Shalom, Ivry Gitlis – Abschied von einer Geiger-Legende

Am 24. Dezember 2020 starb der hebräische Geigenvirtuose Ivry Gitlis im Alter von 98 Jahren in Paris. Seine 307 Jahre alte “Sancy” Stradivarius hat aufgehört zu weinen, und die Welt hat einen Weisen verloren.

Die Corona-Pandemie zeigt uns deutlich: Es mangelt nicht an Experten. Es fehlen vor allem Universalgelehrte, die sich im rechten Moment einsetzen , um die Welt positiv zu verändern. Der israelische Geiger Ivry Gitlis war ein solcher.

Am 24. Dezember trat er im Alter von 98 Jahren in seiner Pariser Wahlheimat von der Lebensbühne ab. Die christliche Nachbarschaft stand derweil vielleicht gerade in coronakonformer Kleinstbesetzung an den heimischen Krippen, um “Il est né le divin enfant” (Es ist geboren, das göttliche Kind) zu singen.

Schade, dass Ivry Gitlis das nun nicht mehr kommentieren kann. Doch es hätte ihn sicher amüsiert. Weniger lustig fand er dagegen vermutlich das Trauerspiel, das derzeit in weiten Teilen der Erde gespielt wird. Auch wenn Ivry Gitlis’ Tod nicht überraschend daherkam, ist es dennoch traurig, dass die Welt gerade jetzt einen solchen Weisen verloren hat.

Ein Junge aus Jesus’ Nachbarschaft

Jeder, der ein Kind, sagen wir mal im Alter zwischen 3 und 5 Jahren, beobachtet, kann feststellen, dass wir alle (auch) als Künstler geboren wurden. Zumindest, bis die Erziehung zu wirken beginnt bzw. Maßnahmen zur Eindämmung einer Pandemie zum “Schutz von Bildung und Wirtschaft”  ergriffen werden. Doch manche Kinder haben Glück, so wie Ivry Gitlis.

Ivry Gitlis starb an dem Tag, an dem wir uns darauf geeinigt haben, Jesus’ Geburtstag zu feiern. Geboren wurde der Junge als Yitzhak-Meir (Isaac) Gitlis im Sommer 1922 in Haïfa (damals Völkerbundsmandat für Palästina), wenige Kilometer von Jesus’ Geburtsort Nazareth entfernt. Die Eltern hatten sich 1921 auf der Reise getroffen, als sie in weiser Voraussicht ihre Heimat in der heutigen Ukraine verließen. Die Mutter war Sängerin, der Großvater mütterlicherseits Kantor in einer Synagoge. Der Vater war ein bescheidener Müller.

Als sich der Fünfjährige, aus einer Laune heraus eine Geige wünschte, legte der ganze Clan zusammen, um ihm diesen Wunsch zu ermöglichen. Kurze Zeit später war aus dem Jungen ein “Wunderkind” geworden.

Begegnung mit Bronisław Huberman

Irgendwie schafften es die Mutter und die Geigenlehrerin, den etwa 10-jährigen Wunderknaben dem einflussreichen Geiger Bronisław Huberman (1882-1947) vorzustellen. Dieser war selbst ein Wunderkind gewesen und durfte 1903 erstmals nach dessen Tod die Geige von Niccolò Paganini (1782-1840) in Genua spielen [1].

Für den aus einer polnisch-jüdischen Familie stammende Huberman war das Geigenspiel auch ein Teil seines Einsatzes für eine bessere Welt. Politisch war er Vorkämpfer des Europagedankens und eines jüdischen Staates in Palästina. Als Wilhelm Furtwängler ihn am 30. 06.1933 einlud (genau fünf Monate nach der Machtergreifung Adolf Hitlers), mit den Berliner Philharmonikern zu spielen, antwortete Huberman mit einem offenen Brief:

“In Wirklichkeit ist es keine Frage von Violinkonzerten oder der Juden; das Thema ist die Bewahrung der Dinge, die unsere Väter mit Blut und Opfern erreicht haben, der elementaren Voraussetzungen unserer europäischen Kultur, der Freiheit des Individuums und seiner bedingungslosen Eigenverantwortung, unbehindert durch Fesseln von Kaste oder Rasse.” [2]

Dieser Brief blieb natürlich nicht folgenlos. Wie wäre die Geschichte verlaufen, wenn mehr Menschen wie Huberman gehandelt hätten? Da dies ausblieb, wurden daraufhin in Deutschland die letzten jüdischen Orchestermusiker entlassen. Huberman überredete 75 von ihnen, mit ihm in das unter britischem Mandat stehende Palästina zu gehen, um dort das erste professionelle Symphonieorchester des Landes, zu gründen. Das Geld für die Reise sammelten die Musiker mithilfe Albert Einsteins.

Ivry, der geigende “Hebräer” in Europa

Bronisław Huberman erkannte sofort das Talent des Jungen Gitlis. Er schickte ihn zu weiteren Studien nach Paris ans Konservatorium. Die Mutter begleitete das Einzel-Wunderkind. Der Vater brachte die beiden zum Schiff. Er blieb allein zurück in der Mühle in Haïfa.

1933 kam der 11-Jährige in die Klasse von Jules Boucherit. 1935 graduierte er, d.h. er gewann den ersten Preis bei einem Vorspiel. Das Konservatorium war definitiv nicht seine Lieblingsort. Er mochte nicht immer, was dort an Technik und Stil “konserviert” wurde.

Später lernte er bei den berühmten Lehrern Carl Flesch, Jacques Thibaud und George Enescu, was ihm besser gefiel. Er ließ sich aber auch gern von den natürlichen Spieltechniken der Straßenmusiker inspirieren, die oft auf eher bescheidenen Instrumenten Großartiges hervorbringen.

Den Zweiten Weltkrieg verbrachte Gitlis in England. Aus Yitzhak wurde Ivry, was zwar “Hebräer” bedeutet, gleichzeitig aber weniger “jüdisch” klingt. Noch so ein genialer Streich dieses begabten Streichers – diesmal zum Schutz vor den Nazis.

Globetrottendes Musikgenie

Nach dem Krieg tourte Ivry Gitlis durch die ganze Welt und widmete sich dabei nicht nur den großen Klassikern, sondern baute immer wieder Brücken zu anderen Stilen, anderen Kulturen. Besonders in Japan wird der Virtuose deswegen verehrt und geschätzt. Und auch mit den Rolling Stones musizierte er gemeinsam. Seine Heimat zwischen den Reisen war und blieb dabei Paris.

Zu keiner Zeit war er ein perfektionistischer Geigenroboter, welche die Konservatorien dieser Erde nur zu gern fast wie am Fließband produzieren. Ivry Gitlis war ein Mensch, der nicht nur zehn Sprachen beherrschte, sondern auch sein ganz eigenes Verständnis der Noten hatte. Mehr als 60 Jahre spielte er seine “Sancy” Stradivarius aus dem Jahr 1713. Er schaffte es wie kaum ein anderer, Paganinis Kompositionen locker und spielerisch leicht klingen zu lassen. Ob der Komponist selbst das ähnlich fantastisch hinbekommen hat?

Video: Rondo „La Campanella“ aus dem Concerto Nr. 2, h-moll op. 7 (Niccolò Paganini). Ivry Gitlis & Symphonieorchester der Nationalphilharmonie Warschau, 02. Oktober 1966.

Bachs Chaconne und der Klang von Empathie

Seine Interpretation von Bachs Chaconne aus der Partita II ist jedenfalls die ehrlichste, die ich jemals gehört habe. So ähnlich muss der Komponist gefühlt haben, als er das Stück komponierte. So klingt Empathie.
Nicht so schön perfekt, wie viele andere Virtuosen das Stück darbieten. Natürlich erfreut das die Sinne und ist technisch auf jeden Fall erstrebenswert.

Nur trifft es halt leider nicht des Pudels Kern, der eben nicht so schön ist. Denn Johann Sebastian Bach (1685-1750) hatte 1720 plötzlich und völlig unerwartet seine erste Frau verloren. Seit 1717 lebte die Familie Bach in Köthen, wo Johann Sebastian Hofkapellmeister war. Auf eine Orgel musste er dort jedoch leider verzichten, denn es gab in der Gegend zu jener Zeit keine adäquaten Instrumente.

Als er die Partiten und Sonaten für Violine Solo (BWV 1001-1006) fertigstellte, war J.S. Bach Witwer und alleinerziehende Vater der vier überlebenden seiner bis dahin sieben Kinder. Mangels Orgel bewältigte er die komplexen Harmonien mithilfe einer Geige. Der Tod war zu Bachs Zeiten ein ständiger Begleiter der Lebenden. Gottvertrauen und Gelassenheit boten in jenen Zeiten eine große Lebenshilfe.

Ivry Gitlis lässt Bach nun noch einmal wiederauferstehen, wenn er spielt. Er ermöglicht uns damit einen tiefen Blick in die Seelen. Bach spricht mit Gott und Gitlis mit Bach. Und plötzlich sprechen alle miteinander und sogar mit uns. Nun braucht Ivry Gitlis keine Geige mehr für solche Diskussionen…

Video: Ivry Gitlis spielt die Chaconne aus der Partita II für Violine solo in d-moll, BWV 1004 (1714-1720, J.S. Bach)

When Hilary Hahn met Ivry Gitlis

Vor einigen Jahren – da muss er so um die 90 Jahre alt gewesen sein – gab Ivry Gitlis der für ihre Bach-Interpretationen die fast 60 Jahre jüngere Geigen-Virtuosin Hilary Hahn ein kleines Interview. Der alte Mann hätte gern noch länger vor der Kamera geredet, doch Hilary hatte dafür offenbar kein Verständnis. Sie fragte ihn: “Spielen Sie noch?” Er lachte, schaute amüsiert zurück und konterte: “Atmen Sie noch?”
Hilary schien diese Antwort nicht ganz zu verstehen: “Aber Musik ist doch nicht wie Essen oder Trinken…”

Wenn professionelle Perfektion auf menschliche Größe trifft. Wir können von beiden viel lernen. Beide konnten voneinander lernen. Die Entwicklung, die Ivry Gitlis bereits durchlaufen hat, steht den Jüngeren natürlich noch bevor. Seit 1988 war Ivry Gitlis Sonderbotschafter der UNESCO (Goodwill Ambassador).

Lebenslanges Lernen und Atmen

Schaut man sich eine Reportage über ihn aus dem Jahr 1968 an, sieht man einen Zigarette rauchenden Ivry Gitlis, der in seiner kleinen Pariser Wohnung am Küchentisch Geige übt. [3] Die meiste Zeit verbrachte er in jenen Jahren wohl eh in irgendwelchen Flugzeugen und Konzerthallen, die rund um den Globus verteilt waren.

Mittlerweile wissen wir, dass Yoga besser und nachhaltiger entspannt als das Aufrechterhalten einer Nikotinsucht. Auch Ivry Gitlis hat dies im Laufe seines langen Lebens lernen dürfen. Später sah man ihn jedenfalls nicht mehr rauchen. Stattdessen philosophierte er über die Wichtigkeit der Atmung, gesundes Leben und gute Atemtechniken. Denn: Solange wir atmen, leben wir. Deswegen sollten wir auf unsere Atmung achten.

Das ist aktueller als je zuvor, denn COVID-19 ist eine Atemwegserkrankung. Doch je gestresster wir sind, desto flacher wird unsere Atmung, was eine ganze Reihe negativer Folgen heraufbeschwören kann.

Corona-bedingter Kultur-Tod

Die Kultur macht gerade zumindest in Europa weitgehend Corona-Pause. Das ist schlimm und traurig. Aber vielleicht ist es auch die Chance für längst fällige Reformationen. Sind die Star-Dauer-Jetlag-Stradivari-und-Co.-Virtuosen und die ewig gleichen (Klassik)-Programme überhaupt noch zeitgemäß? Was geschähe, wenn wir vielleicht alle selbst etwas mehr Musik machen würden? Noch nie war das einfacher, sogar trotz Pandemie.

Immerhin darf wenigstens das Klima sich gerade ein wenig von unserem bisherigen normalen Verhalten erholen.

Ivry – das Urgestein aus einem längst vergangenen sentimentalen und leidenschaftlichen Universum traf immer häufiger auf den Materialismus einer sich immer rascher verändernden Welt.

Prix Ivry Gitlis

Dennoch war sein positiver Einfluss bis zum Schluss stark. Im Rahmen des internationalen Musikfestivals “Le Printemps du Violon” in Paris verlieh er seit einigen Jahren regelmäßig den “Prix Ivry Gitlis” an herausragende und außergewöhnliche junge Violinisten. 2018 erhielt der 1991 geborene Marc Bouchkov diesen Preis, der in vielerlei Hinsicht durch sein besonderes Talent besticht, sei es als Violinist, als Komponist oder bei der Vermittlung von Inhalten über die Musik.

Humor trotz Einsamkeit

Ivry Gitlis muss in den letzten Monaten sehr einsam gewesen sein. [4] Die Corona-Pandemie hat ihm sicher nicht geholfen. In den letzten Jahren war er immer schwächer geworden. Anfang 2019 hatte er bei einem für ihn arrangierten Konzert geklagt, dass er sich noch von einer Grippe erholen müsse. Da war er 96 Jahre alt. So richtig erholt hat er sich vermutlich nicht mehr. Was für ein Glück, dass uns auch über seinen Tod hinweg ein wenig von seiner Musik, der Weisheit und seinem Humor erhalten bleiben.

“Morgen kommt der Weihnachtsmann”

Am 29. August 2016 gab der damals 94-Jährige in Llubljana (Slowenien) ein Kammerkonzert mit seinen Freunden – Ivry Gitlis and Friends. Obwohl er da schon Unterstützung brauchte, um die Geige zu halten, mangelte es ihm nicht an Virtuosität und Humor. Es war eines seiner Abschiedskonzerte für uns. Am Ende gab er noch eine kleine Zugabe: Variationen über das Lied “Morgen kommt der Weihnachtsmann”. Und der kommt in Frankreich in der Nacht vom 24. zum 25. Dezember…

Verwitwete “Sancy” Stradivarius

Seine “Sancy” Stradivarius aus dem Jahre 1713 war wohl sein wertvollster “Besitz”. Über 64 Jahre waren sich die beiden mehr oder weniger treu. So lange hat keine seiner Ehen gehalten. Dennoch war es zumindest für die 307-jährige Geige ein kurzes Zwischenspiel. Wird er sie vermissen? Wird sie Ivry vermissen?

Ivrys Vermächtnis

“Dear young colleagues of the up-and-coming generation, please have the courage to be yourselves, to take risks and not be copies of your recordings or of others’. Practice your instrument in order to free yourself from any psycho-technical constraint, to be able to create when you play. Listen to your inner ear, which is connected directly to your heart and spirit, the one that tells you what you feel is you! And the one you don’t feel isn’t you. Remember that a beautiful “wrong” note by a Kreisler, a Thibaud, a Casals or a Callas is worth more than a thousand so-called “right” notes and that playing that is hygienically and clinically correct is not necessarily a sign of good health! Take heart! Good health to you!”

– Ivry Gitlis, January 2007 [5, 6] 

.תודה לך, עברי גיטליס
.תנוח על משכבך בשלום
Merci, Ivry Gitlis.
Ruhe in Frieden.

Quelle / weiterführende Literatur:

  1. Notizen. In: Zeitschrift der Internationalen Musikgesellschaft. Band 10, 1903, S. 636.
  2. Weber, Margot: Versöhnung durch Musik. Das Israel Philharmonic Orchestra. Magazin der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien. Sept/Okt 2012. Online, abgerufen am 30.12.20
  3. Ivry Gitlis – “Un violon, une valise”. TV footage, 06.10.1968 (Jacques Busnel, ina.fr). YouTube: https://www.youtube.com/watch?v=nPmlhByPMlA
  4. Isserlis, Steven: Ivry Gitlis (http://stevenisserlis.com/ivry-gitlis/ Januar 2020). Online, abgerufen am 30.12.20
  5. Gitlis, Ivry, L’Âme et la corde (2nd edition, Buchet-Chastel, Paris 2013) ISBN 978-2-283-02514-7
  6. Gitlis – CD Booklet for the first release of Paganini’s 24 Caprices (Philips, January 2007)

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Dr. Karin Schumacher bloggte zunächst als Trota von Berlin seit 2010 bei den SciLogs. Nach dem Studium der Humanmedizin in Deutschland und Spanien promovierte sie neurowissenschaftlich und forschte immunologisch in einigen bekannten Forschungsinstituten, bevor sie in Europas größter Universitätsfrauenklinik eine Facharztausbildung in Frauenheilkunde und Geburtshilfe abschloss. Hierbei wuchs das Interesse an neuen Wegen in der Medizin zu Prävention und Heilung von Krankheiten durch eine gesunde Lebensweise dank mehr Achtsamkeit für sich und seine Umwelt, Respekt und Selbstverantwortung. Die Kosmopolitin ist leidenschaftliche Bergsportlerin und Violinistin und wenn sie nicht gerade fotografiert, schreibt oder liest, dann lernt sie eine neue Sprache. Auf Twitter ist sie übrigens als @med_and_more unterwegs.

1 Kommentar

  1. Ja, die Chaconne ist eine Seelenreise, von Verzweiflung über Zwiesprache mit der verlorenen Gefährtin, Wut über das unbarmherzige Schicksal, Verdrängung durch Geschäftigkeit, bleierne nicht enden wollende Leere und Ausweglosigkeit, grandiose Selbstdarstellung und wieder die Verzweiflung. Dann plötzlich der Dur-Teil: Erinnerung an innige Zweisamkeit, überfliessende Liebe, warmer Dialog, stärkste Dankbarkeit, Lobpreis des Schöpfers, triumpfale Klangfuelle. Doch ach, alles Vergangenheit! Die Realität ist Ausweglosigkeit, Trauer, wohin soll ich mit mir, ratloses Rumstochern, tiefster Jammer. Dann wieder scheinbares Trittfassen, energische schnelle Schritte. Und wieder: Wegwischen und die dritte Verzweiflung, endend im hohlen doppelten D, dem Grundton, der leeren Saite und dem quaelenden 4. kleinen Finger.

    3 Mal studierte ich die Chaconne in meinem Leben: als Musikschueler (oh, ich spiele schon die Chaconne!), als Student (ach, die anderen können das besser, wie frustrierend) und nach 3 Jahren in der Psychiatrie, eigentlich wollte ich die Geige nun verkaufen, lernte nun den Alt-Schluessel und beabsichtigte nun nur noch Bratsche zu spielen. Aber da waren die oben erwähnten neuen Erkenntnisse von Helga Thuene und der berühmte Auspruch von Brahms angesichts des neuen Bandes der Bach-Gesamtausgabe. So vergingen anderthalb Jahre mit Studium der Chaconne und Finden und Erleben und Erfuehlen des o. g. daraus Destilliertem. Es war ein Weg der Klaerung und der schmerzvollen Akzeptanz.

    Meine eigene Interpretation wurde dann noch sehr geprägt von den Aufnahmen der Chopin-Klavierkonzerte von Christian Zimmerman mit seinem dirigentenlosen Polish-Festival-Orchestra. Warum soll ich Bach nicht auch so spielen, dass ggf. auch mal die Zeit stehenbleibt? Dass bleierne Zeit auch schleppt, das Hektik und Verdraengung auch zu hören sind? Ich muss gestehen, dass Ivry Gitlis mir bisher, verstellt von David Oistrach, Isaac Stern, Jaqueline du Pre, Salvatore Accardo und anderen, bisher kein Begriff war. Wie konnte mir das Entgehen? Danke also für diesen Artikel! In seiner Interpretation finde ich die emotionalen Inhalte, so wie auch in der von Viktor Pikaisen. In vielen anderen nicht. Es sei diesen Interpreten gegönnt, die Tiefen in ihrem Leben nicht auszuloten gemusst zu haben. Ich habe es mit der Chaconne auch mal mit der Bratsche versucht. Ergonomisch sehr anspruchsvoll, musikalisch leider nicht möglich. Bratsche kann keine Verzweiflung, dafür Wärme und Gelassenheit!

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