Die Erhitzung der Ozeane – Giftige Algenblüten und hungernde Grauwale (Teil 3)

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Teil 1: Die Erhitzung der Ozeane – was heißt das eigentlich?

Teil 2: Die Erhitzung der Ozeane – Heilbutt und Blob im Nordpazifik

5. Warmes Wasser begünstigt Algenblüten

In warmen Gebieten kommt es besonders häufig zu Algenblüten. Meereserwärmung und Überdüngung durch Nährstoff- und Humuseintrag sind das Dreamteam der Ozean-Apokalypse. Innerhalb kurzer Zeit vermehren sich die Algen extrem stark und verursachen gleich mehrere Probleme.

Solcher Nährstoffeintrag kann etwa durch die Abholzung von Wäldern geschehen, wie der Regenwald-Rodung im Amazonas-Wald. In dem Fall werden Humus, Pflanzenreste und Dünger (Stickstoff- und Phosphor-Verbindungen) aus den neuen Pflanzungen über den Amazonas ins Meer transportiert. Dadurch hat sich in den letzten Jahren das Sargassum-Ökosystem verändert, eine Insel aus treibenden Sargassum-Braunalgen. Mit einer veränderten Artengesellschaft hat es sich aus seiner ursprünglichen Region – der Sargassosee – verlagert und überschwemmt nun neuerdings regelmäßig Strände der karibischen und mittelamerikanischen Staaten. Die verrottenden Algenfluten ersticken Meerestiere, machen Fischerei unmöglich und sind bei der Verwesung mit toxischen Schwefelwasserstoff-Ausgasungen auch eine Gefahr für menschliche Strandgäste. Mehr dazu hatte ich schon 2018 für Spektrum geschrieben. Das Problem hält bis an, wird stetig schlimmer zu werden. Mittlerweile gibt es eine Sargassum Forecast, mit deren Hilfe man Strandaufenthalte planen oder Strandsäuberungen organisieren kann.  Für die meist armen karibischen Inselstaaten ist der Wegfall von Fischerei und Tourismus eine wirtschaftliche Katastrophe.
Wie sich diese Veränderungen auf das einzigartige Sargassum-Ökosystem auswirken werden, das eine Kinderstube für Meeresschildkröten und viele Fischarten ist, ist noch nicht abzuschätzen.

5 a) Giftalgen – Harmful Algal Blooms

Ein weiteres Algen-Problem sind Giftalgenblüten, die sogenannten Harmful Algal Blooms (HABs). Solche giftigen Algen und andere Mikroorganismen mit der gleichen Ökologie produzieren für Meerestiere und Menschen tödliche Toxine. Gerade im Pazifik sind sie durch die Warmwasser-Blobs der letzten Jahre immer häufiger geschehen und haben zu Massensterben von Seiwalen an der chilenischen Küste sowie Buckel- und anderen Großwalen vor Alaska geführt.
Die massenhaft auftretenden giftigen Einzeller sondern ein starkes Gift ab, das nicht nur Wale, Fische, Seevögel sowie andere Meeresfauna tötet, sondern auch für Menschen gefährlich ist. Bei einer HAB-Warnung besteht die Gefahr, dass Fische oder Muscheln die Gifte beim Atmen und Filtrieren aufnehmen und im Körper anreichern, darum darf solches Seafood unter Giftverdacht nicht in Umlauf gebracht werden. Da die Fischerei und Aquakultur wie Lachszuchten ein erheblicher Wirtschaftsfaktor sind, haben HABs erhebliche finanzielle Auswirkungen. So erstickte 2016 eine Red Tide in den Lachszuchten der langen chilenischen Pazifikküste schätzungsweise 40.000 Tonnen Lachs im Wert von $800 Millionen Dollar, was zu sozialen Unruhen führte.
Besonders bekannt und berüchtigt sind Dinoflagellaten der Pfiesteria-Gattung, wegen ihrer rötlichen Färbung heißen ihre Massenvermehrungen “Red Tides”, also Rote Flut. Selbst ihre Ausdünstungen verursachen Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwindelgefühle und beeinträchtigen das Gedächtnis. Gerade im Pazifik kommen solche Red Tides immer häufiger vor.

6 Wärmere Meere sind weniger produktiv

Kältere Gewässer sind extrem produktiv, in den Sommern mit ihren langen Sonnentagen vermehrt sich zunächst Phytoplankton, dann Zooplankton und dann der Rest der Nahrungskette in explosionsartigem Wachstum. Darum ziehen auch Wale in die polaren Gewässer, um sich innerhalb kurzer Zeit die Bäuche vollzuschlagen. Die gleichen ökologischen Bedingungen machen etwa die Aquakulturen Chiles und Norwegens so extrem produktiv.
Wärmere Gewässer hingegen sind weniger produktiv. „Als wechselwarme Tiere spiegeln Fische die Temperatur des Wassers wieder, in dem sie schwimmen. Wenn das Wasser zu warm wird, sind die Enzyme, die sie für die Verdauung und andere Funktionen verwenden, weniger effizient, was Wachstum und Fortpflanzung beeinträchtigt. Außerdem enthält warmes Wasser weniger Sauerstoff, ein weiterer Stressfaktor.“ erklärt der Meeresökologe Rainer Froese (GEOMAR).
2019 hatten Meeresforscher und Fischerei-Experten in einer umfassenden Science-Studie veröffentlicht, dass die steigenden Meerestemperaturen die Produktivität der meisten Fischereien über 8 Jahrzehnte um 15 % bis 35 % verringert haben, während sie in einigen anderen Regionen gestiegen sind: Von 235 analysierten Fischbeständen der ganzen Welt wurde der Fang allerdings nur in acht Beständen besser.
Aber auch der Rest der Nahrungskette bis hin zum Plankton schwächelt unter der Wärme. Besonders stark leiden die Fische und somit der Fischereiertrag in tropischen Gewässern. Gerade dort gibt es oft keine alternativen Nahrungsressourcen für die Menschen, was zu sozialen Problemen führen kann.

Höhere Temperaturen und weniger Sauerstoff sind erhebliche Stressfaktoren für Fische (und anderer Tiere), zusammen mit der Überfischung werden sie zur Ertragsminderung oder gar zum Kollabieren auch bisher guter Fischgründe führen.

6 a) Massensterben der Grauwale

Seit Januar 2019 sterben an der amerikanischen Pazifikküste zwischen Mexiko und Alaska auffallend viele Grauwale (Unusual Mortality Event), die an den Stränden angespülten Tiere sind stark abgemagert. Diese grau marmorierten Bartenwale wandern dort alljährlich zwischen ihrer Kinderstube in den flachen warmen Lagunen vor der mexikanischen Baja California und ihren sommerlichen Freßgründen in der Arktis, ins nördliche Bering-Meer und die Tschuktschen-See.
Die Grauwale ziehen von der Baja aus 7000 bis 10.000 Kilometer weit nach Norden, um im Schlammboden der arktischen Randmeere zu fressen: Dabei tauchen sie ab, bohren eine Kopfseite in den Boden und nehmen ein Maul voll Sediment auf, in dem es von fetten Flohkrebsen und Würmern nur so wimmelt – bis zu 8000 Krebse pro Quadratmeter. Beim Auftauchen spülen sie dann das Sediment aus dem Maul und die Kleinstlebewesen bleiben in ihren kurzen Barten hängen, wie in einem Sieb.

Die Flohkrebse fressen Eisalgen und produzieren daraus auch für andere Tiere verwertbare Fette.
Diese Eisalgen wachsen in den Kanälchen und Höhlungen des arktischen Meereises und vermehren sich mit dem Beginn des arktischen Sommers explosionsartig. Sie sind das Futter für Schwebegarnelen, Flohkrebse und andere Schlammbewohner mit und ohne Beine, Borsten und Schalen. Taut das Eis früh im Jahr ab, fällt die Eisalgenblüte geringer aus, dann finden schwebende Garnelen meist noch genug Futter, aber zu wenig Eisalgenreste sinken auf den schlammigen Boden der arktischen Meere hinab, für die Flohkrebse und Würmer im Meeresboden. Die vermehren sich daraufhin viel weniger als üblich. Dazu kommt, dass die Algenblüte früher im Jahr beginnt und auch früher endet.

Wenn die Grauwale dann ausgehungert nach ihrer langen Reise ankommen, finden sie viel weniger fette Beute, als gewohnt und als sie brauchen. Die grauen Meeresriesen nehmen dort den größten Teil ihres Jahresfutterbedarfs von 65 Tonnen auf. In den wärmeren Regionen des Pazifiks fressen sie dann nur noch wenig, das Nahrungsangebot ist zu schlecht.

Darum sind viele Grauwale seit 2018 unterernährt, seit 2019 werden verhungerte Wale angespült. Gerade die Walmütter sind besonders stark von der Nahrungsverknappung betroffen, denn sie müssen ihre Kälber mit 190 Litern extrem fetter Milch täglich versorgen.

2016 hatten NOAA-Forscher 27.000 Grauwale gezählt, 2020 waren es nur noch 21.000. Trotzdem machen sich die Walforscher keine Sorgen, dass diese Hungerjahre die Art gefährden könnten. Die pazifischen Grauwale haben nämlich schon andere solcher Klimakrisen überlebt, sie sind Überlebende des Pleistozäns. Fossilfunde zeigen, so der Wal-Paläontologe Nicholas Pyenson, dass Grauwale vor etwa 2,5 Millionen Jahren entstanden sind. Er hatte die ökologische Geschichte der Wale und Schelfmeere in den letzten 120.000 Jahren rekonstruiert. Die Meeressäuger haben bis zum Ende des Pleistozäns vor rund 11700 Jahren mehr als 40 Warm- und Kaltzeiten mit starken Meeresspiegelschwankungen überlebt. Dabei lag die Meeresoberfläche teilweise bis zu 200 Meter höher als heute. Das heißt, dass es keine flachen Randmeere gab und die Grauwale also eine andere Ernährungsstrategie hatten. Ihr Genpool zeigt keine genetische Verarmung an, die auf extreme Massensterben hinweist. Die grauen Riesen haben sich also wohl schnell genug an die Klima- und Umweltveränderungen angepasst.
Auch ein Massensterben und ein Einbruch des Bestands um 25 Prozent von 1998 bis 2020 konnte der heute streng geschützte Bestand in den Folgejahren wieder ausgleichen.

Für das aktuelle Grauwal-Sterben vermuten die Forschenden, dass einerseits die arktischen Nahrungsressourcen nicht mehr für alle Wale reichen. Andererseits ist wegen der schnellen Meereserwärmung in der Arktis auch zu befürchten, dass die dortigen Nahrungsangebote schrumpfen werden.
Bei Walzählungen aus der Luft ist aufgefallen, dass nicht alle Grauwale zu ihren bisherigen Nahrungsgründen ziehen, sondern einige weiter nach Norden schwimmen als bisher. Einige andere haben eine alternative Lebensweise entwickelt und schwimmen gar nicht in die Arktis: Stattdessen begnügen sie sich im Sommer mit Heringen und Krill in der Region zwischen Alaska und Nordkalifornien. Das geringere Nahrungsangebot scheint ihnen auszureichen, denn dafür sparen sie sich die kraftzehrende Wanderung.
Ob die Meeressäuger sich nun allerdings angesichts der extrem schnellen Meereserwärmung schnell genug anpassen können, ist ungewiss.

(Fortsetzung folgt)

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Auf dem Science-Blog „Meertext“ schreibe ich über meine Lieblingsthemen: Biologie, Zoologie, Paläontologie und das Meer. Wale, Fische und andere Meeresgetüme. Tot oder lebendig. Fossile Meere, heutige Meere und Meere der Zukunft. Die Erforschung, nachhaltige Nutzung und den Schutz der Ozeane. Auf der Erde und anderen Welten. Ich berichte regelmäßig über Forschung und Wissenschaft, hinterfrage Publikationen und Statements und publiziere eigene Erlebnisse und Ergebnisse. Außerdem schreibe ich über ausgewählte Ausstellungen, Vorträge, Bücher, Filme und Events zu den Themen. Mehr über meine Arbeit als Biologin und Journalistin gibt´s auf meiner Homepage “Meertext”.

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