“Inzwischen kritisieren auch immer mehr Psychiater die Leistungsgesellschaft”

Die Entwicklungspsychologin Laura Batstra erklärt ihren alternativen Umgang mit ADHS

Im ersten Teil erklärte Laura Batstra, Assoziierte Professorin für Heilpädagogik an der Universität Groningen in den Niederlanden, warum sie das gängige Verständnis der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) für falsch hält und dass man so die Kinder einseitig zum Problem macht. Im Folgenden beschreibt sie den langsam einsetzenden Gesinnungswandel und praktische Tipps für den Umgang mit lebhaften und störenden Kindern.

Frage: Sie meinten gerade, am Anfang wären Ihre Ideen auf viel Widerstand gestoßen. Hat sich das inzwischen verändert?

Batstra: Ja, seit dem genannten Bericht des Gesundheitsrats von 2014, der die Rolle der Umgebung für das Verhalten der Kinder hervorhob. Zum Teil sprechen sogar dieselben Psychiatrieprofessoren, die vorher Druck auf mich ausübten, nun über den Einfluss der Leistungsgesellschaft. Das ist mehr und mehr zum Allgemeingut geworden.

Der Bericht bewirkte einen Gesinnungswandel. Es handelt sich immerhin um ein Organ mit hohem Ansehen und die haben das gründlich erforschen lassen. Das war von großer Bedeutung.

Können Sie vielleicht die Kernaussage dieses Berichts kurz zusammenfassen?

Der Titel “Medikamente und Gesellschaft” bringt es eigentlich schon auf den Punkt. Man stellte erst einmal fest, dass sich die Verschreibungszahlen für ADHS-Medikamente innerhalb von zehn Jahren vervierfacht hatten und dass es dafür keine schlüssige Erklärung im Verhalten der Kinder gab. Demgegenüber verwies man auf die steigenden Ansprüche in der Leistungsgesellschaft und auch die abnehmende Intoleranz der Menschen untereinander.

Intoleranz im Sinne von…?

Dass wir Menschen, die anders sind und vielleicht mehr von unserer Aufmerksamkeit erfordern, weniger wertschätzen.

Diesen und viele weitere Texte zum Thema finden Sie in meinem neuen eBook: Psyche & psychische Gesundheit. Heise Verlag, 2020.

Wir haben bisher vor allem darüber gesprochen, was Sie am vorherrschenden Modell für problematisch halten. Ich würde jetzt gerne noch mit Ihnen über die konkreten Projekte und die Hilfe sprechen, die Sie für Kinder, Lehrkräfte und Eltern anbieten, so wie zum Beispiel Ihre Website “Druk en Dwars” (auf Deutsch etwa: lebhaft und störend, Anm. S. Schleim).

Wir haben verschiedene Ansätze entwickelt, setzen dabei aber vor allem auf ehrliche Aufklärung über ADHS. So versuchen wir, den einseitigen, biomedizinischen Blick etwas zu nuancieren. Wir halten quer durchs Land Vorlesungen und bieten solche Vorlesungen auch online an. Außerdem sind wir regelmäßig in Zeitungen und anderen Medien vertreten.

Ich habe außerdem einen Gruppenkurs für Eltern von lebhaften und störenden Kindern entwickelt. Daran können sie teilnehmen, ohne dass erst eine psychiatrische Diagnose gestellt werden müsste. Wir bringen ihnen dann bei, wie sie das Verhalten der Kinder in einem anderen Licht sehen und es auch etwas mäßigen können.

Haben Sie einmal ein Beispiel, wie Eltern das machen können?

Es geht oft um kleine Dinge. Erst einmal sprechen wir mit den Eltern aber über Selbstsorge. Denn man kann nur dann gut für sein Kind sorgen, wenn man selbst etwas ausgeruht ist.

Ein einfacher Trick ist, dass wir Eltern das Prinzip von “Tu-Regeln” geben. Wer lebhafte und störende Kinder hat, der ruft oft: “Halt, stopp, hör damit auf!” Das nennen wir “Stopp-Regeln”. Wenn man einem Kind aber sagt, was es nicht tun soll, dann weiß es nicht automatisch, was es tun darf. Deshalb bringen wir den Eltern bei, Kindern nicht nur etwas zu verbieten, sondern unmittelbar danach zu sagen, was die Kinder tun dürfen.

Wenn das Kind beispielsweise auf dem Sofa springt, dann könnte man sagen: “Hör damit auf, auf dem Sofa zu springen. Spring auf dem Boden. Oder geh raus zum Trampolin. Oder lauf ein paarmal die Treppe hoch und runter.” So weist man dem Kind eine Richtung und gibt ihm die Gelegenheit, sich auszutoben. Solche kleinen Unterschiede in der Kommunikation können viel dabei helfen, das Verhalten zu beeinflussen.

Ein anderer Trick ist, dem Kind nicht erst Aufmerksamkeit zu geben, wenn es etwas falsch macht. Wenn es beispielsweise liest oder spielt, dann sagen wir oft nichts. Wir reagieren erst dann, wenn es Lärm macht oder auf andere Weise stört. Deshalb erklären wir Eltern und Lehrkräften, dass es sinnvoll ist, ein lebhaftes Kind anzusprechen und zu loben, wenn es konzentriert am Arbeiten ist.

Wenn ich das so höre, dann muss ich aus psychologischer Sicht daran denken, dass das Kind sonst lernt: Wenn ich etwas falsch mache, dann bekomme ich die Aufmerksamkeit von Erwachsenen! Das konditioniert die Kinder eigentlich darauf, zu stören.

Ja, diese Aufmerksamkeit für störendes Verhalten kann tatsächlich einen verstärkenden Effekt haben. Wenn man genau hinschaut, dann passiert das aber sehr oft. Dann belohnen wir auf diese Weise unerwünschtes Verhalten, ohne es zu merken.

Das passiert übrigens auch beim Aufschieben. Stellen Sie sich vor, dass Ihr Kind am Computer spielt und Sie wollen, dass es damit aufhört. Dann sagen Sie vielleicht: “Mach den Computer aus!”, kümmern sich dann aber gleich um etwas Anderes. Eine Viertelstunde später stellen Sie überrascht fest, dass Ihr Kind immer noch spielt.

Diese Zeit erfährt das Kind als Belohnung dafür, dass es nicht sofort tut, worum es gebeten wurde. Das klingt sehr trivial – doch wenn ein Kind das immer wieder erlebt, dass es durchs Aufschieben belohnt wird, dann wird es das natürlich immer häufiger probieren. Das ist nur logisch. Ich würde das auch so machen. (lacht)

Wo Sie das Computerspielen ansprechen: Was halten Sie eigentlich davon, dass die Weltgesundheitsorganisation “Computerspielsucht” in ihr Diagnosehandbuch aufgenommen hat? (ICD-11 erschienen: Computerspielen kann als psychische Störung diagnostiziert werden)

Computerspielen kann durchaus problematisch sein. Das kann sehr aus dem Ruder laufen. Aber müssen wir das gleich wieder eine “Störung” oder “Sucht” nennen? Vielen Eltern – mich selbst eingeschlossen – macht es zu schaffen, dass ihre Kinder zu viel vorm Computer sitzen.

Diese Spiele sind heutzutage aber auch so programmiert, dass sie süchtig machen können. Denken Sie zum Beispiel daran, dass man seinen erreichten Level verlieren kann, wenn man zu lange mit dem Spielen aufhört. Dann wollen die Kinder natürlich die ganze Zeit weitermachen.

Haben Sie sich denn schon in Ihrer Forschung mit diesem Thema beschäftigt?

Das nicht. Ich finde aber, dass wir dazu etwas machen müssen. Dass wir beispielsweise Tipps für Eltern entwickeln müssen, wie sie das Computerspielverhalten ihrer Kinder am besten mäßigen können.

Das Gespräch ist gerade sehr praktisch geworden. Zum Ende hin möchte ich aber noch einmal auf einen theoretischen Punkt kommen, der mit der Geschichte von ADHS zu tun hat.

So sprach man Jahrzehnte vor den 1980er Jahren, als die Bezeichnung ADHS entstand, von “Minimal Brain Damage” (MBD; deutsch: minimaler Gehirnschaden, Anm. S. Schleim). Nachdem dies immer mehr Kritik auf sich zog, schwächte man die Bezeichnung zu “Minimal Brain Disorder” (minimale Gehirnstörung) oder “Minimal Brain Dysfunction” (minimale Gehirndysfunktion) ab. Haben Sie sich auch schon mit den Vorgängern von ADHS beschäftigt?

Durchaus. Auffällig war, dass diese Kategorien damals schon unter Einfluss der pharmazeutischen Industrie entstanden – und dass man den behaupteten “Gehirnschaden” nie finden konnte. Aus heutiger Sicht fällt zudem auf, dass man mit MBD die heutige ADHS mit der Störung PDD-NOS zusammenfasste.

Also der “nicht anders spezifizierten, allgegenwärtigen Entwicklungsstörung” aus dem amerikanischen Diagnosehandbuch DSM. Was verbirgt sich dahinter?

Das bezieht sich auf zurückgezogenes, einzelgängerisches Verhalten. Vielleicht könnte man es als eine leichte Form von Autismus bezeichnen. Diese Kategorie wurde dann aber 2013 wieder abgeschafft, weil man einräumen musste, dass sie sich wissenschaftlich nicht halten ließ.

In dem Verständnis von MBD waren also alle drei Ideen enthalten: Erstens die impulsive, hyperaktive Seite von ADHS. Zweitens das Aufmerksamkeitsdefizit. Und drittens das Einzelgängerische von PDD-NOS. Bis 2013 sah man auch häufig, dass ADHS und PDD-NOS zusammen diagnostiziert wurden. Jetzt macht man das nicht mehr, weil die Kategorie abgeschafft wurde.

Sie sprachen gerade an, dass schon in der Zeit von MBD die pharmazeutische Industrie ihre Finger im Spiel hatte. Dann wurde damals gegen den “Gehirnschaden” wahrscheinlich vor allem Amphetamin verschrieben?

Ja.

Wie kam es dann aber nach der Dämonisierung von Amphetamin in den 1970er und 1980er Jahren als schlimme Droge zu der Kehrtwende in den 1990ern? Da fing man auf einmal wieder an, Amphetamin und vor allem das etwas schwächere Mittel Methylphenidat (der Wirkstoff in Ritalin, Anm. S. Schleim) an Kinder zu verschreiben. Und trotz damaliger Warnungen durch die Weltgesundheitsorganisation explodierten diese Medikamentenverschreibungen dann in den 2000ern erst richtig!

Ich erwähnte vorher schon einmal Studien aus den 1990ern und vor allem dem Jahr 1999, die Methylphenidat als die beste Behandlung für ADHS erscheinen ließen. Diese Ergebnisse wurden in der Wissenschaft und in den Medien unglaublich stark verbreitet. Das hat damals meiner Meinung nach einen enormen Einfluss gehabt.

Wir haben übrigens diese einflussreiche Publikation mit Folgestudien verglichen, die bescheidenere Effekte für die Medikamente fanden. Diese bekamen viel weniger Aufmerksamkeit und wurden auch von Wissenschaftlern viel seltener zitiert. Die Korrektur der anfänglichen euphorischen Funde erreichte die Menschen also kaum noch.

Aber jetzt kommt mir ein Rätsel in den Sinn: Es gab also diese vielversprechenden Studien zu den Medikamenten in den 1990ern. Um die Mittel in diesem Ausmaß verschreiben zu können, muss aber ADHS auch sehr viel häufiger diagnostiziert werden. Wie lässt sich dann die Zunahme der Diagnosen erklären? Hat das Ihrer Meinung nach mit der Leistungsgesellschaft zu tun?

Hier wird es jetzt etwas spekulativer. Wer legte die Kriterien für ADHS fest? Das waren einige einflussreiche Psychiater, die einerseits merkten, mit welchen Problemen die Patienten zu ihnen kamen. Andererseits hatten viele dieser Psychiater enge Kontakte zur Pharmaindustrie. Das ist gut belegt. Und die Pharmaindustrie saß nun auf diesen Medikamenten, für die es damals keine medizinische Indikation gab, die aber Effekte auf Konzentration und Ruhelosigkeit hatten, also Eigenschaften, die für ADHS von Bedeutung sind.

Dazu kommt, dass die Bedeutung von Schulen und Noten seit den 1960ern immer mehr zugenommen hat. Nun sind Schulen die Umgebungen, in denen Konzentrationsmangel und Ruhelosigkeit am ehesten zum Problem werden. Ich glaube, dass diese Prozesse hier zusammenspielen.

Was sind nun die nächsten Schritte Ihrer Forschung? Sie haben erwähnt, dass Sie am Anfang auf sehr viel Widerstand gestoßen sind, seit 2014 aber allmählich ein Umdenken stattfindet. Steht uns hier ein Paradigmenwechsel bevor?

Es ist schon so, dass heute mehr Psychiater die Umgebung in den Fokus nehmen und beispielsweise die Leistungsgesellschaft kritisieren. Nach wie vor steckt aber viel biomedizinisches Denken in den Köpfen und werden immer noch sehr viele Medikamente verschrieben. Der Höhepunkt lag hier in den Niederlanden bei 4,5% der Kinder und Jugendlichen, die ADHS-Medikamente verschrieben bekamen. Das hat jetzt leicht abgenommen und wir befinden uns bei ca. 4,3%. Das sind noch keine unterschiedlichen Welten.

Wir richten uns jetzt konkret vor allem auf die Schulen. Dort ist das Denken, bei ADHS handle es sich um eine Gehirnstörung, immer noch sehr weit verbreitet. Wissen Sie übrigens, was das mit den Lehrkräften macht? Die denken dann, wenn das etwas im Gehirn ist, dann seien sie überhaupt nicht dafür qualifiziert, damit umzugehen.

Da wir unsere Aufklärung über ADHS aber direkt mit praktischen Tipps und Lösungen kombinieren, helfen wir Eltern und Lehrkräften dabei, selbst etwas zu unternehmen: Es handelt sich um ein Verhaltensproblem in einem bestimmten Kontext. Und deshalb muss man die Kontextfaktoren miteinbeziehen, um das Verhalten in den Begriff zu bekommen. Wir gehen davon aus, dass dieses Wissen die Menschen dazu in die Lage versetzt, etwas zu tun – im Englischen gibt es hierfür dieses Wort “Empowerment” –, statt nur zu denken, das sei ein Problem für den Arzt.

Bei der Recherche ist mir noch aufgefallen, dass Sie mit einem Ihrer Projekte Feste für Kinder unterstützen, die sonst nie eingeladen werden. Das lässt mich auch an “Empowerment” denken. Was hat es damit auf sich?

Es gibt tatsächlich Kinder, die nie eine Einladung bekommen. Oft geht das von anderen Eltern aus, die denken: “Wenn ich diesen Störer einlade, dann habe ich schon mit diesem einen Kind alle Hände voll.” Oder die Kinder sind irgendwie anders, verhalten sich anders, sehen komisch aus, haben vielleicht eine körperliche Behinderung oder einen Migrationshintergrund. Für die ist die Erfahrung übrigens schrecklich. Es gibt für Kinder kaum etwas Schlimmeres, als nicht zur Gruppe dazuzugehören.

Bei unserem Projekt “Klassenfest” kam uns der Gedanke, dass soziale Ausgrenzung eigentlich von uns allen ausgeht. Deshalb kann auch jeder etwas dagegen tun. Beim Klassenfest werden alle aus der Klasse eingeladen und so macht man deutlich, dass wirklich jedes Kind dazugehört.

Heißt das, dass Sie solche Klassenfeste schon selbst organisiert haben? Oder vom wem geht die Initiative aus?

Am Anfang haben wir das tatsächlich gemacht. Inzwischen stellen wir aber ein Handbuch mit praktischen Tipps zum kostenlosen Download bereit. Darin haben wir eine Reihe von Spielen zusammengestellt, die sich für so ein Klassenfest eignen. Oder geben auch Tipps dafür, wie man es bezahlbar halten kann. Beispielsweise könnte man den Geburtstag von drei Kindern zusammen feiern und dann hat man auch gleich mehrere Eltern, die sich um so ein Fest kümmern.

Das hört sich ja nach einem Traumberuf an, wenn sie sogar Kinderfeste organisieren können.

(lacht) Ja, Schokolade-Wettessen für die Wissenschaft. Das ist wirklich großartig!

Hinweis: Dieser Beitrag erscheint auch auf Telepolis – Magazin für Netzkultur. Titelgrafik: Alexas_Fotos auf Pixabay. Hinweis zum Interessenkonflikt: Laura Batstra und Stephan Schleim arbeiten zwar an derselben Universität, doch an unterschiedlichen Instituten. Es bestand oder besteht keine Zusammenarbeit.

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34 Kommentare

  1. Dass wir Menschen, die anders sind und vielleicht mehr von unserer Aufmerksamkeit erfordern, weniger wertschätzen.

    Eine steile Aussage. Gibt es dafür empirische Belege?

  2. @Tim: Ausgrenzung

    LOL, googelen Sie doch einmal etwas zur Stigmatisierung und/oder Ausgrenzung sozial benachteiligter Gruppen, lernschwacher Kinder, von Menschen mit Behinderungen, Krankheiten und/oder psychischen Störungen.

  3. Sehr merkwürdig für mich, dass inzwischen auch Psychiater diese Leistungsgesellschaft kritisieren. Merkwürdig, weil diese Menschen -im Gegensatz zu mir- in dieser Gesellschaft aufgewachsen sind, die “Spielregeln” also kennen müssten: Wer keine Leistung bringt, fliegt bzw. macht pleite. Psychisch Anfällige sind eh stigmatisiert . Auf welcher Wolke haben diese Psychiater denn gelebt dass sie den Charakter dieser Gesellschaft erst jetzt begreifen ?

  4. @ Querdenker 02.07.2020, 12:22 Uhr

    Die Psychologen/Psychiater haben einfach die Realität gesehen, wie fast alle Menschen. Die Menschen können es einfach nicht ertragen wenn sie zuschauen müssen, wie ein anderer Mensch auf ihre Kosten, womöglich auch noch gut lebt.

    Im Kommunismus fürchtete fast jeder, er könnte zu viel arbeiten für seinen Lohn und im Kapitalismus, er könnte zu wenig verdienen für seine Arbeitsleistung. In vielen Betrieben ist es dem Personal untersagt, anderen mitzuteilen was man verdient.

    Wenn einer so richtig provozieren will, so tritt er im Fernsehen als Punk auf und zeigt allen, dass er sich viel Sozialhilfe erschleicht, nichts dafür arbeitet und alle für blöd hält die arbeiten gehen.

    Erst seit einiger Zeit wird klar, dass Maschinen extrem viel Arbeit verrichten und die Arbeitskraft vieler Menschen nicht mehr wirklich benötigt wird, jedenfalls nicht mehr zum puren überleben.

    Sieht man auch in der Coronakrise, mit Nudeln, Sugo und genug Klopapier kann man gut und billig leben. Nur die Menschen die plötzlich und unerwartet keinen Job mehr haben, sind verzweifelt. Es sollen sich sogar Politiker die keine Problemlösungen sahen, selbst umgebracht haben.

    Corona zwingt uns, noch viel mehr als der Klimawandel zum Umdenken. Eigentlich scheinen die chinesischen Kommunisten im Vorteil. Sie haben es geschafft und haben eine höchst produktive Wirtschaft und andererseits bei der Verteilung der Güter, waren Kommunisten schon immer der Realität voraus.

    Sozial korrektes Verhalten war ihnen auch immer schon wichtig. Womöglich bleibt ihnen wegen der Absatzprobleme (Konjunktur) nichts anderes übrig, als die Menschen die Geld und Ersparnisse haben, am besten gleich bei der Zusendung der Kontoauszüge aufzufordern, in Firmen mit vielen arbeitslosen Genossen schleunigst etwas einzukaufen damit die ihre produzierten Güter loswerden und die Genossen wieder weiterarbeiten können….

    Bei uns fällt man über tüchtige Unternehmer (Tönnies) her, die es gemeinsam mit den Bauern, Diskontern und fleißigen Arbeitern geschafft haben, dass sich, ganz anders als früher in meiner Jugend, auch die ärmeren Schichten fast täglich Fleisch leisten können. Viele gönnen es den Ärmeren nicht.

    Aber auch das Los der Tiere, die so und so praktisch immer in einer Fresskette („gefressen und gefressen werden“) umkommen, ist auch eher besser geworden als früher.

    Weil diese Arbeiter wegen der Sprachprobleme lieber unter sich bleiben, ist auch die Pandemie besser eingrenzbar. Deutsche, in diesen Firmen arbeitende Familienväter, hätten das Virus viel stärker in der Gesellschaft verbreitet.

    Diese fleißigen ausländischen Mitarbeiter können sich übrigens in ihre Heimat ein kleines Vermögen schaffen, wenn sie ihre Häuschen mit günstigem Baumaterial aus (deutschen) Baumärkten zu „Schmuckkästchen“ ausbauen.

    Es kommt halt, wie immer im Leben darauf an, dass diese Mitarbeiter geschickt, flexibel und belastbar sind um bei uns zurecht zu kommen. Sie kommen zu uns um etwas (in ihrer Heimat) zu „erreichen“, viele schaffen es.

    Ehemalige Bauarbeiter, „Fremdarbeiter“ haben sich in ihrer jugoslawischen Heimat schönere Häuser gebaut, als sie bei uns Unternehmer haben.

    Vermutlich gibt es in jeder Gesellschaft ausgegrenzte Menschen.

    Ich finde, dass alle Prozesse, auch die gesellschaftlichen Prozesse, von Fachleuten, so wie in der Technik von Ingenieuren, bestens geregelt werden sollten.

  5. @ Elektroniker

    Eigentlich scheinen die chinesischen Kommunisten im Vorteil. Sie haben es geschafft und haben eine höchst produktive Wirtschaft und andererseits bei der Verteilung der Güter, waren Kommunisten schon immer der Realität voraus.

    Es gibt in China keine Kommunisten bzw. höchstens dem Namen nach. Die VR China ist eher leninistisch organisiert, d.h. es gibt eine Partei, die sich einen Staat hält.

  6. @ Schleim

    Ich habe außerdem einen Gruppenkurs für Eltern von lebhaften und störenden Kindern entwickelt. Daran können sie teilnehmen, ohne dass erst eine psychiatrische Diagnose gestellt werden müsste. Wir bringen ihnen dann bei, wie sie das Verhalten der Kinder in einem anderen Licht sehen und es auch etwas mäßigen können.

    Ich befürchte, die Professorin spricht von anderen Kindern, nicht von ADHS Kindern. Die Schwere, die Dauer und die Bedingungen, unter denen die Probleme auftreten, spielen eine große Rolle, nicht “lebhafte” Kinder. Das dürfen sie schon sein. Gruppenkurse für Eltern (und Kinder) sind ja nun nicht Neues in der verhaltenstherapeutischen Praxis.
    Hier findet man die gut verständlichen Infos der K-J-Psychiatrie des Uniklinikums Köln (Prof. Manfred Döpfner, Leitender Psychologe)
    Dass immer mehr Psychiater die Leistungsgesellschaft kritisieren, spricht für Einsicht derselben. Ist doch gut. Leider praktisch nicht zu ändern, aber man kann theoretisieren. Genauso ist der Leistungsdruck in den Schulen zu kritisieren, das meist stumpfsinnige Lernen und Reproduzieren von immer mehr Lerninhalten. Aber das ist ein eigenes Thema.
    Aus dem ersten Teil des des Interviews:

    Die vermutete Neurotransmitterstörung möge man dann aber bitte im Einzelfall für die Diagnose im Patienten nachweisen; und man möge dabei nicht vergessen, dass auch hier ein normativer Störungsbegriff angewendet wird.

    Beim Parkinson-Patienten (“Gehirnstörung”!) wird auch nicht das Dopamindefizit in einer PET nachgewiesen, sondern aufgrund der Symptome und des Leidensdrucks therapiert! Wenn der Störungsbegriff stört, kann man praktisch einen nicht “normativen” Begriff suchen, der nicht stört.
    Noch einmal: Kinder mit ADHS-Symptomen sind ebenso wie sozial verhaltensauffällige Kinder oder lernschwache Kinder keine “Problemkinder”, wenn die Lehrer, die Eltern und sie selbst altersentsprechend gut aufgeklärt werden und die therapeutischen bzw. Hilfs-Möglichkeiten aufgezeigt werden.

  7. @Mende: Schweregrad

    Es kann schon sein bzw. ist sogar anzunehmen, dass man in der Psychiatrie im Allgemeinen schwerere “Fälle” sieht als bei der pädagogischen bzw. psychologischen Therapie. Laura Batstra hat sich aber viele Jahre lang und so intensiv mit ADHS beschäftigt, dass ich ihr schon abnehme, dass sie weiß, worüber sie spricht. (Im Übrigen ist sie, meines Wissens, auch Mutter von immerhin sechs Kindern.)

    Und ob Parkinson so ein guter Vergleich ist… Die Diagnose da kann natürlich auch eher diffus sein bzw. vor allem auf dem Ausschluss anderer Diagnosen beruhen. Aber letztlich sind die Krankheitssymptome (so wie der Tremor) meiner Meinung nach sehr viel körperlicher und konkreter und gibt es zudem konkretere Hypothesen zum Krankheitsmechanismus (nämlich Zellsterben in der substantia nigra).

    Bei ADHS gibt es keinen so konkreten neurologischen Befund. Im Gegenteil muss man die große ENIGMA-MRT-Studie in Lancet Psychiatry (2017) dahingehend interpretieren, dass es zwischen grob 90% der Menschen mit oder ohne ADHS-Diagnose keinen strukturellen Unterschied im Gehirn gibt. Dass Lancet Psychiatry und die Medien daraus etwas ganz Anderes gemacht haben, verdeutlicht die Macht des (noch) herrschenden Paradigmas.

  8. @Mende: P.S. Gesellschaftliche Institutionen und Anpassung

    Und ich musste noch einmal an das Interview mit Paul Verhaeghe denken: Die ursprünglichen Institutionen zur Normalisierung der Gesellschaft waren Kirche und Polizei. Dazu kam als Dritte die Psychiatrie dazu.

    Das erinnert an die ursprünglichen drei Fakultäten der Universität: Theologie, Rechtswissenschaft und Medizin.

    Es ist doch nicht überraschend, dass in einer Kultur Strukturen/Institutionen zur Aufrechterhaltung dieser Kultur entstehen: Eine Kultur reproduziert sich selbst. Im Laufe von Jahrzehnten kommt es aber zu Veränderungen (heute: Optimierungs- und Leistungskultur im Zuge des globalen Konkurrenzkampfs und des Effizienzdenkens auf allen Ebenen.)

    In diesem Sinne sind auch Ärzte und insbesondere Psychiater mit der Aufrechterhaltung der Normalität befasst. Das ist einer ihrer institutionalisierten Aufgaben. In diagnostischen Handbüchern wie dem DSM ist wortwörtlich definiert, was auf Ebene des Fühlens, Denkens und Verhaltens Abweichungen von der Norm sind, die psychiatrisch behandelt werden können. Dafür bezahlen sogar die Krankenkassen (also wiederum gesellschaftliche Institutionen).

    Ich kritisiere das nicht generell – weise aber daraufhin, dass man nicht nur das Individuum an die Umgebung, sondern auch die Umgebung an das Individuum (oder besser: die Individuen) anpassen kann. Das ist doch gerade eine der Fähigkeiten von uns Menschen: dass wir unsere Umgebung derart anpassen können, dass wir so gut wie überall auf der Erde (und bald vielleicht sogar auf Mond und Mars) leben können.

    Daher finde ich es nicht nachvollziehbar, dass die Medizin bzw. Psychiatrie (aber auch klinische Psychologie) vorwiegend auf die Anpassung des Individuums an seine Umgebung hinausläuft; wir bräuchten sehr viel mehr Sozialmedizin. In einem sozialen und demokratischen Rechtsstaat sollte das viel häufiger bedacht (und gemacht!) werden. Dass man sich umgekehrt aber nur an die Veränderungen der Umwelt anpassen könne, passt hervorragend zum neoliberalistischen Paradigma und Denken der “Alternativlosigkeit”, das freilich seit vielen Jahren den politischen Diskurs beherrscht (und schließlich, wen überrascht es, eine “Alternative für Deutschland” auf den Plan gerufen hat).

  9. @ Schleim, Sozialmedizin
    Medizinische Aktivitäten wollen Leiden (durch Krankheiten oder Erkrankungen) eines Individuums vorbeugen, erkennen und behandeln. Wollen sie wirklich “Individuen anpassen an deren Umgebung” ?
    Umwelt- und Sozialhygiene gehören sicherlich zum Thema Prävention.
    Eine sog. “Reizüberflutung”, die allgemeine “Beschleunigung”, die zunehmenden “Bindungsstörungen” von Kindern in Familien als Cofaktoren für das Entstehen einer ADHS-Problematik ist nicht die “Umgebung”, an die ich ein Kind durch Therapie anpassen möchte.
    “Das neoliberalistische Paradigma” pflegen oder anderen politischen Ideologien anzuhängen, passen sicher nicht zum ärztlichen Berufsverständnis, auch nicht der Kinder- und Jugendpsychiater.
    Die von Ihnen gescholtenen Psychiatrie ist Teilgebiet der Medizin. Diagnose-Manuals wie das DSM werden immer wieder heftig diskutiert und überarbeitet. Sie sind Hilfsmittel. Die kulturgeschichtlich interessante “Normalisierung der Gesellschaft” und “Selbstreproduktion” der Kultur der Macht (?) ist ein interessantes Thema, mit dem sich auch Michel Foucault philosophisch beschäftigte.
    Aber mit Philosophie kann ich keinem ADHS-Kind und dessen Familie praktisch helfen.

  10. @Mende: Anpassung

    Es ist aber doch eine Frage des Standpunkts, was man als “Leiden behandeln” ansieht und wie man dann vorgeht. Ganz ohne Anpassung geht das meiner Meinung nach nicht. Nur wo setzt man den Schwerpunkt?

    Schön, dass Ihnen Foucaults Philosophie bekannt ist. Mich wundert bis heute, dass in meinem Philosophiestudium nicht einmal sein Name genannt wurde.

    Aber mit Philosophie kann ich keinem ADHS-Kind und dessen Familie praktisch helfen.

    Eine interessante These mit einem wahren Kern…

    …aber zu meiner Verteidigung würde ich sagen, dass man aus philosophischer Sicht das “System: Störung” vollständiger wahrnehmen kann, dass man zum Beispiel auch die Eltern, die Lehrer und Ärzte als Teil des Systems ansieht und damit schließlich mehr Behandlungsmöglichkeiten gewinnt.

    Dafür ist Laura Batstras Ansatz doch ein gutes Beispiel.

  11. @Mende Spezialisierung

    Wenn jetzt Mediziner feststellen, das z.B. bestimmte Insektizide doch auch für Menschen giftig sind, weil sie sich immer mehr in der Umwelt anreichern, wird doch auch von Seiten der Behörden interveniert, und das Zeugs wenn möglich verboten.

    Wenn jetzt Psychiater feststellen, dass für die meisten psychisch Kranken die Beschäftigungssituation sehr ungünstig aussieht, und das erheblich zur Chronifizierung vieler Erkrankungen beiträgt, da wünsche ich mir eigentlich auch, das hier mal reagiert wird. Aber offenbar fehlen hier ganze Kommunikationskanäle, und das so sehr, dass viele Psychiater hier hilflos zusehen, und das sogar ignorieren, weil sie meinen, das sie dafür eh nicht zuständig sind.

    Wir haben hier ein Übermaß an Spezialisierung, meine ich. Hier sollte der eine Experte durchaus mal weniger Respekt vor dem anderen Experten haben, und die Mediziner sich durchaus auch mal mit den Mitarbeitern der Arbeitsämter auseinander setzen, bzw. mit denen, die hier in den Ämtern die Vorgaben machen. Und Wege suchen, wie wir mehr Beschäftigung für psychisch Kranke und andere Leistungsgeminderte hinbekommen, auch wenn die eben nur weniger können und langsamer sind.

    Mag sein, dass sich ein Mediziner gerne nur um medizinische Fragen kümmert, und viele Patienten auch genau das nachfragen. Aber man kann doch den ganzen Menschen in seinem ganzen sozialen Umfeld betrachten, und hier hilfreich sein, das ganze Leben des Patienten zu fördern. Also auch zu gucken, wie ein psychisch Kranker wieder gute Beschäftigung und ein gutes Miteinander hinbekommen kann.

    Nur die richtigen Medikamente reichen eben meistens nicht aus. Ohne ein vernünftiges Leben geht es nicht. Die Nebenwirkungen der Leistungsgesellschaft finden sich offenbar schon in der Grundschule, wo Menschen erst gar keinen Einstieg mehr finden. Und auch wer seinen Einstieg geschafft hat, aber mit psychischen Problemen einmal aussteigen musste, der muss dann meistens draußen bleiben. Inklusion ist zwar Gesetz geworden, aber gibt es sie schon?

  12. @Tobias Jeckenburger (Zitat):

    Die Nebenwirkungen der Leistungsgesellschaft finden sich offenbar schon in der Grundschule, wo Menschen erst gar keinen Einstieg mehr finden. Und auch wer seinen Einstieg geschafft hat, aber mit psychischen Problemen einmal aussteigen musste, der muss dann meistens draußen bleiben. Inklusion ist zwar Gesetz geworden, aber gibt es sie schon?

    In meinen Augen wird gerade in der Schule die Leistungsgesellschaft durch die Eltern geschaffen. Heute ist Lehrer/Lehrerin sein vor allem wegen den Eltern ein Stressberuf geworden, denn anders als vor 30 Jahren wollen Eltern heute über Druck auf die LehrerInnen durchsetzen, dass ihr Kind besser behandelt wird.

    Tatsächlich ist heute Integration in der Schule vorgesehen, sie scheitert aber häufig an den Eltern der nicht betroffenen Kinder (die sich beklagen) und an den LehrerInnen, die überfordert sind. Dazu lese man etwa Schülerinnen und Schüler mit Verhaltensstörungen erfolgreich in die Schule integrieren
    Dort findet man folgende Sätze:

    Belastungen können durch störendes Verhalten im Unterricht, durch Nichtbeachten von Regeln, durch unberechenbares Verhalten oder auch durch Konflikte mit andern Mitschülerinnen und Mitschülern entstehen. Bei Eltern nichtbetroffener Schülerinnen und Schüler sind häufig Ängste vorhanden, dass der Unterricht so gestört wird, dass eine adäquate Förderung ihrer Kinder und Jugendlichen gefährdet ist.

    Ich kenne selbst ein paar Lehrerinnen in der weiteren Familie. Und die sagen übereinstimmend, dass heute von allen Seiten her (Schulbehörde, Eltern, Kinder) Druck auf sie ausgeübt wird.
    Die Leistungsgesellschaft beginnt tatsächlich in der Schule und die Eltern erzeugen diesen Leistungsdruck durch ihre Vorstellungen die Zukunft ihres Kindes betreffend.

  13. @ Martin Holzherr

    Genau! Die eigentlich gut gemeinte Inklusion führte bisher dazu, Förderschulen einzusparen und die Last einer Förderung vor allem den Grundschullehrerinnen zuzuteilen, soweit ich als konsiliarischer Schularzt dies in einem kleinstädtischen Landkreis beobachten konnte. Weil den Lehrerinnen zu wenige Sonderpädagogen, Sozialpädagogen, Psychologen zur Seite stehen. An deren Planstellen wird gespart.
    Dadurch wird der Druck auf die Lehrerinnen und die besonderen Schüler immer größer, während zusätzlich Eltern der nicht besonders zu fördernden Schüler immer mehr Druck auf die Lehrerinnen ausüben, weil das Niveau sinkt.
    Meiner Beobachtung nach haben Kinder eine beachtliche Leistungsbereitschaft, wenn sie aus einer “intakten” Familie kommen und die entsprechenden Anregungen in ihrer Schule erhalten, so dass Lernen Spaß macht.

  14. @Martin Holzherr Leistungsdruck

    „In meinen Augen wird gerade in der Schule die Leistungsgesellschaft durch die Eltern geschaffen.“

    Dass die Eltern hier Druck machen, hängt selbst wiederum mit dem sozialen Klima zusammen, schätze ich mal. Wenn die sich vorstellen, dass ihre Kinder im Niedriglohnsektor landen, wenn sie nicht gut genug sind, dann haben die Kinder ja tatsächlich nicht so ein schönes Berufsleben vor sich. Aber klar, viele Eltern scheinen auch einen Druck zu machen, der jetzt wirklich überflüssig ist. Das kenne ich aus meiner Schulzeit auch noch, aber dass scheint wohl ziemlich zugenommen zu haben.

    Dass hier die verordnete Inklusion noch sehr schlecht funktioniert, habe ich hier in Dortmund auch schon mitbekommen. Wenn da zu wenig Sonderpersonal zur Verfügung steht, und der ganze Unterricht behindert wird, dann hat da wohl keiner was davon.

    Aber ein Problem gab es zu meine Schulzeiten auch schon: wenn nur ein Frontalunterricht für alle angeboten wird, werden sich immer die stärkeren Schüler langweilen und damit Zeit vertrödeln, während die Schwächeren auch ihre Zeit verschwenden, weil sie nicht richtig hinterherkommen. Wenn jetzt in den Grundschulen auch noch die früheren Förderschüler dazu kommen, vergrößert sich entsprechend diese Zeitverschwendung, und gleichzeitig sinkt das Lernniveau.

    Hier könnte man doch schon in der Grundschule mehr Wahlfreiheit der Fächer und auch schon verschiedene Leistungsstufen in den einzelnen Fächern anbieten, so wie zu meiner Zeit in der Oberstufe mit Grundkursen und Leistungskursen. Das würde das Ausmaß an Zeitverschwendung durch Unterforderung der einen und Überforderung der anderen deutlich reduzieren können. Auch mehr Gruppenarbeit, Computerrecherche oder z.B. die Telekolleg-Unterrichtsvideos kann man zeitweise auch ohne Lehrer anbieten, dass jeder soviel lernt wie er selber schafft.

    Dann hätten die Lehrer auch mehr Zeit, auf die persönlichen Probleme der einzelnen Schüler einzugehen. Und die Schüler könnten sehr viel mehr ihren Schwerpunkt darauf legen, was sie selber aktuell wirklich interessiert.

    Wenn man jetzt noch die Noten nicht am Klassendurchschnitt orientiert, sondern wenn überhaupt, dann nur externe Prüfung nach landesweiten Standards macht, dann könnte sich die Schüler auch noch in Zusammenarbeit üben. So wie es jetzt läuft, lernt man vor allem, dass man besser als die eigenen Schulkameraden sein muss, um dann in der Konkurrenz besser abzuschneiden.

    Nebenbei wäre so auch überhaupt mehr Interesse an den Inhalten möglich, wenn hier nicht ständig auf die Noten geguckt wird, und wie man da noch und noch mal optimieren kann. Wenn die Lehrer die Noten gar nicht mehr selber vergeben, dann hätten auch notengierige Eltern weniger Ansatzpunkte, die Lehrer wiederum unter Druck zu setzen.

    Insgesamt denke ich, dass wir uns nicht damit abfinden müssen, dass hier schon in der Grundschule soviel Leistungsdruck gemacht wird, und entsprechend schon Kinder psychische Probleme damit bekommen.

  15. Elektroniker
    “Im Kommunismus fürchtete jeder er könne zu viel arbeiten…”
    Diesen Kommunismus nach K. Marx hat es nie gegeben, weder in der Sowjetunion noch in der DDR. Der Denkfehler war, dass Menschen ein kollektives Bewusstsein der “Proletarier aller Länder vereinigt euch” entwickeln. Diese Einheit der Ausgebeuteten scheiterte an dem puren menschlichen Egoismus. Dieser sieht nur seine eigenen Vorteile, seine eigene Gier und benutzt solche Ideologien wie den Marxismus bzw. die Religionen nur zur eigenen Bedürfnisbefriedigung bzw. Machtgestaltung . Da ist die Leistungsgesellschaft wahrscheinlich das einzige Instrument, um menschliche Bedürfnisse, die man ja steuern kann, gerecht zu werden. Der Mensch definiert sich mehr über materielle Werte und Besitzstreben, weniger über ideologische Werte wie den Marxismus. Wenn also-wie in der DDR- diese Großbetriebe im Prinzip “allen Mitarbeitern” gehörten, so
    war diese Gleichmacherei wenig produktiv(schlampig) , da das Geld kam ob man faul oder weniger fleißig war. Arbeitslos konnte man nicht werden und Leistung sollten dann bitte die anderen bringen. Menschen werden also nicht über ein ideologisches Bewusstsein gesteuert sondern über die eigene Brieftasche bzw. der Sucht nach der nie endenden Befriedigung. (Letzteres haben die chinesischen “Kommunisten” erkannt und dieser menschlichen Gier den leninistischen Überbau gegeben(Partei neuen Typus). Der Kommunismus ist-wie der religiöse Glaube- eine Theorie, ein nicht reales Wunschbild .

  16. Ich meine, der wirtschaftliche Erfolg und die Stärke unserer Gesellschaft beruhen auf die „Spezialisierung“ auf allen Ebenen. Nur Spezialisten können sich mit den kleinsten Details von Problemen beschäftigen und leisten auch im Zusammenwirken sehr viel.

    Das ist so bei den Gerüstbauern, Altenpflegern, Säuglingsschwestern, aber auch in Programmierteams wenn Hunderte Programmierer für größere Projekte koordiniert werden müssen. Wegen der starken (technischen) Vernetzung unserer Gesellschaft, können sich auch die Spezialisten besser gegenseitig austauschen und ihre Arbeit bestens weiterbringen.

    Ausgerechnet jetzt fördert man „Inklusion“, die für keinen der Betroffenen wirkliche Vorteile bringt, außer für rechthaberische „Krakeeler“ die recht bekommen.

    Das wichtigste dürfte sein, dass spezialisierte Psychologen/Lehrer die Betroffenen bestens und absolut individuell fördern. Das kann man nicht erwarten, wenn irgend ein Lehrer/Psychologe zufällig auf irgendwelche Schüler/Patienten trifft und helfen soll. Die Ansprüche sind höchst individuell und sollten von Spezialisten ihres Fachgebietes individuell behandelt werden.

    Es ist nicht erforderlich und sinnvoll, dass z.B. 90% nicht betroffene Schüler sinnlos dabei sein müssen, ihre Zeit und Ressourcen verschwenden, wenn ein einzelner immer wieder weitaus mehr Aufwand als üblich braucht.

    Für mein Fachgebiet Elektronik, war die optimale „elektrische Anpassung“ zwischen „Stromquelle“ und „Verbraucher“ extrem wichtig, weil sonst Ressourcen sinnlos vergeudet werden. Wenn „Lehrerwissen“ den Schülern „eingetrichtert“ wird, das Wissen vom Lehrer zu den Schülern „strömt“, verhält es sich auch so. Menschliche Ressourcen sind besonders wertvoll und wichtig, sie sollten auf keinem Fall unnütz verschwendet werden. Werden diese Ressourcen optimal eingesetzt, so hilft das allen.

    Es gibt auch noch das Problem, dass die psychische Belastbarkeit unter Menschen recht unterschiedlich ist. Manche Menschen, besonders Unternehmertypen, sind psychisch und auch gesundheitlich sehr „robust“, heute sagt man „resilient“ und halten ungewöhnlich vielfältige Belastungen aus. Manche waren irgendwie motiviert, haben das extra selbst mit unglaublichem Willen trainiert, problematischer war es, wenn die Eltern dahinter waren. Mir scheint, wichtig ist, dass man von kompetenten Leuten die besten der Situation angepasste Tipps bekommt und die womöglich früher die gleichen Probleme bewältigen mussten.

    Uns hat ehemals beim Wehrdienst ein sehr kluger Offizier damit motiviert, dass wir uns wenigstens eine gewisse Zeit im Leben möglichst sportlich betätigen sollten, was auch der Gesundheit gut tut.

    Vielleicht hilft es, auch die Leistungsgesellschaft „sportlich“ zu sehen.

    Ich meine, es gibt heutzutage trotzdem viel Verständnis und Mitgefühl für diejenigen die sich „schwerer“ tun, eher mehr als früher.

  17. @ Querdenker 05.07.2020, 12:07 Uhr

    Ich vermute, früher wollten alle Religionen/Ideologien die Menschen über ein „kollektives Bewusstsein“, sei es christlich oder kommunistisch, steuern. Eine verfeinerte Steuerung nur übers Geld/Gold als Bewertungssystem allein war unrealistisch, auch weil die Geld – Goldzufuhr in das System ein großes Problem war.

    Heutzutage mit den Computern und Bankomaten scheint das eher realistisch, auch weil ein großer Teil der erforderlichen Produktivität nicht mehr von Menschen sondern von Maschinen generiert wird.

    Das „Besitzstreben“ wird aber auch bei uns zum Problem. Die Menschen sind sozusagen zu „geizig“, bei ihrem Konsum den Geschäftspartner die Anhäufung von Vermögen zu gönnen. Die Vermögen landen immer mehr bei immer weniger Menschen, bei Menschen (Institutionen) die gut Vermögen verwerten können.

    Damit geht ein wesentlicher Motivationsfaktor verloren, der unbedingt durch neue Technologien (KI) kompensiert werden muss.

    Die Chinesen haben ihre Wirtschaft recht gut gesteuert und es hilft ihnen sehr, dass sie nicht die in Demokratien sich ausbreitende Seuche der „politischen Destruktion“ im Land haben, wie z.B. in Amerika.

    Allerdings, Konjunkturprobleme haben sie neuerdings auch. Normalerweise sollte diese ein planwirtschaftliches System besser bewältigen können als ein kapitalistisches System. Ich bin extrem neugierig ob sie das schaffen?

  18. Andere Sicht hierzu :

    Diese Spiele sind heutzutage aber auch so programmiert, dass sie süchtig machen können. Denken Sie zum Beispiel daran, dass man seinen erreichten Level verlieren kann, wenn man zu lange mit dem Spielen aufhört. Dann wollen die Kinder natürlich die ganze Zeit weitermachen.

    Haben Sie sich denn schon in Ihrer Forschung mit diesem Thema beschäftigt?

    Das nicht. Ich finde aber, dass wir dazu etwas machen müssen. Dass wir beispielsweise Tipps für Eltern entwickeln müssen, wie sie das Computerspielverhalten ihrer Kinder am besten mäßigen können.

    Das Leben kann sozusagen süchtig machen, wenn ein Lebender erkennt auf einem Gebiet besonders gut zu sein und seine Kompetitivität bis an seine Grenzen auszuforschen gedenkt.
    Derartiges Bemühen gibt es allerdings auch dann, wenn es an Talent mangelt, was oft, eigentlich immer, von Ausnahmen abgesehen, so ist, und dann wäre ein gelegentliches ermahnendes Schulterklopfen, der Art “Du bist gut, Du bist sogar sehr gut, aber es wird immer Bessere geben! (Denn Du bist nicht so-o gut, Kollego!)” schon angebracht, anders formuliert :

    Besonders Talent soll nicht von besonderer Bemühung abgehalten werden.
    Auch dann nicht, wenn nur ein Teilbereich des Erkennens gemeint ist, beispielsweise die Mathematik oder bestimmte mathematisch angeleitete (Computer-)Spiele.
    Aus diesseitiger Sicht ist also keineswegs generell (!) “Mäßigung” pädagogisch vorsehen oder angeraten, danke.
    Die Mathematik ist hier ein gutes Beispiel, nicht selten fressen sich Mathematiker sozusagen auf, um bestimmte Beweise oder neue Vorgehensweisen zu entwickeln, was sein darf, gesellschaftlich vermutlich sinnlos ist und doch irgendwie (potentiell) wichtig ist und vor allem auch : schön.

    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Webbaer

  19. Bonuskommentar hierzu :

    Bei unserem Projekt “Klassenfest” kam uns der Gedanke, dass soziale Ausgrenzung eigentlich von uns allen ausgeht. Deshalb kann auch jeder etwas dagegen tun. Beim Klassenfest werden alle aus der Klasse eingeladen und so macht man deutlich, dass wirklich jedes Kind dazugehört.

    ‘Ausgrenzung’ geht natürlich nicht ‘von uns allen aus’, sondern ist eine kollektivistische Eigenart, die individuen-zentrierte Liberale, Dr. W ist einer davon, nicht mitgehen.
    Wer einer Schulklasse zugerechnet wird, gehört zur Schulklasse, die Idee, dass einige wie beschrieben spezialisierte Kinder oder gar Kinder mit “falscher” politischer Meinung nicht hinzugehören, ist vergleichsweise neu und Dr. W rechnet sie der divisive Identity Politics hinzu, die kulturmarxistisch, also kollektivistisch, vs. liberalistisch, angeleitet ist.
    Also etwas für die anderen ist.
    Das (2020 neu hinzugekommene) Fachwort lautet hier : Cancel Culture.

    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Webbaer (der immer noch “ganz begeistert” ist von der “innovativen” Idee zu einem Klassenfest alle Kinder einer Schulklasse einzuladen)

  20. @Elektroniker Leistungsgesellschaft

    Eigentlich könnten wir deutlich weniger Arbeiten, und auch Schule und Uni entspannter angehen. Der technisch bedingte Überfluss ist ja da. Selbst eine Herausforderung wie der Klimaschutz kann ohne Mehraufwand Erfolg haben. Wenn wir z.B. die neuen Elektroautos einfach ein paar Nummern kleiner kaufen, sind die kaum teurer als die fetten Benzin-SUVs, die eigentlich keiner wirklich braucht. Den Rest machen die, die auf Fahrrad umsteigen, wenn endlich mal vernünftige Radwege in den Städten gebaut werden. Und wenn man beim Radwegebau einfach die sowieso anstehenden Renovierungen der Straßen nutzt, um hier umzubauen, ist das auch nicht groß teuer.

    „Das „Besitzstreben“ wird aber auch bei uns zum Problem. Die Menschen sind sozusagen zu „geizig“, bei ihrem Konsum den Geschäftspartner die Anhäufung von Vermögen zu gönnen. Die Vermögen landen immer mehr bei immer weniger Menschen, bei Menschen (Institutionen) die gut Vermögen verwerten können.“

    In der Tat. Hier wären natürlich Vermögens- und Erbschaftssteuern die Lösung. Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich vermute, dass auch die Nullzinsen der letzten Jahre schon das Ergebnis davon sind, dass einfach zu viel Kapital auf dem Markt ist. Und das löst jetzt auch einen Teil des Problems: die Zinslast für Häuslebauer wie auch für Gewerbekunden sinkt dabei ganz erheblich, und das Kapital von Kleinanlegern steigt auch nicht mehr automatisch, so wie früher. Insgesamt wächst das Gesamtkapital weniger, und das ist gut so.

    Wir in Deutschland mit unserem Export-Überschuss hätten natürlich weniger Arbeitsplätze, wenn wir mal vernünftig wirtschaften würden, und hier nicht so viel Arbeit an uns ziehen würden. Einerseits könnten wir einfach ein paar Millionen EU-Arbeitsmigranten wieder nach hause schicken, und wenn das nicht reicht, dann eben mit Vermögens- und Erbschaftssteuern so viel einnehmen, das die Lohnnebenkosten entsprechend gesenkt werden können. Mit dann mehr Netto vom Brutto könnten wir dann beim selben Wohlstand auch weniger und entspannter Arbeiten, und auch entspannter Lernen.

    „Her mit dem Schönen Leben“ war mal ein Spruch von der Linkspartei. Ja, genau: wann machen wir das denn endlich? Und so manch überflüssiger Wohlstand kann ja auch wirklich wegfallen. Z.B. überflüssige Knie-Operationen, die medizinisch sinnlos sind, oder auch Wege von über 50 km um zur Arbeit zu kommen. Wenn man sich das schenken würde, wären das keine Verluste.

    Sollen jetzt etwa die Chinesen das Rennen machen, und mit der gerade anlaufenden Corona-Wirtschafts-Katastrophe ganz locker umgehen können, während wir uns mit noch mehr Trumps und „politischer Destruktion“selbst zerlegen?

  21. In der Tat. Hier wären natürlich Vermögens- und Erbschaftssteuern die Lösung. Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich vermute, dass auch die Nullzinsen der letzten Jahre schon das Ergebnis davon sind, dass einfach zu viel Kapital auf dem Markt ist.

    Die Leistungsgesellschaft existiert, sie ist die direkte Folge der Loslösung der Schwarmintelligenz, die im Rahmen der Europäischen Aufklärung gefunden, erfunden worden ist.

    Anders zu meinen wäre regressiv, reaktionär zur Aufklärung und zum allseits bekannten Sapere-Aude.

    Die französische Linie der Aufklärung, die wie einige finden, direkt zum Jakobinismus, zum Marxismus-Leninismus / Bolschewismus und zum Nationalsozialismus gebracht hat, Ratzinger meinte so, Dr. W will sich derartiger Einsicht des Ex-Papstes (LOL, ein großes LOL an dieser Stelle, Dr. W hat auch andere Texte aus dem Hause Ratzinger der Sechziger- und Siebziger-Jahre sozusagen gescannt) nicht verschließen, Dr. W ist allerdings Humanist.

    Die Idee vom Individualismus muss sozusagen auch gegenrednerische, feindliche Meinung zum Sapere-Aude generieren.

    Aktuell findet aus diesseitiger (liberaler) Sicht Reaktion statt, es ist dem hier vorkommenden Subjekt nicht klar zu vermitteln, dass es zuvörderst für sich selbst zu sorgen hat, um dann erst im Anschluss gesellschaftlich aufzusetzen, die liberale Demokratie meinend, so dass Anomalie und Abdomination anstehen, anzustehen haben.

    Es gibt aus diesseitiger Sicht sozusagen zu viel Freiheit und der hier gemeinte Primat (der bekanntlich auf einer Kugel zu leben scheint, die um eine andere, größere Kugel zu rotieren scheint, wobei streng genommen Rotationsellipsoide vorliegen) wird säuerlich, reaktionär zum Sapere-Aude, versucht sich im Kollektivistischen “einen zu braten” und auch im Anti-Wissenschaflichen, in den sog. Gender Studies beispielsweise oder im Ökologismus (der in etwa so definiert werden kann : “Der Ökologist weist der Natur einen intrinischen Wert zu!”, leider anti-humanistischerweise), will sozusagen ein Affe bleiben, der er ais Webbaerscher Sicht auch ist, aber nicht zwingend so verbunden, sondern sich eben selbst auch erhöhend wirken könnend.

    MFG + KW 28 (“schön”)
    Dr. Webbaer

  22. Ja ist das nicht der größte Rassismus und ideales Instrument um Gesellschaft zu spalten ?

    Leider ist bis Heute nix von vielen Psychologen zu hören ,wie Verhalten & Entwicklung instrumentalisiert & und missbraucht wird.

    Pseudowissenschaft

    Was auf die Hartherzigkeit verweist

  23. Purer Zufall, dass ich nach langer Zeit wieder einmal hier schreibe – eigentlich wollte ich gar nicht mehr, weil es mich nicht mehr freute. Und dann stoße ich auf diesen Beitrag, der, wer mich kennt, weiß es, nicht freuen kann. Da äußert sich eine Professorin für Heilpädagogik zum Thema ADHS, obwohl sie weder direkt noch indirekt davon betroffen ist – sie kennt es also nur von außen. Immerhin, sie sieht, dass diese Kinder und deren Eltern Probleme haben, dass sie wegen ihres Andersseins ausgegrenzt werden, und versucht nun, etwas dagegen zu tun: “Wenn das Kind beispielsweise auf dem Sofa springt, dann könnte man sagen: “Hör damit auf, auf dem Sofa zu springen. Spring auf dem Boden. Oder geh raus zum Trampolin. Oder lauf ein paarmal die Treppe hoch und runter.” So weist man dem Kind eine Richtung und gibt ihm die Gelegenheit, sich auszutoben. Solche kleinen Unterschiede in der Kommunikation können viel dabei helfen, das Verhalten zu beeinflussen.”

    Wenn es nicht so gut gemeint wäre, würde ich mich totlachen – obwohl mir eher zum Weinen ist . Der Knackpunkt bei all den Absichten und Angeboten zu helfen ist, zu meinen, man müsse etwas TUN. Nein, nein und nochmal :NEIN! Man muss nichts tun, man sollte erst einmal beobachten und zwar lange!, und dann fragen.
    Im Jahre 1932 hatten die Kinderpsychiater Kramer und Pollnow in der Monatszeitschrift für Psychiatrie und Neurologie einen Artikel zu diesem Thema (damals hieß es noch hyperkinetisches Syndrom) veröffentlicht, in dem sie ihre Beobachtungen beschrieben: “Die starke Bewegungsuruhe zeigt sich zunächst einmal darin, daß die Kinder nicht eine Sekunde stillstehen, daß sie versuchen, sich der Hand zu entwinden, die sie hält, und daß sie überhaupt betrebt sind, sich jedem Fixiertwerden zu entziehen.Es scheint ihnen(gmeint sind die Kinder) sehr unangenehm zu sein, durch irgendeinen Widerstand daran gehindert zu werden ihren motorischen Impulsen nachzugehen. Werden sie losgelassen, laufen sie planlos im Raume umher und fassen Stühle,Schränke und überhaupt alles an, was ihnen in den Weg kommt.Gegenstände,an denen irgendein Effekt ausgelöst werden kann, bevorzugen sie: den Lichtschalter knipsen sie auf und zu, drehen am Wasserhahn, drücken auf die Klingel, klinken am Türdrücker, kippen Stühle um und schieben sie planlos vor sich hin durchs Zimmer.”
    Zugegeben, Kramer und Pollnow haben auch nicht gefragt, aber doch wenigstens gut beobachtet. Fragen müsste man jetzt nach dem Warum: warum tun die Kinder das? Was genau machen sie, wozu machen sie das? Was sie tun, scheint keinen Sinn zu ergeben, aber: Kinder spielen und handeln, um Erfahrungen zu sammeln, auf die sie später, im Erwachsenenleben, zurückgreifen – wenn auch in ganz anderen Situationen. Aber sie sammeln Erfahrungen für ihre Art zu lernen und zu denken. Die entspricht eben nicht der, in der “normale” Kinder Erfahrungen sammeln.
    Heute steht in scilogs ganz oben ein Beitrag im Blog “Tensornetz”. Darin wird ganz gut beschrieben, wofür man diese Art von Erfahrungen und diese Art zu denken braucht.
    Im Grunde ist es eine Tragödie: man möchte, wie Frau Batstra, helfen, und macht es doch falsch, weil man nicht weit genug in die Zukunft denkt.

    Quelle: RothenbergerA. Neumärker K.J.(2005) Wissenschaftsgeschichte der ADHS. Kramer-Pollnow im Spiegel der Zeit. Damstadt: Steinkopf

  24. @Trice: Batstra und ADHS

    Laura Batstra war, bevor sie wieder an die Uni ging, als (damals schon promovierte) Entwicklungspsychologin in einer Kinder- und Jugendeinrichtung tätig, in der sie viele Kinder mit der Diagnose ADHS sah. Das inspirierte sie ja gerade erst zu ihrer Forschung. (Stand eventuell im ersten Teil des Interviews.)

    Und wieso man als Heilpädagogin (meine deutsche Übersetzung zu “orthopedagogiek”) nicht mit der Gesundheit von Kindern beschäftigt ein soll, erschließt sich mir nicht.

    Es würde mich nicht wundern, wenn sie viel mehr Kinder mit der Diagnose gesehen hat als Sie. Aber Sie sind hier im Blog trotzdem willkommen.

  25. @Elektroniker // 02.07.2020, 12:22 Uhr

    „Bei uns fällt man über tüchtige Unternehmer (Tönnies) her, die es gemeinsam mit den Bauern, Diskontern und fleißigen Arbeitern geschafft haben, dass sich, ganz anders als früher in meiner Jugend, auch die ärmeren Schichten fast täglich Fleisch leisten können. Viele gönnen es den Ärmeren nicht.“

    Der Punkt ist doch nicht, dass man den Armen das Fleisch missgönnt (obwohl man gerne auf den Verbrauchern herumhackt), sondern die Ausbeutung der Beschäftigten, die miserablen Haltungsbedingungen von Schweinen und anderen Tieren sowie die Unterbezahlung der Bauern, die heute weit weniger für ihre Arbeit bekommen als früher, dafür wurde Tönnies in kurzer Zeit immer reicher.

    Siehe dazu auch: https://www.focus.de/politik/deutschland/weitergedacht/weitergedacht-die-wagenknecht-kolumne-die-grosse-fleisch-taeuschung-der-verbraucher-steht-als-schuldiger-da-zu-unrecht_id_12184641.html

  26. @Dr. Webbaer 06.07. 14:57

    „Die Leistungsgesellschaft existiert, sie ist die direkte Folge der Loslösung der Schwarmintelligenz, die im Rahmen der Europäischen Aufklärung gefunden, erfunden worden ist.“

    Das Leistungsprinzip und die Schwarmintelligenz, die der freie Wettbewerb mit sich bringt, will ich prinzipiell gar nicht missen. Aber wenn wir über vernünftige Wirtschaftstätigkeit weit hinaus geraten, und das Leben sich in wesentlichen Teilen um recht überflüssigen Konsum dreht, ist das nicht mehr optimal.

    Von daher wären eben Vermögens- und Erbschaftssteuern die Lösung für eine wachstumsfreie Wirtschaftsweise, die erfolgreichem Klimaschutz und Ökologie gerecht werden kann, und auch den grassierenden Leistungsdruck reduzieren kann. Die Leistung wird eben nur von einer Minderheit wirklich wie Sport aufgenommen, und macht dabei richtig Spaß. Die Mehrheit der Menschen ist einfach nur geschafft, und jede Menge Leute werden Krank davon. Das Fängt schon in der Grundschule an, und endet bei denen, die nur eine Rente auf Grundsicherungsniveau bekommen und mit 75 noch was dazu verdienen müssen.

    „…im Ökologismus (der in etwa so definiert werden kann : “Der Ökologist weist der Natur einen intrinischen Wert zu!”, leider anti-humanistischerweise)…“

    Ich denke doch, dass die Natur einen Wert ganz unabhängig vom Menschen hat, und wüsste jetzt nicht, wieso das anti-humanistisch sein soll. Wer viel Erfahrung mit Haustieren und Gartenbau in seinem Leben gemacht hat, dem wird das doch recht selbstverständlich sein, das wir es hier auch mit lebenswertem Leben zu tun haben.

    Die meisten Landwirte würden viel lieber naturnäher wirtschaften. Der wirtschaftliche Druck der Konkurrenzsituation mit einer Tendenz zum Überfluss zwingt sie dazu, mit ihren Tieren so rücksichtslos umzugehen. Das hätte wenig mit Kollektivismus zu tun, wenn wir hier den Landwirten Zuschüsse zukommen lassen, dass sie hier tierfreundlicher und nachhaltiger wirtschaften können, das wäre einfach nur der Realität des Lebens geschuldet.

    So wie das auch kein Kollektivismus ist, wenn man DDT verbietet, weil sich dieses in der Umwelt kaum abbaut und dort immer mehr anreichert. Dann ist das schon eher Kollektivismus, wenn die Arbeitsämter Arbeitslose dazu zwingen, bei Arbeitgebern zu arbeiten, die unzumutbare Arbeitsbedingungen anbieten. Das widerspricht dann dem Prinzip, die Schwarmintelligenz wirken zu lassen.

  27. @ Mona 08.07.2020, 12:00 Uhr

    Zitat: „Der Punkt ist doch nicht, dass man den Armen das Fleisch missgönnt (obwohl man gerne auf den Verbrauchern herumhackt), sondern die Ausbeutung der Beschäftigten, die miserablen Haltungsbedingungen von Schweinen und anderen Tieren sowie die Unterbezahlung der Bauern, die heute weit weniger für ihre Arbeit bekommen als früher, dafür wurde Tönnies in kurzer Zeit immer reicher.“

    Als Techniker habe ich früher auch gedacht, man müsse nur genug Ressourcen bereitstellen und alle Menschen werden „glücklich“. Ein Psychologiestudent in meiner WG ehemals hat mit versichert, dass dies ein naiver „Technikerglaube“ wäre. Ein „Mensch“ ist erst dann so richtig glücklich, wenn der „Andere“ weniger hat als man selber, womöglich auch noch die Macht hat „Speichellecker“ zu belohnen und andere zu bestrafen. Und mir ist aufgefallen, dass der Kumpel recht hatte.

    Bedeutet, viele Menschen denen es sehr gut geht, können es rein psychologisch gesehen nicht ertragen, wenn auch „arme Menschen“ gutes Fleisch essen dürfen. Es gibt nicht nur den Neid auf die Reichen, sondern mit selbst gebastelten Vorwänden, auch einen Neid gegen die Armen.

    Ich nehme ausdrücklich die „Wohnraummilliardäre“ die für die unerschwinglichen Wohnungen verantwortlich sind aus, denen wünsche ich die Frau Wagenknecht an den Hals. Sie holen rücksichtslos heraus was der Markt hergibt.

    Aber die Handels- und Produktionsmilliardäre (Aldi, Lidl, DM, Autofirmen, Fleischerzeuger….) nehme ich ausdrücklich aus. Sie haben den „Brotkorb heruntergeholt“, haben mehr erreicht als Marx und Lenin zusammen. Vor der Aldi Kassa sind alle Menschen tatsächlich gleich.

    Tiere und letztlich auch wir Menschen sind alle „Kettenglieder“ der natürlichen „Fresskette“ „fressen und gefressen werden“. Auch wir Menschen werden teilweise von Viren aus der Mikrobenwelt getötet und dem Stoffwechsel anderer Mikroben zugeführt. Die Tiere leben bei uns heute durchwegs besser als früher. Der künstliche Tod im „CO2 See“ (Schweine) soll besonders attraktiv und human ein.

    Die ausländischen Mitarbeiter erhalten die Möglichkeit, die Wirtschaft in ihren Herkunftsländern zu entwickeln und sich mit ihrer schweren Arbeit bei uns selbst ein kleines Vermögen (Hausbau) in ihrer Heimat zu schaffen. Das ist vielen Einheimischen bei uns nicht mehr möglich. Man gönnt beim Einkauf keinen Verkäufer eine „Vermögensbildung“. Die Ausländer schaffen es auch bei kleinen Löhnen. Manche machen auch noch Nebenjobs, Gartenarbeiten …. Auf die Unterbringung hier, kommt es ihnen weniger an.

    Manche sind sehr erfolgreich, andere kommen nicht zurecht, „landen“ bei der Seelsorge und weinen sich beim Pfarrer aus, der dann bei „hart aber fair“ generalisierend darüber berichtet. Männer arbeiten am Bau oder eben in der Fleischindustrie, Frauen als Altenpflegerinnen…..

    Bei uns war es früher (um 1965) ähnlich. Wir fuhren früher als Ferialarbeiter ins Ausland. Kumpels haben damals als „Leichenwäscher“ in Schweden in 8 Wochen mehr verdient als bei uns in einem Jahr. Man investierte in die Ausbildung was auch genutzt hat.

    Die höchst rationelle Arbeitsweise und die Gesinnung mancher Unternehmer (der Brotkorb für die Kunden muss herunter), hat bei uns den breiten Wohlstand mit günstigen Preisen ermöglicht.

    Die meisten Bauern haben sich an die Situation angepasst, haben kleine Unternehmen auch in anderen Branchen gegründet und sind sehr erfolgreich.

    Verglichen mit früher, leben wir alle im Paradies. Auf dem Wohnungsmarkt brauchen wir eine starke staatliche Konkurrenz, die „Preishyänen“ gehören vergrämt und vertrieben.

  28. @Stephan Schleim: Entwicklungspsychologie, Heilpädagogik und ADHS

    Vielleicht ist (wieder einmal, passiert mir ja öfter)nicht richtig herüber gekommen, worauf ich hinauswollte. Dass sich Heilpädagogen um die Gesundheit von Kindern und Erwachsenen kümmern geht ja bereits aus der Berufsbezeichnung hervor – wobei damit nicht gemeint ist, dass man sich darum kümmert, dass jedes Kind/jeder Erwachsene gesund bleibt, sondern man sich mit geistig und psychisch kranken Kindern beschäftigt.

    Inzwischen aber ist durchaus strittig, ob es sich bei Kindern mit dem Label ADHS tatsächlich um kranke bzw. an einer sogenannten Störung der “Informationsverarbeitung” leidenden Kinder handelt oder nur, wie die Heilpädagogin Cordula Neuhaus es nennt, um eine Persönlichkeitsvariante.
    Was ich moniere, ist die unhinterfragte Überzeugung, dass solche Kinder behandelt werden müssen, bzw. dass mit ihnen gelernt werden muss, sich richtig zu verhalten, statt zu fragen: Sehen wir diese Kinder und was sie tun, überhaupt richtig? Das heißt, das Urteil steht fest und keiner fragt: Trifft es auch zu?

    Ich habe aus diesem Grund ein Aussage von Frau Batstra zitiert, um darauf hinzuweisen, dass sie eben das auch nicht tut. Sie übernimmt das Urteil über diese Kinder. Wie wenig sie versteht, was diese Kinder so anders macht, wird in dieser Aussage von ihr deutlich. Sie sagte: “Hör damit auf, auf dem Sofa zu springen. Spring auf dem Boden. Oder geh raus zum Trampolin. Oder lauf ein paarmal die Treppe hoch und runter.”
    Als wenn es dem Kind nur darum ginge, zu hüpfen oder zu springen.

    Um zu verstehen was die Kinder machen, versuchen Sie einmal Folgendes: Steigen Sie auf ein Sofa und hüpfen darauf herum, und dann hüpfen Sie mal auf dem Boden, und dann auf dem Trampolin (falls eines in der Nähe ist).

    Merken Sie etwas? Es fühlt sich jedes Mal anderes an – das Sofa ist weich und gibt nach, der Boden aber nicht, und auch beim Trampolin ist das Erlebnis ein anders. Und das Tun hat auch, wenn mal fällt, andere Folgen. Ganz unabhängig vom Vernügen lernt das Kind, wenn es auf unterschiedlichen Materialien hüpft, ganz nebenher, dass gleiche Ursachen keineswegs gleiche Wirkungen haben.

    Auch wenn das Kind es nicht weiß und nicht wissen kann, es ist diese Erfahrung der Wirkungen (weshalb Schwank es ein Denken in Wirkungsweisen nennt), die es braucht, weil die gedächtnisrelevant werden und es im späteren Leben auf solche Wirkungenmuster zurückgreift.
    Der Hinweis von Frau Batstra, und was sie meint, dem Kind mit ihm zu geben, nützt dem Kind dagegen überhaupt nichts – außer, dass es nach mehrmaligen Versuchen gelernt hat: Wenn ich das mache, hat es die Wirkung, dass das den Leuten nicht gefällt, und wenn ich das mache, was sie sagen, bringt mir das zwar nichts, aber es hat die Wirkung, mir Ärger zu ersparen.

    Und was die Frage betrifft, wieviele dieser Kinder Frau Batstra gesehen hat – geschenkt! Ich bin selber “betroffen”, das heißt, ich kenne ADHS von “innen”, nicht nur von außen, wie sie – ich weiß, wie es sich anfühlt, so zu sein – eine Erfahrung, die ich ihr voraus habe und die sie nie machen wird, egal, mit wievielen Kindern sie noch arbeiten wird – wie ich umgekehrt auch nicht weiß, wie es sich anfühlt, nicht so zu sein und nicht so zu denken.
    Zudem habe ich vier Kinder, die ebenfalls zu den Wirkungendenkern gehören, wie auch meine sechs Enkelkinder. Und ich habe allein im Projekt mit Frau Schwank und in meinen eigenen Studien mit weit über 100 solcher Kinder gearbeitet, von denen, mit denen ich es in 25 Jahren Familienhilfe zu tun hatte, gar nicht zu reden.

    Zweitausend Jahre lang wussten die Menschen, dass die Erde im Mittelpunkt des Universums steht, und viele Gelehrte aus dieser Zeit vor Copernicus und Galilei waren davon überzeugt, dass Ptolemäus recht hatte.
    Heute wissen die Menschen, dass ADHS eine Krankheit ist und die Wissenschaftler sind davon überzeugt, dass sie recht haben.

    Auch das wird sich ändern, und hoffentlich nicht erst nach 2000 Jahren.

    Danke, dass Sie mich erneut willkommen heißen, zumindest habe ich es diesmal (trotz ADHS) nicht übersehen, 😉

  29. @Trice: ADHS

    Ich habe den Eindruck, dass wir hier auf unterschiedlichen Ebenen diskutieren.

    1) Frau Batstra (und ich in früheren Artikeln) kritisieren die ADHS-Klassifikation grundlegend. Sie ändert sich ja auch alle paar Jahre wieder, übrigens aufgrund der Entscheidung amerikanischer Psychiater mit engen Verbindungen zur Pharma-Industrie. Soweit nichts Neues.

    2) Davon abgesehen ergibt sich die Frage, wie man mit störendem Verhalten umgehen soll. Der Hinweis, Kindern nicht nur zu sagen, was sie nicht tun sollen, sondern auch, was sie stattdessen tun können, hört sich für mich erst einmal plausibel an, auch wenn ich selbst keine Kinder habe. So wie ich Frau Batstra verstehe, will sie so weit wie möglich ohne die Diagnose auskommen und erst mal das ganze System betrachten: Kind, Eltern, Kindergarten/Schule sowie de Rest der Umwelt.

    3) Bleibt die Frage nach der “Essenz” von ADHS. Sie scheinen davon auszugehen, dass es die gibt und dass Sie selbst erfahren, wie es ist, “jemand mit ADHS” zu sein. Ich halte ADHS für einen Namen für eine Vielzahl von Verhaltensproblemen (anhand der DSM-Kriterien habe ich einmal über 60.000 mögliche ADHS-Kombinationen berechnet). Ich weiß nicht, wie es ist, Trice zu sein; ebensowenig wissen Sie, wie es ist, Stephan Schleim zu sein.

  30. @ Trice
    @ Stephan Schleim

    Ich vermute schon dass sich Psychologen „hineinversetzen“ können und wollen wie es ist, „Trice“ oder „Stephan Schleim“ zu sein, wenn sie ihre Biographie erfahren haben. Bei „Trice“ und ihrer Selbstdiagnose reicht fast schon das Lebensalter.

    Wäre sie heute über 75(80), wäre ihre Kindheit kein „Honiglecken“ gewesen. ADHS galt damals nicht als harmlose Persönlichkeitsvariante, sondern als grobe Undiszipliniertheit, als asozial und selbstverständlich auch nicht als Krankheit. Wenn man dies auch nur beobachtet hat, weiß man was das für betroffene Kinder an Strafen und Diskriminierung bedeutet hat und kann sich vorstellen wie sich diese Kinder „gefühlt“ haben …..

    Später wurden diese Kinder zu „Kranken begnadigt“. Was ein großer Fortschritt war, sie waren sozusagen krank, konnten nichts für ihr Verhalten.

    Bei ADHS scheint eine „richtige“ Berufswahl wichtig. Manche Berufe erfordern besonders aktive Menschen.

    Höchst einfühlsame „Streichelpsychologen“ haben es sogar geschafft, Eltern mit „psychisch etwas anderen“, besonders aber von „Downies“ Kindern zu überzeugen, dass sie in Wirklichkeit „einzigartige Sonnenscheinkinder“ hätten und besonders glücklich sein sollten.

    So wie ich Frau Batstra verstehe, will sie einfach ganz pragmatisch, so wie viele Menschen in diesen Berufen, die Kinder mit „Psychotricks“ zu sozial halbwegs angepassten Menschen erziehen. Diese Methoden scheinen häufig sehr erfolgreich, kommen ohne Stigmatisierung der Betroffenen und vor allem ohne Medikamente aus. Natürlich gibt es auch Fälle, da helfen Psychotricks auch nicht mehr weiter.

    Psychologen müssen zwar auch in ihrer Wortwahl sehr sorgsam sein, aber Medikamente können schwere „Nebenwirkungen“ haben. Für mich sind Medikamente das letzte Mittel und nicht das erste Mittel der Wahl.

  31. @Stephan Schleim /10.07.2020, 17:06 Uhr

    “ADHS”

    Sie schreiben, Frau Batstra und Sie – wie auch viele andere auf diesem Gebiet tätige Wissenschaftler, Ärzte usw. -, kritisierten die derzeitige Klassifikation von ADHS. Ich kritisiere, dass es eine solche überhaupt gibt, da sie auf einer fundamentalen Unkenntnis der Materie beruht.
    Sie schreiben weiterhin von einer “Essenz” des Phänomens. Vor einigen Jahren noch gab es zwei Fraktionen (möglicherweise gibt es sie immer noch, nur ist es relativ still um sie geworden,)die sich über diese “Ursache”stritten: der Mainstream erklärte sie zu einer Krankheit bzw. Störung der Informationsverarbeitung, die andere Seite sah die Ursachen im Umfeld (Erziehung) und in der Umwelt (unsere heutige Gesellschaft). Entsprechend vertraten beide sehr unterschiedliche Auffassungen über die richtige Art der Behandlung. Wie das in der Wissenschaft der Fall ist, so auch hier: Man stellt nach einiger Zeit fest, das Problem ist nicht lösbar und verlagert den Schwerpunkt, indem man, in diesem Fall, sich der Behandlung und Heilung zuwandte.

    Sie gehörten zu den Wissenschaftlern, die vor eingen Jahren in einem Memorandum öffentlich Kritik am sogenannten Manifest der elf Hirnforscher übten, das die G& G 2004 veröffentlichte. Ich denke daher, Sie haben dieses noch in Erinnerung? Darin heißt es auf Seite 33 oben: “Nach welchen Regeln das Gehirn arbeitet;(…), all dies verstehen wir nach wie vor nicht einmal in Ansätzen.Mehr noch: es ist überhaupt nicht klar, wie man dies mit den heutigen Mitteln erforschen könnte.” Am Anfang dieses Kapitels erklärten die Hirnforscher, die neurobiologische Forschung setze auf drei Ebenen an: die oberste erkläre die Funktion größerer Hirnareale, die unterste umfasse die Vorgänge auf dem Niveau einzelner Zellen und Moleküle, und die mittlere beschreibe das Geschehen innerhalb von Verbänden von hunderten und tausenden Zellen.
    Niemandem fiel auf, dass diese Einteilung ein Kategorienfehler ist: die oberste und die unterste Ebene beschreiben die Funktionsweise des menschlichen Gehirns, während die mittlere die Arbeitsweise, auch Informationsverarbeitung genannt, beschreibt.
    Ich weiß nicht, von wem der Satz mit den Regeln in diesem Artikel stammt, ich vermute von Frank Rösler, da er Psychologe ist, was peinlich wäre. Denn eines der bedeutsamsten Regelsysteme in der Kognitiven Psychologie ist das Produktionsregelsystem, von dem Stanislas Dehaene schreibt, ihre Leistung entspreche der der Turingmaschine, denn Produktionssysteme seien imstande, jedes effektive Verfahren durchzuführen und jede denkbare Berechnung. Jede Regel dieses Systems hat dieselbe Struktur, dieselbe Abfolge der Variablen, und nach eben diesen Regeln arbeitet das Gehirn einer Minderheit der Menschen, zu denen alle diejenigen gehören, denen man das Etikett ADHS aufgedrückt hat. So weit hätte man also gar nicht suchen müssen.
    Mir soll nur mal jemand erklären, wie ein Regelsystem, das diese Mächtigkeit hat und das der Arbeitsweise (fälschlich Informationsverarbeitng genannt) des Gehirns dieser Minderheit der Menschen zugrunde liegt, zu einer Störung wird, die unbedingt behandelt und geheilt werden muss.
    Davon kann nur ausgehen, wer nichts, aber wirklich auch gar nichts von der Arbeitsweise menschlicher Gehirne weiß, der weder das Produktionsregelsystem noch seine Variante, das Aktionsschema-Regelsystem kennt. Nur dass nach dieser Variante das Gehirn der Mehrheit arbeitet, die eben weil sie in der Mehrheit ist, deshalb die Normen bestimmt und in seliger Unkenntnis der Fakten meint, das auf diesem System beruhende Denken und Verhalten sei das allein seligmachende.
    Nein, Sie können nicht wissen, wie es sich “anfühlt”, ein zu dieser Minderheit gehörendes Mitglied zu sein – so wenig, wie ich beurteilen kann, wie es sich anfühlt, zur Mehrheit zu gehören. Um die individuelle Befindlichkeit geht es dabei nicht, Einzelfälle interessieren nicht. Aber ich weiß sehr wohl, wie es sich für Meinesgleichen anfühlt, “so” zu sein – ohne dass ich jemals die Chance habe, zu wissen, wie es ist, zur anderen Gruppe zu gehören.
    Weshalb ich mich frage, wie jemand, der zu dieser Mehrheit gehört, und dessen Gehirn nach einer anderen Variante arbeitet, auf die Idee kommen kann, er könne oder müsse gar einem / einer von Meinesgleichen “helfen”. Die Regeln, nach denen ein Gehirn arbeitet, seine Arbeitsweise kann niemand ändern. Die sind universell. Da kann man eher versuchen, aus ungebärdigen, störenden kleinen Jungen, brave, angepasste kleine Mädchen zu machen – womit man den Jungen und darüber hinaus unserer menschlichen Gesellschaft sicher etwas sehr Gutes tut – oder?

    Quelle: Stanislas Dehaene (2014): Denken. Wie das Gehirn Bewusstsein schafft. München: Knaus

  32. @Trice 14.07. 10:40

    Dass man so wenig über die Arbeitsweise des Gehirns weiß, sollte vielleicht ein Argument mehr sein, seine Mitmenschen zu respektieren. Auch wenn sie mal stören.

    Die Form unseres Schulunterrichts ist schon sehr speziell, und ich schätze mal für alle Kinder eine Herausforderung. Stundenlang stillsitzen und den Vorträgen der Lehrer zu lauschen, dass ist hart, gerade in der Grundschule.

    Andere Unterrichtsformen, mit mehr Einzelarbeit am Computer, mehr Gruppenarbeit und nur halb so viel Vortragsunterricht käme wohl auch ADHS-Kindern entgegen. Gleichzeitig würde weniger Zeit verschwendet bei den schnelleren Schülern, die sich jetzt teilweise langweilen, wie bei den langsameren, die jetzt nicht so recht hinterherkommen.

    Das würde sogar die Leistungen verbessern, ohne den Kindern noch mehr abzuverlangen. Das könnte man dann sogar nutzen, um überhaupt die Forderungen an die Kinder zu reduzieren, dass die wieder mehr freie Zeit haben, nach eigener Lust und Laune zu spielen. Bekanntlich wird dabei auch gelernt.

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