Parasomnie: Zwischen Wachsein und Schlafen

Schlafwandeln, Nachtschreck, im Schlaf sprechen oder sich die Zunge blutig beißen: Während unserer nächtlichen Ruhe können die bizarrsten Verhaltensweisen auftreten. Doch wie ist das möglich?
Die eben genannten Schlafstörungen lassen sich dem Krankheitsbild der Parasomnie zuordnen. Bei diesem Erkrankungsbild kommt es aufgrund von Störungen der Schlaf-Wach-Übergänge zu unerwünschten Handlungen. Was das genau bedeutet und wie man dem vorbeugen kann: Das klären wir jetzt!

Schlaf ist nicht gleich Schlaf

Von außen mag unser Schlaf vielleicht einheitlich aussehen. Im Gehirn passieren jedoch die unterschiedlichsten Dinge. Misst man von schlafenden Menschen die Gehirnaktivität, so treten je nach Schlafphase verschiedene Aktivitätsmuster auf. Für eine weitere Unterteilung in Schlafstadien wird außerdem die Anzahl der Augenbewegungen und die Spannung in der Muskulatur herangezogen. Charakteristische Kombinationen dieser Körperwerte definieren ein Schlafstadium.

REM oder Non-REM – das ist hier die Frage!

Die wichtigste Unterscheidung dabei ist zwischen REM- und Non-REM-Schlaf. REM steht für Rapid Eye Movement („schnelle Augenbewegung“). Diese Schlafphase ist dadurch definiert, dass die Augen hin und her rasen und unsere Gehirnaktivität der des Wachseins gleicht – unsere Muskulatur jedoch fast komplett entspannt ist.
Der Non-REM-Schlaf ist in vielerlei Hinsicht das Gegenteil. Die gemessene Hirnaktivität unterscheidet sich offensichtlich von der des Wachseins (sie ist deutlich langsamer), die Augenbewegungen sind stark reduziert und es existiert eine gewisse Grundspannung in unserer Muskulatur. Dieser Teil des Schlafens lässt sich anhand der Gehirnaktivität noch weiter in Tiefschlaf, Normalschlaf (in diesem Stadium verbringen wir die meiste Zeit der Nacht) und Dösen (Übergang zwischen Wachen und Schlafen) unterteilen.

Katzen ohne Schlafstörungen in verschiedenen Schlafphasen.
Die linke Katze genießt einen Tiefschlaf mit genügend Muskelspannung, um den Kopf hochzuhalten. Die rechte Katze jedoch hat fast gar keine Muskelspannung mehr und träumt vermutlich gerade im REM-Schlaf.

Was kann da schon schief gehen?

Die unterschiedlichen Schlafstadien und -phasen wechseln sich in bestimmten Rhythmen ab und bilden einen ca. anderthalb Stunden andauernden Schlafzyklus. Für einen gesunden Schlaf ist es wichtig, dass die Übergänge reibungslos verlaufen und sich alle Charakteristika einer Schlafphase synchron verändern. Treten während dieser Wechsel jedoch Störungen auf, so können unvorhergesehene Mischphasen entstehen. Dabei kann es passieren, dass manche Bereiche des Gehirns wach werden, andere aber weiterhin Schlafen. Die Gehirnareale für die Muskelsteuerung könnten zum Beispiel schon im Wachzustand sein, während die Gebiete für die bewusste Sinneswahrnehmung noch schlafen! Medizinisch bezeichnet man diese Störung der Phasenübergänge als Parasomnie.

Wodurch können die Störungen ausgelöst werden?

Die Störungen können durch die unterschiedlichsten Dinge ausgelöst werden und was bei der einen Person zu Parasomnie führt, muss dies bei einer anderen nicht zwangsläufig den gleichen Effekt haben. Wie anfällig ein Mensch für die Störfaktoren ist, hängt vermutlich vom mit seiner Genetik zusammen. Bekannte Auslöser sind schlafbezogenen Atemstörungen wie die Schlafapnoe, Übermüdung, Stress, Fieber, bestimmte Medikamente und Alkohol!
Alkohol fördert zwar das initiale Einschlafen, insgesamt wirkt es sich jedoch katastrophal auf die Schlafqualität aus! Es bringt unsere Gehirnaktivität aus dem Gleichgewicht, stört unsere innere Uhr und begünstigt epileptische Anfälle genauso wie das Auftreten des Schlafapnoe-Syndroms. Bis auf die epileptischen Anfälle, sind dies alles weitere Risikofaktoren für Parasomnien.

Viele Betroffene beschreiben daher ein vermehrtes Auftreten von Parasomnien nach langen Abenden mit (viel) Alkoholkonsum.

Was sind die Symptome der Parasomnie?

Die Symptome der Parasomnie hängen davon ab, in oder zwischen welchen Schlafphasen eine Störung auftritt. Sehr anschaulich ist die sogenannte REM-Schlaf-Verhaltensstörung. Bei dieser fehlt die Hemmung der Muskelspannung und „geträumte“ Bewegungen werden auf einmal ausgeführt. Diese Parasomnie ist interessanterweise auch bei Hunden häufig zu beobachten. Durch eine fehlende Entkopplung zwischen Gehirn und Muskulatur sieht man ab und an Hunde im Schlaf rennen oder hört sie sogar bellen!
Parasomnien, die aus dem Non-REM-Schlaf heraus entstehen, sind beispielsweise das Schlafwandeln, die Schlaftrunkenheit oder der sogenannte Nachtschreck Pavor nocturnus.

Schlaftrunkenheit und Pavor nocturnus

Bei der Schlaftrunkenheit ist der Übergang vom (meist tiefen) Non-REM-Schlaf zum Wachsein gestört. Die Betroffenen sind zwar wach, jedoch desorientiert und reagieren nur vermindert auf ihre Umwelt. Die Symptome halten in der Regel nur für ein paar Minuten an und im Anschluss fehlt häufig die Erinnerung.
Den Pavor nocturnus, auch „Night Terror“ genannt, kennt man vielleicht aus Film und Fernsehen. Diese Parasomnie ist durch eine plötzliche Aktivierung aus dem Tiefschlaf heraus gekennzeichnet. Typisch ist ein ängstlicher Schrei und ein Aufsetzten mit aufgerissenen Augen. Zudem können Zeichen körperlicher Aufregung wie Herzrasen oder Schweißausbrüche hinzukommen. Auch hier erinnern sich die Betroffenen selten an das Passierte. Der Pavor nocturnus sollte nicht mit Albträumen verwechselt werden, diese treten in der Regel in der REM-Schlafphase auf!

Schlafwandeln – Denkst Du daran, wie Du läufst?

Um zu verstehen, wie im Schlaf Bewegungen auftreten können, die so aussehen, als ob dahinter ein Wille steckt, müssen wir anerkennen, dass unser Gehirn unglaublich faul ist. Sobald es irgendwie möglich ist, werden Aufgaben automatisiert, sodass wir uns nicht mehr bewusst darum kümmern müssen – oder wann hast Du das letzte Mal darüber nachgedacht, wie Du Deine Beine koordinierst, wenn Du läufst? Oder wie man eigentlich schluckt?
Die Bereiche im Gehirn, welche diese Bewegungen automatisieren, nennt man Central Pattern Generators (CPG, „zentrale Mustergeneratoren“). Für das Überleben wichtige (oder gut gelernte) Bewegungsabläufe wie Gehen, Atmen, Kauen oder sexuelle Reproduktion werden von diesen gesteuert, ohne dass wir bewusst groß darüber nachdenken müssen.
Kommt es aufgrund einer Parasomnie dazu, dass die Gehirnbereiche der CPGs „wach“ werden, aber die restlichen Bereiche noch „schlafen“, so können komplexe Bewegungsabläufe auftreten, die genauso aussehen, als ob die Person tatsächlich wach sei.

Was kann man dagegen tun?

Da bisher nicht genau verstanden wurde, wie mögliche Störfaktoren zu einer Desynchronisation der Schlafphasen und letztlich zu Parasomnien führen, gibt es noch keine kausale Therapie. Das Vermeiden individueller Risikofaktoren (wie zum Beispiel Alkohol), Wissen über die Krankheit und eine gute Schlafhygiene erweisen sich jedoch bei vielen Betroffenen als effektiv. Auch das Einhalten von Tagesrhythmen oder die Verhinderung von Körperkontakt mit anderen Personen während der Nacht können helfen, die Symptome zu kontrollieren. In besonders stark ausgeprägten Fällen können Sicherheitsmaßnahmen wie alarmgesicherte Türen oder abgeschlossene Fenster lebensrettend sein!
Vereinzelt können auch Medikamente helfen. Paradoxerweise lösen jedoch bestimmte Medikamente Parasomnien als unerwünschte Arzneimittelwirkung aus!

Düsterer Ausblick: Alles Parasomnie?

In den letzten 10 Jahren nahm die Anzahl der Schlafstörungen in Deutschland um 77 % zu und der Trend ist weiterhin steigend. Die dauerhafte Störung unseres Schlafes gilt als Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, eine erhöhte Infektanfälligkeit, Depressionen und Angststörungen.
Insbesondere im Erwachsenalter neu auftretenden REM-Schlaf-Verhaltensstörung sollten hausärztlich oder neurologisch abgeklärt werden. Das oben kurz erwähnte (und mit dem im Traum rennenden Hund verdeutlichte) Krankheitsbild besitzt einen hohen prädikativen Wert für Erkrankungen wie Morbus Parkinson – ist aber gut medikamentös behandelbar!

Aber bitte keine Panik: Nicht hinter jeder Bewegung im Schlaf steckt auch eine Parasomnie!

Vor allem Muskelzuckungen am Anfang des Einschlafens sind vollkommen normal und haben in der Regel keinerlei Krankheitswert! Gerade auch Non-REM-Parasomnien treten bevorzugt im Kinder- und Jugendalter auf und verschwinden dann aber im Laufe des Älterwerdens.

Was also tun?

Nicht nur zum Vorbeugen von Parasomnien, sondern auch allgemein um seinen Schlaf erholsamer zu gestalten, lohnt es sich allgemeine Maßnahmen der Schlafhygiene umzusetzen. Dazu zählen:

  • ein geeigneter Schlafrhythmus
  • keine größeren Mahlzeiten, koffein- oder alkoholhaltige Getränke vor dem Schlafengehen
  • ein aufgeräumtes und abgedunkeltes Schlafzimmer
  • das Handy nicht mit ins Schlafzimmer nehmen
  • und die richtige Zimmertemperatur und Luftfeuchtigkeit

Was sagt ihr dazu? Habt ihr vielleicht Erfahrungen mit dieser Art der Schlafstörungen?

Eine Liste der verwedeten Literatur ist hier zu finden.

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Veröffentlicht von

Friedrich Schwarz studiert Humanmedizin und Angewandte Informatik mit Schwerpunkt Neuroinformatik. Aktuell fasziniert ihn die Theorie, dass Humor und Kreativität als Positivfaktoren in der sexuellen Selektion dazu beigetragen haben könnten, dass die menschliche Gehirngröße evolutionär zunahm. Mit dem Schreiben hier probiert er, seine Begeisterung über das Gehirn mit der Welt zu teilen – ob sie möchte oder nicht.

1 Kommentar

  1. Vielen Dank für Ihren aufschlussreichen Artikel.

    Ich selbst bin ein Betroffener des zentralen Schlafapnoesyndroms. Knapp 10 Jahre benutzte ich nachts ein „Schlafapnoe“-Gerät.
    Aber immer wieder treten nachts gewisse Anfälle auf, in denen ich laut schreie, mich hinsetze oder aufstehe und irgendwelche Bewegungen mache. Meine Ehefrau erzählt mir das meist am nächsten Tag, aber ich habe absolut keine Erinnerung bzw. nur ein paar Bruchstücke.
    Wir haben schon überlegt, ob es vielleicht vom Alkohol kommt, den ich am Abend zuvor getrunken habe. Vielleicht…
    Aber was kann ich tun?

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