Fußball: Dement durch den Volkssport?

Beim Boxen und American Football ist schon länger bekannt, dass wiederholte Traumata am Kopf zu neurodegenerativen Erkrankungen führen können. Doch bei einem fast kontaktlosen Sport wie Fußball? Eine neue Studie aus Schweden hat nun zu Teilen noch einmal bestätigt, was auch schon vorangegangene Studien gefunden haben. Auch professioneller Fußballer sind mit einem höheren Risiko an neurodegenerativen Erkrankungen zu erkranken assoziiert. Unterschiede zwischen Feldspielern und Torwarten deuten zu dem darauf hin, dass vor allem Kopfbälle dieses Risiko erhöhen.

Wen und was hat die Studie untersucht?

Die Studie untersuchte Fußballspieler, die zwischen 1924 und 2019 mindestens ein Spiel in der höchsten schwedischen Liga spielten und verglich diese gegen eine Kontrollgruppe, die den Spielern in Geschlechter, Geburtsjahr und Wohnregion entsprach.
Verglichen wurde primär die Häufigkeit der Diagnosen von neurodegenerativen Erkrankungen zwischen den Profifußballern und der Vergleichsgruppe. Die Daten wurden über das Nationale Schwedische Patientenregister erhoben. Als neurodegenerative Erkrankungen wurden primär Alzheimer und andere Demenzen, Motorneuronenerkrankungen und Parkinson zusammengefasst.
In einem zweiten Schritt wurden Einzel- und Kombinationsanalysen für die als neurodegenerativen Erkrankungen zusammengefassten Krankheiten sowie zwischen Feldspielern und Torwarten durchgeführt.

Welche Resultate ergaben sich aus der Studie?

Die Studie ergab, dass die in der Studie untersuchten professionellen Fußballspieler im Vergleich zu der gepaarten Kontrollgruppe der Normalbevölkerung ein 1.5-faches Risiko (1.33-1.6 CI 95%) hatten, an neurodegenerativen Erkrankungen zu erkranken.
In den detaillierten Analysen stellte sich genauer heraus, dass das Risiko vor allem für die demenziellen Erkrankungen sowie die Motorneuronenerkrankungen erhöht war; nicht jedoch für Parkinson – dort war das Risiko sogar verringert im Vergleich mit der entsprechenden Kontrollgruppe.
Interessanterweise konnten die Risikoerhöhungen signifikant nur für Feldspieler, jedoch nicht für Torwarte gezeigt werden. Die Risikoverminderung einer möglichen Parkinsonerkrankung war jedoch identisch zwischen den beiden Spielergruppen.

Einordnung der Studie

Die Ergebnisse der Studie weisen in die gleiche Richtung wie frühere Studien, maßgeblich eine schottische Studie, welche 2019 ein 3.5-fach erhöhtes Risiko für neurodegenerative Erkrankungen fand und nach welcher der britische Fußballverband seine Regeln zu Kopfbällen im Jugendalter anpasste. In der schottischen Studie wurde jedoch für alle Arten der neurodegenerativen Erkrankungen ein erhöhtes Risiko gefunden, inklusive Parkinson.
Diese Unterschiede wurden in der Studie mit möglichen Unterschieden in den Spielweisen zwischen Schottland und Schweden begründet. Da viel Bewegung als ein wichtiger protektiver Faktor für eine Parkinsonerkrankung angesehen wird, ist dies durchaus mit unserem bisherigen Verständnis der Krankheit vereinbar.

Insbesondere bei den Kontaktsportarten wie American Football, Boxen oder Rugby wird die Neurodegeneration vor allem mit der chronisch traumatischen Enzephalopathie (CTE) in Verbindung gebracht. Da diese Krankheit bisher nur posthum, also nach dem Tod, diagnostiziert werden kann und nicht routinemäßig untersucht wird, ist jedoch darüber keine Aussage zu treffen. Nichtsdestotrotz kann die CTE als ein weiterer oder begünstigender Krankheitsmechanismus für neurodegenerative Erkrankungen nicht ausgeschlossen werden.
Die Unterscheidung zwischen Feldspielern und Torwärten legt zudem nahe, dass das Risiko für neurodegenerative Erkrankungen eine Feldspieler-spezifische Ursache aufweist. Dies kann allen voran natürlich an Kopfbällen liegen, welche deutlich häufiger von Feldspielern als von Torwärten ausgeführt werden. Zudem wäre diese Ursache kongruent mit bisherigen Theorien zur Krankheitsentstehung, da Kopfbälle zu Mini-Traumata und so, ähnlich der CTE, später zu neurodegenerativen Erkrankungen führen können.

Leider konnten bisher keine Dosis-Wirkungs-Analysen, also einer Beziehung zwischen der Anzahl der Kopfbälle und der Höhe des Risiko für neurodegenerative Erkrankungen, aufgestellt werden, da dies aus den Daten nicht ermittelbar war.

Sollte man nun Fußball oder Kopfbälle im Fußball verbieten?

Eher nicht. Zum einen hat Sport im Allgemeinen eine positive Auswirkung auf die allgemeine Gesundheit und im Gesamtvergleich hatten die Fußballspieler bessere gesundheitliche Outcomes als die Kontrollgruppe. Sowohl der britische als auch der deutsche Fußballverband haben Empfehlungen ausgesprochen, dass insbesondere in jungen Jahren die Kopfbälle reduziert werden sollten.
Zuallerletzt muss man noch beachten, dass es fraglich ist, inwiefern die Ergebnisse auf den aktuellen Fußball übertragbar sind, da die Studie Fußballer ab 1924 einbezog. Vieles hat sich seit dem geändert und könnte die Ergebnisse in positiver wie auch negativer Weise beeinflussen. Positiv ist sicherlich, dass die Bälle leichter wurden und nicht mehr aus Leder sind, sodass sie sich nicht mehr im Regen mit Wasser vollsaugen. Höhere Trainingsintensitäten mit mehr Wiederholungen im heutigen Fußball könnten jedoch auch dazu führen, dass sich die Effekte verstärken.
Vielleicht verzichtet man auch einfach im nächsten Kreisligaspiel auf den Kopfball.

Die in dem Artikel verwendete Literatur ist hier zu finden.

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Veröffentlicht von

Friedrich Schwarz studiert Humanmedizin und Angewandte Informatik mit Schwerpunkt Neuroinformatik. Aktuell fasziniert ihn die Theorie, dass Humor und Kreativität als Positivfaktoren in der sexuellen Selektion dazu beigetragen haben könnten, dass die menschliche Gehirngröße evolutionär zunahm. Mit dem Schreiben hier probiert er, seine Begeisterung über das Gehirn mit der Welt zu teilen – ob sie möchte oder nicht.

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