Liebe*r Leser*in, die Sensation blieb aus

Lange war auf diesen Seiten von mir nichts Neues zu lesen – und dafür gab es einen guten Grund. Zum 1. August habe ich die Universität Gießen verlassen, um die Leitung des Instituts für Deutsche Sprache (IDS) in Mannheim zu übernehmen, verbunden mit einer Professur an der Universität Mannheim. Das IDS ist mit seinen etwa 160 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein sehr großes sprachwissenschaftliches Forschungszentrum und Mitgliedseinrichtung der Leibniz-Gemeinschaft, und dementsprechend viel gab und gibt es für mich bei dieser neuen Aufgabe zu tun und zu lernen. Die “Engelbart-Galaxis” hatte das Nachsehen.

Zur Tätigkeit eines IDS-Direktors gehören qua Amt auch Aufgaben in einigen ganz unterschiedlichen Wissenschaftsbereichen, durch die man einen ziemlich genauen Einblick in die inneren Mechanismen der jeweiligen Institutionen gewinnt. Dies ist etwa die Mitgliedschaft in Gremien der Leibniz-Gemeinschaft, zu der immerhin 93 gemeinsam von Bund und Ländern finanzierte Forschungsinstitutionen gehören, vom Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung über das Deutsche Museum in München bis hin eben zum IDS. Auch beim Goethe-Institut und beim Deutschen Akademischen Austauschdienst wird die Mitarbeit in Beiräten erwartet. Ganz besonders interessant ist jedoch die Mitgliedschaft im Rat für deutsche Rechtschreibung. Meine erste Sitzung liegt gerade hinter mir.

Der Rat für deutsche Rechtschreibung ist dafür zuständig, die Einheitlichkeit von Orthografie und Zeichensetzung in den sieben Ländern oder Regionen, in denen das Deutsche Amtssprache ist, zu gewährleisten. Dies sind neben Deutschland, Österreich und der Schweiz die deutschsprachige Gemeinschaft Belgiens, Luxemburg, Liechtenstein und die autonome Region Bozen/Südtirol. Nachdem 1996 in allen diesen Ländern eine große Rechtschreibreform auf den Weg gebracht worden war, die vielleicht etwas zu “wissenschaftlich” angelegt war und deshalb zu heftigen Kontroversen führte, wurde 2004 dauerhaft der Rechtschreibrat ins Leben gerufen, der als Erstes die Reform überarbeitete. Der Rat setzt sich aus 41 Personen zusammen, die beruflich mit Sprache, sprachlicher Bildung oder Sprachvermittlung zu tun haben und nur zu einem geringeren Teil aus der Wissenschaft kommen. Die Empfehlungen des Rechtschreibrats müssen von den staatlichen Stellen der sieben Länder offiziell umgesetzt werden, selbst entscheiden kann der Rat formell nichts.

Der Rechtschreibrat arbeitet empirisch

Der Rat tagt zweimal im Jahr und diskutiert dabei Vorlagen, die von Arbeitsgruppen vorgelegt werden. Empirie ist dabei das Prinzip: Eine wissenschaftliche Beobachtung des realen Schreibgebrauchs bildet die Grundlage für die konkreten Empfehlungen, die zu Fragen von Orthografie und Interpunktion verabschiedet werden. Der Schreibgebrauch wird durch korpuslinguistische Analysen ermittelt, die am IDS durchgeführt werden. Dies ist auch einer der Gründe dafür, warum die Geschäftsstelle des Rats mit zwei wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen am IDS angesiedelt ist. Einfach etwas zu empfehlen, weil man es sich vielleicht so wünscht, funktioniert mit dem Rechtschreibrat also nicht.

Worum es im Rechtschreibrat eigentlich geht, konnte ich gleich bei meiner ersten Sitzung am 16. November erleben. Dort wurde nämlich über den Gender-Stern und die Frage debattiert, ob dieser in das Regelsystem der deutschen Rechtschreibung aufgenommen werden soll. Die Frage war aufgekommen, nachdem sowohl das deutsche als auch das österreichische Verfassungsgericht die Möglichkeit der Kennzeichnung von Intersexualität im Geburtenregister eingefordert hatten. In Deutschland wurde daraufhin ein Gesetz verabschiedet, durch das neben den Bezeichnungen “männlich” und “weiblich” auch “divers” vorgesehen ist. Dies wiederum führte zu Anfragen von Verwaltungseinrichtungen, wie denn zukünftig diese geschlechtliche Vielfalt sprachlich zum Ausdruck gebracht werden soll und ob dafür insbesondere der Gender-Stern vorgesehen werden könnte.

Um das überhaupt entscheiden zu können, waren im Vorfeld der Ratssitzung Textkorpora daraufhin untersucht worden, wie oft und mit welcher zeitlichen Entwicklung sich dort Gender-Stern (“Wähler*in”), Gender-Gap (“Wähler_in”) und andere Formen (etwa “Wähler/-in” oder “Wähler/in”) finden lassen. Das zu untersuchen ist allerdings nicht ganz so einfach, wie es auf den ersten Blick erscheint. Die verfügbaren Korpora enthalten überwiegend journalistische Texte, und in diesen werden geschlechtergerechte Schreibweisen kaum verwendet. Verwaltungstexte, Social-Media-Texte oder wirklich individuelle Texte wie berufliche Emails sind dagegen nur sehr schwer in ausreichender Menge erhältlich und in Korpora zu erfassen. Zudem dürfte sich die Entwicklung aufgrund der Gerichtsentscheidungen erst in letzter Zeit beschleunigt haben.

Der Trend ist da – allerdings nicht überall

Trotzdem lässt sich ein Anstieg gerade des Gender-Sterns, wenn auch auf recht geringem Niveau, tatsächlich verzeichnen. In Korpora des österreichischen Deutsch hingegen ist dieser Trend bislang kaum zu erkennen, was deutlich macht, dass sich die Entwicklung in den verschiedenen deutschsprachigen Regionen (und das kann man wohl auch für Regionen innerhalb Deutschlands sagen) unterschiedlich darstellt. Der Rat hat deshalb nach intensiver Diskussion befunden, dass das Anliegen der sprachlichen Kennzeichnung geschlechtlicher Diversität als solches wichtig und ein potentielles Gebiet orthografischer Neuerungen darstellt. Die Entwicklungen sind allerdings noch zu sehr im Fluss, als dass man sie durch eine offizielle Empfehlung bereits jetzt fixieren möchte. Diese Stellungnahme wurde – und das ist keine Selbstverständlichkeit – einstimmig getroffen.

Die Medien hatten im Vorfeld der Sitzung großes Interesse gezeigt, stand für diese doch die  Einführung des Gender-Sterns in die offiziellen Rechtschreibregeln unmittelbar bevor. Die Sensation blieb aus, zumal es für den Rat selbst allenfalls um eine Tolerierung gegangen wäre. Weil aber die Datenlage zur tatsächlichen Verwendung des Gender-Sterns auch dies noch nicht hergeben und sich überdies die Verwendung noch so unterschiedlich verteilt im deutschsprachigen Raum, wollte der Rat die Entwicklung erst noch weiter beobachten und nicht etwa durch eine verfrühte Regelung beeinflussen. Eine weitere Beobachtung der Entwicklung findet statt und kann dazu führen, dass das Thema in einigen Jahren erneut vom Rechtschreibrat aufgegriffen wird. Dies ist in meinen Augen eine vernünftige Lösung, der ich auch zugestimmt habe.

Beitragsbild: Das Gebäude des Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim. Bildquelle: IDS.

 

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Henning Lobin ist seit 2018 Direktor des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim (Mitglied der gemeinsam vom Bund und allen 16 Bundesländern finanzierten Leibniz-Gemeinschaft) und Professor für Germanistische Linguistik an der dortigen Universität. Zuvor war er ab 1999 Professor für Angewandte Sprachwissenschaft und Computerlinguistik an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Seine Forschungsschwerpunkte bilden die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Sprache, Texttechnologie, Grammatik, Wissenschaftskommunikation und Politolinguistik. Er ist Sprecher der Sektion "Geisteswissenschaften und Bildungsforschung" und Präsidiumsmitglied der Leibniz-Gemeinschaft, Mitglied germanistischer Fachbeiräte ua. von DAAD und Goethe-Institut, er war Mitglied des Forschungsbeirats der Stiftung Wissenschaft und Politik und des Fachkollegiums Sprachwissenschaft der DFG. Lobin ist Autor von neun Monografien und hat zahlreiche Sammelbände herausgegeben. Zuletzt erschienen sind Engelbarts Traum (Campus, 2014, polnische Übersetzung 2017, chinesische Übersetzung 2018), Digital und vernetzt. Das neue Bild der Sprache (Metzler, 2018) und Sprachkampf (Duden, 2021). Bei den SciLogs ist Henning Lobin seit 2014 Autor des Blogs "Die Engelbart-Galaxis", nachdem er dort bereits ab 2008 am Gruppenblog "Interactive Science" beteiligt war.

19 Kommentare

  1. Herzlichen Glückwunsch erst einmal zur Institutsleitung und der Professur! Schön, dass Sie trotzdem noch die Zeit finden, hier ab und zu zu schreiben.

    Ich habe bisher, wenn ich inklusiv schreiben oder sprechen wollten, bisher immer nur Kritik erfahren, nie Lob; darum habe ich es wieder sein lassen. Wenn ich in Journalistischen Texten darauf stoße, dann stört es mich auch meistens erst einmal. Vielleicht wird das in fünf oder zehn Jahren wieder anders sein…

    Eine Anmerkung noch zum Urteil des Bundesverfassungsgericht zur Intersexualität, worüber ich im Blog nebenan ja auch geschrieben habe:

    Ganz korrekt ist das nicht, was Sie schreiben. Eine Möglichkeit wäre es nämlich auch gewesen, die Geschlechtsangaben für Frauen und Männer aus dem Register zu löschen. Auch dann hätte es für Intersexuelle keine Diskriminierung mehr gegeben.

    • Lieber Scilogs-Kollege Stephan Schleim, vielen Dank für die Glückwünsche! Und vielen Dank auch für den Hinweis und den Link auf Ihren Beitrag. In der Tat ist die Nicht-Nennung auch eine logische Möglichkeit im rechtlichen Sinne, und in der Sprache ist diese Möglichkeit prinzipiell auch gegeben, wenn man sich Formen überlegt, die nicht auch zugleich für die Kennzeichnung des Maskulinums herangezogen werden können.

  2. Empirie ist dabei das Prinzip: Eine wissenschaftliche Beobachtung des realen Schreibgebrauchs bildet die Grundlage für die konkreten Empfehlungen, die zu Fragen von Orthografie und Interpunktion verabschiedet werden. [Artikeltext]

    Heißt wohl, wenn sich hinreichend viele finden, die bspw. Überschriften wie im hier dankenswerterweise bereit gestellten Bericht verwenden, das sog. Gendersternchen kommen wird, nur noch nicht jetzt.
    Sprache wird zwar nicht dadurch richtig, wenn die Menge sie falsch verwendet, aber so ist wohl das linguistische Leben.
    Dr. W findet die Sexualisierung der deutschen Sprache, nichts anderes liegt vor, wenn die Generischen Genera aufgegeben werden, nicht so gut, ist abär dankbar, dass es viele Sprachen gibt, die kaum derart aufgeladen werden können.

    Eine Möglichkeit wäre es nämlich auch gewesen, die Geschlechtsangaben für Frauen und Männer aus dem Register zu löschen. Auch dann hätte es für Intersexuelle keine Diskriminierung mehr gegeben. [Dr. Stephan Schleim]

    Diskrimierung (“Unterscheidung”) ist ja auch nichts Schlechtes.
    Ursisch-zynisch formuliert könnte die Geschlechtlichkeit auch staatlicherseits gar nicht mehr erfasst werden, allerdings blieben dann Maßnahmen der pos. Diskriminierung berührt, die ja gu-ut sein sollen, um dann bei der Zeugung und Geburt von Nachwuchs erst nachzugucken, wer gebärt oder (angeblich) gezeugt hat, um dann entsprechende Häkchen in den Datenhaltungen zu setzen.
    Kultur muss hier außen vor bleiben!, wenn es linguistisch und machtpolitisch wird.

    MFG
    Dr. Webbaer

  3. Henning Lobin
    wer viel schreiben muss, der mag es gar nicht, Accents zu setzen , weil das das Schreibtempo vermindert. Dieser Gender Stern ist unnötig wie ein Kropf. Geschriebene Sprache muss vereinfacht werden und nicht behindert.

  4. Sog. geschlechtergerechte Sprache meint die fast pflichtige Einpflege des Sexus, vs. Genus, wobei oft aber die Sexualität gemeinter Personen oder auch der von Tieren nebensächlich bis irrelevant ist.
    Niemand hat etwas gegen die geschlechtliche Markierung mit bspw. der Suffix ‘-in’ für das Weibchen und ‘-(e)rich’ für das Männchen, wenn oft hilfreich bis erforderlich, aber sie “hält”, wenn die Geschlechtlichkeit irrelevant ist, “den Laden auf”, muss gar manchmal als eine Art Demutsübung gegenüber bestimmter politischer Meinung verstanden werden, so dass gar der Verdacht entstehen könnte, dass illegitime Herrschaft angestrebt ist.
    Einfachheit in der Sprache bleibt anzustreben. (Einfachheit wird oft auch als Schönheit verstanden.)

    Insbesondere auch Personalpronomen (!) stehen auf der kulturmarxistischen (um einmal das Fachwort zu nennen) Speisekarte, vgl. bspw. hiermit :
    -> https://en.wikipedia.org/wiki/Third-person_pronoun#Transgender_pronouns

    Es war immer oder bereits schon seit langer Zeit der Traum von Kulturmarxisten über die Sprache auch über die Leutz herrschen zu können, vgl. auch hiermit, Peter Bichsel ist gemeint, der diesbezüglich dezidierte Kritik von der politisch linken Seite wagte :
    -> https://vimeo.com/8749843

    MFG
    Dr. Webbaer

  5. Dr. W.
    Vereinfachung der geschriebenen Sprache ist angesagt, nicht deren Ausuferung.
    Man denke nur an die slawischen Sprachen, die mit ihren Accents (der Fachbegriff ist mir nicht bekannt) das Schreiben ganz schön behindern. Man denke an die gälische Sprache, die eine Inflation von Konsonanten und Silben pflegt, die nicht gesprochen, aber geschrieben werden müssen.
    Wenn die Chinesen eine vereinfachte Ausgangsschrift geschaffen haben, dann könnten wir das doch auch !

    Henning Lobin,
    greifen Sie diesen Gedanken der vereinfachten Ausgangsschrift einmal auf, Sie können sich damit profilieren. Der Gedanke ist nicht so abweging. In der Wirtschaft braucht man keine “gestelzte” Normierung. Kleinschreibung ist ökonomisch, ph, dreifach Konsonanten sind nicht ökonomisch.
    Und dieser Stern bei männlich/weiblich, das kann man auch als Provokation auffassen.

    • Solche Ideen einer Vereinfachung der Orthografie sind bereits in den achtziger Jahren durchgespielt worden – und krachend gescheitert. Die Reform von 1996 ist ein Nachhall davon. Die deutsche Orthografie ist erstaunlich systematisch aufgebaut, wie man erst heute weiß, so dass Vereinfachungen, die diese Systematizität nicht berücksichtigen, sich auf Schriftspracherwerb und Schreibeffizienz eher kontraproduktiv auswirken würden.

  6. Sprache wird idR einfach gehalten, auch die Schrift darf so folgen.
    Einfachheit, auch Schönheit, sind zentral, wenn sich so auseinandergesetzt wird.
    Die Ökonomie, die Wirtschaftslehre, kein so-o guter Begriff, wie Dr. W findet, soll allerdings ebenfalls nicht bestimmend werden, was die Sprache meint.
    Kultur wäre s. E. bestimmend, bei sog. geschlechtergerechter Sprache (die übrigens i.p. sog. Transsexualität auch einigen Feministen ungut aufstößt, denn dieser Sexualitäts-Nihilismus greift sie direkt an) sieht es “abär echt mau aus”; diese Sache könnte noch darin enden, dass es Linguisten, dann “Linguisten”, zu beachten die doppelten Anführungszeichen, gibt, die bestimmte Sprache meinen, die im Volk (Sprache ist völkisch, jaja), nicht gesprochen wird und sich sozusagen endgültig exponieren.

    MFG
    Dr. Webbaer

  7. Werter Herr Professor Lobin,

    eben erst, nach dieser Lektüre, verstehe ich, was was “d” in dem “w/m/d” in Stellenanzeigen meint, das ich bislang gar nicht so recht verstand: “divers”. Ein bisschen eigenartig ist’s dennoch, denn was ist hier gemeint: “divers von m/w” oder “divers per se”?

  8. Henning Lobin,
    ….krachend gescheitert……
    war auch nicht ernsthaft zu erwarten. Die Germanisten und von denen gibt es überproportional viele, die lieben ihre Sprache und haben kaum Sinn für Ökonomie in der Sprache.
    Was den Genderstern betrifft, lassen Sie einfach die Bevölkerung entscheiden. Wenn er sich durchsetzt ist es gut, wenn er sich nicht durchsetzt ist es auch gut.
    letzte Anmerkung: Selbst in Frankreich hat sich eine Vereinfachung der Schreibweise breit gemacht, in den USA sowieso .
    Ansonsten , Viel Erfolg auf ihrem neuen Aufgabengebiet.

  9. Diese Sterne sind schon ziemlicher Unfug, weil sie einfach in keinerlei Hinsicht sprachlich sinnvoll sind. Ich mein – die Sprache soll geändert werden, weil sie diskriminierend ist…weil sie Menschen “diskriminiert” die einen absolut minimalen Anteil in der Bevölkerung ausmachen? Ist das euer fu**ing Ernst??

    Was aber noch viel schlimmer ist, ist eine Vereinfachung der Sprache. Was soll denn so ein Schwachsinn?

    Das ist mit normalem Verstand nicht mehr greifbar.

  10. Glückwunsch zur Professur, Herr Lobin !

    Aber nun zum Zweck meines Beitrages. Mich regt dieser “Genderkrempel” fürchterlich auf. Wenn ich sage “Professor”, dann meine ich einen Menschen in einer bestimmten gesellschaftlichen Position – er hat einen Lehrstuhl an einer Universität oder Hochschule. Damit mache ich eigentlich keinerlei Aussage über das Geschlecht männlich / weiblich / divers (wer möchte sich so bezeichnen lassen ?) Und das gilt für alle Berufs- und Tätigkeitsbezeichnungen. Ich muß nicht betonen, daß es Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen (und Diverse ?) gibt, wenn ich Wissenschaftler sage (schreibe) sind alle Gechlechtsformen enthalten (inkludiert). Ich habe auch noch nie eine Professorin erlebt, die über die Anrede “Frau Professor” gestolpert ist. Für mich ist dieser “Genderkrempel” eine unnötige Verkomplizierung der Sprache. Man legt in eine Bezeichnung etwas hinein, was vorher nicht drinsteckte. Ich habe auch noch nie einen Meisterbrief gesehen, wo “Meisterin” draufstand. Da stand immer drauf “Meister des Frisörhandwerks” oder “Meister des Schneiderhandwerks”, auch bei Frauen. Ich bin dafür diesen “Genderkrempel” grundsätzlich aus derartigen Tätigkeisbezeichnungen herauszulassen.

    Man sollte dabei auch nicht vergessen, daß es im deuschsprachigen Raum durchaus üblich war, daß die Ehefrau von Herrn Professor mit “Frau Professor” angeredet werden wollte, obwohl sie diesen Titel “Professor” gar nicht hatte. Nur um das Gefühl ihrer Wertigkeit in der Gesellschaft zu steigern, analog zu “Frau Gräfin” oder anderen Adelsbezeichnungen.

    Das Mädchen, das Fräulein und das Kind sind sächlich aber der Junge ist schon männlich, obwohl es auch ein Kind ist. Was wäre, wenn jetzt so eine Emanze daherkäme, und meint da müßte das grammatikalische Geschlecht an das reale Geschlecht des Kindes oder des Mädchens oder des Fräuleins angleichen ? Lächerlich ! Diese Emanze sollte eine andere Sprache benutzen !

    Für mich viel wichtiger und komplizierter ist, daß man aus manchen Namen das Geschlecht der Person nicht mehr erkennen kann. Wie rede ich so eine Person in einem Brief richtig an ? “Sehr geehrte(r)(s) Frau / Herr / Diverses Name !” ? Was ist eine achtungsvolle Bezeichnung für Diverses. Diese Bezeichnung müßte ja sächlich sein, denn sie darf ja nicht männlich oder weiblich sein. Eine Anrede wie beschrieben kann man weglassen. Aus dieser Anrede spricht die Mißachtung der angeredeten Person. Können Sie mir dazu einen Rat geben, Herr Lobin ?

    • Vielen Dank für die Glückwünsche. Wenn Sie der ganze “Genderkrempel” aufregt, wie Sie sagen, heißt das ja noch lange nicht, dass nicht andere Leute den Wunsch haben, entsprechende geschlechtliche Gegebenheiten sprachlich erfassen zu können. Die Formen dafür sind noch im Fluss, deshalb hat der Rechtschreibrat auch noch keine Empfehlung formuliert. Bezüglich Ihrer Frage am Ende Ihres Kommentars möchte ich Folgendes antworten: Wenn Sie jemand ansprechen wollen, der sich offen als intersexuell zu erkennen gibt, dann können Sie ohne weiteres mündlich und schriftlich sagen “Guten Tag, [Vorname] [Nachname]”. Dann fahren Sie mit “Sie” fort, was als Pluralform keine Genusmarkierung aufweist. Falls im Text nochmals eine Anrede nötig sein sollte, benutzen Sie den vollen Namnen.

  11. @Wicht: divers

    Lieber Helmut, ich finde (als Wissenschaftstheoretiker) den Fall der Intersexualität deshalb so interessant, weil die – rechtlich schon länger, meiner Erinnerung nach seit den späten 1970ern – berücksichtigten Transsexuellen zwar das Geschlecht ändern wollen, aber doch im binären Modell bleiben, das heißt sich eindeutig als Frau oder Mann identifizieren, sich bloß im “falschen Körper” fühlen.

    Ich hatte mal eine Diskussion mit der ersten Transgender-Polizistin der Niederlande, wie man denn einen “falschen Körper” haben könne, worauf sie schlicht meinte: Das habe ich ganz klar so gefühlt. Dagegen gibt es dann kein Argument mehr.

    Die Intersexuellen gehen aber einen Schritt weiter, indem sie das binäre Modell umschmeißen: Es gibt neben Frauen und Männern eben auch noch Menschen, die weder Frau, noch Mann sind. Wie man das nun nennt, ob inter oder divers oder x, das ist dann vielleicht eher eine formale Frage.

    An dieser Stelle darf ich vielleicht die MIT-Philosophin Sally Haslanger zitieren, aus dem ersten und einzigen mir bekannten feministischen Artikel in einer klassischen analytisch-philosophischen Zeitschrift:

    There are many different types of human bodies; it is not the case that there is a unique ‘right’ way of classifying them, though certain classifications will be more useful for some purposes than others. How we classify bodies can and does matter politically, for our laws, social institutions, and personal identities are profoundly linked to understandings of the body and its possibilities. (Noûs, 2000, 31-55; pp. 51-52)

  12. der/die/das Wähler*in?
    Der Genderstern, -gap u.ä. machen Schwierigkeiten bei der Aussprache und werden sich deshalb in der Alltagssprache noch schwerer tun als in der (akademischen) Schriftsprache.
    Ich (als Laie) bin der Meinung, dass entsprechende Wörter das neutrale Geschlecht und eine neue Endung (z.B -as oder -os, im Plural -asse oder osse) bekommen sollten.
    Ein solche Regelung könnte sich auch über die Sprache durchsetzen.
    Also:
    Was das Wählos (statt der Wähler/die Wählerin) will, ist nicht leicht zu ergründen.
    Ein Professos (statt ein*e Professor*in) muss neben der Forschung auch Lehre machen.

  13. Wer englisch spricht hat wohl noch nie etwas vom Gender-Stern gehört. Interessant in diesem Zusammenhang auch der Eintrag Gendergap (Linguistik) in der Wikipedia, denn Gendergap ist ja ein englischsprachlicher Ausdruck. Nur: Es gibt scheinbar nur einen deutschsprachigen Eintrag für Gendergap, man findet also nur unter de.wikipedia.org/wiki/… einen Eintrag für Gendergap nicht aber unter en.wikipedia…
    Eine naheliegende Lösung für das Genderstern-Problem scheint mir deshalb, auf die deutsche Sprache zu verzichten.
    Im Namen der Geschlechtergerechtigkeit: Hört auf deutsch zu sprechen und deutsch zu schreiben. Verständigt euch statt dessen in Sprachen, bei denen das grammatikalische Geschlecht eine weniger herausgestellte Rolle spielt.
    Denn auch der Wikipedia-Eintrag Gender neutrality in languages with grammatical gender geht auf das Problem ein und hat ein längeres Kapitel über die Probleme, die sich den Deutschsprachigen stellen mit folgenden Beispielen:
    Using only the “generic” masculine form:
    Wir brauchen einen erfahrenen Informatiker.

    Using both the masculine and the feminine form:
    Wir brauchen einen erfahrenen Informatiker oder eine erfahrene Informatikerin.
    Wir brauchen eine erfahrene Informatikerin oder einen erfahrenen Informatiker.

    Using slashes:
    Wir brauchen eine/n erfahrene/n Informatiker/in.
    Wir brauchen eine/-n erfahrene/-n Informatiker/-in.

    Emphasizing the suffix -in (considered bad style, but sometimes used):
    Wir brauchen eine erfahrene InformatikerIn;
    sometimes: Wir brauchen eineN erfahreneN InformatikerIn.

    Using the masculine form, with an indication that both genders are meant:
    Wir brauchen einen erfahrenen Informatiker (m/w).

    Using the Gendergap or Gendersternchen:
    Wir brauchen eine_n erfahrene_n Informatiker_in.
    Wir brauchen eine*n erfahrene*n Informatiker*in.

    All die vielen Varianten zeigen doch, dass es keine befriedigende Lösung innerhalb der deutschen Sprache gibt. Deshalb: Verzichtet wenn immer möglich auf Deutsch. Sprecht statt dessen eine weniger problematische Sprache, zum Beispiel Englisch.

  14. Lieber Helmut, ich finde (als Wissenschaftstheoretiker) den Fall der Intersexualität deshalb so interessant, weil die – rechtlich schon länger, meiner Erinnerung nach seit den späten 1970ern – berücksichtigten Transsexuellen zwar das Geschlecht ändern wollen, aber doch im binären Modell bleiben, das heißt sich eindeutig als Frau oder Mann identifizieren, sich bloß im “falschen Körper” fühlen.

    Es gibt biologisch betrachtet -an der Naturwissenschaft wie an der Wissenschaft generell darf sich in wissenschaftsnahen WebLog-Einheiten des Webs festgehalten werden- beim hier gemeinten Mammal, oder beim hier gemeinten Trockennasenprimaten, Männchen und Weibchen, in dieser Reihenfolge, es gibt Individuen, die nicht dementsprechend sexuell vollständig ausgeprägt sind, nicht zur Fortpflanzung taugen : es gibt allerdings keine sexuellen Zwitterwesen.

    Unabhängig davon, wie diese Behauptung nunmehr (tagesaktuell gar) politisch-medial beworben wird.

    Was Sie beobachten und ‘interessant’ finden, Herr Dr. Stephan Schleim, ist Verirrung.

    Bonuspunkte setzt es, wenn auch Sie einzuschätzen oder anzudeuten wissen, dass das Binäre beim Sexuellen seinerzeit, also beginnend womöglich in den Siebzigern, noch nicht überstiegen werden konnte, so dass sich ein rein theoretisierend sich ergebendes Sexuelles im N-Fachen ergibt.
    “Echte” Feministen sind insofern auch i.p. Gender mit n-facher Merkmalsausprägung der humanen Sexualität auch, nachvollziehbarerweise, lol, ein wenig sauer, Frau Schwarzer bleibt an dieser Stelle gegrüßt.


    Da ist alles vermurkst, Dr. W geht davon aus, dass sich aus der sich Mitte der Sechziger ergebenden Antikonzeption sich sukzessive Theoretisierung ergeben hat, die im Sexuellen nunmehr jenseits von Gut und Böse ist.
    Da sind Nihilisten, Relativisten und dionysische Menschen am Start, mittlerweile, wie sich aus Bärensicht klar einzuschätzen ergibt.

    MFG + schönen Tag des Herrn noch,
    Dr. Webbaer (der sich im Abgang gerne noch erlaubt anzumerken, dass sexuelle Perversion (kein böses Wort, Dr. W wird hierzu, die Begriffsgeschichte meinend, gerne auf Zuruf ergänzen), es nunmehr richten wird)

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