Born-Oppenheimer: Wie schnell ist langsam?
BLOG: Quantenwelt
In meinem letzten Artikel habe ich nebenbei etwas über schnelle und langsame Elektronen geschrieben. Langsame Elektronen, so meine Behauptung, müssen wir uns als Elektronenwolken vorstellen. Die Orbitale geben an, welchen Raum sie einnehmen. Schnelle Elektronen verhalten sich eher wie die kleinen Teilchen, die wir aus Bilderbüchern kennen. Sie fliegen durch Atome durch und werden an anderen Elektronen oder am Kern selbst gestreut. Aber wie schnell sind langsame Elektronen eigentlich? Und wie schnell sind Atomkerne?
Die Geschwindigkeit der Elektronen in den Orbitalen ist ebenso wenig definiert, wie ihre aktuelle Position, aber es lässt sich ein Mittelwert von etwa 770 Kilometer pro Sekunde für das Elektron von Wasserstoff im Grundzustand angeben.1 Dieser Wert wird für schwere Atome höher und für Elektronen in höheren Orbitalen kleiner, aber er ist ein Anhaltspunkt. 770 Kilometer pro Sekunde sind fast drei Millionen Stundenkilometer und damit im Vergleich zu allen Alltagsgeschwindigkeiten sehr groß. Ein langsames Elektron ist also ganz schön schnell.
Das hat eine wichtige Konsequenz: Mit klassischen Mitteln lässt sich ein Atom nicht auf Geschwindigkeiten bringen, die groß sind gegenüber der inneren Geschwindigkeit ihrer Elektronen. Meine Aussage, dass schnelle Elektronen sich anders verhalten und durch Atome durchflitzen können, bezieht sich auf Elektronen, deren Geschwindigkeit der Lichtgeschwindigkeit nahekommt.2
Die Schwerpunkte der Atome bewegen sich deutlich langsamer. Sie haben bei Zimmertemperatur eine thermische Energie von etwa 0,04 eV (40 Milli-Elektronenvolt). Die Masse eines Atoms beträgt pro Kernbaustein etwa 1GeV/c² (Giga-Elektronenvolt), also 2000 mal soviel wie die eines Elektrons. Bei einem Wasserstoffatom ergibt sich eine Geschwindigkeit von 950 Meter pro Sekunde, bei einem Eisenatom 126 Meter pro Sekunde. Dass auch ganze Atome bei moderaten Temperaturen für unsere Verhältnisse sehr schnell sind, lässt sich leicht beim Platzen eines Luftballons beobachten.
Atome bewegen sich also mit Geschwindigkeiten im Bereich von hunderten Metern pro Sekunde; Elektronen sind mit hunderten Kilometern pro Sekunde mehr als tausendmal schneller.
Es ist nützlich, diese Geschwindigkeiten in Zeitskalen umzurechnen, auf denen etwas interessantes passiert. Eine für Atome typische Längenskala ist das Ångström, ein Zehnmillionstel Millimeter. Teilen wir ein Ångström durch die typische Geschwindigkeit von Atomen und Elektronen, so erhalten wir Zeitskalen auf denen sich diese Teilchen um für Atome relevante Längen bewegen. Die typische Maßeinheit für diese Zeitskalen ist die Femtosekunde, ein Millionstel eines Milliardstels einer Sekunde. Die kurze Rechnung ergibt, dass Atome einige hundert Femtosekunden brauchen, um sich ein Ångström weit zu bewegen3. Elektronen brauchen für dieselbe Entfernung nur Zehntel Femtosekunden4.5
Hat man die völlig unterschiedlichen Zeitskalen, auf denen Elektronen und Atomkerne sich bewegen, im Kopf, lassen sich Berechnungen in der Molekül- und Festkörperphysik drastisch vereinfachen. Man kann die Bewegungen der Elektronen so rechnen, als ob sich die Kerne gar nicht bewegen. Elektronen haben alle Zeit der Welt, den aus ihrer Sicht gemächlichen Bewegungen der Kerne zu folgen. In der Praxis berechnet man die Elektronenkonfiguration und ihre Gesamtenergie für verschiedene Konstellationen der Atomkerne in einem Molekül. Daraus lässt sich die Energie eines Moleküls in Abhängigkeit von Kernabständen und Winkeln zueinander Berechnen.
In dieser Energielandschaft bewegen sich dann ganz langsam die Kerne wie in einem statischen Feld aus Elektronen. Dieses Vorgehen heißt Born-Oppenheimer-Näherung und versagt nur für schnelle Chemie sehr leichter Atome.
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