Wo Mythen über das Anthropozän falsch liegen

Am 18. April 2024 veröffentlichte das Smithsonian Magazine einen Artikel der internationalen Anthropocene Working Group (zu der ja auch der Autor dieses Blogs gehört). Anlass waren die Vorgänge rund um die Ablehnung des AWG-Proposals, das Anthropozän als formale erdgeschichtliche Epoche in die Chronostratigraphische Tabelle zur Erdgeschichte zu etablieren. Der Anthropozäniker berichtete dazu ja ausführlich (insbesondere in den Beiträgen Anthropozän – Anatomie eines Falls und  Anthropozän – Keine Epoche für die Menschheit? , sowie Die Zähmung der Zeit – Ein Goldener Nagel für das Anthropozän). 

Die Federführung des Artikels für das Smithsonian Magazine hatten Prof. Jan Zalasiewicz (Prof. em., Universität Leicester, langjähriger Vorsitzender der AWG) und Dr. Scott Wing (Kurator an der Smithsonian Institution, Washington, ebenfalls AWG-Mitglied), alle weiteren 32 Mitglieder der AWG waren ebenfalls beteiligt. 

Der englische Artikel des Smithsonian Mag ist hier in voller Länge nachzulesen. In diesem Anthropozänikerbeitrag finden Interessierte zwei  Abbildungen aus dem Artikel, die Liste der 10 falschen Mythen als “Teaser” sowie unsere Schlussfolgerungen daraus, alles ins Deutsche übersetzt. 

PS: Siehe auch Nachtrag vom 27.4.2024 zu einem EOS-Artikel, in dem etliche dieser Mythen auch wieder auftauchen.


Hier die beiden erwähnten Abbildungen als wissenschaftlicher Kontext:

Abb. 1: Die atemberaubende Wirkung des Menschen auf die Atmosphäre lässt sich an der Konzentration dreier wichtiger Treibhausgase ablesen: Distickstoffoxid, Methan und Kohlendioxid. Diese Gase haben in den letzten 70 Jahren viel stärker zugenommen als in den vorangegangenen 30.000 Jahren oder mehr. Infolgedessen ist die globale Temperatur in die Höhe geschnellt, und sie wird weiter ansteigen, wenn die Auswirkungen der höheren Treibhausgaskonzentration voll zum Tragen kommen. (Martin Head)

 

Abb. 2: Wissenschaftler schlugen vor, eine neue geologische Epoche, das Anthropozän, auszumachen, die durch rasche Veränderungen ab Mitte des 20. Jahrhunderts gekennzeichnet ist. Die in den letzten 70 Jahren abgelagerten Sedimente sind durch eine Fülle künstlicher Materialien wie Beton, Metalle, Kunststoffe und Düngemittel gekennzeichnet. Auch die Ökosysteme haben sich durch den starken Anstieg der Düngemittelproduktion (Ammoniak) und der Viehzucht (Fleischproduktion) verändert. Auch der Mensch ist ein enormer Sedimentproduzent. (Colin Waters)

 

Im Nachfolgenden die zehn Missverständnisse (Mythen), welche herunterspielen, wie sehr wir die globale Umwelt verändert haben und welche die neue Perspektive untergraben die wir brauchen, um mit einer drastisch veränderten Welt umzugehen.

Oder einfacher ausgedrückt: alle nachfolgenden Mythen gehen an der Sache vorbei (gadSv!) oder sind komplett falsch (kf!). Warum, ist im Originalartikel nachlesbar.

1. Das Anthropozän bildet nicht alle menschlichen Einflüsse ab. (gadSv!)

2. Das Anthropozän ist zu kurz, um eine geologische Epoche zu sein – nur ein Menschenleben.(gadSv!)

3. Das Anthropozän ist nur ein kurzer Augenblick in der Erdgeschichte. (kf!)

4. Anthropozän-Schichten sind “minimal” oder “vernachlässigbar”. (kf!)

5. Die geologische Überlieferung ist zu komplex und abgestuft, um eine scharfe Grenze für das Anthropozän ziehen zu können. (kf!)

6. Andere Tiere haben die Umwelt beeinflusst und geologische Veränderungen verursacht, also ist das Anthropozän nichts Besonderes. (gadSv! – kf!)

7. Das Anthropozän gibt allen Menschen gleichermaßen die Schuld an den globalen Umweltkrisen. (kf!)

8. Das Anthropozän bedeutet eine Niederlage für unsere Bemühungen, die Umweltveränderungen einzudämmen. (kf!)

10. Das Anthropozän ist nur ein Werbegag. (kf!2)

 

Und hier unsere Schlussfolgerungen:

“Die oben aufgelisteten Mythen haben sich in Teilen der wissenschaftlichen Gemeinschaft hartnäckig gehalten, obwohl sie in wissenschaftlichen Arbeiten der Anthropozän-Arbeitsgruppe und anderer systematisch widerlegt wurden. Dies deutet darauf hin, dass es sich wie bei allen Mythen um Reaktionen handelt, die eher auf Ideologie, Überzeugung oder persönlicher Philosophie als auf Beweisen beruhen. Diese falschen Vorstellungen liegen auch der jüngsten formellen Ablehnung der Anthropozän-Epoche durch die Hierarchie der internationalen Stratigraphie zugrunde.

Warum wurde das Anthropozän auf so viele Arten missverstanden und mythologisiert? Wahrscheinlich, weil es für viele zutiefst unangenehm ist. Es ist sehr kurz (bis jetzt). Es umfasst stinkende Mülldeponien als Schichten, die eine geologische Zeitskala durcheinander bringen, die für viele Geologen sakrosankt ist. Und es wirft das Schreckgespenst auf, dass die ruhige Entrücktheit der geologischen Zeit nun auf die schwierigen Probleme stößt, mit denen wir in Gegenwart und Zukunft konfrontiert sind.

Veränderung ist schwierig, und ja, das Anthropozän ist ein unangenehmes Konzept. Es ist schwer zu akzeptieren, dass wir als Gesellschaft nun so viel Macht erlangt haben, die Erde derart zu verändern, und dabei aber so wenig darüber nachgedacht haben, wie wir diese Macht positiv nutzen können. Wissenschaftliche Erkenntnisse können unsere Sichtweise verändern (man denke nur an den Heliozentrismus und die Evolution) – es ist also nicht überraschend, dass die Akzeptanz des  Anthropozän nicht einfach ist. Aber zu erkennen, wie wir die Erde nun extrem beschleunigt in einen völlig anderen Zustand bringen, ist ein notwendiger erster Schritt, um sich mit den von uns in Gang gebrachten planetarischen Veränderungen ehrlich auseinanderzusetzen.”

Obiges sind ins Deutsche übersetzte und z.T. leicht veränderte Auszüge aus: Jan A. Zalasiewicz, Scott L. Wing and the Anthropocene Working Group: What Myths About the Anthropocene Get Wrong, Smithsonian Magazine (April 18th 2024) https://www.smithsonianmag.com/smithsonian-institution/what-myths-about-the-anthropocene-get-wrong-180984181/


Hinweis: Bannerbild von Maki Shimizu aus unserer Graphic Novel “Taming Time – A Golden Spike for the Anthropocene” (Hamann, Leinfelder, Shimizu, 2023), näheres dazu siehe hier im Blog. 


Nachtrag vom 21. April 2024: Als Ergänzung zu Artikel im Smithsonian Mag. empfehle auch diesen ‘Weekend Essay’ von Elizabeth Kolbert in The New Yorker (v. 20.April 2024): The “Epic Row” over a new epoch. Scientists, journalists, and artists often say that we live in the Anthropocene, a new age in which humans shape the Earth. Why do some leading geologists reject the term? https://www.newyorker.com/news/the-weekend-essay/the-epic-row-over-a-new-epoch


Nachtrag vom 27. April 2024: Ein weiterer Artikel ist am 23.4.2028 in EOS erschienen: What’s Next for the Anthropocene? Researchers weigh in on the meaning and aftermath of the decision to reject designating “Anthropocene” as an official geological epoch. https://eos.org/articles/whats-next-for-the-anthropocene

Hier einige Zitate aus dem Artikel (auf englisch, jeweils kursiv):

Martin Head (Vize-Chair SQS und Mitglied AWG): “some uncomfortable facts will not go away,” … Head suggested there were breaches in the decisionmaking process. “The Anthropocene Working Group was not allowed to revise its proposal after discussions within SQS had been brought to a halt, even though this is customary. This meant that important results that had recently become available were excluded from consideration,” he explained. “Even worse,” Head continued, “there were several statutory violations that call the validity of the vote into question. 

Philip Gibbard, stimmberechtiges Mitglied der SQS und Generalsekretär der ICS
approved the proposal, the ICS probably would not let it move forward. “The ‘epoch-division’ is too large scale when compared to other epochs such as Oligocene or Miocene—which are characterized by a whole series of elements” as opposed to the single set of radionuclide markers, he said.

Keine Ahnung, wie er darauf kam, hat er gar nichts von uns gelesen? Kann ich mir nicht vorstellen. Wir haben die weltweit nachweisbaren radioaktiven Niederschläge zwar als Hauptmarker aufgeführt, aber auch jede Menge weiterer sekundäre Marker, wie industrielle Flugasche, Plastikreste, etc etc. etc. als weitere Marker aufgeführt. Daneben auch noch SABSs (Standard Auxiliary Boundary Sections) mit zur Definition vorgeschlagen, ein Mehr an Kriterien gab’s wohl noch nie.

Fernanda Quaglio, Brasilien: “The point,” she explained, “is the temporal scale. Eighty years is a drop in the ocean in geological terms.”  Hmm, es ist eben nur die Basis des Anthropozäns, und die Änderungen im Erdsystem, aber auch in den Sedimenten, in diesen 80 Jahren ist einfach immens groß, kein Drop. Ja, und häufig sind das bislang nur geringe Sedimenthöhen im Anthropozän, aber der Teufelsberg in Berlin umfasst z.B. bereits 80 Meter mächtige Anthropozän-Sedimente. Aber Quaglio sagt immerhin auch: „but it’s also too early to end the debate….We have to keep the conversation going,” Ja.

Besonders unverständlich ist mir die Aussage von Renato de Almeida: “The issue is what the marker is signaling. Is it the beginning of a new epoch? We are at the margin of error of that limit,” he said. Epochs are large geological intervals marked by patterns associated with events such as extinctions, he explained, and “the Holocene clearly hasn’t ended, as its fauna and flora are still here.”  Error margin??? Kein Aussterben?? Hmm, Viele sprechen bereits vom 6. großen Massensterben der Erdgeschichte (siehe z.B. hier: https://www.pulitzer.org/winners/elizabeth-kolbert ), und berücksichtigt man nicht nur das (selbst schon überaus beunruhigende) Verschwinden vieler Arten, sondern den enormen Rückgang der Populationen oder die Gesamt-Biomasse vieler Gruppen (etwa 96 % der C-Masse aller Säugetiere besteht aus dem Menschen und seiner Nutztiere, siehe z.B. hier: https://www.theguardian.com/environment/2018/may/21/human-race-just-001-of-all-life-but-has-destroyed-over-80-of-wild-mammals-study) gab es derartiges noch nie. Ich könnte noch invasive Arten usw usw. aufführen. Zu all dem hat die AWG viel publiziert, siehe auch hier im Blog. 
Immerhin meint Almeda auch: “Everything we say about the human impact over the planet is true,” Almeida stressed. “The problem is calling it an epoch.” (nein, letzteres ist kein Problem, dazu viel in diesem und im vorherigen Blogbeitrag).

Und weiter im Artikel: To Almeida, the problem in defining an epoch stems mainly from the fact that geologists cannot know for certain what planetary changes will come after the new epoch is defined. Aha, und all das was Erdsystemwissenschaften, Future Studies, aber auch Geolog*innen (u.a. die AWG) über die Zukunft sagen gilt nicht? Wenn also bei einem Weiter wie bisher etwa 500.000 Jahre keine Eiszeit mehr kommt (und es selbst bei einem morgigen Stop der Verwendung fossiler Energien mindestens 50.000 Jahre) sind dies keine Zeiträume für den Start einer neuen Epoche?? Also, wir müssen erst mal 100 Millionen Jahre warten, sollte es dann noch Geologen auf der Erde geben, dann könnten sie ein Anthropozän definieren. Das Ende der Geschichte der Erde liegt also im Holozän? Interessant.

(hierzu aus unserer neuesten wissenschaftlichen AWG-Arbeit:  Summerhayes et al. The Duration of the Anthropocene-Epoch.- https://ssrn.com/abstract=4788354 : Given the magnitude and rapid rise of atmospheric carbon dioxide (CO2), its long lifetime in the atmosphere, and the present disequilibrium in Earth’s energy budget (expressed as the Earth’s Energy Imbalance, or EEI), both temperatures and sea level must continue to rise – even if carbon emissions were lowered to net zero (where CO2 emissions = CO2 removals) – until the energy budget balance is eventually restored. Even if net zero were achieved immediately, elevated global temperatures would persist for at least several tens of millennia. The expected levels of warmth have not been seen since the early Late Pliocene, and interglacial conditions are likely to persist for at least 50,000 years ….. Continued increases in greenhouse gas emissions are likely to extend that persistence to around 500,000 years and will likely suppress the pronounced expression of Milankovitch cyclicity typical of the Pleistocene Epoch. This major perturbation alone is sufficient to justify the Anthropocene as an epoch terminating the Holocene Epoch; the wider effects of climate change in driving further, mostly irreversible, restructuring of the biosphere amplifies this distinction.“)

“Geologists don’t deal with the future,” Gibbard said, “just the past.”  Wenn das stimmen würde, müsste ich ein großes „leider“ ausrufen. Wir holen all die Bodenschätze aus der Erdgeschichte, um jetzt ein gutes Lebne zu haben und auch, um in die Zukunft zu kommen, aber was dies fürs Erdsystem, die Gesellschaften, die Zivilisationen bedeutet geht uns dann alles nichts mehr an. Aha.  und weiter:
Gibbard and a group of colleagues defend the Anthropocene not as an epoch, but as a geological “event,a term that includes occurrences such as the Great Ordovician Biodiversification Event, which took place more than 400 million years ago. During this pivotal time in Earth’s history, changes in tectonic activity and an uptick in marine oxygen are thought to have contributed to a radical increase in marine biodiversity—but it is not an epoch.  Also, dazu ist hier und v.a. auch im vorherigen Blogbeitrag genügend gesagt, der Begriff ‘Event’ (‘Ereignis’) wurde für extrem lange Zeiträume genauso wie für sehr kurze Zeiträume (wofür er eigentlich da ist) verwendet. Wir haben ja statt dessen Episode für die längeren Umbruchzeiträume vorgeschlagen (und das auch publiziert, siehe hier und hier

Zum Schluss lasse ich am besten Simon Turner, AWG secretary im EOS-Artikel antworten: conditions now are “very much post-Holocene.” He said the recent downvote “makes Quaternary geology look further out of sync with other sciences concerned with climate change and other destructive impacts of recent human activity to our planet.”  Genau dies!!

Reinhold Leinfelder ist Geologe, Geobiologe und Paläontologe. Er ist Professor an der Freien Universität zu Berlin (Arbeitsgruppe Geobiologie und Anthropozänforschung) sowie (seit Okt 2018) zusätzlich Senior Lecturer am Institut Futur der FU. Seit April 2022 ist er formal im Ruhestand. Seit 2012 ist er Mitglied der Anthropocene Working Group der International Stratigraphic Commission. Von 2006-2010 war er Generaldirektor des Museums für Naturkunde Berlin, von 2008-2013 Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU), von 2011-2014 Research Fellow und affiliate Carson Professor am Rachel Carson Center an der LMU, München, von 2012-2018 Principal Investigator am Exzellenzcluster "Bild-Wissen-Gestaltung" der Humboldt-Universität zu Berlin, von 1. Sept. 2014 bis 15. Sept. 2016 Gründungsdirektor der Futurium gGmbH in Berlin. Seine Forschungs- und Lehrschwerpunkte liegen beim Anthropozän, Korallenriffen, neuen Methoden und Herausforderungen des Wissenstransfers und Museologie | Homepage des Autors | blog in english, via google translate

20 Kommentare

  1. Reinhold Leinfelder,
    lobenswert ihr Bemühen, die drastischen Veränderungen auf der Erdoberfläche durch den Namen Anthropozän dem Menschen anzulasten.
    Ergänzend dazu, die Vermüllung findet nicht nur auf der Erdoberfläche statt. Der uns umgebende Weltraum wird auch vermüllt.
    Und diese Vermüllung wird noch in Millionen Jahren nachweisbar bleiben, wenn die Umlaufbahn der Satellliten stabil sind. .Und die Menschheit durch Pandemien ausgerottet sein wird-
    Und außerirdische Intelligentien werden dann die Erdzeitalter in Vor- und Nachsatellitenzeit einteilen.

    • Danke für Ihren Kommentar, ja, die Vermüllung im Weltraum ist natürlich auch ein wirklich wichtiges Thema. Aber ansonsten: bei der formalen Definition des Anthropozäns geht es erst einmal überhaupt nicht darum, die Ursache der Änderungen irgend jemandem “anzulasten”, sondern es ist einfach eine Analyse/Diagnose des geänderten Zustands, der eine Anthropozän-Definition möglich und notwendig macht. Aber ja, auf der “konsequentialen” Metaebene geht es natürlich darum, aus dem Befund dieses Zustands das Erdsystem und seine Wechselwirkungen auch neu zusammenzudenken und damit auch anders gestalten zu können. Mythos 8 soll eben gerade nicht Wirklichkeit werden: 8. Das Anthropozän bedeutet eine Niederlage für unsere Bemühungen, die Umweltveränderungen einzudämmen. In unserem Smithsonian-Artikel schreiben wir dazu: “Der erste Schritt zur Lösung von Problemen besteht darin, sie zu diagnostizieren. Wir können die Erde nicht in den Zustand zurückversetzen, in dem unsere Großeltern oder eine andere Generation des Holozäns gelebt hat. Aber wir können klügere Entscheidungen für die Zukunft treffen, die den Wandel mildern und abschwächen. Das ist Realismus, nicht Defätismus.” Defätismus wäre eine weitere Ausrede, weiterzumachen wie bisher, also nichts zu ändern. Motto, ist ja eh alles viel zu spät.Dazu hab ich übrigens schon 2013 auch hier im Anthropozäniker was geschrieben: https://scilogs.spektrum.de/der-anthropozaeniker/frueher-war-die-zukunft-auch-besser/

  2. Wenn man hier nicht sofort antwortet, ist man immer nur der zweite Sieger.

    Unter’m Universum machen’s einige Leute gar nicht erst.
    Jeder Versuch einer inhaltlichen, vielleicht sogar sachlichen Diskussion kann dagegen nur winzig erscheinen.

    • Hallo Fluffy, es geht hier doch wirklich nicht darum, der/die Schnellste beim Kommentieren zu sein :-)) (da würde ich leider ganz schlecht abschneiden, denn manchmal dauert es bei mir auch ziemlich lange mit dem Antworten auf Kommentare).
      Und zum Universum, tja, das Anthropozän-Konzept beinhaltet halt schon, dass man vom Kleinen ins Große und umgekehrt denkt. Auch bei Lösungsansätzen: viel Kleines kann zusammen sehr Großes ergeben (was nicht bedeutet, dass man nicht auch das “Große”, also Politik, Wirtschaft, Bildung braucht). Ist doch eigentlich ne spannende Sache.

  3. Einverstanden, der Begriff Anthropozän soll wertfrei bleiben. Es wäre übrigens gut, wenn der Begriff Mensch auch wertfrei bleibt. Die gegenwärtige politische Lage lässt ja daran zweifeln.

    “Aber wir können klügere Entscheidungen für die Zukunft treffen, die den Wandel mildern und abschwächen.”
    Wir müssen klügere Entscheidungen treffen ! Und wir werden klügere Entscheidungen treffen.
    Denn die Schäden durch die Klimaveränderungen werden Geld kosten. Mehr Geld kosten als die Gewinne, die die Klimaveränderungen verursacht haben.
    Konkret die Abholzung der Regenwälder. Geschieht immer noch !

    Dass wir die Ursache der Veränderungen erkannt haben , spricht für die menschliche Intelligenz. Gemeint ist die Rolle des CO2 und wie es entsteht.
    Und es besteht auch die begründete Hoffnung, dass sich der CO2 Gehalt in der Atmosphäre auf natürlichem Wege wieder verringert, es wird nämlich durch den Regen ausgewaschen.

    • Ja, ich bin auch manchmal ziemlich verzweifelt, wenn ich die derzeitige Weltlage sehe. Aber umso wichtiger da ranzugehen, dazu kann die Anthropozän-Diagnose sicherlich helfen. Mit dem CO2 muss ich leider etwas widersprechen. Ja, das Erdsystem kann sich da schon wieder einpendeln, aber das dauert leider sehr, sehr lange. Selbst wenn wir es morgen schaffen würden, alle fossilen Energien abzuschalten, würde es noch wenigstens einige Zehntausende von Jahren dauern, bis die Energiebilanz wieder stimmt.Aber leider schaffen wir es nicht, morgen abzuschalten, außerdem gibt es noch viele Wechselwirkungen, so dass dies alles noch deutlich länger dauern wird. (hierzu z.B. https://ssrn.com/abstract=4788354 oder viele Scilogsbeiträge von Stefan Rahmstorf in seiner Klimalounge)

  4. Um mal das Offensichtliche zu nennen: Anthropozän, Klimakrise, Apokalypse, sind eng verwandt, sowohl über die Realität, wie über den menschlichen Wahnsinn.

    Was ich sehe, ist, dass der Zauberlehrling Mensch die Kontrolle über die Geister, die er beschworen hat, verliert – die Teenager haben in der Hütte im Wald das Buch der Toten gefunden und die Evil Dead geweckt, das Kind das Streichholz entzündet und es merkt gerade, dass es vielleicht keine so tolle Idee war, es an die Gardinen zu halten. Ob das kommende Feuer nun als der Große Stadtbrand in die Geschichte eingeht, oder als das Hänschen-Müller-Feuer, wissen wir noch nicht – im Moment ist es noch das Feuerchen, das Hänschen gelegt hat, im Zimmer riecht’s nach Hänschenzän. Und es überlegt angestrengt, ob es schreien und umher rennen soll, um Hilfe herbeizulocken, oder die Hände auf dem Rücken verschränken und pfeifend davon marschieren soll.

    Dass sich wissenschaftliche Debatten als Dilemmata eines Vierjährigen auslegen lassen, liegt daran, dass wir nicht älter als vier werden – ab da erweitern wir nur unser Repertoire an Spielzeug und Spielen, Werkzeugen und Strategien, um uns wie kleine Kinder zu verhalten. Allein dadurch, dass eine Debatte so hitzig geführt wird, weiß ich, dass ich mich im Kindergarten befinde, denn unsere Emotionen sind nun mal recht einfach gestrickt. Nehmen Sie es als großes Kompliment an die Wissenschaftswelt, dass sie es schafft, Hänschens Spieltrieb als Antrieb zu nützen und es trotzdem so sehr an die Leine zu legen, dass unterm Strich was Sinnvolles dabei herauskommt. Der Mensch muss mit sich selbst fertig werden, um mit der Welt fertig werden zu können, und nichts von beidem ist einfach.

    Der Walfisch ist kein Fisch mehr, seitdem es für die Forschung bequemer ist, die Tierwelt nach Stammbäumen zu klassifizieren statt nach Optik, aber laut DNA-Analysen reicht der Verwandtschaftsgrad zwischen Menschen und Menschenaffen aus, um auch sie als Menschen zu bezeichnen – macht auch keiner. Pluto ist kein Planet, weil es billiger war, die Schulbücher einmal von 9 auf 8 umzuschreiben, als den Kids jeden Dienstag eine neue Planetenzahl einzubläuen, weil man schon wieder eine Eris entdeckt hat. Walen, Schimpansen, dem Pluto und erst recht dem Jupiter ist das alles herzhaft egal.

    Wir können die Welt ordnen und benennen, wie auch immer es uns beliebt, und machen uns dabei immer lächerlich – weil wir sie ja nur auf uns selbst und unseren Standpunkt beziehen können, machen wir uns automatisch zu wichtig. Aber unser Weltbild gilt ja nicht objektiv fürs Universum, sondern ist nur ein Hilfsmittel für uns, da ist das OK. Nach allem, was ich sehe, befällt die Menschheit die Erde nach dem gleichen Muster, nach dem Schimmel eine Orange befällt, und wenn die Analogie wirklich gilt, stehen wir am Anfang eines Prozesses, der noch lange, lange fortdauern wird, wenn von der Menschheit bloß noch Daten auf Festplatten übrig sind. Und was auch immer uns beerbt, wird sich einigen müssen, ob das Technozän ganz Hänschen-Müller-zän heißen soll, oder ob Anthropozän nur für die Anfangsphase gilt, und ob die erst mit der Industrialisierung beginnt, oder schon mit dem aufrechten Gang – die paar Millionen Jahre sind, geologisch betrachtet, ja praktisch ein und derselbe Moment.

    Kann mir aber alles egal sein. Ich sehe, da ist eine Zäsur, für mich wäre es recht praktisch, die Zeit vorher und nachher mit einem Namensetikett am großen Zeh zu versehen, damit ich bei der Autopsie nix durcheinander bringe. Ob auf diesem Etikett nun „Anthropozän“ steht, oder „Die Zeit, wo die Menschheit lernen müsste, aufs Töpfchen zu gehen, statt sich sorglos in die Windel zu machen, weil sie sonst in der eigenen Scheiße ertrunken wäre“, und wir uns also im Umbruch vom Windelzän zum Töpfchenzän bewegen, ist sachlich egal. Der Fachmann (m/w/d) wird trotzdem all die Fakten kennen müssen, die den Sachverhalt anderen -zänen angleichen und die ihn von ihnen unterscheiden – solange die Namensgebung ihn nicht blendet, solange er den Fakten mehr Bedeutung beimisst als der Semantik, fährt er immer richtig. Wenn er sich vom eigenen Weltbild blenden lässt, ist die Semantik auch egal, da fährt er früher oder später den Karren gegen die Wand, seine Welt besteht nur noch aus Fudge-Faktoren und wirren Verschwörungstheorien, Dunkler Energie, Dunkler Materie, dunkler Umvolkung, intriganten Quantenfeen und teuflischen Mexikanern.

    Die Namensgebung ist aber wichtig für Leute, die Fakten nicht kennen – sie ist die Verkaufsverpackung, mit der Wissenschaftler ihre Weltsicht der Allgemeinheit anbieten. Und da kommen die Dilemmata des Vierjährigen wieder ins Spiel: „Erdzeitalter“ ist ein großes, lautes Wort, wer es benutzt, erschreckt vor dem Chaos, das er gestiftet hat, will kreischen, panisch weglaufen, mit dem Telefonbuch auf die Flammen einschlagen, was auch immer kleine Kinder da machen. Wem es zu groß ist, der will sich auf den Zehenspitzen heraus schleichen und hofft, dass sich das Problem schon von selbst lösen wird, er neigt auch dazu, die Schuld auf andere Kinder abzuwälzen.

    Irgendwie brauchen wir beides – die Panik, das Problem ernst zu nehmen, und das eiskalte Blut, es nicht allzu ernst zu nehmen. Als Kompromiss kriegen wir Ash, der sich eine Hand absäbelt, wenn es sein muss, um mit Schrotflinte und Kettensäge gegen die Dämonen vorzugehen. Sie sehen diese Konvergenz immer – wenn ein Problem am Horizont auftaucht, machen die einen Weltuntergangs-Panik und die anderen leugnen es. Je näher das Problem kommt, je mehr es bei unseren Kindergarten-Debatten selbst zu melden hat, desto mehr nähern sich die Standpunkte den Fakten ein – erst wenn das Problem Gott und König geworden ist, wenn es uneingeschränkt über die Menschheit herrscht, befiehlt es uns, wie wir ihm dienen müssen, um es zu überleben.

    Und deswegen endet das Anthropozän kurz, nachdem es begonnen hat – Hänschen Müller ändert sich nicht, es gibt keinen Unterschied im Köpfchen eines Kindes, das ein Streichholz anzündet oder einen Flammenwerfer ausprobiert. Doch das Anthropozän – heiße es, wie es will – ist eine Nebenwirkung wachsender Macht, die Knöpfchen, die wir drücken, lösen immer größere Katastrophen aus, die Geister, die wir aus den Flaschen lassen, vernichten uns, bevor wir sie zähmen können. Der Mensch hat weder die Seele, ein Gott zu sein, noch den Körper, sein Scheitern daran zu überleben. Wenn wir es überstehen, dann deshalb, weil wir das Gott spielen der KI überlassen haben. Die KI aus Menschen und Gesetzesbüchern, die uns über Jahrtausende über Wasser gehalten habt, korrumpieren wir viel zu schnell, das System stürzt immer dann ab, wenn wir es am dringendsten brauchen, weil die Korruption auf allen Ebenen synchron fortschreitet. Entweder wird unsere Seele entmachtet, unsere Körper solider, oder beides wird vernichtet.

    Und hier – außerhalb der Wissenschaft – spielt die Philosophie durchaus eine Rolle. Für die Laien ist nicht so wichtig, was die Fakten sind, die nur von den Hohepriestern des Fachgebiets wirklich verstanden werden. Sondern das Zauberwort aus dem Wissenschafts-Vatikan, das Dieu le veult, das das Problem einordnet, in Skalen und Wichtigkeiten, das uns sagt, wie wir darauf reagieren sollen.

    Das Problem mit großen Dingen wie Klimakrise ist, dass sie sich zu langsam aufbauen – sie werfen ihre Schatten so lange voraus, dass wir uns lieber daran gewöhnen, als darauf zu reagieren. Ist wie wenn Nobelpreisträger vor Putin warnen und diverse Dorfschulzen gleich darauf auffordern, vor ihm wegzulaufen – die einen sehen nur die möglichen Konsequenzen in der Ferne, alle zusammen und deshalb hundertfach so dramatisch wie die, die wir uns tatsächlich auswählen werden, die anderen nur ihre Dorfidylle hier und jetzt, die gefälligst fortzudauern hat, weil sie Bock drauf haben und der Rest des Universums für solche Hinterwäldler-Allmächtigen nicht existiert. Sauron vs Auenland, bis Sauron das Auenland findet, dann macht Sauron mit dem Auenland, was immer ihm beliebt, und die kleinen Hobbits fühlen sich betrogen, weil ihnen keiner gesagt hat, dass sie sich wehren sollen, außer den doofen Panikmachern, die ständig auf Sauron gezeigt und „Sauron!“ gerufen haben, und die kann man ja nicht ernst nehmen. Die Kinder schreien und toben immer, um sich durchzusetzen, jedes macht Panik, jedes malt Teufel an die Wand, um sich die Anderen gefügig zu machen, wir reagieren nicht mehr auf Warnschilder, ganz egal, wie groß und bedrohlich sie sind. Wir reagieren nur noch auf das Feuer, wenn wir uns verbrennen. Und so ist es auch egal, was wir an das Etikett am großen Zeh des Anthropozäns schreiben – das Krematorium ist Spiel und Spaß, bis wir im Ofen liegen.

    Bei Knall und Feuer sind Namen Schall und Rauch. Und so verhält es sich zurzeit mit der Anthropozän-Debatte. Werfen Sie eine Münze oder so was.

    • Bei ihrem Langtext gehe ich bei einigem mit, bei anderem nicht, aber das können wir nun nicht alles hier im Detail diskutieren, ich hab ja dazu hier im Blog auch bereits viel geschrieben. Nur eine Bitte: nicht dem falschen Mythos 8 folgen (Fatalismus). Und auch: doch, die Menschheit wäre stark genug, das Ganze zu drehen, sie war ja auch stark genug, das Erdsystem dermaßen zu ändern. Allerdings gibt es eben nicht DIE eine Supermann-Lösung. Wir denken im Westen auch immer nur in gut oder schlecht, richtig oder falsch, hübsch oder hässlich etc. Daher verzetteln wir uns bei der Suche nach der einen richtigen Lösung, die es nicht gibt. Die Zukunft könnte sehr kreativ werden, da wir mehrere Wege parallel beschreiten können, ja müssen (Reaktiv, suffizient, bioadaptiv, hightech). Dabei müssen wir auch überwachen, ob und wie wir vorankommen und ggf. wieder nachzusteuern und eben immer wieder neue Lösungsportfolios zusammmenstellen (auch basierend auf veränderten Akzeptanzaspekten, neuen Technikentwicklungen etc.). Bloß nicht wieder für die nächsten 200 Jahre in einen einzigen Pfad (wie derzeit den Fossilen Pfad) verfallen, sondern achtsam bleiben, mit “Zeitbewusstheit” (Timefulness), Anthropocene Literacy, Futures Literacy, disziplinübergreifenden (systemischen) Ansätzen etc. (etliches dazu gibt’s im Blog).

    • Paul S,
      Der Vergleich mit dem 4jährigen stimmt. In erdgeschichtlichen Zeiträumen gerechnet ist die Menschheit im Entwicklungsstadium eines 4jährigen. Der 4jährige hat die Schmierphase gerade überwunden und ist jetzt in der magischen Phase, wo er glaubt, dass man mit Gedanken etwas bewegen kann.
      In dieser Phase ist alles möglich, vom Osterhasen bis zum Weihnachtsmann.
      Erst ab dem 5. Lebensjahr kann ein Kind über Wahrheit und Lüge entscheiden.
      Man beachte einfach nur die Entwicklung im Internet, wo eine Lüge die nächste Behauptung ablöst. Die Querdenker sind noch im Stadium des 4jährigen.
      Was die Beliebigkeit von Bezeichnungen angeht, da gehen wir nicht konform.
      Denke nur an das Rumpelstilzchen.
      Erst mit dem richtigen Namen angesprochen verliert es seine Macht
      erst wenn man den Unsinn und Widersinn richtig benennt verliert er seine Macht über unser Denken.

  5. @Leinfelder 19.04. 13:08

    „Daher verzetteln wir uns bei der Suche nach der einen richtigen Lösung, die es nicht gibt.“

    Zuviele Unbekannte in der Rechnung machen die Sache komplex, klarer Fall. Der Kampf um Demokratie und drohende Kriege etwa. Oder die zur Verfügung stehenden metallischen Rohstoffe, und wie weit es gelingt, die grüne Technik so zu gestalten, dass die entsprechenden Rohstoffmengen ausreichen.

    Was man selber machen kann, ist allerdings durchaus wenig unklar. Grundsätzlich und ziemlich kritisch allen Konsum prüfen, das freigewordene Geld in eine Umstellung des übriggebliebenen Konsums auf regenerative Technik investieren, und dann eventuell sogar entspannter als zuvor leben. Das kann letztlich öfter sogar dazu führen, dass man weniger Geld braucht, und weniger arbeiten muss.

    Bestes Beispiel ist, wenn man aufs eigene Auto verzichtet, und sich so einrichtet, dass man die meisten Wege mit dem Fahrrad zurückzulegen kann. Wenn sich jetzt noch ein System aus selbstfahrenden Sammeltaxis etablieren kann, dann könnten wir zumindest in der Mobilität über den Berg sein.

    Ein anderes Beispiel wäre, dass man sich erstmal einfach eine kleinere Wohnung sucht, so spart man gemeinsam über Jahrzehnte Neubauten komplett ein, und kann die zur Verfügung stehenden Mittel komplett auf die energetische Modernisierung des Wohnungsbestandes konzentrieren.

    Oder per Fahrrad und Campingplatz in den Urlaub fahren, wenn man noch jung und fit genug ist. Das spart sogar mehr Treibhausgase ein, als wenn man zuhause bleibt, und gar nicht in den Urlaub fährt, und kosten kaum was.

    Und je mehr eigenes Geld man so spart, desto weniger muss man auch arbeiten, und umso mehr ressourcensparenden Urlaub kann man machen. Wenn man Lust hat, zumindest.

    Das sind nun alles Optionen, die man einfach nur ergreifen muss. Dafür braucht es keine Mehrheiten und keine Politik, das kann jeder selber machen. Und lebt da unterm Strich meistens sogar besser mit.

    Global denken und lokal handeln reicht hier schon aus.

    In ärmeren Ländern sieht das freilich nicht so günstig aus, die haben unsere Spielräume so erstmal nicht. Hier ist weiter Wirtschaftswachstum sinnvoll, und wie schnell hier dennoch auch eine Umstellung auf grüne Technik gelingt, ist keine so einfache Frage wie bei uns hier, wo wir überwiegend mitten im krassem Überfluss leben.

    Wie man es schafft, hier einfach seine eigenen Verantwortung zu sehen und entsprechend zu handeln, ist aber auch hier wieder unklar. Verbreitet schaffen wir es offenbar noch, uns hier sehr weitgehend zurückzuhalten. Und bringen es fertig, noch reichlich Zuwanderer einzuladen, um unsere Verschwendung trotz sinkender Bevölkerung weiter zu unterstützen.

    Nun gut, tun wir einfach was wir können, würde ich vorschlagen. An der Technik weiter schrauben bringt auch öfter wirklich was. Wer hier zu umtriebig ist, um einfach weniger zu konsumieren, der kann sich dennoch auch als hilfreich erweisen.

      • Reinhold Leinfelder,
        nach 1 Tag Bedenkzeit wird langsam klar, welche Bedeutung eine Namensgebung hat.
        Sie als Geologe haben das sicher schon seit Jahren bedacht, überdacht und sind zu einer Meinung gekommen.
        Wir als Leser sind noch beim brainstorming.

        Entscheidend bleibt, ob die neue Bezeichnung die Mehrheit findet.
        Und sie muss begründet sein. Es muss klar werden, welche Vorteile diese neue Namensgebung hat.

        Geben Sie den Lesern noch ein paar Tage Zeit, ganz sicher kommen noch ein paar gute Gedanken dazu.

        • dazu gibt’s einiges in früheren Blogs, etwa im letzten (unter Kap. 7.3) oder auch schon hier von 2013.
          Ja, Begriffe wie Kapitalozän, Pyrozän, Plastizän, Homogeneozän etc. haben alle einen Punkt, aber sind eben nicht umfassend genug, quasi Teilmengen des “Menschengemachten Neuen”, also dem Anthropozän. Die Bezeichnung ist auch generisch zu verstehen, also längst nicht alle Menschen sind gleichermaßen beteiligt. Und ja, die Menschheitsgeschichte begann schon früher, aber eben nicht das menschengemachte neue Erdsystem. Zuletzt ist es es natürlich auch eine Reminiszenz an den “Vater” des Anthropozäns (bei allen Vorläufern, die es auch namensmäßig schon gab, also Anthropozoic, Anthrocene etc.), Nobelpreisträger Paul Crutzen (auch in der Biologie kann man durch die Namensgebung ja Leute ehren). Und im Vergleich mit den vorhergehenden Namensepochen (also Paläozän, Eozän, Oligozän, Miozän, Pliozän, Pleistozän, Holozän, übersetzt etwa “das alte Neue”, “das aufgehende Neue”, das “bisschen Neue”, “das etwas Neue”, “das mehr Neue”, “das am meisten Neue” und “das ganz Neue”) ist “das Menschenneue” bzw. “das menschengemachte Neue” doch ein absoluter Kreativitätszuwachs 🤓

  6. Wann beginnt das Anthropozän? Meiner Meinung nach sind wir noch nicht so weit. Hin zu Phase 3 (Trennung von Mensch und Natur) werden wir es wohl (wenn überhaupt) erst im 22.Jahrhundert schaffen.

    Phase 1 (Steinzeit) Der Mensch ernährt sich nur von Tieren und Pflanzen, die auch in der Natur vorkommen.
    Phase 2 (seit ca. 10 000 Jahren). Die Menschheit mach erste Erfahrungen mit ineffektiver Gentechnik (Landwirtschaft). Sie ernährt sich fast nur noch von Tieren und Pflanzen, die es so in der Natur gar nicht mehr gibt.
    Phase 3 (22.Jahrhundert) Die Landwirtschaft wird aufgegeben. Der Mensch ernährt sich nur noch von künstlicher Nahrung. Die nun überflüssigen Ackerböden können wieder an die Natur zurück gegeben werden. Die nachwachsenden Urwälder werden das CO2 wieder abbauen.

    Beim Übergang von Phase 2 zu Phase 3 könnte uns auch effektive Gentechnik helfen. Warum deren Verteufelung einfach nur zutiefst irrational ist, kann uns Mai Thin ganz gut erklären.
    https://www.zdf.de/show/mai-think-x-die-show/maithink-x-folge-10-102.html

    • Ihre Meinung sei Ihnen natürlich unbenommen. Allerdings steht das Anthropozän-Konzept nicht für eine noch weitergehende Trennung von Mensch und Natur, sondern ganz im Gegenteil, daher eben auch die Einführung einer Anthroposphäre, die im Austausch mit den anderen Sphären steht (dazu gibt’s hier viele Blogbeiträge).
      Zu Hightech-Lösungen: dagegen ist ja überhaupt nichts zu sagen, nur haben die den Haken, dass Sie damit wieder in die “Uns wird schon noch was Besseres einfallen”-Position fallen, also erst mal weiter wie bisher. Wenn wir jetzt nicht endlich loslaufen, werden Kipppunkte etc. viele weitere gute, auch technische Entwicklungen behindern bzw. unmöglich machen. Daher eben jetzt loslegen und verschiedenste bereits verfügbare Ansätze mischen, dazu z.B. der Kap. 8 (insb. Abb. 7) im letzten Beitrag hier im Blog. Und da Sie speziell die Landwirtschaft/Ernährung erwähnt haben. Wenn man die verschiedenen idealtypischen Lösungsmöglichkeiten weiter aufdröselt, kommt ein richtiges Mosaik an Möglichkeiten heraus, siehe hierzu ggf. diese Abbildung (aus dem Blogbeitrag Die Anthropozän-Küche).

  7. Reinhold Leinfelder
    20.04.2024, 13:44 Uhr

    Wenn man die verschiedenen idealtypischen Lösungsmöglichkeiten weiter aufdröselt, kommt ein richtiges Mosaik an Möglichkeiten heraus,

    Da gebe ich ihnen ja vollkommen recht. Solange die endgültige Trennung von Mensch und Natur technisch noch nicht machbar ist, sollte man die unzähligen Zwischenlösungen auch anstreben.
    Diese werden aber oft (ausgerechnet von Umweltschützern!) abgelehnt, so wie beispielsweise die effektive Art der Gentechnik (siehe Mai Thi).

  8. Hallo Herr Leinfelder,
    Sie haben völlig recht, es kommt nicht darauf an, hier als Erster zu kommentieren. Aber der Zweite ist eben auch der erste Verlierer, und der Erste drückt der nachfolgenden Diskussion erst mal seinen Stempel auf, bis hin in Dimensionen des Universums. 😉

    Ich habe ihren verlinkten interessanten Smithonian Artikel gelesen.
    Zunächst fällt mir auf, dass der Begriff Anthropozän von Paul Crutzen, quasi spontan und aus aus einem Gefühl des verärgert sein heraus kreiert wurde. Das, was wie ein Zufall klingt, hat hat natürlich auch eine Gesetzmäßigkeit, hat sich auf Grund seines großen Gewichtes als Forscherpersönlichkeit schnell verbreitet. Viele wollten es ihm nachtun. (Ich erinnere hier bewusst mal nicht an die Entdeckung des Bose-Einstein Kondensats).
    Vor allem die im Text präsentierte 2. Abbildung finde ich sehr instruktiv, ja schon suggestiv. Neben der CO2-Emission als einzigem “natürlichen” Parameter folgen dann produktionsbezogene Parameter, wie Beton, Stahl, Kupfer usw. Und alle weisen denselben zeitlichen Kurvenverlauf, wie das CO2, mit dem explosionsartigen Anstieg ab der Mitte des 18. Jahrhunderts.

    Andere Fachgebiete nennen diese Zeit auch das Zeitalter des Beginns der Industriellen Revolution, startend mit der Erfindung der mit Kohle (!) betriebenen Dampfmaschine. Geowissenschaftler haben gerne den Präfix -zän in ihren Fachbegriffen.

    Eine sehr interessante Ergänzung der Abbildung 2 wäre die Hinzunahme der Bevölkerungsentwicklung im dargestellten Zeitraum gewesen, die ebenfalls genau diese Form aufweist.
    Hieraus könnten sich allerdings eine Reihe kontroverser Fragen oder Schlussfolgerungen bezüglich der Kausalität, oder auch von Schuld und Sühne, ergeben.
    Hat die fortschreitende Industrialisierung zu dem explosionsartigen Bevölkerungswachstum geführt, oder waren es die Menschen, die die Industrieproduktion so gesteigert haben, für ihre Versorgung steigern mussten, dass es zum adäquaten CO2-Anstieg und damit zur Temperaturerhöhung kam? Womit wir beim Thema Klima sind.

    Eine mögliche Frage lautet: Sind dieser Prozess, diese Korrelation, die in Abbildung 2 suggeriert werden, überhaupt umkehrbar?

    • Danke für den Kommentar. Ich erlaube mir ein paar Erläuterungen.
      a) Im Detail war der Begriff Anthropozän schon vor Paul Crutzen in der Welt, etwa auch von Eugene Stoermer (u.a.). Aber erst seit Paul Crutzen war er dann wirklich in der Diskussion. Paul Crutzen war ja Atmosphärenchemiker, die Tatsache, dass er diesen Begriff spontan verwendet hat, zeigt auch, dass er dabei an die geologische Überlieferungsfähigkeit/Stratigraphie dachte.
      b) Abb. 2 im Beitrag zeigt vor allem Beispiele von “Geosignalen”, also geologisch auch in Zukunft noch Nachweisbarem. (CO2-Emissionen sind z.T. aus Gasblasen in Eiskernen nachweisbar, auch via Isotopenuntersuchungen lassen sich CO2 und T-Werte rekonstruieren.) Das sind also eher Kurven der Produkte unserer Eingriffe in das Erdsystem,, sie basieren natürlich auf der Großen Beschleunigung, dazu gibt’s auch einiges hier im Blog, etwa hier: https://scilogs.spektrum.de/der-anthropozaeniker/anthropozaen-ab-1950/ (die beiden Abbildungen zum Vergrößern anklicken, damit sie besser lesbar sind). Alles hat seinen quasi explosionsartigen Anstieg übrigens Mitte des 20.Jahrhunderts (also etwa um 1950), nicht Mitte des 18. Jahrhunderts (CO2 steigt schon etwas früher an, hat dann aber auch dort den Knick).
      c) Der Beginn der industriellen Revolution war deutlich früher, “durchgestartet” ist sie etwa mit der Verbesserung der Dampfmaschine durch James Watt (Patent 1769) und den dadurch ausgelösten Innovationen, wie etwa Eisenbahnverkehr, Handelsschifffahrt u.v.m., aber auch hier ist eine extreme mengenmäßige Zunahme der industriellen Produktion ab Mitte 20. Jhd. deutlich (u.a. aus Abb 2 ersichtlich).

  9. Betreff: Namensgebung Anthropozän : “in dem der Mensch zu einem der wichtigsten Einflussfaktoren auf die biologischen, geologischen …2

    Wem das industrielle Zeitalter zeitlich zu nah vorkommt, der sollte an den Schiffsbau denken, der begann im großen Stil schon vor 2300 Jahren im Mittelmeerraum. Der hat zur Abholzung des Mittelmeerraumes geführt mit verheerenden Folgen für das Klima.
    Vergessen sind die verheerenden Hochwasser an der Nordseeküste , die Hochwasser bei den Flüssen, sogar die Stadt Frankfurt stand im Mittelalter einmal 7,30 m unter Wasser.

    Das nur als Beispiel, das der Begriff “Anthropozän” den Veränderungen gerecht wird. “Tand, Tand ist das Gebild von Menschenhand”. Man könnte das Anthropozän auch als Zeitalter der Zerstörung ansehen.

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