Soziale-Medien-Vorsatz für 2024: Ohne schlechtes Gewissen blocken

Collage unterschiedlicher Block-Menüs

Soziale Medien erlauben uns eine Vielzahl sozialer Interaktionen, und das auch mit Menschen, denen wir im Offline-Leben selten bis gar nicht über den Weg laufen. Allerdings bringt es die schiere Masse an Kommunikation mit sich, dass wir aufpassen müssen, wie wir mit sozialen Medien in der Praxis umgehen. Das wiederum hängt natürlich davon ab, was wir uns von der Nutzung sozialer Medien erwarten. Eine Reihe von Nutzer*innen insbesondere auf X (in besseren Tagen hieß das noch Twitter) scheinen den Krawall ja geradezu zu genießen. Andere, mich selbst eingeschlossen, sind auf den Sozialen Medien um Neues dazu zu lernen oder auch zu erfragen, interessante Links empfohlen zu bekommen, andere Perspektiven kennenzulernen, wenn es sich ergibt auch Sachdiskussionen zu führen. (Und ja, wegen der Katzenbilder, Absurditäten und Albereien.) Vor diesem Hintergrund lautet mein guter Vorsatz für Soziale-Medien-Nutzung für 2024: Ich werde mehr, früher und ohne schlechtes Gewissen blocken. (Und ja, ich weiß: Ich hinke damit rund 5 Jahre hinter Sascha Lobo hinterher.)

So viele Posts, so wenig Zeit

Mehr ausblenden um mehr mitzubekommen? Ganz genau. Denn die Masse der Inhalte, die man auf den sozialen Medien serviert bekommt – ich bin derzeit vor allem auf Bluesky, gelegentlich auf Mastodon unterwegs – ist so groß, dass man nicht alles davon lesen kann. Verbringe ich mehr Zeit mit unfruchtbarem Hin-und-her, verbringe ich in aller Regel weniger Zeit mit den interessanteren Posts, in denen es insbesondere um Inhalte geht.

Fruchtlose Diskussionen können ein beachtlicher Zeitfresser sein. Da zeigen sich die Grenzen von Kommunikation über (vergleichsweise) kurze Texte: Mal mißversteht der eine eine Aussage, mal der andere. Fehlender guter Wille, nämlich fehlendes Vorab-Vertrauen in die konstruktiven Absichten des jeweils anderen, tun ein übriges. Ich hatte zwar auch schon Diskussionen, bei denen anfängliches Beharken am Ende doch zu einem konstruktiven Ziel kam. Aber meist ist es nicht so. Ich arbeite daran, mich dann rechtzeitig auszuklinken und nicht dem “aber was er da antwortet ist doch schon wieder falsch, dazu muss ich auch etwas schreiben” zu verfallen.

Mit Blocken auf der Suche nach dem Informations-Zuwachs-Maximum

Wieweit Form und Inhalt bei Beiträgen auf den sozialen Medien gekoppelt sind, ist keine rein rhetorische Frage. Ich sehe durchaus das Argument des “Tone policing”: Wenn es zwei Seiten einer Debatte gibt, es aber einer der Seiten bei der Debatte besonders stark an die Substanz geht, dann wäre “wir lassen nur diejenigen an der Debatte teilnehmen, die sich unemotional und ruhig dazu äußern können” keine inhaltlich neutrale Position, sondern würde effektiv Partei für eine der Seiten ergreifen.

Insofern ist das einfache Rezept “ich blocke bei unakzeptabler Form, aber unabhängig vom Inhalt” bei genauerer Betrachtung doch nicht mehr ganz so einfach. In Bezug auf persönliche Bedrohungen, Beleidigungen und Verhöhnung scheint es mir aber gut anwendbar. Leute, die mir so kommen, konsequent und rasch zu blocken sollte das Meinungsspektrum zu Sachthemen, die ich in meiner Timeline finde, nicht einseitig einengen. Auch Menschen, deren Beitrag zu einer ohnehin aufgeheizten Diskussion nur darin besteht, die Eskalation mit unsachlichen (spöttische, despektierlichen, pseudo-witzigen) Bemerkungen  noch anzuheizen, blocke ich inzwischen recht schnell.

Für mich ist Blocken damit nur eine Variante von Informationsmanagement – von dem Versuch, den enormen Fluss an Äußerungen in den sozialen Medien zumindest etwas zu bändigen. Querverbindungen gibt es zu meinen Versuchen, hier in den Kommentaren zu meinem Blog mit ähnlichem Ziel zu moderieren – wobei sich meine Haltung dazu, nicht zuletzt angesichts der Erfahrungen mit Sozialen Medien, im Vergleich zu meinem letzten entsprechenden Beitrag wieder etwas weiterentwickelt hat. Aber das ist dann ein gesondertes Thema für einen eigenen Blogbeitrag.

Schreibt gerne bzw. schreiben Sie gerne die eigenen Strategien in die Kommentare: Ganz von sozialen Medien wegbleiben? Alles ungefiltert inhalieren? Oder, wie bei mir, irgendetwas dazwischen?

 

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Markus Pössel hatte bereits während des Physikstudiums an der Universität Hamburg gemerkt: Die Herausforderung, physikalische Themen so aufzuarbeiten und darzustellen, dass sie auch für Nichtphysiker verständlich werden, war für ihn mindestens ebenso interessant wie die eigentliche Forschungsarbeit. Nach seiner Promotion am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam blieb er dem Institut als "Outreach scientist" erhalten, war während des Einsteinjahres 2005 an verschiedenen Ausstellungsprojekten beteiligt und schuf das Webportal Einstein Online. Ende 2007 wechselte er für ein Jahr zum World Science Festival in New York. Seit Anfang 2009 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, wo er das Haus der Astronomie leitet, ein Zentrum für astronomische Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, seit 2010 zudem Leiter der Öffentlichkeitsarbeit am Max-Planck-Institut für Astronomie und seit 2019 Direktor des am Haus der Astronomie ansässigen Office of Astronomy for Education der Internationalen Astronomischen Union. Jenseits seines "Day jobs" ist Pössel als Wissenschaftsautor sowie wissenschaftsjournalistisch unterwegs: hier auf den SciLogs, als Autor/Koautor mehrerer Bücher und vereinzelter Zeitungsartikel (zuletzt FAZ, Tagesspiegel) sowie mit Beiträgen für die Zeitschrift Sterne und Weltraum.

4 Kommentare

  1. Mache ich inzwischen genauso. Auf Bsky habe ich mir 2 Filterlisten gebastelt:
    -eine für Trolle und, kurz gesagt, Idioten
    -eine mit Namen “Horny Hole” 😉 für alle, die sich mehr oder weniger nackt präsentieren und durch den Filter rutschen (bin nicht prüde, aber ich bin nicht auf Bsky um mir eure Körper anzugucken)

    Das reicht bei mir für 99% der Fälle. Bot accounts und die extrem krassen Fälle blocke ich mit der “richtigen” Blockierfunktion.

    Ich bin nach Jahren des social media Gebrauchs auch besser darin geworden, mich nicht mehr triggern zu lassen, so lange die Aussagen also nicht _wirklich_ schlimm sind, beachte und reagiere ich einfach nicht mehr auf solche Dinge.

    • Danke, das klingt nach einer sinnvollen Strategie! Ich muss noch daran arbeiten, nicht jedesmal nach dem xkcd-Motto “There’s something wrong on the internet!” zu antworten, aber ich werde langsam besser 🙂

  2. Vielfalt braucht eine gute Suchmaschine. Sonst verschwendet man viel zu viel Zeit mit Filtern von Inhalten, die einen gerade nicht interessieren. Dann läuft man aber immer Gefahr, dass einem die Filter Scheuklappen anlegen und man in einer Sekte landet, die sich in irgendwelchen Wahnsinn hineinsteigert, oder gar alleine mit dem Schrei: „Ihr seid alle Echsenmenschen und ich bin ein Pterodaktylus-Engel!“ aus dem Fenster hüpft, und dann ein paar Runden um den Kirchturm dreht, weil der Krankenwagen-Fahrer neu in der Stadt ist und sich immer wieder verfährt (ich würde empfehlen, vorsichtshalber in die Parterre zu ziehen, da ich aber als reinkarnierter Pterodaktylus nur höhere Stockwerke ertrage, verzichte ich aus Prinzip auf religiösen Wahn, egal, was die weißen Mäuse sagen).

    Das ist beileibe kein neues Phänomen – einer der bekanntesten Filter ist das Casting von Königen ausschließlich aus einem bestimmten Adelsgeschlecht, weil man sonst vor lauter Bewerbern aus den Bürgerkriegen gar nicht mehr herauskäme. Auch Vorurteile gegenüber Hautfarben, Geschlechtern, sozialen Schichten, sollen vor allem Ressourcen sparen, einschließlich Zeit. Und wenn wir uns in Subkulturen-Uniformen kleiden, mit Symbolen behängen, die unsere Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe zeigen, sparen wir uns Kontakte mit Leuten, die uns nicht interessieren, und erleichtern Anderen den Umgang mit uns.

    Das heißt, das Internet ändert im Grunde – nicht viel. Die globale Fußgängerzone funzt genauso wie die in der Innenstadt, da redet man auch nicht mit jedem und wer aus dem Maul stinkt oder pöbelt, wird gemieden. Natürlich gibt’s im Internet nur das Ordnungsamt Marke Eigenbau, also Mods und Passwörter. Aber zu den feinen Debattier-Salons wurde Pöbel nie reingelassen, und bevor es Polizei gab, gab’s Stadtmauern und Zugbrücken. Und grölende Lynchmobs, die durch die Straßen ziehen, sind ja auch nichts Neues, da verrammeln die braven Bürger stets Fenster und Türen. Und das Internet ermöglicht es, die Lynchmobs um die zivilisierteren Stadtbezirke herumzuleiten.

    Den wichtigsten Unterschied macht wohl die Anonymität: Jeder trägt eine Burka und ist heiser. Es fehlen Körpersprache, Mimik, Pheromone, das heißt, der emotionale Schlüssel, um die Information, die uns die Worte schicken, korrekt zu entziffern, fehlt. Weil für die meiste Kommunikation Wörter eher überflüssig sind, da es nur ums Weiterleiten von Erregungszuständen und das Schließen kollektiver Gefühlschaltkreise geht, sind Missverständnisse an der Tagesordnung. Und wenn man gegen eine Wand redet, die alles in den falschen Hals kriegt, rastet man irgendwann aus. Und der kollektive Erregungszustand, der immer größere Schaltkreise zieht, ist blinde Wut.

    Anders gesagt – im Internet sind wir automatisch geblockt. Alleine durch die Form der Kommunikation. Was die Anderen verstehen, wird weitaus weniger von uns selbst bestimmt, als von deren Erwartungshaltung. Wenn Sie selbst nett drauf sind und auf nette Leute treffen, passt das. Aber wenn einer wütend ist, spürt er nur die Vibes der eigenen Wut, und projiziert sie auf Ihre Aussagen – er meint allen Ernstes, nicht er fühlt sich von selbst angemacht, sondern Sie hätten ihn angemacht. Menschen sind emotionale Borg, wir fühlen oft als Gruppen, die dadurch zu einer Einheit verschmelzen, und können kaum unterscheiden, wer die Quelle eines Gefühls ist.

    Anscheinend ist das Ganze keine so große Sache, wenn die Leute mit (a)sozialen Netzwerken zurechtkommen und sich wohl darin fühlen. Vielleicht haben die Algorithmen von Gates, Zuckerberg und Xi (der macht Tiktok) dann doch die Wirkung, virtuelle Stammkneipen und Szene-Clubs zu schaffen, wo sich nur Leute über den Weg laufen, die schon emotional gleichgeschaltet sind.

    • Finde da viele interessante Gedanken, die ich alle einen Teil des Weges aber nicht bis zu dem hier jeweils präsentierten zugespitzten Ende mitgehe. Gerade bei Stereotypen spielen ja noch andere wichtige Aspekte z.B. zum jeweiligen Selbstverständnis eine Rolle. Die Fußgängerzone als Vergleich finde ich interessant, sehe aber da gerade auch die Unterschiede – die Grauzone wo wir uns, nicht-online-Verhaltensmustern folgend, auf bestimmte voraussehbar unfruchtbare Gespräche einlassen, wo wir uns sinnvollerweise herausgehalten haben. Weil die heuristischen Verhaltensmuster aus dem offline-Leben uns im Internet ggf. dann nicht mehr automatisch etwas nützen, wenn die Häufigkeiten sich von einem zum anderen Rahmen verschieben. Etwa weil bestimmte Arten von Gespräch offline so selten sind, dass wir keinen großen Nachteil haben, wenn wir uns höflich darauf einlassen, während dasselbe Verhalten online aufgrund der deutlich mehr solchen Gesprächsanlässe ein signifikanter Zeitfresser wäre. Auch die Anonymität sehe ich nicht so absolut. Zum einen weil dort, wo ich bin, nämlich auf Bsky, tatsächlich die meisten in meinem Umfeld mit (soweit ich sehen kann) echten Namen unterwegs sind. Zum anderen weil die meisten auch “als Menschen” unterwegs sind, man also wenn man ihnen folgt auch etwas über den Alltag und damit darüber mitbekommt, “wer diese Personen sind”. Aber klar, den Effekt mit “wütend oder ungehalten irgendwo hineingrätschen und sich dann ob der Reaktionen angegriffen fühlen” gibt es in der Tat. Last but not least, eine ganze Menge Menschen mit denen ich gut interagiere, sind ausdrücklich nicht bis ins Letzte mit mir “emotional gleichgeschaltet”. Im Gegenteil finde ich die Interaktionen mit Menschen, die ich zwar allgemein als intelligent, informiert und konstruktiv erlebe, die aber bei bestimmten Themen dann trotzdem ganz andere Einschätzungen haben als ich (samt angehängter Emotionen) mit am spannendsten.

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