Spurensuche: die Atombombe, die es nicht gab

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Manfred Popp sagt in der jüngsten Ausgabe von “Spektrum der Wissenschaft”: Den deutschen Physikern im Dritten Reich fehlte physikalisches Grundlagenwissen und jegliches technologische Know How, eine Bombe zu bauen. Seine dezidierte Schlussfolgerung: Die deutsche Bombe hat es nicht geben können, und die gültige Geschichtsschreibung ist daher falsch. Er legt Fakten vor – und interpretiert diese aus der Sicht des Physikers. Die seriöse Geschichtsschreibung kommt aufgrund der gleichen Faktenlage zu einer anderen Betrachtung: Die Deutschen hätten die Bombe zwar grundsätzlich bauen können, nur die Umstände am Ende des Zweiten Weltkrieges hätten das verhindert. Welche Aussage ist wahr, welche falsch – oder ist die Frage womöglich so nicht sinnvoll? Ich habe nicht nur mit Manfred Popp gesprochen (der Talk wird hier in Kürze auf Sendung gehen), sondern im Deutschen Museum das Archiv des Uran-Vereins eingesehen (diese Reportage läuft in diesem Beitrag) und mich mit dem Physiker und Wissenschaftshistoriker Michael Eckert über die zwei Kulturen von Geistes- und Naturwissenschaften ausgetauscht (auch dieses Gespräch werde ich hier in Kürze veröffentlichen).

Der Versuch eines Brückenschlags.

Manfred Popp ist Atomphysiker. Er definiert „physikalisches Grundlagenwissen “ streng im Sinn eines Naturwissenschaftlers. Den wichtigsten Beweis sieht Popp in einer historisch bedeutenden Schrift des Heereswaffenamtes, dem Geheimdokument „Nutzbarmachung von Atomenergien“, in dem nur zwei mögliche Varianten vorgestellt werden: Die Spaltung von Uran 235 durch thermische und die Spaltung von Uran 238 durch schnelle Neutronen. Popp legt großen Wert auf die Feststellung, dass in diesem Dokument die dritte, die für die amerikanische Atombombe relevante Methode – die Spaltung von Uran 235 mit schnellen Neutronen – gerade nicht aufgeführt ist. Die deutschen Physiker hätten, wenn überhaupt, nur eine Art Pseudo-Atombombe im Blick gehabt, eine sogenannte „Reaktorbombe“, deren Sprengkraft jene von herkömmlichen Bomben nicht übertroffen hätte – einmal abgesehen von Kollateralschäden, die eine derartige Waffe durch den zusätzlichen Fallout des radioaktiven Materials natürlich auch verursacht hätte. In meinem Talk mit ihm zieht Popp in Sachen Reaktorbombe dafür selbst den Vergleich zur Explosion von Chernobyl. Auf die Methode der amerikanischen Atombombe sei Heisenberg erst am Ende des Zweiten Weltkriegs in der britischen Internierung in Farm Hall gekommen. Das ist historisch belegbar. Nachdem er vom Abwurf der Bombe in Hiroshima erfahren hatte, dauerte es noch etwa eine Woche, dann hatte Heisenberg die Grundlagen der amerikanischen Atombombe verstanden und korrekt berechnet. Popp kommt daher zur Feststellung: Die deutsche Bombe hätte es nicht geben können.

Popp sieht statt dessen vor allem die Angst, von der die deutschen Atomforscher damals offenbar getrieben waren: die Angst, das Ziel einer Atombombe nicht erreichen zu können, und deshalb von der Politkaste als unbrauchbar ausrangiert hinter Stacheldraht im KZ zu landen. Die Wissenschaftler hätten deshalb das Thema klein gekocht und weitgehend ausgeblendet. Angemerkt werden kann allerdings auch, dass sie sich die Angst vor allem deshalb “leisten” konnten, weil seitens des Regimes im Dritten Reich nachweislich jeder Druck auf sie fehlte, eine Atombombe tatsächlich entwickeln zu müssen. Hitler und die Polit-Bosse haben die Lage zweifellos falsch eingeschätzt und offenbar selbst nicht an den Bau einer kernphysikalischen Bombe geglaubt. In der Zeit, in der sie sich hätten den Bau einer solchen Waffe noch leisten können, hat ihnen der nötige Weitblick für diese intellektuell zweifellos anspruchsvolle Vision einer “Wunderwaffe” – Gott sei Dank! – schlicht gefehlt. Und der führende Kopf Heisenberg war ein von Angst getriebener Theoretiker, der nichts dafür tat, dieses “visionäre Versagen” der Nazi-Größen zu verändern. Er war vom Typ eben ganz anders veranlagt als der brilliante Verkäufer und Raumfahrt-Visionär Wernher von Braun, ein zielorientierter Machtertyp, der wusste, wie man Gelder für große Ideen locker macht. Die historisch relevante Frage stellt sich dennoch: Hätte das Regime die Atombombe wirklich haben wollen, hätte es die Forscher mit massiven Druck gezwungen – was dann? Hätte es dann womöglich die Bombe doch geben können?

Vom historischen Gesichtspunkt aus betrachtet, rückt deshalb die rein technologische Beantwortung der Frage nach dem physikalischen Grundlagenwissen der beteiligten Forscher in den Hintergrund. Ob die deutschen Physiker “nur” eine Chernobyl-Reaktorbombe oder eine Hiroshima-Atombombe konzipierten und wie weit diese technologischen Entwicklungen im Dritten Reich waren, das spielt für Wissenschaftshistoriker nicht die zentrale Rolle. Denn sie interessieren sich für Motivationen im geschichtlichen Kontext und für Fragen wie diese: Wären die Atomforscher im Dritten Reich grundsätzlich bereit und intellektuell in der Lage gewesen, eine Bombe zu bauen? Ja, das waren sie zweifellos, auch ohne dass sie dieses Ziel tatsächlich erreicht haben – und so bleiben die Historiker bei einer anderen Schlussfolgerung der Faktenlagen: Die Physiker um Heisenberg waren grundsätzlich zum Bau einer Atombombe in der Lage, auch wenn die Umstände faktisch nicht dazu führten.

Für mich bleibt festzuhalten: Der Widerspruch der auf den ersten Blick so unterschiedlich anmutenden Aussagen ist im Grunde wesentlich geringer als er scheint. Im Kern sind beide Auffassungen aus den Fakten abzuleiten, was zeigt, dass die Interpretation immer auch von der Blickrichtung auf ein so komplexes Thema mit bestimmt wird. Im Kontext vielschichtiger Zusammenhänge entzieht sie sich einer absoluten Wahrheitseinschätzung. Sie ist nicht Schwarz oder Weiß, sondern bietet Platz für Grau. Auch das unterscheidet die Welt eines Wissenschaftshistorikers von der Welt eines Physikers.

Zu meiner Reportage zum Thema für das Magazin “Spektrum der Wissenschaft” geht’s hier.

Die anderen Teile der Serie von HYPERRAUM.TV zur deutschen Atombombe in meinem Video-Blog hier:

Systemforschung Wissenschaftsgeschichte

Systemforschung Wissenschaftsgeschichte

Zum Online-Artikel von Manfred Popp: “Warum es die Atombombe nie gab”

Zum Inhaltsverzeichnis von “Spektrum der Wissenschaft”

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Ich habe viele Jahre journalistisch im Bereich Wissenschaft und Technologie gearbeitet, später dann mit meiner kleinen Beratungsfirma als Medienexpertin. 2010 erfüllte ich mir meinen großen Traum und gründete den Spartensender HYPERRAUM.TV, für den ich eine medienrechtliche Rundfunklizenz erteilt bekam. Seither mache ich als One-Woman-Show mit meinem „alternativen TV-Sender“ gewollt nicht massentaugliches Fernseh-Programm. Als gelernte Wissenschaftshistorikern habe ich mich gänzlich der Zukunft verschrieben: Denn die Vergangenheit können wir nur erkennen, die Zukunft aber ist für uns gestaltbar. Wir sollten versuchen, nicht blind in sie hinein zu stolpern!

5 Kommentare

  1. Zur „Reaktorbombe“ im Gesamtzusammenhang siehe auch:
    https://scilogs.spektrum.de/hyperraumtv/hitlers-wunderwaffe/#comment-27

    Ein Beispiel, wie sehr gerade manche Physiker in der Wissenschaftsgeschichte in wichtigeren Fragen ganz fundamental irren, ist das Faktum, dass man fast keine Physiker findet, die wissen, dass Einstein nicht der Schöpfer der SRT ist, ja dass er sogar bei Lorentz und Poincaré abgeschrieben hatte; siehe dazu (vermutlich nur für halbwegs kompetente Physiker verständlich):
    http://www.soso.ch/wissen/hist/SRT/Einstein_1905.pdf

  2. Die Aussage von Popp bleibt nun mal uneingeschränkt richtig: der Uranverein war hinsichtlich Theorie und Technologie definitiv auf einer aussichtslos falschen Fährte. Es gab nicht die geringste Chance auf Erfolg, nicht einmal wenn man die richtige Theorie gehabt hätte: die gegebenen industriellen Möglichkeiten des dritten Reiches hätten – schon gar unter Kriegsbedingungen – nie und nimmer gereicht. Man lese hierzu den Wikipedia-Artikel über das Manhattan-Projekt, aus dem klar wird, welche Anstrengungen – außerhalb jeglicher Feindeinwirkung – für einen Erfolg nötig gewesen wären. Mögen Heisenberg und Co. kompetent genug und so bereit zum Bombenbau gewesen sein, wie Frau Päch meint – es hätte nicht das Geringste geändert an der Tatsache, dass eine deutsche Uran-Bombe unter diesen Umständen noch nicht einmal den Titel “Hirngespinst” verdiente. Es scheint mir wichtig, dass dieser Punkt auch von den Historikern verstanden und im Zusammenhang dann auch ganz klar und deutlich vermittelt wird – das ist leider keineswegs immer geschehen, vermutlich weil für Nicht-Physiker die Aussichtlosigkeit des Unterfangens gar nicht so offensichtlich ist. Das führt nämlich im nächsten Schritt zu der Frage, ob diese Physiker wirklich so dumm waren, dass sie die Unmöglichkeit ihres Vorhabens nicht erkennen konnten und warum sie dann trotzdem weiter Uranverein gespielt haben – eine Frage, die tatsächlich den Wissenschaftshistoriker interessieren sollte und zu der man vielleicht Psychologen und Soziologen zu Rate ziehen könnte, die dann versuchen würden, auch die Lebenssituation und die seelische Verfasssung dieser Wissenschaftler mit in ihre Überlegungen einzubeziehen. Popp lieferte ja schon ein paar (für mich nicht ganz überzeugende) Hinweise auf solche Aspekte.

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