Was tut unser Hirn, Wenn wir nichts tun?

Die Aktivität unseres Gehirns während spezifischen Denkprozessen zu verstehen ist das zentrale Ziel der kognitiven Neurowissenschaften. Doch was spielt sich in unserem Hirn ab, wenn gerade keine genaue Aufgabe vorliegt? Was passiert, wenn wir uns nicht einem äußeren Reiz zuwenden, sondern stattdessen nach innen sehen?

Wie wird das erforscht?

Um zu klären, welche Aktivität unser Gehirn im Ruhezustand aufweist, müssen wir erst einmal verstehen, wie dies erforscht werden kann. Verfahren, die uns erlauben, von außen in den Körper zu blicken und etwa Abbildungen des Gehirns zu erhalten, nennt man bildgebende Verfahren. Zu diesen Methoden gehört etwa die Computertomographie oder die Magnetresonanztomographie (MRT). Diese Verfahren spielen eine zentrale Rolle in der Medizin, wenn beispielsweise Hirnverletzungen oder Tumore untersucht werden müssen. Seit ihrer Erfindung wurden diese Techniken kontinuierlich erweitert und verbessert. Eine zentrale Errungenschaft in der bildgebenden Verfahrenstechnik für die Neurowissenschaften ist die Nutzung von Sauerstoff als endogenes Kontrastmittel in der MRT-Bildgebung. Dies bedeutet, dass moderne MRT-Technik uns erlaubt, mit hoher räumlicher Präzision einzuschätzen, welche Hirnareale mit wie viel sauerstoffreichem Blut versorgt werden. Wird dabei ein Hirnareal mehr versorgt als andere, können wir daraus schließen, dass dieses Areal gerade besonders aktiv ist, da hier nun mehr verstoffwechselt wird als sonst. Diese Art von Bildgebung, bei der nicht nur ein Bild des Gehirns aufgenommen wird, sondern die Aktivität über einen gewissen Zeitraum hin gemessen wird, nennt man funktionale Bildgebung (statt der strukturellen Bildgebung) [1].

Die Variante der MRT, die Veränderungen im sauerstoffreichen Blut betrachtet, nennt man funktionales MRT (fMRT) und ist neben Methoden wie dem EEG oder dem PET-Scan das zentrale Werkzeug der kognitiven Neurowissenschaften. Die kognitiven Neurowissenschaften sind ein relativ junges Feld, welches eine Art Bindeglied zwischen Psychologie und Neurowissenschaften darstellt. Hier werden kognitive Tests, wie man sie etwa aus der Neuropsychologie kennt (siehe Hirn und weg vom 24.08.2023), mit funktionaler Bildgebung kombiniert. So soll ermittelt werden, welche Areale für bestimmte psychologische Funktionen zuständig sind. Beispielsweise gibt es Areale auf der menschlichen Hirnrinde, die mit der Aufmerksamkeit verbunden sind, Areale, die für Sprachprozesse zuständig sind oder andere, die mit dem Kurzzeitgedächtnis in Verbindung gebracht werden.

In solchen Experimenten der kognitiven Neurowissenschaften werden meist zweierlei Messungen angestellt. Einmal wird das Hirn aufgenommen, während die Aufgabe oder der Test durchgeführt wird. Zudem werden aber auch Messungen der Hirnaktivität gemacht, ohne dass die Teilnehmenden eine genaue Aufgabe haben. Dies diente ursprünglich vor allem dem Zweck, einen genaueren Eindruck der für die Aufgabe relevanten Areale zu erhalten. Auf diese Weise kann nämlich von der „Aufgabenaktivität“ die „Grundaktivität“ abgezogen werden. So wird ein gewisses Grundrauschen aus der Rechnung herausgenommen und vermieden, dass Hirnaktivität, die nichts mit der eigentlichen Aufgabe zu tun hat, die Ergebnisse verzerrt. Jedoch brachte diese Herangehensweise einen weiteren Aspekt der Hirnaktivität zu Tage, welcher eigentlich kein Ziel der ersten kognitiven neurowissenschaftlichen Experimente war: Im wachen Ruhezustand sind einige Hirnareale aktiver, als wenn ein klares Ziel verfolgt wird [2]!

Das DMN im fMRT. Abbildung aus Graner et al. (2013) in Wikimedia.

Hirnaktivität im Ruhezustand

Um diese Ergebnisse besser zu verstehen, wurde ein neues Paradigma eingeführt: Das resting-state imaging, oder auf Deutsch, die Bildgebung im Ruhezustand. Hierbei werden die Methoden der funktionalen Bildgebung genutzt, um im Ruhezustand aktive Hirnareale zu finden. Teilnehmende würden also im Scanner keine Aufgaben lösen, sondern einfach die Augen schließen oder ihren Blick auf einen vorgegebenen Punkt fixieren. Es zeigt sich, dass, ähnlich wie bei höheren kognitiven Funktionen, stets mehr als ein Hirnareal aktiv ist. Die Aktivität in diesen Arealen ist sich dabei oft sehr ähnlich, weshalb man die Areale zu Netzwerken zusammenfasst. Es wurden einige dieser Ruhezustands-Netzwerke gefunden, das wahrscheinlich wichtigste und wissenschaftlich am genausten beschriebene dieser Netzwerke ist das default mode network (DMN) [3].

Zuerst beschrieben wurde dieses Netzwerk von Gordon Shulman und seinem Team [4], die in einem PET-Scan Experiment feststellten, das die Areale des DMN während zielgerichteten kognitiven Aufgaben ihre Aktivität verringerten. Bestärkt wurden diese ersten Ergebnisse von den PET-Untersuchungen von Marcus E. Raichle [5], der wie Shulman an der University of Washington tätig ist. Die Experimente wurden in späteren fMRT- und EEG-Experimenten mehrfach wiederholt. Auch mit diesen Verfahren wurde mehrfach gezeigt, dass die verschiedenen Hirnareale im DMN eng verknüpfte Aktivität aufweisen und Veränderungen innerhalb dieses Netzwerkes meist gleichzeitig erfolgen. Das DMN konnte also mit verschiedenen Methoden und mittlerweile auch sehr vielen verschiedenen Teilnehmenden gefunden werden. Aus diesen Gründen gilt es als sehr gut gesichertes Ergebnis und sozusagen als die Nulllinie der menschlichen Hirnaktivität. Interessanterweise wurden Netzwerke in Affen und Nagern beschrieben, die dem DMN sehr ähnlich sind. Es wird deshalb vermutet, dass es sich um ein speziesübergreifendes Phänomen handelt [2].

Das Default Mode Network

Aber wo genau befindet sich denn nun dieses Netzwerk und wozu ist es eigentlich gut?

Räumlich erstreckt sich das DMN über weite Teile der Hirnrinde und umfasst dabei Areale auf dreien der vier Hirnlappen, nämlich dem Parietal-, Temporal- und Frontallappen. Wichtig ist dabei, dass die Areale des DMN stets abseits von den Hirnarealen liegen, die mit direkten sensorischen Eindrücken beschäftigt sind, also klar abgegrenzt von der primären Sinneswahrnehmung [6].

Was die Funktionen des DMN angeht, ist die Frage etwas komplizierter. Schon Shulman und Raichle vermuteten, dass es sich bei den Funktionen des DMN wahrscheinlich um selbst-referentielle Gedanken handele [4, 5]. Das ist natürlich ein spannender Ansatz, da es uns einen Anhaltspunkt dafür geben würde, wie ein so komplexer gedanklicher Prozess wie das Nachdenken über uns selbst in unserem Hirn funktionieren könnte. Ein australisches Team von Forschenden um den kognitiven Neurowissenschaftler Christopher Davey untersuchte diese Hypothese genauer und verglich die fMRT-Aktivität im Ruhezustand mit der Aktivität, die auftrat, wenn man die Teilnehmenden bat, Aufgaben zu erfüllen, die zu selbst-referentiellem Nachdenken anregen sollten. So wurden die Teilnehmenden etwa gebeten, zu entscheiden, ob verschiedene Adjektive ihren eigenen Charakter gut beschreiben würden oder nicht. Gezeigt wurde dabei, dass wichtige Kernregionen des DMN nicht nur im Ruhezustand aktiv sind, sondern während selbst-referentiellen Aufgaben ihre Aktivität sogar noch weiter erhöhen [7]. Interessanterweise waren dies auch die Regionen im DMN, die am besten mit anderen Hirnregionen vernetzt sind, man nennt diese Areale auf der Hirnrinde auch Hubs. Sie sind also bestens vernetzt mit anderen Hirnsystemen, etwa mit solchen, die für das Abrufen von Erinnerungen oder für emotionale Prozesse zuständig sind [6, 7].

fMRT-Aktivität bei selbstreferentiellen Gedanken (grün) überlappt mit dem DMN (blau). Abbildung aus Yeo et al. (2011) in Wikimedia.

Auf Basis dieser Ergebnisse gehen die Forschenden um Professor Davey davon aus, dass es sich bei dem DMN um ein Hirnsystem handeln könnte, welches es uns erlaubt, uns bewusst selbst wahrzunehmen. Diese Hypothese hat zwar einigen Rückhalt, doch mehr Forschung wird von Nöten sein, um sie abschließend zu belegen. Dies liegt daran, dass es sich bei Messungen von funktionaler Hirnaktivität meist um sehr kleine Effekte handelt und deshalb Wiederholungen an mehr Menschen, sogenannte Replikationen der Ergebnisse, ein zentraler Bestandteil des Forschungsprozesses sind.

Dennoch ist dies ein höchst spannendes Ergebnis, welches natürlich eine weitere Frage aufwirft:

Was passiert, wenn sich die Aktivität im DMN verändert?

Da dem DMN ja so grundlegende Funktionen zugeschrieben werden, wie unsere Selbstwahrnehmung als Mensch, muss man sich natürlich die Frage stellen, wie verringerte oder erhöhte Aktivität im DMN sich auf uns auswirken könnte. Um diese Frage zu beantworten, kann man sich beispielsweise Krankheiten ansehen, die sich auf die DMN-Aktivität auswirken. So ist es zum Beispiel so, dass die Aktivität im DMN bei Betroffenen der Alzheimer-Demenz gestört ist. In anderen Worten werden die Verbindungen zwischen den verschiedenen DMN-Arealen schlechter. Dies könnte uns dabei helfen, die Alzheimer Demenz besser zu verstehen und zu erklären, wie sich die Erkrankung auf die Selbst-wahrnehmung der Betroffenen auswirkt. Allerdings heißt dies nicht, dass Alzheimer in erster Linie eine Erkrankung von Netzwerken der Hirnrinde ist. Betroffen sind bei Alzheimer durchaus auch Areale außerhalb des DMN. Zudem könnte eine andere Erklärung für die hohe Betroffenheit des DMN sein, dass DMN-Areale einfach zu den aktivsten im Hirn zählen, weshalb sich die für Alzheimer relevanten Proteine dort früher ablagern als anderswo im Gehirn. Jedoch gab es auch Ergebnisse, die darauf hindeuten, dass das DMN bei jüngeren Menschen, die genetische Risikofaktoren für Alzheimer-Demenz tragen, aktiver ist, was evtl. dabei helfen könnte, die Erkrankung schon viele Jahre vor den ersten Symptomen zu erkennen. Aus diesem Grund wird das DMN mit Sicherheit weiterhin ein wichtiges Thema in der Alzheimerforschung bleiben [3].

Eine weitere Krankheit, bei welcher das DMN gestört wird, ist die Schizophrenie. Dies erscheint intuitiv erst einmal sehr logisch, da sich die Schizophrenie häufig stark auf das Ich-Erleben der Betroffenen auswirkt. Allerdings ist bei diesem Störungsbild noch unklar, wie genau der Effekt auf das DMN aussieht. So finden einige Studien eine Erhöhung der Aktivität, während andere verringerte Aktivität im Vergleich zu gesunden Teilnehmenden finden. Klar ist jedoch, dass auch diese Erkrankung sich auf die Stärke der Verbindungen zwischen den DMN-Arealen und vom DMN zu anderen Netzwerken auswirkt [3, 8]. Wie ihr euch wahrscheinlich vorstellen könnt, endet die Liste der Krankheiten, bei denen das DMN involviert ist hier nicht. Auch bei Depressionen, der bipolaren Störung und der Parkinson’schen Erkrankung wurde bereits diskutiert, inwiefern das DMN in Mitleidenschaft gezogen wird.

Neben neuropsychiatrischen Erkrankungen gibt es auch Substanzen, die eine starke Wirkung auf das DMN haben. Allen voran wären hier die klassischen Psychedelika, wie LSD, DMT oder das in vielen Pilzen vorhandene Psilocybin zu nennen. Diese Drogen können während der Dauer ihrer Wirkung die Aktivität im DMN verändern. Auch dies wirkt intuitiv schlüssig, da die Wirkung dieser Substanzen oft mit einer verringerten Selbstwahrnehmung in Verbindung gebracht wird. Spezifisch verringern die Psychedelika die Stärke von Verbindungen innerhalb des Netzwerks, während die Verknüpfungen der DMN-Areale zu anderen Hirnarealen und Hirnnetzwerken vorrübergehend gestärkt werden [9]. Man spricht hier oft davon, dass diese Substanzen die internetwork-connectivity oder auch das globale Netzwerk stärken. Viele Forschende vermuten, dass dieser Effekt zentral für die therapeutischen Wirkungen dieser Substanzen sein könnte, auch wenn dies nicht der einzige relevante Wirkmechanismus der Psychedelika ist. Wichtig ist hierbei vor allem, dass bei Störungen wie der  Depression die Verbindungen innerhalb des DMN oft stärker sind, als die Verknüpfungen zwischen verschiedenen Hirnnetzwerken [9, 10]. Somit könnte die antidepressive Wirkung von Psychedelika gut erklärbar sein, da diese ja einen entgegengesetzten Effekt haben und die Verknüpfungen zwischen Netzwerken stärken und somit eventuell freiere und weniger negative Gedanken zulassen. Auch hier ist aber noch viel Forschung notwendig.

Fazit

Das DMN ist ein wichtiges Hirnnetzwerk, dass für unser Erleben als Menschen eine grundlegende Rolle zu spielen scheint. Es ist involviert in Gedanken, die wir uns über uns selbst machen und eine Störung dieses Netzwerkes kann schwerwiegende Folgen haben. Einige Substanzen scheinen in der Lage zu sein, das Netzwerk zu regulieren und uns somit bei verschiedenen Erkrankungen der Psyche Linderung zu verschaffen. Dennoch verstehen wir dieses grundlegende Hirnnetzwerk, wie so vieles in unseren Köpfen, noch lange nicht vollständig. Der Forschungszweig des resting-state functional imaging hat also noch viele spannende Erkenntnisse zu bieten, die uns hoffentlich dabei helfen werden, uns selbst besser zu verstehen.

Literaturverzeichnis

[1]   Raichle M. E.: A brief history of human brain mapping. Trends in neurosciences 32, 118–126 (2009).

[2]   Raichle M. E.: The brain’s default mode network. Annual review of neuroscience 38, 433–447 (2015).

[3]   Rosazza C., Minati L.: Resting-state brain networks: literature review and clinical applications. Neurological sciences : official journal of the Italian Neurological Society and of the Italian Society of Clinical Neurophysiology 32, 773–785 (2011).

[4]   Shulman G. L., Fiez J. A., Corbetta M., Buckner R. L., Miezin F. M., Raichle M. E., Petersen S. E.: Common Blood Flow Changes across Visual Tasks: II. Decreases in Cerebral Cortex. Journal of cognitive neuroscience 9, 648–663 (1997).

[5]   Raichle M. E., MacLeod A. M., Snyder A. Z., Powers W. J., Gusnard D. A., Shulman G. L.: A default mode of brain function. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America 98, 676–682 (2001).

[6]   Smallwood J., Bernhardt B. C., Leech R., Bzdok D., Jefferies E., Margulies D. S.: The default mode network in cognition: a topographical perspective. Nature reviews. Neuroscience 22, 503–513 (2021).

[7]   Davey C. G., Pujol J., Harrison B. J.: Mapping the self in the brain’s default mode network. NeuroImage 132, 390–397 (2016).

[8]   Hu M.-L., Zong X.-F., Mann J. J., Zheng J.-J., Liao Y.-H., Li Z.-C., He Y., Chen X.-G., Tang J.-S.: A Review of the Functional and Anatomical Default Mode Network in Schizophrenia. Neuroscience bulletin 33, 73–84 (2017).

[9]   Gattuso J. J., Perkins D., Ruffell S., Lawrence A. J., Hoyer D., Jacobson L. H., Timmermann C., Castle D., Rossell S. L., Downey L. A., Pagni B. A., Galvão-Coelho N. L., Nutt D., Sarris J.: Default Mode Network Modulation by Psychedelics: A Systematic Review. The international journal of neuropsychopharmacology 26, 155–188 (2023).

[10] Thomas K., Malcolm B., Lastra D.: Psilocybin-Assisted Therapy: A Review of a Novel Treatment for Psychiatric Disorders. Journal of psychoactive drugs 49, 446–455 (2017).

Abbildungsquellen

Graner, John; Oakes, Terrence R.; French, Louis M.; Riedy, Gerard (2013): Functional MRI in the investigation of blast-related traumatic brain injury. In: Frontiers in neurology 4, S. 16. DOI: 10.3389/fneur.2013.00016.

Yeo, B. T. Thomas; Krienen, Fenna M.; Sepulcre, Jorge; Sabuncu, Mert R.; Lashkari, Danial; Hollinshead, Marisa et al. (2011): The organization of the human cerebral cortex estimated by intrinsic functional connectivity. In: Journal of neurophysiology 106 (3), S. 1125–1165. DOI: 10.1152/jn.00338.2011.

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Mein Name ist Florian Walter und ich studiere Neurowissenschaften im Master an der Uni Frankfurt. Während meines Bachelors in Psychologie und in meinen klinischen Praktika habe Ich ein großes Interesse an Fragestellungen rund um das Gehirn entwickelt. Am meisten interessieren mich die Bereiche der Psychopharmakologie und der klinischen Neurowissenschaft. Ich hoffe über diesen Blog etwas von meiner Begeisterung mit euch teilen zu können!

11 Kommentare

  1. Es ist schön zu sehen dass auch mal die Spontanaktivität des Gehirns (operationalisiert als “resting-state”) einem breiteren Publikum zugäniger gemacht wird.

    Die erste Studie über functional connectivity im resting-state gab es bekanntlich schon 1995 von Biswal et al. Er hat diese Studie damals kaum publiziert bekommen weil die Reviewer/Gutachter in mehreren Journalen der Meinung waren dass seine Befunde nur “noise” bzw. sinnloses Rauschen seien.

    Marcus Raichle wollte mit dem DMN als default-mode auch die Rolle der Spontanaktivität des Gehirns mehr in den Fokus rücken; das hat aber nicht geklappt. Denn selbst die meisten kognitiven Neurowissenschaftler sahen das DMN einfach nur als ein neues unter vielen Netzwerken – und sie haben nicht verstanden welche Rolle die Interaktion zwischen Spontanaktivität (“resting-state”) und Stimulus eigentlich für das zuständig ist was bereits zuvor in Task oder Stimulus Studien analysiert wurde.

    Ferner zeigt der Befund über sinnvolle Aktivität (also Signal statt nur Noise bzw. Rauschen) der Eigenaktivität des Gehirns (Spontanaktivität, resting-state) von Raichle, nach dessen Publikation resting-state Studien ja extrem zunahmen, wie weit die kognitiven Neurowissenschaften manchmal der Physiologie oder Biologie hinterher hängen. Denn bereits in den 1930er Jahren hat Erich von Holst gezeigt dass das Nervensystem natürlich eine sinnvoll koordinierte oder systematisch selbst-organisierende Eigenaktivität besitzt. Man hätte die Eigenaktivität unabhängig von Stimuli bereits von Beginn untersuchen können. Erich von Holst wird in den kognitiven Neurowissenschaften aber kaum zitiert – man zitiert halt primär die Leute aus der eigenen Szene in top Journalen, das ist teilweise leider alles sehr inzestuös.

  2. “DMN” (‘default mode network’) funktioniert anscheinend auch im Ruhezustand, des Körpers, nicht gänzlich unähnlich wie zeitgenössische AI, die ebenfalls auf einem sogenannten neuronalen Netzwerk basiert und funktioniert, sich im Ruhezustand, also dann, wenn keine besonderen Aufgaben anstehen, keine auslastenden Benutzer-Anfragen, zum Beispiel reorganisiert, trainiert (das Fachwort an dieser Stelle, AI trainiert oder wird trainiert), oder halluziniert, dann Möglichkeitsräume sich ausdenkend.

    -> https://www.etymonline.com/word/hallucinate#etymonline_v_1401


    Wobei derartige theoretische Anschau nicht direkt auf biologisch Feststellbares im Hirn hinweisen muss, aber kann.

    Was cooler wäre, als soart zu verharren :

    -> https://de.wikipedia.org/wiki/Leerlaufprozess

    Mit freundlichen Grüßén
    Dr. Webbaer (der einräumt sich mit zeitgenössischer AI ach so genau ausgetauscht zu haben)

    PS:
    Außerdem ist der Schreiber dieser Zeilen der Meinung, dass nach einem Ruhezustand des Körpers, nicht unbedingt des Hirns, das sich statt zu ruhen in sozusagen unmöglicher Begebenheit bemühten könnte [1], am anderen Morgen sozusagen besser konstituiert aufgewacht werden könnte.

    [1]
    Dr. W nimmt keine Drogen, ist abär in der Lage sich, aufwachend noch zeitweise an Träume zu erinnern; dieses Erinnern verfliegt schnell.
    Dr. W hat sich so über viele Jahre aufgezeichnet.
    (Keine Ahnung, warum genau derartiges Denken “schnell verfolegt”.)

    Nicht gemeint ist so Sigmund Freud mit seiner aus diesseitiger Sicht nur ablativ zu nennenden Traumdeutung.)

  3. Das DMN als ´Null-Linie´ der menschlichen Gehirnaktivtät zu betrachten ist eine äußerst fragwürdige Überlegung.

    Denn es ist bekannt, dass es ständig neuronale Aktivtätswellen gibt, die sich in unterschiedlichen Richtungen über den Cortex bewegen – so wie eine LaOla-Welle.
    Dies bedeutet, dass ständig Neuronen soweit stimuliert werden – dass eine bewusste Wahrnehmung entstehen kann, die wir als Tagtraum oder als Heureka-/Geistesblitz-Erlebnis kennen.
    Es kann aber auch passieren, dass der Aktivitätszustand von Neuronen verringert werden kann.

    Kurz gesagt: Informationen welche das Gehirn verarbeitet hat – bevor wir uns entspannt ausruhen – können verstärkt werden oder aus der Wahrnehmung verschwinden.

    (Dass sich neuronale Aktivitätswellen über den Cortex bewegen, ist ein Mechanismus mit dem das Gehirn die Neuronen ´trainiert´ und so deren Funktion aufrecht erhält.)

  4. @KRichard,

    das DMN kann auch auf Stimuli signifikant reagieren bzw. seine Dynamik verändern (beispielsweise an Stimuli anpassen). Das hat man aber erst später realisiert, also nach den Befunden von Raichle et al. (2001).

    Ob das DMN signifikant messbar auf Stimuli reagiert kommt auf mehrere Faktoren an: beispielsweise auf die Art des Stimulus. Das DMN besitzt verglichen zu peripheren Arealen, wie z.B. V1 oder A1, stärkere langsame Frequenzen und schwächere schnellere. D.h. es ist für die Integration von Stimuli über die Zeit geeignet. So zeigte sich z.B. in späteren Studien dass das DMN während memory tasks “anspringen” kann, also nicht nur auf den task-free resting-state bezogen ist.

    Ein anderer Faktor auf den es ankommt ist schlichtweg was gemessen wird. Bei Variable A sieht man vielleicht keine Veränderung im DMN, bei Variable B schon.

    Dass die Relevanz des resting-state bzw. der Spontanaktivität aber immer noch nicht ausreichend anerkannt wird sieht man z.B. daran dass fast alle neurowissenschaftlichen Bewusstseinstheorien sich nach wie vor primär auf stimulus-induzierte Aktivität beziehen, beispielsweise IIT oder GNWT.
    Beispielsweise die predictive coding Theory von Karl Friston bezieht immerhin den Unterschied bzw. die Differenz zwischen pre- und post-stimulus Aktivität ein (mit pre-stimulus ist hier der resting-state bzw. die laufende Spontanaktivität gemeint; mit post-stimulus die Aktivität jene durch den Task oder Stimulus induziert wird).
    Es gibt noch weitere neurowissenschaftliche Bewusstseinstheorien die den resting-state aktiv miteinbeziehen, aber diese werden im Mainstream eher nicht richtig ernst genommen.

  5. Was tut unser Hirn, was tut unser Herz, was tut unser Kreislauf wenn wir schlafen?
    Sie laufen weiter.

    Wir atmen die Luft ein, die andere Lebewesen ausgeatmet haben.
    Wir verarbeiten Kohlenwasserstoffe, die andere Lebewesen produziert haben.
    Wir befinden uns in einem Kreislauf. Unsere Organe nehmen auf und geben ab.

    Jetzt nehmen wir an, dass sich Gedanken genauso in einem Kreislauf befinden. Wir erzeugen Gedanken , wir strahlen Gedanken ab und wir nehmen Gedanken auf.
    Wir leben nicht nur in einem Luftmeer , wir leben auch in einem Gedankenmeer.

    Was tut jetzt das Gehirn, das wurde hier gefragt ?
    Nach dem Informatikmodell ordnet das Gehirn die Gedanken nach wichtig und unwichtig, temporär und langzeitig, diesen Modus nennen wir Schlaf.

    Und wenn wir jetzt noch herausfinden nach welchem “Code” Gedanken gespeichert werden, dann sind wir einen Schritt weiter.

  6. Zu K. Richard
    “Null-Linie”
    Ich denke das ist dann gleichzusetzen mit dem Tod denn es gibt in diesem System keine Null- Linie da wir nie ohne Gedanken sind. Per Achtsamkeitsmeditation sehen sie ein permanentes Kommen und Gehen von Gedanken die wiederum Ausdruck einer unterbewusst ablaufenden Aktivität sind. Daher ist der Begriff “RUHE” nur ein vom Verstand gebrauchte Einordnung eines psychischen Zustandes den man im übrigen schon in den Religionen anstrebte und FRIEDEN nannte: “Friede sei mit dir…”,Shalom etc…Was oben in dem Beitrag angedeutet wird als “Ruhe” ist quasi nur eine Art Verdrängung, ein Gemütszustand, in dem der Verstand die neuronalen Aktivitäten selbst beobachten kann -wenn er s kann. Die Gedanken aus dem Unterbewusstsein kann er nicht abstellen, also hat er auch nie wirklich “RUHE”. Hirnaktivität ist dann also auch Ausdruck der Gedankenaktivität und nicht umgekehrt.

  7. @Golzower: “Ich denke das ist dann gleichzusetzen mit dem Tod denn es gibt in diesem System keine Null- Linie da wir nie ohne Gedanken sind.”

    Ja, jedenfalls bis zum absoluten Tod (die “Gnade Gottes”), wenn wir als ganzheitlich-ebenbildliches Wesen Mensch, die Vorgaben (Vernunftbegabung/Vorsehung, usw.) nicht wirklich-wahrhaftig entsprechend in Kommunikation/Bewusstsein umsetzen/überwinden können.
    👋😇

  8. Das Hirn / Teil der “grauen Masse” des holographischen Universums, ist nur der Transformator / die Schnittstelle / das Interface, für die Kraft des Geistes der/die/das Gott/Vernunft/Zentralbewusstsein ist, bzw. für die volle imaginative Kraft, wenn ganzheitlich-ebenbildliches Wesen Mensch …!?
    👋😇

  9. @Philipp
    Unser Gehirn hat immer eine Eigenaktivität. Was dabei passiert ist aber variabel, wie man am Beispiel ´priming´ sehen kann:
    priming: Der Zustand eines Neurons BEVOR es ein Signal verarbeitet, bestimmt wie dann auf dieses neue Signal reagiert wird.D.h. ein identisches Signal kann zu völlig verschiedenen Ergebnissen führen.
    Auch dies erklärt, warum das DMN unterschiedliche Reaktionen zeigt.

    Die ´predictive coding´-Theorie von Karl Friston beschreibt die wichtigste Überlebensstrategie unseres Gehirn: Immer wenn wir einen neuen Reiz (eine neue Situation, einen neuen Gedanken) wahrnehmen – dann reaktiviert unser Gehirn sofort eine vergleichbare/identische Erfahrung*) aus unserem Gedächtnis.
    Diese Arbeitsweise ermöglicht uns, sofort+schnellstens zu reagieren.
    ( *) Eine ERFAHRUNG besteht in unterschiedlichen Anteilen vernetzt aus den Komponenten a) Faktenwissen, b) Körper-Reaktion, c) Sinnes-Reaktion, d) Immunsystem-Reaktion und e) Emotionen)

    Wenn das Gehirn aber keine vergleichbare Aktivität im Gedächtnis findet – dann kann es passieren, dass es sich so intensiv auf die Suche nach einer passenden Handlungsanweisung konzentriert, dass man nun bewusst wahrnehmen kann, wie es arbeitet und das Gedächtnis durchsucht.
    Dieser Vorgang ist der bewussten Wahrnehmung zugänglich – z.B in Form der sogenannten ´Nahtod-Erfahrung´(NTE). Eine NTE ist ein einfacher Erinnerungsvorgang, bei dem man bewusst wahrnehmen kann, wie das Gehirn einen einzelnen Reiz/Gedanken systematisch und strukturiert verarbeitet.
    Dabei sind zwei Strategien erkennbar:
    A) Es REAKTIVIERT Gedächtnisinhalte in hierarchischer Reihenfolge
    a) vom 5. Schwangerschaftsmonat AUF-steigend, bis zum aktuellen Alter (das wäre das Episodische Gedächtnis) – oder
    b) vom aktuellen Alter ab AB-steigend bis zum 2.-4. Lebensjahr – das wäre das Autobiographische Gedächtnis
    B) es erstellt eine virtuelle Simulation der aktuellen Situation = die sogenannte ´Außerkörperliche Erfahrung´.
    Wenn sich das Gehirn einem anderen Reiz zuwendet – ist die NTE vorbei.

    Kurz gesagt: bei einer NTE kann man die predictive coding Arbeitsweise des Gehirn bewusst erleben.
    ABER: Obwohl die Arbeitsweise des Gehirns bei NTEs bewusst erlebbar ist, werden NTEs von der Gehirnforschung immer noch ignoriert. Dies ist ein wichtiger Grund, warum man man in der Kognitionswissenschaft immer noch große Erklärungsprobleme zur Arbeitsweise des Gehirns hat.
    (Hinweise: mit dem Fachbegriff ´state dependent retrieval /zustandsabhängiges Erinnern´ kann man erklären – wie ALTE Erfahrungen beim Reaktiveren/Erinnern in NEUES Wissen umgewandelt werden.
    Buchquelle mit kompletten NTE-Erklärungsmodell:
    Kinseher Richard: Pfusch, Betrug, Nahtod-Erfahrung )

  10. @ Philipp 23.09.2023, 09:04 Uhr

    Zitat: „Dass die Relevanz des resting-state bzw. der Spontanaktivität aber immer noch nicht ausreichend anerkannt wird sieht man z.B. daran dass fast alle neurowissenschaftlichen Bewusstseinstheorien sich nach wie vor primär auf stimulus-induzierte Aktivität beziehen, beispielsweise IIT oder GNWT.“

    Dass es sich so verhält wie Sie vermuten, kann ich nachvollziehen, weil man eher die Verarbeitung der „Nutzsignale“ im Auge hat, wenn es ums Bewusstsein geht.

    Allerdings müssen die Nutzsignale sinnvoll durch das System „verschoben“ werden und auch dafür muss sich ein lernfähiges Netzwerk bilden. Man „lernt“ nicht nur am Input, sondern auch an der Verarbeitung.

    Wenn kein korrekter Input anliegt, z.B. im Schlaf, können willkürliche Signalkaskaden Traumerlebnisse im „Hirnkino“ auslösen.

    Ich gehe davon aus, dass Empfindungen z.B. an hautartigen Strukturen und im Bereich von sensorischen Zellen (die Impulse aussenden) auftreten. Dasjenige was man als “Hirnkino“ bezeichnen könnte, dürfte auf flachen hautartigen Strukturen im Gehirn realisiert werden. Dadurch werden informelle Beziehungen abgebildet.

    „Komplexe Gefühlswahrnehmungen“ werden eher räumlich auf den stützenden Gliazellverbänden realisiert. „Eingeschaltet“ werden sie sozusagen von aktiven Neuronen/Synapsen.

    Das ganz große Problem besteht darin, genau an den „erregten“ Strukturen biologische Prozesse die Empfindungen realisieren könnten zu analysieren. Das kann zunächst noch einfacher sein, wenn man z.B. an einer Einstichstelle analysiert.

    Vielleicht können Physiker/Chemiker eine Systematik erkennen, die möglichst eindeutig mit Empfindungen korrelieren.

    Dadurch bekäme man eine Chance, Probleme die wesentlich auf Empfindungen beruhen, ernsthaft in den Griff zu bekommen.

  11. @KRichard:

    … ein identisches Signal kann zu völlig verschiedenen Ergebnissen führen.
    Auch dies erklärt, warum das DMN unterschiedliche Reaktionen zeigt.

    Genau das war mein Punkt. Also volle Übereinstimmung mit Ihnen. Das Gehirn ist eben keine passive Input-Verarbeitung-Output Maschine, quasi im Sinne David Humes.

    Sondern jeder Input muss in die laufenende Spontaktivität (den “resting-state”) integriert werden, beispielsweise damit sie bewusst wird. Also eher im Sinne Kants; d.h. es gibt ein a priori dass das a posteriori mitbestimmt.

    Shulman, Raichle etc. haben in PET Studien gezeigt dass die Eigenaktivität ca. 90-95% des Metabolismus des Gehirns ausmacht. Extrinsische Stimuli benötigen nur einen Bruchteil der Energie. Deshalb muss man ohnehin die Eigenaktivität des Gehirns analysieren (und wie diese mit Umweltstimuli interagiert) um besser zu verstehen wie das Gehirn funktioniert.

    Der Begriff “resting-state” bzw. Ruhezustand ist natürlich phänomenologisch irreführend, da dass Gehirn niemals “at rest” ist. Er bezieht sich nur operational auf einen task-free state in dem Personen einfach ruhig im Scanner liegen sollen, eventuell auf ein Fadenkreuz schauen (um einschlafen zu verhindern) und dabei an möglichst nicht spezifisches denken sollen. Man hätte diesen Zustand vielleicht einfach “task-free” statt “resting-state” nennen sollen.

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