Schnelle Neutronen, thermische Neutronen

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Gedanken eines Experimentalphysikers
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In der Dezember-Ausgabe des “Spektrum der Wissenschaft”-Magazins findet sich ein interessanter Artikel von Manfred Popp mit der Titel “Hitlers Atombombe – Störfall der Wissenschaftsgeschichte”. Susanne Päch berichtet nebenan ausführlich über die Spurensuche zur Atombombe, die es nie gab. Mir ist bei der Lektüre ein Aspekt aufgefallen, der gut zu einem Thema passt, das ich seit der Frage “Wie schnell ist langsam?” immer wieder aufgegriffen habe: Die Geschwindigkeit von Atomen und Elementarteilchen und ihre Auswirkung.

Wesentliche Unterschiede zwischen einem Atomreaktor der ersten Generation und einer Atombombe (Uranbombe) sind die Geschwindigkeit der Neutronen und der Wirkungsquerschnitt der Spaltreaktionen.

Wirkungsquerschnitt

Was Geschwindigkeit ist wissen Sie, der Wirkungsquerschnitt ist ein Maß für die Wahrscheinlichkeit, mit der eine Teilchen- oder Kern-Reaktion abläuft. Fliegt ein Teilchen durch eine Ansammlung möglicher Reaktionspartner, so hängt die Wahrscheinlichkeit, dass eine bestimmte Reaktion eintritt, von der Dichte der Ansammlung und von dem Weg des Teilchens ab.

Beide Faktoren sind positiv: Je höher die Dichte von Reaktionspartnern, desto höher die Reaktions-Wahrscheinlichkeit. Je weiter das Teilchen durch die Wolke fliegt, desto sicherer ist eine Reaktion.

Nun ist die Einheit für eine Teilchendichte Teilchen pro Kubikzentimeter. Die Einheit für den zurückgelegten Weg ist Zentimeter. Wenn wir eine Konstante brauchen, die mit Teilchendichte und Wegstrecke multipliziert eine Wahrscheinlichkeit ergibt, dann muss diese Konstante die Einheit Quadratzentimeter haben. Quadratzentimeter bezeichnen einen Querschnitt, den Wirkungsquerschnitt. Wirkungsquerschnitt mal Teilchendichte integriert über die Wegstrecke ergibt eine einheitenlose Größe, die Reaktions-Wahrscheinlichkeit.

Reaktions-Wahrscheinlichkeiten sind Geschwindigkeitsabhängig. Ich hatte das für Fusionsreaktionen einmal herausgesucht. Bei konventionellen Atomreaktoren und Atombomben1 haben wir es mit Spaltreaktionen zu tun, die durch den Einfang von Neutronen ausgelöst werden.

Thermische Atomspaltung

Nun ist dieser Neutroneneinfang um so effektiver, je langsamer die Neutronen sind. Der Wirkungsquerschnitt langsamer Neutronen für diesen Vorgang ist größer. Um einen Reaktor effektiv zu betreiben, lohnt es sich also, die schnellen Neutronen, die bei jeder Kernspaltung auftreten, abzubremsen. Ein Atomreaktor besteht aus den Uranhaltigen Brennstäben und aus einem Moderator, der den Neutronen die Energie nimmt, sie auf seine Temperatur abkühlt und sie somit langsam macht. Die Abgebremsten Neutronen können dann wieder in die Brennstäbe eindringen und dort einen neuen Spaltprozess auslösen.

Wenn die Reaktions-Wahrscheinlichkeit jedes Neutrons gerade so groß ist, dass jede Atomspaltung im Schnitt eine weitere auslöst, ist der Reaktor kritisch.2 Die Reaktion erhält sich selbst. Zieht jede Spaltung mehr als eine nach, ist der Reaktor überkritisch. Er brennt zunehmend heftiger und heizt sich auf. Schlimmsten Falls bis zur Explosion.

Manfred Popp stellt nun klar, dass sich mit diem Konzept, thermische Neutronen zur Kettenreaktion zu verwenden, keine brauchbare Bombe bauen lässt. Und zwar, weil thermische Neutronen nicht viel schneller sind als die Atome in einem lauwarmen Gas. Sobald das Spaltmaterial warm wird und sich ausdehnt, läuft es den thermischen Neutronen davon. Die Reaktion kommt zum Erliegen.

Schnelle Atomspaltung

Unter schnellen Reaktoren habe ich mir früher immer welche vorgestellt, bei dem die Reaktion besonders schnell geht. Das Gegenteil ist der Fall. Bei schnellen Reaktoren sind die Neutronen schnell, damit ist ihre Reaktionsfreudigkeit deutlich gedämpft. Sie reagieren eher langsam. Die Neutronen selbst sind aber so schnell, dass sie die einsetzende Explosion einholen können. Nur so kann eine Atombombe effektiv funktionieren.

Anmerkungen:
1. Ich wähle hier bewusst die etwas unlogische aber im Alltag gebräuchliche Bezeichnung “Atomreaktor” statt “Kernreaktor”. Das passt besser als Gegensatz zur Atombombe für die mir der Begriff “Kernbombe” nicht geläufig ist.
2. Im Schnitt entstehen bei jeder Spaltung zweieinhalb Neutronen. Kritisch ist der Reaktion also, wenn von fünf Neutronen zwei Reagieren. Die Reaktions-Wahrscheinlichkeit muss also bei 40% liegen.
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Joachim Schulz ist Gruppenleiter für Probenumgebung an der European XFEL GmbH in Schenefeld bei Hamburg. Seine wissenschaftliche Laufbahn begann in der Quantenoptik, in der er die Wechselwirkung einzelner Atome mit Laserfeldern untersucht hat. Sie führte ihn unter anderem zur Atomphysik mit Synchrotronstrahlung und Clusterphysik mit Freie-Elektronen Lasern. Vier Jahre hat er am Centre for Free-Electron Laser Science (CFEL) in Hamburg Experimente zur kohärenten Röntgenbeugung an Biomolekülen geplant, aufgebaut und durchgeführt. In seiner Freizeit schreibt er zum Beispiel hier im Blog oder an seiner Homepage "Joachims Quantenwelt".

8 Kommentare

  1. Nur schnelle oder schwach moderierte (verlangsamte) Neutronen können also einen Atombombenmasse von innen bis aussen zünden und somit einen hohen Teil der in der Spaltungsmasse vorhandenen Soaltungsenergie freisetzen. . Eine Erkenntnis, die man eigentlich auch dem Uranverein hätte zutrauen können.

    • Naja, man sollte die Schwierigkeit nicht unterschätzen. Vor allem muss man eine Idee erstmal haben, bevor man in die Richtung forscht. Sie sollten bedenken, dass der Wirkungsquerschnitt für schnelle Neutronen etwa drei Größenordnungen kleiner ist. Auf dem ersten Blick ist das ein Showstopper.

      • Stimmt, im schlimmsten Fall hätte der geringe Wirkungsquerschnitt von schnellen Neutronen bedeutet, dass man eine sehr grosse Bombe hätte bauen müssen, denn im schlimmsten Fall hätten die Neutronen mehrere Zentimeter zurücklegen müssen bis sie eingefangen worden wären.
        Doch das ändert nichts daran, dass thermische Neutronen grundsätzlich ungeeignet waren um eine Atombombenexplosion in Gang zu halten, denn die thermischen Neutronen waren langsamer als die Explosionsfront.
        Noch zu:

        Vor allem muss man eine Idee erstmal haben, bevor man in die Richtung forscht.

        Die Neutronen, die bei der spontanen Spaltung enstehen sind ja schnelle Neutronen. Es braucht also gar keine Idee wie man diese erzeugen kann. Vielmehr braucht es eine Idee und gar ein Material,um aus schnellen Neutronen thermische zu machen. Man startet also mit schnellen Neutronen und muss nur erkennen, dass es diese natürlich schnellen Neutronen auch braucht, damit die Spaltungsreaktion nicht nur an einer Stelle, sondern überall in der Bombe stattfindet.

        • Deswegen hat man bei der Plutoniumbombe das Plutonium mit konventionellem Sprengstoff verdichtet. Das erhöht nämlich die Wahrscheinlichkeit, das schnelle Neutronen ein Pu Atom spalten.

  2. Die schnellen Neutronen verwendet man auch im Brutreaktor um Plutonium herzustellen.
    Die langsamen Neutronen haben bei 0 Grad Celsius eine mittlere thermische Geschwindigkeit von rund 2600 Metern pro Sekunde.

    • Zitat:

      Die langsamen Neutronen haben bei 0 Grad Celsius eine mittlere thermische Geschwindigkeit von rund 2600 Metern pro Sekunde.

      Während die Detonationsgeschwindigkeit in Festkörpern zwischen 4000 und 10’000 Metern pro Sekunde liegt wie man Detonation velocity entnehmen kann.
      Thermische Neutronen sind also langsamer als die Explosionsfront und damit ungeeignet für eine Atombombenexplosion.

  3. Heisenberg und sein Team (der Uranverein) war nie auf dem richtigen Weg zur Atombombe. Schon die allerersten Überlegungen seiner Gruppe gingen in die Irre: die Atombombe konnte nur funktionieren, wenn genügend spaltbares und sich spontan spaltendes Material möglichst dicht zusammenpepresst war. Dafür kam nur hoch angereichertes Uran-235 oder Plutonium in Frage. Dies erkannte der Uranverein nicht (?) und es gibt Anzeichen (und Dokumente) dafür, dass Heisenberg gar nicht den Bau einer Atombombe anstrebte.
    Heisenberg könnte also in Bezug auf die deutsche Atombombe (bezugsweise ihre Vereitelung) eine Lichtfigur, mindestens aber ein “froher” Versager gewesen sein. Ganz anders aber sehen ihn viele US-Bürger und sieht ihn die US-Kultur. Er gilt in den USA weithin als Dunkelgestalt, als Diener eines teuflischen Regimes, der für den Weltsieg der Deutschen arbeitete und dessen Arbeit, wenn erfolgreich, diesen Weltsieg auch hätte herbeiführen können. So mindestens habe ich dies in zwei US-Filmen wahrgenommen, in der Serie Manhattan und in “Breaking Bad”, wo sich der Held der Serie vom Chemielehrer zum schließlich alle moralischen Skrupel über Bord werfenden Grosshersteller von Crystal Meth wandelt und sich dabei den Decknamen “Heisenberg” gibt.

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