Ein neues Blog zur Digitalisierung der Schriftkultur

Mit diesem Beitrag beginne ich ein neues WissensLog mit dem Namen „Die Engelbart-Galaxis“. Ich begrüße alle Leserinnen und Leser der Scilogs und natürlich die Blogger-Kolleginnen und -Kollegen ganz herzlich! Ganz neu bin ich hier nicht, denn bereits 2009 war ein kleines Team, zu dem auch ich gehörte, hier mit dem Blog „Interactive Science“ vertreten, in dem es um die Auswirkungen der Digitalisierung auf die innerwissenschaftliche Kommunikation ging. Mit dem Ende des Projektverbunds, der hinter diesem Blog stand, wurde 2012 auch das Blog beendet. Ich selbst bin Computerlinguist, befasse mich jedoch in den letzten Jahren zunehmend mit dem Wandel der Kulturtechniken des Lesens und Schreibens. Dieser Wandel soll in „Die Engelbart-Galaxis“ thematisiert werden – im technischen Sinne und mit Blick auf seine kulturellen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen. Eine wichtige Grundlage meiner Beiträge wird für mich die Arbeit der letzten zwei Jahre an dem Buch „Engelbarts Traum“ darstellen, das im September im Campus-Verlag erscheint. Ich möchte verschiedene Themen aus diesem Buch aufgreifen und hier weiterführen. Vor allem aber werde ich Publikationen oder Entwicklungen, die seit Fertigstellung des Buchmanuskripts im Frühjahr öffentlich geworden sind, zum Gegenstand dieses Blogs machen.

Die Kulturtechniken der Schrift prägen ja seit Jahrtausenden die menschliche Kultur. Währenddessen sind sie immer wieder an die gesellschaftlichen und technischen Bedingungen angepasst worden. Die Erfindung des Buchdrucks im 15. Jahrhundert etwa führte zu bedeutenden Veränderungen des Lesens und Schreibens, was einen Wandel des ganzen kulturellen Gefüges der folgenden Jahrhunderte zur Folge hatte. Bücher konnten von da an leicht in großer Stückzahl hergestellt werden und wurden so für jedermann erschwinglich. Immer mehr Menschen konnten anhand von Büchern in der Schule lesen und schreiben lernen und sich weitergehende Bildung aneignen. Durch den Buchdruck begann die Wissenschaft zu florieren und durch Zeitungen eine kommunikative Öffentlichkeit zu entstehen, aus der wiederum gesellschaftliche und politische Veränderungen hervorgingen. Eines blieb aber über all die Jahrhunderte unverändert: Der Text, der zuerst per Hand geschrieben, später mit technischer Hilfe gesetzt und gedruckt wurde, bedurfte nur des menschlichen Auges, um gelesen zu werden. Er war in unmittelbar lesbaren Schriftzeichen verfasst. Das Lesen selbst musste zwar gelernt werden, blieb aber immer ein „natürlicher”, durch technische Entwicklungen kaum beeinflusster Vorgang.

Mit der Digitalisierung hat sich dies geändert: Die Texte sind nicht mehr in sichtbaren Schriftzeichen verfasst, sondern im Binärcode. Um in diesem Code Texte lesen oder schreiben zu können, brauchen wir den Computer als Lese- und Schreibgerät sowie spezielle Programme, die dies ermöglichen. Ein Textverarbeitungssystem ist so ein Programm: Es übersetzt Folgen von Nullen und Einsen in Buchstaben, nutzt darüber hinaus weitere digitale Angaben, um die Buchstaben in bestimmter Größe, Farbe und Art darzustellen und sie auf der Bildschirmfläche zu positionieren. Erst wenn das geschehen ist – und es werden dazu sehr umfangreiche Berechnungen durchgeführt –, können wir den Text auf dem Computerbildschirm lesen. Gleiches gilt für den Web-Browser auf dem Tablet oder die News-App auf dem Smartphone. Würden von einem Tag auf den anderen alle Computer, also alle Server, Laptops, Tablets, Smartphones und E-Book-Reader ausfallen, würde nicht nur unsere gesamte öffentliche Infrastruktur zusammenbrechen, wir könnten auch große Teile des Menschheitswissens nicht mehr nutzen, denn es wäre uns ohne die computerisierte Übersetzung aus dem Binärcode nicht mehr zugänglich. Wenn die Schriftkultur dadurch gekennzeichnet ist, dass Wissen und Erfahrung der Menschheit durch Schrift auf Papier und anderen Schriftträgern ohne technische Hilfe unmittelbar zugänglich ist, dann führt die Digitalisierung zum Ende der Schriftkultur, wie wir sie bislang kannten. In der nun beginnenden Digitalkultur leben wir Menschen in Symbiose mit den Maschinen, sind auf Gedeih und Verderb von ihnen abhängig und dadurch zum Spielball der technischen Evolution geworden.

Wenn Sie sich jetzt fragen, was das alles mit Douglas C. Engelbart, dem Erfinder der Computer-Maus, zu tun hat und warum er auch noch der Namengeber einer ganzen Galaxis sein soll, muss ich Sie leider auf meinen nächsten Beitrag in wenigen Tagen vertrösten. Darin werde ich nämlich davon erzählen, was für ein Ziel dieser Engelbart eigentlich verfolgte und womit er in der Öffentlichkeit 1968 Furore machte…

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www.lobin.de

Henning Lobin ist seit 2018 Direktor des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim (Mitglied der gemeinsam vom Bund und allen 16 Bundesländern finanzierten Leibniz-Gemeinschaft) und Professor für Germanistische Linguistik an der dortigen Universität. Zuvor war er ab 1999 Professor für Angewandte Sprachwissenschaft und Computerlinguistik an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Seine Forschungsschwerpunkte bilden die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Sprache, Texttechnologie, Grammatik, Wissenschaftskommunikation und Politolinguistik. Er ist Sprecher der Sektion "Geisteswissenschaften und Bildungsforschung" und Präsidiumsmitglied der Leibniz-Gemeinschaft, Mitglied germanistischer Fachbeiräte ua. von DAAD und Goethe-Institut, er war Mitglied des Forschungsbeirats der Stiftung Wissenschaft und Politik und des Fachkollegiums Sprachwissenschaft der DFG. Lobin ist Autor von neun Monografien und hat zahlreiche Sammelbände herausgegeben. Zuletzt erschienen sind Engelbarts Traum (Campus, 2014, polnische Übersetzung 2017, chinesische Übersetzung 2018), Digital und vernetzt. Das neue Bild der Sprache (Metzler, 2018) und Sprachkampf (Duden, 2021). Bei den SciLogs ist Henning Lobin seit 2014 Autor des Blogs "Die Engelbart-Galaxis", nachdem er dort bereits ab 2008 am Gruppenblog "Interactive Science" beteiligt war.

14 Kommentare

  1. Ein herzlicher Willkommens-Gruß vom Nachbar-Blog WIRKLICHKEIT!

    Gleich eine Rückfrage: Sind die Nullen und Einsen des Binärcodes nicht eher das Analogon zur Tinte der althergebrachten Schrift? Ich finde, dass der Binärcode nicht der Text ist (sondern das, was ich hier gerade lese und schreibe) – ähnlich, wie eine mikroskopische Untersuchung der Tinte oder Tusche auf einem beschriebenen Blatt Papier mir nicht den Text zeigen würde. Eine chemische Reaktion, die weltweit sämtliches Papier endgültig zerstörte, hätte vielleicht gravierendere Folgen für das Menschheitswissen als ein globaler Server-Absturz …

    Wenn dem so ist, wäre dann der digitale Wandel in Bezug auf Lesen und Schreiben nicht doch nur ein quantitativer, und kein qualitativer – wie von Ihnen behauptet / befürchtet / gefordert / … ?

    • Vielen Dank für das nette Willkommen und den ersten Kommentar!

      Sie haben natürlich recht damit, dass auch die Lesbarkeit der gedruckten Schrift vom Auftreten bestimmter chemischer und physikalischer Bedingungen abhängig ist. Insofern besteht tatsächlich eine Analogie zu den Bits der digitalen Schrift. Der Unterschied besteht in meinen Augen allerdings darin, dass die Lesbarkeit der digitalen Schrift, kodiert gespeichert etwa auf einem USB-Stick, von kulturellen Voraussetzungen (und da schließe ich Geräte und Infrastrukturen mit ein) abhängig ist. Das gedruckte Buch kann ich auch auf der einsamen Insel lesen, den digitalen Text ohne Computer und Strom jedoch nicht. Dieser Unterschied ändert das digitale Lesen und Schreiben sicherlich nicht auf einen Schlag, aber doch nachhaltig. Ein Beispiel dafür ist das, was wir hier gerade tun: “Soziales” Lesen und Schreiben in Blogs.

      • Das gedruckte Buch kann ich auch auf der einsamen Insel lesen, den digitalen Text ohne Computer und Strom jedoch nicht.

        Das ‘gedruckte Buch’ kann auch als Gerät verstanden werden, ein Zivilisationssprung wie bei der Erfindung der Sprache, der Schrift & des Buchdrucks hat stattgefunden, aus bestimmter Sicht etwas grundlegend Neues, aber dieses grundlegend Neue kam nicht zum ersten Mal vor für den Primaten.

  2. In der nun beginnenden Digitalkultur leben wir Menschen in Symbiose mit den Maschinen, sind auf Gedeih und Verderb von ihnen abhängig und dadurch zum Spielball der technischen Evolution geworden.

    ‘Symbiose’ ist womöglich etwas zu stark formuliert und die Sache mit dem Spielball ebenfalls.

    MFG + viel Erfolg hier,
    Dr. Webbaer

  3. Das World Wide Web ermöglichte erst das weltweite Publizieren und das erst noch mit verlinkten Texten, mit Texten also, die Bezug aufeinander nehmen. Ein Web-Dokument kann also einen Bezug zu sehr vielen anderen Web-Dokumenten und damit zu einem ganzen Universum von Texten herstellen. Damit steigt die Bedeutung und Macht von Texten gegenüber früher und zwar vor allem über die grössere Unmittelbarkeit. Was früher nur wenigen “Studenten” von wissenschaftlichen und anderen Werken vorbehalten war, nämlich nicht nur das interessierende Werk, den Text des interessierenden Buch zu studieren, sondern auch alle vom Werk/Buch referenzierten Bücher und Papiere, gelingt nun mit viel geringerem Aufwand. Es braucht dazu heute keinen Zugang zu einer Bibliothek mehr und keine Wartezeit von Tagen oder Wochen.

    Sicher ist die Digitalisierung von Texten ein Schritt in die Entmaterialisierung, andererseits ist für die meisten Rezipienten der materielle Datenträger – also das Buch mit seinen gedruckten Blättern – nicht das, was sie wirklich interessiert. Vielmehr interessiert sie der Inhalt. Und oft eben nicht nur der Inhalt des gerade beispielsweise auf einer einsamen Insel gelesenen Buches sondern auch seine Bezüge. Für anspruchsvollere Rezipienten stimmt die Aussage aus dem obigen Kommentar (Zitat)“Das gedruckte Buch kann ich auch auf der einsamen Insel lesen “ eben nicht, denn ein Buch, ob nun gedruckt oder nicht, kann kaum je für sich selbst verstanden werden. Im einfachsten Fall genügt Allgemeinbildung um das Buch zu verstehen, doch in vielen Fällen ist das Verständnis unvollkommen solange man nicht Zugang zu weiteren Büchern und Werken hat, die mit dem Buch des Interesses in Zusammenhang stehen.

    Gerade auch bei Projekten mit traditionell vielen Querbezügen genügt das Werk samt seiner Querbezüge oft nicht. So sind die grossen Enzyklopädien wie der Brockhaus oder die Encyclopedia Britannica von der Natur her nach aussen offen. Nehmen wir als Beispiel den Eintrag Barack Obama auf der Site Encylopedia Britannica. Was sie dort lesen, könnte ihr Interesse an Barack Obamas Rede in Ägypten zu Beginn seiner Amtszeit wecken. Doch diese Rede können sie in der Encylopedia Britannica nicht lesen. Dazu müssen sie diese Site – also die Site Encylopedia Britannica – verlassen.

    Der obige Artikel geht in seiner Sicht von dem aus, was durch die Digitalisierung (scheinbar) verloren geht. Ja man hat nun nicht mehr die gute Stube oder mindestens ihre Wände bis unter das Dach mit gestapelten Büchern belegt. Doch das ist überhaupt kein Verlust, denn nun stehen einem viel mehr Bücher zur Verfügung als in der guten Stube je Platz hätten. Es ist oder besser wäre nur dann ein Verlust, wenn der Zugang zu den digitalen Versionen verloren ginge. Das wäre sicher noch schlimmer als es das Abbrennen der Bibliothek von Alexandria war. Doch letztlich ist das nur ein technisches Problem. Sicherlich ist die Archivierung für sehr lange Zeiträume ein wichtiges technisches Problem. In der Argumentation des obigen Artikels und Kommentars wäre das Problem aber schon dann gelöst, wenn man sämtliche Werke, die per Internet zugänglich sind, ausdrucken würde. Doch das ist ein schwerwiegender Irrtum. Das Ausdrucken aller Seiten, die per Internet zugänglich sind, ersetzt das Internet in keiner Weise.

    Fazit: Durch die Digitalisierung selbst geht nur wenig verloren, durch den Zugang, den das Internet schafft, entsteht aber etwas ganz Neues. Dieses Neue kann durch noch so viel gedrucktes Papier nicht ersetzt werden.

    • @ Herr Holzherr :
      Das ‘etwas verloren geht’ ist im Artikel nicht behauptet worden, sondern das ‘Ende der Schriftkultur, wie wir sie bislang kannten’, dem zugestimmt werden kann bis muss.
      ‘Brockhaus oder die Encyclopedia Britannica’ sind demzufolge im beschriebenen Sinne weggebrochen:
      -> http://de.wikipedia.org/wiki/Brockhaus_Enzyklop%C3%A4die
      -> http://de.wikipedia.org/wiki/Encyclop%C3%A6dia_Britannica

      Das allgemeine Lesen wird demzufolge nicht mehr an das Gerät Buch gebunden sein, das wegen der Abhängigkeit des Lesers von Sprache und Schrift ja auch ein wenig anspruchsvoll war, sondern an das neue Gerät mit Web-abhängigkeit.
      Klar, es benötigt hier die Erreichbarkeit von Stationen und der Elektrizität, aber so ist es nun einmal.

      MFG
      Dr. W

      • Ohne Emails und Blogs würde ich selbst überhaupt nichts schreiben. Briefe verfassen war für mich immer eine Qual. Vor allem weil mir die damalige Technik im Wege stand, weil man nicht einfach korrigieren oder Sätze umstellen konnte und weil meine Handschrift zudem nicht einmal die niedrigste Qualitätsstufe erreichte.
        Editoren haben das Verfassen von Texten demokratisiert wie kaum eine Entwicklung zuvor. Heute wird mehr geschrieben als je zuvor, vielleicht sogar mehr geschrieben als gelesen. Das (Zitat) ‘Ende der Schriftkultur, wie wir sie bislang kannten’ war für mich also der Beginn des Schreibens als selbstverständliche Tätigkeit.
        Gut, mit Schriftkultur ist wohl im Zusammenhang des Artikels nicht das Schreiben gemeint, sondern es sind die Medien gemeint mit denen bislang Texte publiziert wurden und mit denen sie unter die Leute kamen. Diese alten Medien, all die Zeitschriften, gedruckten Zeitungen und Bücher, die sind nun in Frage gestellt, das stimmt schon. In den USA ist dieser Prozess schon viel weiter fortgeschritten. Und zugegeben mit vielen negativen Folgen. So können sich viele Zeitungen inzwischen keine Auslanskorrespondenten mehr leisten und die Qualität vieler Zeitschriften nimmt ab.
        Doch in der Summe sind die sprachlichen Fähigkeiten gestiegen, denke ich mir. Mehr Leute als je zuvor äussern sich nun schriftlich, versprachlichen ihre Gedanken. Daraus kann mit der Zeit etwas Neues entstehen. Jeder Umbruch bietet auch Chancen.

        • So können sich viele Zeitungen inzwischen keine Auslanskorrespondenten mehr leisten und die Qualität vieler Zeitschriften nimmt ab.

          Lässt sich nicht direkt so sagen oder schreiben, wie Ihr Kommentatorenfreund findet, denn auch der Journalist ist heute besser informiert, ohne Auslandskorrespondenz im Haus.
          Zudem brechen auch schon mal gelegentliche Shitstorms los, wenn die Nachricht zu falsch oder der Kommentar zu dumm war.
          Das hauptsächliche Problem des Medienwesens sieht Ihr Kommentatorenfreund zurzeit darin, dass die Medien inhaber- und werbeabhängiger werden, weil sie mit dem traditionellen Verkauf immer weniger einnehmen.

          MFG
          Dr. W

          • Auslandskorrespondenten leben im Land über das und von dem sie berichten. Grosse Zeitungen hatten grosse Auslandskorrespondenten, in Deutschland beispielsweise Fritz Pleitgen (“Reporter des Kalten Krieges”), die NZZ nennt in ihrem Impressum noch heute mehr als 25 Korrespondenten aus mehr als 25 Städten der Welt.
            Gute Korrespondenten, die vor Ort arbeiten, lassen sich schwer ersetzen.

            In den USA aber ist die Zahl der Auslandskorrespondenten allein zwischen Jahr 2003 und 2011 stark zurückgegangen.
            Man liest:

            Twenty papers and companies have cut their foreign bureaus entirely since AJR conducted its first census of foreign correspondents in 1998. Only six papers and chains dedicate reporters in Washington, D.C., to cover the foreign affairs beat, down from 13 in 2003.

            Zeitungen in finanziellen Schwierigkeiten (die meisten US-Zeitungen haben finanzielle Schwierigkeiten, vielen steht aber sogar das Wasser bis zum Hals) haben besonders deutlich abgebaut, die New York Times hat von 27 auf 24, die Los Angeles Times gar von 24 auf 13 und die Los Angeles steht an 9. Stelle von 10 US-Zeitungen mit massiven Problemen.

            Von dem was sie dazu schreiben, nämlich (Zitat)

            …, denn auch der Journalist ist heute besser informiert, ohne Auslandskorrespondenz im Haus.

            ist es nicht mehr weit bis zur Schlussfolgerung, Journalisten wüssten eh nicht mehr als der normale Internet-User und zudem könne man ebenso gut daheim in der guten Stube sitzen bleiben, denn das Internet reportiere besser als jeder Journalist.

            So denken tatsächlich viele. Doch so weit sind wir noch nicht.

          • @ Herr Dr. Holzherr :

            …, denn auch der Journalist ist heute besser informiert, ohne Auslandskorrespondenz im Haus. [Dr. W]

            (…) ist es nicht mehr weit bis zur Schlussfolgerung, Journalisten wüssten eh nicht mehr als der normale Internet-User und zudem könne man ebenso gut daheim in der guten Stube sitzen bleiben, denn das Internet reportiere besser als jeder Journalist.

            Jenau so scheint es mittlerweile zu sein, die Schrift- oder mittlerweile vielleicht besser: Benachrichtigungskultur [1] geht in diese Richtung.

            Journalisten, also wörtlich: Tagesorientierte, die Veröffentlichung betreffend unterwegs sind und Reporter (“Zurücktragende”) sind heute nicht mehr so-o wichtig oder erforderlich, weil sich die (techn(olog)ischen) Umstände geändert haben und eben leider – siehe oben – von besonderen Wirkungen die Inhaber- und Werbeverhältnisse ausgegangen werden muss.
            Am Rande notiert: Insofern regt sich bundesdeutsch bspw. mit den “Krautreportern” eine Gegenstimmung (die der Schreiber dieser Zeilen aber auch misstrauisch beäugt, lol).

            MFG
            Dr. W (der insofern gerne sogenannte WebLogs frequentiert, was auch den Vorteil hat, dass die dbzgl. politische Voreinstellung zumindest geahnt werden kann, was bei “Standardmedien”, die Besitz- und Werbeverhältnisse betreffend, heute meist schwer fällt)

            [1] der hiesige Inhaltegeber war so freundlich im Artikel zehnmal die Wurzel ‘Kultur’ zu bemühen

          • * @ Herr Holzherr :
            ** von besonderen Wirkungen die Inhaber- und Werbeverhältnisse betreffend

            MFG
            Dr. W (der nichts gegen eine Vorschau hätte)

    • @Martin Holzherr: Eine Wertung habe ich tatsächlich nicht vorgenommen wollen und wohl auch nicht vorgenommen. Was mich interessiert, sind die Veränderungen, die mit der Digitalisierung des Lesens und Schreibens nach und nach einziehen: die veränderte Distribution von Texten, die Erosion des klassischen Geschäftsmodells der Buchverlage, die neue Rolle von Bibliotheken, die Probleme der Tagespresse, Schule, Universitäten… Die Entwicklung des Buchdrucks im 15. Jahrhundert und das was im 16. Jahrhundert darauf folge, ist eine ganz gute Fallstudie dafür, wie umfassend sich ein Medienwechsel auch auf der Ebene von Infrastrukturen und Institutionen auswirkt, ja sogar bis hin zu Werten und rechtlichen Konzepten (die Entwicklung des Urheberrechts etwa). Diese vielen Folgeerscheinungen fasst Marshall McLuhan mit dem Begriff “Gutenberg-Galaxis” zusammen. Wenn Sie mal etwas von jemandem Lesen wollen, der nun wirklich den digitalen Text verteufelt, dann empfehle ich als Anschauungsmaterial die Bücher des Editionsphilologen Roland Reuß, auch bekannt als Initiator des berüchtigten Heidelberger Appells. Im Urlaub habe ich gerade sein neuestes Werk gelesen, “Die perfekte Lesemaschine”. Das geht ins Ideologische und wird Gegenstand eines späteren Beitrags in diesem Blog sein.

  4. Herzlich Willkommen auf den SciLogs!

    Welchen Platz wird die Kalligrafie in einer digitalisierten Schriftkultur einnehmen können?
    Erstens als Kunst des „Schönschreibens“ von Hand, mit Federkiel, Pinsel und zweitens vor dem Hintergrund, dass in manchen Gesellschaften das Abschreiben heiliger Texte mittels Kalligrafie selbst als sakraler Vorgang eingestuft wird.

  5. Ich verspüre in den hier geäusserten Bedenken zur Digitalisierung einen Hauch von closed world assumption, wobei ich diesen Begriff – also closed world assumption – nicht im Sinne der Wikipedia verstehe (Zitat: “The closed-world assumption (CWA) is the presumption that what is not currently known to be true, is false”), sondern damit den landläufigen Glauben an die Natürlichkeit des Vertrauten verbinde, der oft auch mit dem Glauben daherkommt, dass es eigentlich keiner Änderungen bedarf und dass etwas anderes, gar künstliches, das das sprichwörtliche Buch ersetzt, das man auf die einsame Insel mitnimmt, die Natürlichkeit der Welt in Frage stellt. Dem liegt jedoch eine Illusion zugrunde: Weder das Buch, noch die Kuh noch die Kulturlandschaft an die wir uns gewöhnt haben sind natürlich, sie wurden alle vom Menschen geschaffen, sind Teil einer Technologie, die wir akkulturiert haben. Sätze wie

    In der nun beginnenden Digitalkultur leben wir Menschen in Symbiose mit den Maschinen, sind auf Gedeih und Verderb von ihnen abhängig und dadurch zum Spielball der technischen Evolution geworden.

    galten nämlich bereits für beispielsweise die römische Kultur und Zivilisation. Diese ging im Mittelalter weitgehend verloren, ehemals blühende römische Städte zerfielen und mit ihnen die Aquädukte, die früherer Ingenieurs- und Baukunst entsprangen und auch die staatliche Ordnung zerfiel, welche jedem Bürger in Not und Streit ein rechtsaatliches Verfahren in Aussicht stellte.

    Nicht Geschlossenheit, sondern Offenheit ist das Wesen der menschlichen Kultur
    Es gibt keine menschliche Sprache ohne sprechende und kommunizierende Menschen und bei den Wolfskindern war keine Ursprache auszumachen. Sprache entsteht im Sprechen und viele Gedanken können nur gedacht werden, weil jemand für uns die Worte und Begriffe gefunden hat, in denen wir die Gedanken ausdrücken können. Jeder von uns kann selbst neue Begriffe kreiren, die von anderen benutzt und weitergedacht werden können. Virale Begriffe, also Begriffe, die von Anderen aufgegriffen und weitergedacht werden, haben vieles gemeinsam mit viraler Technologie, mit Technologie also, die jeder haben will, weil sie neue Möglichkeiten eröffnet und unseren Alltag bereichert. Es gibt allerdings einen Unterschied zwischen sich viral verbreitenden Begriffen und sich viral verbreitender neuer Technologie. Begriffe und Worte meinen wir zu verstehen, doch Technologie wird nur von ein paar Technikern, Naturwissenschaftlern und andern Freaks wirklich verstanden. Das fängt schon beim Kühlschrank und Fernseher an und betrifft inzwischen einen Grossteil aller Geräte und Technologien, die wir verwenden. Doch – um mich zu wiederholen – an die älteren Technologien, die mit denen wir beispielsweise Papier oder Bücher produzieren, haben wir uns inzwischen so gewöhnt, dass viele von uns sie bereits als natürlich empfinden. Zur als gefährlich empfundenen (Zitat) “Symbiose mit den Maschinen gibt es die vermeintlich gutartige Symbiose mit der Welt der Bücher, des Weinanbaus, des Möbel- und Häuserbaus. Der Unterschied zwischen als gefährlich empfundener Abhängigkeit von der Maschinenwelt und der als lustvoll empfundener Abhängigkeit von den Produkten bekannter Kulturtätigkeiten macht die Kompetenz aus. Viele von uns fühlen sich kompetent selber Wein anzubauen, ein Haus zu bauen und selber Papier zu schöpfen, doch die technologischen Gimmicks, die unseren Alltag bestimmen, die kommen scheinbar aus einer völlig anderen Welt – einer Welt, die wir nicht verstehen. Das könnte an einer kognitiven Dissonanz des Normalbürgers mit der Welt der Technik und Naturwissenschaft liegen, es könnte aber auch eine zwangsläufige Entwicklung sein, die sich durch zunehende Arbeitsteilung ergibt. Ich sehe aber eine Chance, dass auch die digitale Welt einmal als natürlich betrachtet wird. Es könnte schon genügen, dass jeder über seinen privaten 3D-Drucker Software zu Hardware gerinnen lassen kann, denn was man besitzt und was man steueren kann gibt einem oft die Illusion der Kontrolle.

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