Die Erhitzung der Ozeane – El Nino im Pazifik und Hitzeanomalie im Nordatlantik (Teil 5)

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Teil 1: Die Erhitzung der Ozeane – was heißt das eigentlich?
Teil 2: Die Erhitzung der Ozeane – Heilbutt und Blob im Nordpazifik
Teil 3: Die Erhitzung der Ozeane – Giftige Algenblüten und hungernde Grauwale
Teil 4: Die Erhitzung der Ozeane – Orcas und Ozean-Zirkulation (Teil 4)

10. El Nino ist da – wie stark wird die Hitzewelle im Pazifik?

Mittlerweile ist klar: Die befürchtete El Nino-Lage ist nun im Pazifik tatsächlich eingetreten.
Die US-amerikanische NOAA hat es am 08. Juni definitiv bestätigt. Die Meeres-, Wetter- und Klimaforschenden hoffen, dass es ein moderater El Nino wird – die Chancen dafür stünden bei 84%. Die Chancen auf einen starken Hitze-Event mit großen Warmwasser-Körpern (Warm Blobs) stehen dagegen nur bei 56 %.
Auch wenn NOAA diese Nachricht flapsig mit “The circus is in town” betitelt, ist es Anlaß zur Sorge. Solche Warmwasser-Blobs verursachen im Pazifik regelmäßig Giftalgenblüten (Red Tide) mit den entsprechenden Massensterben bei Fischen auch in Aquakulturen, Delphine und Großwalen (mehr dazu in den vorigen Teilen dieser Mini-Serie).
Wie genau solch eine El Nino-Situation entsteht und welche Folgen das haben kann, ist hier kurz und im sehr guten NOAA-Artikel detailliert erklärt.

11. Atlantik hat sich schnell und stark erwärmt – Hitzerekord

Gleichzeitig gibt es neue Daten zum Nordatlantik:

Seit mehr als drei Monaten sind die Oberflächentemperaturen (Sea Surface Temperature, SST) im Nordatlantik höher als je zuvor zu dieser Jahreszeit gemessen; wie eine Auswertung der ozeanographischen Datensätze zeigt.
Die blauen Linien sind die früheren Temperaturen, die rote Linie zeigt die Daten dieses Jahres an.

Hier ein Screenshot von Twitter, vom 10. Juni 2023. Der darunter stehende Tweet vom 24. April dieses Jahres zeigt, dass einige Wissenschaftler davon nicht vollständig überrascht wurden, allerdings nicht dieses Ausmaß erwartet hatten.

Der Temperaturanstieg erscheint auf den ersten Blick nicht dramatisch. Erst wenn man dann überlegt, wieviel Wasser der Nordatlantik hat und wieviel Energie es braucht, um das auch nur einen Grad °C zu erwärmen, wird das Ausmaß bewusst.

Die jetzige Wärmewelle im Atlantik ist allerdings noch viel höher, als Forscher erwartet hatten. Ich bin den Diskussionen auf Twitter gefolgt, allmählich gibt es jetzt eine Arbeitshypothese:

Natürlich steigen die Wassertemperaturen im Nordatlantik jeden Sommer tendenziell an und erreichen ihren Höhepunkt dann Ende August oder Anfang September. Dieses Jahr liegen aber alle Temperaturen wesentlich höher als in früheren Jahren – darum bezeichnen Wissenschaftler diesen Peak klar als Hitzeanomalie.
Der New Scientist hat dazu ein faktenreiches Interview gebracht: „Am 5. März 2023 erreichte die Durchschnittstemperatur 19,9 °C und übertraf damit den bisherigen Rekord aus dem Jahr 2020 um 0,1 °C, wie aus Daten von Forschern der University of Maine aus dem Jahr 1981 hervorgeht. Am 11. Juni erreichten sie einen Höchstwert von 22,7 °C und lagen damit 0,5 °C über dem vorherigen Höchstwert aus dem Jahr 2010.“
„„Es ist eindeutig außerhalb des Rahmens“, sagt François Lapointe von der University of Massachusetts Amherst. „Das ist sehr besorgniserregend.“ Die ungewöhnlichen Temperaturen im Atlantik sind Teil eines Musters überdurchschnittlicher Oberflächentemperaturen in den Weltmeeren, die am 1. April einen Rekordwert von 21,1 °C erreichten. Die durchschnittlichen Meeresoberflächentemperaturen sind seitdem auf 20,9 °C gesunken, liegen aber immer noch 0,2 °C über dem vorherigen Höchstwert aus dem Jahr 2022.“

Die Ursachen für diese Hitzeanomalie werden noch diskutiert.

Vermutlich ist es ein Zusammentreffen mehrerer Faktoren:
– Klimawandel
– ein heftiger El Nino im tropischen Pazifik (natürliche Schwankung, die sich global auswirkt)
– weniger Saharastaub

Den möglichen Saharastaub-Faktor hat Prof. Michael Mann eingebracht (University of Pennsylvania). Er vermutet,  dass sich über dem Ozean weniger Staub aus der Sahara befindet als üblich. Staubwolken, die aus der großen Wüsten über den Ozean geweht werden, reflektieren Sonnstrahlung und haben dadurch eine kühlende Wirkung auf den Nordatlantik. Aber die Passatwinde, die den Staub sonst aufwirbeln, sind in diesem Jahr schwächer als normal. Der vom New Scientist interviewte François Lapointe (University of Massachusetts Amherst) erklärt, dass die schwächeren Passatwinde mit El Niño zusammenhängen.

Zwei wichtige Schlußfolgerungen:
– Bei der jetzigen Erwärmung des Nordatlantiks überlagern sich natürliche Schwankungen und menschengemachter Klimawandel (erklären Klimaforschende wie Michael Mann oder Dr. Melissa Lazenby)
– Sämtliche Personen, die etwas Ahnung von Ozeanographie haben, sind extrem besorgt.

In dem Artikel “North Atlantic Ocean records its highest ever sea surface temperature” des Yorkshire Bylines sind ergänzende Statements von Stefan Rahmstorf, Michael Mann, dem Hurrikan-Experten Michael Lowry und anderen, die noch etwa mehr Hintergrund bringen. Melissa Lazenby, eine Klimaforscherin der University of Sussex, erklärt in der Irish Tmes sehr gut, wie sich die derzeitige Wetterlage mit den Folgen der anthropogenen Klimakrise überlagern.

Ein wichtiger Aspekt ist, dass diese KlimaexpertInnen klar erklären, dass ein extremes Wetterphänomen durch die anthropogene Erderwärmung noch wesentlich extremer wird. Diese differenzierte Betrachtung veranschaulicht die Sachlichkeit dieser Beiträge. Allerdings hört man auch ihre Sorge für die Folgen aus den Interviews heraus.

Welche Folgen kann die Meereserwärmung jetzt haben?

Die Folgen sind noch nicht vollständig abschätzbar.
Ich erwarte in den nächsten Monaten Extremwetter-Events wie Stürme, Massensterben von Fischen und Walen durch Giftalgenblüten, bei Fischen zusätzlich Massensterben durch Ersticken und auch an Land hohe Temperaturen und Dürre, nicht nur in Deutschland.

Im Yorkshire Bylines hatte Professor Eliot Jacobson (NOAA) folgende Konsequenzen der “schockierend” hohen Temperaturextreme genannt:
„Die Konsequenzen sind klar. Mit Beginn des Sommers auf der Nordhalbkugel werden große Regionen des Planeten Rekordhitzewellen, Brände, Stürme und Überschwemmungen erleben. Diese Ereignisse werden Rekorde in Intensität, Dauer und Häufigkeit aufstellen. Die Gesamttemperatur des Planeten wird auf neue Höchstwerte der Neuzeit ansteigen, wobei für 2024 1,5 °C in Sicht sind. Das polare Meereis wird sich weiter zurückziehen und mehr offene Ozeane der einfallenden Sonnenstrahlung und Erwärmung aussetzen. Die Ernte wird ausfallen. Die Infrastruktur wird irreparabel zusammenbrechen. Die Klimakrisenfolgen-Milderung [damit meint er den finanziellen und personellen Aufwand für Climate mitigation] wird zunehmen.“
„Dahin gehen wir, nicht in einem zukünftigen dystopischen Moment, sondern jetzt. Und das alles inmitten des aktuellen politischen und sozialen Chaos. Diese nächsten zwei Jahre sind ein Vorgeschmack darauf, was es für die Welt bedeuten wird, die Pariser 1,5-Grad-Grenze zu überschreiten.“

Wie genau die warmen Wassermassen in Pazifik und Atlantik Hurrikane verursachen, ist in diesem The Conversation-Artikel ausführlich erklärt: “Atlantic hurricane season 2023: El Niño and extreme Atlantic Ocean heat are about to clash“. Den Beitrag hat Christina Patricola (Assistant Professor of Atmospheric Sciences, Iowa State University) schon am 30. Mai geschrieben und die aktuellen meteorologischen Entwicklungen damit vorweggenommen.

Die Twitter-Diskussionen haben schon etwas von einem B Movie-Katastrophenfilm: Wenn Wissenschaftler erklären, wie die Katastrophe ablaufen wird und dann im nächsten Bild genau das gezeigt wird. Ich befürchte nur, dass wir in diesem Fall nicht einfach umschalten können, sondern leider mittendrin sitzen bleiben müssen. Wie Eliot Jacobsen sagt: Wir haben jetzt Klimakrise.

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Auf dem Science-Blog „Meertext“ schreibe ich über meine Lieblingsthemen: Biologie, Zoologie, Paläontologie und das Meer. Wale, Fische und andere Meeresgetüme. Tot oder lebendig. Fossile Meere, heutige Meere und Meere der Zukunft. Die Erforschung, nachhaltige Nutzung und den Schutz der Ozeane. Auf der Erde und anderen Welten. Ich berichte regelmäßig über Forschung und Wissenschaft, hinterfrage Publikationen und Statements und publiziere eigene Erlebnisse und Ergebnisse. Außerdem schreibe ich über ausgewählte Ausstellungen, Vorträge, Bücher, Filme und Events zu den Themen. Mehr über meine Arbeit als Biologin und Journalistin gibt´s auf meiner Homepage “Meertext”.

8 Kommentare

    • @Paul Stefan: Danke, ich hatte es schon gesehen. Erste Prognosen deuten ja auf den Zusammenhang mit hohen Temperaturen und Sauerstoffmangel hin. Ich wollte aber noch mal abwarten, ob das bestätigt wird.

  1. Ich befürchte, es braucht einmal einen Katastrophensommer in Deutschland, um den ewigen Leugnern des Klimawandels die Realität vor Augen zu führen. Wer die Foren bei Fokus Online verfolgt, kann diese Glaubenskrieger in Reinkultur verfolgen. Sogar bei ZON kämpft man gegen Windmühlenflügel.

    • @Physiker: Den hatten wir ja eigentlich schon. Aber solange noch Wasser da ist, so dass duschen, Pool füllen und LAndwirte ihre Felder bewässern können, wird die Dürre nicht wahrgenommen. Ich bekomme manchmal “Diskussionen” mit, wie Leute ihre Dämlichkeit herausrotzen, dass ich die Hoffnung auf das Begreifen der Klimakrise aufgegeben habe. Gerade mit zwei Bauern auf Twitter, die den Unterschied zwischen Klima und Wetter nicht rafften. In Foren bin ich wenig unterwegs, es dürfte aber den Twitter-Kommentaren unter Artikeln zur Klimakrise ähneln. Es tut mir weh, so etwas zu lesen. Wir dringen mit Fakten einfach nicht durch.

  2. @ Wurche

    “Wir dringen mit Fakten einfach nicht durch.”

    Ich glaube nicht, daß die Fakten nicht durchdringen. Nur wird halt verdrängt, da man der negativen Meldungen, die täglich auf einen einprasseln leid ist. Des weiteren muß wohl Freud recht gegeben werden, der Mensch hat eine Lust an der Zerstörung und einen Hang zur Todesverliebtheit. Oder in abgewandelter Form: aufgeklärte Zyniker, die nach dem Motto leben: wurscht, verrecken wir halt! Ein Fünfzigjähriger (und das sind die meisten) wird sagen: fünfzig Jahre anständig gelebt. Alles hat ein Ende nur die Wurst hat zwei.

    • @Dietmar Hilsebein: Da ist was `dran. Darum wäre jetzt auch kontruktives Denken angesagt. Wir haben mittlerweile so viele Lösungen und gute Ideen, die man gemeinsam umsetzen könnte. Deutschland könnte längst Weltmarktführer für E-Autos, Solaranlagen, Wärmepumpen, und so viele andere tolle Projekte sein. So etwas liest man aber fast nur in den heise-Medien (für die ich darum gern manchmal schreibe). Stattdessen fetzt sich die Führungsetage destruktiv und zum Frmedschämen. Ich mag da auch nicht mehr Zusehen.
      Was ich nicht verstehe, ist die Ignoranz jüngerer Menschen. Dem Gros scheint die Situation nicht bewusst oder egal zu sein. Wahrscheinlich ist es das gleiche, dass nur problemzentriert, statt lösungsorientiert gedacht und kommuniziert wird. Dabei bietet die Transformation z B für Handwerksberufe goldene Aussichten

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