Die Erhitzung der Ozeane – was heißt das eigentlich?

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Gerade sind in den Medien viele WissenschaftlerInnen zu hören und zu lesen, die sehr besorgt von einer nie zuvor gewesenen Erhitzung der Ozeane sprechen. In den Kommentarspalten ist zu lesen, dass viele Nicht-WissenschaftlerInnen wohl gar nicht schlecht finden, wenn Nord- und Ostsee dann endlich mal etwas wärmer würden. Ein paar Grad mehr im Meer haben neben angenehmen Badetemperaturen allerdings ganz erhebliche Folgen für die Meeresbewohner und für unser globales Klima. Die Ozeanerhitzung ist offenbar abstrakt und weit weg. In diesem Beitrag werde ich die Aussagen mit Hintergrund-Informationen und Fallbeispielen zu den konkreten Auswirkungen einordnen.

Noch einige Anmerkungen vorweg:

  • Klimaveränderungen hat es immer gegeben, sie sind Motor der Evolution. Dann heißt es entweder anpassen, auswandern oder sterben. Was das konkret für Tierarten und auch Menschen bedeuten würde, habe ich in einigen Fallbeispielen ausgeführt.
  • Es geht in diesem Beitrag um Klima, nicht um Wetter. Das bedeutet, dass die Erderwärmung auch jetzt voranschreitet, selbst wenn unser April in Deutschland außergewöhnlich nass und kalt war. Wer das noch nicht verstanden hat, möge sich bitte noch einmal dazu informieren, z B hier.
  • Eine Diskussion über Klima und Klimakrise basiert auch auf Kenntnissen von Statistik und Wahrscheinlichkeitsrechnung. Darum empfiehlt sich ggf. eine Auffrischung der Mathe-Grundlagen.
  • Oft kommen zur Klimakrise noch weitere Faktoren hinzu, die sich gegenseitig verstärken.

Woher kommen die Daten?

Datengrundlagen sind z B das europäische Copernicus-System zur Erd- und Ozeanüberwachung. Die Satelliten messen aus dem Erdorbit zentimetergenau die Meereshöhe, Meerestemperaturen, Planktonblüten (über den Chlorophyllgehalt) und viele weitere Parameter. Offenen Zugriff zu den Daten gibt es hier, einzelne Karten und Modelle zu einzelnen Parametern sind z B hier.
Aus den Earth Science System Data von 1960 bis 2020 hatten Wissenschaftler:innen auf der Basis vieler Publikationen von Arbeitsgruppen der ganzen Welt auch die zunehmende Erwärmung der Ozeane zusammengefasst.
In Europa werden diese Satelliten vor allem von ESA und EUMETSAT betrieben. Die meisten dieser Daten sind open source, also frei zugänglich. Neben den Forschungssatelliten gibt es weitere ozeanographische Messstationen wie Forschungsschiffe oder stationären oder driftenden Messbojen, von verschiedenen Instituten in vielen Ländern gesammelt und zusammengetragen werden, wie z B NOAA, NIWA und viele andere.

Monitoring changing ice with Sentinel-1 (ESA)

1. Shifting Baselines – das neue Normal bei Klima und Biodiversität

Im SRF hat der Ozeanograph Thomas Fröhlicher gut erklärt, dass die Meeresoberfläche weltweit noch wärmer wird: 21,1°C Anfang April war eine Rekordtemperatur. Außerdem blieb dieses Jahr die früher übliche Abkühlung im März aus, stattdessen blieben die Ozeane durchgängig warm. Und die Temperatur dürfte jetzt nochmals steigen: In den letzten drei Jahren war im Pazifik La Nina im Gange, eine kühle Strömung, die jetzt offenbar zu Ende geht. Jetzt kommt El Nino, was einen weiteren Temperaturanstieg im Meer bedeutet (dazu später mehr).
Da die Ozeane 70% der Erdoberfläche bedecken, wird ein Temperaturanstieg in den Meeren sich definitiv auch auf die Atmosphäre auswirken. Damit ist die Chance hoch, dass 2023 wieder ein Temperaturrekordjahr wird.
Wetterextreme gab es zwar immer, aber in Klimawandelzeiten werden diese immer extremer. Was vor Jahrzehnten als extrem hohe Temperatur empfunden wurde, ist heute normal. Je höher die Meerestemperaturen sind, desto mehr Stürme und Zyklone entwickeln sich und desto mehr Energie ist in diesem System, desto mehr Wasserverdunstung findet statt und desto heftiger werden wieder die Stürme, erklärt Thomas Fröhlicher.
Die Hitzewelle in den Welt Ozeanen bedeutet also mehr als wohlfühl-temperierte Ost- und Nordsee, sondern hat für Meereslebewesen, Strömungen und Eis erhebliche Auswirkungen. Für die an den Küsten lebenden Menschen, aber auch global.

Ein großes Problem bei der Wahrnehmung dieser Probleme sind die Shifting Baselines – also die Verschiebung der Referenzpunkte zur Bewertung/Messung eines Systems. So kennen jüngere Menschen in Deutschland die früher auch mal kühleren Sommer nicht mehr, für sie sind Sommer mit weit über 30 Grad in Nordeuropa der Normalzustand.
Zeitgleich zur Klimakrise läuft eine gewaltige Ökokrise – die klimatischen Auswirkungen werden durch die Lebensraumzerstörung, Verschmutzung mit Toxinen, Plastik, Lärm und Licht noch beschleunigt. Es ist ein Artensterben extremen Ausmaßes. Wegen der Shifting Baselines und einer zunehmenden Naturentfremdung bemerken auch hier die meisten Leute die Veränderungen nicht. Dass vor 60 Jahren in den Nordseehäfen noch eine bunte Meeresfauna mit prachtvollen Seeanemonen und Seenelken lebte, kenne ich auch nur aus Erzählungen älterer Menschen.

2. Durchschnittswerte beinhalten Extreme

Die durchschnittliche Ozeanerwärmung erscheint uns lächerlich gering, genau wie die 1,5 °C, vor denen so viel gewarnt wird. Das ist sie aber nicht. Die durchschnittliche Zahl bedeutet ja, dass es an manchen Tagen oder über Wochen hinweg Hitzeextreme geben wird. Solche Hitzezeiten bedeuten erheblichen Stress für viele Lebewesen. Addiert sich der Stress über häufigere Hitzewellen, Umweltverschmutzung und andere Stressfaktoren, wird es für immer mehr Arten problematisch. Dazu später mehr.

3. Wärmeres Wasser führt zu Sauerstoffmangel

In warmen Gewässern ist weniger Sauerstoff gelöst. Kommt dann noch die hohe Nährstoffeinleitung hinzu, vor allem in flachen Gewässern, entstehen Oxygen Minimum Zone (OMZ).
In der sommerlichen Ostsee ist dieses Phänomen schon lange bekannt als „Todeszonen“ – im schwärzlichen Faulschlamm und darüber können nur noch Extremophile leben. Seit dem Anstieg der Meerestemperaturen und der zunehmenden Eutrophierung breiten sie sich nicht nur in der Ostsee stetig weiter aus, sondern auch in den Weltozeanen. Die Todeszonen werden seit Jahrzehnten immer großflächiger und häufiger.
Meeresbewohner, die nicht mehr genug Sauerstoff finden, müssen abwandern oder ersticken.

Die Historie solcher OMZ-Events lässt sich in Sedimentbohrkernen sicher nachweisen – der schwarze Faulschlamm sedimentiert in schwarzen Lagen.
Im Fossilbefund sind solche Schwarzschiefer-Events für herausragende Fossilerhaltung bekannt, wie etwa im Posidonienschiefer, wo Ichthyosaurier und andere große Meeresbewohner sogar Weichteilerhaltung zeigen: Die Tiere sind schnell erstickt und dann im Faulschlamm sicher vor Aasfressern begaben worden.

4. Poleward Shift – Wanderung polwärts

In allen Meeren findet eine Bewegung der Artengefüge zu den Polen hin statt, in kühlere Gewässer. In Europa geht es also für viele Arten also nordwärts- Algenwälder und Fischbestände verlagern sich allmählich nach Norden.
Algenwälder verlagern sich sehr langsam, denn die pflanzenartigen Meeresbewohner leben fest verankert (einzige Ausnahme: Sargassum). Ein Individuum kann sich also nicht bewegen. Stattdessen sterben die alten Bestände ab und ihre Samen finden dann immer weiter nördlich optimale Lebensbedingungen (Dazu hatte ich für die Januar-Ausgabe von Bild der Wissenschaft recherchiert: „Wertvoller Algen-Dschungel“).

Eine ähnliche Bewegung ist im Pazifik mit den tropischen Riff-Korallen dokumentiert: Korallen vertragen zwar tropische Temperaturen, aber auch sie haben ein Limit. Bei Überhitzung stoßen sie ihre Endosymbionten (einzellige Algen) aus, die Folgen sind Korallenbleiche und das Absterben der Riffe mit einem folgenden weitgehenden Artensterben in diesem Ökosystem.
Diese Korallenbleichen nehmen in den letzten Jahren räumlich und zeitlich immer stärker zu.
Manche Korallen scheinen sich zwar anzupassen und einige Projekte zur Riff—Restaurierung zeigen erste Erfolge. Aber ob diese Anpassung schnell genug verläuft, um die großen Riffe zu erhalten, ist fraglich.
Aus den äquatorialen Meeresgebieten driften Korallenlarven auch in kühlere Gewässern etwa vor Japan, und siedeln sich dort an. Bislang wuchsen vor Okinawa Riffe (die unter Hitze und anderem Stress leiden), mittlerweile entstehen weiter nördlich neue Riffkörper, die eine touristische Attraktion sind.

Die Korallen sterben also nicht aus. Gerade riffbildende Korallen sind extrem wichtige Ökosysteme, die für viel Biodiversität stehen. Das Absterben der äquatorialen Korallen hat also üble Folgen für die dort liegenden, oft ärmeren Länder. Die Küstenbewohner sind von ihrer Küstenfischerei und damit von den Korallen und deren Biodiversität abhängig, die Riffe sind Kinderstuben für Fische.
Außerdem bieten tropische Riffe kostenlosen Küstenschutz – sie brechen Brandung und Stürme. Gerade in den ärmeren Ländern gibt es meist keine finanziellen Mittel etwa für Deiche oder Sperrwerke. Die Kalkriffe sind der einzige Schutz der an den Küsten lebenden Menschen und ihrer Siedlungen vor Überflutungen durch Stürme, Tsunamis und den ansteigenden Meeresspiegel.

Mit steigenden Temperaturen nehmen die Extremwetter wie Tropenstürme stetig zu.
Bei zunehmenden Überschwemmung der Küstenareale und Stürmen sowie immer weniger Ernährungsgrundlage über die Fischerei haben die dort lebenden Menschen die Möglichkeit, sich anzupassen, auszuwandern oder zu sterben.
Für eine Anpassung, wie etwa statt in der Küstenfischerei zukünftig in einer Auto-Fabrik zu arbeiten oder Immobilienmaklerin zu werden, dürfte gerade in den ärmeren Ländern die Grundlage fehlen. Und kaum jemand wird einfach mitsamt seiner Familie verhungern wollen, wenn es noch eine andere Alternative gibt. Diese Alternative heißt Auswanderung. Längst sind Klimaflüchtlinge ein ganz erheblicher Teil der internationalen Migrationsbewegungen, die auch Europa erreichen.
Neuseeland war das erste Industrieland, dass 2014 den Klimawandel als Fluchtgrund für Menschen in diesem Fall aus dem pazifischen Inselstaat Tuvalu akzeptiert hat.

Solche Wanderungen hat es immer gegeben. Oft sind wandernde Menschen in den Lebensraum anderer Menschen dabei eingedrungen und waren nicht immer willkommen. Was das konkret bedeutet, sehen wir in Europa gerade mit den Flüchtlingen im Mittelmeer. Historische Wanderbewegungen hatten auch in der Vergangenheit zu schweren Konflikten wie Kriegen geführt und Zivilisationen destabilisiert.

4 a) Globales Riffsterben – das größten Massensterben der Erde

Erdzeitalter sind meist durch Massensterben und massenhafte Fossilien definiert. Das größte Massensterben an der Perm-Trias-Grenze, vor über 250 Millionen Jahren, hatte auch die Ozeane hart erwischt. Ein extrem großräumiges Korallensterben führte zu extremen Verwerfungen der marinen Ökosysteme.
Welche Schlussfolgerungen sich daraus für die heutige Klimakrise ziehen lassen, hatte mir Prof. Wolfgang Kießling in einem Interview (Auftrag: Volkswagenstiftung) erzählt: An der Perm-Trias-Grenze vor 252 Millionen Jahren waren weltweit 90 Prozent der im Ozean lebenden und 75 Prozent der an Land lebenden Arten ausgestorben, auch alle Korallenriffe. Die Gründe: Der extreme Temperaturanstieg von 10°C, Sauerstoffarmut in den Meeren und Ozean-Versauerung.
Ähnliche Veränderungen durch Hitzestress in den Meeren sehen Forscher wie Professor Kießling in unseren Ozeanen jetzt gerade auch wieder, wie sterbende Korallenriffe und eine Verzwergung von Fischen. Der Paläontologie hat mit seiner Arbeitsgruppe seit 1999 die Forschungsdatenbank Paleobiology Database aufgebaut und mit anderen Arbeitsgruppen vernetzt. Mit Computerprogrammen zur Analyse großer Datenmengen können sie signifikante Muster erkennen, Erkenntnisse zur Evolution gewinnen, zur Biodiversität sowie zum Aussterben von Arten und daraus evolutive Regeln ableiten und Vorhersagen treffen. Wegen der Bedeutung seiner paläobiologischen Forschung für die aktuellen Vorgänge im Meer war er IPCC Hauptautor.
Er hatte mir im Gespräch wesentlich mehr erzählt, als nachher im Interview zu lesen war. Für mich war das eines dieser Interviews, bei denen ich das Gefühl hatte, in einen Abgrund zu gucken. Weil ich klar verstanden habe, was jetzt gerade passiert und welche weitere Entwicklungen das bedeutet.

Teil 2: Die Erhitzung der Ozeane – was heißt das eigentlich? Wenn die Fische weiterwandern…
Teil 3: Die Erhitzung der Ozeane – Giftige Algenblüten und hungernde Grauwale

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https://meertext.eu/

Auf dem Science-Blog „Meertext“ schreibe ich über meine Lieblingsthemen: Biologie, Zoologie, Paläontologie und das Meer. Wale, Fische und andere Meeresgetüme. Tot oder lebendig. Fossile Meere, heutige Meere und Meere der Zukunft. Die Erforschung, nachhaltige Nutzung und den Schutz der Ozeane. Auf der Erde und anderen Welten. Ich berichte regelmäßig über Forschung und Wissenschaft, hinterfrage Publikationen und Statements und publiziere eigene Erlebnisse und Ergebnisse. Außerdem schreibe ich über ausgewählte Ausstellungen, Vorträge, Bücher, Filme und Events zu den Themen. Mehr über meine Arbeit als Biologin und Journalistin gibt´s auf meiner Homepage “Meertext”.

4 Kommentare

  1. Auch die Verhältnisse im Ozean ändern sich mit der Ersystemerwärmung also fast überall und an einigen Stellen katastrophal, beispielsweise dort wo es heute noch Korallenriffe gibt. Auch im Meer – und nicht nur an Land – kommt es scheinbar teilweise zu einer Wanderung Richtung Norden, weil weiter nördlich die Verhältnisse sich immer mehr denen angleichen, die vorher weiter südlich vorhanden waren.

    In diesem Beitrag wird vieles angesprochen. Nur etwas nicht von dem ich schon gehört habe: dass nämlich die Wasserschichtung im Ozean infolge der Ozeanerwärmung stabiler werden kann und es zu weniger Wasservermischung zwischen den verschiedenen Meerestiefen kommen kann mit in der Folge weniger Nährstoffaustausch und eventuell der Begünstigung anaerober Zonen.

    • @Martin Holzherr: Ja, diese stabilere Schichtung würde erhebliche Probleme für viele Meeresleben bedeuten. Diese Verhältnisse aus lauwarmen Meeren ist aus der Erdgeschichte bekannt, über üble Black Shale Events. Die Ozeanographie mit ihren Strömungen und Schichtungen kommt im 4. und letzten Teil, in den nächsten Tagen.

  2. Hallo Bettina,
    Sehr gut geschrieben und ich muss bei jeder Diskussion die 1,5 Grad erläutern, Wetter und Klima, nein nicht das Gleiche… Ozean, wird nur im Sommerurlaub wahr genommen, aber welche Systemwirkung unsere Weltmeere haben ist leider, leider immer noch nicht weit verbreitet. Mit dem Amazonas kann man mehr Anfangen, da können selbst die Klimaskeptiker die Veränderungen wahrnehmen aber im Meer? Deshalb sehr gut und sehr wichtige Informationen in deinem Artikel. Danke.
    Viele Grüße aus Marburg
    Michael

    • @Michael Kauer: Danke, Michael : ) Ja, manchmal frage ich mich, ob Leute sich mit Absicht blöd stellen oder es wirklich sind. Dieses Nicht-Begreifen von Wetter und Klima ist schon krass.
      Der letzte Teil kommt morgen, da geht es um Ozean-Strömungen.

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