Zwischen Verdunkeln und Erstrahlen: Erinnern mit und in Sprache

BLOG: Semantische Wettkämpfe

Wie die Sprache, so die Denkungsart
Semantische Wettkämpfe

In dem Projekt „Dark Heritage & Multidirectional Memory“ untersuchen wir in der Heidelberger Sprachwissenschaft im Rahmen des Forschungstandems „Culture Wars – Kämpfe ums kulturelle Erbe“ nationale und übernationale Perspektiven auf europäische Monumente des Gedenkens. Uns interessiert, wie in der Erinnerungskultur das Gedenken an einen Menschen, an einen Ort, an ein Ereignis, an eine Gesinnung usw. kultiviert wird. In Südafrika beispielsweise erinnert man an Nelson Mandela, besucht die Gefängnisinsel Robben Island, gedenkt des Jahrestages seiner Entlassung aus dem Gefängnis und fragt nach den Folgen der Apartheidpolitik. Das Gedenken und die damit verbundene Wertschätzung bleiben aber nicht immer stabil, wandelt sich im Laufe der Zeit mitunter. Ein Erbe, das einst hell erstrahlte, kann plötzlich verdunkeln – also an Strahlkraft und Vorbildfunktion verlieren.

Ein Beispiel zum Warming-Up

Nehmen Sie Otto von Bismarck. Wikipedia resümiert: „Bismarck gilt als Vollender der deutschen Einigung und als Begründer des Sozialstaates der Moderne“. Und im Auswärtigen Amt – so berichtet der Spiegel – benennt man das „Bismarck-Zimmer um: Otto von Bismarck ist offenbar kein deutscher Staatsmann, an den man sich im Auswärtigen Amt noch erinnern möchte.“ Und die Zusammenfassung des Spiegels lautet wie folgt: „Da er den Ruf als Vollender der deutschen Einheit innehat, erinnern deutschlandweit zahlreiche Denkmäler an ihn. Als im Jahr 2020 weltweit Aktivisten gegen die Verherrlichung historischer Rassisten vorgingen, wurde aber auch in Deutschland über die Bismarck-Denkmäler debattiert.“ Historisches Erbe, das einst erstrahlte, ist „verdunkelt“ (siehe das Projektglossar des Forschungstandems „Culture Wars – Kämpfe ums kulturelle Erbe“).

Gedenken zwischen Forschung und Gesellschaft

Um alle erregten Gemüter gleich zu beruhigen: Es geht mir nicht um das adäquate Erinnern an Otto von Bismarck. Um dies deutlich zu machen, haben wir uns in Richtung Westen nach Kanada auf den Weg gemacht – da können wir ähnliche Prozesse vielleicht besser aus der Außenperspektive betrachten. Unser Kooperationspartner an der University Britisch Columbia (UBC) – Dr. Florian Gassner – hat ein beeindruckendes Vorhaben aus der Taufe gehoben: „Canadian Monument to Central and Eastern European History“. Dort untersucht er den kulturellen Einfluss der vielen Kanadier, die sich auf ein mittel- und osteuropäisches Erbe berufen – etwas 20 % der Bevölkerung. Zahlreiche Denkmäler im ganzen Land dokumentieren ihre Einwanderungsgeschichte, die Geschichte, die zu ihrem Umzug nach Kanada führte, und ihre Beiträge zu ihren neuen Gemeinschaften. Unser Projekt befasst sich mit den politischen Botschaften, die diese Denkmäler vermitteln, und den Gründen für die Form deren „Heiligsprechung“.

Was versteht man unter Überlieferung, was unter Heritage-Making?

Überlieferung – also jemand anderem eine Geschichte mitgeben – ist das, was von einer Generation zur anderen Generation weitererzählt wird. Welchen semantischen Mehrwert bringt da der Anglizismus „Heritage Making“? Guillaud et al 2016 definieren dieses Phänomen wie folgt: „The process of heritage-making, also termed heritagization, entails the interplay of stakeholders who have different perspectives of the past and visions for the future.“ (Guillaud D, Beaulaton D, Cormier Salem M, Girault Y. 2016. Ambivalences patrimoniales au sud: Mises en scène et jeux d’acteurs. Paris, France: Institut de Recherche pour le Développement, Karthala.) Offensichtlich ist in dieser Redeweise das Erbe nicht einfach da, sondern wird von jedem Sprecher beim Erzählen wieder neu konstituiert (siehe „Sagen lassen sich die Menschen nichts, aber erzählen fast alles“). Das vermeintlich stabile Erbe wird also mit leicht individualistischer Sichtweise vor dem Hintergrundrauschen der großen Erzählungen je zeitgebunden hergestellt (siehe zur Faktizitätsherstellung „Der „Faktencheck“ als Ersatzwahrheit? Von Daten und Fakten auf der Suche nach Objektivität“). Und was folgt daraus – also aus der Verknüpfung von alt hergebrachter Überlieferungsvorstellung einerseits und dem je Zeitgeist-gebundenen Herstellen kulturellen Erbes als perspektiven- und interessengebundenes Konstrukt andererseits? Das Erbe ist im Fluss.

Heritage-Making in Kanada

Im vergleichsweise jungen Einwanderungsland Kanada ist Heritage-Making im Spannungsfeld unterschiedlicher Kulturen verortet. Insbesondere im Kontext öffentlicher Gedenkkultur müssen staatliche Institutionen als Diskursakteure zwischen konkurrierenden Perspektiven und Interessen vermitteln. Florian Gassner aus Vancouver verweist auf zwei Exempel: zum einen auf das National Holocaust Monument in Ottawa, das bereits kurz nach seiner Fertigstellung aufgrund der Kritik jüdisch-kanadischer Gruppen verändert werden musste, und das anschließend von ukrainisch-kanadischen Kreisen kritisiert wurde. Noch umstrittener ist das derzeit in Ottawa errichtete Memorial to the Victims of Communism, das nach der Veröffentlichung des endgültigen Entwurfs infolge des öffentlichen Drucks zweimal umgestaltet werden musste, wobei es sich beim zweiten Entwurf um ein vollkommen neues Konzept handelte.

Heritage-Making aus linguistischer Sicht

Beim Heritage-Making führen verschiedene Interessengruppen semantische Wettkämpfe über bevorzugte Bezeichnungen aus – und zwar sollen dadurch bestimmte handlungsleitende Konzepte stark gemacht werden. Kunstwerke als ikonische Zeichen werden durch Sprache erklärt. Mit Sprache wird den Kunstwerken Sinn zugeschrieben. Einzelne Bestandteile eines Monuments sollen für etwas stehen, es werden Eigenschaften attribuiert.

Heritage-Making in der deutschen Geschichte

Ein kurzer Blick zurück auf die Entstehung der 2711quaderförmigen Betonstelen neben dem Brandenburger Tor in Berlin als „Erinnerung“ oder „Denkmal“ oder „Mahnmal“ oder „Gedenkstätte“ oder „Informationsort“ an den Holocaust kann diesen abstrakten Gedanken illustrieren [vgl. Berlin.de – Das offizielle Hauptstadtportal]: Am 25. August 1988 verlangte die Publizistin Lea Rosh in Berlin ein „sichtbar gemachtes Bekenntnis zur Tat“ zu errichten. Es geht um ein „Mahnmal für die ermordeten Juden Europas“. 1995 spricht sich eine Jury für den Entwurf der Berlinerin Christine Jacob-Merks aus, eine „100 mal 100 Meter große Grabplatte mit 4,5 Millionen Namen ermordeter Juden“. Im Jahr 1997 setzt sich langsam der Entwurf des heute existierenden „Stelenfeldes“ durch; „Stele“ ist ein Wort für einen Pfeiler oder auch einen Grabstein. Von daher stehen die Stelen als Zeichen für Gräber oder Särge. Wikipedia zitiert den Architekten: „Peter Eisenman nannte das Stelenfeld einen „place of no meaning“ (‚Ort ohne bestimmte Bedeutung‘).“ Des Weiteren führt er aus: „Das Ausmaß und der Maßstab des Holocaust machen jeden Versuch, ihn mit traditionellen Mitteln zu repräsentieren, unweigerlich zu einem aussichtslosen Unterfangen. […] Unser Denkmal versucht, eine neue Idee der Erinnerung zu entwickeln.“ Im Jahre 2000 entscheidet sich das Kuratorium der Mahnmal-Stiftung zusätzlich für einen unterirdischen Ergänzungsbau als „Ort der Information“, andere nennen dieses Gebäude „Haus des Erinnerns“.

Sprache des Erinnerns und die Sprache der erinnerten Zeit

Was das Ganze mit Sprache zu tun hat? Mit Sprache gedenken wir, in Sprache manifestieren sich Erinnerungsformen. Routinen des Erinnerns (z.B. anlässlich des Kriegsendes, heldenhafter Widerstandshandlungen usw.) sind gefangen in dem Zeicheninventar einer Sprache und seiner begrenzten Kombinierbarkeit (= „semiotische Gefangenschaft“). In meinem Aufsatz „Verfestigte Sprache: Parteien-Sprech zwischen Jargon der Anmaßung und angemessenem Sprachgebrauch“ versuche ich die Problematik der semiotischen Gefangenschaft darzulegen. Es kommt aber noch etwas anderes hinzu: Roland Barthes spricht in seinem Aufsatz „Historie und Diskurs“ (in der Zeitschrift alternative 62/63, 1968, S. 173) von der weiteren Schwierigkeit der „Koexistenz, oder besser gesagt, [von] der Reibung zweier Zeiten, der Zeit des Aussagens und der Zeit des ausgesagten Stoffes.“ Linguistisch übersetzt heißt dies: Wir müssen zwischen der Sprache des Erinnerns und der Sprache der erinnerten Zeit unterscheiden. Wir haben es mit Erkennungsworten perspektivengebundenen Heritage-Making zu tun – oder wie das Motto meines Blogs „Semantische Wettkämpfe“ sagt: Wie die Sprache, so die Denkungsart.

Vom „Tag der Niederlage“ zum „Tag der Befreiung“

Ein imposantes Beispiel stellt der Paradigmenwechsel im Sprechen über den 8. Mai 1945 dar, das Ende des Zweiten Weltkrieges: Bis 1985 sprach die Mehrheit der Deutschen vom „Tag der Niederlage“ oder der “Kapitulation”. Nach einer historischen Gedenkrede des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker vom 8. Mai 1985 setzte sich auch die Sprechweise des damaligen Bundepräsidenten vom „Tag der Befreiung“ vom Nationalsozialismus durch. Richard von Weizsäcker hat mit seiner viel beachteten Rede das Erinnern in eine andere Richtung gelenkt – also einen Paradigmenwechsel eingeleitet, der sich in den Schlüsselwörtern von der „Niederlage“ bzw. „Kapitulation“ und „Befreiung“ verdichtet. Im Mai 1949 reflektierte der spätere Bundespräsident Theodor Heuss vor dem parlamentarischen Rat die Widersprüchlichkeit des Kriegsendes aus deutscher Sicht: „Im Grunde genommen bleibt dieser 8. Mai 1945 die tragischste und fragwürdigste Paradoxie der Geschichte für jeden von uns. Warum denn? Weil wir erlöst und vernichtet in einem gewesen sind.“ Theodor Heuss sprach von „Erlösen“ und Vernichten“, viele Zeitzeugen empfanden diesen Tag als „Stunde Null“ und bezeichneten ihn deshalb so.

Conclusio

Das Ringen und die öffentliche Auseinandersetzung um das angemessene Gedenken gewährleistet einen ständigen Perspektivenabgleich verschiedener Interessengruppen. Darüber hinaus zeigt sich in der Suche nach den richtigen Worten, dass nicht jede Bezeichnung von allen Diskutanten gleich aufgefasst und eingeschätzt wird. Im Ringen nach Worten manifestiert sich die dynamische und je zeitgebundene Adaption des Vergangenen. Wenn wir dies respektvoll und nicht rechthaberisch hinbekommen, gelingt die Horizonterweiterung.

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Ekkehard Felder ist Professor für Germanistische Linguistik an der Universität Heidelberg. Er initiierte 2005 die Gründung des internationalen und interdisziplinären Forschungsnetzwerks Sprache und Wissen. Diese Forschungsgruppe untersucht diskurs- und gesellschaftskritisch die sprachliche Zugriffsweise auf Fachinhalte in zwölf gesellschaftlichen Handlungsfeldern – sog. Wissensdomänen (z.B. Recht, Wirtschaft, Medizin, Politik, Naturwissenschaft und Technik). Da Fachinhalte durch die Wahl der Worte geprägt werden und widerstreitende Positionen eine andere Wortwahl präferieren, ist ein Streit um die Sache auch ein Streit um Worte bzw. ein semantischer Kampf um die richtige Sichtweise. Deshalb heißt sein Blog bei SciLogs „Semantische Wettkämpfe – Wie die Sprache, so die Denkungsart“. Seine Forschungen beschäftigen sich mit der Fachkommunikation, der sozio-pragmatischen Diskursanalyse und der Untersuchung von Sprache als Indikator für Identität, Mentalität und Authentizität. 2010 gründete er mit den Kollegen Ludwig M. Eichinger und Jörg Riecke das Europäische Zentrum für Sprachwissenschaften (EZS). Als Fellow des Institute for Advanced Studies in Heidelberg (2008, 2020/21) und STIAS in Stellenbosch / Südafrika (2009) widmete er sich dem diskursiven Wettkampf um erkenntnisleitende Konzepte („agonale Zentren“). Felder ist Autor von sechs Monografien und (Mit-)Herausgeber diverser Sammelbände. Besonders bekannt ist die von ihm herausgegebene Reihe „Sprache und Wissen“ (SuW) bei de Gruyter und die dort mit Andreas Gardt herausgegebenen „Handbücher Sprachwissen“ (HSW).

11 Kommentare

  1. “Horizonterweiterung”, auch das bewirkt die Sprache.
    Ein wirklich gut geschriebener Aufsatz über Kultur und Sprache.
    Grundsätzliche Zustimmung zu den Inhalten.
    Was die Kunstwerke betrifft, ein Kunstwerk sollte selbsterklärend sein.
    Als Beispiel die Stele vor dem Brandenburger Tor. Die wecken keine Gefühle, weder positiv noch negativ. Wenn einem nicht gesagt wird was sie bedeuten, errät man es nicht. (meine Meinung)
    Als Vergleich schaue man sich das Denkmal in Bratislava zum Holocaust an. Man muss sich schon davorstellen um sich das Grauen vorstellen zu können!
    Leute, Ballermann ist out, Bratislava ist angesagt.

  2. Also ich habe keinen Weizsäcker benötigt um den Tag der Befreiung zu begehen denn als ehemaliger DDR-Bürger war das staatliche Auflage und Pflicht. Lediglich mein Onkel der 1941 mit seinem Leopard Panzer vor Moskau stand hat ihn als Tag der Niederlege angesehen und damals seinen Traum vom Panzerspitzen in Moskau weitergeträumt, was man ja heute scheinbar auch noch träumt. Kulturelles Erbe ist wohl eine sich permanent verändernde Bewertung der Geschichte, ideologisch determiniert. Bismark hat damals mit seiner Politik, Deutschland muss in seiner geographischen Lage zwischen den Weltmächten Russland und Frankreich/Großbritannien diplomatisch ausgleichend wirken, einen Weltkrieg verhindert und der Begriff DEUTSCH hatte damals eine andere Qualität . Bei den Kanadiern ist es ja so dass sie ihre Geschichte wohl erst mit der Migration europäischer Menschen verbinden und die tausendjährige Geschichte der Ureinwohner völlig ausblenden. Für viele Ureinwohner(Indianer) könnte dann die Ankunft der Europäer auch ein Tag der Niederlage sein. Mit Sprache gedenken wir…. Ja, aber die Sprache ist nur ein Ausdruck unserer Wertvorstellungen und die sind ideologisch und religiös determiniert.

  3. Der Volksmund spricht auch von den zwei Seiten einer Medaille.
    Ein Militarist nennt den 8. Mai den Tag der Kapitulation.
    Kein Land in Europa hat so viel widersprüchliche Erfahrungen gemacht wie Deutschland. Wir haben nichts worauf wir stolz sein können. Immer fällt ein Schatten auf technische wie intellektuelle Errungenschaften.
    Man denke an Karl Marx, man denke an Bismarck, man denke an Gottlieb Daimler, man denke an den deutschen Adel, man denke an Fritz Haber, von den Politikern der DDR ganz zu schweigen.
    Ein Engländer hat es auf den Punkt gebracht.
    “Ihr Deutschen , entweder geht ihr uns an die Gurgel oder ihr liegt uns zu Füßen.”

  4. Für 10-15 Millionen Deutsche im heutigen Polen und in Tschechien und anderswo markiert der 8. Mai 1945 den engültigen Verlust der Heimat. Deutschland schrumpfte um ein Viertel, mindestens 1 Million Deutschsprachige sind in Folge ethnsicher Säuberun umgekommen, *das* ist es doch, was die Erinnerung zweischneidig macht und worüber heute kaum jemand redet.

    • @Constantin

      Die URSACHE aller Probleme unseres “Zusammenlebens” wie ein wachstumswahnsinniges Krebsgeschwür, ist der nun “freiheitliche” WETTBEWERB und seine Symptomatik (“Wer soll das bezahlen?” und “gesundes” Konkurrenzdenken) um die Deutungshoheit, wo OHNE … alles sehr viel besser wäre.

  5. Um wirkliche Wahrhaftigkeit zu finden und um sie dann sinnvoll zu gestalten, muss Mensch sich nur ganzheitlich bewusst machen, dass wir GLEICHMÄßIG in der Konfusion des zeitgeistlich-reformistischen Kreislaufs des SELBEN imperialistisch-faschistischen Erbensystems vegetieren und nur stumpf-, blöd- und wahnsinnigen Kommunikationsmüll produzieren – Die Welt- und “Werteordnung” des geistigen Stillstandes seit Mensch erstem und bisher einzigen geistigen Evolutionssprung (“Vertreibung aus dem Paradies”). 👋🥴🏳

  6. Wir gehen mit Geschichte um, wie der Schlachter mit dem Schwein, und das auf den Denkmälern ist die Wurst.

    Geschichtsschreibung ist die kontinuierliche Anpassung der Propaganda von Gestern an die Propaganda von Heute.

    Wir alle haben das extreme Bedürfnis, auf unsere Geschichte stolz zu sein, doch sie bietet fast nur Anlass zur Scham. Daher gibt es zwei: Die wahre und die mythologische. Aus der wahren lernen wir am besten, wie wir sie nicht wiederholen. Die mythologische sagt uns, was hätte passieren müssen, das wir wiederholen sollten. Es ist einfach ein kultureller Gencode, nur mit einem anderen Datenspeicher als DNA, und einer anderen Form der Fortpflanzung. Mythen schaffen Dämonen – Staaten, Religionen, Kulturen, all die Tiere, die uns wie Körperzellen behandeln und ihre Information in uns hinterlassen, sodass wir als Vehikel für eine Vielzahl von sich überschneidenden Wesenheiten dienen.

    Wenn wir Realität und Mythen nicht auseinander halten können, werden wir richtig schön gaga, weil die kognitive Dissonanz wie zwei Elektroden wirkt, die uns das Hirn in Rage grillen.

    So kann man zum Beispiel die Umbenennung von Tag der Niederlage in Tag der Befreiung als einen chirurgischen Eingriff betrachten, eine Form des Cultural Engineering, um Deutschland an seine neue Rolle und seine neue Umwelt anzupassen. Eine andere war, aus dem Massenmörder Bandera in der Ukraine einen Helden zu machen, sodass die Ukrainer gar nicht verstehen, was die Polen denn wollen, wenn sie sich über das harmlose Bisschen Holocaustimitat beschweren. Wir brauchen unsere Mythen und Märchen, um als Gemeinschaft zu funktionieren. Und wir nehmen jede Pelle für die Wurst, die die Geschichte gerade hergibt, egal wie ungeeignet.

    Bismack – nun, ich finde es unfair, einen Menschen außerhalb seiner Zeit zu betrachten. Damals war Rassismus so selbstverständlich wie die Luft zum Atmen, der Adel war rassistisch gegenüber den Gemeinen, die Weißen gegenüber den Schwarzen, die Nationen gegenüber ihren Nachbarn. Weil Bildungsstand und Ernährung (also damit auch Körpergröße) von der Herkunft abhingen, unterschieden sich die Reichen auch physisch von den Armen, man wusste einfach nicht, dass so was systemisch ist, d.h., dass eine Gesellschaft Kasten ausbildet, die sich selbst und gegenseitig unbewusst zu bestimmten Rollen erziehen. Intellektuell war man auf dem Niveau von Schimpansen, das Denken folgte dem Prinzip „Macht ist Recht“, man fragte sich nicht, ob die Europäer überlegen wären, sondern, warum. In Europa stapelten sich die Auserwählten Völker, und jedes saugte sich seine eigene billige Ausrede aus den Fingern, warum seine Theokratie, in der die frisch erfundene Staatsreligion Nation das Christentum endgültig zum Sidekick degradiert hatte, denn den mächtigsten und tollsten Huga-Buga aller Stammesgötter der Welt hätte. Wir waren einfach ein Haufen primitiver, unzivilisierter Wilder und wussten es nicht besser.

    Analphabeten hätten es einfacher – zwei hastig erzählte Gute-Nacht-Geschichten später wäre aus dem Eisernen Kanzler ein eiserner Riese geworden, der in den Volkssagen schnell mit Götz von Berlichingen verschmolzen wäre, wegen der Eisenfaust, vielleicht ein Deutschordensritter aus dem Heiligen Land geworden wäre, und heute im Kyffhäuser pennen würde.

    Im Grunde begann die Menschwerdung mit dem 2. Weltkrieg, der das koloniale Grauen nach Europa zurückbrachte. Noch 1945 in Nürnberg verstanden die Nazis nicht, was man eigentlich von ihnen wollte – schließlich hatten sie nichts getan, was ihre Richter nicht selbst getan und als Heldentaten verbucht hätten. Nur ein wenig schneller, schließlich waren sie spät dran. Und wir sehen gerade – der Lernerfolg hielt nicht lange an. Nur die Ausreden für Rassismus passen sich der herrschenden Relideologie an.

    Heute haben wir eine andere Art Rassismus – wir sind die Gesinnungs-Arier, nur wir sind zu wahrer Ethik fähig, alle anderen sind Moralin-minderbemittelte Untermenschen. Weswegen wir aus demonstrativem Büßertum unsere Denkmäler ikonoklatschen, doch nie fragen würden, was denn bei unseren Opfern a.D. auf den Marktplätzen steht. Wenn wir Raubgut zurückgeben, fragen wir auch nicht, wie die Beraubten so reich wurden, dass es sich lohnte, sie auszurauben. Sind ja nur Affen, und wir nehmen die Bürde des Weißen Mannes auf uns, sie auf ihren Platz in der Rassenhierarchie zu verweisen, indem wir ihnen mit gutem Beispiel unsere Überlegenheit zeigen. Irgendwie so urchristlicher Flagellanten-Rassismus – schaut, ich blute, ich bin heiliger als du!

    Der Oldschool-Rassismus denkt sich inzwischen was mit Kultur aus, ist halt auch zur Schule gegangen, wo ihm die Biologie zurechtgerückt wurde. Schätze mal, Flüchtlingen kann es egal sein, warum die Frontex mit ihnen im Mittelmeer die Filme dreht, die Winston Smith schon 1984 guckte. Kein Narrativ verändert die menschliche Natur, die menschliche Natur verändert das Narrativ.

    Trotzdem brauchen wir ein Narrativ, das die menschliche Natur dann doch ein wenig lenkt, zähmt, koordiniert, um hoffentlich mehr zu sein, als ein paar Schimpansen mit Computer statt Fäusten, oder Körperzellen dümmlicher, dämonischer Riesenamöben. Vielleicht sollten wir den Quatsch mit dem Geschichtsbezug gleich sein lassen, uns statt Denkmälern Totempfähle setzen, die uns als Nachkommen von Geiern, Flöhen oder Feldmäusen ausweisen, oder welche für den Hulk und Wonder Woman errichten. Geschichte war nun mal scheiße, doch sie so zu akzeptieren, führt zu schweren Neurosen. Was tun? Ich versuch’s mit bewusstem, reflektierten Doublethink.

    Wichtig bei Genetic Engineering ist – nicht langweilen. Pädagogisch wertvollen kastrierten Salat können sich ängstliche Kontrollfreaks an der Waldorf-Schule gegenseitig erzählen, Kids kaufen nur was mit Wumms und Keule. Ich als Pole hab’s einfach, ich hab Jedi-Cyborgs im Geschichtsfälschungsbuch, die eine tolerante, demokratische Republik vor tatarischen Sklavenjägern und Iwan dem Schrecklichen verteidigten. Die Kleinigkeit, dass auch diese nur für eine Bande von Sklavenhaltern galt, weil man damals ohne Sklaverei einfach kein Geld für eine Armee hatte und sehr schnell tot oder Sklave war, muss ich schlucken.

    Und auch unsere Vergangenheitsbewältigung muss schlucken, dass wir uns damals durch den internationalen Konkurrenzkampf gegenseitig Sachzwänge schufen, denen sich keiner entziehen konnte. Dass es den Tätern echt Spaß machte und sie maßlos übertrieben, ändert nichts daran. Wenn ich mir den internationalen Konkurrenzkampf heute ansehe, sollten wir dringend lernen, wie man echte Geschichte nicht wiederholt.

  7. Dr. W rät an, vergleiche

    https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/279823/verfestigte-sprache/ (T+-Probe : ‘Für Parteien- und Politikverdrossenheit werden vielfältige Erklärungen angeführt. Ein Argument konzentriert sich auf den Gebrauch einer bestimmten politischen Sprache. Diese Sprache sei immer gleich und daher künstlich, phrasen- und floskelhaft, fernab vom Bürger, technokratisch und nicht vermittelbar – so eine unvollständige Liste an negativen Attributen. Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden diskutiert, welche gegensätzlichen Faktoren den politischen Sprachgebrauch beeinflussen und welche Varianzspielräume Parteipolitikern beim sprachlichen Formulieren zur Verfügung stehen.’ – wahlfrei herausgegriffen)

    Dr. W will gegensätzlich klar stellen :
    Sprache meint das Gesagte, es liegt hier auch Begriffsgeschichte vor, sog, Etymologie.

    Gerade auch eine liberal-konservative Kraft sollte sich insofern, aus diesseitiger Sicht, nicht i.p. sog. Konnotationen ergeben.
    Nicht einmal näher darauf eingehen, außer : ablehnerisch.

    Dr. W hofft sich klar ausgedrückt zu haben, die Linguistik hat keine politische Macht bzw. sollte so nicht haben.
    Sie bleibt beschreibend.

    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Webbaer

  8. Bonuskommentar hierzu :

    Herrschaft und Macht werden auch über Semantik ausgeübt. Betrachtet man Sprache als Medium zur Durchsetzung bestimmter Sichtweisen auf gesamtgesellschaftlich umstrittene Sachverhalte in der Geschichts- und Politikdeutung, so offenbart sich „hinter“ den Zuschreibungen von Lüge und Wahrheit eine Strategie der Etikettierung um abschließende Deutungshoheit. Wir haben es mit einer Auseinandersetzung um Definitionshoheit zum Zwecke der gesellschaftlichen Einflussnahme zu tun – kurzum mit semantischen (Wett-)Kämpfen um Lüge und Wahrheit. [Quelle]

    Dr. W hat sich, (für ihn) gewohnte Gegenrede zurecht gelegt, aber es stimmt, Dr. W hält sich nun zurück.

    MFG
    WB

  9. Bonuskommentar hierzu :

    Herrschaft und Macht werden auch über Semantik ausgeübt. Betrachtet man Sprache als Medium zur Durchsetzung bestimmter Sichtweisen auf gesamtgesellschaftlich umstrittene Sachverhalte in der Geschichts- und Politikdeutung, so offenbart sich „hinter“ den Zuschreibungen von Lüge und Wahrheit eine Strategie der Etikettierung um abschließende Deutungshoheit. Wir haben es mit einer Auseinandersetzung um Definitionshoheit zum Zwecke der gesellschaftlichen Einflussnahme zu tun – kurzum mit semantischen (Wett-)Kämpfen um Lüge und Wahrheit. [Quelle

    Dr. W hat sich, (für ihn) gewohnte Gegenrede zurecht gelegt, aber es stimmt, Dr. W hält sich nun zurück.

    MFG
    WB

    PS und “V-2”. es sieht hoffentlich so besser aus,

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