Der Hörnleberg – Heiligtum mit langer Geschichte

Er ist von weitem sichtbar und ragt in den Mündungswinkel der Täler der Elz und der Wilden Gutach hinein: Der Hörnleberg, ein knapp 907 m ü.NHN höher Berg im mittleren Schwarzwald, bietet fantastische Ausblicke und eine lange (Pilger-)Geschichte, die schon (mindestens) zur Zeit der Kelten begann.

Statt zu CARL zum Monte Cornuto…

Eigentlich hätten an diesem Vormittag die Exkursionen des WISSENSWERTE-Kongresses stattgefunden. Liebend gern hätte ich CARL kennengelernt, die erste mobile Herz-Lungen-Maschine auf der Welt, die eine personalisierte zweistündige Wiederbelebung bei akutem Herz- und/oder Lungenversagen ohne Folgeschäden ermöglicht.

So lässt sich dank einer CARL Therapie die bislang infauste Prognose des plötzlichen “Herz-Kreislaufstillstandes” drastisch verbessern. Ein interdisziplinäres Team an der Klinik für Herz- und Gefäßchirurgie in Freiburg im Breisgau hat diese revolutionäre Therapie entwickelt.

Wäre CARL schon allgemein etabliert und verfügbar, wäre unser Weihnachtsfest vermutlich anders verlaufen. Doch das ist eine andere Geschichte, wie auch ein Bericht über die 17. WISSENSWERTE, für die bislang noch kein neuer Termin feststeht.

Exkursionen in Corona-Zeiten

Da ja die gesamte Veranstaltung Corona-bedingt im letzten Moment abgesagt wurde, stellte ich kurzerhand ein Pandemie-konformes Ersatzprogramm für mich zusammen. Am ersten Tag erkundete ich die Ursprünge des Tagungsortes Freiburg im Breisgau (Beitrag: hier). Am zweiten Tag fror dank Maskenpflicht auf den Corona-bedingt traurigen Weihnachtsmarktresten zum Glück wenigstens nicht die Nase ab (Bericht: hier). Am letzten Tag wollte ich auf dem Weg zurück noch einen kurzen Stopp im Schwarzwald einlegen.

Die Rückreise meiner individuellen WISSENSWERTE in Freiburg führte mich über den Monte Cornuto / Hörnlin / Hernleberg oder auch Hörnleberg (knapp 907 m ü. NHN), wie er heute allgemein genannt wird. Ähnlich wie in der Legende berichtet, war er einer der ersten Berge, der mir auf dem Rückweg durch das Elztal ins Auge fiel.

“Pilgern” auf den Hörnleberg (907m)

Seine Gipfelpyramide ist von weitem sichtbar ragt im Mündungswinkel zwischen den Tälern der Wilden Gutach und der Elz etwa 600 Meter auf: Der Hörnleberg bietet Ausblicke ins Elztal, über die Rheinebene bis zu den Vogesen und bei guter Sicht auch bis Straßburg sowie in den Schwarzwald.

Trotz schlechter Wetterbedingungen bot dieser besondere Berg selbst an diesem verregneten Vormittag eine grandiose Aussicht. Auf dem verschneiten Gipfel gab es dann sogar eine kleine, magische Wolkenlücke und überraschenderweise eine weithin bekannte Marienkappelle.

Wallfahrtskapelle “Unserer Lieben Frau vom Hörnleberg” (Credit aller Fotos): Dr. Karin Schumacher 

Start in Bleibach (Gutach im Breisgau)

Mein kleiner Pilgerlauf begann in der Nähe des Bahnhofs Bleibach. Corona- und wetterbedingt hatte ich meine Bahntickets allerdings nicht genutzt. Dank des Autos, das ich ansonsten so selten wie möglich nutze, war ich flexibel und auch das schlechte Wetter störte mich nicht.

Zum Glück regnete es nur leicht. Zunächst folgte ich den Schildern mit kleinen blauen Rauten, die den Weg zum Walderlebnispfad wiesen. Eine kleine Vogelwarte bot einen ersten Ausblick und Überblick über heimische Vogelarten.

An der Balbinen-Kapelle trennen sich Walderlebnispfad und Hörnlebergweg. Der Sage nach wurde die kleine Kappelle von einer Frau mit diesem ungewöhnlichen Namen aus Dank errichtet, nachdem ihre “böse Hand” auf wundersame Weise geheilt war. Der Berg hat eine lange Geschichte – auch was Mythen und Legenden betrifft.

Für mich ging es links weiter bergauf auf dem Hörnlebergweg, einem Kreuzweg, der den Leidensweg Christi erzählt. Nach nicht allzu langer Zeit bot sich zum Glück recht bald die Möglichkeit, diesen sehr schlammigen und kürzlich durch große Forstfahrzeuge stellenweise recht zerfurchten Wirtschaftsweg zu verlassen.  An der Wolfsgrubenhütte bog links ein steiler Pfad ab, der eine frische (menschliche) Spur zeigte. Erfreut folgte ich der Spur.

“Alter Pilgerweg” auf den Hörnleberg (Credit: Dr. Karin Schumacher)

Auf dem “Alten Pilgerweg”

Der Pfad entpuppte sich rasch als uralter Hohlweg. Zudem begann sich der Schlamm hier zum Glück mit etwas attraktiverem Schnee zu mischen. Durch Zufall war ich offenbar auf dem “Alten Pilgerweg” gelandet.

Reh am Hörnleberg (Credit Dr. Karin Schumacher)

Kurze Zeit später bog die Spur vor mir jedoch wieder in Richtung Tal ab. In dem Hohlweg wurden die Schneemengen immer mehr, denn dort sammelte sich die weiße Pracht bevorzugt an. Meine Füße wurden rasch immer nasser und schwerer. Zwei Tage zuvor war mir das auf dem Weg zur Zähringer Burg bei Freiburg fast gar nicht aufgefallen. Aber dort waren auch mehr Menschen unterwegs. Hier war seit mindestens vier Tagen keine Menschenseele mehr vorbeigekommen, nicht einmal am vergangenen Wochenende.

Am nächsten Abzweig hielt ich kurz an, genoss die beginnende Aussicht und stellte fest, dass nicht nur die geeigneten Schuhe, sondern auch die Gamaschen im Auto geblieben waren.

In dem Moment sprang ein Reh auf den Weg, das über mein Erscheinen mindestens genauso überrascht war wie ich. Dadurch konnte ich das flinke Tier sogar relativ entspannt fotografieren.

Ansonsten sollte dies, mal abgesehen von einigen Vögeln und später im Tal noch einigen wenigen Menschen, die ihre Hunde ausführen mussten, die einzige Begegnung mit einem Lebewesen auf dieser Exkursion bleiben.

Jesus am Hörnleberg 

Vom “Stationenweg” über den Kreuzweg zum Gipfel

Am “Stationenweg”, der vom Norden aus Oberwinden zum Hörnleberg führt, mündet der Alte Pilgerweg wieder in den modernen Kreuzweg. Auf dem Hörnlebergweg ging es an den letzten Stationen des Kreuzweges bergauf, bis an der letzten Kreuzung die Wallfahrtskirche auf dem Gipfel sichtbar wurde.

Verschneit und verschlafen thronte die Wallfahrtskirche “Unserer Lieben Frau vom Hörnleberg” auf dem Gipfel. Der Schnee, der vier Tage zuvor gefallen war, zeigte noch immer keine einzige menschliche Spur. Bei gutem Wetter und in der Wallfahrtssaison sieht das sicher etwas anders aus.

Hörnleberg: Grandiose Aussicht zu den Vogesen

Die Aussicht war trotz oder vielleicht auch gerade wegen der Wetterlage beindruckend. Das Elztal lag unter einer dicken Regendecke und auch die Vogesen verschwommen in der Feuchtigkeit des Horizontes. Die sichtbaren Teile des schneebedeckten Schwarzwaldes verschwanden recht bald in den Regennebelschwaden. Nur im Süden, in Richtung Freiburg und Schweiz, zeigte sich ein kleines Stückchen blauer Himmel.

Zudem lädt ein Pilgergasthaus am Wochenende in der Wallfahrtszeit von Mai bis November zu einer kulinarischen Pilgerpause ein.

Auf dem Rückweg ging es zum bis zum vollständigen Aufwärmen der kalten Füße noch eine Runde auf einer der Nordic-Walking-Strecken auf und um den Walderlebnispfad herum, der bei etwas besseren Bedingungen sicher viel Interessantes über den Wald erklärt.

Im Auto gab es trockene Kleidung, saubere und trockene Schuhe und ein Corona-konformes Picknick.

Messplatz und Ausblick nach Westen in Richtung Vogesen vom Hörnleberg; vgl. a. Titelbild: Blick in nach Freiburg/Br. und die Schweizer Berge im Südwesten (Credit: Dr. Karin Schumacher)

Ausblick…

Drei Kreuzwege führen auf den Hörnleberg. Neben dem beschriebenen von Bleibach im Süden aus kann man auch von Oberwinden im Norden oder Simonswald im Osten hinauf zur Wallfahrtskirche pilgern. Ich wünsche natürlich keinem, dass die nächste WISSENSWERTE ebenfalls aus welchen Gründen auch immer ausfallen muss. Dennoch gibt es nicht nur für einen solchen Fall genug Möglichkeiten für alternative interessante Exkursionen unter in der Regel sogar gesundheitsfördernden Bedingungen.

Hörnleberg-Heiligtum im Wandel der Zeiten

Vom Sonnentempel zur Wallfahrtskapelle

Später lese ich, dass schon die Kelten hier einen vorchristlichen Sonnentempel errichtet hatten. Leider finde ich weder auf den Wegen zum bzw. um den Hörnleberg noch später bei einer ersten Recherche Genaueres darüber, welche Rolle dieser Berg für unsere vorchristlichen Vorfahren spielte.

Doch auch ohne diese Informationen erscheint relativ klar, dass auch der Hörnleberg wie andere “Keltenberge” den dort lebenden Menschen in der Zeit vor Christus als Sonnenkalender gedient haben muss.

Die Kelten in der Geschichte

Kelten kennen wir heute hauptsächlich aus Comics wie “Asterix und Obelix”. Auch Caesar hat über seine keltischen Gegner in “De bello gallico” geschrieben. Jeder, der Latein in der Schule lernt, bekommt einen römischen Eindruck in die Welt der Gallier: Volksstämme von wilden und grausamen “Barbaren”, die von “zivilisierten” Römern geschlagen wurden.

In der englischen Romantik wurden Druiden dagegen zu Britanniens ersten Christen verklärt, um die Entstehung der anglikanischen Kirche im Kampf gegenüber dem Katholizismus in vorrömische Zeiten zurückzuverlegen. Was stimmt nun von diesen verschiedenen Sichtweisen?

Als “Kelten” bzw. Κελτοί (Keltoí) wurden in der griechischen Geschichtsschreibung aus dem 6. und 5. Jahrhundert v. Chr. eine mittel- und westeuropäische Völkerschaft beschrieben. Der Lebensraum dieser verschiedenen Volksgruppen reichte von den Quellen der Donau bis zum Hinterland von Massilia (Marseille).

Als die Kelten begannen zu wandern…

Seit etwa 400 v. Chr. begannen die Kelten zu wandern, da auch sie offensichtlich mehr Lebensraum für ihre wachsende Bevölkerung suchten. Dabei kam es zu Auseinandersetzungen mit Römern und Griechen und einer tiefen Verletzung der griechisch-römischen Religion, so die Ausstellung “Die Religion der Kelten”, die in verschiedenen Museen an mehreren Orten, darunter Leipzig, Heilbronn und auch im Kantonalen Museum für Urgeschichte(n) Zug (Schweiz) gezeigt wurde [1].

Nachdem die Kelten es gewagt hatten, zwei der bedeutendsten Heiligtümer der Antike zu erobern – das Kapitol in Rom und das Heiligtum von Delphi in Griechenland – wurden sie zum Feindbild schlechthin, das bis heute in unserer Kultur überliefert wird.

Religiös geprägte Feindbilder (bis) heute

Wir sprechen von “barbarisch”, wenn etwas unmenschlich, unkultiviert oder grausam ist und von “heroisch”, wenn wir etwas heldenhaft und erhaben finden. Und das, obwohl wir dabei zumeist auf dem Gebiet unserer keltischen Vorfahren, d.h. den Barbaren, leben. Ist das nicht interessant? Fast noch spannender finde ich, dass ich mich erinnern kann, dass mich jemals jemand in der Schule oder einer anderen Bildungseinrichtung auf dieses Phänomen aufmerksam gemacht hätte… Aber vielleicht habe ich das auch einfach im manchmal zumindest gefühlt doch recht langweiligen Geschichtsunterricht verschlafen.

Religion war seit Menschengedenken ein Phänomen, das einerseits verbindet und andererseits spaltet. Wie viele Menschen fanden und finden bis heute ihren Tod aufgrund von Glaubenskonflikten? Wer dazugehört, zählt als Eingeweihter und wird “fromm”. Die Anderen werden zu Außenstehenden, Fremden, Barbaren.

In Anbetracht der noch immer auf unserem Planeten herrschenden Vielfalt an Religionen und Sprachen wird klar, dass Konflikte auch weiterhin bestehen und in Zukunft bestehen werden. Doch nur wenn wir versuchen, andere Kulturen, Sprachen und Religionen zu begreifen, verlieren sie ihren Schrecken und werden plötzlich zu Verbündeten. Denn letztendlich haben wir alle nur einen Planeten, um den wir uns alle gemeinsam gut kümmern müssen, damit er uns weiter ertragen und ernähren kann.

Die Weisheit der Druiden

Das müssen auch schon die Druiden, die Weisen der Kelten, verstanden haben, denn sonst wären sie und ihre Völker nach relativ kurzer Zeit verhungert. Leider haben die Druiden ihr Wissen nur mündlich von Generation zu Generation weitergegeben. So wissen wir heute sehr wenig darüber, was sie auf dem Hörnleberg taten. Und falls sich die Archäologen dafür nicht interessieren, werden wir es vielleicht nie erfahren.

Der Hörnleberg und die Legenden der Christen

Im Zuge der christlichen Mission wurden heidnische Kultstätten bevorzugt mit Kirchen bebaut. So sollte der Wechsel für die Bevölkerung wohl erleichtert werden. Dies betraf auch den Hörnleberg. Die erste christliche Kapelle wurde wohl um das 8. Jahrhundert auf seinem Gipfel errichtet.

Christliche Legenden sollten die Lage dieses besonderen Heiligtums erklären. Einer Legende zufolge legte ein erblindeter Elsässer ein Gelübde, auf dem Berg, den er zuerst wieder sehen könne, ein Kapelle zu Ehren Mariens zu bauen. Der Mann erlangte das Augenlicht wieder und sah den Hörnleberg. Er wollte sein Versprechen einlösen und eine Kapelle bauen lassen. Diese sollte jedoch praktischerweise weiter unten stehen. Doch das Bauholz lag zweimal morgens auf dem Gipfel des Hörnlebergs. Das zweite Mal sei sogar ein Zimmermann zur Bewachung gleich mit dabei gewesen. Das wurde als Wille Gottes gewertet. Die Kapelle wurde dann auf dem Gipfel errichtet.

Einer anderen Version nach war der Elsässer nicht blind, sondern wurde nachts von unsäglichen Schmerzen geplagt. Jede Nacht sehnte er daher die Sonne und den Tag herbei. Eines Morgens erschien ihm in der Sonne, die hinter dem Hörnleberg in der Ferne aufging, mehrmals die Gottesmutter mit dem Kind. Daraufhin gelobte er, eine Kapelle auf dem Berg zu errichten, falls seine Schmerzen verschwinden würden. Der Mann wurde wieder gesund und löste sein Versprechen ein. Er ließ ein Marienbild anfertigen, wie es ihm ihn der Sonne erschienen war.

Aus welchen Gründen auch immer das Heiligtum an diesem besonderen Ort errichtet wurde –sicher ist, dass schon seit sehr langer Zeit immer wieder Pilger aus dem Elsass auf diesen Berg kamen. Auch muss dieser Gipfel seit Menschengedenken für die dort lebenden Menschen eine besondere Ausstrahlung gehabt haben, da für sie hinter dem Hörnleberg die Sonne aufgeht.

Ablässe und mehr für die “capella uf dem Hörnlin”

Die erste urkundliche Erwähnung der “capellam uf dem Hörnlin” findet sich 1469 im Pfründebesetzungsbuch der Diözese Konstanz. Damals hatte die Kapelle offenbar einen Kaplan. 1493 erscheint die “Capella zum Hörnlin filialis” als zur Pfarrei Oberwinden gehörig. Ein Waldbruder wohnte bei der Kapelle. Bald darauf entstand eine Bruderschaft zu Ehren der Himmelfahrt der allerseligsten Jungfrau Maria, die am 10. März 1625 vom Konstanzer Bischof bestätigt wird.

Noch im selben Jahr gewährt Papst Urban VIII. der Bruderschaft reichlich Ablässe. Das Pfarrarchiv Oberwinden verwahrt bis heute die darüber im Vatikan ausgefertigten Pergamenturkunden mit anhängender Bleibulle.

Der Erfolg dieses heiligen Ortes zog aber auch Strolche an. 1639 plünderten und brandschatzten Söldnerscharen während des Dreißigjährigen Krieges die Hörnlebergkapelle. Auch als Ort für Naturkatastrophen eignete sich das exponiert auf dem Gipfel stehende Gotteshaus. So brannte die Kapelle mindestens zweimal nach Blitzschlägen nieder: 1763, 1826 und eventuell auch 1684.

Seit Beginn der Corona-Pandemie herrschen schwere Zeiten für Wallfahrtsgottesdienstwillige. Die letzte Wallfahrtszeit auf dem Hörnleberg begann am 1. Mai 2019 vor Ausbruch der Pandemie. Am 27. Oktober 2019 fand der letzte Gottesdienst statt. Immerhin ist die Hörnlebergkirche (in der Wallfahrtszeit) zweimal in der Woche für einige Stunden zum Gebet geöffnet. Über Zeiten und die aktuelle Lage informiert ein Wallfahrtsplan.

Berge: (Heilige) Astronomiewerkzeuge der Kelten

Einige Kilometer weiter südlich vom Hörnleberg gibt es einen anderen interessanten Gipfel im Schwarzwald: den Schwarzwälder Belchen (1414m).

Nach Erkenntnissen von Archäologen stammt der Name “Belchen” aus dem Alemannischen, wo der Begriff einen Berg ohne Spitze mit einer kahlen Kuppe bezeichnet. Belenus war der Gott des Lichtes der Kelten. Sein Verwandter bei den Römern der Antike hieß Apollon und war für Licht und Frühling zuständig.

Der 1. Mai: Neujahrsbeginn der Kelten

Der Feiertag des Belenus ist Beltane, der am 1. Mai gefeiert wird. Dies ist genau der Tag, an dem normalerweise nicht nur seit einigen Jahrhunderten die Wallfahrtssaison auf dem Hörnleberg beginnt, sondern seit Jahrtausenden die Sonne vom Elsässer Belchen (französisch Ballon d’Alsace, 1247m) aus gesehen über dem größten Berg der Vogesen, dem Großen Belchen (französisch Grand Ballon, 1424m), aufgeht.

Für die Kelten begann das neue Jahr am 1. Mai mit Beginn der schönen bzw. produktiven Jahreszeit.

Die Sonnenuhren der Kelten

Fünf gleichnamige Berge, gelegen im heutigen Elsass, Schwarzwald und in der Schweiz, haben im zweiten Jahrhundert vor Christus keltischen Druiden als Sonnenkalender gedient [2]. Denn Elsässer, Schwarzwälder und Schweizer Belchen stehen in einem rechtwinkligen Dreieck miteinander in Verbindung, wie Walter Eichin, ein badischer Lehrer und Heimatforscher mit einem Aufsatz über “Das Belchen-System” 1984 beschrieb [3]. Schon im 18. Jahrhundert gab es Belchen-Forscher. Der bekannteste von ihnen war Johann Peter Hebel. Der 1760 in Basel geborene Theologe, Rektor und Schriftsteller hatte sogar eine Art Wissenschaft, den “Belchismus” entwickelt, der aber nur für Eingeweihte verständlich und damit verständlicherweise nicht nur auf Zustimmung stieß.

Belchen-Dreieck und Blauen-Dreieck

Vom Elsässer Belchen aus geht die Sonne an den Tag- und Nachtgleichen am 21. März und am 21. Dezember (jeweils +/- ein bis zwei Tage) genau im Osten, nämlich über dem Schwarzwälder bzw. Badischen Belchen auf. Bis zur Wintersonnenwende wandern die Sonnenaufgänge in Richtung Süden. Am kürzesten Tag des Jahres geht die Sonne vom Elsässer Belchen aus gesehen direkt hinter der Belchenflue im Schweizer Jura auf. Diese drei fast gleichnamigen Berge markieren das annähernd rechtwinklige “Belchen-Dreieck”.

Auch für Mondstände wurden ähnliche Peilachsen verwendet, anhand der sogenannten “Blauen”. Auch von diesen finden wir bis heute noch einige stumme Zeitzeugen.

Schließlich wurden auch Siedlungen und Städte aufgrund dieser astronomisch-topographischen Konstellationen angelegt: Basel-Gasfabrik, Breisach oder Tarodum bei Freiburg im Breisgau sind einige Beispiele für solche Orte [2].

Noch viele Forschungsmöglichkeiten…

Das Belchen-Dreieck

Auch der Hörnleberg und der in nahegelegene Kandel (1241 m) waren sicher Teil des keltischen Systems, nicht nur zur Orientierung und Standortbestimmung, sondern auch nach der Suche nach dem Sinn und Wesen des Lebens. Vielleicht findet jemand irgendwann darüber mehr heraus.

Es wäre jedenfalls Stoff für viele spannende weitere Geschichten. Damals war Jesus noch nicht geboren, es gab weder Google noch Smartphones und auch das Essen konnte noch nicht so einfach wie heute im Supermarkt eingekauft werden.

Neujahr einst und heute

Heute feiern wir auch dort, wo früher die Kelten herrschten, den Jahreswechsel nicht mehr am 1. Mai sondern am 1. Januar. Diesen Jahresanfang haben wir Caesars Kalenderreform (Julianischer Kalender) zu verdanken. 1691 setzte Papst Innozenz XII. den 1. Januar als Neujahrstag fest. Seitdem ist dieser Termin für den Jahresanfang im westlichen Kulturraum gebräuchlich.

Allen Lesenden einen guten Rutsch in ein gesundes und gutes Jahr 2022!

Quellen / weiterführende Literatur:

  1. Leipziger Forschungen zur Ur- und Frühgeschichte 1. III. Die Ausstellung “Fromm -fremd -barbarisch. Die Religion der Kelten” Eine Sonderausstellung der Universität Leipzig im Rückblick, 2008
  2. Rolf d’Aujourd’hui, Zum Genius Loci von Basel. Ein zentraler Ort im Belchen-System. In: Basler Stadtbuch 1997. S. 125-138.
  3. Walter Eichin, Andreas Bohnert, Das Belchen-System. In: Das Markgräferland 2, 1985, S. 176ff.

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Dr. Karin Schumacher bloggte zunächst als Trota von Berlin seit 2010 bei den SciLogs. Nach dem Studium der Humanmedizin in Deutschland und Spanien promovierte sie neurowissenschaftlich und forschte immunologisch in einigen bekannten Forschungsinstituten, bevor sie in Europas größter Universitätsfrauenklinik eine Facharztausbildung in Frauenheilkunde und Geburtshilfe abschloss. Hierbei wuchs das Interesse an neuen Wegen in der Medizin zu Prävention und Heilung von Krankheiten durch eine gesunde Lebensweise dank mehr Achtsamkeit für sich und seine Umwelt, Respekt und Selbstverantwortung. Die Kosmopolitin ist leidenschaftliche Bergsportlerin und Violinistin und wenn sie nicht gerade fotografiert, schreibt oder liest, dann lernt sie eine neue Sprache. Auf Twitter ist sie übrigens als @med_and_more unterwegs.

7 Kommentare

  1. Da haben Sie sich eine magische Ecke ausgesucht, deren Besonderheit man erst versteht, wenn man sie direkt erlebt hat.
    Wir waren damals unterwegs und das Münstertal war gesperrt. Wir fuhren über den Sirnitz und machten dort halt. Das war etwas Besonderes, das Gefühl lässt sich mit „einprägsam“ beschreiben. Wir wussten nichts zur Geschichte und wie mussten erst die Wanderer vor 2000 Jahren diese Gegend erlebt haben. Ich denke, wenn man die Kelten gefühlsmäßig erfassen will, sollte man nach Irland fahren. Dort haben sich die Kelten niedergelassen, als sie vor den kriegerischen Germanen geflüchtet sind.

  2. Zitat:

    Religion war seit Menschengedenken ein Phänomen, das einerseits verbindet und andererseits spaltet. Wie viele Menschen fanden und finden bis heute ihren Tod aufgrund von Glaubenskonflikten?

    An die Stelle der Religion tritt heute die Kultur. Wobei sich Kultur und Religion ohnehin schwer trennen lassen.

    Samuel P. Huntington’s The Clash of Civilisations (Deutsch: Kampf der Kulturen) sagt genau das für das 21. Jahrhundert: an die Stelle der Ideologien, die das 20. Jahrhundert geprägt haben, treten die unterschiedlichen Kulturauffassungen und diese sind nun Grund für Auseinandersetzungen und Weltkonflikte. Eine wesentliche Aussage Huntingtons ist jedenfalls, dass die nach Ende des kalten Krieges weit verbreitete Meinung, das westliche System habe über das östliche gewonnen und das liberale System dominiere die Zukunft, falsch ist.

    Doch es gibt auch einen kulturellen Kampf innerhalb einer Zivilisation. In den USA kann man von Kulturkampf sprechen, wenn es um Dinge geht wie das Recht auf Abtreibung, Schwulenrechte, Religion in öffentlichen Schulen und dergleichen. Die andere Seite des Kulturgrabens macht sich in politischer Korrektheit und Cancel Culture bemerkbar.

    Religion und Kultur waren damit schon immer ein Grund für Abgrenzung. Denn Religion und Kultur prägen das Denken und bestimmen wie sich Menschen in einer Gemeinschaft definieren. Zum Kampf und Krieg muss es wegen unterschiedlichen Religions- und Kulturauffassungen aber nicht kommen. Erst wenn es um die Macht geht, wenn es darum geht, was in den Gesetzen steht und was erlaubt oder nicht erlaubt ist, lassen sich Auseinandersetzungen kaum vermeiden.

  3. Vielen Dank für die sehr schön beschriebene und schön bebilderte Reise! Habe es mit Freude gelesen.

    Blognachbarliche Grüße!

    • Vielen Dank, Michael! Habe beim Schreiben auch an deine fantastische Arbeit gedacht.

      Blognachbarliche Grüße zurück! 🖖😊

  4. Ein Gutes Neues Jahr Frau Schumacher,
    der Titel ihres blogs muss auch gewürdigt werden. Sie benutzen das Wort Heiligtum. Und das ist in unserer Zeit etwas uncool geworden, Kapellen sind ja etwas Besonderes. Sie künden davon, dass unser Menschenleben nicht nur aus dem Streben nach Materiellem besteht, sondern von der Sehnsucht nach Frieden.
    Herr Holzwart , Kultur ohne Religion gab es nicht und gibt es nicht. Und wenn sie hervorheben, dass Kultur und Religion die Ursache von Auseinandersetzungen seien, dann ist das vordergründig.
    In Hauptsache wirkt Kultur integrierend. Es ist kein Zufall , dass mit der Einigung der germanischen Stämme durch Karl dem Großen auch die Hoch-Zeit des Christentums begann. Und ohne das Christentum wäre Europa ein Flickenteppich von einzelnen Stämmen geblieben, wie es ihn in Afrika noch gibt.

    • Ja, Karl der Grosse wird sogar explizit in der Wikipedia wegen seinen Zwangschristianisierungen erwähnt. In der Wikipedia liest man dazu:

      Zu den größten Christianisierungen unter Zwang im Mittelalter gehören diejenigen der Sachsen durch Karl den Großen und der Prußen durch den deutschen Orden.[1] Von kirchlicher Seite wurden Zwangsbekehrungen aber bereits im Frühmittelalter auch durchaus kritisiert. So äußerte zur Zeit Karls des Großen etwa Alkuin Kritik am königlichen Vorgehen: Zur Taufe könne ein Mensch getrieben werden, nicht aber zum Glauben.

  5. Liebe Karin,

    Danke für Deinen wunderschön geschriebenen und maßvoll mit Fakten angereicherten Reisebericht, den ich gerade sehr gern las! Er hat mich an meine Zeit in Freiburg vor gut zehn Jahren erinnert, wo ich auch an einigen der von Dir beschriebenen Stellen stand und verweilte (bei meist angenehmerem Wetter ;-)).

    Ebenfalls Grüße aus einem Nachbarblog –
    René

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