Die Erhitzung der Ozeane – was heißt das eigentlich? (Teil 2)

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(Teil 1: “Die Erhitzung der Ozeane – was heisst das eigentlich?)

4 b) Wenn die Fische weiterwandern – Heilbutt & Co im Nordpazifik

Durch die Polar shift wandern im Atlantik und Pazifik Fischbestände nach Norden, sie verlagern sich mit dem für sie angenehm kühlen Wasser.
Das kann bedeuten, dass diese Bestände aus einem Areal oder sogar aus einem Land über Grenzen hinweg wandern. Da Fischerei heute meist über regionale Lizenzen erfolgt, bedeutet das konkret, dass Fischer die Lizenzen für die neuen Aufenthaltsgebiete der Fische nicht haben.

Diesen Beitrag hatte ich erstmals 2020, damals noch für den alten Blog geschrieben. Die Fallstudie aus Alaska veranschaulicht die eher abstrakte Ozeanerwärmung im Zuge der Klimakrise so gut, dass ich sie hier als Fallbeispiel wiederholen möchte. Solche Beiträge etwa von Jeremy Wade sind auch der Grund, warum ich manchmal DMAX schaue (trotz des etwas dümmlichen Slogans). Jeremy Wade ist ein britischer Autor, Filmemacher, Biologe und Extremangler, der mit Filmen und Büchern über Fisch-Geschichten bekannt geworden ist. Er kennt sich hervorragend mit Fischen und Fischern aus und porträtiert mit freundlicher Kompetenz Flossentiere und Menschen.

Fische mag ich wirklich gern. Nie werde ich müde, die schillernden Geschöpfe mit ihrem Formen- und Farbenreichtum anzuschauen, tot oder lebendig. Durch ein Aquarium oder einen Fischmarkt gehe ich genauso begeistert, wie durch eine Gemäldesammlung. An der Gestalt und Färbung, der Flossenform und der Zähne erfahre ich, wo und wie die Tiere leben. Wenn ich unter Wasser gar lebenden Fischen begegne, bin ich jedesmal entzückt und kann mich kaum losreißen. Außerdem fasziniert mich der Nordpazifik, vor allem die abgelegenen Gebiete wie die Aleuten zwischen der Halbinsel Kamtschatka und Alaska – der Inselbogen, der den Nordpazifik von seinem Randmeer, der Beringsee, trennt.

Kaltes Meer und warmer Blob: Wie der Klimawandel die Fisch-Community im Nordpazifik verändert

Jeremy Wade in New York at Barnes & Noble Union Square (Wikipedia: David Shankbone, 2011)

Jeremy Wade ist in dieser Folge auf der Jagd nach einem riesigen Heilbutt vor Alaska. Der Pazifische Heilbutt (Hippoglossus stenolepis) ist der größte Plattfisch im nördlichen Pazifik, Weibchen werden bis zu 2,67 Meter lang und bis zu 363 kg schwer, Männchen bleiben kleiner. Aber das sind Rekordgrößen, meistens werden jüngere, wesentlich kleinere Exemplare gefangen – kommerziell mit Langleinen und sonst mit einer Angel. Auch dieser Plattfisch hat seine Augen auf einer Seite, allerdings auf der rechten. während Schollen und andere Platte meistens „linksrum“ sind. Daran kann man sie sofort unterscheiden.

Heilbutte leben auf verschiedenen Böden, ihre rechte Oberseite ist perfekt getarnt. Sie liegen auf dem Boden, kommt ein Beutetier in die Nähe, schnellen sie hervor und reißen ihr gewaltiges Maul auf: Durch den entstehenden Sog erwischen sie die Beute meist, Fische, Krabben, Kopffüßer und andere Wirbellose haben keine Chance. Jungtiere leben meist in flachem Wasser, mit zunehmendem Alter wandern sie dann tiefer bis in 1200 Meter.

Aber die platten Riesen scheinen der Vergangenheit anzugehören, in Gesprächen mit vielen Fischern erfährt Wade, dass diese Giganten schon länger nicht mehr gesehen oder gar gefangen worden sind. Fischer, Taucher und Fischereibiologen erklären ihm, dass der Nordpazifik wärmer wird und sich ihr Fang verändert.
Zwei Taucher berichten, wie sie in 35 Metern Tiefe auf Königskrabbenjagd gehen. Einer von ihnen meint, es sei viel wärmer geworden – er hat jetzt viel leichtere Sachen an als früher, weil er sonst so schwitzen würde. Das Meer sei jetzt immerhin 6 °C warm. Außerdem wären die Krabben jetzt in tieferem Wasser.

The Pacific halibut, Hippoglossus stenolepis, is one of the largest flatfish – they can weigh up to 500 pounds and grow to over 8 feet long. (Wikipedia: Unknown author – NOAA FishWatch)

Auf der Suche nach dem Heilbutt spricht er mit vielen Fischern und Anglern, die ihm von  tiefgreifenden Veränderung im Meer berichten. Den Beschreibungen der Angler, Fischer und Taucher hört er konzentriert zu, schließlich haben sie Instrumente dabei und kennen den Zusammenhang von ozeanographischen Daten und Fischbeständen.

Das Fazit seiner Gespräche ist:

  • es gibt keine großen Heilbutte mehr (zumindest werden keine gefangen)
  • es gibt viel mehr und viel aktivere Buckelwale als sonst
  • die Königs- oder Steinkrabben wandern in tiefere Gewässer ab
  • das Artengefüge verändert sich
  • die Fische sind zu anderen Zeiten und in anderen Tiefen als früher
  • die Meerestemperatur ist jetzt höher.

Nach dem x-ten vergeblichen Anlauf, einen Riesen-Heilbutt zu fangen, kommt er zu dem Schluß: „The obvious thing to do, is, to look for scientists.” Die findet er bei der NOAA (National Oceanic and Atmospheric Administration) in der Außenstelle in Dutch Harbor, dem Hafen der wichtigsten Aleuten-Siedlung Unalaska (Dutch Harbor liegt auf einer anderen Insel und ist über eine 200 Meter lange Brücke zu erreichen).
Dort spricht er mit James Orr und Thomas Piecuch, die ihm diese tiefgreifenden Veränderungen bestätigen und erklären, auch die Fischfauna im Nordpazifik ändere sich aufgrund des Klimawandels. Die beiden haben einen guten Überblick vor Ort und sind natürlich auch mit Fischern im Kontakt. Sie sammeln also sowohl anekdotische als auch evidenzbasierte Daten und Informationen.
Schlüsselarten der kommerziellen Fischerei wie der pazifische Dorsch waren 2020 auf einem historischen Tiefststand, es bestand die Gefahr, dass diese Fischerei geschlossen werden würde.
Die erste extreme Hitzewelle 2014 hatte den Dorschbestand halbiert, danach schien er sich zu erholen. Da Dorsche erst mit über drei Jahren gefangen werden dürfen, ist erst verzögert deutlich geworden, wie stark das warme Wasser diesen wichtigen Speisefisch-Bestand verringert hat. 2020 lag der Bestand unterhalb der Menge, ab der er überhaupt befischt werden darf.  Die Dorschfischerei im Golf von Alaska ist das erste Opfer des Klimawandels im Meer.

Die Fischereiaufsicht der USA ist sehr streng und hatte so am Ende des letzten Jahrhunderts dafür gesorgt, dass die meisten Fischbestände stabil waren. Sonst wäre die Fischerei auf viele Fisch-Ikonen wie Dorsche längst nicht mehr möglich, weil sie sich nicht mehr lohnen würde. Mit dieser nachhaltigen Strategie konnten sowohl die Nahrungsmittelversorgung aus heimischen Gewässern als auch die Jobs der Fischer langfristig gesichert werde. Aber gegen den Klimawandel hilft auch kein verantwortungsbewusstes noch so nachhaltiges Fischereimanagement.
Das warme Wasser hat teilweise die Jungfische getötet und einen Teil der erwachsenen Fische zum Abwandern nach Norden bewegt. Bislang waren sie durch eine thermische Barriere im Beringmeer “gefangen”, über den Warmwassergürtel sind sie nicht hinweg geschwommen. “Warm Blob” nennen die Alaskaner diesen Warmwasserkörper. Mit dem „Warm Blob“ ist diese thermische Barriere zwischen zwei Wasserkörpern nun weggefallen, es ist überall warm und die Dorsche ziehen durch die Beringstraße nordwärts. Dort tauchen sie jetzt auf einmal in den Fallen für Königskrabben auf, während es dort kaum noch Krabben gibt. Für die Berufsfischer, die feste Quoten auf bestimmte Arten fischen dürfen, ist das eine Katastrophe.

Warme Meere haben andere Arten – der silberne Lancetfish

Datei:Alepisaurus ferox9180.jpg

Alepisaurus ferox (Wikipedia: NOAA’s Fisheries Collection; https//www.photolib.noaa.gov/htmls/fish9180.htm)

Gleichzeitig beobachten Angler und Fischer vor Alaska, wie ungewöhnliche Arten auftauchen, die aus dem Süden einwandern. Solche für sie ungewöhnlichen oder unbekannten Fänge bringen sie zu den NOAA-Ichthyologen in Dutch Harbor. James Orr und Thomas Piecuch zeigen Jeremy Wade einige besondere Exemplare:
Ein großer silbriger Fisch mit schlangenartig langem Körper, einer hoch aufragenden Segelflosse und reptilartigen Zähnen heisst im Englischen Lancetfish (Alepisaurus ferox), einen deutschen Namen gibt es nicht. Der schnelle Räuber mit dem silbrigen Seeschlangenleib lebt eigentlich eher in den Subtropen, in Alaska ist er eine ungewöhnliche Sichtung.
Weiter erzählt James Orr, dass auch regelmäßig ganz neue Fische dabei sind, die er erst einmal wissenschaftlich beschrieben muss. Wie den quietschrosa Scheibenbauch, der im Englischen wegen seiner wabbeligen Konsistenz sehr treffend Snailfish heisst. Dieses Tier hatte er, wie auch noch zwei andere neue Scheibenbauch-Arten und eine Aalmutter, mit Worten aus der Sprache der aleutischen Ureinwohner benannt: Der orangerosa Scheibenbauch heisst Allocareproctus_unangas – unangas ist der aleutische Name für die Insel Atka.
Die NOAA-Biologen und -Ozeanographen waren 2020 sehr besorgt, weil sie eine eine dauerhaften Erwärmung des Nordpazifiks befürchteten, mit einer dauerhaften Verschiebung der Ökosysteme – auch der Dorschbestände. Leider ist es genauso gekommen, der Blob ist das neue Normal. Damit dürfte sich das nordpazifische Ökosystem in den nächsten Jahren erheblich verändern.

Was hat der Nordpazifik mit uns zu tun?

Was hat der Nordpazifik mit uns zu tun? Der ist doch so weit weg.
In unserer globalisierten Welt ist der Nordpazifik zwar geographisch weit weg. Aber seine Fischgründe sind ein Standbein auch unserer Fischversorgung: Fischstäbchen und Schlemmerfilet sind in Deutschland die beliebtesten Fischzubereitungen. Unter ihrer Panade versteckt sich Pazifischer Seelachs.

Da die nordatlantischen Bestände seit Jahrzehnten abgefischt sind, ist also mittlerweile der nordpazifische Alaska-Seelachs eine der beliebtesten deutschen Seefischarten. 2016 machte der leckere Dorschartige mit dem festen weißen Fleisch immerhin 18,3 % des Fischkonsums in Deutschland aus und stand damit auf Platz 2 hinter dem Lachs.
Auch Lachs kommt mittlerweile häufig aus dem Nordpazifik – Pazifische Lachsarten (Oxyrhynchus spec.) stehen nun oft neben dem europäischen Lachs Salmor salar in den Supermarktregalen, etwa als Räucherlachs.
Die Fischbestände des Nordpazifik sind also alles andere als uninteressant für uns in Deutschland.
Die beschriebenen Entwicklungen betreffen langfristig alle kommerziell befischten Arten – Heilbutt, Königskrabbe, Pazifischer Dorsch, Pazifischer Seelachs und Pazifische Lachse sowie andere Arten des Pazifiks.

Jeremy Wade, DMAX und der Klimawandel

Jeremy Wade hat mit seiner Aleuten-Alaska-Tour eine schöne Reportage geliefert, auf der Jagd nach dem Riesen-Heilbutt ist er auf ein viel fieseres Monster gestoßen: Den Klimawandel. Der Warm Blob hat im Nordpazifik ganz offensichtlich erhebliche Auswirkungen auf die Fischerei, Angler und Fischer, Biologen und Ozeanographen beobachten seit einigen Jahren massive Veränderungen.
Jeremy hört zu, beobachtet mit, recherchiert und runzelt die Stirn.
In überwältigenden Bildern und vielen Gesprächen zeigt er, wie sich der abstrakte Klimawandel auf die persönliche Situation vorn Menschen, die vom Meer leben, auswirkt. Allerdings taucht das Wort Klimawandel im Film so nicht auf. Der Biologe Jeremy Wade kennt garantiert den Hintergrund der Veränderungen. Und ganz bestimmt haben die interviewten Biologen ihm das auch noch einmal erzählt – NOAA macht hervorragende Forschung und weist die Erwärmung der Meere seit Jahrzehnten in unzähligen Fakten nach. (Was dazu geführt hatte, dass die Trump-Clique NOAA-Wissenschaftlern einen Maulkorb verpasst hat. Seitdem twittern, facebooken und posten sie in Rogue-Accounts weiter).
Dennoch erklärt er diesen Zusammenhang vor der Kamera nicht.

Ob er sein Publikum nicht verstören wollte? Die Realität des Klimawandels  wird jedenfalls an der Ozeanerwärmung im Nordpazifik, den dortigen Veränderungen der Fischfauna und dem Wegfall von Fischereijobs in Alaska sehr deutlich.

(Wer es schauen möchte: Jeremy Wade’s Dark Waters S01E)

(Fortsetzung folgt)

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Auf dem Science-Blog „Meertext“ schreibe ich über meine Lieblingsthemen: Biologie, Zoologie, Paläontologie und das Meer. Wale, Fische und andere Meeresgetüme. Tot oder lebendig. Fossile Meere, heutige Meere und Meere der Zukunft. Die Erforschung, nachhaltige Nutzung und den Schutz der Ozeane. Auf der Erde und anderen Welten. Ich berichte regelmäßig über Forschung und Wissenschaft, hinterfrage Publikationen und Statements und publiziere eigene Erlebnisse und Ergebnisse. Außerdem schreibe ich über ausgewählte Ausstellungen, Vorträge, Bücher, Filme und Events zu den Themen. Mehr über meine Arbeit als Biologin und Journalistin gibt´s auf meiner Homepage “Meertext”.

3 Kommentare

  1. Alle Arten, die sich bewegen können, werden mit den Klimazonen bzw. Wassertemperaturen mit nach Norde oder Süden wandern. Und weil die Arten das verschieden schnell tun, werden die ökologischen Netze zerreißen und die Karten im ökologischen Spiel völlig neu gemischt. Jungtiere wachsen auf, ohne auf die gewohnte Nahrung zu stoßen. Andere Arten werden vielleicht gedeihen, weil die Fressfeinde fehlen. Die Änderungen gehen so schnell, dass sich die meisten Arten sich nicht so schnell anpassen können.
    Das wird m.E. nicht gut ausgehen, weder an Land noch im Meer.
    Es bleibt nur die Frage, bei wieviel Grad wird die globale Erwärmung stoppen können.

    • @Paul Stefan: Ja, das ist ja gerade bei den Zugvögeln zu sehen, die spezifische “Babynahrung” wie etwa Insektenlarven brauchen. Einige Arten scheinen sich an Klimaänderungen zumindest teilweise anpassen zu können. Aber ob sie das schnell genug schaffen, um die jetzt sich stetig beschleunigende Veränderung zu überleben, wird bezweifelt. Und sie müssen ja nicht allein die Klimakrise überlegen, sondern werden auch mit Lebensraumverlust, Insektensterben, Umweltbelastung durch Gifte,… konfrontiert : (
      Ich bin mir gar nicht so sicher, ob wir die Erwärmung noch stoppen können. Einige Klimaparameter sind ja irreversibel, wie etwas das Abtauen der Eismassen.

      • Die Treibhausgasemissionen müssen wir stoppen und dann CO2 wieder aktiv aus der Atmosphäre holen. Wenn die fossilen Emissionen weitgehend gestoppt sind, verlangsamt das zumindest die Rückkopplung im Erdsystem.

        Sehr optimistisch bin ich allerdings nicht, dass wir die Sache noch halbwegs in den Griff bekommen.

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