Piqd: Weitgehend [natur]wissenschaftsfrei pikiert

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… aber nicht einfacher
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Als ich das erste Mal von Piqd hörte, dachte ich: Yay, endlich, das wurde auch Zeit! Ich trommle ja schon seit einiger Zeit dafür, dass eine Nische des Journalismus darin bestehen würde, die vielfältigen Inhalte, die dank Internet jetzt allgemein zugänglich sind, zu kuratieren, und damit als Mehrwert einerseits eine Qualitätskontrolle, andererseits eine Reichweitenverstärkung beizutragen (z.B. Wieviel neue Medien verträgt [Wissenschafts-]Journalismus? oder Wissenschaftsjournalismus: Was wollen die Leser / Zuschauer?).

Klimawandel (Symbolbild) OK, aber viel mehr Wissenschaft dann bitte nicht auf Piqd
Klimawandel (Symbolbild) OK, aber viel mehr Wissenschaft dann bitte nicht auf Piqd

Piqd ist ein Webportal mit Kuratoren, die für verschiedene Themenbereiche aktuelle Empfehlungen aussprechen, was es da an interessanten Artikeln zu lesen gibt.

Soweit, so gut.

Immer noch dieselben zwei Kulturen

Beim weiteren Nachlesen wurde mir dann leider klar, dass Piqd in entscheidender Hinsicht leider doch recht rückständige Weltbilder fortschreibt. Die zwei Kulturen hatte C. P. Snow bereits 1959 beschrieben, und Dietrich Schwanitz hatte im deutschsprachigen Raum 1999 mit seinem Buch Bildung: Alles was man wissen muß dem leider immer noch durchaus verbreiteten weitgehend naturwissenschaftsfreien Bildungsbegriff ein Denkmal gesetzt. Piqd legt die gleiche alte Platte noch einmal auf.

Unter den derzeit 155 Kuratoren finde ich viele Journalisten, außerdem Menschen mit Hintergründen in Journalismus, Politikwissenschaft, Literaturwissenschaft, “irgendwas mit Medien”, Kulturwissenschaften, gelegentliche (meist politisch aktive) Juristen oder BWLer, Musiker, Schrifsteller/-innen.

Die einzige, bei der ich in der Kurzbeschreibung Interesse an Wissenschaft feststellen konnte, war Annette Kerckhoff, in der Kurzbeschreibung “Heilpraktikerin und Gesundheitswissenschaftlerin”, Autorin bzw. Koautorin von Büchern mit so schönen Titeln wie “Homöopathische Schlaganfalltherapie” oder “Homöopathie für die ganze Familie.” Naja, zumindest steht da bei den Interessen in der Piqd-Kurzbio “Wissenschaft und das Hinterfragen von Wissenschaft”.

Naturwissenschaftler unter den Kuratoren? Nada. Wissenschaftsjournalisten habe ich auch keine/n einzige/n gefunden. Wenn die in den Redaktionen nicht ernst genommen werden ist das eben auch eine traditionelle Ausprägung der zwei Kulturen; sie beim Kuratieren gar nicht erst einzubeziehen ist da nur der logische nächste Schritt.

Enge Kanäle auf Piqd

Immerhin: ein wenig [Naturw]issenschaft passt in die vorgegebenen Themenkanäle, wenn auch nur dem praktischen Schmalspurinteresse nach, das von Wissenschaft nur etwas wissen will, wenn man als Mensch direkt betroffen ist (Gesundheit, Psychologie, Umwelt, Energie, Klimawandel, Technik). “Warum Kokoswasser sein Geld nicht wert ist” steht unter “Kopf und Körper”, ebenso wie “Never mind the G-Punkt – here’s the Zervix”.

Klimawandel und Umweltdinge und so passen in den Kanal “Klima und Wandel”, also Artikel zu “Radeln in der Weltstadt: Spaß in London und Moskau, Hölle in Paris und Rio” oder “Eisbären ohne Eis”.

In den Kanal “Zukunft und Technik” passt dann die technische Seite der Medien. “Werden Roboter die besten Chefs?” beispielsweise, oder “Gamification am Arbeitsplatz: Beispiel Gesundheitsschutz”.

[Naturw]issenschaft als Kulturleistung? Grundlagenforschung einfach nur, weil sie interessante Ergebnisse erbringt, oder auch uns etwas über unseren Platz im Universum aussagt? Fehlanzeige, wie schon damals bei C.P. Snow. Die erste Kultur bleibt unter sich. Auch wenn sie sich inzwischen gelegentlich Gedanken um ihre Gesundheit, über Computer und den Klimawandel macht. Und wenn es inzwischen das neue Wort “Filterblase” gibt, das C.P. Snow noch nicht kannte, aber das sehr schön beschreibt, wie sich die erste Kultur hier weitgehend gegenüber den Naturwissenschaften abschottet.

Was kuratiert Piqd?

Zweite Enttäuschung war, dass zumindest meine Vorstellung vom Kuratieren vor allem diejenigen Inhalte betraf, die im Internet zu den klassischen Medieninhalten hinzutraten. Eben weil sich jetzt auch viele Menschen zu Wort melden können, die in den Zeiten vor dem Internet ungehört und gelesen blieben. Und eben weil sich im Internet jetzt viele Inhalte finden, die damals das Massentauglichkeits-Kriterium nicht erfüllt haben und daher auch für diejenigen (nicht-Massen) unzugänglich blieben, die sie eigentlich interessiert hätten.

Nachteil ist dabei natürlich die mangelnde Qualitätskontrolle. Herkömmliche Medien mit Redaktionsstruktur, Vier-Augen-Prinzip etc. setzen da natürlich einen bestimmten Standard. Was außerhalb von redaktionell aufgearbeiteten Beiträgen im Netz steht, kann sehr gut sein, aber oft eben auch grottenschlecht. Sprich: da wäre es wirklich sinnvoll, zu kuratieren.

Leider schafft Piqd diesen speziellen Mehrwert gerade nicht. Deren Motto ist “piqd ist deine Programmzeitung für guten Journalismus”, sprich: kuratiert wird nur, was sowieso schon in redaktionell betreuten Medienportalen steht. Gut, kann man so machen. Man blendet nur eben vieles von dem, was dank Internet an Informationen, an Meinungsspektrum und an Niveaustufen dazugekommen ist aus. Sprich: Anstatt zu zeigen, was da an guten Beiträgen online steht, sind wir bei einer aufgepeppten Version der guten alten Presseschau. Aus meiner Sicht eine weitere verpasste Chance.

Und nu?

Wie gesagt: Kann man so machen. Traditionelle Filterblase der ersten Kultur. Presseschau, nur jetzt online. Warum nicht.

Und vielleicht, vielleicht versuchen sich ja in Zukunft auch noch andere an solch einem Projekt. Oder die herkömmlichen Medien entdecken, welchen Mehrwert man durch Kuratieren jenseits von “Die lustigsten YouTube-Videos” oder “Kurioses aus dem Netz” schaffen kann. Und dann hoffentlich ohne Filterblase, mit den Naturwissenschaften im Boot, und wirklich mit der ganzen Reichhaltigkeit von Internetbeiträgen als Ausgangsmaterial.

 

 

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Markus Pössel hatte bereits während des Physikstudiums an der Universität Hamburg gemerkt: Die Herausforderung, physikalische Themen so aufzuarbeiten und darzustellen, dass sie auch für Nichtphysiker verständlich werden, war für ihn mindestens ebenso interessant wie die eigentliche Forschungsarbeit. Nach seiner Promotion am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam blieb er dem Institut als "Outreach scientist" erhalten, war während des Einsteinjahres 2005 an verschiedenen Ausstellungsprojekten beteiligt und schuf das Webportal Einstein Online. Ende 2007 wechselte er für ein Jahr zum World Science Festival in New York. Seit Anfang 2009 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, wo er das Haus der Astronomie leitet, ein Zentrum für astronomische Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, seit 2010 zudem Leiter der Öffentlichkeitsarbeit am Max-Planck-Institut für Astronomie und seit 2019 Direktor des am Haus der Astronomie ansässigen Office of Astronomy for Education der Internationalen Astronomischen Union. Jenseits seines "Day jobs" ist Pössel als Wissenschaftsautor sowie wissenschaftsjournalistisch unterwegs: hier auf den SciLogs, als Autor/Koautor mehrerer Bücher und vereinzelter Zeitungsartikel (zuletzt FAZ, Tagesspiegel) sowie mit Beiträgen für die Zeitschrift Sterne und Weltraum.

5 Kommentare

  1. “Immerhin: ein wenig Wissenschaft passt in die vorgegebenen Themenkanäle, wenn auch nur dem praktischen Schmalspurinteresse nach, das von Wissenschaft nur etwas wissen will, wenn man als Mensch direkt betroffen ist (Gesundheit, Psychologie, Umwelt, Energie, Klimawandel, Technik).”

    Bitte subsumieren Sie unter “Wissenschaft” nicht nur die Naturwissenschaft. Die Geisteswissenschaften sind auch Wissenschaften.

  2. Lieber Herr Pössel,

    danke für Ihre intensive Auseinandersetzung mit unserer Plattform “piqd”. Wir freuen uns über diese, übrigens erste wirklich negative Kritik und werden sehr genau prüfen, was da für uns drin ist. Weil man ja im ersten Augenblick sein Kind gern verteidigt, sage ich – ja es ist eine Plattform für vor allem Journalismus. Wenn man eine sucht für rein-wissenschaftliche Publikationen muss man enttäuscht sein. Trotzdem freuen wir uns, falls Ihnen wissenschaftliche KuratorInnen einfallen sollten, die in der Lage wären bei piqd thematische passende, wissenschaftliche Publikationen beizusteuern, die aber im Rahmen einer normalen, täglichen, bildungsbürgerlichen “Zeitungslektüre” zu bewältigen sind. Gibt es das?
    Besten Gruß

    marcus jordan

    • Lieber Herr Jordan,

      vielen Dank für Ihren Kommentar. Wie gesagt, die Wahl, nur journalistische Inhalte zu kuratieren, kann man treffen. Mit der Vielfalt, die dabei verloren geht, meinte ich allerdings nicht wissenschaftliche Fachpublikationen, sondern durchaus Angebote, die sich an die allgemeine Öffentlichkeit wenden. Die Wissenschaftsblogs hier auf SciLogs, aber auch nebenan bei scienceblogs, sind dafür Beispiele. Vieles davon wird für ein allgemeines Publikum zu speziell sein, aber diejenigen Beiträge zu finden, die von allgemeinerem Interesse und hinreichender Qualität sind – das wäre eben gerade der Mehrwert des Kuratierens.

      Als Kurator/innen für den breiteren Bereich Wissenschaft würden sich natürlich vor allem die Wissenschaftsjournalisten anbieten, ob frei oder in den Redaktionen. Ihrer Liste nach sind die Kontakte in eine Reihe von Redaktionen bei Ihnen ja durchaus vorhanden – darüber sollten Sie doch vermutlich auch zu den wissenschaftsjournalistischen Kollegen gelangen?

      Ich würde mich jedenfalls sehr freuen, wenn Piqd seinen Kuratorenpool in dieser Richtung erweitern würde.

      Mit den besten Grüßen,

      Markus Pössel

  3. Piqd:

    Traditionelle Filterblase der ersten Kultur. Presseschau, nur jetzt online.

    Man kann auch sagen: Piqd reflektiert das kollektive Weltbild der Kuratoren (Themenverwalter) und – durch seine Aufmachung – das Zielpublikum. Es geht um gehobenes Infotainment und erinnert auf der äussersten Ebene etwas an bento, den neuesten Spiegel-Online Kanal für die junge Internetgeneration (Eigenwerbung:”bento erklärt die News, zeigt das Beste aus dem Web und erzählt packende Stories. Nachrichten und Journalismus für alle, die im Internet zu Hause sind. Zeit für etwas Frisches”).
    Die Absicht von Piqd ist gehobenes Infotainement und wird zudem gut durch das bento-Metaphor beschrieben: (“Das Bentō (jap. 弁当) ist eine in Japan weit verbreitete Darreichungsform von Speisen, bei der in einem speziellen Kästchen mehrere Speisen durch Trennwände voneinander getrennt sind.”)
    Diese Charakterisierung von Piqd macht auch schon klar, warum die Wissenschaftsvermittlung (eines der Schwerpunktthemen von Markus Pössel) in Piqd eher ein Randdasein geniessen wird: Piqd richtet sich an ein möglichst breites Internet-Publikum, welches zuerst einmal nach Informationshäppchen und nach Szenenzugehörigkeit giert. Piqd bietet
    über seine Themen-“kanäle” aber auch Vertiefungsmöglichkeiten wobei der Ton in längeren selbstredigierten Texten (also den Texten, die nicht einfach auf einen anderen Artikel verweisen) oft für Millennials und die Internetgeneration abgestimmt ist. Hierzu ein Zitat aus dem Kanal “Literatenfunk” (Urlaubsqualen – welche Bücher gehören ins Reisegepäck?)

    Beim Zeichnen der mediterranen Fremde lasse ich Žižek sacken. Abends schreibt mein Sohn auf Whatsapp; hör dir mal Jennifer Rostock an! Er bekommt den erhobenen Daumen zurück.

    Dass es Wissenschaftsvermittlung und tiefere Auseinandersetzungen an und für sich in einem solchen Umfeld schwer haben, ist für mich selbstevident..

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