Asbest und Erdbebenrisiko in Europa

Warnschild "Achtung Asbest" und Person im Schutzanzug

Dass Asbest bei Naturkatastrophen ein zusätzliches Risiko für Überlebende und Rettungskräfte darstellt, hatte ich bereits in einem früheren Blogbeitrag beleuchtet. Dabei hatte ich auch aufgezeigt, dass ein Kataster über die Verteilung von Schadstoffen ein geeignetes Hilfsmittel ist, um die Risiken im Fall der Fälle zumindest zu minimieren und hatte in diesem Zusammenhang auf Südkorea verwiesen. Aber auch in Europa gibt es Ansätze in diese Richtung, wie ein aktueller Bericht zeigt ​[1].

Asbest in Europa

Asbest stellt in Europa ein nicht zu unterschätzendes Problem dar, nicht nur im Hinblick auf Erdbeben und andere Katastrophen. Etwa 85 % aller Gebäude in der Europäischen Union wurden vor 2001 errichtet. Erst seit 2005 gilt EU-weit ein weitgehendes Verbot der Herstellung und des Inverkehrbringens von Asbest und asbesthaltigen Produkten[2] . In den Jahren davor wurde Asbest sehr häufig in verschiedenen Produkten innerhalb von Gebäuden verwendet.

Etwa 71 % der oben genannten Gebäude, die vor 2001 errichtet wurden, sind nach heutigen Maßstäben als nicht besonders energieeffizient einzustufen [3] [4]. Hinzu kommt, dass viele dieser Gebäude häufig auch Schadstoffe wie Asbest enthalten, die eine Gefahr für die Gebäudenutzer darstellen.

Leider sind nur wenige Daten über die Verwendung von Asbest in Europa leicht und schnell verfügbar, sodass es schwierig ist, das Ausmaß des Problems zu erfassen. Anhand von Daten des US Geological Survey wurde versucht, die Menge des in der EU verbrauchten Asbests für den Zeitraum 1920-2012 zu ermitteln ​[5].

Danach wurden in der EU zwischen 1920 und 1970 rund 31,2 Mio. t oder knapp 48 % des weltweit verwendeten Asbests verbraucht, zwischen 1971 und 2000 gut 66,5 Mio. t oder 58 % des weltweit verwendeten Asbests und zwischen 2001 und 2012 gut 7,8 Mio. t Asbest, was immer noch 31 % des weltweit verwendeten Asbests entspricht.

Neuere Untersuchungen beziehen sich auf die nationale und regionale Verteilung der asbesthaltigen Bauprodukte innerhalb der EU ​[6].

Regionale Unterschiede in der Nutzung von Asbest

Es gibt deutliche zeitliche und vor allem regionale Unterschiede in der Verwendung von Asbest in Europa zwischen 1920 und 2003. Die Zahlen reichen von knapp 0,2 kg pro Kopf (Slowenien) bis zu deutlich über 2 kg pro Kopf (Litauen und Lettland). Der EU-weite Durchschnitt liegt bei 0,67 kg Asbest pro Kopf. Ein ähnliches Bild ergibt sich, wenn man die durchschnittliche Asbestverwendung pro Wohnung betrachtet. Hier liegt der EU-Durchschnitt bei 1,64 kg Asbest pro Wohnung, wobei die Werte von 0,6 kg/Wohnung in Slowenien bis zu 4,8 kg/Wohnung in Litauen und 5,7 kg/Wohnung in Lettland reichen. In Deutschland liegt der Pro-Kopf-Wert bei 0,67 kg und der Wert pro Wohnung bei 1,64 kg Asbest [1]. Pro-Kopf-Werte von 1 kg gelten als hoch, Werte von 2 kg Asbest/Kopf als sehr hoch [5].

Demnach weisen sieben Länder einen hohen Pro-Kopf-Verbrauch auf, nämlich Finnland, Dänemark, die Slowakei, Estland, Belgien, Luxemburg und Zypern. Litauen und Lettland weisen die bereits erwähnten Extremwerte auf [1].

Die niedrigsten Werte mit weniger als 0,4 kg Asbest pro Kopf bzw. weniger als 1 kg Asbest pro Wohnung wurden in Griechenland, den Niederlanden, Portugal, Irland, Kroatien, Rumänien und Slowenien festgestellt [1].

Asbest und der Zahn der Zeit

Asbest stellt, und ich werde nicht müde, dies zu wiederholen, eine nicht zu unterschätzende Gefahr dar. Noch immer sterben in der EU jährlich zwischen 30 000 und 90 000 Menschen an den Folgen einer Asbestexposition [7].

Asbest wurde, wie bereits erwähnt, vor dem Verbot häufig in verschiedenen bauchemischen Produkten verwendet. Der größte Teil dieser asbesthaltigen Materialien dürfte sich immer noch in und an Gebäuden befinden. Hier sieht es wahrscheinlich EU-weit nicht viel anders aus als bei uns in Deutschland.

Im Normalfall, d.h. wenn die asbesthaltigen Baustoffe intakt und in gutem Zustand sind, sollten auch keine Fasern freigesetzt werden. Das gilt streng genommen vor allem für fest gebundenen Asbest, bei Spritzasbest und asbesthaltigen Brandschutzplatten wie Promabest sieht es anders aus. Aber auch fest gebundene Asbestprodukte altern und der viel zitierte Zahn der Zeit kann auch hier zu einer erhöhten Freisetzung führen. Eine besondere Gefährdung geht jedoch von Katastrophen aus, seien es Naturkatastrophen oder von Menschen verursachte Katastrophen[8][9].

rühere Untersuchungen haben gezeigt, dass gerade bei Erdbeben mit ihren oft grossflächigen Zerstörungen der Bausubstanz Asbestfasern freigesetzt werden und die Menschen gefährden [10] [11] [12] . Das Ganze kann quasi eine zweite Katastrophe für die Betroffenen darstellen, wie ich bereits in einem früheren Blog-Beitrag beschrieben habe [13].

Zumal auch viele Gebäude in den seismisch aktiven Gebieten der EU nicht den modernen Standards der Erdbebensicherheit entsprechen. ​[14] ​[15] .

Erdbeben und Asbest

Im Katastrophenfall können Gebäudeschadstoffe freigesetzt werden, insbesondere natürlich Asbest. Darüber habe ich bereits gebloggt. Wenn z.B. bei einem Erdbeben asbestbelastete Gebäude stark beschädigt oder gar zerstört werden, können durchaus größere Mengen an Asbestfasern in die Luft gelangen. Dies wurde z.B. auch durch direkte Messungen nach dem Erdbeben von Kobe 1995 gezeigt. Hier ergaben Luftmessungen der japanischen Umweltbehörde einen Anstieg der Asbestbelastung in der Luft um den Faktor 1,5. Es wird angenommen, dass vor dem Erdbeben etwa 3740 Tonnen Spritzasbest in den betroffenen Gebäuden vorhanden waren. Etwa 26,4 kg davon wurden durch das Erdbeben freigesetzt[16].

Asbestrisiken nach Erdbeben

Darüber hinaus stellt die Menge an asbesthaltigem Bauschutt, die bei einem schweren Erdbeben anfällt, ein weiteres Problem dar. Denn die asbesthaltigen Abfälle müssen von den asbestfreien Trümmern getrennt werden, wenn z.B. an eine Wiederverwendung der Trümmer als Recyclingbaustoff o.ä. gedacht wird. Dies ist oft schon bei normalen Abbruchabfällen nicht ganz trivial. Denn Asbest ist nicht ohne weiteres und ohne Laboranalysen erkennbar, insbesondere wenn asbesthaltiger und asbestfreier Bauschutt vermischt sind [17].

Eine saubere Trennung und Asbestsanierung der Trümmer nach einem Erdbeben ist daher sehr wichtig. Nur so kann die Asbestexposition so gering wie möglich gehalten werden. Darüber hinaus stellt Asbest auch ein Risiko für den Wiederaufbau beschädigter Gebäude nach einem Erdbeben dar, wenn er nicht entfernt wird.

Seismische Risiken in Europa

Wichtig ist auch die Kenntnis der Erdbebengefährdung. Dazu muss sowohl die räumliche Verteilung der Gebäude und der Bevölkerung als auch die Verletzlichkeit der Gebäude in Bezug auf die Erdbebensicherheit bekannt sein. Und natürlich die örtliche Erdbebengefährdung als zu erwartende Höhe der Bodenbewegung bei einem Erdbeben.

In dieser Hinsicht weisen die Balkan- und Mittelmeerländer der EU das höchste Erdbebenrisiko auf. Dies betrifft Bulgarien, Zypern, Rumänien, Griechenland, Kroatien, Slowenien, Italien sowie Spanien und Portugal [18].

Innerhalb der EU sind vermutlich die meisten Gebäude ohne entsprechende Vorschriften zur Erdbebensicherheit errichtet worden. Sie sind daher als erdbebengefährdet einzustufen [19].

Kombinierte Risiken – mehr Gefahr

Betrachtet man die Erdbebengefährdung und die Verteilung von asbestbelasteten Baustoffen, so fallen einige Regionen auf. Besonders gefährdet sind hier in erster Linie die südeuropäischen und mediterranen Länder, wie z.B. Italien mit den Regionen Kampanien, Apulien, Basilikata und Sizilien sowie Zypern. Hier kommt neben einem sehr hohen Erdbebenrisiko auch die weite Verbreitung von Asbest zum Tragen. Aber auch Gebiete innerhalb Österreichs, Frankreichs, Sloweniens und Deutschlands sind aufgrund der weit verbreiteten asbesthaltigen Baustoffe und des seismischen Risikos gefährdet.

In Bulgarien ist vor allem die Hauptstadtregion betroffen.

Andere Gebiete wie Kroatien, Griechenland, aber auch Spanien und Rumänien sind zwar ebenfalls stark erdbebengefährdet, hier wurde jedoch relativ wenig Asbest verwendet.

Fazit

Die große Stärke der Studie liegt nicht nur darin, dass sie Asbest als zusätzliches Risiko bei Erdbeben identifiziert, sondern auch darin, dass sie die regionale Verteilung der Asbestverwendung aufschlüsselt. Dies hat Vorteile, die weit über die Gefahrenabwehr bei Erdbeben hinausgehen. Schließlich können auch andere Katastrophen die Bausubstanz erheblich beeinträchtigen und damit zu einer Faserexposition von Überlebenden und Rettungskräften führen. Man denke nur an Überschwemmungen wie kürzlich an der Ahr.

Asbest hat noch eine weitere unangenehme Eigenschaft. Gerade im Zuge der immer dringender werdenden energetischen Sanierung des Gebäudebestandes im Zuge der Wärmewende und des zunehmenden Drucks zur Energieeinsparung sollten wir uns bewusst sein, dass wir es immer wieder mit diesem Schadstoff zu tun haben. Auch hier liefert die Studie die Grundlage für eine Priorisierung der am stärksten betroffenen Regionen. Sorgen wir dafür, dass wir Asbest so schnell und so nachhaltig wie möglich loswerden.

References

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  • [2] European-Commission (1999). Richtlinie 1999/77/EG der Kommission vom 26. Juli 1999 zur sechsten Anpassung von Anhang I der Richtlinie 76/769/EWG des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für Beschränkungen des Inverkehrbringens und der Verwendung gewisser gefährlicher Stoffe und Zubereitungen (Asbest) (Text von Bedeutung für den EWR), .
  • [3] European-Commission (2020). COMMUNICATION FROM THE COMMISSION TO THE EUROPEAN PARLIAMENT, THE COUNCIL, THE EUROPEAN ECONOMIC AND SOCIAL COMMITTEE AND THE COMMITTEE OF THE REGIONS A Renovation Wave for Europe – greening our buildings, creating jobs, improving lives, .
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  • [5] Kameda, T.; Takahashi, K.; Kim, R.; Jiang, Y.; Movahed, M.; Park, E.-K. and Rantanen, J. (2014). Asbestos: use, bans and disease burden in Europe, Bulletin of the World Health Organization 92 : 790-797.
  • [6] Maduta, C; Kakoulaki, G; Zangheri, P and Bavetta, M (2022). Towards energy efficient and asbestos-free dwellings through deep energy renovation, .
  • [7] European-Parliament (). Texts adopted – Protecting workers from asbestos – Wednesday, 20 October 2021, .
  • [8] Young, S.; Balluz, L. and Malilay, J. (2004). Natural and technologic hazardous material releases during and after natural disasters: a review, Science of The Total Environment 322 : 3-20.
  • [9] Nielsen, O. and Hodkin, D. (2022). Rebuilding Ukraine: The imminent risks from asbestos PreventionWeb, .
  • [10] Nathan, A. R.; Olson, K. R.; Everson, G. W.; Kearney, T. E. and Blanc, P. D. (1992). Effects of a major earthquake on calls to regional poison control centers., Western Journal of Medicine 156 : 278-280.
  • [11] Nukushina, J. (1995). Japanese earthquake victims are being exposed to high density of asbestos. We need protective masks desperately., Epidemiologia e prevenzione 19 : 226-227.
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  • [16] Kim, Y.-C.; Zhang, Y.-L.; Park, W.-J.; Cha, G.-W. and Hong, W.-H. (2020). Quantifying asbestos fibers in post-disaster situations: Preventive strategies for damage control, International Journal of Disaster Risk Reduction 48 : 101563.
  • [17] Trotta, O.; Bonifazi, G.; Capobianco, G. and Serranti, S. (2022). DETECTION OF ASBESTOS CONTAINING MATERIAL IN POST-EARTHQUAKE BUILDING WASTE THROUGH HYPERSPECTRAL IMAGING AND MICRO-X-RAY FLUORESCENCE, Detritus : 27-34.
  • [18] Danciu, L.; Nandan, S.; Reyes, C. G.; Basili, R.; Weatherill, G.; Beauval, C.; Rovida, A.; Vilanova, S.; Sesetyan, K.; Bard, P.-Y. and others (2021). The 2020 update of the European Seismic Hazard Model-ESHM20: Model Overview, EFEHR Technical Report 1.
  • [19] Palermo, V.; Tsionis, G. and Sousa, M. L. (2018). Building stock inventory to assess seismic vulnerability across Europe, Publications Office of the European Union: Luxembourg .

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Gunnar Ries studierte in Hamburg Mineralogie und promovierte dort am Geologisch-Paläontologischen Institut und Museum über das Verwitterungsverhalten ostafrikanischer Karbonatite. Er arbeitet bei der CRB Analyse Service GmbH in Hardegsen. Hier geäußerte Meinungen sind meine eigenen

1 Kommentar

  1. Guter Punkt, Gunnar. Danke für den schönen Artikel, ich habe immer noch die 9/11 Wolke von WTC-Kollaps im Kopf. Und als Ergänzung: es wird mit den Glasfassaden der Hochhäuser in den Innenstädten für Rettungskräfte nicht einfach.

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