Blackouts durch Alkohol: warum weiß ich nichts mehr von gestern? 

Gleißendes Licht, pochende Kopfschmerzen und brennende Übelkeit. Das ist im Grunde alles, was mir von gestern geblieben ist. Vage habe ich noch im Kopf, dass ich zu einer Hausparty von einer Kommilitonin eingeladen war, ich weiß auch noch, dass ich mich vorher mit Freunden zum Vorglühen getroffen habe. Allerdings kann ich mich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern, ob ich dann tatsächlich noch auf der Party gewesen bin. Dieser verfluchte Alkohol! Dabei hatte ich gar nicht so viel getrunken, zumindest nicht, soweit ich mich erinnern kann. 

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Aber genau da liegt ja auch mein Problem: ich kann mich kaum noch an gestern erinnern! Hier und da habe ich noch lose Fetzen an Gedanken von gestern im Kopf. Aber die Gespräche, die ich geführt habe, die Musik, die lief und auch die Dinge, die ich getan habe, sind völlig weg. Ich kann mich an große Teile des gestrigen Abends nicht mehr erinnern. Glücklicherweise habe ich Freunde, die ich anrufen und fragen kann, was gestern passiert ist. Sie erzählen mir, dass ich schon vor dem Abendessen mit ihnen ein Weinchen getrunken und dann gleich ganz aufs Essen verzichtet habe. Alkohol auf leeren Magen- wie außerordentlich blöd von mir. Dabei weiß ich es doch eigentlich besser. 

Was ist die Ursache für das Fehlen meiner Erinnerung an gestern?

Das, was mir passiert ist, ist auch schon vielen Menschen vor mir passiert. Ist sogar relativ bekannt unter Studenten und -wie ich jetzt bei meiner Recherche herausgefunden habe- in der Forschung. Der Name dieses Phänomens ist Alcohol Induced Blackout (AIB). Man unterscheidet zwischen zwei Arten von Blackouts. Es gibt die fragmentierten Blackouts, hierbei können sich die Betroffenen noch an einige Teile der Situation erinnern. Häufig fällt ihnen auch erst auf, dass Teile fehlen, wenn jemand sie darauf hinweist. Außerdem besteht die Möglichkeit, dass sie sich an das Geschehene wieder erinnern können, wenn jemand ihnen davon berichtet. Neben den fragmentierten Blackouts gibt es noch die en bloc Blackouts. Hierbei sind ganze Zeitfenster einfach verschwunden und kein Fetzen der Erinnerung mehr vorhanden. Diese Form ist viel seltener als die Erste, dafür aber umso drastischer. 

Grund für diese Blackouts ist, dass durch Alkohol die Übertragung von Informationen aus dem Kurzzeitgedächtnis in das Langzeitgedächtnis gehemmt wird. Ich war also gestern noch in der Lage Gespräche zu führen und mich in der Situation selbst noch daran zu erinnern, was ich als Letztes gesagt habe und auch worauf ich jetzt gerade antworten möchte. Aber heute weiß ich nicht einmal mehr, dass ein Gespräch stattgefunden hat. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass sich die Verarbeitung von Erinnerungen, das Kurzzeitgedächtnis und das Langzeitgedächtnis an jeweils unterschiedlichen Orten befinden. Es ist also möglich nur einem dieser Orte im Gehirn zu schaden, während die anderen völlig intakt bleiben. Und das ist anscheinend, was der Alkohol von gestern bei mir gemacht hat. 

Wo in meinem Gehirn befindet sich das Kurzzeit- und das Langzeitgedächtnis

Bilde selbst gemalt

Dazu haben Christine Smith und Larry Squire von der University of California eine Studie durchgeführt, in der sie 160 Probanden zu den Nachrichten der letzten 30 Jahre befragt und die Hirnaktivität gemessen haben (Stangl, 2023). Dabei wurde bei näher gelegenen Erinnerungen vor allem der Hippocampus aktiviert, aber je länger die Nachricht und die damit verbundene Erinnerung in der Vergangenheit lag, desto weniger wurde dabei der Hippocampus noch gebraucht. Viel eher wurde bei alten Erinnerungen die Hirnrinde verwendet. Demnach wird das Erlebte im Hippocampus verarbeitet und in eine Erinnerung umgewandelt, die im Langzeitgedächtnis gelagert werden kann. Dieser Lagerplatz ist die Hirnrinde. 

Wie wahrscheinlich das Übertragen einer Information vom Kurzzeitgedächtnis ins Langzeitgedächtnis ist, liegt an mehreren Faktoren. Zum einen spielen die Reize eine Rolle. Handelt es sich um einen Reiz, der über die Augen ins Gehirn gelangt ist, scheint die Erinnerungsfähigkeit besser zu sein als bei einem rein auditiven Reiz. Und je mehr Reize gleichzeitig am Aufnehmen der Information beteiligt sind, desto leichter fällt das spätere Erinnern daran. Ein weiterer Faktor ist die Übung. Wird eine Information häufig wiederholt, abgefragt und angewendet, dann ist die Wahrscheinlichkeit einer Speicherung im Langzeitgedächtnis deutlich höher.

Wie kann Alkohol diesem Zusammenspiel von Kurz- und Langzeitgedächtnis schaden? 

Im Hippocampus liegt die Pyramidenbahn, deren Aufgabe es ist den Hippocampus mit anderen Gebieten des Gehirns zu verbinden. Also die Informationen weiterzuleiten. Alkohol schadet den CA1 pyramidal Zellen und verhindert so die Kommunikation mit den anderen Bereichen des Gehirns. Die Informationen werden eben nicht mehr vom Kurzzeitgedächtnis ins Langzeitgedächtnis überliefert. Das ist natürlich nicht der einzige Weg, auf dem der Alkohol unserem Gedächtnis schaden kann, sondern er beeinflusst auch die Funktion einiger Rezeptoren an den Synapsen, den Nervenverbindungen. Vor allem beeinträchtigt werden die NMDA-Rezeptoren, welche an der long term potentiation (LTP) beteiligt sind. LTP ist die Fähigkeit von Zellen auf Signale anderer Zellen verstärkt zu reagieren, und zwar langanhaltend. Bestimmte Verbindungen sollten also verstärkt funktionieren, tun das aber unter Einfluss von Alkohol eben nicht mehr. Am besten untersucht ist LTP an den Pyramidenbahnen und -wer hätte es gedacht- spezifisch an den CA1 Zellen. Man hat herausgefunden, dass Alkohol die NMDA-Rezeptoren der CA1 Zellen hemmt und dadurch die Sendungsverstärkung an genau den Zellen, die den Hippocampus mit dem Rest vom Gehirn verbinden beeinträchtigt. 

Was bedeutet das jetzt für mich und alle anderen Liebhaber eines Gläschens schönen Weines?

Erfahrungsgemäß ist bekannt, dass nicht jeder Konsum von Alkohol direkt zu einem Blackout führen wird. Wäre das der Fall würde kaum ein Student seinen Abschluss schaffen. Und es sind nicht nur Studenten, die Alkohol trinken. Gerade in Deutschland ist die Kultur des Feierabend-Biers oder des kleinen Gläschen Weins zum Abendessen sehr bekannt und beliebt. Es müssen also mehr Faktoren mit hineinspielen als der bloße Konsum. Es wurde beobachtet (Lee H, Roh S, Kim DJ.,2009), dass die Geschwindigkeit, in der der Blutalkoholspiegel steigt wohl den größten Einfluss ausübt. Je schneller der Blutalkoholwert steigt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit ein Blackout zu erleiden. Trinken auf leeren Magen und das „exen“ von Getränken führen also eher zum Vergessen der letzten Nacht als bloß wirklich viel zu trinken. Deswegen kann ich mich auch nicht an gestern erinnern, obwohl ich verhältnismäßig wenig getrunken habe, denn ich habe eben vorher nichts gegessen und dann dadurch meinen Blutalkoholspiegel schlagartig in die Höhe getrieben. 

Was kann man aus Alledem schlussfolgern?

Am Beispiel des Alkohol Induced Blackouts kann man sehen, dass die Umformung der Informationen in Erinnerungen an einem anderen Ort stattfindet als die finale Speicherung. Alkohol schadet der Überlieferung der Erinnerungen in den Speicherort. Vom Kurzzeitgedächtnis gelangt nichts mehr, oder nur wenig ins Langzeitgedächtnis. Die spezifischen Zellen, die geschadet werden, sind die CA1 Pyramidalzellen. Sie wären für die Kommunikation zwischen Kurzzeitgedächtnis und Langzeitgedächtnis verantwortlich, können aber unter Alkoholeinfluss ihre Aufgabe nur eher schlecht als recht erledigen. Das alles bedeutet jedoch nicht, dass man zwangsläufig nie wieder Alkohol trinken darf, wenn man seine Erinnerungen an den Abend speichern will. Viel eher ist ein sinnvoller und bedachter Umgang mit Alkohol die Lösung, denn die Geschwindigkeit des Anstiegs vom Blutalkoholspiegels ist der entscheidende Faktor und nicht die Menge. 

Long story short; Alkohol ist eine Droge, die dem Körper an vielen Stellen schadet, so eben auch im Gehirn. Aber wie so häufig gilt auch hier: die Dosis macht das Gift. Trinkt also vorsichtig und passt auf Euch auf!

Wenn Euch das Thema interessiert, schaut gerne bei den Beiträgen meiner Kollegen vorbei: Schlaflos durch die Nacht und Sucht – alle Macht den Drogen

Literaturverzeichnis

Lee, H., Roh, S. & Kim, D. (2009). Alcohol-Induced Blackout. International Journal of Environmental Research and Public Health, 6(11), 2783–2792. https://doi.org/10.3390/ijerph6112783

Stangl, W. (o. D.). Arbeitsteilung des Gehirns: Erinnerungen sind berall. https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/GEHIRN/Gehirn-Arbeitsteilung.shtml

Wetherill, R. R. & Fromme, K. (2016). Alcohol-Induced Blackouts: A Review of Recent Clinical Research with Practical Implications and Recommendations for Future Studies. Alcoholism: Clinical and Experimental Research, 40(5), 922–935. https://doi.org/10.1111/acer.13051

White, A. M. (2003). What Happened? Alcohol, Memory Blackouts, and the Brain. PubMed Central (PMC). https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6668891/

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Veröffentlicht von

Leah Wildenmann studiert seit 2021 Biologie in Freiburg. Sie ist noch am Anfang und hat dadurch eine sehr frische und unerfahrene Sicht auf das Thema des Gehirns. In ihrem nächsten Semester hat sie Zusatzfächer rund um Neurobiologie gewählt und freut sich schon ihr Gelerntes mit anderen Interessierten zu teilen. Besonders spannend findet sie, die Möglichkeit Emotionen durch gezielte Stimulation von Nerven auszulösen. Außerdem fände sie es superspannend, sich dem neurobiologischen Teil der Bewusstseinsforschung zu widmen.

7 Kommentare

  1. Vielen Dank dafür. Das gehört definitiv in den Bereich ‘was ich schon immer mal wissen wollte’, mich nach der Party aber vergessen habe zu fragen.

  2. Interessanter Artikel, danke.

    Ich habe früher hin und wieder mal zu viel getrunken, auch in den Bereich der Alkoholvergiftung. Anders als einige Freunde hatte ich aber nie Blackouts. Das ist übrigens nicht nur angenehm: An manche Dinge würde man sich vielleicht lieber nicht erinnern (z.B. Übelkeit, Peinlichkeiten). Insofern gehe ich davon aus, dass hier Persönlichkeitsfaktoren auch eine Rolle spielen.

    Mich würde schon interessieren, inwiefern hier wirklich toxische Mengen bei den Nervenzellen ankommen, die fürs Gedächtnis wichtig sind. Und wie will man das im lebenden Menschen messen?

    P.S. Schöne Zeichnung. 😉

    • Ganz genau, Zustimmung, interessanter Artikel und zu sog. Blackouts sollte es beim Alkoholverzehr möglichst selten oder am besten nie kommen.
      Sehr nett waren die Erklärungen, wie es zu diesen sog. Blackouts kommen könnte oder müsste.
      Sicherlich trinken einige Personen irgendwann nicht mehr weiter, insbes. wenn sich Übelkeit einstellt, andere schon.
      Mit freundlichen Grüßen
      Dr. W

  3. Klingt vely folgerichtig, vielen Dank für diese Nachricht mit wissenschaftlicher Betrachtung wie Einordnung.
    Hierzu vielleicht noch kurz : ‘Der Name dieses Phänomens ist Alcohol Induced Blackout (AIB). ‘
    Und dazu sollte es aus diesseitiger Sicht nur ganz eingeschränkt (“extrem selten” – sozusagen) kommen, denn das Langzeitgedächtnis will auch in trinkfreudiger Runde bedient werden, auch damit Verantwortung für das übernommen werden kann, teilweise, hüstel, was in alkoholisiertem Zustand gesagt und getan worden ist.
    Auch um dem Alkoholismus [1] vorzubeugen natürlich, denn “Filmrisse”, so wird dies landläufig genannt, sollten also gleich aus mehreren Gründen nicht vorkommen, wenn Alkohol verzehrt wird.
    Gerade auch die Damenwelt meinend.
    Für mehrfach und sich verstärkende “Filmrisse” gibt es auch das Wort “Delirium”.
    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Webbaer
    [1]
    Alkoholismus trifft einige “User”-Gruppen, womöglich ist hier auch Erblichkeit im Spiel, besonders, vor ihm ist dringend zu warnen – und der Schreiber dieser Zeilen versteht die dankenswerterweise hier bereit gestellte Nachricht auch so.
    Danke dafür.

  4. @Stephan Schleim, (@Leah Wildenmann)
    Und wie will man das im lebenden Menschen messen?

    “Mithilfe der Diffusions-Tensor-Bildgebung, einer Variante der Magnetresonanz-Tomographie,” (Quelle: link unten)

    Die Frage mich an etwas erinnert, das einem alkoholkranken Bekannten von mir passierte und Google spuckte folgendes aus: https://www.wissenschaft.de/gesundheit-medizin/alkohol-veraendert-zellzwischenraeume-im-gehirn/

    Er hatte damals einen Unfall mit seinem Moped, (hatte enormes Glück, dass hinter ihm ein Sanitäter fuhr und ihm den Helm sachgerecht entfernen konnte) und im Krankenhaus teilte ihm ein Arzt mit, dass der Schaden auf sein Hirn “gering” sei weil er sich durch sein Saufen bereits soviel plattgemacht habe, dass die vergrößerten Ventrikel abpuffern konnten, was ansonsten beim Unfall geschädigt worden wäre.

    Ich schüttle heute noch den Kopf über diese Aussage, obwohl die Sache mit dem “vergrößerten Volumen der Hohlräume” wohl stimmt.

    (Und der Artikel nicht über Veränderungen der Ventrikel, sondern der Extrazellulären Zwischenräume ist.
    Sich somit auch nicht direkt auf das Gedächtnis bezieht – aber darauf, was man, subjektiv, überhaupt als “wichtig” einstuft.)

  5. Zu ihren Symptomen:
    Gleißendes Licht scheint mir eine Über-Reizung des Nervensystems zu sein. Alkohol /Drogen führen zu einem vermehrten Ausstoß von Dopamin. Dieser Botenstoff macht sie wacher und erregter und führt bei einer Überproduktion zu einer Reizüberflutung. Diese Überflutung kann das Gehirn dann nicht mehr verarbeiten und schafft Wahnvorstellungen wie zum Bsp. gleißendes LIcht und ihren “Filmriss” denn Reize können nicht mehr zugeordnet werden. Dann kommt auch noch die vom Alkohol erzeugte Müdigkeit hinzu und der Körper will nur noch Schlaf. Mit einem überreizten Nervensystem (Dopaminrausch) können sie
    kein Langzeitgedächtnis aufbauen da der Hippocampus wahrscheinlich Erlebtes und Erinnerungen nicht mehr zuordnen kann. Man sollt sich wahrscheinlich nur über diesen “schönen” Rauschzustand freuen der die Alltagsprobleme ,zumindestens zeitweise, verdrängt. Sauforgien wie am Ballermann sind so alt wie die Menschheit ,siehe die alten Germanen, Römer oder Wikinger. Man sucht halt das schöne Gefühl…

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