Zum Blog-Einstieg „Semantische Wettkämpfe – Wie die Sprache, so die Denkungsart“

BLOG: Semantische Wettkämpfe

Wie die Sprache, so die Denkungsart
Semantische Wettkämpfe

Ein neues Blog oder ein neuer Blog zu semantischen Wettkämpfen in der Sprache? – Schon die beiden Artikel der oder das Blog zeigen einen gewissen Wettstreit im Sprachgebrauch. In der Sprache ist nicht immer alles ganz eindeutig, aber dafür spannend. Die Wörterbücher – genauer die Redaktionen – beziehen überwiegend eine liberale Position und rechtfertigen beide Verwendungsweisen. Wer sich für wechselnde Artikel (Genera) interessiert, dem seien die anregenden Sprachkarten im Atlas zur deutschen Alltagssprache ans Herz gelegt. Und dann viel Spaß beim Wettstreit, ob es der oder das Joghurt heißt. Sollten Sie zu dritt sein, dann können Sie auch über den Artikel von Nutella streiten.

Übrigens: Zur Streitfrage das oder der Blog gibt es schon ein(en) Blogpost von Anatol Stefanowitsch. Mit dieser „Unsicherheit“ durch Genuswechsel (so nennen das die Linguisten) kann man leben. Von größerer Tragweite ist die Macht der Sprache auf der Suche nach Wahrheit. Beispielsweise ist umstritten, ob wir von „therapeutischem Klonen“ oder „Forschungsklonen“ sprechen sollten: Ersteres verspricht schon in der Bezeichnung die Heilung, das zweite Wort lässt offen, ob die Forschungen tatsächlich zu dem gewünschten Erfolg führen. Um solche sprachlichen Wettkämpfe für das Richtige soll es hier im Blog gehen: Welcher Sprachgebrauch setzt sich durch? Wer wählt welche Variante mit welchem Motiv und zu welchem Zweck? Was sagen die unterschiedlichen Formulierungen über die Denkhaltung aus? Wie abhängig sind unsere Wirklichkeitsvorstellungen von sprachlichen Formulierungen?

Lange Rede – kurzer Sinn: Die Welt soll in diesem Blog aus dem Blickwinkel der Sprache betrachtet werden. Die kommenden Postings werden dazu Beispiele aus Medizin, Recht, Wirtschaft, Biologie, Politik etc. präsentieren. Denn die Sprache ordnet die Welt durch die Wörter, mit denen wir kommunizieren. Sie prägt unser Denken, aber sie bestimmt es nicht in einem 1:1-Verhältnis. Dessen ungeachtet ist die Welt mehr als Sprache. Dafür gibt es kein schlagenderes Beispiel als die Liebe.

Sie fragen: Was hat die Sprache mit der Liebe zu tun? Sehr viel! Ein Großteil unseres Wissens basiert auf dem unmittelbaren Erleben von Gefühlen und Lebenssituationen dieser Art. Darüber hinaus können wir beim Reden und Zuhören unsere Erfahrung mit der Liebe nur mit diversen Formen des Ausdrucks Liebe usw. mitteilen – man denke an lieb, lieben, lieblich, Liebende, nicht mehr lieben, früher einmal geliebt. Für den Bereich der Liebe wie für jeden anderen Lebensausschnitt gilt: Ein großer Teil unseres Wissens gründet nicht nur auf eigenen Erfahrungen, sondern vielmehr auf dem, was wir darüber gehört und gelesen haben. Freundliche Zungen sprechen von sprachlicher Sozialisation, böse Zungen von sprachlicher Abrichtung. Und in der Folge reden, schreiben und denken wir im Sprachgerüst.

Wir wissen also über die Liebe nur das, was man über sie sagen kann? Vermutlich nicht. Liebe ist mehr als Sprache – das steht wohl außer Frage. Richtig komplex wird es im Kontext der Mehrsprachigkeit: Liebt der Spanier wie der Finne, und wie sprechen sie darüber? Es kommen also kulturspezifische Konzepte ins Spiel. Welche Assoziationen entstehen bei Wörtern anderer Sprachen wie z.B. l’amour oder l’amore? Diese Wörter weisen natürlich in ihren Kulturkreisen eine eigene Geschichte auf.

Apropos Geschichte: Aufschluss über vergangene Einstellungen zur Liebe erlangen wir über Sprache und Bilder. Begriffsgeschichtlich kommt dies in den Wörtern minne und Liebe zum Ausdruck – beide teilen sich ein Bedeutungsspektrum auf, wie uns die Sprach- und Literaturgeschichte verrät. Wie ist es also um die minne oder die Liebe bestellt? Der neuhochdeutsche Ausdruck Liebe teilt sich mit dem mittelhochdeutschen Wort minne überschneidende und abweichende Bedeutungsnuancen: minne steht zunächst eigentlich für ›liebendes Gedenken‹, sodann für die ›erbarmende, helfende Liebe‹ sowie für ›Eintracht, Verbundenheit‹ und schließlich für ›die verlangende, begehrende Liebe‹ (vgl. Hilkert Weddige (1992): Einführung in die germanistische Mediävistik. München, S. 246).

All diese Ausführungen weisen darauf hin, dass der Ausdruck Liebe mehrdeutig ist – und diese Mehrdeutigkeit kaum zu fassen ist. Wie soll es bitteschön mit der Liebe klappen, wenn wir nicht mal die Wortbedeutung im Griff haben? Ist die Sprache für den Trennungsschmerz verantwortlich?

Fest steht nur: Wir können die individuellen Erfahrungen mit dem Phänomen Liebe nur mit den Worten ausdrücken, die uns die Sprachen zur Verfügung stellen. Dazu gehören auch feste Wortverbindungen wie die Liebe in Zeiten des/der X, die man heute leicht mit einer Suchmaschine eigener Wahl herausfindet. Da kommen schöne Treffer zu Tage: die Liebe in Zeiten des Heuschnupfens oder die Liebe in Zeiten der Lückenpresse. Sie gehen vermutlich auf das prägende Muster des berühmten Romans von Gabriel Garcia Marquez Die Liebe in den Zeiten der Cholera zurück – im Original El amor en los tiempos del cólera. Wir unterstellen dabei völlig naiv, dass das deutsche Wort Liebe dem spanischen amor entspricht, dass wir also das kulturelle Umfeld der Wörter und ihres Gebrauchs mitübersetzen können. Aber wir haben nun mal keine andere Wahl.

Unter bestimmten Bedingungen verschmelzen manche Fügungen wie z.B. Erste Hilfe sogar zu einem Ausdruck. Ein weiteres Beispiel dafür ist reife Liebe oder späte Liebe für Menschen, die sich in der sog. dritten Lebensphase verlieben. Wenn wir mit einer „neuen“ Wortverbindung im Kopf durch die Welt gehen, dann finden sich die passenden Phänomene schneller als wenn wir „wortlos“ beobachten. Durch so eine feste Wortfügung bekommt das Phänomen mehr Aufmerksamkeit, weil es griffiger wird – für die Medien, aber auch für die Menschen in ihrer Alltagskommunikation. Oder gibt es das Phänomen des Ausgebrannt-Seins erst, seit das Wort „Burnout“ kursiert?

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Ekkehard Felder ist Professor für Germanistische Linguistik an der Universität Heidelberg. Er initiierte 2005 die Gründung des internationalen und interdisziplinären Forschungsnetzwerks Sprache und Wissen. Diese Forschungsgruppe untersucht diskurs- und gesellschaftskritisch die sprachliche Zugriffsweise auf Fachinhalte in zwölf gesellschaftlichen Handlungsfeldern – sog. Wissensdomänen (z.B. Recht, Wirtschaft, Medizin, Politik, Naturwissenschaft und Technik). Da Fachinhalte durch die Wahl der Worte geprägt werden und widerstreitende Positionen eine andere Wortwahl präferieren, ist ein Streit um die Sache auch ein Streit um Worte bzw. ein semantischer Kampf um die richtige Sichtweise. Deshalb heißt sein Blog bei SciLogs „Semantische Wettkämpfe – Wie die Sprache, so die Denkungsart“. Seine Forschungen beschäftigen sich mit der Fachkommunikation, der sozio-pragmatischen Diskursanalyse und der Untersuchung von Sprache als Indikator für Identität, Mentalität und Authentizität. 2010 gründete er mit den Kollegen Ludwig M. Eichinger und Jörg Riecke das Europäische Zentrum für Sprachwissenschaften (EZS). Als Fellow des Institute for Advanced Studies in Heidelberg (2008, 2020/21) und STIAS in Stellenbosch / Südafrika (2009) widmete er sich dem diskursiven Wettkampf um erkenntnisleitende Konzepte („agonale Zentren“). Felder ist Autor von sechs Monografien und (Mit-)Herausgeber diverser Sammelbände. Besonders bekannt ist die von ihm herausgegebene Reihe „Sprache und Wissen“ (SuW) bei de Gruyter und die dort mit Andreas Gardt herausgegebenen „Handbücher Sprachwissen“ (HSW).

30 Kommentare

  1. ……..Burnout gab es den schon immer, oder erst seit der Wortschöpfung?
    Wahrscheinlich gab es den Burnout schon immer, nur bezeichnete man das anders. Wenn Künstlern mit 50 Jahren nichts mehr einfällt, wenn Männer mit genügend Geld ihren Lebenskreis verlassen , auswandern,
    wenn Frauen sich scheiden lassen ??
    Midlife-Crisis?
    Auf jeden Fall verstärkt sich der Effekt, wenn man durch den passenden Begriff darauf focusiert wird.
    Böse Zungen behaupten sogar, die Pharmaindustrie bringt ein neues Medikament auf den Markt und erfindet dann die passende Krankheit dazu.

  2. Die Sprache schafft nicht Dinge, die es nicht gibt, sondern sie verschiebt die Aufmerksamkeit auf Dinge, die sich in einer bestimmten sprachlichen Kultur eloquent/eingängig formulieren lassen.
    Es ist also nicht so, dass man nicht darüber denken kann, wofür es keine Sprache gibt (in Abwandlung von Wittgenstein). Es fällt nur ungemein schwieriger darüber nachzudenken und es macht es sogar sehr schwierig darüber zu sprechen, so etwas zu kommunizieren. Ja mann und frau können auch über Dinge sprechen, für die es ungenügende Sprachmittel gibt, denn mit Sprache kann man vieles umschreiben, auch wenn es kein Wort dafür gibt.
    Beispiel: Ohne den selbst für Erfolgsmenschen akzeptierbaren Begriff “Burn Out” spricht man über seine Depression in dem man etwa sagt: Man fühle sich einfach nicht gut, und das schon längere Zeit. Für Erfolgsmenschen ist das allerdings keine befriedigende Art zu sprechen. Diese sind mit “Burn Out” viel besser bedient.

  3. Martin Holzherr,
    ……Sprache verschiebt die Aufmerksamkeit,
    so sehe ich das auch. Vor 30 Jahren waren noch Antisemitismus, atomare Aufrüstung, Kalter Krieg hipp,
    heute sind es die Lügenpresse und die Filterblasen.
    Vielleicht ist der Wandel innerhalb der Sprache die Ursache, dass religiöse Texte gar nicht aktualisiert werden oder nur in ganz geringem Maße.
    Islamische Geistliche verlangen das Lesen des Koran in der Originalsprache, also Arabisch. Im deutschen Sprachraum wird das NT im Turnus von 4 Jahren aktualisiert durch neuere Einsichten.
    Interessanterweise nähert sich die neueste Bibelübersetzung der EKD wieder mehr dem Originalwortlaut von Luther an.

  4. Vielen Dank für die Anmerkungen. Das Verhältnis von Sprache und Denken ist in der Tat schwierig: Kann man z.B. angemessen über Gefühle wie Leidenschaft oder Eifersucht kommunizieren? Besonders gelungen umschreibt Rainer Maria Rilke in seinem Gedicht “Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort” die Kehrseite der Medaille. In der dritten Strophe steht:
    “Ich will immer warnen und wehren: Bleibt fern.
    Die Dinge singen hör ich so gern.
    Ihr rührt sie an: sie sind starr und stumm.
    Ihr bringt mir alle die Dinge um.”

    • Kann man z.B. angemessen über Gefühle wie Leidenschaft oder Eifersucht kommunizieren?

      Geht wohl.

      Die Leidenschaft, die Mitleidenschaft (“Kompatibilität” für Altsprachler), geht wohl, die ‘Eiver’-Sucht lässt sich womöglich, linguistisch und streng rational…

      …ebenfalls derart bearbeiten.


      Für viele ist’s verblüffend, abär es geht oft, also sinngemäß Altvorderen nachzuspüren.

      Abär nicht für alle.
      >:->

      MFG + schon ein schönes Wochenende schon mal,
      Dr. Webbaer

  5. Ekkehard Felder,
    Rilke ist der Meister der assoziativen Sprache. Er ruft Welten hervor, in die man eintauchen kann.
    Dieses Gedicht kennen Sie noch nicht:

    Durch alle Wesen reicht der eine Raum:
    Weltinnenraum. Die Vögel fliegen still
    durch uns hindurch. O, der ich wachsen will,
    ich seh hinaus, und in mir wächst der Baum.
    (aus Inselbuch der Bäume, von Rainer Maria Rilke)

  6. “Ihr rührt sie an: sie sind starr und stumm.
    Ihr bringt mir alle die Dinge um.”

    Rilke drückte aus, wie auch ich Sprache empfinde: man gießt die Dinge in Begriffe und sie werden zu Kristallen.
    Wie lebendig sie dagegen beschrieben werden können, zeigt Hermann Hesse in seiner “Beschreibung einer Landschaft”:
    “Dieser Ulmbaum kommt aus der Erde mit einem festen und dicken, aber von allem Beginn an nach Höhe und Schlankheit trachtenden Stamm, der nach kurzem, energischen Anlauf in ein ganzes Volk von himmelwärts drängenden Ästen wie ein sich vielfach teilender Wasserstrahl auseinanderspritzt und sprießt, schlank, heiter und lichtbegierig, bis seine freudige Aufwärtsbewegung in einer hohen schön gewölbten Krone zur Ruhe kommt. ”

    Hesse beschreibt den Baum nicht als einen Zustand, sondern als etwas Werdendes, in Bewegung befindliches.

    Eine Unterscheidung zwischen einem Denken in Begriffen und Zuständen und einem Denken in Prozessen und Wirkungsweisen, nennt Schwank* prädikatives vs. funktionales Denken.Beide Arten prägen sich in der Sprache aus. Wenn Rilke schreibt: “und dieses heißt Hund und jenes heißt Haus” , dann beklagt er eben diese prädikative Art zu denken.

    Funktionales Denken finden wir auch bei Goethe**, z. B. wenn er Linnès Nomenklatur bemängelt: “Dadurch wird alles Wandelbare stationär, das Fließende starr, und das gesetzlich Raschfortschreitende sprunghaft angesehen und das aus sich selbst hervorgestaltete Leben als etwas Zusammengesetztes betrachtet.”

    Prädikatives Denken bringt die Dinge sprachlich auf den Punkt, aber nicht alles lässt sich, wie eben die Liebe, in Sprache ausdrücken, wie Hugo Hartung seiner Piroschka ja auch die Worte in den Mund legt: Liebe soll man nicht sagen, Liebe muss man tun.

    Literatur:
    * Schwank, Inge (2003): Einführung in prädikatives vs. funktionales Denken. ZDM Vol.35 (3)
    ** Goethe. J.W. (1891) Zur Morphologie , S. 360

  7. Trice,
    …..nicht alles lässt sich mit Sprache ausdrücken, da haben Sie Recht.

    eine Literaturform kommt Realität sehr nahe, ohne sie beim Namen zu nennen, das Märchen.
    Alexander von Sternberg, ein vergessener Literat des 19. Jahrhunderts hat mit seinen “Braunen Märchen”
    die Scheinwelt des Adels blosgestellt. Ohne moralisches Korsett lässt er heiratswillige Jungfrauen agieren und zeigt deren frivol erotisches Denken auf, ohne irgend ein “anstößiges” Wort zu benützen .
    Seine Zeitgenossen haben die innenliegende Kritik verstanden und seine Märchen wurden geächtet.
    Beispiel Ritter Blaubart. In die Fee Langeweile greift er sogar kosmologische Gedanken auf.

  8. @ Martin Holzherr

    Man kann in der Sprache kann Dinge schaffen, die es nicht gibt, und man kann Strukturen in der Wirklichkeit identifizieren oder in diese hineinlegen, und mit einem Namen versehen. Weil der Mensch eben begriffliche Konzepte erfinden kann – entweder entlang der erfahrbaren Realität oder frei heraus. Das ist sogar eine Voraussetzung dafür, um überhaupt Sprache erwerben zu können.

    Wittgenstein hat den Zusammenhang zwischen Denken und Sprache vielleicht zu eng gesehen, zumindest der „frühe“ (den „späten“ kenne ich gar nicht).

    In der angelsächsischen Welt werden permanent Lifestyletrends entwickelt und definiert, welche z.B. mit der Endung –ing benannt werden. Zum Beispiel „Downshifting“ für den Ausstieg aus der Karrieretretmühle etc. Das sind teilweise tatsächlich neue Konzepte, mit neuen Bezeichnungen.

    Wittgenstein kann mit seinem bekannten Diktum „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“ natürlich auch die Leistungsfähigkeit der Sprache schlechthin im Blick gehabt haben, nicht nur die der ihm aktuell zur Verfügung stehenden. Ich weiß es nicht. Dies würde also bedeuten, dass die Grenzen der Welt abgesteckt seien durch die möglichen Grenzen der Sprache in Begriffsbildung und grammatischer Struktur.

    Doch selbst da wäre ich skeptisch.

    Und – ach ja – ich bin gespannt auf das/den Blog!

    • @ fegalo :

      Wittgenstein ist gescheitert, in jungen Jahren gescheitert, sein Diktum ‘Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt’ ist ebenfalls falsch. [1] [2]

      Die Sprache dient dem erkennenden Subjekt die Welt (“das, was waltet oder ist (oder zumindest zu sein scheint >:->)) zu kommunizieren, sie ist kein Regelmaß für das, was ist, und auch kein Regelmaß für das, was ein Erkenntnissubjekt, hmmm, erkennt.

      MFG
      Dr. Webbaer

      [1]
      Jeder Bär (oder Mensch) pflegt für sich Sichten (“Theorien”), gar Sichtenbildungen (“Theoretisierungen”), die (noch) nicht in sprachlicher Form gehalten sind.
      Jeder Bär (oder Mensch) mag dies ausprobieren, indem er sich vor einen Spiegel stellt und laut nachdenkt und nach passenden Begrifflichkeiten sucht, die noch nicht bereit stehen.

      [2]
      Wittgenstein hat’s auch so eingeräumt, ein passender Webverweise steht Dr. W gerade nicht zur Hand, es gibt hier aber audiovisuelles Material des späten Wittgenstein und dies wird Dr. W auf besonderen Wunsch hin auch beibringen, nach wiederholter Recherche.

      • PS und Bonmot :

        Wittgenstein ist gescheitert, weil er die Welt über die Sprache zu verstehen gesucht hat, nicht mit Hilfe dieser.

        Opi Dr. Webbaer hat sich längere Zeit mit diesem zugrunde und bestimmenden Werk beschäftigt :
        -> http://tractatus-online.appspot.com/Tractatus/jonathan/D.html

        Es ist extra-klug, weißt einige höchst bemerkenswerte Facetten auf und megaloman.

        MFG
        Dr. Webbaer (der als Kunstfigur ebenfalls als ‘megaloman’ angelegt ist und dies zu goutieren, abär auch zu bewerten weiß, einzuordnen)

      • @ webbaer
        Philosophiegeschichtlich scheint (der junge) Wittgenstein einer der maßgeblichen Autoren der irrtümlichen modernen Vorstellung zu sein, dass die Welt an sich ein logisch-konstruktives Gebilde ist, an dem nichts rätselhaft ist, wenn man nur die Verworrenheit der Sprache entwirrt hat.

        Zu 2. Sie brauchen sich die Mühe der Suche nach der Quelle nicht zu machen, denn ich habe derzeit wenig Neigung, mich in Wittgenstein zu vertiefen. Mein Interesse gilt momentan ganz anderen Epochen.

    • @ fegalo :

      Man kann in der Sprache kann Dinge schaffen, die es nicht gibt, und man kann Strukturen in der Wirklichkeit identifizieren oder in diese hineinlegen, und mit einem Namen versehen.

      Die Sicht, die Innensicht des erkennenden Subjekts gibt es sozusagen nicht.
      Es kann, kann Dinge schaffen, die grob etwas meinen, das näherungsweise, ausschnittsartig und an Interessen (!) gebunden Sinn macht zu erfassen.

      Z.b. Man-Sätze, Man-Kann-Kann-Sätze ebenfalls.
      ‘Identifiziert’ wird so nicht.

      MFG
      Dr. Webbaer

  9. Sprache ist ein “heißes Eisen”, es gibt für dieses zwei Fraktionen, die eine meint, dass Sprache zuvörderst in ihrer Bedeutung etymologisch zu bearbeiten ist, natürlich auch Bedeutungssprünge, idR metaphorischer Art, einschließend, dass aber doch im Kern die Altvorderen mit ihren Bemühungen Sprache zu entwickeln besonders zu beachten bleiben, die andere meint, dass Sprache zuvörderst Moden und aktuellen Bedeutungs-Umschwüngen unterworfen ist und dass insbesondere “Frau und Mann auf der Straße oder im allgemeinen Sprachverkehr” zu berücksichtigen sind, auch im Aktuellen, was die Bedeutung der Begrifflichkeit wie auch die der Sprachregeln ausmacht.

    Dr. Webbaer ist hier “Old School” und zur ersten Fraktion gehörend.

    Dies nur am Rande angemerkt, diese Unterscheidung, ob’s jetzt literalistisch und intentionalistisch ausgewertet werden soll, das (einstmals) Geschriebene oder Gesagte, ist schon wichtich, auch Gesetzestexte meinend.


    BTW, es heißt die (vs. das) Cola und der (vs. das) Blog.
    >:->
    (Nein, nur ein Späßchen, Herr Prof. Dr. Ekkehard Felder.)

    MFG + viel Erfolg,
    Dr. Webbaer (der, wie der Zufall so will, hier, auf den scilogs.de, auch mit Anatol Stefanowitsch ein wenig aneinandergeraten ist)

  10. fegalo, Dr. webbaer,
    man sollte die Bedeutung der Sprache beim Erkennen von Wirklichkeit nicht überbewerten, das scheine ich jetzt herausgehört zu haben. Wenn man an Taubstumme denkt, die auch die Gebärdensprache nicht beherrschen, die könnten ja dann gar nicht denken, tun sie aber doch.
    Man müsste auch noch unterscheiden zwischen Worten und Begriffen. Begriffe im wissenschaftlichen Sinn helfen beim Erkennen und Durchschauen von Wirklichkeit. Wenn man aber prozesshaft denkt, braucht man sie nicht.
    Sherlock Holmes wäre so ein prozesshafter Denker.
    Beim Durchschauen von Streitigkeiten sind ja Frauen bekanntlich besser als Männer. Ob die in Sprache dabei denken?

    • Natürlich sehe ich einen engen Zusammenhang zwischen Sprache, Denken und Erkennen. Angesichts der Leistungen von höheren Tieren scheint es mir allerdings ziemlich offensichtlich, dass auch die über „Begriffe“ verfügen, also über Konzepte von Gegenständen, Vorkommnissen und eigenen Handlungen. Dabei ist es zunächst egal, in welchem Grad von Bewusstheit oder Unbewusstheit diese gegeben sind. Die Sprache jedoch schafft erst die Möglichkeit, diese Begriffe aus der Unmittelbarkeit herauszuheben und [i]als[/i] Konzept vor sich hinzustellen und damit selbst zum Gegenstand zu machen. Das eröffnet den Raum der Vergangenheit, der Zukunft und des Möglichen, wie dies in unserer Grammatik auch klar und schnörkellos abgebildet ist. Dies wiederum ist die Voraussetzung für das, was wir „Handeln“ nennen im Unterschied zu bloßem Verhalten von Tieren. Es kommt die Mittel-Zweck-Beziehung ins Spiel, die anatomisch durch die menschliche Hand repräsentiert etc. Am Schluss muss man über das ganze Paradigma menschlicher Existenz im Unterschied zum Paradigma des Tiers sprechen.

      Ein Mensch, der über keinerlei oder nur sehr geringe Sprache verfügt, dürfte es nicht weit bringen. Irgendein Fürst aus der Zeit der Aufklärung soll experimentiert haben mit menschlichen Babys, die er ohne sprachlichen Kontakt hat aufziehen lassen, um die „Ursprache“ der Menschheit herauszufinden. Die Kinder seien aber gestorben. Mir fällt nur gerade nicht ein, wer das gewesen ist, aber das Ergebnis wäre nicht überraschend.

      • @fegalo

        “Irgendein Fürst aus der Zeit der Aufklärung soll experimentiert haben mit menschlichen Babys, die er ohne sprachlichen Kontakt hat aufziehen lassen, um die „Ursprache“ der Menschheit herauszufinden. Die Kinder seien aber gestorben. ”

        Das wird Kaiser Friedrich II. dem Staufer nachgesagt, er lebte von 1194 – 1250 .

      • Die Sprache jedoch schafft erst die Möglichkeit, diese Begriffe aus der Unmittelbarkeit herauszuheben und als Konzept vor sich hinzustellen und damit selbst zum Gegenstand zu machen.

        Die Sprache ist zentral, stand am Anfang (der Welt) und macht Veranstaltung.
        Vom anti-humanistischen Pathozentrismus und was es da so alles gibt, ist vor allem dies zu halten: Abstand.

  11. fegalo,
    Nachtrag: Wittgenstein war ein Extremist im Denken wie im Handeln. Der hat mir die Philosophie verleitet.
    Glauben Sie dem kein Wort!

    • Dabei kann ein einzelner Buchstabe viel Missverständnis anrichten, wenn der Kontext fehlt oder nicht eindeutig ist. Hat Wittgenstein Sie zur Philosophie verleitet, oder hat er sie Ihnen verleidet?

      Gerade die heutige Medienwelt mit den aus dem Kontext gerissenen Schlagworten und Schlagzeilen liefert sprachliche Ursachen für viele Konflikte in der Gesellschaft. Auch der religiös begründete Extremismus beruht letztlich auf der irrsinnigen Missdeutung von Begriffen und Ausdrücken in den alten Schriften, die in anderen Kulturen entstanden sind und über mehrere Kulturen hinweg übersetzt wurden.

      Eine modernisierte Fassung einer alten Metapher:
      Krieg ist Kommunikation mit anderen Mitteln.

  12. Wir unterstellen dabei völlig naiv, dass das deutsche Wort Liebe dem spanischen amor entspricht, dass wir also das kulturelle Umfeld der Wörter und ihres Gebrauchs mitübersetzen können.
    Ist das nicht sogar innerhalb des Deutschen so? Der Schwabe, als Beispiel, liebt nicht, er mag. Er liebt, wenn er katholisch ist, seinen Nächsten, und wenn er national denkt, sein Vaterland. Seinen Schatz mag er. Müssen wir den Kontext also nicht auch innerdeutsch mitübersetzen?

    • Die Liebe, vgl. mit ‘Amor’ :
      -> http://www.etymonline.com/index.php?term=amour (“Altlatein”)
      …meint die Zuneigung zu einer Person oder Sache, die nicht rational begründet werden kann.
      Dies könnte jedenfalls die übliche Definition sein.

      Ganz ähnlich gilt es für den ‘Hass’, gegensätzlich.

      Es macht kulturell Sinn nicht zu hassen bzw. diesen Hass nicht breit zu kommunizieren, er darf dann privatim bleiben, Liebe darf bis soll verlautbart werden.
      In unserer christlich-judäisch geprägten Kultur, die insbesondere auch altgriechisch grundiert ist und der Aufklärung dankt.
      Anderswo schaut’s anders aus.

      MFG
      Dr. Webbaer

  13. Sie fragen: “Müssen wir den Kontext also nicht auch innerdeutsch mitübersetzen?”
    Ja, das müssen wir. Diese Form der Variation folgt auch konventionalisierten Regeln, die Sprachwissenschaft spricht von Varietäten als einer “Sprache in der Sprache”.
    Wir erwerben Stück für Stück eine gewisse Übersetzungskompetenz zwischen den innersprachlichen Subsystemen wie Dialekten, Jugendsprachen oder Fachsprachen. Jugendliche “hassen” etwas, wo unsereins vielleicht “nicht mögen” sagen würde. Daran habe ich mich immer noch nicht gewöhnt, weil “hassen” für mich so unerbittlich und rigoros klingt. So streng ist es aber von jungen Menschen oft gar nicht gemeint. Zudem sind sehr schnell “gestresst”.

    • @ Herr Prof. Dr. Ekkehard Felder :

      Daran habe ich mich immer noch nicht gewöhnt, weil „hassen“ für mich so unerbittlich und rigoros klingt. So streng ist es aber von jungen Menschen oft gar nicht gemeint. Zudem sind [sie] sehr schnell „gestresst“.

      Korrekt.

      Wichtich bleibt die Etymologie, der Feind ist der zu Hassende, der Freund, der zu liebende, vergleiche :
      -> http://www.etymonline.com/index.php?allowed_in_frame=0&search=fiend


      Die Etymologie ist hier klar, insofern wird auch beim Konzept “Hate Speech” an sich nicht ungünstig aufgesetzt.
      Der Hass gilt als vermeidenswert Individuen betreffend, nicht aber Konzepte meinend.

      MFG + schöne Woche noch,
      Dr. Webbaer

  14. Hallo Ekkehard,

    ich bin neugierig geworden und gespannt auf Neues. Nun grüße ich erstmal von der Grauen Substanz.

    Mich interessiert das Thema. In einem Beitrag hatte ich mal über die Verwendung von “psychisch oder psychiatrisch” geschrieben, ein andermal, ob die “nichtinvasive Hirnstimulation” der richtige Ausdruck ist.

    Ganz aktuell interessiert mich die Diskussion in den USA, ob Migräne “a disease”, “a condition”, “an illness oder “a disorder” ist. Und warum wir für den Gewinner der Diskussion und viel genutzen Begriff “condition” keinen guten Ausdruck haben – oder haben wir?

  15. Bonus-Kommentar :

    Und dann viel Spaß beim Wettstreit, ob es der oder das Joghurt heißt. Sollten Sie zu dritt sein, dann können Sie auch über den Artikel von Nutella streiten.

    ‘Nutella’ ist im Deutschsprachigen als Femininum zu bilden, wegen der Endung
    “-a”, aber auch wegen dem Diminutiv, vgl. :
    -> https://de.wikipedia.org/wiki/Diminutiv

    Es liegt hier dem Augenschein zufolge eine Französisierung vor, letztlich bleibt das Altlatein berührt, vgl. mit der Suffix ‘-ulus’ :
    -> http://de.pons.com/übersetzung/latein-deutsch/uti (‘ut’ dient der Satzbildung, dem Kausalsatz, eine Konjunktion)

    Bereits zu zweit darf gestritten werden.

    MFG + schöne Woche noch,
    Dr. Webbaer

  16. Bonus-Kommentar :

    Und dann viel Spaß beim Wettstreit, ob es der oder das Joghurt heißt. Sollten Sie zu dritt sein, dann können Sie auch über den Artikel von Nutella streiten.

    ‘Nutella’ ist im Deutschsprachigen als Femininum zu bilden, wegen der Endung
    “-a”, aber auch wegen dem Diminutiv.

    Es liegt hier dem Augenschein zufolge eine Französisierung vor, letztlich bleibt das Altlatein berührt, vgl. mit der Suffix ‘-ulus’ :
    -> http://de.pons.com/übersetzung/latein-deutsch/uti (‘ut’ dient der Satzbildung, dem Kausalsatz, eine Konjunktion)

    Bereits zu zweit darf gestritten werden.

    MFG + schöne Woche noch,
    Dr. Webbaer

    PS + Test.

  17. Pingback:Sprache und Politische Korrektheit - ein komplexes Verhältnis.

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