Jenaer Welt(t)räume

Mit einem planetar(isch)en Event, gleichzeitig in München und Jena, wurde heute ein gutes Jahr voller Feierlichkeiten eingeläutet. Unter dem Motto “die Sterne waren nur der Anfang” wird bei Zeiss in Jena nach wie vor an der Weiterentwicklung des Mediums Planetarium gearbeitet und so zelebrieren sich auch die Planetarien weltweit: als Medien bestehend aus einer besonders großen (die Betrachtende umgebende) gekrümmten Leinwand und einem zentralen Projektor (im Gegensatz zu früheren Himmelsgloben). Es gibt derzeit mehr als 4000 Planetarien auf diesem Planeten – fast genauso viele wie Exoplaneten bekannt sind: vielleicht waren wir zu voreilig, in der IAU, als wir die “NameExoWorlds”-Campagnen durchführten – vielleicht hätten wir lieber die zwei Centennials von IAU und Projektionsplanetarium zusammenlegen sollen und alle bis dahin bekannten Exoplaneten nach einem der Planetarien benennen sollen (dann hätten wir allerdings etwa 8% japanische Namen). Schließlich verbindet uns eine gemeinsame Mission: to “heal the world” – darin waren sich zumindest die Grußworte aus Afrika, Nordamerika, Asien und der Politikprominenz Deutschlands einig. 

Planetarium Jena zum Centennial

Was kann Planetarium (nicht)?

Erfunden wurde diese Projektionsmaschine, um den Sternhimmel und die Bewegung der Planeten zu zeigen. Es zeigt also helle Lichtpunkte (oder früher Lichtflatschen 😉 ) in einem schwarzen Dom. Zu einer Zeit, als die Menschheit noch nicht einmal sicher war, ob unsere Milchstraße die einzige Galaxie im Universum ist und für die Erkenntnis vom expandierenden Universum noch nicht einmal die Daten aufgenommen waren, hatte man also in Jena eine innovative Möglichkeit gefunden, den Anblick des Sternhimmels ziemlich realistisch zu simulieren. 

Mit dem Einzug von Zusatzprojektoren in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts konnte man nicht nur Sternbilder auf die Lichtpunkte legen, sondern es wurde dieser Anblick des Sternhimmels aus unserem Sonnensystem (ja, auf Mars sieht man die gleichen Sternbilder) noch um die Möglichkeit verschiedener Landschaftsprofile ergänzt. Plötzlich konnte man ein Landschaftspanorama von Mond oder Mars in der Kuppel zeigen und mit einem bewegten Bild suggerieren, dass eine Raumsonde darauf landet. Das Medium Planetarium begann wieder an den Stand der Forschung heranzureichen: man schien hier aus der Perspektive von Mond- oder Marsbewohnenden die Ankunft der Erdlinge zu erleben, von denen auch in den tagesaktuellen Nachrichten gesprochen wird. Im Raumfahrtzeitalter war also Raumfahrt im Sonnensystem auch simulierbar – zumindest visuell wie auf dem Rummel (die tatsächliche Kombi von Zentrifugenkarussel und Planetarium kommt bestimmt noch).  

Jena im Tal, den Dunst von Licht- und Luftverschmutzung lässt man auf den Bergen unter sich

Vom Wunder von Jena in den Weltraum 

Das “Wunder” war ja bereits der Vorführung des Prototypen als ein Medium gefeiert worden. Bereits der unmittelbare Eindruck machte “den Himmel vorstellbar” und schien durch das tiefe Schwarz sogar Reisen in den Weltraum zu simulieren. Bei der Erfindung 1923-25 war das freilich in einer Zeit, als durch die zeitgenössisch entwickelten Raketenantriebe für Rennautos (z.B. Opels RAK1 von 1928, bzw 1926 Max Valier und auch Goddards erster Raketenstart, Oberths Dissertation zum Thema ist 1924 abgelehnt worden) nur auf dem Papier existierte und der Traum von einer Mondrakete als Phantasie oder Utopie abgelehnt wurde. Zu dieser Zeit war die Idee des Münchner Visionärs Oscar von Miller und der Ingenieure bei der Firma Carl Zeiss in Jena lediglich, den Sternhimmel (von der Erde aus) zu simulieren. 

Jena im Mittelgebirge hat zwar den Vorteil, dass man die Stadt relativ leicht verlassen kann und einfach Licht- und Luftverschmutzung im Tal unter sich lässt, wenn man eines der umgebenden Hochplateaus oder einen Berg erklimmt. Man sieht dort “stars in their multitude” wie vielfach besungen. Allerdings liegt auch dann (gesunderweise) noch die Atmosphäre der Erde auf einem. Diese Tatsache, die sich für Menschen als lebenserhaltend nützlich erweist, bewirkt allerdings einen Grauschleier auf der Schwärze der Nacht. Heutzutage (2023) ist es ein ziemlich helles Grau, das die meisten Sterne sogar verschluckt, aber auch 1923 war der Nachthimmel von der Atmosphäre verschleiert. 

Tatsächlich zeigt also das Zeissplanetarium von 1923 (und bis heute, wenn man keine zusätzlichen Lichtsysteme hat) nicht den Anblick des Sternhimmels auf der Erde, sondern eher so wie er aus dem All gesehen wird. Das bestätigte auch der (ehem.) Astronaut Thomas Reiter in seinem Grußwort. Es wurde das Wortspiel genutzt:

A planetarium is the only space where we can step into outer space. 

Entwicklung des Planetariums: von der Himmelsscheibe von Nebra über antike Globen und Armillarsphären hin zum Projektionsplanetarium von Zeiss.
wenn das nicht animiert erscheint: klick aufs Bild!

Die bewegendste Rede … 

… bei dieser Festveranstaltung bekam Standing Ovations. Ein amerikanischer Jude steht auf der Bühne und sagt, dass seine Großeltern dachten, sie könnten den Deutschen und Österreichern niemals vergeben, wohingegen er selbst zahlreiche Freunde in Deutschlang und Österreich hat und sehr glücklich ist, als einer der Organisatoren der größten Pro-Wissenschaftsdemo der Welt heute bei uns in Jena auf der Bühne stand, um der Welt zu einer (deutschen) Erfindung der Wissensvermittlung und Wissenschaftsfreundlichkeit zu gratulieren. (Die gleiche Überwindung von Unrecht früherer Generationen müsste auch in Israel und Palästina geschehen und bei den von kolonialen Eroberern überrumpelten Ureinwohnern überALL: Wir müssen endlich Wege finden, einander unvoreingenommen zu begegnen und uns nicht gegenseitig für die Sünden unserer Vorfahren zu verfolgen, zu beschuldigen und zu bekämpfen: dafür steht das Sternbild Andromeda oder sollte es zumindest.) Wissenschaft und Wissenschaftsvermittlung sei ein “instrument of peace” und geeignet, die Engstirnigkeit vieler Menschen zu überwinden. 

Es war zwar allen Beteiligten wichtig zu betonen, dass die Simulation des Sternhimmels (und sei sie auch so realistisch und immersiv wie im Planetarium) nicht den echten Sternhimmel ersetzen kann. Wir müssen unbedingt daran arbeiten, unseren eigenen Planeten zu erhalten, zumal wir eben nicht “mal eben” auf einen anderen umziehen können. Neben den ökologischen Aspekten, die uns alle betreffen und am Verlust der Nacht (u.a.) besonders eindrucksvoll erlebbar sind und der Möglichkeit der Darstellung des Weltraums (“Outer Space”) aus der Perspektive von Astronauten, zeigt die astronautische Perspektive auch: Der größte Feind des Menschen ist der Mensch selbst. 

Menschen machen sich über andere Menschen lustig und diskriminieren sie: etwa 50 % der Menschheit (Frauen) wird wegen des angeborenen Geschlechts in unbegründete chauvinistische Schubladen gesteckt und unterdrückt, von den übrigen 50 % werden viele wegen ihrer Religion, ihrer sexuellen Orientierung oder politischen Einstellung diskriminiert (oder weil sie nicht irgendeinem schwabulierten Phantasiebild von Männlichkeit entsprechen, das niemandem entspricht außer der diskriminierenden Minderheit). Die Diskriminierenden sind also in der Minderheit und haben dennoch eine große Wirkung – und die Menschheit muss endlich damit aufhören! Noch fataler ist die Sache bei den aktuellen Kriegen in der Ukraine und Israel/Palästina, denn leider braucht es nur einen (bzw. eine Minderheit), um allen anderen Krieg aufzuzwingen, wohin gegen Frieden und Liebe das Einverständnis von vielen (bzw. mehreren) erfordert. Wann wird in der Menschheit endlich jede/r einzelne begriffen haben, dass Terror niemanden voranbringt? Noch nie in der Geschichte war das Waffenarsenal der Menschheit so immens wie heute: diese Generation wird entscheiden, ob die Menschheit überlebt oder nicht. Der Erde ist das egal, denn sie braucht uns nicht – aber wir brauchen den Planeten Erde.

Das Bewusstsein eines gemeinsamen Sternhimmels kann das Bestreben nach Frieden beflügeln. So wie die IAU das Jubiläumsjahr (2019) mit dem Slogan “Under One Sky” feierte (die IAU ist als Reaktion auf den Ersten Weltkrieg gegründet worden, als man dabei war, Frieden zu entwickeln), fühlen sich Planetarier:innnen “Connected Under One Starry Sky”. So finden wir über den Blick ins All zurück zu uns selbst (das hat was Sloterdijk-likes) und hoffentlich einen Weg, die Menschheit vor sich selbst zu retten. 

Das Sternbild Ophiuchus ist nicht nur das 13. Sternbild im Tierkreis, sondern es ist auch das einzige, das wohl nach einer realen historischen Person geformt wurde. Diese Person wurde mythologisch verklärt und steht jetzt als Sinnbild eines exzellenten Arztes (gegenüber dem sich mit schillernden Sternen schmückenden Rüpel Orion). Es ist ein ganz besonderes Sternbild… und wir alle wollen, auch wenn wir keine Ärzte sind, sondern “nur” Planetarier, ein bisschen Ophiuchus sein: Wir wollen die Welt heilen, indem wir nicht müde werden, die Verbundenheit der Menschheit “under one sky” zu betonen und die einzige Abhilfe gegen “alternativen Fakten”, “fake news”, Diktatur, Dummheit und Spinnerei anzubieten: profunde Kenntnisse (als leichte Kost aufbereitet) und solides Wissen, Fakten und die Inspiration zum Denken. 

“planetariums and planetarians make a difference.” 

Mission continued

Seitdem Planetarien eine große Anzahl von digitalen Projektionssystemen zur Verfügung haben, werden diese auch genutzt, um anderes zu zeigen als “nur” den Sternhimmel. Hat man mit Dia-Positiven im ZKP II noch einzelne Sternbilder-Bildchen händisch während der Show an die richtige Stelle der Kuppel gezirkelt (so ist es auch heute noch in der Stadt von Kopernikus’ Wirken, Frombork in Polen, an der russischen Grenze), ist es mit Fulldome-Digitalprojektionen inzwischen möglich, fast alle Inhalte der Filmindustrie auf der Kuppel auszugeben (ob das immer sinnvoll ist, ist etwas anderes: aber technisch machbar ist es). Alle Datensätze, die die Astronomie von Weltraumteleskopen oder Simulationsrechnungen produziert, können auch auf der Kuppel gezeigt werden. Wir können den Anschein erwecken, dass wir an Exoplaneten vorbeisausen und durch die Filamente leuchtender Materie und Galaxien der großräumigen Strukturen hindurchfliegen oder sogar diese aus den “Voids” betrachten. Das ist ein absolut unrealistischer Anblick, sogar für Astronauten, denn für solch einen Raumflug bräuchte man Überlichtgeschwindigkeit, die physikalisch nicht möglich ist. Wir fliegen also durch einen realen Datensatz und suggerieren damit etwas Unrealistisches – das schafft ganz neue Denkmöglichkeiten für Science und Science Fiction:

Die Welt-Träume des modernen Planetariums.  

Wie die amerikanische TV-Serie “Star Trek“, dem Traum vom Fliegen durchs All und von einer vereinten Menschheit im Bund unter der Flagge der “Föderation der vereinten Planeten”, ist auch Planetarium getrieben vom unerschütterlichen Glauben an das Gute im Menschen – an die Menschlichkeit von Menschen und ihre Fähigkeit, sich zum Guten und Besseren zu verändern. 

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"physics was my first love and it will be my last physics of the future and physics of the past" Dr. Dr. Susanne M Hoffmann ist seit 1998 als Astronomin tätig (Universitäten, Planetarien, öffentliche Sternwarten, u.a.). Ihr fachlicher Hintergrund besteht in Physik und Wissenschaftsgeschichte (zwei Diplome), Informatik und Fachdidaktik (neue Medien/ Medienwissenschaft) als Weiterqualifikationen. Sie ist aufgewachsen im wiedervereinigten Berlin, zuhause auf dem Planeten Erde. Jobbedingt hat sie 2001-2006 in Potsdam gelebt, 2005-2008 saisonal in Mauretanien (winters) und Portugal (sommers), 2008-2009 und 2013-'15 in Berlin, 2010 in Hamburg, 2010-2012 in Hildesheim, 2015/6 in Wald/Österreich, 2017 in Semarang (Indonesien), seit 2017 in Jena, mit Gastaufenthalten im Rahmen von Forschungskollaborationen in Kairo+Luxor (Ägypten), Jerusalem+Tel Aviv (Israel), Hefei (China)... . Ihr fachliches Spezialgebiet sind Himmelskarten und Himmelsgloben; konkret deren Mathematik, Kartographie, Messverfahren = Astrometrie, ihre historische Entwicklung, Sternbilder als Kulturkalender und Koordinatensystem, Anomalien der Sternkarte - also fehlende und zusätzliche Sterne, Sternnamen... und die Schaustellung von alle dem in Projektionsplanetarien. Sie versteht dieses Blog als "Kommentar an die Welt", als Kolumne, als Informationsdienst, da sie der Gesellschaft, die ihr das viele studieren und forschen ermöglichte, etwas zurückgeben möchte (in der Hoffnung, dass ihr die Gesellschaft auch weiterhin die Forschung finanziert).

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