satz über einen Gegenstand soll wahr sein, d. h. soll dem Gegenstand entsprechen und nicht nicht entsprechen. Der den Satz ausspricht, mag nun einen Wissensdrang haben oder nicht, er mag sogar daran interessiert sein, daß der Satz falsch ist (dafür mag es gute Gründe in seinem Leben geben) – all das ändert nichts daran, daß der Satz wahr sein soll. Denn die Ebene, die den Naturwissenschaftler oder auch Psychologen oder Sozialwissenschaftler interessiert, auf der z. B. falsche Sätze sein sollen, weil das für irgendwelche Interessen gut ist, interessiert die Erkenntnistheorie und die Logik überhaupt nicht. Das sind normative Disziplinen, „wahr“ ist mit „seinsollen“ notwendig verbunden. Die Biologie oder die Soziologie mag das z. B. mit irgendeiner Nützlichkeit eines Wissensdrangs genetisch erklären: Der Geltungsfrage ist sie damit kein Stückchen nähergerückt. Abgesehen davon ist der auf absolute Wahrheit gerichtete Wissensdrang so nicht zu erklären. Denn der muß keineswegs nützlich sein.
Norm in der Naturwissenschaft /@Ludwig Trepl
» „»Die in die Naturwissenschaft sozusagen eingebaute Norm, immer weiter nach wahren Ergebnissen zu suchen, kann auch da nicht ad acta gelegt werden, wo diese Ergebnisse keineswegs mehr nützlich sind.« [Zitat von mir [LT]] Sicher, zumal die Naturwissenschaften ja ohnehin nur das systematische Befriedigen des naturgegebenen menschlichen Wissensdrangs sind.“ [B]
Eben das ist falsch, und darin zeigt sich das ganze Unverständnis des Naturalismus. «
Wenn es keine Naturwissenschaft gäbe, würde sich die Frage nach der ihr innewohnende Norm wohl nicht stellen. Das ist das eine. Das andere, wichtigere, ist, dass für und in den Naturwissenschaften sicherlich die gleichen Normen gelten, wie im Alltagsleben auch. Um mehr ging es mir nicht.
Dass die Frage nach der Geltung der Normen nicht das Thema der Naturwissenschaften (oder etwa des Handwerks) ist, ist unstrittig. Natur- oder objektwissenschaftlich könnte man aber der Frage nachgehen, warum der Mensch Geltungsfragen nicht ausweichen kann, oder wieso normative Fragen für den Menschen wichtig sind, und woher die Fähigkeit zur Beschäftigung mit solchen Fragen überhaupt kommt.
Kurz: Den Naturalisten dürfte die Frage interessieren, wie Geltungsfragen und Normen in die Welt gekommen sind, und wie es kommt, dass wahre von nicht wahren Sätzen überhaupt unterschieden werden können.
Oder vielleicht so: Der Naturalist fragt nach den natürlichen Voraussetzungen für das Normative.
Zirbeldrüsentheorie @ Ludwig Trepl, @Balanus,
“Ich vermute, daß das Hauptproblem von @Balanus weniger darin besteht, einen Widerspruch zu empirischem Wissen und “mentaler Verursachung” zu sehen, sondern darin, daß keine Brücke zwischen beiden zu sehen ist, die es aber doch geben muß, …”
Ja. das sehe ich auch so.
@L.Trepl: “Soweit ich sehe, ist da nie etwas grundsätzlich anderes herausgekommen als die Descartes’sche Zirbeldrüsentheorie”
Stimmt natürlich, wenn @Balanus sagt:
“Man kann Descartes nicht vorwerfen, dass er von den Hirnfunktionen nicht allzu viel wusste.”
Ich schrieb oben schon, dass angesichts des naturwissenschaftlichen Entwicklungsstandes damals mehr nicht drin war, dass all den Denkern zu Descartes’ Zeiten bis noch vor kurzem (ca.10 Jahre), das, was heute zu denken möglich ist, nicht möglich war. Denn so einfach gestrickt, wie die Zirbeldrüse, aber ebenso wie das Gehirn, (….so komplex es auch ist, sorry 😉 ) kann ein solches Organ ohnehin nicht sein. Bei mir hat es jedenfalls ein ganzes neues Weltbild ausgelöst, das folglich bei der Darstellung dazu gehört.
Weil das Ganze mithin noch recht arbeitsintensiv sein wird, habe ich mich entschieden, der möglichen Diskussion halber Schritt für Schritt schon mal mit meinem Blog anzufangen und beabsichtige in Kürze ganz einfach mit einer Antwort auf einen der letzten Kommentare von Ludwig Trepl zu starten.
Ich habe diesen gewählt, weil ich in Antwort darauf vorab einen zentralen Punkt ansprechen kann, den man eventeull auch separat schon mal diskutieren kann und der bislang im Laufe der Geschichte, soweit ich das überblicken kann, vollkommen anders herum angegangen wurde und noch wird, der für das neue Weltbild aber grundlegend ist und deshalb, obwohl nicht das einzig Neue an ihm, so doch für das Denken wohl die schwierigste Umstellung werden dürfte. Außerdem wird vielleicht gerade Herr Trepl (…angesichts seines großen Repertoirs 😉 ) am ehesten sagen können, ob es diese Sicht doch auch schon gegeben hat, was ich aber nicht annehme. Vielleicht so ähnlich, aber da der neueste Stand der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse Voraussetzung ist, glaube ich das kaum.
Ich werde das neue Weltbild online aber in einer kompakten Form und grundätzlich ohne nähere wissenschaftliche Begründungen und Literaturverweise vornehmen. Nur soweit, dass man eine erste Gesamtvorstellung haben kann, also einen knappen Grundriß des gesamten Weltbildes als Grundlage für die Diskussion.
Ob ich das Ganze in einem posten werde oder in Etappen, muss ich im Moment noch offen lassen. Auf jeden Fall aber soll ein Anfang nicht mehr zu lange auf sich warten lassen.
Ich habe mich für diese Vorgehensweise entschieden,
a) weil es, wenn Grundlegendes eines Weltbildes neu ist, ausgesprochen schwer ist, mit den Details und Begründungen an der richtigen Stelle zu beginnen, wenn nicht wenigstens in groben Zügen das Gesamt bekannt ist. Sagt man das Eine zuerst, fehlt zum Verständnis das Andere und umgekehrt.
Und
b) weil ich glaube, dass das Gesamtbild in sich ausreichend schlüssig ist, um vorab schon mal für sich zu sprechen, in Resonanz zu einer allgemeinen positiven Grundintuition zu gelangen. Wenn es Akzeptanz bewirkt, kann schon mal Positives in Bewegung kommen, unabhängig von einer wissenschaftlichen Prüfung.
Ich habe durch diese Diskussion hier einiges gelernt, nicht zuletzt begriffen, wie genau und detailliert ich in meinem Buch/Blog auf diverse schwierige – oder sagen wir umwälzende – Punkte der neuen Sicht werde eingehen müssen. Ich hatte immer gehofft, dass ich mir diesen Teil sparen könnte, weil der Rest für mich schon umfangreich genug ist, und später Profiwissenschaftler der einzelnen involvierten Disziplinen diesen Part übernehmen könnten. (…bei einem neuen Weltbild sind das letztendlich alle.) Jetzt sehe ich aber, dass ich das doch selber, zumindest in einem ersten Ansatz, doch auch für die Wissenschaftler vornehmen muss, wenn ich überhaupt erst einmal verstanden werden möchte. Danach mögen andere dann genauer ins Detail gehen.
@Ludwig Trepl, @Balanus
Meine hinsichtlich Balanus geäusserte Hoffnung war sozusagen mental verursacht durch diese vorherige Bemerkung (Balanus, 4. Januar 2014 14:29):
»…—vorausgesetzt, diese machen im Zusammenhang mit der Willensfreiheit keine Aussagen, die der Empirie widersprechen (wie etwa die buchstäblich gemeinte mentale Verursachung).«
Vermutlich argwöhnt Balanus auch noch immer, dass es in Nortons Beispiel nicht mit rechten Dingen zugehen kann, wenn die auf der Kuppel ruhende Kugel sich spontan in Bewegung setzt, als ob sie einen eigenen Willen hätte. Wer weiss, was dann noch alles passiert, wenn man das zulässt.
Den Naturalisten und Materialisten, die gewohnheitsmässig selbst unentwegt mit Verursachung argumentieren, ist es begreiflicherweise ein Dorn im Auge, dass dort, wo ihnen Naturgesetze einen Strich durch die Rechnung machen, ihre weltanschaulichen Widersacher alles mögliche als Ursachen anführen könnten. Also muss das naturalistische Kausalprinzip notfalls sogar vor den Konsequenzen der Naturgesetzen beschützt und kompromisslos verteidigt werden. Bis zur letzten Patrone.
—
Zitat Ludwig Trepl: »Was geschieht eigentlich bei einer unbewußten „Entscheidung“? Ein naturwissenschaftlich orientierter Psychologe wird wohl sagen: Das ist gar keine Entscheidung, da laufen determinierte Prozesse ab, da entscheidet kein Subjekt (was notwendig ist für den Begriff der Entscheidung), sowenig wie bei einer reflexhaften Bewegung.«
Genau das scheint ja auch die bevorzugte Interpretation der Libet Experimente seitens der Willensfreiheits-Bestreiter zu sein.
»Aber muß man das so denken? Könnte es nicht sein, daß das Subjekt, hier also der Mensch, in dessen Unterbewußtsein sich das abspielt, tatsächlich entscheidet, nur eben unbewußt, d. h. nichts davon ins Bewußtsein dringt?«
So sehe ich das auch. Mein Unter- und Unbewusstes, das bin auch noch ich. Erlerntes Wissen und Lebenserfahrungen können das Entscheidungsverhalten eines Menschen massgeblich prägen, das wird kaum zu bezweifeln sein. Von all diesem Hintergrund ist zu einem gegebenen Zeitpunkt aber so gut wie nichts bewusst präsent. Man spricht schliesslich auch häufig davon, man habe Einfälle, Eingebungungen, Geistesblitze oder Inspirationen gehabt, die dann entscheidend für ein nachfolgendes Handeln waren. Das wird also durchaus auch so erlebt, als sei es von irgendwoher gekommen, irgendwie war es urplötzlich klar. Vernünftigerweise darf man in solche Fällen annehmen, dass dabei etwas “von unten” in den Fokus des Bewusstseins emporgestiegen ist.
Spontaneität in der Natur.
Von Ludwig Trepl, @Chrys. @ Balanus.
„Vermutlich argwöhnt Balanus auch noch immer, dass es in Nortons Beispiel nicht mit rechten Dingen zugehen kann, wenn die auf der Kuppel ruhende Kugel sich spontan in Bewegung setzt, als ob sie einen eigenen Willen hätte. Wer weiss, was dann noch alles passiert, wenn man das zulässt.“ (@Chrys).
Da hätte @Balanus argwöhnisch bleiben sollen. Aber er schreibt:
„Wieso soll einem Naturalisten so etwas „ein Dorn im Auge“ sein? Was, bitte, ist daran erstaunlich, dass ein auf die Spitze gestellter Bleistift irgendwann ganz von selbst umfällt?“
Denn „spontan“, „von selbst“ geschieht in der Natur nichts. Alles geschieht aus Ursachen. Wenn etwas „spontan“, „von selbst“ geschieht: Eben dann sprechen wir von einer „übernatürlichen“ Ursache. „Natur“ ist so definiert, daß „von selbst“ nichts geschieht. – Nicht, daß es sich hier um eine Metaphysik handelte, daß wir wüßten (wo es, wie hier, Erfahrung nicht geben kann, durch Vernunftschlüsse über mögliche Erfahrung hinaus), daß es „in der Natur“ keine spontane Verursachung geben kann: Wir nennen einfach das „Natur“, wo bzw. wenn so etwas ausgeschlossen ist. Natürlich kann jeder vormodernen Naturvorstellungen anhängen, in denen es in der Natur Naturdinge gibt, die „von selbst“ etwas „tun“ oder wo (ein) Gott sie aus Absichten in Bewegung setzt, aber der darf dann nicht behaupten, daß seine Natur mit der der modernen Naturwissenschaft etwas zu tun hätte. Er redet einfach über etwas anderes.
Es ist eben nie und nimmer feststellbar, daß etwas Natürliches „sich spontan in Bewegung setzt“, denn immer ist es möglich zu sagen: Wir haben die Ursache nur (noch) nicht gefunden. (Auf dieses Argument gehen Sie, @Chrys, beharrlich nicht ein.) Darum ist es auch nicht möglich, daß einem Naturalisten, der meint, alles in der Natur habe eine Ursache, „Naturgesetze einen Strich durch die Rechnung machen“. Eine empirische Wissenschaft kann solche Gesetze nicht finden. Wie soll denn das Experiment aussehen, mit dem man die Extrapolation von Nortons Behauptung auf „Natur“ prüfen kann?
Zumindest teilweise könnte sich das Bleistift- bzw. Kuppel-Problem doch so lösen: Es gibt den genau auf der Spitze stehenden Bleistift bzw. die genau auf der Kuppel ruhende Kugel nicht. Das sind gedachte, nicht reale Gegenstände. Ein realer Bleistift hat gar keine Spitze, man muß ihn sich nur unter dem Mikroskop ansehen. Und er steht nie ganz gerade, es gibt immer irgendwelche leichte Veränderungen des umgebenden Gravitationsfeldes, leichte Erschütterungen des Untergrundes, und das sind alles mögliche Ursachen des schließlichen Fallens. Ob sich nun mathematisch ergibt „die Kugel wird ewig ruhen“ oder „sie wird irgendwann doch fallen“, ist also für die Frage „spontaner Kausalität in der Natur“ irrelevant, die Kugel ist kein Beispiel eines Naturphänomens.
„Teilweise“ habe ich geschrieben, weil da doch noch ein dickes Problem bleibt. Denn wenn es schon kein Naturgesetz ist, was Norton da gefunden hat, und er trotzdem recht hat, dann bleibt nur, daß es sich um apriorisches Wissen handelt. Apriorisch meinten wir aber zu wissen, daß alles in der Natur aus Ursachen geschieht, weil Kausalität eine Kategorie ist. Ich weiß nicht, was es bedeutet, wenn mathematisch (also apriorisch) gezeigt werden kann, daß es bei nicht natürlichen, sondern Gedankendingen Spontaneität geben kann. Natürlich, bezüglich anderer Gedankendinge wußten wir das schon: Wir als Personen können ja spontan etwas hervorbringen, nämlich Gedanken. Doch das war nicht Ergebnis einer mathematischen Beweisführung und konnte es wohl nicht sein.
Spontanität /@Ludwig Trepl
»Denn „spontan“, „von selbst“ geschieht in der Natur nichts.«
Wenn ich sage, dass der Bleistift „von selbst“ umfällt, dann meine ich damit bloß, dass ihn keiner umstößt.
@Chrys sei hier daran erinnert, dass es zahlreiche andere Phänomene gibt, für die es keine physikalische Erklärung zu geben scheint, wie z.B. das Tischrücken und Auspendeln. Damit kann man viele immer noch verblüffen („mentale Verursachung“). Aber dass man Kugeln nicht auf Dauer aufeinander stapeln kann, das verwundert doch keinen (und einen Naturalisten schon gar nicht).
»Ich weiß nicht, was es bedeutet, wenn mathematisch (also apriorisch) gezeigt werden kann, daß es bei nicht natürlichen, sondern Gedankendingen Spontaneität geben kann.«
Diesen Punkt habe ich bei Nortons Ausführungen leider nicht verstanden. Für mich sieht das so aus, als könne man eben eine Gleichung formulieren, die auch dann (oder nur dann) eine Lösung hat, wenn man die Kugel zu einem frei gewählten Zeitpunkt losrollen lässt (gedanklich).
Oder anders: Diese Gleichung hat eine (oder viele) Lösung(en), ohne dass eine Kraft für das Losrollen der Kugel eingesetzt werden muss. Nur losrollen muss sie eben. Das ist die Bedingung dafür, dass diese Gleichung überhaupt mehrere Lösungen hat.
»Wir als Personen können ja spontan etwas hervorbringen, nämlich Gedanken. «
Ja, als Personen. Und für uns als Naturwesen gilt weiterhin:
»…„spontan“, „von selbst“ geschieht in der Natur nichts.«
Ist eben alles nur eine Frage der Perspektive.
@Chrys
»Vermutlich argwöhnt Balanus auch noch immer, dass es in Nortons Beispiel nicht mit rechten Dingen zugehen kann, wenn die auf der Kuppel ruhende Kugel sich spontan in Bewegung setzt…«
Nicht nur das, die Kugel hat sich auch noch spontan für eine bestimmte Richtung entschieden („als ob sie einen eigenen Willen hätte“).
Wieso soll einem Naturalisten so etwas „ein Dorn im Auge“ sein? Was, bitte, ist daran erstaunlich, dass ein auf die Spitze gestellter Bleistift irgendwann ganz von selbst umfällt? Ins Grübeln würde der Naturalist erst kommen, wenn sich der Stift „spontan“ auf die Spitze gestellt hätte.
@Balanus
»Was, bitte, ist daran erstaunlich, dass ein auf die Spitze gestellter Bleistift irgendwann ganz von selbst umfällt?«
Das wäre mehr als erstaunlich, wenn er “ganz von selbst” umfallen könnte. Der Bleistift braucht nämlich fremde Hilfe, einen kleinen Stups, um aus dem instabilen Gleichgewicht herauszukommen. Die Norton-Kugel hingegen schafft das Kunststúck tatsächlich “ganz von selbst”. Auch der Laplacesche Daemon kann nicht sagen, wann sie losrollt, und in welche Richtung ihre Reise gehen wird.
@Chrys
»Der Bleistift braucht nämlich fremde Hilfe, einen kleinen Stups, um aus dem instabilen Gleichgewicht herauszukommen.«
Ach was, ein perfekter Stift mit einer perfekt spitzen Spitze verlässt seine instabile Gleichgewichtslage genauso „spontan“ wie Kugel auf der Kuppelspitze. Behaupte ich jetzt einfach mal so aus dem Bauch heraus.
Im Übrigen sind Spontanereignisse das tägliche Brot der Neurophysiologen. Haben wir doch alles schon durch, wenn ich mich recht entsinne…
@Balanus
»Ach was, ein perfekter Stift mit einer perfekt spitzen Spitze verlässt seine instabile Gleichgewichtslage genauso „spontan“ wie Kugel auf der Kuppelspitze.«
Mit dem perfekten Stift ist es wie mit einem starren Pendel im instabilen Gleichgewicht. Zum Pendel sind hier ein paar [animierte Bildchen] und auch die Bewegungsgleichung,
d²θ/dt² + g/l sin θ = 0.
Durch die Anfangsbed. θ = 180°, dθ/dt = 0, ist hier die instabile Gleichgewichtslösung eindeutig bestimmt, das Pendel kann also nicht “ganz von selbst” aus dem Gleichgewicht kommen.
Bei der Norton-Kugel fehlt diese Eindeutigkeit der Gleichgewichtslösung. Die Kugel kann daher, populär ausgedrückt, spontan die Symmetrie ihrer Ruhelage brechen und davonrollen.
@Chrys
»Bei der Norton-Kugel fehlt diese Eindeutigkeit der Gleichgewichtslösung. «
Okay, das will ich mal glauben.
Aber noch habe ich den Verdacht, dass es sich nur um ein mathematisches Naturwunder handelt.
Norton schreibt:
(Causation as Folk Science, J. D. Norton 2003)
Das klingt irgendwie nicht nach einer spontanen Fortbewegung. Erst wenn man die möglichen zukünftigen Richtungen mathematisch einbezieht, kann die Kugel spontan losrollen…
@Balanus
»Das klingt irgendwie nicht nach einer spontanen Fortbewegung. …«
Durch (2) ist zwar eine Lösung der Bewegungsgl. (1) zur Anfangsbed. r = 0, dr/dt = 0, für einen beliebig gewählten Zeitpunkt t* gegeben, doch anders als beim instabil gleichgewichtigen Pendel bestimmt dies als Vorgabe von Ort und Geschwindigkeit zum Zeitpunkt t* die Gleichgewichtslösung nicht eindeutig. Denn gemäss Gl. (3) lassen sich weitere Lösungen zum selben Anfangswertproblem finden. Und in Nortons Text heisst es ja unmittelbar anschliessend weiter:
Wenn die Kugel zum Zeitpunkt T ins Rollen kommt, dann ist T der letzte Zeitpunkt, wo die Symmetrie der Lösung noch ungebrochen ist, aber es existiert kein frühester Zeitpunkt mit gebrochener Symmetrie. Anders gesagt, das Rollen der Kugel ist spontan, da es schlicht keinen Zeitpunkt hat, an dem ein diese Bewegung verursachendes, symmetriebrechendes Ereignis hätte stattfinden können.
@Chrys
Ich habe ja gar nichts dagegen und bezweifle auch nicht, dass:
(Norton)
Diese Aussage nährt aber nur meinen Verdacht, dass sich die Kugel nur in der Gleichung (auf dem Papier) „spontan“ bewegt, in der Natur hingegen aufgrund der Wärmebewegung, Quantenvibrationen, u. ä. ins Rollen kommt.
@Balanus / Red herring?
»Diese Aussage nährt aber nur meinen Verdacht, dass sich die Kugel nur in der Gleichung (auf dem Papier) „spontan“ bewegt, in der Natur hingegen aufgrund der Wärmebewegung, Quantenvibrationen, u. ä. ins Rollen kommt.«
Das hat doch jetzt mit der Frage nach einem Kausalprinzip, das für die Formulierung von Naturgesetzen von Belang wäre, überhaupt nichts zu tun. Ausnahmslos alle physikal. Naturgesetze gelten dann in diesem Sinne nur “auf dem Papier”, d.h., ihre Aussagen sind bezogen auf die idealisierten Gegebenheiten theoretischer Modelle. Im Experiment wird gewiss auch das Pendel nicht in seinem instabilen Gleichgewicht verharren, aber das ist kein Problem der Theorie, sondern des Experiments.
Noch vor ein paar Tagen war es auch hier wohl völlig unstrittig, dass es bei der Rede vom Kausalprinzip um ein fundamentales Prinzip in Hinblick auf die Naturgesetze geht.
»Die Rede vom „Kausalprinzip“ entspricht, finde ich, der Rede von den „Naturgesetzen“.« (Balanus, 9. Januar 2014 11:12)
Oder wie sonst ist das gemeint?
Kein roter Hering /@Chrys
»Noch vor ein paar Tagen war es auch hier wohl völlig unstrittig, dass es bei der Rede vom Kausalprinzip um ein fundamentales Prinzip in Hinblick auf die Naturgesetze geht.
»Die Rede vom „Kausalprinzip“ entspricht, finde ich, der Rede von den „Naturgesetzen“.« (Balanus, 9. Januar 2014 11:12)
Oder wie sonst ist das gemeint? «
Gemeint war, dass der Idee des „Kausalprinzips“ die naturgesetzlichen Zusammenhänge zugrunde liegen. So wie der Idee der „Naturgesetze“ die naturgesetzlichen Zusammenhänge zugrunde liegen. Ohne diese naturgesetzlichen Beziehungen gäbe es wohl keine „mathematisch formulierbaren Gesetzmässigkeiten in der Natur“ (Chrys, 12. Januar 2014 12:21).
Der „causal fundamentalism“, mit dem Norton sich in seinem Aufsatz beschäftigt, scheint mir da doch etwas ganz anderes zu sein, denn da geht es offenbar um Gesetze, die die Natur „regieren“.
@Balanus
»Gemeint war, dass der Idee des „Kausalprinzips“ die naturgesetzlichen Zusammenhänge zugrunde liegen. So wie der Idee der „Naturgesetze“ die naturgesetzlichen Zusammenhänge zugrunde liegen.«
Mario Bunge mauert ein Kausalprinzip in das ontologische Fundament seines materialistischen Weltbildes ein. Ihm zumindest ist klar, dass ein solches Prinzip keine Konsequenz aus Naturgesetzen sein kann. Den Text von Russells kennt Bunge gut, und er gibt ihm sogar recht, was die Wissenschaft betrifft, hält die Philosophie aber für davon nicht betroffen.
Balanus, 11. Januar 2014 20:49 (Spontanität /@Ludwig Trepl):
»@Chrys sei hier daran erinnert, dass es zahlreiche andere Phänomene gibt, für die es keine physikalische Erklärung zu geben scheint, wie z.B. das Tischrücken und Auspendeln.«
Nortons Kugel bewegt sich im wahrsten Sinne des Wortes ganz und gar im Rahmen der klass. Mechanik, daran ist nichts unerklärlich. Wenn es dennoch spukhaft scheint, so liegt das nur an den eigenen Denkgewohnheiten und Vorurteilen.
@Chrys
»Den Text von Russells kennt Bunge gut, und er gibt ihm sogar recht, was die Wissenschaft betrifft,… «
Ich habe ihn, den Text, inzwischen wenigstens mal überflogen (danke für den Link), und ich finde in ihm nichts, was die Idee eines Kausalprinzips völlig absurd erscheinen ließe. Ich behaupte ja nicht, dass Ursache und Wirkung physikalische Größen oder Begriffe wären, sondern dass das Denken in diesen Kategorien praktisch unvermeidlich ist. Auch Russell kann offenbar das Denken in Kausalzusammenhängen nicht vermeiden, denn er schreibt:
Das Erdbeben als Ursache für die Erschütterung des Automaten. Wir haben hier einen eindeutigen naturgesetzlichen Zusammenhang zwischen zwei Ereignissen, aber selbstredend kein Naturgesetz, dass das spätere notwendig auf das erstere folgen muss. Wo Russell Recht hat, hat er Recht. Dito Bunge…
@Balanus
Meine These wäre, dass die schematische Implikation “A → B” für die Fähigkeit zur Mustererkennung eine derart eminente Rolle spielt, dass sich bei fast allen Tieren ein entsprechendes, durch die Evolution implementiertes Merkmal in der neuronalen Hardware finden lassen sollte. Ich zweifle nicht, dass die Evolution so etwas schaffen kann, und das würde meines Erachtens sehr vieles plausibel erklären. Insbesondere liesse sich so wissenschaftl. bestätigen, dass uns unser Faible für kausale wie auch teleologische Denk- und Sprechweisen quasi a priori gegeben ist.
Es scheint mir also vernünftig, nach einer neurowissenschaftl. Erklärung für unsere Neigung zu kausalen Denkmustern zu suchen, und nicht umgekehrt der Wissenschaft vorschreiben zu wollen, dass sie gefälligst ein Kausalprinzip zu befolgen habe, das auf eine für wissenschaftl. Belange brauchbare Weise zu formulieren noch niemandem je gelungen ist. Bunge zäumt das kausale Pferd von der falschen Seite auf, davon bin ich überzeugt.
Mustererkennung /@Chrys
Ja was für ein „Muster“ wird denn da erkannt? Es ist doch das Muster, dass es ohne A kein B geben würde oder gegeben hätte. Oder umgekehrt, dass A getan werden muss, damit B erfolgt. Ich denke, das ist mehr als eine bloß logische Verknüpfung, die in die Natur hineingedacht wird. Es ist ein Grundprinzip lebender Systeme: Wenn ein Molekül am Rezeptor andockt (A), dann folgt notwendigerweise (d. h. mit hoher Wahrscheinlichkeit) Reaktion (B), andernfalls besteht die Gefahr, aus dem evolutionären Spiel auszuscheiden.
Und da aus naturalistischer Sicht Philosophie auf Biologie und Biologie auf Chemie und Chemie auf Physik fußt, bin ich mir gar nicht sicher, ob Bunge das „kausale Pferd“ wirklich von hinten aufzäumt. Bottom-up, das gilt m. E. auch für evolutionär entstandene Fähigkeiten zur Mustererkennung.
@Balanus
»Ja was für ein „Muster“ wird denn da erkannt?«
Wie Herr Trepl schon schrieb, »Wir nehmen mehr oder weniger regelmäßige Ereignisfolgen wahr.«
Eigentlich hätte ich ja erwartet, dass Biologen darauf geradezu [konditioniert reflexhaft] reagieren und keine weiteren Fragen stellen.
Zwischenfrage zu Ludwig Trepls “Ereignisfolgen” /@Chrys
Was ist mit “Ereignisfolgen” gemeint? Eine Abfolge von Ereignissen, oder die Folgen von Ereignissen?
Ist wichtig für meine Replik…
@Chrys
Ich nehme mal an, „Ereignisfolgen“ sind aufeinander folgende Ereignisse. Nun denn:
»Eigentlich hätte ich ja erwartet, dass Biologen darauf geradezu [konditioniert reflexhaft] reagieren und keine weiteren Fragen stellen. «
Wie berechtigt die Frage war, ersieht man an der Antwort. Am Beispiel des mitgelieferten Cartoons (schön!, man sollte Hunde eben nie unterschätzen) kann man, denke ich, den Unterschied zwischen Wahrnehmen und Erkennen eigentlich ganz gut erkennen.
Und nach dem „Erkennen“ von Mustern habe ich (rhetorisch) gefragt. In manchen wahrgenommenen Mustern erkenne ich Gesichter, in anderen Kaffee und Kuchen. Die Wahrnehmung geht in diesen Fällen der Erkenntnisleistung voraus. Dass ich bei bloß wahrgenommen Helligkeits- und Farbmustern wirklichkeitsentsprechende Unterscheidungen treffen kann, das ist der entscheidende Punkt, das ist die besondere Leistung des Gehirns.
Ganz Analoges gilt für die Muster, die aus bloßen Ereignisfolgen bestehen. Dass wir (und nicht nur wir) zwischen zusammenhängenden und nicht-zusammenhängenden Ereignisfolgen überhaupt unterscheiden können (nicht perfekt, aber immerhin), kann doch nur damit zu tun haben, dass es solche Unterschiede in natura tatsächlich gibt.
Oder wird hier inzwischen die totale Unabhängigkeit aller Ereignisse voneinander proklamiert?
@Balanus
»Ich nehme mal an, „Ereignisfolgen“ sind aufeinander folgende Ereignisse.«
Ja, das scheint mir so okay.
Zu wahrnehmen habe ich im web folgende Synonymliste gefunden:
bemerken, entdecken, erblicken, erkennen, sehen, sichten, ausmachen, feststellen, finden, aufmerksam werden, gewahr werden, gewahren
Biologen verstehen Wahrnehmung vielleicht bevorzugt als physiologischen und weniger als kognitiven Vorgang?
»Dass wir (und nicht nur wir) zwischen zusammenhängenden und nicht-zusammenhängenden Ereignisfolgen überhaupt unterscheiden können (nicht perfekt, aber immerhin), kann doch nur damit zu tun haben, dass es solche Unterschiede in natura tatsächlich gibt.«
Zusammenhang meint dann eine naturgesetzlich begründbare Abhängigkeit der Ereignisse? Nun ist das Aufstellen von Naturgesetzen lediglich eine Art des reverse engineering von Mustern auf der Grundlage von endlichen vielen Beobachtungen. Karl Popper zufolge gelangt man so aber keinesfalls zu allgemeingültigen, sondern bestenfalls zu empirisch falsifizierbaren Konstatierungen über die Natur.
Wir können demnach nicht wissen, wie etwas in natura tatsächlich ist. Wir können nur so tun, als ob etwas so wäre, wie es uns erscheint — bis zur allfälligen Falsifizierung.
@Chrys
»Biologen verstehen Wahrnehmung vielleicht bevorzugt als physiologischen und weniger als kognitiven Vorgang?«
Da will ich mich jetzt nicht festlegen, aber in unserem Kontext scheint mir die Unterscheidung von Wahrnehmung (von Ereignissen) und Erkenntnis (von gesetzmäßigen Zusammenhängen) wichtig.
Ich habe das Gefühl, es wurde noch nicht so richtig verstanden, wo unser Gefühl für sogenannte kausale Zusammenhänge sehr wahrscheinlich herkommt. Es geht nicht darum, dass den, der zu spät flieht, die Löwin straft. Es geht im Grunde darum, dass Organismen sich zweckmäßig entwickeln konnten (phylogenetisch) und können (ontogenetisch) und sich zweckgerichtet verhalten können. So etwas ist nur denkbar, wenn es regelhafte oder gesetzmäßige Abläufe in der Natur gibt. Diese sind vollkommen unabhängig von unserem Erkenntnisvermögen. Der Spinne ist Karl Popper herzlich egal, wenn sie ihr Netz spinnt. Und soweit ich weiß, wurde deren Existenz noch nicht falsifiziert, wir haben also gute Gründe, davon auszugehen, dass es sie real gibt.
»Zusammenhang meint dann eine naturgesetzlich begründbare Abhängigkeit der Ereignisse? «
Eigentlich spielt es keine Rolle, ob ein Zusammenhang zwischen (aufeinanderfolgenden) Ereignissen auch „naturgesetzlich begründbar“ ist. Das „Aufstellen von Naturgesetzen“ ist nicht das Thema. Es geht nur darum, dass zweckgerichtetes Verhalten gesetzmäßige Zusammenhänge als gegeben voraussetzen muss.
@Balanus
»So etwas ist nur denkbar, wenn es regelhafte oder gesetzmäßige Abläufe in der Natur gibt. Diese sind vollkommen unabhängig von unserem Erkenntnisvermögen.«
Regelhaft oder gesetzmässig kann nur ablaufen, was von einem Verstand regelhaft oder gesetzmässig gedacht werden kann. Es liesse sich kein Sinn mit der Aussage verbinden, solche Regeln oder Gesetze seien in der Natur absolut gegeben, die manifestieren sich erst infolge eines Erkenntnisprozesses und sind von diesem nicht zu separieren.
Insbesondere ist da kein Buch der Natur, in welchem jemand die Naturgesetze niedergeschrieben hätte, welche zu entschlüsseln sich die Naturforschern mit heiligem Eifer bemühen. So darf man das nicht sehen, denn da kommt man nur auf Irrwege.
@Chrys
»Regelhaft oder gesetzmässig kann nur ablaufen, was von einem Verstand regelhaft oder gesetzmässig gedacht werden kann. «
Nun ja, sicherlich können wir nur jenen Naturvorgängen Regelhaftigkeit und Gesetzmäßigkeit zuschreiben, die unsere Vernunft als regelhaft und gesetzmäßig erkennt oder wahrnimmt und somit auch „denken kann“. Oder war das irgendwie anders gemeint?
»Insbesondere ist da kein Buch der Natur,… «
Tja, schade eigentlich… 😉
@Ludwig Trepl
»Denn „spontan“, „von selbst“ geschieht in der Natur nichts. Alles geschieht aus Ursachen.«
Um das beurteilen zu können, wäre zuvörderst unbedingt zu klären, was denn überhaupt unter “Ursachen” im Rahmen naturgesetzlicher Beschreibungen verstanden werden soll. Wie Norton u.a. ja ausführt, ist es seit Jahrhunderten nicht gelungen, ein Kausalprinzip aufzustellen, das die verlangte Klärung bringt. Und wenn das so bleibt, liesse sich die Aussage, alles in der Natur geschehe aus Ursachen, ebensogut ersetzen durch die Behauptung, alles in der Natur geschehe nach Gottes Willen, denn für unsere Naturbeschreibung ist das eine offenbar so bedeutungsleer wie das andere.
»Es ist eben nie und nimmer feststellbar, daß etwas Natürliches „sich spontan in Bewegung setzt“, denn immer ist es möglich zu sagen: Wir haben die Ursache nur (noch) nicht gefunden. (Auf dieses Argument gehen Sie, @Chrys, beharrlich nicht ein.)«
Nach meinem Verständnis suchen zumindest Physiker eben nicht nach kausalen Erklärungen, sondern nach mathematisch formulierbaren Gesetzmässigkeiten in der Natur. Wenn der Physiker eine hübsche Formel als Lösung eines Problems präsentieren kann, ist er beglückt und entzückt, und mehr interessiert ihn dann eigentlich nicht.
Allerdings halte ich es für durchaus wahrscheinlich, dass von 100 Physikern auf Nachfrage so etwa 99 auch bestätigen würden, dass mit dem hübschen Naturgesetz eine kausale Erklärung geliefert worden sei. Denn gefühlte 99 von 100 Physikern denken gar nicht so tief über Begriffe wie Kausalität nach, um deren Bedeutung für die Naturgesetze tatsächlich fundiert bewerten zu können. Was Russell dazu geschrieben hat, dürfte den meisten völlig unbekannt sein.
Transzendentales Kausalprinzip und Physik.
Von Ludwig Trepl, @ Chrys (@ Balanus).
Es stimmt schon, was Sie, @Chrys, hier @Balanus und mir vorwerfen: daß ideale Kugeln und Bleistifte in der Natur nicht vorkommen, sondern Gedankendinge sind, trägt nichts, allenfalls wenig zu unserer Frage nach der Notwendigkeit von Kausalität bei. Denn unsere Argumentation ist hier eine metaphysische. (Metaphysisch nicht im weiteren Sinn, „jenseits“ der Physik, darunter fällt auch apriorisches Wissen; sondern metaphysisch in dem „verbotenen“ Sinn: Extrapolation von Erfahrungswissen auf der Erfahrung grundsätzlich entzogene Gegenstände, wie in manchen Gottesbeweisen.) Unsere Argumentation ist metaphysisch, weil sie von „bisher immer empirisch Ursachen gefunden“ auf „es gibt immer Ursachen“ schließt; das ist das, was seit Hume nur mehr geht. Eine Notwendigkeit der Kausalität muß sich als apriorisches Wissen ausweisen lassen, oder Kausalität ist halt nicht notwendig (sondern z. B., wie bei Hume, „Gewohnheit“).
Nun bezieht sich der Kant’sche Nachweis nicht auf die Physik, sondern ist sozusagen eine Stufe tiefer angesiedelt. Er betrifft ein transzendentales Prinzip, das von der Physik, insofern sie Wissenschaft „von der Natur“ ist, vorausgesetzt wird, von ihr nicht thematisiert wird und in Frage gestellt werden kann. Die Funktion dieses Prinzips ist die Ermöglichung von Objektivität überhaupt, d. h. derjenigen Welt, von der die Physik ausgeht, bevor sie sich den ersten physikalischen Gedanken macht.
Wir nehmen mehr oder weniger regelmäßige Ereignisfolgen wahr. Manche davon sind nicht umkehrbar; um diese geht es. Was wir nicht wahrnehmen, ist die Notwendigkeit dieser Ereignisfolgen. Die denken wir hinzu. (So weit müßten wir, d. h. Kant, Hume, @Chrys und ich, einig sein.) Das transzendentale Kausalprinzip behauptet nun, daß das Hinzudenken der Notwendigkeit apriorisch ist: konstitutiv dafür, daß eine Erfahrung von etwas, das objektiv vor sich geht, überhaupt möglich ist. Beobachten können wir (kann der Physiker) nur, daß A regelmäßig auf B folgt, nicht daß das notwendig so ist (empirisch wahrnehmen läßt sich immer nur, daß etwas so ist, nicht, daß etwas notwendig so ist). D. h., beobachtet wird, daß die Vorstellung von A bisher immer/meist der Vorstellung von B vorausging. Das heiß aber, daß wir immer nur zu subjektiven Aussagen, Aussagen über das Subjekt, kommen: Ich nehme erst A wahr, dann B. Objektiv (der Form nach, nicht zu verwechseln mit der Frage der Wahrheit der Aussage) ist erst die Feststellung: B folgt auf A (nicht: meine Vorstellung von A …). Wenn das aber notwendig sein soll und nicht nur zufällig (Sonnenaufgang folgt auf Hahnenschrei), dann muß aus dem „Danach“ ein „Deswegen“ werden: Dann ist nicht mehr das Subjekt, das erst die eine Vorstellung hat, dann die andere, als der „Grund“ dieser Aufeinanderfolge formuliert, sondern etwas außerhalb des Subjekts, etwas Objektives: A ist die Ursache von B.
Darum ist auch das Norton’sche Argument, „die Aussage, alles in der Natur geschehe aus Ursachen,“ ließe sich „ebensogut ersetzen durch die Behauptung, alles in der Natur geschehe nach Gottes Willen“ (ein Gedanke, der wohl von Nietzsche stammt), falsch. Denn transzendentallogisch (nicht physikalisch, da weiß ich nicht, worum es geht) ist das Kausalprinzip genau genug bestimmt, um das ausschließen zu können: Nicht Gottes Wille ist die Ursache von B, sondern A ist die Ursache von B. „Natur“ wird so ein objektiver Zusammenhang. Und es wird – insbesondere für die Biologie essentiell – zu einem regulativen Prinzip, Ursachen vom Typ „Gottes Wille (oder der Wille eines Tieres, oder der Zweck der Erhaltung eines Organs ….) ist die Ursache“ zu ersetzen durch „A ist die Ursache von B“.
Wenn Sie, @Chrys, nun sagen, daß Physiker „eben nicht nach kausalen Erklärungen, sondern nach mathematisch formulierbaren Gesetzmässigkeiten in der Natur“ suchen, so fällt mir dazu ein: Physiker suchen nach Naturgesetzen. Es gibt auch andere als kausale Gesetze, nämlich (mindestens) die der Substanzerhaltung; Physiker müssen also nicht immer nach kausalen Erklärungen suchen. Wenn es aber um Ereignisfolgen geht, so müssen die Physiker diese kausal denken – das tun sie implizit, indem sie von einer objektiv vorhandenen Welt ausgehen und nicht davon, daß es nur subjektive Vorstellungen sind, die da aufeinanderfolgen. Sie müssen ihre gefundenen mathematischen Gesetzmäßigkeiten – die ja als mathematische keine Gesetzmäßigkeiten der Dinge der Welt sind – kausal denken. Sie müssen das nicht als Angehörige einer speziellen wissenschaftlichen Disziplin tun, sondern als Menschen bzw. allgemeiner: als Wesen mit einer Vernunft, die auf Sinnlichkeit (Rezeptivität) angewiesen ist. Sonst gibt es für sie keine objektive phänomenale Welt.
Wenn Sie nun schreiben, es sei „durchaus wahrscheinlich, dass von 100 Physikern auf Nachfrage so etwa 99 auch bestätigen würden, dass mit dem hübschen Naturgesetz eine kausale Erklärung geliefert worden sei“, so ist das ganz unerheblich. Auch wenn es nur 1 % oder wenn es 100 % wären, wäre das völlig irrelevant. Denn das ist ein sozialpsychologischer Sachverhalt und hat mit dem (transzendental-)logischen Problem nichts zu tun.
Noch eine Bemerkung zur Frage nach der spontanen Verursachung (Kugel auf Kuppel). Das transzendentale Kausalprinzip könnte man, meine ich, auch formulieren: Jedes B hat eine Ursache A. A hat dann wiederum eine Ursache usw. Nun soll aber K (das Fallen der Kugel) keine Ursache haben. Es gibt nichts Objektives, worin das Fallen der Kugel begründet ist. Es gibt damit keine Möglichkeit mehr, es von bloß subjektivem Vorstellungswandel zu unterscheiden. Darum gehört die ursachenlos fallende Kugel nicht zur objektiven phänomenalen Welt, zur „Natur“. Und so urteilen wir ja auch: Wenn etwas ursachenlos geschieht, so ist das kein natürlicher Vorgang, da ist (wenn es so etwas gäbe) eine „übernatürliche Ursache“ am Werk. Es darf da keine Rolle spielen, ob es sich um eine fallende Kugel handelt, die zufällig einer idealen Kugel (der des Mathematikers) gleicht (denkmöglich ist das ja), oder ob die Kugel ursachenlos auf die Kuppel hinaufhüpft: Dergleichen nennen wir nicht „natürliche Vorgänge“ – und diese Vorgänge sind von Vorgängen, deren Ursache in Gottes Willen liegt, nicht zu unterscheiden. Weht hingegen der Wind die Kugel herunter, so ist dieser Vorgang von letzterem sehr wohl zu unterscheiden: Nicht Gott war es, sondern der Wind.
Nachbemerkung: Wenn Sie sich genauer mit dieser Argumentation befassen und nicht erst Kant lesen wollen: Das Kapitel 14.2 in Otfried Höffes Buch über die KdrV gibt eine, wie ich meine, leicht lesbare und gute Zusammenfassung der Kant’schen Position vor dem Hintergrund der seitherigen Entwicklung.
Implizites kausales Denken /@Ludwig Trepl
Ich weiß jetzt nicht, ob dieser Punkt…
»Wenn es aber um Ereignisfolgen geht, so müssen die Physiker diese kausal denken – das tun sie implizit, indem sie von einer objektiv vorhandenen Welt ausgehen und nicht davon, daß es nur subjektive Vorstellungen sind, die da aufeinanderfolgen.«
…bei Russell oder Norton oder sonst wo angesprochen wurde. Denn so richtig es sein mag, dass Physiker nicht nach einem „Kausalprinzip“ suchen, so richtig scheint mir aber auch zu sein, dass sie es in gewisser Weise als gegeben voraussetzen (müssen).
Wie sonst soll man sich z. B. erklären, dass man mit einem Milliardenaufwand Protonen und Antiprotonen aufeinanderprallen lässt, wenn nicht dadurch, dass man davon ausgeht, dass dem Ereignis des Zusammenpralls bestimmte andere Ereignisse folgen werden?
Die gesamte Experimentalphysik scheint mir auf der impliziten Annahme des Kausalprinzips zu fußen.
@Ludwig Trepl
Sie stellen hier ganz wesentliche Aspekte zur Frage nach Kausalität heraus:
»Wenn es aber um Ereignisfolgen geht, so müssen die Physiker diese kausal denken – das tun sie implizit, indem sie von einer objektiv vorhandenen Welt ausgehen und nicht davon, daß es nur subjektive Vorstellungen sind, die da aufeinanderfolgen. Sie müssen ihre gefundenen mathematischen Gesetzmäßigkeiten – die ja als mathematische keine Gesetzmäßigkeiten der Dinge der Welt sind – kausal denken. Sie müssen das nicht als Angehörige einer speziellen wissenschaftlichen Disziplin tun, sondern als Menschen bzw. allgemeiner: als Wesen mit einer Vernunft, die auf Sinnlichkeit (Rezeptivität) angewiesen ist. Sonst gibt es für sie keine objektive phänomenale Welt.«
Das würde ich in folgendem Sinne konditional einschränken wollen. Wenn die Physiker sich den Gegenstand ihrer Untersuchung veranschaulichen, sodass derselbe durch intuitive Vorstellungen und Bilder erfasst werden soll, dann werden sie dabei so gut wie sicher wieder auf kausale Denkweisen zurückgreifen. Wenn wir in hinreichend intuitiven Vorstellunen denken, die wir, gerechtfertigt oder nicht, mit Impressionen und Erfahrungen aus dem praktischen Leben assoziieren können, dann werden unvermeidlich auch die Mechanismen aktiv, mit denen wir uns im praktischen Leben orientieren. Wir “sehen” dann Ursachen und Wirkungen, wir “sehen” Absichten und Zwecke, wir “sehen” rämliche Anodnungen — und die “sehen” wir sogar dann, wenn sie faktisch gar nicht gegeben sind.
Unsere Denk- und Wahrnehmungsfähigkeiten sind darauf getrimmt, praktische Lebenssituationen effizient zu beurteilen. Für unsere Vorfahren in der afrikanischen Savanne war das überlebenswichtig, und von denen haben wir’s geerbt. Rein statistisch waren die wohl besser dran, die typische Muster in ihrer Umgebung rasch erfassen und darauf reagieren konnten, als diejenigen, die erst lange überlegen mussten. Wer zu spät flieht, den bestraft die Löwin.
(Das ist natürlich eher eine plakative Verkürzung, denn diese Geschichte hat sicher nicht erst in der afrikanischen Savanne ihren Anfang, sondern schon sehr viel früher.)
Es hat durchaus einen praktischen Hintergrund, dass wir ein veranlagtes Ordnungsschema von Verursachungen verwenden, um in unserem natürlichen Lebensumfeld klarzukommen. Doch es folgt nicht logisch zwingend, dass dieses Ordnungsschema in der Welt veranlagt ist. Es reicht völlig hin, wenn es in uns veranlagt ist. Und da ist vermutlich genau der Punkt, wo sich unsere Sicht auf Kausalität unterscheidet: Sie sehen darin eine grundlegende Eigenschaft der Welt, wohingegen ich dabei nur eine effektive Eigenschaft menschlicher Wahrnehmung anzunehmen bereit bin.
Dass mir eine “objektive phänomenale Welt” aus diversen Gründen kein wohldefinierter Gegenstand der Vorstellung und Betrachtung sein kann, gestehe ich zu. Das sehen aber die Naturalisten gewiss ganz anders.
Kausalität empirisch und apriorisch.
Von Ludwig Trepl, @ Chrys.
Jetzt werden die Gemeinsamkeiten und Unterschiede recht deutlich. Wir sind uns einig darin, daß Kausalität nicht empirisch gefunden werden kann, sondern von uns in die Natur hineingedacht wird. Der Unterschied ist aber anders als Sie ihn beschreiben („nicht in der Welt“; dazu gleich mehr). Sie sehen in diesem Hineindenken einen empirischen Sachverhalt, und es ist empirisch (bei Ihnen eingeengt auf evolutionsbiologisch) zu erklären, wie es zu ihm gekommen ist. Damit stehen Sie in der Tradition des Empirismus (der Tradition Humes). Ich argumentiere gegen diese mit Kant (und versuche in diesem Punkt, mich ganz eng an ihn zu halten).
Daß wir „Kausalität in die Natur hineindenken“, ist dann kein empirischer und empirisch zu erklärender Sachverhalt, sondern ein logischer (ein transzendentallogischer, nicht ein formallogischer). Kausalität ist eine Kategorie des Denkens, ohne die die empirische Welt nicht möglich ist. Denn ohne sie ist diese nicht als objektive möglich.
Sie schreiben: „Doch es folgt nicht logisch zwingend, dass dieses Ordnungsschema in der Welt veranlagt ist. Es reicht völlig hin, wenn es in uns veranlagt ist.“ Diese Unterscheidungen sind für den erkenntnistheoretischen Realismus charakteristisch; Kant unterscheidet anders: Dieses Ordnungsschema ist in uns, aber es ist konstitutiv für die Welt, wie sie für uns ist, also für die Welt, über die wir überhaupt etwas wissen können. Über die Welt an sich können wir, anders als der Realismus meint, nichts wissen, nur über die Welt, die wir mit unseren Anschauungs- und Denkformen „vorstrukturiert“ haben; das ist die „phänomenale“, die uns „erscheinende“ Welt. In diesem Sinne ist „dieses Ordnungsschema in der Welt veranlagt“, nämlich in der phänomenalen Welt, und das ist auch die Welt der Physik – aber eben deshalb, weil wir mit einer Denkform, die „in uns veranlagt ist“, die Welt so strukturieren, wie wir es notwendig tun (diese Denkform evolutionsbiologisch erklären zu wollen, wäre ein Fehler, aber das ist ein anderer Punkt, auf den will ich jetzt nicht eingehen). Aussagen über die Welt an sich, so daß man dann sagen könnte, „in der Welt“ ist dieses Ordnungsschema „nicht veranlagt“, sind sinnlos, denn die Welt an sich ist kein möglicher Gegenstand unserer Erkenntnis.
So etwa würde wohl Kant auf Ihren Satz antworten: teilweise Zustimmung, teilweise Ablehnung, und grundsätzliche Veränderung der zentralen Begriffe. Nun meine ich, daß man, ohne die Kant’sche Sicht zu verlassen, Ihnen in einem weiteren Punkt teilweise recht geben könnte.
Sie schreiben „Wenn die Physiker sich den Gegenstand ihrer Untersuchung veranschaulichen, sodass derselbe durch intuitive Vorstellungen und Bilder erfasst werden soll“, dann müssen sie auf empirisch Erworbenes und Erklärliches zurückgreifen.
Man muß hier, meine ich, genauer hinsehen. Was Kant meint, ist etwas rein Logisches: Aus dem empirischen „erst A, dann B“ wird ein nicht-empirisches „B durch A“ oder „B wegen A“. Ohne dies ist Objektivität nicht möglich: Man kann eine ausgedachte (oder geträumte, halluzinierte) Welt von einer objektiv vorhandenen nur unterscheiden, wenn die Vorgänge in ihr nicht dem Subjekt zuzuschreiben sind, das seine Vorstellungen ändert, sondern wenn sie in dieser Welt selbst begründet sind: B ist „wegen“ A, also wegen etwas „in der Welt“, nicht wegen einer Veränderung von Vorstellungen, die sich das Subjekt macht.
Das also ist etwas rein Logisches. Wenn man sich (und nun kommen Sie) dieses „wegen“ oder „durch“ aber „vorstellen“ will, dann muß man auf etwas zurückgreifen, was man kennt. Nun kennt man aber Kausalität nicht durch Beobachtung der Natur. Aber man kennt sie von sich selbst. Ich habe in anderen Kommentaren schon mehrmals den Gedanken von G. H. von Wright (Wittgenstein-Nachfolger in Cambridge) zitiert: Wir kennen uns selbst als Handelnde und wissen daher, was es bedeutet, etwas zu verursachen, wissen, was man sich darunter vorstellen muß, daß etwas „wegen“ oder „durch“ etwas, nämlich durch uns ist. Und das denken wir in die beobachteten Ereignisfolgen in der Natur hinein. Das (und das ist jetzt nicht mehr von Wright) kann auf zwei grundverschiedene Weisen geschehen: (1) Man nimmt sozusagen das Wissen um das eigene Handeln als Ganzes – dann ergibt sich eine teleologische Verursachung: Erst ist ein Begriff, eine Idee, d. h. das ausgedachte Ziel bzw. der Zweck da, und dann folgt die Handlung, und dann ergibt sich, wenn’s gut geht, eine dem Ziel gemäße Veränderung in der Natur. (2) Man sieht nur auf den Aspekt, daß etwas, nämlich „ich“, die Ursache von etwas anderem, dem Resultat des ganzen Handlungsgeschehens, ist. So kann man Verursachung auch da denken, wo es kein verursachendes zielsetzendes Subjekt gibt oder dieses nicht gedacht wird, also in dem, was man Natur, zumindest nicht-lebende Natur nennt.
Davon ist aber der rein logische Kern nicht berührt, der Kern, der nötig ist nicht um sich Verursachung „vorzustellen“ (ob das so „bildlich“ sein muß, wie Sie schreiben, bezweifle ich), sondern damit überhaupt eine objektive von einer bloß subjektiven (gedachten) Welt unterschieden werden kann, d. h. die Ersetzung von „danach“ durch „wegen“ oder „durch“.
Eine Frage wäre auch noch, wie weit unser Wissen um unser Handeln, das ja (nach Ihnen und nach von Wright) für das Sich-Vorstellen-Können von Verursachung empirisch (Erfahrung von sich selbst) oder apriorisch ist. Das scheint mir schwierig, vermutlich ist da beides beteiligt: Immerhin kann ich ja eine Erfahrung, auch eine Erfahrung an mir selbst, nur machen, wenn das, was die Erfahrung macht, also „Ich“, schon vorausgesetzt ist. Dagegen dürfte es notwendig sein, eine Erfahrung tatsächlich zu machen, um sich vorstellen zu können, was es bedeutet, daß „ich“ etwas verursachen kann („Ich“ ist nun das empirische Ich, das aber jenes transzendentale Ich bereits voraussetzt).
@Ludwig Trepl
Hinsichtlich kausaler Denkweisen scheint mir der Fall ganz ähnlich zu liegen wie bei der Kontoverse um unsere Vorstellung von Raum, und es lohnt da meines Erachtens ein vergleichender Blick, denn die letztgenannte Problematik ist vielleicht besser verstanden.
Dass uns eine Anschauung des Raumes gegeben ist, die wir ebensowenig vermeiden können können wie kausale Denkweisen, halte ich für eine zutreffende Feststellung. Bei der uns eigenen Raumvorstellung ist auch recht leicht einzusehen, dass wir offensichtlich daran konstruktiv mitwirken. Denn wie sich etwa anhand optischer Illusionen demonstrieren lässt, nehmen wir Raum auch da wahr, wo keiner ist, sofern uns nur gewisse visuelle Muster gegeben sind, die in uns die Impression von Raum hervorrufen. Seitens der Neurobiologie wird bestätigt, dass unsere Konstruktion von Raum korrespondiert mit der neuronalen Struktur unseres visuellen Cortex. Und das deutet auch darauf, wie wir zu einer Anschauung von Raum kommen, die uns in natürlicher Weise die Euklidische Geometrie nahelegt, indem diese nämlich auf bestimmte Weise in uns veranlagt ist.
Für einen aus der Anschauung abstrahierten, mathematischen Begriff von geometrischem Raum folgt aus all dem aber in keiner Weise, dass dessen Geometrie notwendigerweise Euklidisch zu sein hat. Kant wurde von den “Böotiern”, deren Geschrei Gauss scheute, so ausgelegt, dass er genau dies behautet habe, aber hat er das tatsächlich so behauptet?
Gemäss der Interpretation von Robert Hanna, den ich mir schon bei früherer Gelegenheit einmal als Kant-Experten herbeizitiert hatte, ist das eher nicht der Fall. Hanna schreibt dazu,
Robert Hanna. Kant and the Foundations of Analytic Philosophy. OUP, 2004.
DOI: 10.1093/acprof:oso/9780199272044.001.0001
Wenn ich in dem hier genannten Sinn unterscheide, dann kollabiert die ganze strittige Angelegenheit mit dem Raum schlussendlich zu einem Scheinproblem. Und wenn ich nun eine solche Unterscheidung zwischen sinnlich erfahrbaren Welten einerseits und logisch formalen Welten andererseits bei der Frage nach Kausalität unterstelle, dann löst sich auch hier das Problem auf, dass mich in ersteren kausale Denkweisen wie ein Schatten begleiten, während ich in letzteren nicht einmal vernünftig zu definieren weiss, was Kausalität bedeuten soll.
N.B. Mir ist schon klar, dass Sie eine strikte Trennung zwischen apriorischen und empirischen Betrachtungsweisen betonen. Ohne Ihnen das ausreden zu wollen, möchte ich nur anmerken, dass ich neurobiologische Aspekte bei Fragestellungen, welche die sinnlich erfahrbaren Welten betreffen, nicht für grundsätzlich unangebracht halte. (Womit ausdrücklich nicht behauptet sein soll, dass hier alles auf Neurobiologie reduzierbar sei!) Offenbar kann man auf verschiedenen Wegen mit ganz verschiedenen Argumenten zu derselben Einsicht kommen, dass uns da gewisse Sichtweisen unvermeidlich vorgegeben sind. Beunruhigend wäre für mich eigentlich nur, wenn sich hierbei Unverträglichkeiten zeigen würden, aber es fügt sich interessanterweise doch erstaunlich gut zusammen.
Von Ludwig Trepl, @Chrys.
Ich sehe das schon sehr ähnlich, nur im Hinblick auf die Relevanz des Empirischen („Neurobiologie“) für Geltungsfragen und Konstitutionsfragen (synthetisches Apriori) sehe ich es anders.
Der Aussage von Hanna dürften heutige Kantianer, selbst ziemlich orthodoxe, weitgehend zustimmen. Für Kants Programm ist nur von Bedeutung, daß es überhaupt „Räumlichkeit“ gibt (Höffe). Zu den Bedingungen der Möglichkeit aller Empirie zählt, daß „außer mir“ von „in mir“ unterschieden wird sowie bei den äußeren Gegenständen das „Außereinander“, nicht, wie der Raum beschaffen ist, ob euklidisch oder nicht. Daß Kant nur den euklidischen Raum kennen konnte, hat ihn in der Tat zu überzogenen Folgerungen verleitet. Das transzendentalphilosophische Programm ist davon aber nicht berührt. Die Mathematik als „reine“ Mathematik (also Mathematik nicht im Rahmen von Erkenntnistheorie, d. h. ohne die Frage zu stellen, ob damit etwas erkannt wird) kann nach Belieben Axiome aufstellen und die Folgerungen ausarbeiten. Die Physik als empirische Wissenschaft kann dann prüfen, was davon in der empirischen Realität (und nicht nur in Gedanken) vorkommt. Die Philosophie befaßt sich mit den Bedingungen der Möglichkeit dieser Wissenschaften überhaupt, fragt, unter welchen Bedingungen überhaupt eine Empirie sein kann und eine Mathematik, sie mischt sich nicht in das ein, was diese Wissenschaften dann tun.
Nicht folgen kann ich allerdings der Auffassung, die man immer wieder hört (und die Sie mir auch zu haben scheinen), daß solche transzendentalen Bedingungen zusammenfallen mit dem, was anthropologisch möglich ist, also mit dem, was man im Prinzip empirisch über das erkennende Subjekt – als das gilt hier die empirische Spezies Homo sapiens – ermitteln kann, und daß somit bei anderem Verlauf der Evolution beispielsweise Erfahrung ohne die Kategorie des Raumes oder der Kausalität möglich wäre.
So ist die Kant’sche Theorie nicht angelegt. Sie setzt nicht Menschen voraus, sondern hypothetische Vernunftwesen, die auf Sinnlichkeit angewiesen sind, deren „Vernunft“ also nicht nur ein aktives Moment (Denken) hat, sondern auch ein rezeptives. Daß es solche Wesen geben könnte, für die der Raum nicht euklidisch ist, dürfte sich denken lassen, ohne den Kant’schen Rahmen zu verlassen; daß es welche geben könnte, für die Raum und Kausalität schlechterdings nicht existieren, dagegen nicht (solche Wesen haben einen Verstand, der nicht auf Rezeptivität durch die Sinne angewiesen ist, man nennt sie herkömmlicherweise „Gott“).
„… möchte ich nur anmerken, dass ich neurobiologische Aspekte bei Fragestellungen, welche die sinnlich erfahrbaren Welten betreffen, nicht für grundsätzlich unangebracht halte.“
So formuliert stimmt das schon. Doch kann es immer nur um das Wie der Erfahrung gehen, nicht um das Daß. Man kann die Bedingung einer erfahrbaren Welt bzw. der Möglichkeit von Erfahrung nicht wiederum in etwas Erfahrbarem suchen. – Man spricht ja oft von „quasi-transzendental“ oder ähnlichem. Damit pflegt etwas gemeint zu sein, das empirisch (z. B. biologisch, meist aber sozialwissenschaftlich) auffindbar ist und das bewirkt, daß die erfahrbare Welt bestimmte Eigenschaften hat und andere nicht haben kann. Beispiele aus der Biologie sind die Sinnesfähigkeiten verschiedener Tierarten, für die z. B. bestimmte Farben nicht vorhanden sind. Beispiele aus dem Sozialen sind die vielen „historischen“ oder „kulturellen“ Apriori, die bestimmten Zeiten oder Kulturen bestimmte Weisen des Denkens und der Erfahrung gleichsam aufdrücken, ohne daß diese Epochen oder Kulturen eine Möglichkeit hätten, das zu bemerken, es gehört zu den „unhinterfragbaren Selbstverständlichkeiten“. Aber das darf man alles nicht durcheinanderbringen mit der transzendentalphilosophischen Frage, wie es denn überhaupt eine erfahrbare, objektive Welt und ein Wissen von ihr möglich ist.
@Ludwig Trepl
Diese Diskussion verlief aus meiner Sicht ausserordentlich anregend, und bevor wir das abschliessen, möchte ich zwei Bemerkungen hier noch anfügen.
1) Ich hatte noch nach einem Philosophen gesucht, der das Dilemma mit der Kausaliät zwischen Kant und Russell so angeht, wie ich mir das ungefähr vorstelle. Tatsächlich habe ich in Huw Price so jemanden gefunden. In seinem Essay [Causal perspectivalism] beschreibt Price seine Position so:
2) Noch zum Euklidischen Raum. Robert Hanna argumentiert, dass Kant der math. Denkbarkeit nichteuklidischer Geometrie keineswegs widersprochen habe, ganz im Gegenteil. Nur haben das später etliche Philosophen anders sehen wollen und diese ihre Meinung auch recht heftig verfochten. So schreibt noch Felix Klein in seinen Vorlesungen über die Entwicklung der Mathematik im 19. Jahrhundert zu den 1871 von ihm verfassten Mitteilungen über nichteuklidische Geometrie:
Interessant scheint mir, dass Klein offenbar nicht Kant als dafür hintergründig verantwortlich sieht, den er im übrigen an anderer Stelle im selben Text sogar wörtlich “zu den Unsrigen”, also den Mathematikern zählt.
Liest sich schlau:
>:->
MFG
Dr. W (der derartige Beschäftigung bei Dr. T in eher unguten Händen sieht)
Ergänzung: Höffe (S. 104 im KrV-Buch) schreibt, daß der vorkritische Kant nicht-euklidische Räume, nämlich “eine Ausdehnung von anderen Eigenschaften und Abmessungen” als der “dreifache(n) Raumes-Abmessung” für möglich gehalten hat (Gedanken von der wahren Schätzung der lebendigen Kräfte</em). In der KrV liest sich das allerdings anders.
Dennoch, meine ich, ändert das nichts daran, daß sein Programm es nicht verlangt, den euklidischen Raum zum transzendental notwendigen zu erklären. Selbstverständlich hat er in vielem den damaligen und nun überholten Stand der Wissenschaften einfach für bare Münze genommen. Aber seine Philosophie trennt deren Gegenstand so klar von dem der Einzelwissenschaften, daß das auf das “Programm” nicht durchschlägt.
@Ludwig Trepl
»Ich hab’s schon mehrmals betont: Kein Biologe akzeptiert das als Erklärung: Das Verhalten ist nicht naturgesetzlich unausweichlich, sondern verdankt sich einer Entscheidung, das Lebewesen ist frei und kann also so oder so, und es wollte nun einmal so und nicht so. Sondern er sucht nach einer kausalen Erklärung dieses vermeintlich (für ihn in seiner Rolle als Naturwissenschaftler vermeintlich und heuristisch so genommenen) freien Verhaltens.
Ich habe das jetzt schon so oft geschrieben, aber ich habe den Eindruck, dieser für die Theorie der modernen Biologie (der Biologie seit ca. 1800) so fundamentale Gedankengang – die Unterscheidung zwischen der gegenstandskonstituierenden und heuristischen Funktion des teleologischen Urteils und dem, was für die Naturwissenschaft eine Erklärung (was also ihre Aufgabe) ist, ist bei Ihnen einfach nicht angekommen.«
Es sieht so aus, als hätte ich bislang nicht adäquat auf das reagiert, was Sie schon so oft betont haben. Man sieht es meinen Kommentaren vielleicht nicht an, aber ich kann dem meisten, was Sie da wiederholt in punkto Heuristik und teleologischem Denken geschrieben haben, im Großen und Ganzen zustimmen (soweit ich mich mit diesen Fragen halt auskenne).
Ich sage z. B. doch auch, dass es mit der „Entscheidungsfreiheit“ beim Menschen nicht anders ist als bei „Bakterien und Elefanten“. So etwas kann nicht beobachtet werden. Und in dem, was beobachtbar ist, finden sich keine Hinweise auf Vorgänge oder Lücken, die nur durch „Freiheit“ erklärt werden könnten (selbst für spontan auftretende Aktivitäten lassen sich zugrundeliegende Mechanismen finden). „Freiheit“ kann hier nur Agieren aus eigenem Antrieb bedeuten, ohne Zwänge von außen (wenn man den Begriff überhaupt verwenden will).
Für mich endet hier die Geschichte. Nicht aber für Sie. Denn nun kommen Sie mit Erkenntnissen, die nicht durch Beobachtung der Außenwelt gewonnen wurden, sondern durch „Beobachtung“ der Innenwelt (reflektorisches Denken). Oder noch nicht einmal das, es sind im Grunde Erkenntnisse, die durch bloßes Nachdenken, also ungeachtet empirischer oder bloß gefühlter Befunde gewonnen wurden. Dass wir in einem starken Sinne frei entscheiden können und Willensfreiheit besitzen, soll sozusagen schon aus rein logischen Gründen wahr sein.
Gegen eine solche gedachte (transzendente) Willens- bzw. Entscheidungsfreiheit ist aus naturwissenschaftlicher Sicht natürlich nichts einzuwenden. Argumente gegen diese Sichtweise könnten nur aus Erkenntnissen stammen, die der gleichen Kategorie angehören wie die, gegen die sie sich richten. Das heißt, wir haben es im Grunde mit einer rein philosophischen Debatte zu tun.
Kritisch wird es erst, wenn es zu Überlegungen kommt, wie denn nun diese gedachte Willensfreiheit im Menschen (oder in der Person?) realisiert wird. Denn sobald es einen Bezug zu physischen Vorgängen gibt, sind die Naturwissenschaften wieder im Spiel.
Kann man sich mit Naturwissenschaft zufriedengeben?
Von Ludwig Trepl, @Balanus.
„Für mich endet hier die Geschichte.“ Nämlich da, wo klar ist, daß Freiheit kein Begriff der Naturwissenschaften sein kann. „Für mich“ sollten Sie nicht sagen, sondern vielleicht „für mich in meiner Eigenschaft als Naturwissenschaftler“, denn Sie sind ja nicht nur dies, sondern leben auch, müssen sich z. B. für einen verursachten Verkehrsunfall verantworten oder die Frage entscheiden, ob Sie Ihr Kind vom Gymnasium nehmen sollen. Das können Sie nicht, wie es bei der Frage „Bier oder Wein“ noch möglich ist, Ihrer Biologie bzw. den biologisch bedingten Präferenzen überlassen. Menschen sind halt nicht in allem Tiere, für den Biologen sind sie aber nichts als das.
Mit “Dass wir in einem starken Sinne frei entscheiden können und Willensfreiheit besitzen, soll sozusagen schon aus rein logischen Gründen wahr sein“ meinen Sie sicher so etwas wie die Kant’sche Argumentation: Die Wahrheit des Sittengesetzes steht fest. Es ist nicht so etwas wie ein mathematisches Axiom, das man setzen kann oder auch nicht. Wenn aber das Sittengesetz gilt, dann müssen wir frei sein. Dieser Argumentation können Sie widersprechen, aber Sie können ihr nicht damit widersprechen, daß das außerhalb des Zuständigkeitsbereichs der Naturwissenschaft liegt.
Sie können auch nicht sagen (und so etwas kommt bei Ihnen immer wieder durch): Weil die Naturwissenschaften nicht zuständig sind, kann man da denken, wozu man lustig ist. Wenn Sie schreiben: “Gegen eine solche gedachte (transzendente) Willens- bzw. Entscheidungsfreiheit ist aus naturwissenschaftlicher Sicht natürlich nichts einzuwenden“, dann soll man das ja, so scheint mir, so lesen: Da ist nichts zu beweisen und nichts zu widerlegen, also laß die mal spielen, wir befassen uns mit ernsteren Dingen.
Es handelt sich aber nicht, wie Sie schreiben, um eine transzendente Willensfreiheit, eine, die in einer jenseitigen Welt stattfindet, zu der es definitionsgemäß keinen Zugang gibt, sondern um die transzendentale. Es geht nicht um ein Wissen über eine Welt jenseits der uns erkennbaren, sondern um die Bedingungen (der Möglichkeit) von Wissen, und zwar auch des empirisch gewonnenen. Ich habe vor längerer Zeit in einer Antwort auf @ Noït Atiga aus dem Naturalismus-Buch von G. Keil zitiert:
„Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß dem Mißtrauen, das der anti-foundationalism dem ‚Apriorismus’ und dem Transzendentalismus der traditionellen Erkenntnistheorie entgegenbringt, immer noch ein falsches Verständnis des Verhältnisses von ‚empirisch’ und ‚transzendental’ zugrunde liegt, nämlich die Vorstellung, der Transzendentalist habe es mit einer besonderen Art von Wissen zu tun, das man nur von einem Standpunkt außerhalb der empirischen Welt, also überhaupt nicht, beanspruchen kann. … Aber das ist kein Einwand gegen ein … transzendentales Programm im Sinne Kants. Im Gegenteil, der tranzendente Standpunkt im kosmischen Exil, jenseits aller möglichen Erfahrung, ist ja gerade das, was Kant der dogmatischen und der skeptischen Gegenposition vorwirft … Die transzendentale Reflexion ist … eine Thematisierungsweise, die nicht die Wissenschaft vor aller Erfahrung zu ‚begründen’ beansprucht, sondern expliziert, was in ihr liegt: ihre konstitutiven Bedingungen. Und dies ‚von innen’, d. h. ohne zu vergessen, daß sie selbst dieser Bedingungen nicht enthoben ist.“ (S. 66)
Die konstitutiven Bedingungen der Erfahrung bzw. der Erfahrungswissenschaft kann man erforschen, da geht’s nicht nach Belieben zu, sondern streng. Und man muß sie erforschen, wenn man wissen will, ob die Erfahrungswissenschaft überhaupt Wissenschaft ist und Wissen liefern kann, nicht nur vermeintliches Wissen. Die Arbeit kann nicht wieder in Erfahrungswissenschaft bestehen (also beispielsweise in der Erforschung der Evolutionsbiologie des Denkens oder der die verschiedenen „historischen Apriori“ hervorbringenden gesellschaftlichen Verhältnisse), denn da bekommt man ja wieder nur Erfahrungswissen, und die Frage ist ja gerade, ob und unter welchen Bedingungen das überhaupt ein Wissen ist. Die Arbeit kann nur in Reflexion bestehen. Man muß beispielsweise den Fragen nachgehen, die sich die Logiker stellen, und den Fragen der Erkenntnistheoretiker, die sich z. B. fragen, welche Bedeutung es für die Wahrheit oder Objektivität eines Satzes hat, daß dieser „logisch“ ist. Da hat man es nicht mit empirischen Wissenschaften zu tun, sondern, wie Kant es nannte, mit „demonstrierenden“.
Transzendent(al) /@Ludwig Trepl
Es war schlicht ein Schreibfehler. Mir ist das „al“ einfach abhanden gekommen.
Mein gedanklicher Bezug ist nämlich nach wie vor das Höffe-Zitat:
»Der freie Wille ist […] als ein Reflexionsverhältnis zu denken (transzendentale Freiheit), das in der entsprechenden Art zu handeln manifest wird.«
Das lese ich nämlich so, dass Handlungsfreiheit real möglich ist, während Willensfreiheit „nur“ transzendental gedacht werden kann.
Transzendentalität und harte Realität.
Von Ludwig Trepl, @Balanus.
Transzendental ist aber die Bedingung der Möglichkeit des “Realen” (Phänomenalen), insofern nichts Scheinbares, bloß Gedachtes in dem Sinne, daß es auch beliebig oder falsch Gedachtes sein könnte, wie die Formulierung „’nur’ transzendental“ suggeriert. Transzendental ist bei Kant z. B. das Kausalprinzip oder die Anschauungsform des Raumes. Das Empirische ist entweder oder es ist nicht, aber es ist nicht notwendigerweise. Man könne sich zwar vorstellen, daß nichts im Raume sei (das festzustellen ist eine Sache der empirischen Wissenschaft), aber man „kann sich niemals eine Vorstellung davon machen, daß kein Raum sei“ (KrV, B 38 f.) Was in der empirischen Wissenschaft mit dem Bewußtsein der Notwendigkeit gedacht wird, das ist das Transzendentale. Es ist, obwohl unsere Zutat zur Erkenntnis, sozusagen der härtere, notwendige Teil des Erkannten verglichen mit dem, was an der Erkenntnis empirisch ist, also nicht unsere “Zutat” ist, sondern über die Sinne “von außen” kommt.
Ein Einwand, der von den Empiristen gern an dieser Stelle kommt: Kant hatte die Raumvorstellungen der Newton’schen Physik und die seien doch überholt (bezüglich des Kausalprinzips gilt Entsprechendes). Doch darauf kommt es nicht an. Der Raum kann durchaus ganz andere Eigenschaften haben als Newton dachte. Deshalb meint Höffe auch, man solle statt vom Raum besser von „etwas Räumlichen“ als apriorischer Form der Anschauung sprechen. Olaf Müller argumentiert, daß der Raum noch ganz andere Dimensionen aufweisen könnte als die drei zur Zeit Newtons bekannten und daß er gekrümmt sein könnte, aber er „muss grundlegende topologische Strukturmerkmale aufweisen (damit er überhaupt mit Recht als Raum bezeichnet werden darf)“. „Und in der Tat kann man über nicht-lokalisierbare (und daher prinzipiell unauffindbare) Gegenstände keine intersubjektiv gültigen Erfahrungsaussagen treffen. Intersubjektive Gültigkeit ist aber (zumindest) eine notwendige Bedingung für Objektivität.“ Erst kommt also das Transzendentale, das bloß Vorgestellte, dann das Empirische. Das erste muß sein, d. h. von uns vorgestellt werden, damit das zweite sein kann, d. h. von uns beobachtet werden kann.
Mir scheint @Balanus möchte genau das immer umdrehen:
“Erst kommt also das Transzendentale, das bloß Vorgestellte, dann das Empirische. Das erste muß sein, d. h. von uns vorgestellt werden, damit das zweite sein kann, d. h. von uns beobachtet werden kann.”
oder?
Sie haben’s erfasst, @Grenzgängerin:
»Mir scheint @Balanus möchte genau das immer umdrehen: [Erst das bloß Vorgestellte, dann das Empirische].«
In der Kunst (wie z. B. Bildhauerei) gehen zwar Vorstellungen dem haptischen Ergebnis voraus, aber diese Vorstellungen schöpfen aus dem Reservoir der lebenslangen Erfahrungen, die wir über die Sinne gemacht haben. Die Sinne sind unser Tor zur Welt. Stellen Sie sich jemanden ohne jeglichen Sinnesinput vor, und zwar von seiner Zeugung an: Worüber wird der wohl philosophieren?
Aber ich bin mir nicht sicher, ob Ludwig Trepl mit dem „Empirischen“ bloße Sinneseindrücke meint (wie ich das jetzt einfach mal interpretiert habe).
Dennoch: Es gibt Lebewesen mit praktisch dem gleichen sensorischen Input wie wir Menschen, aber ohne merkliches Reflexionsvermögen, was ja wohl de Voraussetzung für das Transzendentale wäre.
Erkenntnisarten /@Ludwig Trepl
»Aber wir wissen eben auch mit völliger Sicherheit, daß Handlungen uns zuzurechnen sind, daß wir verantwortlich sind für sie bzw. doch für den willentlichen Entschluß, sie auszuführen. Niemand kann das leugnen…. «
Kein Widerspruch.
»…Man muß sich nur eine Extremsituation vorstellen, eine schwere Schuld, die man auf sich geladen hat. Es ist vollkommen klar, daß es nicht wahr, sondern verlogen ist, wenn man sagt „ich war’s ja nicht, sondern determinierende Ereignisse haben mich dazu gezwungen, das zu wollen“.«
Meist sagt man so etwas Ähnliches wie: „Ich wollte es nicht tun, es ist über mich gekommen. Mich hat der Teufel geritten…“
Das Wollen und das Tun klaffen gelegentlich auseinander. Wem also rechne ich die Tat zu, wenn sie nicht gewollt war?
Am Ende zählt nicht, was jemand gewollt, sondern nur, was er getan hat (geistige Gesundheit vorausgesetzt, denn nur wer weiß, was er tut, kann zur Rechenschaft gezogen werden; das Wissen um das eigene Tun scheint mir das Entscheidende zu sein, nicht die ominöse Willensfreiheit).
»Ich dagegen möchte die radikale Verschiedenheit, die völlige Unvereinbarkeit der beiden Arten von Erkenntnissen betonen, die aber beide unabweisbar Erkenntnisse sind.«
Die subjektive Erkenntnis, dass man tun kann, was man will, und manchmal auch Dinge tut, die man eigentlich gar nicht gewollt hat, und dass man in aller Regel weiß, was man tut, ist nach meinem Verständnis absolut mit der objektiven bzw. intersubjektiven (empirischen) Erkenntnis vereinbar, dass auf der basalen (materialen) Ebene der Dinge alles naturgesetzlich zusammenhängt.
Wenn aber jemand behauptet, er hätte erkannt, dass er wollen kann was er will, dass er also frei seinen Willen und sein Wollen bestimmen, d. h. formen kann, dann kann diese Behauptung mit Recht in Zweifel gezogen werden.
Denn es widerspricht der Alltagserfahrung, dass die Willensbestimmung durch einen Willensakt erfolgt. Die „Bestimmung“ des Willens erfolgt in ähnlicher Weise, wie man die Temperatur oder das Gewicht von etwas bestimmt. Insbesondere bei schwierigen Entscheidungen wird deutlich, dass man danach suchen muss, was man wirklich will. Es müsste also besser Willensfindung heißen. Der Wille wird nicht durch Denkprozesse aktiv geformt, sondern aktiv erforscht. Aktiv geformt wird der Entschluss zur Handlung, nachdem man herausgefunden hat, was man will. Das nennen wir dann verkürzt eine willentliche Handlung. Wir wissen, was wir wollen, und wir wissen, was wir tun müssen, um das Gewollte zu erreichen.
Daraus ergibt sich Zurechenbarkeit einer Handlung. Wenn mein Hund den Briefträger beißt, dann war das war kein unausweichliches naturgesetzliches Geschehen, sondern der Hund hat von sich aus, aus eigenem Antrieb, dieses Verhalten gezeigt. Er hätte auch ein anderes Verhalten zeigen können. Insofern war der Hund frei. Und nein, das ist keine Erklärung, sondern nur eine auf bestimmten Annahmen basierende Beschreibung.
Dass wir dem Hund dennoch keine Schuld im moralischen Sinne zuschreiben, hat wohl vor allem damit zu tun, dass ein Hund eben nicht einsichtsfähig ist. Wer kein bewusstes Wissen über sein Tun und die Folgen dieses Tuns hat, dem kann man sein Tun auch nicht moralisch zurechnen (ich schreibe bewusst „Tun“, damit nicht wieder das Argument kommt, dass Handlungen Willensfreiheit voraussetzen.)
Zusammengefasst: Einen Graben zwischen subjektiver und „objektiver“ Erkenntnis gibt es immer dann, wenn das jeweils Erkannte einander widerspricht. Ich erkenne subjektiv, dass die Sonne um die Erde kreist, messe aber objektiv, dass es sich anders verhält. Beides ist für sich genommen wahr. Für mich wandert die Sonne auch dann über den Himmel, wenn ich weiß, dass in Wahrheit die Erde rotiert.
Das durch bloßes praktisches Denken subjektiv Erkannte kann eigentlich nur für das erkennende Subjekt mit Sicherheit wahr sein.
Man merkt es doch auch an der Willensfreiheitsdiskussion. Ganz offensichtlich wird in dieser Frage subjektiv Unterschiedliches erkannt. Oder das Erkannte wird unterschiedlich gedeutet.
Mentale Verursachung /@Ludwig Trepl
»Aber so wie ich es verstanden habe, geht es hier um Erkenntnisse der Naturwissenschaften, die die Philosophie zwingen. Das ist etwas ganz anderes. Das kann immer nur dazu führen, daß die Philosophie sagen muß: Wir haben uns geirrt, wir haben die Grenzen der Philosophie falsch gezogen.«
Mehr wird auch nicht verlangt.
»Damit, wie die Transzendentalphilosophie jeder Art seit eh und je diese Sache thematisiert, hat das nichts zu tun.«
Mag sein. Wenn in der Transzendentalphilosophie keine Aussagen gemacht werden, die naturwissenschaftlichen Erkenntnissen widersprechen, ist ja alles in Ordnung.
Aber an anderer Stelle ist die mentale Verursachung noch nicht vom Tisch. Wie man z. B. letztens in einem Essay von Thomas Buchheim (LMU München) nachlesen konnte (im Tagungsband: HOMO NEUROBIOLOGICUS: DAS MENSCHENBILD DER HIRNFORSCHUNG). Dort wird die Sache mit der mentalen Verursachung noch ernsthaft diskutiert.
»Man setze eine andere Gruppe von Philosophen zusammen und die sagen etwas ganz anderes. «
Ja, das ist ja das Schöne am philosophischen Diskurs.
Entscheidungen bei Mensch und Tier /@Ludwig Trepl
Herr Trepl, Sie schreiben:
»Ich merke immer wieder, daß ich nicht einmal im Ansatz klarmachen konnte, was ich meine. «
Und dann folgen etliche Zeilen mit Aussagen, die überhaupt nicht in Frage gestellt werden. Bis es zu dem hier kommt:
»Der Unterschied zwischen Mensch und Tier besteht für ihn [den Naturwissenschaftler] allerdings dennoch, denn der Naturwissenschaftler ist auch ein Mensch und als solcher weiß er, daß Menschen sich entscheiden können, also nicht ausschließlich determiniert sind durch vorausgehende Ursachen.«
Ja sicher, Menschen treffen Entscheidungen. Aber woher kann der Naturwissenschaftler (als Mensch) mit Sicherheit wissen, dass seinen (vermeintlich) bewusst getroffenen Entscheidungen keine determinierenden Ereignisse vorausgehen, Ereignisse, die außerhalb seiner bewussten Wahrnehmung liegen? Dem Augenschein (bzw. der Intuition) ist bekanntlich nicht zu trauen.
Zustimmung dann aber wieder dazu, dass unsere eigene Biologie der Ausgangspunkt für die gesamte Disziplin der Biologie ist. Die wissenschaftliche Leistung besteht aber in dem Versuch, eine möglichst objektive Position oder Perspektive einzunehmen, so dass die eigene Biologie praktisch keine Rolle mehr spielt.
Zustimmung auch dazu, dass die Biologie nicht erforscht, wie die lebende Natur wirklich ist. Sie erforscht die lebende Natur so, wie sie sich uns zeigt, und zwar mit den Mitteln der Naturwissenschaften. Das ist vielleicht nicht ganz dasselbe wie: »sie erforscht, wie die lebende Natur in naturwissenschaftlicher Perspektive ist.«.
Und ebenfalls Zustimmung dazu, dass die Biologie ihren Gegenstand lebende Natur so weit erkennt, wie ihre Methodologie es zuläßt. Wobei ich aber davon ausgehe, dass es darüber hinaus auch nichts Handfestes von der lebenden Natur zu wissen gibt.
Nochmals zur Entscheidungsfindung: Offenbar gibt es da zwei Ebenen der Betrachtung: Die biologische Ebene, auf der die naturgesetzlichen Prozesse ablaufen, und die philosophische Ebene, auf der das Individuum über seine Entscheidung nachdenkt. Wenn ein Individuum den physiologischen Entscheidungsprozess reflektierend begleiten kann, dann kann diese Entscheidung unter Umständen als „frei“ bezeichnet werden. Und zwar unabhängig davon, dass es auf der biologischen Ebene diese „Freiheit“ nicht geben kann.
Auf der biologischen Ebene gäbe es mit Blick auf Entscheidungsprozesse demnach nur quantitative Unterschiede zwischen Wurm und Mensch. Auf der gedanklichen Ebene aber ist der Unterschied kategorial.
So in etwa?
Entscheidungen Nachtrag /@Ludwig Trepl
Vor vielen Tagen (2. Dezember 2013 12:27) schrieben Sie in Klammern gesetzt:
» (Man muß zwischen der Entscheidungsfähigkeit einer Person und der Entscheidung als einem Ereignis strikt unterscheiden, sonst kommt man in der Willensfreiheitsdiskussion in des Teufels Küche; die Person ist definitionsgemäß entscheidungsfähig, ihr Wille ist frei, und der Streit geht nur darum, ob es Personen überhaupt gibt; die einzelne „Entscheidung“ aber muß in Wirklichkeit gar keine Entscheidung sein, auch bei einer Person nicht, und der Wille kann bei diesem Ereignis unfrei sein.) «
Wenn sich die Frage nach der Willensfreiheit nur bei Personen stellt, sehe ich für mich eigentlich keinen Ansatz für eine Diskussion. Das ist dann ein innerphilosophischer Diskurs, der die Naturwissenschaften überhaupt nicht berührt. Was Sie ja auch nicht müde werden zu betonen.
Ich glaube, in diesem Punkt sind wir uns nun doch einig…
Grenzgängerin @ Balanus
Demnach haben sie Ihren naturwissenschaftlichen Hegemonieanspruch kluger weise an den Nagel gehängt? 😉 So sind wir nun mal oder so ist nun mal alles Sein gestrickt: auf zwei Beinen steht und bewegt es sich besser. 🙂
@Grenzgängerin
Ja, ich bevorzuge es auch, mit beiden Beinen auf dem Boden der Realität zu stehen.
Was die Aufgabe des „Hegemonieanspruchs“ angeht: Ich habe doch immer wieder betont, dass man zwischen abstrakten Entitäten (Gedanken) und konkreten Dingen unterscheiden muss.
„Personen“ sind abstrakte Gebilde, als solche kann ihnen gefahrlos „Willensfreiheit“ zugestanden werden. Das geht dann wohl, wenn ich das richtig verstehe, in Richtung Transzendentalphilosophie, oder ist Teil der praktischen Philosophie. Wie auch immer, wichtig ist, dass das die Naturwissenschaften nicht tangiert.
—
Wo ich schon mal hier bin: Ich habe da noch eine kleine Replik zu einem etwas älteren Kommentar in der Röhre:
»…sich dem Glauben öffnen…«, haben Sie weiter oben geschrieben.
Das ist schön gesagt. Ich liebe solche Formulierungen. Da geht einem doch glatt das Herz auf. Man fühlt sich an Blüten erinnert, die sich der Sonne öffnen.
Aber wie es so geht, nachdem mir bezüglich des Glaubens die Augen geöffnet wurden, richtete sich meine Offenheit mehr auf andere, profane Dinge. Jetzt ist mein Glaube nicht mehr religiös, sondern säkular. Geht auch. Sogar besser!
»… heißt das, dass für Sie die Frage, dass man glauben soll und was Glaube an Gott an sich bedeutet, geklärt ist?«
Nun, dass man immer irgendetwas glauben muss, das habe ich für mich geklärt, denke ich. Einiges lege ich unter „Wissen“ ab, anderes unter „Meinen“, und wieder anderes unter „Glauben“ (immer unter Irrtumsvorbehalt). Zu dem, „was Glaube an Gott an sich bedeutet“, habe ich eine Meinung. Die hier auszuführen, würde aber den Rahmen sprengen.
Ludwig Trepl schrieb kürzlich etwas zu Theologen, die sich auf „die Schrift“ berufen:
»Das sind gewöhnlich hochgebildete und kluge Leute, vom allgemeinen intellektuellen Niveau einem typischen Naturwissenschaftler weit überlegen. Aber sie haben ein systematisches Defizit: Warum es von Bedeutung für die Wahrheit von etwas sein soll, daß es in „der Schrift“ steht, können sie nicht sagen.«
Den Grund für dieses „systematische Defizit“ vermute ich im religiösen Glauben. Dort, wo der typische Naturwissenschaftler eine Leerstelle im Gehirn hat, da hat dieser Theologen-Typus den Glauben. Und der lässt sich nicht so einfach wegdiskutieren, zumindest nicht durch folgerichtiges, logisches, vernünftiges Denken. Denn klug sind sie ja, diese Theologen.
In diesem Sinne, auch Ihnen schon mal schöne Feiertage.
@ Balanus
»Das sind gewöhnlich hochgebildete und kluge Leute, vom allgemeinen intellektuellen Niveau einem typischen Naturwissenschaftler weit überlegen. Aber sie haben ein systematisches Defizit: Warum es von Bedeutung für die Wahrheit von etwas sein soll, daß es in „der Schrift“ steht, können sie nicht sagen.«
Hm.. demnach müsste ich ja klüger sein, als diese ” hochgebildeten und klugen” Theologen, die nicht sagen können, “warum es von Bedeutung für die Wahrheit von etwas sein soll, daß es in „der Schrift“ steht ….;-)
Aber da gibt’ s ja diesen tröstlichen Satz Jesu: “Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du all das den Weisen und Klugen verborgen, den Unmündigen aber offenbart hast.(Lk 10,21)
…weil sie nicht nur ihr Verstandeshirn befragen und benutzen.
…da fällt mir gerade ein, was ich Sie schon mehrfach fragen wollte, vielleicht auch schon mal gefragt habe: Sie schrieben die Tage wieder wie schon öfter sinngemäß, Intuition sei identich mit dem Augenschein. Wieso denn das? Mit unserem Verstandeshirn erfassen wir den Augenschein, aber doch nicht mit der Intuition. Die bleibt eben gerade nicht am Augenschein hängen, arbeitet auf anderer Ebene wie unsere kleinen Grauen und greift viel tiefer, ‘weiß’ viel mehr. Unser Problem ist, das, was sie ‘weiß’, ins Verstandeshirn zu hieven, richtig zu ‘übersetzen’. … 🙂
bis demnächst
Von Ludwig Trepl @Grenzgängerin.
“Hm.. demnach müsste ich ja klüger sein, als diese ‚hochgebildeten und klugen’ Theologen, die nicht sagen können, ‚warum es von Bedeutung für die Wahrheit von etwas sein soll, daß es in „der Schrift“ steht ….;-)“
Soll das etwa heißen, daß Sie wissen, warum es von Bedeutung für die Wahrheit von etwas sein soll, daß es in „der Schrift“ steht? Dann hätten Sie aber eine Entdeckung gemacht, gegen die alle bisher von der Menschheit gemachten verblassen. Wäre das nicht ein bißchen vermessen?
„… dieses “nennen wir sie Gott” haben Sie vielleicht etwas unbedacht dahin gesetzt, oder?“
Neinein, das war schon überlegt. Den christlichen Gott kann man natürlich diese den Willen bestimmende Instanz nicht nennen (auch wenn man den christlichen Gott in mancher Hinsicht durchaus eine Instanz nennen kann, sogar in dem alltäglichen Sinn: nach dem Bundesgerichtshof kommt nur noch das jüngste Gericht; eine höhere Instanz gibt es nicht). Der christliche Gott ist nicht zu denken als einer, der den Menschen den freien Willen nimmt, im Gegenteil, er ist geradezu auf diesen freien Willen angewiesen.
@ Ludwig Trepl
“Soll das etwa heißen, daß Sie wissen, warum es von Bedeutung für die Wahrheit von etwas sein soll, daß es in „der Schrift“ steht? “
Ich habe mich gewundert, dass Sie diese Frage als systematisches Defizit der Theologen bezeichnen, dass es überhaupt für Sie eine Frage ist. Und jetzt schreiben Sie: “Dann hätten Sie aber eine Entdeckung gemacht, gegen die alle bisher von der Menschheit gemachten verblassen. “
Für mich war schon immer klar, warum das so ist. Aber vielleicht gibt es ein Missverständnis mit Ihrer Formulierung.
Ich verstehe Ihren Satz so: ” Die Theologen können nicht sagen, warum es von Bedeutung für die Wahrheit von etwas sein soll, daß sie von Gott offenbart wurde.” Das verstehe ich hinter Ihren Worten: “dass es in der Schrift steht.”
Und das impliziert natürlich, dass man diese Gottesoffenbarung aus der Schrift richtig ‘extrahieren’ muss. Nicht umsonst findet in der kath.Kirche Sonntag für Sonntag im Verlauf des liturgischen Kirchenjahres im Gottesdienst Schriftauslegung statt, um im Lauschen auf den Heiligen Geist altes und neues Gottesverständnis aus der Schrift hevorzuholen. Für mich ist jedenfalls klar und war schon immer klar, dass wir ohne Hilfestellung vom ‘anderen Ufer’,also von Gott und seiner, der Menschheit gegebenen Offenbarung, die Wahrheit unseres Lebens nicht finden könnten. Für den grunsätzlichen Start unsererseits in die richtige Richtung war und ist Gottes richtungweisende Hilfestellung unerlässlich. Wir sind diesbezüglich tatsächlich wie Kinder, die noch viel lernen müssen, …was so mancher schlaue Wisenschaftler gerne vergisst.
Dass wir heute hier so schön frei und mit wachsender wissenschaftlicher Grundlage diskutieren können ist ja letztlich auch eine Frucht dieser Offenbarung.
Denn es steht geschrieben.
Von Ludwig Trepl, @Grenzgängerin.
„Ich habe mich gewundert, dass Sie diese Frage [warum es von Bedeutung für die Wahrheit von etwas sein soll, daß es in ‚der Schrift’ steht] als systematisches Defizit der Theologen bezeichnen“
Nicht der Theologen, aber vieler Theologen.
“Ich verstehe Ihren Satz so: ‚Die Theologen können nicht sagen, warum es von Bedeutung für die Wahrheit von etwas sein soll, daß sie von Gott offenbart wurde.’“
Dann verstehen Sie den Satz falsch. Daß „es von Bedeutung für die Wahrheit von etwas [ist], daß sie von Gott offenbart wurde“ ist ein analytischer Satz, eine Tautologie, das kann nicht falsch sein. „Gott“ wird ja (in dem Satz und auch sonst in der Regel) so verstanden, daß bei ihm die Wahrheit ist. Falsch könnte nur sein, daß es Offenbarung gibt, aber wenn es sie gibt, dann ist sie wahr. Ob wir „ohne Hilfestellung vom ‘anderen Ufer’, also von Gott und seiner, der Menschheit gegebenen Offenbarung, die Wahrheit unseres Lebens nicht finden könnten.“ ist eine wichtige Frage, aber eine andere als die, die ich aufgeworfen haben.
Nein, meine Frage war, wieso denn das, was in „der Schrift“ steht, eine Offenbarung sein soll deshalb, weil es in “der Schrift” steht. Es gibt verschiedene heilige Schriften und in „der“ heiligen Schrift steht viel verschiedenes, auch einander widersprechendes. Was davon und ob überhaupt etwas davon als Offenbarung (angenommen, so etwas gäbe es) gelten kann, ist eine Frage, die trivialerweise nicht dadurch beantwortet werden kann, daß es eben „in der Schrift“ steht.
Das hat ein Teil der christlichen Theologie (weniger allerdings der katholischen als der reformatorischen) schon lange als Problem erkannt und den Schluß gezogen, „dass man diese Gottesoffenbarung aus der Schrift richtig ‘extrahieren’ muss“. Gegen das „richtig extrahieren“ ist nichts zu sagen, das ist vernünftig, aber es gibt keinen Grund, weshalb man sie denn unbedingt aus „der Schrift“ extrahieren muß. „Richtig extrahieren“ heißt ja nichts anderes, als daß man durch Nachdenken herausfinden muß, was an dem Geschriebenen wahr („Offenbarung“) ist, und das kann ich aus einem Grimm’schen Märchen ebenso wie aus der Apostelgeschichte, und auch ganz ohne Bezug auf irgendwelche Texte, ob religiöse oder profane.
Der (alte) Katholizismus hatte etwas davon begriffen, indem er sich um „die Schrift“ praktisch gar nicht scherte und die „Tradition“ (also das Nachdenken der Menschen früherer Zeiten) an die erste Stelle setzte. Die Berufung der Reformation auf die Wahrheit, die damals gar nicht anders vorgestellt werden konnte denn als das, was in „der Schrift“ steht, wenn man sie nicht in der Tradition (d. h. in dem, was die Mächtigen gelten lassen) sehen will, hat dem den Boden entzogen und, nachdem unleugbar geworden war, daß in „der Schrift“ Widersprüchliches steht und historisch Bedingtes, das skizzierte Dilemma erzeugt. Wer heute als festen Grund „es steht geschrieben“ behauptet, kann mit niemandem mehr diskutieren, schließt sich aus jeder Diskussion aus, ist Fundamentalist, wenn’s gut geht ein harmloser wie die Hutterer, wenn’s nicht so gut geht ein Bombenleger. Das ist dann dem Zufall überlassen.
Dabei kann man die Sache ganz einfach umdrehen: „Die Schrift“ kann einem heilig sein, weil darin (neben allerlei Falschem) die großen Wahrheiten stehen. Man kann ja z. B. der Meinung sein, daß die Aussage (ob man das nun für eine göttliche Offenbarung, d. h. eine „Botschaft“, hält oder für eine menschliche Erkenntnis, ist eine andere Frage), daß wir erlöst sind von unseren Sünden, die höchste überhaupt mögliche Wahrheit ist, und die steht nun einmal im Neuen Testament. Aber ganz unmöglich ist es, die Wahrheit dieser Botschaft damit zu begründen, daß sie im Neuen Testament steht. Soweit ich das mitbekommen habe, tun das ja heutige christliche Theologen in zivilisierten Ländern in der Regel nicht mehr oder nur unter so vielen Windungen, daß man am Ende gar nicht mehr weiß, was sie denn eigentlich meinen, sondern nur noch Prediger vorwiegend aus dem Bible Belt, wo die Aufklärung nicht hingekommen ist, oder von dort Ausgesandte bzw. Geistesverwandte.
vernünftiger und unvernünftiger Glaube.
Von Ludwig Trepl, @Balanus.
“Den Grund für dieses ‚systematische Defizit’ [‚Warum es von Bedeutung für die Wahrheit von etwas sein soll, daß es in „der Schrift“ steht’] vermute ich im religiösen Glauben. Dort, wo der typische Naturwissenschaftler eine Leerstelle im Gehirn hat, da hat dieser Theologen-Typus den Glauben. Und der lässt sich nicht so einfach wegdiskutieren, zumindest nicht durch folgerichtiges, logisches, vernünftiges Denken.“
Das finde ich unbefriedigend. Der religiöse Glaube verlangt so einen Schriftglauben nicht. Es war etwas sehr Spezifisches, typisch für eine bestimmte Epoche, daß man Geschriebenem eine besondere Dignität zuerkannte, und es war nicht spezifisch für Religiöses. Eine naturwissenschaftliche Behauptung war wahr, wenn sie bei Aristoteles stand, dagegen kam Beobachtung nicht an. Darüber ist viel geschrieben worden, ich habe auch einiges dazu gelesen, weiß aber nicht mehr wo, vielleicht bei Blumenberg.
Einen Glauben, der kein Schriftglaube ist und sich nicht wegdiskutieren läßt, gibt es freilich auch, in vernünftiger und unvernünftiger Version.
Die letztere Version beruft sich beispielsweise auf Erleuchtung, auf ein ganz subjektives Erlebnis. Dem kann man natürlich nichts Zwingendes entgegenhalten. Er hat’s halt erlebt. Daß seine Deutung den Glauben ausmacht und nicht das Erlebnis selbst (das sich vielleicht ganz natürlich-psychologisch erklärt), überzeugt ihn vielleicht, muß aber nicht.
Die vernünftige Version darf sich nicht auf Empirisches beziehen (sonst wäre sie der Widerlegung im Fortgang der Forschung zugänglich) und auch nicht auf unbezweifelbares Nicht-Empirisches (denn da ist kein Glaube nötig, sondern da hat man Wissen). Es muß um nicht eindeutig entscheidbares Nicht-Empirisches gehen, und zwar von der Art, daß es möglich ist, einen vernünftigen Grund des Glaubens zu nennen, aber nicht in der Art, daß man damit einen anderen zwingen könnte, diesen Glauben anzunehmen (dann handelte es sich um Wissen). Ein Beispiel ist die Frage nach einem Sinn der Welt.
Abstrakt und konkret.
Von Ludwig Trepl, @Balanus.
„’Personen’ sind abstrakte Gebilde, als solche kann ihnen gefahrlos ‚Willensfreiheit’ zugestanden werden. … Wie auch immer, wichtig ist, dass das die Naturwissenschaften nicht tangiert.“
Der zweite Satz stimmt. Dann sollten die Naturwissenschaftler und Naturalisten in dieser Diskussion aber endlich still sein.
Der erste Satz ist diskussionsbedürftig. Das Begriffspaar konkret-abstrakt trifft nicht das, worum es hier geht. Das, was man „konkret“ nennt, verdankt sich den Konstitutionsleistungen des Betrachters, so etwas wie „Person“ aber nicht, dieser Begriff gehört vielmehr auf die Seite des das Konkrete Konstituierenden (weshalb man einst das „Konkrete“ als bloß „phänomenales Sein“ dem „substantiellen Sein“ gegenübergestellt hat). Zwar meint man mit dem, was man etwas Konkretes nennt, etwas, das unabhängig von uns existiert, aber begreifen kann man es immer nur als vom Subjekt Konstituiertes, als „Gegenstand“ des Subjekts, das dieses durch seine Abstraktions- und Syntheseleistungen sich „gegenüberstellt“ bzw. „konkretisiert“.
Ich habe den Eindruck, Sie wollen sagen: „Person“ ist etwas, was nur im Denken der Menschen über das existiert, was „wirklich“ existiert. Und da kann man sich ja alles mögliche ausdenken, z. B. „Ideen“, die als solche definitionsgemäß keine empirische Verwirklichung haben können, und eben auch „Personen“.
Es gibt in der Tat leere Begriffe, leere Ideen, denen nichts Reales entspricht und entsprechen kann (man kann sich beliebig viele einfallen lassen). Es gibt aber auch solche, bei denen das nicht der Fall ist. „Person“ ist keine leere Idee, wie jeder Mensch weiß. Sie ist praktisch etwas höchst Reales, für einen selbst sozusagen das Realste überhaupt. Die Person – nicht das Lebewesen – ist verantwortlich für ihre Taten. Und man steht ja der Welt nicht nur als Erkennender gegenüber, sondern man steht auch in jedem Augenblick seines wachen Lebens als Handelnde in ihr. Die Person ist etwas Reales in der Wirklichkeit, welche eben nicht nur „phänomenales“ Sein ist. In der phänomenalen Wirklichkeit dagegen wird von ihr abstrahiert.
Sie ist eine abstrakte Wirklichkeit, man kommt auf sie nur, wenn man von dem abstrahiert, was wesentlich das Leben (nicht – vielleicht nicht nur – das natürliche, sondern das kulturelle, gesellschaftliche usw. Leben) ausmacht. Der als natürlicher Mechanismus oder als reizgesteuertes Tier betrachtete Mensch ist eine hochgradige Abstraktion.
Grenzgängerin @Balanus
Jetzt antworte ich doch noch mal vor den Feiertagen….was sein muss, muss sein …;-)
“Ja, ich bevorzuge es auch, mit beiden Beinen auf dem Boden der Realität zu stehen.”
Das glaube ich Ihnen gerne, was den konkreten Alltag betrifft. Aber in Ihrer wissenschaftlichen Theorie werde ich den Eindruck nicht los, dass Sie auf einem Bein hinken und zwar unbedingt hinken wollen. Vielleicht kontraargumentieren Sie das ja mit Absicht, um irgendetwas zu testen….wovon ich nichts halte. Eine solche Testsituation ist NIE die originale.
“Was die Aufgabe des „Hegemonieanspruchs“ angeht: Ich habe doch immer wieder betont, dass man zwischen abstrakten Entitäten (Gedanken) und konkreten Dingen unterscheiden muss.”
Die Unterscheidung alleine genügt ja doch nicht, so wichtig es auch ist, im Sinne von Herrn Trepl den Graben zu kennen. Das rechte Zusammenwirken der beiden ist aber entscheidend. Die bloße Unterscheidung kann sehr wohl auch ein verdeckter Ausdruck eines naturwissenschaftlichen Hegemonieanspruchs sein. Eben dergestalt, dass man zunächst schon mal trennt, um dann doch ganz fallen lassen zu können. Das geht hier aber nicht. Mann und Frau z.B. können auch nur dann eine vernünftige Beziehung auf Dauer liebend durchhalten, wenn sie ihre grundsätzliche Andersartigkeit kennen und erkennen und anerkennen. Wenn sie dann aber kein konkretes Miteinander pflegen, wird das auch nichts nützen.
“„Personen“ sind abstrakte Gebilde, als solche kann ihnen gefahrlos „Willensfreiheit“ zugestanden werden. “
Hm…, also diese Formulierung: “gefahrlos”….! Betrachten Sie die Willensfreiheit als Gefahr für die naturalistische Sicht??? Haben Sie da Berührungsängste? In der Diskussion offenbar nicht, aber die kann man ja wie Teflon nehmen.
” Wie auch immer, wichtig ist, dass das die Naturwissenschaften nicht tangiert.”
Ich meine da haben Sie auch Herrn Trepl nicht ganz verstanden. “Nicht tangiert” ist eigentlich völlig falsch. Denn es tangiert ja doch, aber eben angesichts absoluter Andersartigkeit. Die gilt es zu sehen und zu akzeptieren. Der Mensch gewöhnt sich natürlich an alles, auch ans ewige Hinken. 😉
________
“Aber wie es so geht, nachdem mir bezüglich des Glaubens die Augen geöffnet wurden,… “
Sie schrieben mal, Sie seien im Katholischen aufgewachsen und hätten als Kind alles wortwörtlich geglaubt. Demnach hatten Sie keine gute katechetische Hilfe, wenn Sie Ihren Glauben erst ab dem vermeintlichen Augenöffnen den profanen Dingen zuwandten und den Eindruck hatten, dass dieser Glaube besser geht. Natürlich geht der besser, denn dem soll der christliche Glaube sich ja zuwenden. Der Glaube – wie ich ihn meine – verwandelt alles Profane/Materielle in seine ursprüngliche Ganzheit von Materie UND Geist.
“….richtete sich meine Offenheit mehr auf andere, profane Dinge. Jetzt ist mein Glaube nicht mehr religiös, sondern säkular. “
Glaube ist für mich weder religiös noch säkular, er ist eine Aktivität von Geist, Seele und Verstand, die uns -alle ausnahmslos – mit dem ‘anderen Ufer’ verbindet, uns “der Sonne öffnet”.
” Zu dem, „was Glaube an Gott an sich bedeutet“, habe ich eine Meinung. Die hier auszuführen, würde aber den Rahmen sprengen.”
dafür gibt’s dann ja gelegentlich meinen neuen ‘Rahmen’ (Blog) 🙂
“Den Grund für dieses „systematische Defizit“ vermute ich im religiösen Glauben. Dort, wo der typische Naturwissenschaftler eine Leerstelle im Gehirn hat, da hat dieser Theologen-Typus den Glauben. Und der lässt sich nicht so einfach wegdiskutieren, zumindest nicht durch folgerichtiges, logisches, vernünftiges Denken. Denn klug sind sie ja, diese Theologen.”
Er lässt sich so wenig wegdiskutieren wie ein Baum in der Landschaft! 🙂
Weshalb “der typische Naturwissenschaftler [auch k]eine Leerstelle im Gehirn hat,” Da ist etwas Reales, was er mit aktuellen Methoden halt nicht fassen kann. Den Rest sollte man offen lassen. Der Versuch weg zu diskutieren bringt nur blutige Nasen und mehr, sagt an, dass da etwas Festes im Wege war.
Man stelle sich einen Pantomimen vor. Ich finde das immer herrlich, wie die das schaffen, dass man anhand der Optik der Muskeln, die Mauer spürt, die sie unsichtbar berühren oder die Treppe, die sie hochgehen, ohne hoch zu gehen. Der Glaube macht dieses unsichtbare Reale ähnlich sichtbar.
…von selber kommt halt nix. Da kann man noch soviel diskutieren.
Von Ludwig Trepl, @Balanus.
„Aber woher kann der Naturwissenschaftler (als Mensch) mit Sicherheit wissen, dass seinen (vermeintlich) bewusst getroffenen Entscheidungen keine determinierenden Ereignisse vorausgehen, Ereignisse, die außerhalb seiner bewussten Wahrnehmung liegen? Dem Augenschein (bzw. der Intuition) ist bekanntlich nicht zu trauen.“
Daß er sie bewußt getroffen hat, weiß er selbstverständlich, er war ja bei Bewußrtsein, nur daß es Entscheidungen waren, wird von Naturalisten bestritten.
Woher kann er, der Naturwissenschaftler, es wissen? Es kann es nicht wissen. So wie jemand in die Naturwissenschaft wechselt, kann er das nicht wissen nicht einmal danach fragen. Kant würde wohl sogar sagen (ich würde, jedenfalls im Moment, nicht so weit gehen): Er kann wissen, daß ihr, der Entscheidung, von der er nicht als Naturwissenschaftler, sondern „als Mensch“ – als jemand, für den die Philosophie zwei Teile, nämlich einen theoretischen und einen praktischen, hat – weiß, determinierende Ereignisse vorausgehen, denn die phänomenale Welt ist durchgängig ein streng kausaler Zusammenhang. Dies nicht, weil uns das die Erfahrung lehrt, sondern weil wir das a priori in die empirische Welt hineinlegen. Es ist also ein viel sichereres Wissen als alles Erfahrungswissen (wenn auch kein Wissen über die Welt an sich).
Aber wir wissen eben auch mit völliger Sicherheit, daß Handlungen uns zuzurechnen sind, daß wir verantwortlich sind für sie bzw. doch für den willentlichen Entschluß, sie auszuführen. Niemand kann das leugnen. Man muß sich nur eine Extremsituation vorstellen, eine schwere Schuld, die man auf sich geladen hat. Es ist vollkommen klar, daß es nicht wahr, sondern verlogen ist, wenn man sagt „ich war’s ja nicht, sondern determinierende Ereignisse haben mich dazu gezwungen, das zu wollen“. In der Ordnung des Denkens, in der man sich gerade befindet, ist das eine Lüge, auch wenn es naturwissenschaftlich zutreffend sein sollte. Wer zurecht diesen Satz sagt, erklärt sich für unzurechnungsfähig (was er, wenn ich recht sehe, bezogen auf sich selbst gar nicht kann).
Ich will im Grunde die ganze Zeit auf Folgendes hinaus: Die Teilnehmer an der Diskussion um die Willensfreiheit bemühen sich meist darum, dahinter zu kommen, wie denn das, was man in einer empirischen Wissenschaft herausbekommt (oder bereits von Anfang an in die deren Erkenntnis hineinsteckt), mit dem zusammen bestehen kann, was man im praktischen Denken (d. h. in dem auf die Willensbestimmung und das Sollen, unter dem sie steht, gerichteten Denken) über sich weiß. Naturalisten kommen dann dahin, daß die Wilensfreiheit Illusion ist, die anderen meinen, je nach dem, daß Determinismus und Freiheit gar nicht unverträglich sind oder daß der Determinismus falsch ist.
Ich dagegen möchte die radikale Verschiedenheit, die völlige Unvereinbarkeit der beiden Arten von Erkenntnissen betonen, die aber beide unabweisbar Erkenntnisse sind. In keiner Naturwissenschaft oder überhaupt empirischen Wissenschaft kann es eine „erste Ursache“ geben, der man etwas zuschreiben muß derart, daß alle Beeinflussung, alle Determination, die man im empirischen Wissen erkennen kann, dafür völlig irrelevant ist, daß, sozusagen (denn es ist eine metaphorische Rede) hier etwas völlig von Neuem beginnt. Und andererseits läßt sich in der „praktischen Philosophie“ das einfach nicht finden, was jemandem die Verantwortung für seine Tat wegnimmt, auch wenn man bei Wechsel in die „theoretische Philosophie“ noch so viele determinierende Einflüsse finden mag: Solange man diesen Menschen als „zurechnungsfähig“, also in seinem Verhalten nicht als bloße Natur, sondern eben als Menschen betrachtet, bleibt dennoch unumstößlich bestehen: Das hätte er, bei aller Determination, nicht tun sollen. Das ist wahr, nicht Illusion.
Diesen Graben muß man erst einmal sehen, bevor man sich über Möglichkeiten, eine Brücke zu bauen oder ihn wegzudenken („Illusion“) Gedanken macht. Und ich vermute erst mal, daß sich eine Brücke nicht bauen läßt (so sehr immer schon die Brücke insofern da ist, als der freie Wille seine Wirkung in der Objektwelt tun soll, aber das ist Teil des Problems, nicht seine Auflösung). Das Wegdenken aber gelingt nicht, weil kein Mensch nur Naturwissenschaftler ist, sondern halt auch als Mensch in praktischen Zusammenhängen steht, weil er in jedem Augenblick seines wachen Daseins wollen und handeln muß und er gegen dieses Wissen nichts machen kann.
Ludwig Trepl: “Bei Systemtheoretikern habe ich gelesen, daß man in unlösbare logische Widersprüche gerät, wenn man bezüglich eines selbstreferentiellen Systems die Innen- und die Außenperspektive gleichzeitig einnehmen will.”
Es ist ja offenbar unmöglich, dass sich ein Subjekt von der “Illusion” eines freien Willens befreien kann, weil ihn die Naturwissenschaft darüber aufgeklärt hat, dass dieser “freie Wille” eine Illusion sei. Falls tatsächlich eine Trennung zwischen Bewusstsein und “Willen” (der Person, aber eben nicht des Bewusstseins) auftreten sollte, würde das Bewusstsein dies möglicherweise als “Fremdsteuerung” erfahren, diese Person würde von anderen vernutlich als psychisch kank wahrgenommen werden.
@Balanus
»Sicher, wir können nicht ausschließen, dass es uns nur so erscheint, als suche der Hund ein gutes Versteck. Vielleicht bewegt er sich durch den Garten auf die gleiche Weise wie z. B. ein vollautomatischer Staubsauger durch die Wohnung.«
Wenn uns die Vernunft dazu verführen sollte, den Unterschied zwischen einem Hund und einem Robovac zu bestreiten, dann hätten wir etwas falsch gemacht.
“Er nennt’s Vernunft und braucht’s allein, nur tierischer als jedes Tier zu sein.”
Siehe auch hier: “… sind eben alles Menschen” (Rezension).
Siehe auch hier: “… sind eben alles Menschen” (Rezension).
Wenn die Tagungsteilnehmer wirklich all das von sich gegeben haben, was der Rezensent ihnen zuschreibt, dann gute Nacht.
Da schreiben Leute über Dinge, von denen sie nicht die geringste Ahnung haben. Aber weil sie Wissenschaftler sind, dürfen sie das. Der Hausmeister ihres Instituts hätte es garantiert nicht schlechter gekonnt, aber er ist halt kein Wissenschaftler und man hätte bei ihm nicht hinschreiben können: “Die Frage X aus der Sicht der Y-logie”. Das schreibt man, auch wenn die Y-logie gar keine Sicht auf die Frage X haben kann.
@Ludwig Trepl /13. Dezember 2013 11:59
»Wenn ein Tier auf einen Nahrungsreiz hin eine Bewegung zur Quelle des Reizes hin ausführt, dann sagt man in der Biologie zwar im allgemeinen dazu „Verhalten“, aber auch halb-umgangssprachlich: es „tut“ etwas, auch wenn nicht mitgedacht ist, daß das Tier auch anders könnte, vielmehr gedacht ist, daß diese Bewegung naturgesetzlich unausweichlich ist. «
Es ist mir schlechterdings unmöglich, mir bei einem Tier (wenn’s nicht gerade ein Schwamm ist) naturgesetzlich unausweichliches Verhalten vorzustellen. Ein Tier kann sich frei (!) in seiner Umgebung bewegen, die Situationen, in die es dabei geraten kann, und auf die es adäquat reagieren muss, sind schier unzählbar. Da kann es gar nicht für jede Situation ein fest verdrahtetes Programm geben, das dann automatisch und unausweichlich abgearbeitet wird.
»…gemeint ist jedenfalls eine „Instanz“, also nicht etwas, das einfach nur Resultat kausaler Prozesse ist, die wiederum Resultat kausaler Prozesse sind usw. (so daß die Zurechnung sich im Unendlichen verliert), sondern eine, die sich ganz von sich aus, also „selbst“ ein „Ziel“ setzt, …«
Bis zu dieser Stelle kann ich das Gesagte noch gut nachvollziehen (auch wenn ich da einiges anders sehe). Was dann folgt verstehe ich nicht so recht:
»…d. h. etwas, das nicht ein physisches Objekt ist, sondern eine Vorstellung eines Objekts, und die unter der Maßgabe dieses Ziels „wählt“, so wie sie das Ziel „gewählt“ hat und also auch anders hätte wählen können. «
Egal, wie man sich diese „Instanz“ denkt, sie muss von irgendwoher „Informationen“ erhalten, diese „verarbeiten“, und daraus dann ein Verhalten oder eine Handlung „generieren“, um ein „Ziel“ zu erreichen. Was die Zurechenbarkeit betrifft, da kann es nicht darauf ankommen, dass die „Instanz“ unabhängig von Wirk- oder Einflussgrößen sich „selbst“, also quasi aus dem Nichts heraus, als unbewegter Beweger, ein „Ziel“ setzt. So etwas ist schlicht nicht denkbar. Nicht einmal Geert Keil vertritt so eine Auffassung (wenn ich ihn denn richtig verstanden habe).
Was mir in im Zusammenhang mit tierischen Entscheidungen in den Sinn kommt, ist der Prozess, der bei einem Bienenvolk über die „Wahl“ eines neuen Nistplatzes entscheidet. Hier ist die entscheidende „Instanz“ ebenso wenig ein physisches Objekt, wie die „Instanz“, die bei einer Wahl über eine neue Regierung entscheidet.
Insekten mit ihrem winzigen Gehirn können als der Inbegriff für rein naturgesetzlich ablaufende Naturprozesse gelten. Sie scheinen mir ein gutes Modell für die ebenfalls rein naturgesetzlich ablaufenden Hirnprozesse zu sein. Hier wie dort schafft es „die Natur“ offenbar, aus verschiedenen Verhaltens- oder Handlungsoptionen eine, die vermeintlich beste, auszuwählen, wobei die „Entscheidungsinstanz“ als solche kein physisch fassbares Objekt ist.
»Wenn Sie meinen, die Naturwissenschaft könnte dergleichen [nichtphysische Entscheidungs“instanzen“] doch kennen,… dann sollten Sie dazusagen, daß Sie mit „Naturwissenschaft“ etwas radikal anderes meinen als man die letzten Jahrhunderte über damit gemeint hat … «
Ich würde eben nicht von einer „Instanz“ sprechen. Aber dass z. B. in einem Bienenvolk durch das Zusammenwirken seiner Teile so etwas wie eine Entscheidung für einen bestimmten neuen Nistplatz getroffen wird, ist doch offensichtlich. Das Volk als Ganzes besitzt (wie das Gehirn) eine Systemeigenschaft (das Vermögen, entscheiden zu können), die der einzelnen Biene (dem einzelnen Neuron) so nicht zukommt.
Unbewegter Beweger
Von Ludwig Trepl, @ Balanus.
“Was die Zurechenbarkeit betrifft, da kann es nicht darauf ankommen, dass die „Instanz“ unabhängig von Wirk- oder Einflussgrößen sich „selbst“, also quasi aus dem Nichts heraus, als unbewegter Beweger, ein „Ziel“ setzt. So etwas ist schlicht nicht denkbar. Nicht einmal Geert Keil vertritt so eine Auffassung“.
Da will ich jetzt ein bißchen länger drüber nachdenken. „Denkbar“ ist es schon; es wurde ja auch von überaus klugen Leuten gedacht. Ob es ein guter Gedanke ist, wird wohl davon abhängen, wie es genau gemeint ist.
Geert Keil kritisiert die Vorstellung der „Akteurskausalität“, eine der wichtigen Theorien in der einschlägigen Diskussion (Chisholm). Nicht ein Ereignis, sondern ein Akteur (eine Person) sei die Ursache einer Handlung. Keil führt dagegen das „Datiertheitsproblem“ an: „Als beharrende Substanzen überdauern Personen ihre Handlungen, und deshalb kann die Nennung der Person nicht die Frage beantworten, warum jetzt eine Handlung stattfindet. Also können Personen nicht im Wortsinne Ursachen von etwas sein.“ (S. 98, Willensfreiheitsbuch). Eng verbunden damit ist das sog. Ursprungsmodell; der Akteur sei die erste Quelle seiner Handlung. Kritik: „Wenn anläßlich jeder Handlung eine neue Kausalkette beginnt, scheinen Kräfte und Energien aus dem Nichts zu entstehen, und das würde die physikalischen Erhaltungssätze wie auch das allgemeine Kausalprinzip verletzten.“ (99)
Das erste Problem scheint mir nicht so schwer: Zwar kann nicht die Person als Ursache einer jetzt stattfindenden Handlung, d. h. eines Ereignisses genannt werden anstelle eines Ereignisses, das dieser Handlung vorausging. Aber Handlungen sind (a) immerhin eine Art von Ereignissen, die an Personen gebunden sind, und man kann (b) sinnvolle Sätze formulieren, in denen von der Person als Ursache die Rede ist. Die Nennung der Person ist aber in einem anderen Sinne Ursache als ein Ereignis ohne Beteiligung von Personen, aber auch als das Ereignis „in“ der Person, das die Handlung ist oder sie in Gang setzt.
Dabei scheint es mir falsch, wie Keil nur das eine als „Wortsinn“ von „Ursache“ zu bezeichnen. Vielmehr wird der Begriff Ursache einfach in verschiedenem Sinne gebraucht. Wenn ich sage „ich bin die Ursache dafür, daß die Scheibe kaputt ist“, dann meine ich, daß ich in mir ein Ereignis verursacht habe, das ein anderes Ereignis (Zerbrechen der Scheibe) verursacht hat. Die eine Ursache (das das Zerbrechen verursachende Ereignis, die Entscheidung) ist vorbei, die andere (ich) nicht. Die eine Ursache, das Ereignis, ist ein raumzeitliches Phänomen (ob ein „mentales“ oder ein „physisches“, ist hier egal), die andere nicht; ich bin als ebenderselbe immer noch da, obwohl das Ereignis längst vorbei ist. Und wenn ich ein solches Ereignis (Entscheidung zum Zerbrechen der Scheibe) noch einmal verursache, dann ist es exakt dieselbe Ursache, die nun noch einmal wirkt, nämlich ich. Man redet hier also von „Ursache“ in zwei grundverschiedenen Bedeutungen, und auf keine von beiden kann man verzichten.
Das zweite Problem ist das Problem, und ich behaupte von ihm, daß es nicht lösbar ist. Wir können handeln, und handeln können impliziert, auch anders handeln können, impliziert also Freiheit. Wir wissen das, denn wir wissen, daß es an uns liegt, ob wir uns für Bier oder Cola entscheiden. Unter dem Blick auf uns selbst bzw. den Entscheidenden als Objekt ist die entscheidende „Instanz“ selbstverständlich nicht „unabhängig von Wirk- oder Einflussgrößen“, ja, sie ist da gar keine „Instanz“, sondern da wirken halt prinzipiell unendlich viele Kausalursachen nacheinander und gleichzeitig, und ihre Kenntnis erlaubt uns, die „Entscheidung“ mehr oder weniger gut zu prognostizieren und im Nachhinein zu erklären. Und auch aus der Sicht des Subjekts auf sich selbst (oder aus der Sicht auf jemanden als Subjekt) wirken solche „Einflußgrößen“: Es muß z. B. manche unterdrücken, wenn es sich entscheidet. Aber aus dieser Perspektive ist er in anderer Hinsicht eben doch auch einzige Ursache (Ursache in völlig anderer Bedeutung), und alles, was da auf ihn wirkt, ist irrelevant. Entscheidet er sich für Bier und zwar für viel und verursacht einen Unfall, zählt vor Gericht und Gewissen nur, daß er die Entscheidung getroffen hat, und nicht daß z. B. die raffinierte Becks-Reklame auf ihn Einfluß genommen hat. Er hätte auch anders handeln können: das ist jetzt alles, was interessiert.
Wir setzen mit der Entscheidung für Bier eine Kausalkette in Gang, und mit der Entscheidung für Cola würden wir eine andere in Gang setzten; der Kellner würde andere Bewegungen ausführen usw. Wir wissen, daß wir, wir ganz allein, diese Entscheidung treffen können. Ganz egal was vorher abgelaufen ist, es muß mich nicht determinieren. Cola kann mir ganz furchtbar schmecken, ich kann es trotzdem bestellen; der eine Schluck Bier kann mich in die Abhängigkeit zurückführen, die kann für mich das Ende sein und ich kann das wissen, aber trotzdem kann ich mich dafür entscheiden, selbst wenn es nicht die Sucht ist, die mich dazu treibt. Das alles kann ich wissen. Nimmt man gar eine moralische Entscheidung (unbedingtes Sollen), so wird vollends klar, daß nichts, absolut gar nichts die Ursache der Handlung sein kann und soll außer ich selbst in meiner Beziehung zum Sittengesetz.
Aber der Begriff Ursache ist hier offensichtlich in ganz anderem Sinne gemeint als in der Physik bzw. überhaupt bei empirischen Dingen und Abläufen. Der letztere Begriff zeichnet sich gerade dadurch aus, daß keine Ursache eine letzte (bzw. erste) Ursache ist, sondern immer nur die Folge anderer Ursachen. Der im moralischen Zusammenhang gebrauchte Ursachenbegriff zeichnet sich dadurch aus, daß das gerade nicht gilt, denn wenn mich eine Ursache (eine äußere, eine, die nicht „ich“ bin) dazu bringt, mich so oder so zu verhalten, dann ist das nicht meine Tat, sie ist nicht mir zuzurechnen, sondern die Folge immer weiter, bis ins Unendliche zurückreichender Kausalketten. Und wenn es durchgängig so wäre, gäbe es keine Moral (was die Naturalisten ja auch behaupten müssen). Wir reden also in beiden Fällen von „Ursachen“, meinen aber etwas völlig Verschiedenes damit.
Keil schreibt nun (S. 100): „Kant hat die beiden Kausalitätsarten auf zwei Welten verteilt, die empirische und die intelligible; dieser Zug löst das Vermittlungsproblem nicht, sondern lässt es in aller Schärfe hervortreten.“ Das ist richtig (abgesehen davon, daß man „Welten“ in Anführungszeichen setzten muß, um Kants Intention zu treffen). Die Frage ist aber: Gibt es eine Lösung des Vermittlungsproblems? Ist die Suche danach nicht vielleicht genauso von vornherein vergeblich wie die jahrtausendelange Suche nach dem Gottesbeweis? – Kant verteilt ja nicht die Kausalitätsarten auf zwei Welten, sondern wir sehen in dem, was uns als die eine „Welt“ vorkommt – „Welt“, weil sie unter unserem Blick so völlig verschieden ist von der anderen „Welt“, oder besser: weil uns unser einer Blick die Welt, die nur eine ist, so völlig anders aussehen läßt als der andere –, eine Kausalitätsart und in der anderen eine andere Kausalitätsart und wir begreifen nicht, wie das zusammenpaßt. Nicht in der Welt oder zwischen Welten paßt etwas nicht zusammen, sondern in unserem Kopf will’s nicht hell werden.
Bei Systemtheoretikern habe ich gelesen, daß man in unlösbare logische Widersprüche gerät, wenn man bezüglich eines selbstreferentiellen Systems die Innen- und die Außenperspektive gleichzeitig einnehmen will. So richtig verstehe ich nicht, wie das gemeint ist, aber ich ahne: Das ist es, was man versucht, wenn man dieses „Vermittlungsproblem“ lösen will. Es gehört sozusagen zum Wesen des selbstreferentiellen Schlusses von Systemen, daß blinde Flecken entstehen, die sich nicht beseitigen lassen. Das ist natürlich jetzt überaus nebulös. Aber könnte es nicht in diese Richtung gehen?
„Es ist mir schlechterdings unmöglich, mir bei einem Tier (wenn’s nicht gerade ein Schwamm ist) naturgesetzlich unausweichliches Verhalten vorzustellen.“
Ja und nein. Als Naturwissenschaftler stellen Sie sich das immerzu als unausweichlich vor: Sie suchen, wie bei jedem Naturvorgang, nach einem allgemeinen gesetzmäßigen Zusammenhang. Unter der Voraussetzung, daß Gesetz G gilt, wird unter der Bedingung B sich unausweichlich C ergeben. Ergibt sich unter Bedingung B nicht C, dann muß die Gesetzesannahme G falsch gewesen sein. Ist G als gesichert anzunehmen und ergibt sich nicht C, dann kann die Bedingung B nicht gegeben gewesen sein. Es ist immer das gleiche Spiel.
Man zeigt einem Huhn eine Raubvogelattrappe, das Huhn versteckt sich (C). Man macht das 1000 mal, 10.000 mal, es ergibt sich immer das gleiche. Man nimmt dann bis auf weiteres ein allgemeingültiges Gesetz (G) an, das Erklärung und Prognose erlaubt unter bestimmten Bedingungen (B); zu denen gehöre z. B. daß die Attrappe nicht so schnell bewegt wird, daß das Huhn ihr folgen kann. Ergibt sich C nicht, dann nimmt man an, daß die Bedingung B nicht die war, von der man ausging, und die Erklärung ist wieder möglich. Beim nächsten Versuch kann sich aber auch die Gesetzesannahme als falsch herausstellen. Dann nimmt der Naturwissenschaftler aber nicht an, daß es kein Gesetz gibt und das Tier frei entscheidet, sondern daß ein anderes Gesetz gilt, das man suchen muß. – Das ist bei einem fallenden Stein ganz genauso. Das aber liegt nicht daran, daß zwischen Steinen und Tieren kein Unterschied ist, sondern daß die Methodologie der Naturwissenschaft nichts anderes erlaubt; sie erlaubt nicht, Begriffe wie „Freiheit“ und „Entscheidung“ (was Freiheit impliziert) zu verwenden.
Worauf Sie zielen, ist etwas ganz anderes. Wir trennen das Reich des Lebenden von dem des Nicht-Lebenden dadurch, daß wir uns bei bestimmten Phänomenen genötigt sehen, das teleologische Urteil anzuwenden (nicht nur bei beweglichen Tieren, auch bei Schwämmen, auch bei Pflanzen). Dazu gehört, daß wir uns die Lebewesen als Organismen denken, also Gegenständen, in denen jedes Teil Ursache und Folge von Existenz und Tätigkeit eines jeden anderen ist, jedes um der anderen willen da ist und um des Ganzen willen und das Ganze um des Teiles willen, daß nichts „umsonst“ ist, sondern eine „Funktion“ hat. Dazu gehört auch, daß wir das Verhalten der Lebewesen so beurteilen, daß es um ihrer selbst willen geschieht, daß sie etwas „für sich“ „tun“, sich also entsprechend „entscheiden“.
Aber dieses teleologische Urteil, das wir von unserem Wissen über uns selbst (denn nur von uns selbst wissen wir über Verursachung von etwas durch Zielsetzung, also durch etwas, was gar nicht real, sondern als „Idee“, als „Vorstellung“ vor dem Ergebnis existiert) per Analogieschluß hernehmen, konstituiert zwar den Gegenstandsbereich der Biologie, aber es liefert keine Erklärung. Ich hab’s schon mehrmals betont: Kein Biologe akzeptiert das als Erklärung: Das Verhalten ist nicht naturgesetzlich unausweichlich, sondern verdankt sich einer Entscheidung, das Lebewesen ist frei und kann also so oder so, und es wollte nun einmal so und nicht so. Sondern er sucht nach einer kausalen Erklärung dieses vermeintlich (für ihn in seiner Rolle als Naturwissenschaftler vermeintlich und heuristisch so genommenen) freien Verhaltens.
Ich habe das jetzt schon so oft geschrieben, aber ich habe den Eindruck, dieser für die Theorie der modernen Biologie (der Biologie seit ca. 1800) so fundamentale Gedankengang – die Unterscheidung zwischen der gegenstandskonstituierenden und heuristischen Funktion des teleologischen Urteils und dem, was für die Naturwissenschaft eine Erklärung (was also ihre Aufgabe) ist, ist bei Ihnen einfach nicht angekommen.
Sie schreiben „Zustimmung dann aber wieder dazu, dass unsere eigene Biologie der Ausgangspunkt für die gesamte Disziplin der Biologie ist.“
Das stimmt aber nicht: Nicht unsere Biologie ist der Ausgangspunkt. Biologisch sind wir ja auch nur Säugetiere. Sondern das, was an uns nicht Biologie ist, nämlich in diesem Fall daß wir Ideen folgen, uns Ziele setzen und nach ihnen unser Handeln bestimmen, ist der Ausgangspunkt für die gesamte Disziplin der Biologie. Aber das ergibt eben nur eine Heuristik, erklärt wird so nichts.
Tier-Entscheidungsfähigkeit und Flexibilität.
Von Ludwig Trepl, @ Balanus.
“Ein Tier kann sich frei (!) in seiner Umgebung bewegen, die Situationen, in die es dabei geraten kann, und auf die es adäquat reagieren muss, sind schier unzählbar. Da kann es gar nicht für jede Situation ein fest verdrahtetes Programm geben, das dann automatisch und unausweichlich abgearbeitet wird.“
Die Unabzählbarkeit der möglichen Situationen soll die Ursache dafür sein, daß es nicht-unausweichliches, freies Verhalten gibt. Die Komplexität oder zeitliche Variabilität der Umwelt hat aber gar nichts damit zu tun, daß es Freiheit gibt in dem Sinne, daß dadurch auf diese Situationen besser, weil flexibler reagiert werden kann.
In überaus komplexen Situationen wirken automatisch und unausweichlich abgearbeitete Programme. Sie führen dann halt manchmal zu Fehlern (dazu führt eine freie Entscheidung auch oft). Ein Huhn reagiert auf ein über es hinweggezogenes Kreuz, dessen vorderes Ende kürzer ist (eine Raubvogelattrappe), durch Verstecken, und auch wenn man das noch so oft macht, ändert sich das Verhalten des Huhns nicht, es läuft automatisch ab, das Huhn lernt nichts, entscheidet sich nie anders. Manche fischfressende Wasservögel verhungern vor einem Haufen toter Fische, sie reagieren nur auf sich bewegende. Aber auch da, wo das Tier die Situation „prüft“ und sich dann so oder so verhält, je nach dem, was ihm besser „erscheint“, muß das nichts mit einer Entscheidung zu tun haben, sondern kann einfach ein automatisches Reagieren auf den gerade als stärksten Außeneinfluß „erkannten“ Faktor sein.
Auch bei Bakterien, auch bei Pflanzen, auch bei Schwärmen von Tieren oder Insektenstaaten ist das nicht anders. Ob die Situationen einfach sind oder komplex („unabzählbar“), hat nichts mit der Frage der Entscheidung zu tun. In einer extrem komplexen und zeitlich variablen Umwelt kann automatisches („instinktgesteuertes“ sagte man früher) Verhalten funktional sein, und die Umorientierung dann, wenn die Situation sich ändert, muß nichts mit einer Entscheidung zu tun haben. Es kann ein Automatismus sein nach dem Muster: Wenn ein bestimmtes Muster – mit „Raubtier“ identifiziert – näher als x m entfernt ist, wird von „Grasfressen“ auf „Flucht“ umgestellt. Wenn es näher als x m ist, aber der Ernährungszustand unseres Pflanzenfressers schlechter ist als der Wert y, wird die Verhaltensweise „Grasfressen“ beibehalten, aber alle 5 Sekunden durch die Verhaltensweise „Umherblicken“ unterbrochen – das alles ganz automatisch.
Typische r-Strategen (um einmal diese etwas antiquierte Einteilung zu nehmen) leben typischerweise in zeitlich variablen Umwelten, sie müssen in ihrer Populationsdynamik sehr flexibel sei. Typische K-Strategen leben in konstanten Umwelten, sie müssen nicht flexibel sein. Typische r-Strategen sind aber gewöhnlich kleine, eher primitive Lebewesen, denen Sie sicher „Entscheidungsfähigkeit“ weniger zutrauen als den evolutionär eher hochstehenden K-Strategen.
Übrigens: Auch bei Menschen ist das mit der Entscheidungsfreiheit nicht anders als bei Bakterien und Elefanten – wenn wir sie beobachten. Denn die freie Entscheidung läßt sich nicht beobachten, wir kennen sie nur von uns selbst (da aber mit Sicherheit) und übertragen sie per Analogieschluß auf andere. Für das Verhalten eines Menschen in bestimmten Situationen findet man immer Kausalursachen, wenn man danach sucht; von außen, aus der Sicht des Beobachters, ist er nie frei. Und hat man keine Ursachen gefunden, verlangt die naturwissenschaftliche Denkweise zu sagen: Wir haben sie noch nicht gefunden. Das Kausalprinzip als ein regulatives kann man der Naturwissenschaft nicht nehmen. (Es gibt die Sondersituation der Quantenmechanik: Wir werden die Ursache aus empirischen Gründen nie finden.)
Tier-Entscheidungen /@Ludwig Trepl
»Die Komplexität oder zeitliche Variabilität der Umwelt hat aber gar nichts damit zu tun, daß es Freiheit gibt in dem Sinne, daß dadurch auf diese Situationen besser, weil flexibler reagiert werden kann. «
So war das ja auch nicht gemeint. Es ging mir darum, dass es keine Willens- oder Entscheidungs‘freiheit‘ braucht, um durchs Leben zu kommen (Sie bringen einige Beispiele dafür, wie situationsbedingt unterschiedliche Verhaltensmodule abgerufen werden können—ohne bewusst erlebte Entscheidungen). Man schaue sich etwa Tiere an, die in komplexen Sozialverbänden leben. Wir brauchen keine Freiheit (in starkem Sinne) zu unterstellen, um deren Sozialverhalten naturwissenschaftlich erklären zu können. So ist es auch beim Menschen. Da sind wir uns, glaube ich, einig. Willensfreiheit, Handlungen, Personen, und dergleichen, sind abstrakte Entitäten, die naturwissenschaftlich nicht zu fassen sind.
Einschränkung des Gesichtsfeldes /@Ludwig Trepl
»Die Naturwissenschaft nimmt eine „Einschränkung des Gesichtsfeldes“ vor, sonst wäre sie keine.«
Gesichtsfeld impliziert—nach meinem Verständnis—durch Sinne Beobachtbares. Fragen der Moral und Gottesbeweise, nur so als Beispiel, liegen außerhalb eines jeden „Gesichtsfeldes“. Hätten Sie geschrieben, was Sie meinten, nämlich dass die Naturwissenschaften einen (auf die beobachtbare Natur) beschränkten Gegenstandsbereich haben, hätte ich das kommentarlos so stehen lassen.
Aber unser Thema war ja die phänomenale Welt vs. die „Welt an sich“ (genauer: die nichtphysischen Grundlagen des Lebendigen—sofern es so etwas gibt). Und letztere wird eben von keiner Wissenschaft, keiner Philosophie und keiner Theologie „gesehen“. Das war meine Behauptung.
»Aber es wird doch etwas ausgeblendet und darum sieht man halt manches nicht mehr, was es wert wäre, gesehen zu werden, und was der Naturwissenschaftler, insofern er ja auch Mensch ist, nun einmal weiß.«
Alles, was nicht beobachtbare Natur ist, ist selbstredend „ausgeblendet“ und kann nicht Gegenstand der Forschung sein. Das aber ist kein Mangel, wie hier (auch durch @Joker) insinuiert wird, dass das Subjektive soweit als möglich ausgeblendet wird, sondern darin zeigt sich die Überlegenheit der wissenschaftlichen Methode, wenn es um das Verstehen der Naturphänomene geht. Und zu diesen Naturphänomenen gehört für mich klarerweise z. B. auch, wie ein tierischer Organismus Entscheidungen treffen kann.
»Aber wenn sie [die Naturwissenschaftler] anfangen zu philosophieren, d. h. naturalistische Philosophen werden, dann versuchen sie, das Ausgeblendete aus der Welt zu schaffen: Sie erklären es für inexistent, weil sie es sich mit den ihnen erlaubten Mitteln […] nicht erklären können,…«
Da muss man schon genau hinsehen, was im Einzelnen wo existiert und wo nicht. Professionelle naturalistisch orientierte Philosophen wissen meist ziemlich genau, wovon sie reden. Die finden womöglich Kollegen lächerlich, die immer noch Konzepten anhängen, die aufgrund naturwissenschaftlicher Erkenntnisse schon lange zu Grabe getragen wurden.
Von Ludwig Trepl, @ Balanus.
„Gesichtsfeld impliziert—nach meinem Verständnis—durch Sinne Beobachtbares.“
Darum ging es aber weder mir noch den anderen Diskussionsteilnehmern (@Joker, @Grenzgängerin). Der Naturalismus behauptet nicht nur, daß innerhalb des Beobachtbaren die Methoden der Naturwissenschaften anzuwenden sind; da hätte er ja keine Gegner, die Geisterseher zählen nicht. Sondern er behauptet, daß es außerhalb dessen, was den naturwissenschaftlichen Methoden zugänglich ist, nichts zu wissen gibt. „Fragen der Moral und Gottesbeweise, nur so als Beispiel, liegen außerhalb eines jeden ‚Gesichtsfeldes’“ – wenn Sie „Gesichtsfeld“ durch „beobachtbar“ definieren, dann sicher, dann liegt allerdings auch beispielsweise die Logik und die Mathematik außerhalb eines jeden Gesichtsfeldes. Aber so war das in der gesamten Diskussion um den Naturalismus nie gemeint, schon damals bei den logischen Positivisten nicht. Über Fragen der Moral gibt es nun einmal etwas zu wissen, wenn es auch nicht durch Beobachtung zu überprüfen ist. Dieses Wissen will der Naturalismus ausschließen.
„…die „Welt an sich“ (genauer: die nichtphysischen Grundlagen des Lebendigen—sofern es so etwas gibt). Und letztere wird eben von keiner Wissenschaft, keiner Philosophie und keiner Theologie ‚gesehen’. Das war meine Behauptung.“
Dem wird wohl keiner widersprechen. Behauptet wird nur, (a) daß es „nichtphysische Grundlagen“ der Wissenschaft selbst gibt (die man natürlich nicht „sehen“ kann, die darum aber nicht unerkennbar sein müssen), und (b) gibt es halt den Idealismus in seinen verschiedenen Spielarten von Platon bis Schelling, der das Materielle als eine Art unvollkommene Realisation des ihm zugrundeliegenden Geistigen betrachtet. Die Idealisten behaupten aber nicht, daß man das „sehen“ kann, sie behaupten vielmehr, daß man, wenn man sich nur auf das „Sehen“ verläßt, in die Irre geführt wird. Ich glaube nicht, daß Sie oder irgendein anderer Naturalist ein Argument gegen den Idealismus anführen können, das diesen einfach aus dem Feld schlägt (wie Sie wohl glauben).
„Alles, was nicht beobachtbare Natur ist, ist selbstredend ‚ausgeblendet’ und kann nicht Gegenstand der Forschung sein. Das aber ist kein Mangel … dass das Subjektive soweit als möglich ausgeblendet wird, sondern darin zeigt sich die Überlegenheit der wissenschaftlichen Methode, wenn es um das Verstehen der Naturphänomene geht.“
Zustimmung, wenn man statt „Forschung“ „naturwissenschaftliche Forschung“ schreibt und statt „wissenschaftlichen Methode“ „naturwissenschaftliche“. Man sollte aber noch hinzufügen, daß man mit der naturwissenschaftlichen Methode nicht herausbekommen kann, ob das, was herauskommt, tatsächlich ein Wissen ist. Das fällt einfach in eine andere Zuständigkeit, die der Erkenntnistheorie, und die ist keine beobachtende Wissenschaft, sondern sie hat u. a. die beobachtenden Wissenschaften und überhaupt die Beobachtung zu ihren Gegenständen.
“Und zu diesen Naturphänomenen gehört für mich klarerweise z. B. auch, wie ein tierischer Organismus Entscheidungen treffen kann.“
Womit Sie aber das Subjektive gerade nicht ausgeblendet haben. Wenn Sie nicht einfach „Entscheidung“ so definieren, daß es rein gar nichts mehr mit der ursprünglichen Bedeutung dieses Wortes zu tun hat, dann ist Entscheidung nun einmal etwas, was Subjektivität logisch impliziert. Definiert man „Entscheidung“ anders, redet man über etwas ganz anderes und hat sich aus der einschlägigen Diskussion verabschiedet.
„Professionelle naturalistisch orientierte Philosophen wissen meist ziemlich genau, wovon sie reden. Die finden womöglich Kollegen lächerlich, die immer noch Konzepten anhängen, die aufgrund naturwissenschaftlicher Erkenntnisse schon lange zu Grabe getragen wurden.
Ja, die Fachdiskussion ist viel diffiziler als sie von außen erscheint. Viele naturalistische Philosophen wissen schon ziemlich genau, wovon sie reden (nicht alle, Vollmer z. B. nicht, den hab’ ich mal erlebt). Aber sie haben alle ein systematisches Defizite: ihnen fehlt eine Reflexionsstufe. Es ist ähnlich wie bei den Theologen. Um ihnen nicht Unrecht zu tun, nehmen wir einmal nur die, die sich auf „die Schrift“ berufen, wenn nach einer Begründung für die Behauptung gefragt wird, etwas sei wahr: Das sind gewöhnlich hochgebildete und kluge Leute, vom allgemeinen intellektuellen Niveau einem typischen Naturwissenschaftler weit überlegen. Aber sie haben ein systematisches Defizit: Warum es von Bedeutung für die Wahrheit von etwas sein soll, daß es in „der Schrift“ steht, können sie nicht sagen.
Und: was meinen Sie mit den „Konzepten“, „die aufgrund naturwissenschaftlicher Erkenntnisse schon lange zu Grabe getragen wurden“? Mir ist da rein gar nichts bekannt. Nicht einmal gegen Platon und Aristoteles kann man auf Basis naturwissenschaftlicher Erkenntnisse argumentieren. Natürlich haben sie allerlei Meinungen zu naturwissenschaftlichen Fragen gehabt, die überholt sind, aber daß das ihre Philosophie tangiert, das kann ich nicht sehen. Nennen Sie mir doch Beispiele.
@Ludwig Trepl
»Und: was meinen Sie mit den „Konzepten“, „die aufgrund naturwissenschaftlicher Erkenntnisse schon lange zu Grabe getragen wurden“? Mir ist da rein gar nichts bekannt.«
Ok, ich gestehe, das war ein bisschen ein Schuss ins Blaue. Wie wäre es denn mit dem „Vitalismus“? Dieser Idee hängt doch kaum noch einer an, und das hat sicherlich viel mit den Erfolgen der Naturwissenschaften zu tun.
Es gab da mal eine Diskussion zur Frage der Willensfreiheit mit Massimo Pigliucci, Hakwan Lau, Alfred Mele, Jesse Prinz, und Adina Roskies. Einer Punkte, bei dem Übereinstimmung bestand, war:
http://rationallyspeaking.blogspot.de/2011/11/free-will-roundtable.html
Eddy Nahmias schrieb in der NYTimes (November 13, 2011):
http://opinionator.blogs.nytimes.com/2011/11/13/is-neuroscience-the-death-of-free-will/?_r=0
Das sind zwei Beispiele für philosophische Sichtweisen auf den “freien Willen”, in denen, soweit ich das sehe, kein Platz mehr ist für so etwas wie „mentale Verursachung“ (außer im metaphorischen Sinne).
Von Ludwig Trepl, @ Balanus.
„»Und: was meinen Sie mit den „Konzepten“, „die aufgrund naturwissenschaftlicher Erkenntnisse schon lange zu Grabe getragen wurden“? Mir ist da rein gar nichts bekannt.« [Zitat von mir] Ok, ich gestehe, das war ein bisschen ein Schuss ins Blaue.“
In meiner Antwort war auch ein wenig der Wurm drin. Ich hatte im Hinterkopf: Es ist ja gar nicht möglich, daß eine naturwissenschaftliche Erkenntnis die Philosophie zur Beerdigung ihrer „Konzepte“ bringt. Denn mit dem, was empirische Wissenschaften erforschen, befaßt sich die Philosophie definitionsgemäß nicht, die nimmt es nur zur Kenntnis. (Eine naturwissenschaftliche Erkenntnis kann auch die Mathematik nicht beeinflussen.) Aber Ihnen ist es wohl darum gegangen, daß manches in der Philosophie für philosophisch, also apriorisch gehalten wurde, was in Wirklichkeit empirisch war. Dafür gibt es in der Tat Beispiele. (Umgekehrt gilt das natürlich auch, Naturwissenschaftler neigen oft dazu, etwas für naturwissenschaftlich erforschbar zu halten, was doch in Wirklichkeit ein philosophisches Thema ist, ein metaphysisches oder transzendentalphilosophischen.)
“Wie wäre es denn mit dem „Vitalismus“? Dieser Idee hängt doch kaum noch einer an, und das hat sicherlich viel mit den Erfolgen der Naturwissenschaften zu tun.“
Mit den Erfolgen der Naturwissenschaft hat der ganze Naturalismus gewiß zu tun: Sie erzeugen eine allgemeine Stimmung in der Gesellschaft, erzeugen eine Hoffnung, daß man, da man so ungeheuer erfolgreich auf einem umgrenzten Gebiet ist, auch jenseits der Grenzen dieses Gebiets erfolgreich sein könnte. Aber so wie ich es verstanden habe, geht es hier um Erkenntnisse der Naturwissenschaften, die die Philosophie zwingen. Das ist etwas ganz anderes. Das kann immer nur dazu führen, daß die Philosophie sagen muß: Wir haben uns geirrt, wir haben die Grenzen der Philosophie falsch gezogen. Davon bleibt der Satz, daß die Philosophie von den Erkenntnissen der Naturwissenschaften gar nicht zu etwas gezwungen werden kann (so wenig wie etwa die Kunstkritik durch den hohen Marktpreis eines Gemäldes gezwungen werden kann, dieses für künstlerisch hochwertig zu halten), unberührt. Der radikalere Naturalismus weiß das und sagt: Es gibt gar keine Philosophie, sie löst sich in positives, naturwissenschaftliches Wissen auf. Er steht aber dumm da, wenn er gefragt wird, wieso er denn das, was da herauskommt, „Wissen“ nennt.
„Nobody any longer seriously defends a notion of free will that relies on dualism or, a fortiori, even more metaphysically suspect concepts like souls.“
Man setze eine andere Gruppe von Philosophen zusammen und die sagen etwas ganz anderes. Sie haben nur zur Zeit weniger Anhänger, was aber, wie ich schon mehrmals betont habe, mehr mit der Marktführerschaft von Coca Cola und Hollywoodfilmen zu tun hat als mit Philosophie.
„…kein Platz mehr ist für so etwas wie „mentale Verursachung“ (außer im metaphorischen Sinne).“
„Mentale Verursachung“ scheint mir außerhalb des naturalistischen Diskurses kaum vorzukommen. In dem gibt es halt zwei Sorten von Objekten, physische und mentale, und dann streitet man darum, ob nur die eine oder auch die andere etwas verursachen kann. Damit, wie die Transzendentalphilosophie jeder Art seit eh und je diese Sache thematisiert, hat das nichts zu tun.
Entscheidungen /@Ludwig Trepl
»Wenn Sie nicht einfach „Entscheidung“ so definieren, daß es rein gar nichts mehr mit der ursprünglichen Bedeutung dieses Wortes zu tun hat, dann ist Entscheidung nun einmal etwas, was Subjektivität logisch impliziert.«
Es kommt schon mal vor, dass ein Begriff einen Bedeutungswandel oder eine Bedeutungserweiterung erfährt. Wichtig ist auch der Kontext, in dem ein Begriff gebraucht wird. Vielen philosophischen Texten wird aus gutem Grund eine textspezifische Definition der verwendeten Begriffe vorangestellt.
Wie würden Sie das denn nennen, wenn der Hund nach einiger Suche sich für einen bestimmten Platz ???, um seinen Knochen zu verstecken?
Sicher, wir können nicht ausschließen, dass es uns nur so erscheint, als suche der Hund ein gutes Versteck. Vielleicht bewegt er sich durch den Garten auf die gleiche Weise wie z. B. ein vollautomatischer Staubsauger durch die Wohnung. In das subjektive Erleben des Hundes können wir nun mal keinen Einblick haben. Auch dann nicht, wenn wir die naturwissenschaftliche Brille abnehmen.
Die Entscheidung des Hundes.
Von Ludwig Trepl, @Balanus.
“Wie würden Sie das denn nennen, wenn der Hund nach einiger Suche sich für einen bestimmten Platz ???, um seinen Knochen zu verstecken?“
Ich merke immer wieder, daß ich nicht einmal im Ansatz klarmachen konnte, was ich meine. Vielleicht ist das ja hier in den Blog-Kommentaren unmöglich, vielleicht gibt es wirklich keine einfachere Möglichkeit, als die Kritik der (teleologischen) Urteilskraft zu lesen.
Ich würde die drei Fragezeichen durch „entscheidet“ ersetzen. Ich weiß aber zugleich (wie im Grunde jeder Biologe), daß das, was sich dann ergibt, wie alle teleologischen Sätze keine Erklärung ist, sondern (in der Biologie wie in jeder Naturwissenschaft) nur heuristisch gemeint ist und sein kann, und daß es die Aufgabe der Naturwissenschaft Biologie ist, nach einer Erklärung, d. h. einer kausalen Erklärung zu suchen.
Kein Biologe macht da eine Ausnahme. Jeder sucht nach einer Erklärung der Art: „Bei Anwesenheit von A bewegt sich das Tier unter der Bedingung B immer oder in einem bestimmten Prozentsatz der Fälle nach C“. Jeder Biologe wird es als Erkenntnisforschritt betrachten, wenn er eine solche Erklärung findet. Jeder wird es als eine zu schließende Lücke betrachten, wenn es so eine Erklärung nicht gibt. Findet er sie nicht, sagt er nicht: „Hier gibt es keine Verursachung, sondern das Tier entscheidet sich halt“, sondern er sagt: „Wir haben keinen ursächlichen Zusammenhang gefunden, wir suchen weiter nach ihm.“ Zu der Frage, ob man ihn je finden wird, macht er keine Aussage, denn er ist Naturwissenschaftler, nicht Metaphysiker.
Hat der Naturwissenschaftler nicht einen Hund vor sich, sondern einen Menschen, würde er sich ganz genauso verhalten, denn er ist ja ein Naturwissenschaftler und der Mensch ist für ihn ein Tier; für einen Historiker oder Juristen ist er mehr als nur ein Tier, für einen Biologen aber nicht. „Der Mensch entscheidet sich“ kann in seiner Wissenschaft nicht vorkommen (außer heuristisch). Der Unterschied zwischen Mensch und Tier besteht für ihn allerdings dennoch, denn der Naturwissenschaftler ist auch ein Mensch und als solcher weiß er, daß Menschen sich entscheiden können, also nicht ausschließlich determiniert sind durch vorausgehende Ursachen. (Dieses Wissen hält er aber aus seiner Wissenschaft fern und muß es fernhalten, so wie vieles andere an Wissen auch.)
Beim Hund aber weiß unser Biologe nicht, ob der sich entscheiden kann. Er wird wohl, wenn er nicht als Naturwissenschaftler, sondern als Metaphysik betreibender Mensch (was unvermeidlich ist) redet, sagen: Frei von aller Naturdetermination, wie es der Mensch in der moralischen Willensbestimmung sein soll und also auch kann, ist der Hund wohl nicht, zumindest haben wir keinerlei Hinweis darauf. In einem schwächeren Sinne aber ist er doch frei, er ist ansatzweise ein Subjekt, er entscheidet sich – nicht gegen alles, wozu ihn die Natur treibt wie im Falle der Moral, er wird nicht im Dienste einer Idee sein Leben hingeben – aber doch vielleicht für die Wurst und gegen den Knochen.
Daß uns das so erscheint, daß wir an dem Tier erst einmal nichts verstehen (uns alles spezifische Lebende an Lebewesen als bloßer Zufall erscheint), wenn wir es nicht in Analogie zu uns selbst denken, ist ja überhaupt der Grund dafür, daß wir zwischen Lebendem und Nicht-Lebendem unterscheiden und warum es nicht nur die Physik gibt, sondern auch eine besondere Naturwissenschaft namens Biologie. Ob wir je das Leben völlig in ein Kausalgeschehen erklärend auflösen können, steht in den Sternen (Kant war der Meinung, daß das nie der Fall sein kann, einen „Newton des Grashalms“ werde es nie geben.)
Aber als Biologen, wird unser Biologe sagen, geht mich das alles nichts an. Als Biologe muß ich das nicht wissen und kann darüber nichts wissen. Es ist entweder Metaphysik oder gehört in den Bereich der transzendentalen Bedingungen meiner Wissenschaft, aber nicht in meine Wissenschaft.
Das ist Ihr Fehler: Die Biologie erforscht nicht, wie die lebende Natur wirklich ist, ob sich also der Hund wirklich entscheidet (d. h. in einem wenn auch vielleicht nur schwachen Sinn frei ist) oder nicht. Sondern sie erforscht, wie die lebende Natur in naturwissenschaftlicher Perspektive ist. Die Biologie ändert nicht sich angesichts ihrer Gegenstände in dem Sinn, daß sie sich, wenn sich starke Gründe für die Auffassung finden sollten, in der lebenden Natur gehe es teleologisch zu, teleologische Sätze als objektiv gemeinte erlaubt. Sondern sie hat eine bestimmte Beschaffenheit (sie ist Naturwissenschaft im methodologischen Sinne und in ihr sind folglich solche teleologischen Sätze nicht möglich), und sie erkennt damit ihren Gegenstand lebende Natur so weit, wie ihre Methodologie es zuläßt. Wenn es an dem Gegenstand etwas gibt, was dieser Methodologie unzugänglich ist, dann „erweitert“ sie nicht ihre Methodologie, sondern sagt: Das ist wohl wahr, aber das ist nur mittels der Methodologie anderer Fächer, nicht mit unserer, zu erkennen.
Ende einer Ära?
Grenzgängerin @ Ludwig Trepl
“Ich merke immer wieder, daß ich nicht einmal im Ansatz klarmachen konnte, was ich meine.”
Was Sie immer wieder, wie Sie meinen, vergeblich aufzudröseln versuchen und in den folgenden Zitaten zugespitzt formulieren, kann möglicherweise aus der Natur der Sache heraus jetzt so nicht mehr angenommen werden. Das Problem liegt m.E. heute, d.h. nach allem, was von den Wissenschaften inzwischen erkannt wurde, woanders. Sie sind in dieser Art Trennung noch so ganz zu Hause und bringen es, wohl von Berufs wegen messerscharf. Dass der Nichtwissenschaftler aber im Leben zu Hause ist und nicht in getrennten Disziplinen, sagen Sie auch deutlich. Und ebenso, dass wir alle auch in unterschiedlichen Bereichen Nichtwissenschaftler sind:
(…)..denn er[der Biologe] ist ja ein Naturwissenschaftler und der Mensch ist für ihn ein Tier; (…)
Der Unterschied zwischen Mensch und Tier besteht für ihn allerdings dennoch, denn der Naturwissenschaftler ist auch ein Mensch (Dieses Wissen hält er aber aus seiner Wissenschaft fern und muß es fernhalten, so wie vieles andere an Wissen auch.)
Das meint ja doch im Prinzip das Postulat einer Trennung der beiden großen Bereiche Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften. Anders ausgedrückt letztlich zwischen Materie und Geist. Und weil wir die Dinge gerne endlich auf einen Nenner bringen wollen, neigen wir immer wieder dazu, den Geist unter den Tisch fallen zu lassen.
Vielleicht sag ich jetzt in den Augen der Wissenschaften was Ketzerisches, aber, wenn Sie mich fragen: die Ära dieser Trennung neigt sich dem Ende zu, ja muss sich dem Ende zuneigen. Das sage ich als Ergebnis meiner Forschung, aufbauend auf den Ergebnissen anderer. Zwar hätte ich jetzt auch noch keinen Vorschlag parat für eine verbindende Methode, aber ich würde sagen, sie wird gefunden werden müssen.
Damit sage ich nun aber nicht, dass alle Trennung der Disziplinen grundsätzlich beendet werden muss, sondern speziell nur diese eine grundlegende Geist-Materie. Und zwar weil das, was hier getrennt werden muss, sich m.E. grundlegend ändert. Der Satz:
Der Unterschied zwischen Mensch und Tier besteht für ihn allerdings dennoch, denn der Naturwissenschaftler ist auch ein Mensch…. zeigt das ganze, zunehmende Dilemma der bisherigen wissenschaftlichen Methode der strikten Trennung von Geist und Materie, die bislang und speziell für die Naturwissenschaften ihre Berechtigung hatte. Sie wird m.E. jetzt aber zu einem großen Hindernis.
Ich habe die Gründe auch schon hier kurz angedeutet. Das wird wohl noch nicht verstanden und bedarf ausführlicher Hinführung. Hier nur soviel noch einmal:
Wenn man davon ausgeht, dass Geist und Materie zwei vollkommen unterschiedliche Realitäten sind, weshalb wir ja stets das Bedürfnis haben, sie um der größeren Klarheit willen zu trennen, dann zeigt sich jetzt, dass eine solche Trennung gar nicht geht – wofür es handfeste Gründe gibt, schon unsere ganze Diskussion hier und in anderen Blogartikeln ist ein Symptom dieser Problematik -.
Warum?
Weil diese beiden grundverschiedenen Realitäten, Geist und Materie, gleichwohl untrennbar sind und immer zusammen als ‘Pärchen’ auftreten, im Makrokosmos wie im Mikrokosmos. Unser Bedürfnis zu trennen, ist zwar schon ganz richtig. Denn nach wie vor stehen wir auf zwei Beinen, die wir zu unterscheiden lernen müssen, aber der entscheidende Punkt ist, dass nicht das eine Bein die Materie ist und das andere der Geist. Geist und Materie existieren beiderseits der Trennlinie, sind beide Teil dessen, was getrennt werden muss.
Die Trennung zwischen den beiden entspricht m.E. nicht unserer Situation. Vielmehr sehe ich es so, dass die beiden Seiten beiderseits der Trennlinie ein grundlegend anderes Verhältnis von Geist und Materie in ihrem Gespann aufweisen. Ja dass durch diese Art Grundverschiedenheit des Verhältnisses die Trennlinie überhaupt erst entsteht, die es uns so schwer macht, beide Seiten – beide Standbeine – in ihrem Sosein zu erkennen, da wir uns mit unserem Bewusstsein bislang vorrangig nur auf der einen Seite bewegen.
Also alles, was wir als methaphysisch, überempirisch, transzendent etc. bezeichnen, weist im Prinzip ‘nur’ ein völlig anderes Verhältnis von Geist und Materie auf, als wir es in unserer Realität und bisherigen Wahrnehmung erfassen können. Diese Realität ist so sehr anders, dass nur Geburt und Tod einen Übergang von hüben nach drüben ermöglichen können. Was aber nicht heißt, dass wir unsere einseitige Wahrnehmung nicht schulen könnten, um trotz realer Trennung nicht doch schon von hüben nach drüben schauen zu können.
Soweit ich das überblicken kann, würden angesichts einer so geforderten Umpolung in Zukunft alle Wissenschaften neu geschrieben werden müssen.
Neulich las ich in einem Artikel diesen treffenden Text, der sich vielleicht auch hierfür anwenden lässt: „Es sollte einer jener wenigen, denkwürdigen Tage werden, an denen ein Weltbild zu Fall kommt. Ironischerweise war es ein ehemaliger Preisboxer, der den entscheidenden k.o-Schlag versetzte. (…) Die Naturwissenschaften durchlaufen einen stetigen Anpassungsprozess, in dem sich kleine Mutationen der Theorien als erfolgreicher durchsetzen. Nur von Zeit zu Zeit ereignet sich Spektakuläres, ausgelöst durch schlagartig drastisch veränderte „Lebensbedingungen“. Einen solchen „Meteoriteneinschlag“ stellten die Beobachtungsdaten von Edwin Hubble dar. Damals starben ganze Spezies an Theorien aus. An ihre Stelle trat ein neues Weltmodell – das expandierende Universum – das, wiederum mit entsprechenden Anpassungen, bis zum heutigen Tag zahllose Bestätigungen erfuhr. ….“ 🙂
@Ludwig Trepl (@Balanus) / Hund und Entscheidung
»Das ist Ihr Fehler: Die Biologie erforscht nicht, wie die lebende Natur wirklich ist, ob sich also der Hund wirklich entscheidet (d. h. in einem wenn auch vielleicht nur schwachen Sinn frei ist) oder nicht.«
Die Thematik von Entscheidung sollte man besser strikt trennen von der Debatte um metaphysische Willensfreiheit. Entscheidungsfindung ist ein konstituierendes Element jener Dynamik, die sich im selbstorganisierten Verhalten von hinreichend komplexen Wesen beobachten lässt. Das ist prinzipiell durchaus begreifbar als ein irreduzibler und mithin in seinem Ergebnis nicht exakt vorsagbarer, neuraler Rechenprozess, der es einem Organismus mit Nervensystem gestattet, sich flexibel in seiner Umgebung zu bewegen. Ein Mensch kann es, ein Wurm kann es auch, und natürlich kann es ein Hund.
Über das Treffen von Entscheidung hat auch Aristoteles philosophiert. Und offenbar ohne dafür einen Begriff von freiem Willen bemühen zu müssen. Wir sollten vielleicht von ihm lernen und den Streit um Willensfreiheit wieder allein den Theologen überlassen.
Für die Naturwissenschaft gibt es keine Entscheidung, nur „Entscheidung“.
Von Ludwig Trepl, @Chrys.
“Über das Treffen von Entscheidung hat auch Aristoteles philosophiert. Und offenbar ohne dafür einen Begriff von freiem Willen bemühen zu müssen. Wir sollten vielleicht von ihm lernen und den Streit um Willensfreiheit wieder allein den Theologen überlassen.“
Aristoteles hat den freien Willen nicht eigens thematisiert, weil er für ihn selbstverständlich war. Er ist eine begriffliche Implikation von „Entscheidung“, und das war ihm selbstverständlich klar. (Ich habe Ihnen auch schon mal die Stelle genannt.) – Willensfreiheit war nicht etwa ein Thema der Theologen und nicht der Philosophen, sondern ist ein philosophisches Thema. In der Zeit, in der dieses Thema erstmals viel diskutiert wurde, war ein Philosoph praktisch zugleich ein Theologe; das war 1000 Jahre lang so. In ihren Theorien behandelten diese Leute das Thema der Willensfreiheit manchmal als Thema der Theologie (als einer besonderen Abteilung der Philosophie), nämlich mit Bezug auf Gott, manchmal nicht, sondern als einer anderen Abteilung der Philosophie angehörig. Es ist aber definitiv kein Thema der Naturwissenschaft oder einer anderen empirischen Wissenschaft. Die muß sich darum auch gar nicht bemühen, sie wird so wenig freien Willen oder eine Entscheidung beobachten können wie jemand mit einem Hörgerät eine Farbe bemerken kann.
“Entscheidungsfindung … ist prinzipiell durchaus begreifbar als ein irreduzibler und mithin in seinem Ergebnis nicht exakt vorsagbarer, neuraler Rechenprozess…“
Damit nehmen Sie einen Themenwechsel vor und verabschieden sich folglich aus der einschlägigen Diskussion. Wenn ein Prozeß zu einem Ergebnis führt, das nicht exakt voraussagbar ist, dieses Ergebnis aber dann das sein muß, für das die „Entscheidung“ fällt, dann hat das nichts mit Entscheidung zu tun. Da wird nur in einer Fachsprache dem Wort Entscheidung ein anderer – und zwar ein kategorial anderer – Sinn gegeben. Es muß an dem Entscheidenden liegen („bei ihm stehen“ heißt es bei Aristoteles in der Übersetzung, die ich kenne), und zwar an nichts anderem, so sehr dieser Entscheidende und die Entscheidungssituation auch durch allerlei Prozesse hervorgebracht wurde, für die er nichts kann, ob dieses Ergebnis, das sich in dem Rechenprozeß ergibt, „genommen“ wird oder nicht, und es darf keine äußere Determination des Entscheidenden zu dieser Entscheidung geben, sonst ist sie keine. Wenn jemand vermeintlich etwas entschieden hat, weil seine Unterschrift unter einem Schriftstück steht, er aber von einem anderen dazu gezwungen wurde, dann hat dieser andere entschieden und nicht der, der die Unterschrift leistete.
Es ist doch völlig klar, daß das in einer Naturwissenschaft kein Thema sein kann. Einen derartigen Begriff einer „ersten Instanz“ kann die Naturwissenschaft nicht haben, sonst wäre sie keine.
Ein Wurm, nehmen wir mal an, errechnet in einer komplexen Umwelt, daß es unter den Voraussetzungen, die in seine Rechnung eingingen, besser ist, nach links statt nach rechts zu kriechen. Für einen Naturwissenschaftler entscheidet er sich dann nicht, nach links zu kriechen, sondern er kriecht einfach nach links. Er, der Wurm, müßte schon denken können „egal ob nun herausgekommen ist, nach links ist’s besser, ich habe heute nun mal Lust, nach rechts zu kriechen“, damit man von Entscheidung sprechen kann. Vielleicht kann der Wurm das ja wirklich, aber es liegt außerhalb der Sphäre der Naturwissenschaft, das bemerken oder danach auch nur fragen zu können.
Die Naturwissenschaft und damit auch die Biologie erklärt Phänomene. Aber keine Biologe würde den folgenden Satz als Erklärung akzeptieren: „Der Wurm kriecht nach oben, weil er sich entschieden hat, sich heute mal zu sonnen“ oder (was etwa dasselbe ist) „weil er an die frische Luft will“. Die teleologischen Formulierungen – ob das nun „der Vogel entscheidet sich im Herbst, nach Süden zu fliegen“ ist oder „der Vogel hat Flügel, um fliegen zu können“ – sind notwendig in der Biologie, aber sie haben keinen erklärenden Charakter, sie sind heuristisch gemeint. In der Biologie sind sie heuristisch gemeint. In einer anderen Ordnung des Wissens, nämlich dem sog. lebensweltlichen, ist es völlig klar, daß meine Katze tatsächlich deshalb an der Tür kratzt, weil sie hinaus will, und mit dieser Erklärung kann ich völlig zufrieden sein.
Aristoteles /@Ludwig Trepl
»Aristoteles hat den freien Willen nicht eigens thematisiert, weil er für ihn selbstverständlich war. Er ist eine begriffliche Implikation von „Entscheidung“, und das war ihm selbstverständlich klar. «
Aristoteles war sicherlich smarter als Schopenhauer, denn dem war das überhaupt nicht klar (mir übrigens auch nicht).
Es bleibt doch das alte Problem, dass wir zwar unsere Handlungen willentlich kontrollieren können, aber dass wir keine Instanz kennen, die unser Wollen kontrollieren könnte. Selbst wenn es diese Instanz gäbe, müsste sie ja auch irgendwie einer Kontrolle unterliegen, denn sonst würden wir, unser Wille und unser Handeln, zum Spielball dieser höheren Instanz.
Deshalb ist es wohl doch eher so, dass wir den Willen einfach in uns vorfinden. Die Willensbildung selbst kann nicht willentlich beeinflusst werden. Wir können immer nur abwarten, bis wir wissen, was wir eigentlich wollen.
Ich schätze, das war bereits Aristoteles klar.
Grenzgängerin @ Balanus
Spielball höherer Instanz?
Warum nur schlussfolgern Sie immer so:
” …..denn sonst würden wir, unser Wille und unser Handeln, zum Spielball dieser höheren Instanz.”
Muss eine höhere Instanz immer und unbedingt von solcher Art sein, dass sie die nächst niedrige etc. zu ihrem Spielball macht???
Das ist so ein typisches, unserer Seinsblindheit entspringendes, menschliches Denken. Und es gibt noch eine Menge mehr davon,…. wie diese ganzen Willen/Geist/Materie Diskussionen so ‘schön’ vorführen.
Weil wir so gestrickt sind, – d.h. uns so verheddert haben – können wir uns was anderes kaum vorstellen. Von gegenseitigen Projektionen wissen wir ja immerhin schon. Dass wir aber auch auf eine höhere Instanz, wie z.B. Gott, aus unserer Blindheit heraus mächtig projizieren können, müssen wir erst noch begreifen. Nicht umsonst mahnt Gott in der Bibel ständig davor uns solche falschen, menschlichen Projektionsbilder von ihm zu machen.
Im Grunde haben wir uns doch inzwischen ganze wissenschaftliche ‘Projektionsdisziplinen’ gebastelt, unter denen wir einen Gott, dessen Liebe wir nicht begreifen, eifrig begraben, anstatt uns zu mühen, diese Liebe neu zu verstehen. Das wäre eine sinnvolle, neue wissenschaftliche Disziplin. Die hat durchaus mit unserer Natur zu tun und folglich auch mit Naturwissenschaft…..die ihre Methoden allerdings ein wenig anpassen müsste.
Wünsche in diesem Sinne besinnliche, schöpferische Weihnachten!
Schalom
Wollen können, was wir wollen.
Von Ludwig Trepl, @ Balanus.
“Aristoteles war sicherlich smarter als Schopenhauer, denn dem war das [Der freie Wille ist eine begriffliche Implikation von „Entscheidung“], überhaupt nicht klar (mir übrigens auch nicht).“
Man entscheidet sich für das eine oder das andere, und es liegt an dem, der da entscheidet, wofür er sich entscheidet. Wenn er sich entscheidet, dann muß er sich nicht für das eine entscheiden, sondern könnte sich auch für das andere entscheiden. Das ist der Sinn von „Entscheidung“. In Fällen, in denen einer sich nicht auch für etwas anderes entscheiden könnte, als er es dann tatsächlich tut, sondern nur eine Möglichkeit besteht, er also nicht die Freiheit hat, sich so oder so zu entscheiden, sprechen wir nicht von Entscheidung.
„Es bleibt doch das alte Problem, dass wir zwar unsere Handlungen willentlich kontrollieren können, aber dass wir keine Instanz kennen, die unser Wollen kontrollieren könnte.“
Es ist doch der Sinn des Begriffs Wollen, daß es keine weitere Instanz gibt. Ich bin erste, letzte, einzige Instanz, ich bestimme meinen Willen in bestimmter Weise, will dies und nicht das. Da ist gedacht, daß es hinter mir keine weitere Instanz gibt. Gäbe es eine, dann gäbe es auf meiner Seite kein Wollen, sondern diese weitere Instanz (nennen wir sie Gott) ist es, die das will, was mir irrtümlich als mein Wollen bloß erscheint. (Dann stellt sich natürlich die Frage, welche Instanz denn nun wieder Gottes Willen „kontrolliert“; wir sind der „Spielball dieser höheren Instanz“, diese aber ist Spielball einer noch höheren bis ins Unendliche.)
Oder was ich für meinen Willen halte, ist naturgesetzlich determiniert. Es kann durchaus sein, daß sich in bestimmter Betrachtungsweise nie etwas anderes ergeben kann. Nur ist in dieser Betrachtungsweise einfach ausgeblendet, was ich doch weiß: daß ich etwas will und daß ich also auch anderes wollen könnte.
„Wir können immer nur abwarten, bis wir wissen, was wir eigentlich wollen.“
Tun wir aber nicht. Sondern wir überlegen (sind also aktiv und warten nicht ab), um herauszufinden, was wir denn am besten wollen sollten. Auf die Einfälle muß man zwar warten, denn die fallen eben ein, man macht sie nicht. Aber das Verknüpfen, das Abwägen, schließlich das Entscheiden, ob man denn nun auf Basis der bisherigen Überlegungen handeln oder lieber weiterüberlegen soll – das ist etwas Aktives.
@Ludwig Trepl
Gott ist keine “Instanz”
“Gäbe es eine[höhere Instanz], dann gäbe es auf meiner Seite kein Wollen, sondern diese weitere Instanz (nennen wir sie Gott) ist es, die das will, was mir irrtümlich als mein Wollen bloß erscheint.”
Lieber Herr Trepl, dieses “nennen wir sie Gott” haben Sie vielleicht etwas unbedacht dahin gesetzt, oder? Finde ich jedenfalls deplatziert und arg irreführend. Gott ist keine “Instanz” und folglich auch keine “höhere Instanz”. Und schon gar nicht ersetzt er unsere eigene Entscheidung und lässt uns ‘göttlich großzügig’ in dem Glauben, selber entschieden zu haben.
@Ludwig Trepl
»Aristoteles hat den freien Willen nicht eigens thematisiert, weil er für ihn selbstverständlich war.«
Genau diese Einschätzung wird doch offensichtlich von denen nicht geteilt, die sich professionell mit antiker Philosophie befasst und darüber geschrieben haben. Michael Frede hat ein ganzes Kapitel zu Aristoteles, und warum der eben keinen Begriff von Willensfreiheit hatte. Das Wollen und Entscheiden hat bei Aristoteles nicht Urteilskraft und Vernunft zur Voraussetzung. Wenn Sie das genauer haben wollen, dann müssten Sie sich allerdings wohl oder übel selbst einmal um das Buch bemühen. Überhaupt scheint es im einschlägigen fachlichen Diskurs vielmehr darum zu gehen, ob das Konzept von freiem Willen nun im wesentlichen von Augustinus etabliert wurde, wie Albrecht Dihle meint, oder, wie Frede argumentiert, von den späten Stoikern.
Die Vorstellungen von Aristoteles scheinen mir auch keineswegs in Konflikt zu stehen mit dem, was die Biologen unter Entscheidung verstehen. Und die Biologen ihrerseits können fúr ihre Verwendung dieses Begriffs eine plausible Begründung liefern mit dem Hinweis auf die Fähigkeiten und Eigenschaften neuraler Netze. Ferner sind diese Mechanismen auch von Bedeutung für die Beurteilung menschlichen Verhaltens, denn der Mensch hat unzweifelhaft auch eine biologische Beschaffenheit. Wenn man Entscheidungen beim Menschen nun als metaphysisch sublimiert betrachten will, dann stellt sich die Frage, wie denn dabei “natürliche” von “metaphysischer” Entscheidungsfindung getrennt werden soll. Das führt meines Erachtens zu nichts. Deswegen erscheint es durchaus vernünftig, sich in diesem Punkt mehr auf Aristoteles zu besinnen und die durch christliche Theologie kontaminierte Willensfreiheit dort zu belassen, wo sie hingehört.
von Ludwig Trepl, @ Chrys
Das ist natürlich eine mißliche Lage: Ich soll das Buch von Michael Frede kritisieren, ohne es gelesen zu haben. Darum mache ich einen halben Rückzieher – zu dem Punkt, um den es mir ohnehin geht. Aristoteles interessiert mich ja überhaupt nicht, der kam nur zufällig ins Spiel.
Sondern ich sage: Von Adam und Eva an wollen die Menschen etwas, sie wissen, daß sie etwas wollen und sie wissen damit auch, daß sie etwas anderes wollen könnten, wissen also, daß sie einen – wie man es später nannte – freien Willen haben. In jedem Augenblick seines bewußten Lebens will der Mensch etwas, und sowie er sich das zu Bewußtsein bringt, ist ihm auch bewußt, daß er dies nicht wollen muß, sondern er auch etwas anderes wollen könnte, und daß es an ihm liegt, wofür er sich entscheidet, welche der möglichen Willensbestimmungen er wählen soll.
So wenig der Gedanke „2 x 2 = 4“ von einem frühen Mathematiker stammt, sondern schon Zehntausende von Jahren vorher in jedem Kopf war, so wenig stammt der Gedanke der Willensfreiheit von einem antiken Theologen oder von den Stoikern. Paris wollte Achilles treffen, und er wußte, daß er das wollte und daß er auch etwas anderes hätte wollen können und daß es an ihm lag, sich so oder so zu entscheiden. Daß sein Pfeil dann traf, lag bekanntlich nicht an ihm, sondern an Apollo, aber daß er treffen wollte und nicht mußte, das wußte er. Man kann also bereits in Texten der Griechen lange vor der Zeit, als sie zu philosophieren, gar theologisieren begannen, nachlesen, daß sie von der Freiheit des Willens wußten. Man kann auch das „Alltagsbewußtsein“ heutiger archaischer Kulturen untersuchen: Man wird nichts anderes finden. – Willensfreiheit ist eine Implikation von Wollen, wir haben es hier mit einem analytischen Schluß, einer Tautologie, einer begrifflichen Wahrheit zu tun.
Die Frage ist eine andere: Eine begriffliche Wahrheit, die sich auf Existierendes bezieht, kann ja trotzdem falsch sein, nämlich weil der Gegenstand des Begriffs (hier das Wollen) nicht existiert (so wie Gott denknotwendig – so wollen wir einmal annehmen – allmächtig, allwissend usw. ist, aber die Frage bleibt, ob diesem Begriff etwas Existierendes entspricht). In unserem Fall stellt sich damit die Frage: Kann das Wissen, das wir über uns als Subjekt haben – und ein solches Wissen ist es ja, wenn wir wissen, daß wir etwas wollen – überboten, aus dem Feld geschlagen werden durch Wissen nicht über das Subjekt, sondern über die Objektwelt? Man müßte also zeigen, daß das doch vom Subjekt erzeugte Wissen über die Objektwelt (die von ihm als Gegenstand „gesetzte“ Welt, nicht die Welt an sich) das höherrangige Wissen ist gegenüber dem Wissen über sich als Subjekt, falls sich ein Widerspruch ergibt. Können Sie das zeigen?
Sie schneiden noch eine andere wichtige Frage an: „wie denn dabei ‚natürliche’ von ‚metaphysischer’ Entscheidungsfindung getrennt werden soll.“
Auch wenn es das Wort „metaphysisch“ nicht trifft, sondern in eine ganz falsche Richtung führt: Es scheint mir schon – und da bin ich in guter Gesellschaft – richtig, daß man da zwei Arten oder Stufen von „Entscheidung“ unterscheiden muß.
Was nicht geht, ist folgendes (das habe ich bei Ihnen neulich so verstanden): Ein System (ein Tier) führt eine Rechnung durch hinsichtlich des besseren Verhaltens und „entscheidet“ sich dann für das, was die Rechnung ergibt, und zwar muß es sich dann dafür entscheiden. Damit ist der Sinn des Begriffs Entscheidung verfehlt, und man hat einfach bei Beibehaltung des Wortes das Thema gewechselt.
Aber man könnte sich doch immerhin folgendes denken: Die Rechnung ergibt kein besseres Verhalten, gibt keiner der Möglichkeiten den Vorzug. Das Tier verhungert dann aber nicht wie Buridans Esel, sondern wendet einen Trick an: Es wirft eine Münze. Das tut es, nehmen wir einmal an, „mechanisch“ immer dann, wenn die Rechnung so ausfällt, daß die Unsicherheit hinsichtlich besser/schlechter einen gewissen Wert überschreitet. Damit wird also nicht die Kompetenz der Naturwissenschaft überschritten (wie es der Fall wäre, wenn eine frei wählende Instanz angenommen würde). Eine Entscheidung ist das zwar auch nicht, der Sinn dieses Begriffs ist nicht getroffen, aber es ist doch auch nicht ein determiniertes Verhalten (wie es das mechanische Befolgens des Weges ist, den die Berechnung vorschlägt). Wir haben da also eine Art Zwischenstufe vor uns. Das kann man dann – immer noch ein wenig metaphorisch – „natürliche Entscheidungsfindung“ nennen.
Bedenken sollte man allerdings: Hier werden zwar nicht die Grenzen, die der Naturwissenschaft gesetzt sind, überschritten (es wird keine Instanz von Subjektcharakter eingeführt; das ist, wie schon mehrmals betont, in der Naturwissenschaft nur heuristisch erlaubt). Aber es kann doch keine naturwissenschaftliche, d. h. empirische Kenntnis von diesem Münzenwerfen geben – es handelt sich um Metaphysik; vielleicht um keine schlechte Metaphysik, aber doch um Metaphysik. Die Naturwissenschaft als empirische Wissenschaft kann immer nur sagen: Wir haben die Ursache der Determination des Verhaltens (noch) nicht gefunden. Vielleicht sind die beiden Heuhaufen doch nicht genau gleich groß, und der Esel würfelt doch nicht, sondern geht zum größeren.
Die andere Stufe ist dann die, für die Kant das Wort „transzendentale Freiheit“ gebraucht und für deren Erkenntnis das Wissen um das Sittengesetz Voraussetzung ist. Es gibt keinen Hinweis darauf, daß das auch bei Tieren zu finden ist. Es wäre Metaphysik, und zwar wegen des fehlenden Hinweises schlechte, das für Tiere anzunehmen. Bezogen auf Menschen aber ist es nicht Metaphysik. Die praktische Philosophie ist nicht Physik und nicht Metaphysik. Die kennt sicheres Wissen, jedoch nicht über die empirische Welt, wenn auch mit Bezug auf das Verhalten in dieser.
Willensfreiheit in der Welt der Erscheinungen /@Ludwig Trepl
»Das Wissen um die Willensfreiheit ist kein Wissen um etwas in der Welt der Erscheinungen«
In diesem Satz drückt sich, finde ich, das ganze Dilemma aus: Einerseits „wissen“ wir um die Willensfreiheit, andererseits wissen wir aber auch, dass dieses Wissen sich auf etwas bezieht, was sich in der uns erfahrbaren Welt nicht überprüfen lässt.
Damit fällt die Willensfreiheit gewissermaßen in die gleiche Kategorie wie zum Beispiel das Wunder („das Wissen um [Wunder] ist kein Wissen um etwas in der Welt der Erscheinungen“). In Erscheinung treten jeweils nur die Ereignisse, die aufgrund von Willensfreiheit bzw. Wundern stattfinden. Der Höhlenmensch ist dann dank seines freien Willens gesprungen (er hätte auch anders können), und dass er den Sprung überlebt hat, ist ein Wunder (er hätte auch tot sein können).
(Ich weiß, das Wissen um Willensfreiheit und Wunder speist sich aus unterschiedlich sicheren Quellen…)
»Für mich – nicht als Teil der Welt betrachtet, sondern als Subjekt, das der Welt gegenübersteht – aber ist die Willensfreiheit etwas Reales,…«
Real ist für mich aber auch, dass ich ein Mensch aus Fleisch und Blut bin. Wenn ich die „Willensfreiheit“ nicht in meiner Physis realisiert finde, dann gibt es sie dort eben nicht in der „Form“, wie ich sie als „Subjekt, das der Welt gegenübersteht“, wahrnehme (oder denke, verstehe, mir erkläre, …).
Meiner Meinung nach führt es gerade nicht zu einem „Gewirr von Widersprüchen“ (LT), wenn ich sage:
»Was wir da willentliche Entscheidung nennen, ist in Wirklichkeit ein Geschehen in der phänomenalen Welt und unterliegt deren (den physikalischen) Gesetzen.«
Das Gegenteil scheint mir der Fall zu sein. Für das „Subjekt, das der Welt gegenübersteht“, mag es die Willensfreiheit in einer nicht-phänomenalen Welt geben, einverstanden. Aber springen muss nun mal mein empirischer Körper mittels Muskelkraft. Daraus folgt für meine Begriffe, nicht ein imaginiertes Subjekt, sondern ein wirkmächtiges Subjekt (das „empirische Ich“?) muss die Entscheidung zum Sprung treffen, sonst wird es nichts mit der Umsetzung der Entscheidung in der realen Welt. Es sei denn, wir postulieren einen Kausalnexus zwischen dem Subjekt, das der Welt gegenübersteht, und dem Subjekt, das Teil der phänomenalen Welt ist. Da wird, scheint mir, der unterschiedliche logische Status der beiden Subjektbegriffe aufgeweicht, sie fließen ineinander über.
Das naturalistische Verständnis der Willensfreiheit hat aus Ihrer Sicht eine seltsam klingende Konsequenz:
»Also entscheide ich mich nicht, sondern warte, ob eine Kausalkette an der zuständigen Stelle im Gehirn ankommt, die mich springen läßt oder nicht. Dann habe ich mich eben nicht für das Springen, sondern für das Warten entschieden.«
Wer bitte soll da auf etwas warten? Hier zeigt sich wohl wieder die Spaltung des Menschen in Subjekt (transzendental) und Subjekt (real).
Aber so ganz falsch scheint mir die Vorstellung nicht zu sein, dass das „Ich“ (das Subjekt, transzendental gedacht oder nicht) auf das entscheidende Glied in der Kausalkette zum Sprung „warten“ muss.
Auch Geert Keil sagt ja, dass Kausalketten durch den Menschen hindurchlaufen (wenn auch auf „nichtdeterministische Weise“ — was immer das bedeuten soll).
Wenn das Subjekt annähernd dem bewusst erlebten Denken oder dem Bewusstsein entspricht, dann muss dieses Subjekt wohl tatsächlich darauf warten, dass ihm — im Zuge der durch ihn hindurch laufenden Kausalkette — die Entscheidung als eigene Entscheidung bewusst wird (vorausgesetzt, dass eine Kausalkette tatsächlich durch ein Subjekt, das der Welt gegenübersteht, hindurchlaufen kann; aber das muss ja wohl so sein, irgendwoher muss ja auch dieses Subjekt seine Informationen beziehen – ist schon ganz schön kompliziert, die Sache mit dem transzendentalen Subjekt)
»Und woher kommt es, daß ich von der Willensfreiheit weiß? Weil, sagt Kant, ich um das Sittengesetz weiß. Ich soll. Das impliziert, ich kann auch anders, ich bin frei. Das Sittengesetz ist eine „Tatsache der Vernunft“, nicht mehr von irgend etwas anderem, Gesichertem herleitbar. «
Nach meinem laienhaften Eindruck handelt es sich hier um ein in sich schlüssiges, fast „geschlossenes“ Denksystem. Da passt alles wunderbar zusammen. Schwierig wird es nur, wenn es zum konkreten Tun in den Niederungen der physischen Welt kommt.
Mit einer transzendental gedachten Willensfreiheit sollte eigentlich kein Hirnforscher ein Problem haben. Probleme ergeben sich erst dann, wenn diese transzendental gedachte Freiheit in der realen Welt realisiert werden soll, wenn sie praktische Auswirkungen haben soll, kausale Folgen. Genau dann findet nämlich, finde ich, eine Themenwechsel statt, von der Transzendenz zur harten Wirklichkeit (wie sie uns erscheint, selbstredend).
Kant: »Der kategorische Imperativ, aus dem diese Gesetze diktatorisch hervorgehen, will denen, die bloß an physiologische Erklärungen gewohnt sind, nicht in den Kopf; unerachtet sie sich doch durch ihn unwiderstehlich gedrungen fühlen.«
Ich habe einen starken Verdacht, warum ich mich durch ihn gedrungen fühle. Auf zur nächsten Runde…
@Ludwig Trepl,
» ……“Genau das tun doch diejenigen, die sagen, dass Willensentscheidungen nur scheinbar im phänomenalen Bewusstsein stattfinden ….“
Da verstehe ich nicht, was Sie mir sagen wollen. «
Sie schrieben:
»Die Vernunft ist kein Phänomen, vielmehr Bedingung dafür, daß es für uns überhaupt unsere phänomenale Welt gibt, impliziert aber eben auch die Möglichkeit und Notwendigkeit, bei diesen Phänomenen nicht stehenzubleiben, sondern (a) Erscheinungen als Erscheinungen von etwas, das uns unerkennbar bleibt, zu erkennen…«
Ich meine, genau das tun Hirnforscher, wenn sie sagen, wir bleiben nicht bei den Phänomenen stehen, sondern das Phänomen, dass wir den Ursprung unserer Handlungen im Bewusstsein sehen oder erleben, ist bloß eine Erscheinung von etwas, was uns selbst unerkennbar bleibt, ja bleiben muss.
Wir können nicht erkennen, was in unserem Gehirn vor sich geht, wenn wir als Subjekt (transzendental gedacht) frei entscheiden. Wir erleben und erkennen immer nur das, was im Zuge der Denk- bzw. Entscheidungsprozesse im Bewusstsein aufscheint.
Mir ist schon klar, dass ich Ihre Aussage ein bisschen umgebogen habe, von der nicht erkennbaren „Welt an sich“, auf die nicht wahrnehmbare Welt der neurophysiologischen Prozesse im eigenen Gehirn.
»Sie formulieren hier einen radikal skeptischen Satz und widersprechen sich damit selbst.«
Einspruch, Euer Ehren! Mein Satz war nicht radikal skeptisch, mein Zweifel bezog sich auf ganz bestimmte, auf Reflexion basierende Erkenntnisse. Vielleicht musste Ihnen dies radikal erscheinen, weil Sie ja in der diskutierten Frage von einer absoluten, unumstößlichen Gewissheit ausgehen, die über jeden Zweifel erhaben ist.
Dass ich skeptisch bin gegenüber der Gewissheit in bestimmten Fragen der Willensfreiheit weiß ich allerdings mit Gewissheit.
Davon abgesehen: Kann der wahre Skeptiker nicht auch skeptisch gegenüber der Wahrheit seiner eigenen Aussagen sein? Im Sinne von:
„Ich weiß, dass ich nichts weiß.“
Biologisches / @Ludwig Trepl, Grenzgängerin
»Das Biologische ist nicht “trivialerweise nun mal die Grundlage von allem, was lebt”, sondern es ist das, was die Biologie, die ja eine Naturwissenschaft ist und damit in einer radikalen Einschränkung des Gesichtsfeldes besteht, an den Grundlagen von allem, was lebt, erkennen kann.« (LT)
»Genau!« (Grenzgängerin)
An dieser „radikalen Einschränkung des Gesichtsfeldes“ leiden aber doch alle Menschen, seien sie nun Naturwissenschaftler, Philosophen oder Theologen. Niemand ist privilegiert, hinter die Kulissen der phänomenalen Welt zu schauen. Da helfen auch keine Reflexionen.
Aber es stimmt schon, „[e]s könnte ja sein, daß die Grundlage aller Lebensäußerungen, auch derer, die man biologisch nennt, etwas anderes ist“ (LT), so wie es ja auch sein könnte, dass vor 6000 Jahren ein 13,8 Milliarden Jahre altes Universum erschaffen wurde. Das Gegenteil lässt sich nicht beweisen, also könnte es wahr sein.
“An dieser „radikalen Einschränkung des Gesichtsfeldes“ leiden aber doch alle Menschen”
Nein, die Einschränkung des Gesichtsfeldes ist selbstgemacht, nicht gottgegeben. Daran leiden nur die Naturwissenschaftler. Sie setzen sich freiwillig eine Brille auf, die das eigene Wissen herausfiltert , z.B. das über die Willensfreiheit. (Die Brille sitzt nicht auf der Nase, sie sitzt im Denken)
Mit ungefiltertem Wissen versuchen Grenzgänger auch unerforschliche Bereiche zu erforschen. Andere wissen, über das zu forschen, was wir wissen, ergibt keinen Sinn. Dadurch kann kein neues Wissen entstehen.
Allen, auch den Naturwissenschaftlern, Philosophen und Theologen, eine besinnliche Zeit.
Joker
Danke!
»Nein, die Einschränkung des Gesichtsfeldes ist selbstgemacht, nicht gottgegeben. Daran leiden nur die Naturwissenschaftler.«
Das halte ich für ein Gerücht…
Gesichtsfeld-Einschränkung nur der Naturwissenschaft?.
Von Ludwig Trepl, @Balanus, @Joker.
“”An dieser ‚radikalen Einschränkung des Gesichtsfeldes’ [L.T.] leiden aber doch alle Menschen” [@Balanus] Nein, die Einschränkung des Gesichtsfeldes ist selbstgemacht, nicht gottgegeben. Daran leiden nur die Naturwissenschaftler. Sie setzen sich freiwillig eine Brille auf, die das eigene Wissen herausfiltert , z.B. das über die Willensfreiheit.“ [@Joker]
Ich hab’ da eine Zwischenmeinung. An dieser radikalen Einschränkung des Gesichtsfeldes (also an der, die ich gemeint habe) leiden nicht alle Menschen, an einer dagegen schon. Und „leiden“ trifft’s nicht unbedingt.
Die Naturwissenschaft nimmt eine „Einschränkung des Gesichtsfeldes“ vor, sonst wäre sie keine. Sie stellt keine Fragen nach dem Sollen, schließt teleologische Erklärungen (außer zu heuristischen Zwecken) aus, richtet sich auf das Objekt der Erkenntnis und fragt nicht nach deren Subjekt, und einiges mehr. Eine andere Wissenschaft – wir wollen die Philosophie einmal auch eine Wissenschaft nennen – macht all diese Einschränkungen nicht, ja, sie macht ausdrücklich gar keine. Man kann es den Philosophen vorwerfen und wirft es ihnen vor, wenn sie irgendwo doch eine machen, wenn sie etwas ausblenden, von dem man doch vermuten kann, daß es von irgendeiner Relevanz ist; und was ist hier nicht von irgendeiner Relevanz? (Die Philosophie macht insbesondere die Grund-Einschränkung nicht, die Naturwissenschaften bzw. Objektwissenschaften überhaupt machen und sich dadurch konstituieren: Wenn die Objektwissenschaften etwas an den Objekten erkennen, dann fragt sie nach den Bedingungen der Möglichkeit dieser Erkenntnis, fragt, ob es denn legitim sei, überhaupt von „Erkenntnis“ zu sprechen.)
Das heißt selbstredend nicht, daß in einem Satz oder Kapitel oder Buch der Philosophie alles über alles stehen kann. Es heißt auch nicht, daß real existierende Philosophen nicht Einschränkungen des Gesichtsfeldes unterliegen. Ein der phänomenologischen Richtung zugehöriger Philosoph blendet im allgemeinen aus, was zu seiner jeweiligen Frage von marxistischen Philosophen gesagt worden ist und umgekehrt – sei es, weil er es nicht weiß, sei es, weil er es nicht versteht.
Ein Naturwissenschaftler aber blendet die Frage nach dem Sollen aus, weil seine Wissenschaft das verlangt, und wendet teleologische Erklärungen nicht an, weil es nicht zur Aufgabe seiner Wissenschaft gehört, teleologisch zu erklären.
Aber diese Einschränkung ist doch nicht einfach „selbstgemacht“; „gottgegeben“ trifft es gar nicht so schlecht. Es ist nicht einfach ein historisches Faktum, daß sich ein paar Leute hingesetzt haben und beschlossen haben: „jetzt legen wir uns einmal ein paar Beschränkungen auf, mal sehen, ob uns das nicht hilft, den Rest schärfer zu sehen“, und siehe da, sie hatten gewaltigen Erfolg. Sondern sie trafen damit systematisch notwendige Punkte des Erkenntnisgeschehens. Teleologische Erklärungen sind in Wirklichkeit gar keine, vielmehr machen wir uns durch sie nur Phänomene verständlich in Analogie zu unserem eigenen Handeln nach Zwecken. Daß die Vögel nach Afrika fliegen, erklärt sich nicht dadurch, daß sie oder Gott das so wollen. Erklärt haben wir nur das, was wir konstruieren können – bzw. naturwissenschaftlich, also kausal und nicht teleologisch erklärt haben. – Die Einschränkung des Gesichtsfeldes der Naturwissenschaft entspricht also (in diesem Punkt) einer Erkenntnis über das, was Erkenntnis ist; die Einschränkung ist notwendig für den Fortgang der Erkenntnis.
Aber es wird doch etwas ausgeblendet und darum sieht man halt manches nicht mehr, was es wert wäre, gesehen zu werden, und was der Naturwissenschaftler, insofern er ja auch Mensch ist, nun einmal weiß. Er weiß, daß er sich nicht durch Betrug bereichern soll, und dieses Wissen geht nicht so leicht weg dadurch, daß er in seiner beruflichen Tätigkeit die Frage nach dem Sollen nicht stellt und er sich mit den Mitteln, die seine Wissenschaft hat, überhaupt nicht erklären kann, wieso er denn nicht betrügen soll.
Das ist unproblematisch, solange die Naturwissenschaftler Naturwissenschaftler sind und nicht versuchen, als Naturwissenschaftler zu philosophieren, d. h. auch über das eine naturwissenschaftliche Meinung zu haben, was sie als Naturwissenschaftler ausgeblendet haben. Denn solange sie Naturwissenschaftler bleiben, überlassen sie halt das Ausgeblendete Fachleuten anderer Disziplinen oder dem Alltagsdenken. Aber wenn sie anfangen zu philosophieren, d. h. naturalistische Philosophen werden, dann versuchen sie, das Ausgeblendete aus der Welt zu schaffen: Sie erklären es für inexistent, weil sie es sich mit den ihnen erlaubten Mitteln (die sie, wohlgemerkt, nicht einfach nach Lust und Laune eingeschränkt haben!) nicht erklären können, oder sie versuchen es mit diesen Mitteln zu erklären und machen sich damit lächerlich, können das aber nicht bemerken, weil der Punkt, von dem aus das zu bemerken ist, dort liegt, wo sie sich nicht hinstellen können: Das haben sie sich ja selbst – mit gutem Grund – verboten.
@ Balanus
Auch wenn sie’ s immer wieder ähnlich bringen, richtiger werden Ihre Feststellungen dadurch nicht. Nein, in der Tat ” ….niemand ist privilegiert, hinter die Kulissen der phänomenalen Welt zu schauen.” eben weil allen die Möglichkeit dazu gegeben ist. 🙂 Ich schrieb schon an anderer Stelle, der einzige Zugang zu diesem “höheren Wissen” ist der Glaube. Der echte Glaube ist wie ein Schlüssel hinter die Kulissen. Gleichwohl kann es nicht anders sein, als dass auch hinter den Kulissen die ‘Sprache’ gesprochen werden muss, die uns von vor den Kulissen vertraut ist, sonst würden wir ja gar nichts wahrnehmen können. Aber was dort passiert ist, dass wir andere Zusammenhänge sehen, die ohne den Glauben nicht ins Blickfeld gelangen könnten. Wir lernen die Kräfte in uns ganz neu und anders zu unterscheiden, eben weil der Glaube uns nach und nach wieder sehend macht, wo wir zuvor blind waren.
Ohne Glauben helfen da keine Reflexionen. Man kann natürlich endlos reflektieren, aber ohne den echten Glauben wird das nichts nützen.
Sie bringen ähnlich noch den anderen Satz:” Für das „Subjekt, das der Welt gegenübersteht“, mag es die Willensfreiheit in einer nicht-phänomenalen Welt geben, einverstanden. Aber springen muss nun mal mein empirischer Körper mittels Muskelkraft.”
Das „Subjekt, das der Welt gegenübersteht“ kennt durchaus auch Aktivitäten, die sich in keiner Weise in der phänomenalen Welt zeigen. Entweder Sie kennen so etwas nicht, oder sie deuten in Ihnen selber solche Aktivitäten falsch. Das Beispiel mit dem Höhlenmenschen ist ja nun sehr praktisch konkret. Aber nicht alle unsere Aktivitäten landen in den Muskeln. Und ich bezweifle, dass samt und sonder in Hirnscans landen.
“Aber es stimmt schon, „[e]s könnte ja sein, daß die Grundlage aller Lebensäußerungen, auch derer, die man biologisch nennt, etwas anderes ist“ (LT), so wie es ja auch sein könnte, dass vor 6000 Jahren ein 13,8 Milliarden Jahre altes Universum erschaffen wurde. Das Gegenteil lässt sich nicht beweisen, also könnte es wahr sein.”
Der Vergleich ist jetzt aber nicht Ihr Ernst, oder? Spielen sie bei den 6000 Jahren auf die Genesis an? Die gibt zahlenmäßig keinerlei Auskunft über das Alter des Universums. In ihren Metaphern für das Schöpfungsgeschehen ist aber durchaus Platz für ein in Jahrmillionen evolutionär gewordenes Universum.
@Grenzgängerin
»Man kann natürlich endlos reflektieren, aber ohne den echten Glauben wird das nichts nützen. «
Woher weiß man denn, was man glauben soll? Oder an wen?
»Der Vergleich [Erschaffung eines 13,8 Milliarden Jahre alten Universums vor 6000 Jahren] ist jetzt aber nicht Ihr Ernst, oder? «
Doch, natürlich, mit so etwas treibe ich keine Scherze. Und ja, die Zahl 6000 ist kein Zufall, sie spielt an auf die Junge-Erde-Kreationisten. Es geht ja nur darum, was alles sein könnte, wenn man die Naturwissenschaften außen vor lässt, bzw. wenn man die Welt nicht durch eine gesichtsfeldeinschränkende naturwissenschaftliche Brille sieht. Anything goes…
Von Ludwig Trepl, @Balanus
“Woher weiß man denn, was man glauben soll? Oder an wen?”
Einfach mal nachdenken. Anders kann man nie dahin kommen, das zu wissen.
@Ludwig Trepl
»Einfach mal nachdenken.«
Wollen Sie damit andeuten, dass bei richtigem Nachdenken über das, was man glauben soll, alle Menschen eigentlich zum gleichen Ergebnis kommen müssten?
von Ludwig Trepl, @Balanus.
Na ja: Christlich wäre das nicht. Da ist entscheidend, daß jeder seinen eigenen Weg gehen muß. Und da jeder einmalig ist, muß auch sein Weg einmalig sein – auch wenn jeder bezüglich des Allgemeinen zum gleichen Ergebnis kommen muß, wenn er richtig denkt. Aber das Allgemeine gibt es als solches eben nicht, es ist immer nur im Individuellen vorhanden. Jeder muß das allgemeine Gebot auf seine ganz individuelle Weise erfüllen, darf es nicht „mechanisch“ ausführen, sondern „im Glauben“. – Das ist nicht so leicht zu verstehen, die Naturwissenschaft hat das, was man hier denken muß, konstitutiv aus ihrer Art zu denken ausgeblendet. Im Rahmen der verschiedenen Spielarten des neuzeitlichen Denkens wird man wohl nur einen Zugang dazu bekommen, wenn man diejenige Theorie des Individuums studiert, die der Leibniz’schen Monadologie zugrunde liegt.
@ Balanus
…nein, nicht “anything goes” Wenn man glaubt, geht nur Eines. Das mag zwar in so vielen Variationen, wie es Menschen gibt, verwirklicht werden, aber im Kern ist es nur eines. Zumindest intuitiv, weiß das eigentlich jeder. Unsere Not ist die Realisierung. Mit emotionaler Nachhilfe gelingt sie hier und da. Aber das genügt eben nicht. Das alleine wäre nicht zum Leben und nicht zum Sterben. Und weil für uns Menschenkinder die Umsetzung kein kleines Problem ist, versuchen wir immer wieder vergeblich, das, was eigentlich zuallererst gehen müsste, zu umschiffen. Sei es unbewusst, halbbewusst oder bewusst, sei es unauffällig, lauthals, gekonnt, klug, intelligent, organisiert, individuell, wissenschaftlich, naturwissenschaftlich, autoritär, mit Geld… wie auch immer, es bringt nichts, außer vergebliche Mühe, große Umwege, Unkosten, Irrwege, Diktatur, Gewalt, Leid, Tod……
Sie werden jetzt vielleicht fragen, was das denn mit Glauben zu tun haben soll, wenn ich behaupte, dass willentliche, zwischenmenschlich gegenseitige Liebe das A und O ist, dass sie das Einzige ist, das gehen MUSS im Gegensatz zu “anything goes”. (weshalb sie auch Richtschnur bei der Auswahl der Glaubensgemeinschaft sein kann.)
Es gibt zwar für diese Liebe, damit sie überhaupt in Gang kommt, viele emotionale, biologische Nachhilfe, wie etwa die sexuelle Liebe, die Mutterliebe etc. und Organisationen, Religionen etc. die sie fördern, aber eben, das ist nur Nachhilfe. Die willentliche gegenseitige Liebe zwischen Menschen bedarf des Glaubens. So WIE sie erforderlich ist, damit Leben Bestand hat und menschliches Miteinander in Liebe beständig gelingt, bedarf sie des Glaubens.
Warum?
Weil sie so nur in Gott ist. Es braucht den Glauben an DIE LIEBE schlechthin. Das heißt, an den, der in sich die gegenseitige Liebe in Freiheit ist und permanent zeugt. Der alleine sie folglich auch in und zwischen den Menschen begründen kann. Und es braucht vor allem den Glauben an die Gegenwart dieser Liebe im jeweils anderen Menschen, auch da wo sie verschütt zu sein scheint. …was sie ja hier und da bei jedem von uns mehr oder weniger ist. Dieser Glaube ist die wahre Herausforderung und gelingt nachhaltig nur in der Rückkopplung an den, der diese Liebe ist.
Einen solchen Gott und eine Glaubenslehre, die zu solcher Liebe hinführt, kenne ich nur vom christlichen Glauben, nämlich an den dreieinen Gott, der sich als einer und doch als Gemeinschaft der Liebe zwischen autarken Personen gezeigt hat, eben nicht als individualautoritärer Gott, der in seiner göttlichen Einsamkeit nicht Liebe sein kann.
So kann man sagen, wer diese Liebe aufrichtig sucht, findet Gott und umgekehrt, wer Gott aufrichtig sucht, findet diese Liebe. Deshalb kann das, was diese gegenseitige Liebe ausmacht, auch außerhalb des Christentums gesucht, gefunden und gelebt werden. Auf jeden Fall aber braucht es des Glaubens an die ganz konkrete Kommunikationsmöglichkeit mit einem Jenseits der Liebe, da diese Liebe nicht aus sich heraus in unserer Welt gegeben ist. Und diese Kommunikation ist jedem möglich.
Gegenseitige Liebe kann man jedenfalls als DAS LEBEN schlechthin bezeichnen, auch in physikalischer, molekularbiologischer Hinsicht. Dazu später mehr. Das sei jetzt hier nur arg verkürzt angedeutet.
“Woher weiß man denn, was ….
…man weiß eben nicht! Wenn man intuitiv spürt, durch was und wen auch immer verursacht, sich dem Glauben öffnen zu sollen, muss man sich zuerst entscheiden, jeder für sich alleine. Danach ist man zwar nicht mehr alleine, aber die Entscheidung trifft man ganz alleine, die kann einem keiner abnehmen. Gott lässt sich dann aber nicht lumpen, er wird entgegen kommen, wenn wir wirklich wollen, d.h. nicht einfach mal zum Test oder so. Klar, man muss sich dafür loslassen, seine Sicherheiten, den Boden unter den Füßen…. denn es geht ja um eine neue höhere Sicherheit und weitreichenderen Boden unter den Füßen.
“Woher weiß man denn, was man glauben soll? Oder an wen?”
… heißt das, dass für Sie die Frage, dass man glauben soll und was Glaube an Gott an sich bedeutet, geklärt ist? Denn die müsste m.E. vorangehen. Jedenfalls kann und muss man auch unabhängig von einer bestimmten Religion/Weltanschauung die Frage des Glaubens im obigen Sinne für sich selber entscheiden, denn sie betrifft uns alle. Sie besagt, dass wir die eigentliche Kraft unseres Lebens, die Liebe, nicht aus dieser Welt haben, dass wir dafür die Öffnung zum ‘anderen Ufer’, zu einem Jenseits hin, wollen und wagen müssen.
Wenn wir sie nicht entscheiden, treten wir trotz höchster wissenschaftlicher Erkenntnisse auf der Stelle.
Zur Frage, was Glaube bedeutet möchte ich auch noch mal auf meinen allerersten Beitrag hier auf Scilogs verweisen.
@ Ludwig Trepl und @ Balanus
Ursprünglich hatte ich mit meiner Recherche in wissenschaftlichen Publikatioonen TV und IT und eben auch auf Scilogs sicherstellen wollen, dass ich mit meinen Entdeckungen und darauf aufbauenden Ideen nicht das Rad neu erfinde. Das ist nun zwar nicht der Fall, aber mir fällt im Laufe dieser Recherche und besonders auch jetzt in der Diskussion zwischen Ihnen Herr Trepl und @Balanus noch ganz etwas anderes auf. Etwas, womit sich m.E. die traditionelle Philosophie und mit ihr auch die Theologie in einer Sackgasse festgerannt hat. Die scheint mir auch das Problem gegenüber der Fragestellung von @Balanus zu sein. Um ihr richtig begegnen zu können, müsste man also erst mal aus dieser Sackgasse wieder heraus finden. Immer wieder prallt man in den diversen Diskussionen um Freiheit, freien Willen, Geist und Materie, Gott und Mensch auf die ‘Mauer am Ende der Sackgasse’ die sich in so absoluten Selbstbeschränkungen auftürmt, wie: “die Wirklichkeit des Geistes wird uns nie zugänglich sein”. Noch größer und absoluter ist die Selbstbeschränkung gegenüber Gottes Wirklichkeit. Allem Transzendenten wird ein Forschungsverbotschild entgegen gehalten. Ich glaube, es ist letztlich das, wogegen sich Naturwissenschaftler wie @Balaus wehren. Und ich meine zu Recht.
Es scheint tabu zu sein, zu meinen, Gott und seine so ganz andere Wirklichkeit erforschen zu können, oder gar sich ihm naturwissenschaftlich nähern zu können. Das wird von der traditionellen Philosophie und Theologie als Hochmuth angesehen. Das genau ist aber die Sackgasse. Denn da wird etwas Grundlegendes verwechselt und werden deshalb wichtige Forschungen und Überlegungen erst gar nicht angestellt. (…. Mal abgesehen davon, dass mir diese Selbstbeschränkung bei vielen Tonangebenden in Wirklichkeit wesentlich niedrigeren Gründen zu entspringen scheint. Denn solange man Gott in hehre unerreichbare Ferne rückt, können Menschen mit unerkannter Machtmenschveranlagung ihn prima zur Zementierung weltlicher Macht missbrauchen. Solche sind in allen Religionen und Weltanschauungen vertreten. Im Christentum behindern sie z.B. nichtselten, dass Jesu Botschaft sich gemäß seiner Verkündigung entwickeln kann, der hat demgegenüber das ganze Gegenteil verkündet, er hat uns Gott aus der Ferne ganz nahe heran geholt.
Der große Irrtum dieser Selbstbeschränkung liegt darin, dass wir unsererseits ein Wissen um das Wie des göttlichen Seins der Liebe gleichsetzen mit der Fähigkeit, ein solches Wissen permanent in die Tat umzusetzen. Denn das vollzieht sich in Gott als ein Dauerzustand, während wir nur mit Mühe einige Zeiten zusammenbringen. Wir sind jedenfalls nicht schon deshalb Gott, wenn wir verstehen, was Gottes Sein und Gottes Liebe ausmacht. Vielmehr ist es so, dass wir genau das zu verstehen, – und zwar mit allen Disziplinen – anstreben sollten. Laut Genesis konnten wir dies offenkundig ja schon mal, nämlich im paradiesischen Zustand.
Dieses Tabu nun hat zur Folge, dass z.B. alles Transzendente falsch, nämlich als unerreichbar, eben Fantasie, Hokuspokus eingestuft wird. Damit werden wichtige Bereiche unserer Realität von der Forschung ausgeklammert. So wurden für all das vermeintlich ‘Fantasievolle’ so irrsinnige Begriffe wie “außerkörperliche Instanz”, “überempirische Akteure”, etc. geprägt, die aber nur irreführen können und in ihrer vermeintlichen Unerforschbarkeit auf Dauer nicht zufriedenstellen können.
Ist es nicht so, dass viele Dinge in unserer Welt auf zwei Füßen stehen , angefangen bei uns selber. Solche Komplementarität akzeptieren wir anstandslos. Es kann aber vorkommen, dass wir hinken. Da kennt man dann diesen Phantomschmerz im fehlenden Bein. Vielleicht hat ja unsere ganze materielle Welt solch ein fehlendes, vorübergehend nicht mehr sichtbares ‘Standbein’, das wir aber sehr wohl noch spüren, weil es eben auf andere Weise da ist, die man aber gleichwohl nicht als “außerkörperliche Instanz” oder “überempirisch” bezeichnen könnte.
@ Ludwig Trepl: So sehr ich etliche Ihrer Einzelaussagen vollkommen richtig finde, plausibel dargestellt und verständlich formuliert, mir scheint, dass wegen dieser fatalen Selbstbeschränkung das gesamte philosophische Bemühen auf die Problemstellung, die @Balanus anspricht, nicht antworten kann. Ich kann verstehen, dass @Balanus Ihr Bemühen, die jeweils zuständigen Disziplinen und ihre je eigenen Fragestellungen penibel auseinander zu halten, nicht genügt.
Ist es deshalb, weil die Geisteswissenschaften sich selber empfindlich beschränken, nicht aus ihrer Sackgasse herauskommen und sich wichtige Forschungsfelder verbieten, die aber zur Beantwortung seiner Fragen anstehen?
Zum Glück gibt es aber Wissenschaftler, für die es dieses Tabu nicht gibt.
Ich mag mich täuschen, aber ich habe nicht den Eindruck, dass Ihr letztes Kant Zitat auf @Balanus zutrifft.
Von Ludwig Trepl, @ Grenzgängerin.
Sie schreiben von der „Sackgasse“, in der sich „die“ traditionelle Philosophie und mit ihr auch die Theologie festgerannt habe. Alles, was Sie an Beispielen bringen, betrifft aber nicht die traditionelle Philosophie, sondern nur Teile derselben, neben denen es andere Teile gab/gibt, die genau das machen, was Sie vermissen.
Man darf nicht glauben, irgendein Gedanke, den man hat – von einigen ganz randständigen vielleicht abgesehen – sei neu. Praktisch alles hat man schon gedacht und zwar viel, viel besser, als man es selber kann. Neu und zugleich nicht irrelevant sind eigene Gedanken manchmal zwar auch, aber nur dann, wenn sie sich auf etwas beziehen, das spezifisch für einen selbst ist. Denn einen selbst kennen andere nun doch nicht in allen Hinsichten so gut oder besser als man sich selbst kennt. Daß jemandem, zudem einem, der die einschlägige Diskussion nicht umfassend und bis ins Detail kennt, neue Gedanken von allgemeiner Bedeutung kommen, ist zwar theoretisch nicht ausgeschlossen, kommt aber praktisch nicht vor.
Ihre Beispiele:
“die Wirklichkeit des Geistes wird uns nie zugänglich sein”.
Da war Hegel und mit ihm der Hauptstrom der Philosophie seiner Zeit ganz anderer Meinung.
“Noch größer und absoluter ist die Selbstbeschränkung gegenüber Gottes Wirklichkeit.“
Das war für die scholastischen Nominalisten so, aber für ihre (damals weit mächtigeren) Gegner, die Universalienrealisten, ganz und gar nicht. Wir wissen von Gott und wir wissen vieles über ihn, denn der läßt uns an seiner Vernunft teilhaben. (Natürlich wurde unsere Vernunft damit nicht zu einer göttlichen, ein Rangunterschied blieb.)
“Es scheint tabu zu sein, zu meinen, Gott und seine so ganz andere Wirklichkeit erforschen zu können, oder gar sich ihm naturwissenschaftlich nähern zu können.“
Im 18. Jahrhundert war es vorherrschende Auffassung, daß man durch Naturforschung Gottes Wirklichkeit erkennen kann, daß man durch Aufweis der göttlichen Wirkungen in der Natur Gottes Schöpfertum beweisen kann, daß Naturforschung darum eine Art Gottesdienst ist. Man nannte das Physikotheologie.
Alles, was Sie wollen (wenn ich richtig verstanden habe, was Sie wollen), wurde im frühen 18. Jahrhundert von Leibniz in einer Großen Philosophie vereinigt – in der Tradition des Rationalismus, der sich wiederum vom mittelalterlichen Universalienrealismus herleitet, der eben das getan hat, was Sie vermissen. (Diese Philosophie wird seitdem immerzu von Leuten, die sie nicht kennen, neu erfunden, wenn auch auf weit niedrigerem Niveau und so verstümmelt, daß sie nicht funktionieren kann.) Die Leibniz’sche Philosophie ist in sich völlig konsistent, macht aber Voraussetzungen, die heute, sagen wir mal, zumindest schwierig zu denken sind. Darum vertritt sie auch so gut wie keiner mehr. Das bedeutet selbstverständlich nicht, daß sie deshalb falsch ist, aber es zeigt immerhin, daß man eine Menge von Widerständen beseitigen muß, wenn man sie vertreten will. Und diese Widerstände sind nicht nur in den Köpfen anderer, der „Gegner“, sondern garantiert auch im eigenen Kopf.
@ Ludwig Trepl
….sehe gerade erst (23.12.2013) zwischen Tür und Angel diese Reaktion von Ihnen vom 20.12. auf meinen Kommentar von acht Tage vorher. Wahrscheinlich ist er auch gleichzeitig eine Antwort auf meinen anderen noch älteren Kommentar. Im Moment geht es nicht, aber ich werde noch darauf antworten. Nur kurz soviel:
Dass die Fragestellung sicher schon und immer wieder frühere Forschungen befasst hat, davon gehe ich aus. Aber ist gut, dass Sie die auf Ihrem Wissenshintergund etwas näher umreißen. Allgemein war mir das schon klar.
Aber es geht nicht einfach nur um einen Gedanken von mir, bei dem ich mir einbilde, er sei neu.
Er baut vielmehr auf neuen naturwissenschaftlichen Entdeckungen UND auf meinen eigenen Entdeckungen auf, die Leibniz und all die anderen früheren Denker noch nicht kennen konnten und die auch heute und auch hier auf Scilogs (wie schon mehrfach von mir erwähnt) offenbar noch nicht bekannt sind. Und sicher werden solche, denen sie quer kommen, erst einmal kräftig Widerstand machen.
..nun, wir werden sehen.
..wünsche besinnliche Feiertage
Das Wissen um die Willensfreiheit ist kein Wissen um etwas in der Welt der Erscheinungen.
Von Ludwig Trepl. @ Balanus.
Jetzt sind Sie schon dicht dran, zucken dann aber mit dem „Man kann es vielleicht auch so sagen“ wieder zurück.
Man kann es nicht vielleicht so, vielleicht so sagen. Sondern „Nichts spricht dafür“ und „Nichts in der phänomenalen Welt spricht dafür“ sind zwei völlig verschiedene Behauptungen. Der zweiten hätte (bzw. hat an vielen Stellen) Kant zugestimmt, die erste hat er vehement abgelehnt.
„Der [der eine außerkörperliche Instanz für notwendig hält] sieht die Dinge nicht so, wie sie uns notwendigerweise erscheinen, sondern behauptet, sie so zu sehen, wie sie wirklich sind.“
Ginge es um „Dinge“ – das soll heißen: um etwas in der Welt –, wäre das richtig. Um etwas über die „Dinge“ zu erkennen, braucht es die Sinne: den „äußeren Sinn“, dem die Anschauungsform Raum notwendig ist (und indirekt Zeit), wenn es um „äußere Dinge“ geht, den „inneren Sinn“, dem die Anschauungsform Zeit notwendig ist, wenn es um die „inneren Dinge“ geht; z. B. braucht man den „inneren Sinn“, um festzustellen, ob einem ein bestimmtes Gefühl früher gekommen ist als ein anderes.
Doch um „Dinge“ geht es hier überhaupt nicht, sondern nur um das Subjekt, dasjenige, für das es „Dinge“ gibt („transzendental“ ist der Fachterminus dafür). Da gibt es Sicherheit: Ich denke; wenn das gesichert ist, gibt es das, was da denkt. Oder: Ich kann mir denken, daß keine Dinge im Raum sind, aber nicht, daß kein Raum ist. Das bekommt man nicht dadurch heraus, daß man über die uns erscheinende Welt nachdenkt (über die Welt an sich nachzudenken ist sinnlos); da bekommt man vielleicht heraus, daß der Raum anders als es den Anschein hat gekrümmt ist. Sondern dadurch, daß das Denken über sich selbst – also noch mal: nicht über die uns erscheinende Welt, sondern über das, dem da eine Welt erscheint – nachdenkt.
Die Frage nach der Willensfreiheit zielt eben nicht auf die Welt (die wir nur als uns erscheinende kennen können), auch nicht auf das in der Welt, was man das „empirische Ich“ usw. genannt hat, d. h. auf diejenigen inneren Phänomene, die uns durch den inneren Sinn zugänglich sind, sondern auf das Subjekt. Diejenigen, die sie in der Welt (innen und außen) suchen, werden die Willensfreiheit nie finden. Für sie bleibt sie ein bloßer Gedanke. Für mich – nicht als Teil der Welt betrachtet, sondern als Subjekt, das der Welt gegenübersteht – aber ist die Willensfreiheit etwas Reales, und zwar praktisch Reales: Ich muß mich entscheiden, ob ich springen will oder nicht. Es führt in ein Gewirr von Widersprüchen, wenn ich sage: Was wir da willentliche Entscheidung nennen, ist in Wirklichkeit ein Geschehen in der phänomenalen Welt und unterliegt deren (den physikalischen) Gesetzen. Also entscheide ich mich nicht, sondern warte, ob eine Kausalkette an der zuständigen Stelle im Gehirn ankommt, die mich springen läßt oder nicht. Dann habe ich mich eben nicht für das Springen, sondern für das Warten entschieden.
Und woher kommt es, daß ich von der Willensfreiheit weiß? Weil, sagt Kant, ich um das Sittengesetz weiß. Ich soll. Das impliziert, ich kann auch anders, ich bin frei. Das Sittengesetz ist eine „Tatsache der Vernunft“, nicht mehr von irgend etwas anderem, Gesichertem herleitbar. Die Vernunft findet es vor – nicht in der Welt, da hätten wir keine Sicherheit, sondern in der Vernunft.
„Die Ursache dieser Irrungen ist keine andere als folgende. Der kategorische Imperativ, aus dem diese Gesetze diktatorisch hervorgehen, will denen, die bloß an physiologische Erklärungen gewohnt sind, nicht in den Kopf; unerachtet sie sich doch durch ihn unwiderstehlich gedrungen fühlen. Sich aber das nicht erklären zu können, was über jenen Kreis gänzlich hinaus liegt (die Freiheit der Willkür), … wird durch die stolzen Ansprüche der spekulativen Vernunft, die sonst ihr Vermögen in andern Feldern so stark fühlt, gleichsam zum allgemeinen Aufgebot der für die Allgewalt der theoretischen Vernunft Verbündeten gereizt, sich jener Idee zu widersetzen ….“ (Kant, Vorrede MS, Tugendlehre)
@Ludwig Trepl, zum Letzten(?):
»Bis auf die Kleinigkeit, daß wir erst einmal wollen müssen, was wir da tun (sonst tun wir es nicht, sondern verhalten uns nur, so wie wenn der Fuß vorschnellt, wenn der Arzt mit dem Hämmerchen aufs Knie klopft). Und wollen ist nun beim besten Willen nicht etwas, was der biologische Körper kann.«
Das eine bezeichnen wir als „Tun“, das andere als reflektorische Bewegung. Beides wird vom biologischen Körper realisiert. Nichts spricht dafür, dass für das Tun eine außerkörperliche Instanz notwendig ist.
Man kann es vielleicht auch so sagen: Nichts in der phänomenalen Welt spricht dafür, dass für das Tun eine außerkörperliche Instanz notwendig ist. Wer also diese Notwendigkeit behauptet, beruft sich damit implizit auf etwas, was außerhalb der erkennbaren Welt liegt. Der sieht die Dinge nicht so, wie sie uns notwendigerweise erscheinen, sondern behauptet, sie so zu sehen, wie sie wirklich sind.
Ganz schön vermessen, finden Sie nicht?
@Balanus
„»Bis auf die Kleinigkeit, daß wir erst einmal wollen müssen, was wir da tun (sonst tun wir es nicht, sondern verhalten uns nur, so wie wenn der Fuß vorschnellt, wenn der Arzt mit dem Hämmerchen aufs Knie klopft). Und wollen ist nun beim besten Willen nicht etwas, was der biologische Körper kann.« [Zitat von mir]
Das eine bezeichnen wir als ‚Tun’, das andere als reflektorische Bewegung. Beides wird vom biologischen Körper realisiert. Nichts spricht dafür, dass für das Tun eine außerkörperliche Instanz notwendig ist.“
Ich habe „tun“ als „handeln“ gelesen, nur so ist ja das „erst einmal wollen“ sinnvoll. In der Tat wird „tun“ nicht immer im Sinne von „handeln“ gebraucht. Wenn ein Tier auf einen Nahrungsreiz hin eine Bewegung zur Quelle des Reizes hin ausführt, dann sagt man in der Biologie zwar im allgemeinen dazu „Verhalten“, aber auch halb-umgangssprachlich: es „tut“ etwas, auch wenn nicht mitgedacht ist, daß das Tier auch anders könnte, vielmehr gedacht ist, daß diese Bewegung naturgesetzlich unausweichlich ist. Und doch wird man diese Bewegung im allgemeinen von einem Reflex unterscheiden.
Für das Handeln allerdings (also das, was ich gemeint habe) ist eine „außerkörperliche Instanz“ nötig. Ich habe mit diesem Begriff meine Schwierigkeiten, weil er sich so substanzdualistisch anhört; gemeint ist jedenfalls eine „Instanz“, also nicht etwas, das einfach nur Resultat kausaler Prozesse ist, die wiederum Resultat kausaler Prozesse sind usw. (so daß die Zurechnung sich im Unendlichen verliert), sondern eine, die sich ganz von sich aus, also „selbst“ ein „Ziel“ setzt, d. h. etwas, das nicht ein physisches Objekt ist, sondern eine Vorstellung eines Objekts, und die unter der Maßgabe dieses Ziels „wählt“, so wie sie das Ziel „gewählt“ hat und also auch anders hätte wählen können. Also eine Instanz, die es definitionsgemäß im Gegenstandsbereich der Naturwissenschaft nicht geben kann, von deren Realität wir alleine deshalb wissen, weil wir sie von uns selbst aus kennen. – Wenn Sie meinen, die Naturwissenschaft könnte dergleichen doch kennen, könnte also ihre Methodologie so erweitern, daß dergleichen für sie doch thematisierbar ist, dann meinetwegen, aber dann sollten Sie dazusagen, daß Sie mit „Naturwissenschaft“ etwas radikal anderes meinen als man die letzten Jahrhunderte über damit gemeint hat und daß Sie auch mit „körperlich“ (physisch) etwas radikal anderes meinen.
Sie schreiben dann:
“Nichts in der phänomenalen Welt spricht dafür, dass für das Tun eine außerkörperliche Instanz notwendig ist. Wer also diese Notwendigkeit behauptet, beruft sich damit implizit auf etwas, was außerhalb der erkennbaren Welt liegt.“
Setzen wir statt „Tun“ „Handeln“. Dann ist richtig, daß in der phänomenalen Welt Handeln zwar vorkommen kann (wir sehen Menschen handeln), aber als Handeln (statt als Verhalten) nur erkennbar ist, weil wir ein Wissen über etwas haben, das nicht zur phänomenalen Welt gehört, nämlich daß wir selbst handeln können. Da beruft man sich in der Tat auf etwas, das „außerhalb der erkennbaren Welt liegt“, nämlich nicht in der Welt, sondern im Subjekt, das dieser Welt gegenübersteht. Für das abstrakte, halbierte Denken, das des Naturalismus, gibt es zwar die erkennbare Welt, aber nicht das, was sie erkennt und insofern ihre Bedingung ist, gibt es nur das Objekt und nicht das Subjekt.
Dann fahren Sie fort:
“Der [der behauptet, eine außerkörperliche Instanz sei beim Handeln impliziert] sieht die Dinge nicht so, wie sie uns notwendigerweise erscheinen, sondern behauptet, sie so zu sehen, wie sie wirklich sind.“
Das nun nicht gerade, denn er sieht nicht „die Dinge“. Von denen ist ja hier gar nicht die Rede, sondern vom Subjekt, das auf sich selbst reflektiert und nicht auf die Dinge in der Welt sieht, auch nicht sich selbst als Objekt betrachtet. Da Subjekt reflektiert auf sich als Subjekt, es ist kein Phänomen. Die Unterscheidung von „wirklich sein“ und „erscheinen“ kann sich hier gar nicht stellen, weil es nichts gibt, was erscheint.
@Ludwig Trepl:
»Wir erkennen an der phänomenalen Welt zwar Notwendiges […] und Mögliches/Unmögliches […]. Aber das erkennen wir nicht durch Erfahrung, sondern weil wir die phänomenale Welt nun einmal so konstituiert haben.«
Unsere Konstitution der phänomenalen Welt ist aber nicht vom Himmel gefallen, sondern wurde von uns aufgrund von, ja was?, geschaffen. Meine Antwort wäre ja, dass die Konstitution der phänomenalen Welt naturbedingt artspezifisch ist. Deshalb leben Hund und Herrchen in phänomenal unterschiedlichen Welten.
»Die Perspektive der Menschen vor Einführung des Geldes war aber gerade im Hinblick auf unsere Fragen eine sehr andere als danach […]. Nicht biologisch ist da etwas festgelegt, sondern durch die Art der Vergesellschaftung.«
Das widerspricht nicht dem, was ich mit „biologisch festgelegt“ meine, denn ich habe ja von der artspezifischen Perspektive des Menschen auf die „Welt an sich“ gesprochen. Wir können nun mal nicht die Welt mit den Augen bzw. Ohren einer Fledermaus sehen (sagt Thomas Nagel).
In diesem Zusammenhang noch eine Anmerkung, um unnötige Missverständnisse zu vermeiden: Mit Blick auf das Denken und Verhalten von Menschen bedeutet „biologisch festgelegt“ bei mir nur, dass wir stets im Rahmen des Menschenmöglichen bleiben (müssen). Und dem Menschen ist eben sehr vieles möglich. Bei Tieren verknüpfen wir mit „biologisch festgelegt“ meist ein ganz bestimmtes Verhalten bzw. Verhaltensrepertoire. Beim Menschen ergibt sich durch Lernen und (selbst)kontrolliertes Verhalten (was woanders gerne unter „Willensfreiheit“ verhandelt wird) ein ganzes Spektrum an Verhaltensmöglichkeiten.
»“Was die Dinge an sich sein mögen, weiß ich nicht, und brauche es auch nicht zu wissen, weil mir doch niemals ein Ding anders als in der Erscheinung vorkommen kann.” (Kant). «
Meine Rede (Zitat: »… auch wenn ich zugegeben muss, dass mir die phänomenale Welt ungleich wichtiger ist als die „Welt an sich“ «). Woraufhin Sie meinten, da wäre Vorsicht angebracht, weil unsere praktischen Entscheidungen der „Welt an sich“ angehören könnten.
Ich meine hingegen, dass Kants „Dinge“ nicht nur konkrete Objekte umfassen, sondern auch sämtliche Gegenstände unseres Denkens. Die Gewissheit, die Sie hier immer wieder zum Ausdruck bringen gegenüber bestimmten auf Reflexion basierenden Erkenntnissen, kann ich so nicht teilen (ausgenommen z. B.: Ich… also bin…).
»Fragen der Ökonomie: das verstehe ich nicht, worauf Sie hinauswollen.«
Ich nahm irrtümlich an, der „Preis“ (des Hauses) stünde für die Perspektive auf die „Welt an sich“.
»Die Vernunft ist kein Phänomen, vielmehr Bedingung dafür, daß es für uns überhaupt unsere phänomenale Welt gibt,… «
Aber es ist doch unbestritten, dass wir Vernunft nur dort wahrnehmen, wo sich bestimmte materiale Strukturen gebildet haben, in denen bestimmte Prozesse ablaufen. Warum also soll Vernunft nicht auch Teil der phänomenalen Welt sein?
»…impliziert aber eben auch die Möglichkeit und Notwendigkeit, bei diesen Phänomenen nicht stehenzubleiben, sondern (a) Erscheinungen als Erscheinungen von etwas, das uns unerkennbar bleibt, zu erkennen…«
Genau das tun doch diejenigen, die sagen, dass Willensentscheidungen nur scheinbar im phänomenalen Bewusstsein stattfinden. Uns selbst müssen die tatsächlichen Vorgänge unerkennbar bleiben, aber die Vernunft, gestützt auf Empirie, sagt uns, dass es sich anders verhalten muss.
»und (b) zu erkennen, daß wir in unserer Willensbestimmung unbedingtem Sollen unterliegen, womit wir also an uns (nicht in der Welt) etwas kennen, was nicht der Welt der Phänomene angehört.«
Die Auslagerung des „Ichs“ aus der Welt der Phänomene empfinde ich meinerseits als einen „Taschenspielertrick“ der Moralphilosophen.
Von Ludwig Trepl, @ Balanus.
“Unsere Konstitution der phänomenalen Welt ist aber nicht vom Himmel gefallen, sondern wurde von uns aufgrund von, ja was?, geschaffen. Meine Antwort wäre ja, dass die Konstitution der phänomenalen Welt naturbedingt artspezifisch ist. Deshalb leben Hund und Herrchen in phänomenal unterschiedlichen Welten.“
Das ist, so scheint mir, der feste Grund, auf dem Sie wie alle Biologisten sich stehen sehen, Sie bringen das Argument immer wieder. Ich muß dazu demnächst mal etwas Zusammenhängendes schreiben.
„Das widerspricht nicht dem, was ich mit „biologisch festgelegt“ meine“
Da haben Sie, meine ich, recht. Ich habe das nur erwähnt, weil hier ein gewaltiges Forschungsfeld ist, das den Biologisten völlig entgeht. Es gibt aber etwas Basaleres als das, was man da an kulturell bedingtem Quasi-Transzendentalem findet (z. B. durch die „Erfindung“ des Geldes in die Welt gekommen). Es gibt eine Gemeinsamkeit aller Menschenvernunft; sie zeigt sich darin, daß wir alle (erwachsenen, gesunden) Menschen für „zurechnungsfähig“ halten. Dem folgenden Satz werden Sie aber wohl nicht mehr zustimmen: Wir können nicht ausschließen, daß es „extraterrestrische Intelligenzen“ gibt, die wir ebenfalls für „zurechnungsfähig“ halten müssen – trotz völlig fehlender biologischer Verwandtschaft.
“Aber es ist doch unbestritten, dass wir Vernunft nur dort wahrnehmen, wo sich bestimmte materiale Strukturen gebildet haben, in denen bestimmte Prozesse ablaufen. Warum also soll Vernunft nicht auch Teil der phänomenalen Welt sein?“
Sie ist auch Teil der phänomenalen Welt: Sie ist an bestimmten Orten zu bestimmten Zeiten zu finden. So ist es z. B. mit dem Begriff des Subjekts auch. Wo kein Hirn usw., da kein Subjekt. Auf dem Mond gibt es keines. Aber in unserer Diskussion interessiert das Subjekt nicht als ein Phänomen, das immer hier und dort und zu bestimmten Zeiten ist. Das Subjekt, das wir meinen, wenn wir sagen: es setzt sich die/der Welt gegenüber, ist nicht das Subjekt als Phänomen. Es ist vielmehr Bedingung der Möglichkeit von Phänomenen (die immer nur Phänomene für es sind) überhaupt. Der logische Status der beiden Subjektbegriffe ist ein völlig verschiedener. Da darf man nichts durcheinanderbringen.
“Genau das tun doch diejenigen, die sagen, dass Willensentscheidungen nur scheinbar im phänomenalen Bewusstsein stattfinden ….“
Da verstehe ich nicht, was Sie mir sagen wollen.
“Die Gewissheit, die Sie hier immer wieder zum Ausdruck bringen gegenüber bestimmten auf Reflexion basierenden Erkenntnissen, kann ich so nicht teilen“
Sie formulieren hier einen radikal skeptischen Satz und widersprechen sich damit selbst. Das ist das Problem des radikalen Skeptizismus: Er ist sich sicher, daß es keine Gewißheit gibt; in diesem Punkt hat er also Gewißheit. – In der Tat, dieser radikale Skeptizismus führt auf sein Gegenteil: Absolut sicheres Wissen ist uns möglich. Wir wissen z. B. mit Gewißheit, daß wir uns irren können, daß wir nie ganz sicher sein können; nicht nur in Bezug auf empirisches Wissen, sondern z. B. auch in Bezug auf die richtige Lösung einer komplizierten Rechenaufgabe.
Aber das betrifft den konkreten Fall. Allgemein können wir schon etliches sicher wissen, z. B. daß das Sittengesetz gilt, daß das Denken die Bestimmung hat, wahr und nicht falsch zu urteilen, oder daß wir mit Gewißheit sagen können, daß wir im konkreten Fall immer irren können.
“Die Auslagerung des „Ichs“ aus der Welt der Phänomene empfinde ich meinerseits als einen „Taschenspielertrick“ der Moralphilosophen.“
Das ist nicht in der Moralphilosophie zuerst aufgetreten, sondern in der theoretischen Philosophie: Wenn das Denken über die Welt sich selbst nach den Bedingungen seiner selbst, nach den Bedingungen dafür, daß es etwas „erkennt“, daß ihm eine „Erfahrung“ zuteil wird, daß etwas “objektiv” so ist und ihm nicht nur “subjektiv” so vorkommt usw. fragt, dann kommt es unvermeidlich auf jene Instanz, die nicht Phänomen ist, sondern Bedingung dafür, daß es überhaupt Phänomene (also „Dinge für es“ und Wissen darüber) ge